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1 Bipolare Störung und Achtsamkeit Die Bipolare Störung ist eine affektive Störung, die sich durch Episoden der Hypomanie oder Manie auszeichnet und oft depressive Episoden enthält, mit Zeiten der Genesung dazwischen. Ungefähr 5,7 Millionen Amerikaner sind von ihren vielfältigen Ausprägungen betroffen (Kessler et al. 2005; US Census Bureau 2005) – in Deutschland sind es etwa 2 Millionen Menschen –, und sowohl die betroffenen Personen als auch ihre Familien und Freunde werden stark von der Krankheit beeinträchtigt. Die Bipolare Störung ist eine wiederkehrende, chronische und oft quälende Krankheit, wie die meisten Menschen, die unter einer Bipolaren Störung leiden, bestätigen können. Selbst mit „stimmungsstabilisierenden“ Medikamenten erleben Menschen mit einer Bipolaren Störung üblicherweise häufige Rückfälle und sind selten frei von Symptomen. Es ist schwierig für sie, in der Schule erfolgreich zu sein, einen Job zu behalten, Beziehungen zu pflegen und mit anderen gut auszukommen. Psychotherapien für die Bipolare Störung wie Kognitive Verhaltenstherapie, Familientherapie oder Interpersonelle und Soziale Rhythmustherapie können zur Entlastung beitragen. Mit einer oder mehreren dieser Maßnahmen können Patienten die Stimmungsschwankungen herauszögern und verkürzen. Verbunden mit medikamentöser Behandlung können diese Therapien den Patienten dabei helfen, besser zurechtzukommen und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Doch trotz dieser Fortschritte quälen sich viele Patienten in allen Lebensbereichen. Dieses Buch beschreibt eine Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (Mindfulness-based Cognitive Therapy, MBCT) für Menschen mit einer Bipolaren Störung. Das Gruppenprogramm, bestehend aus zwölf Sitzungen gepaart mit Einzeltherapiestunden, ist auf die Behandlung von denjenigen Patienten ausgelegt, die viele Krankheitsepisoden erleben, die mit chronischen, gegenwärtig depressiven und manischen Restbeschwerden kämpfen und die möglicherweise auch Begleitstörungen wie eine Angststörung haben. Achtsamkeit erschien uns eine bedeutende Erweiterung der Auswahl von Therapiemethoden, die Personen mit Bipolarer Störung ergänzend zur Einnahme von Medikamenten zur Verfügung steht. Es wird berichtet, dass das Ausüben von Achtsamkeit eine Reihe von günstigen Auswirkungen auf psychiatrische, funktional-somatische und stressbedingte Symptome hat, und es wird daher zunehmend in psychotherapeutische Programme einbezogen (Baer 2003; Grossman et al. 2004). „Achtsamkeit“ bezeichnet das nichtwertende Gewahrsein von Empfindungen im gegenwärtigen Moment (Kabat-Zinn 1990). Dies beinhaltet zwei Komponenten: Erstens wird die Aufmerksamkeit gelenkt, um den Fokus auf dem unmittelbaren Erleben zu halten. Zweitens wird dem eigenen Erleben mit Neugier, Offenheit und Akzeptanz begegnet, unabhängig seiner Wertigkeit und Erwünschtheit (Bishop et al. 2004). Bewährte psychologische Behandlungen der Bipolaren
Deckersbach: Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie bei Bipolaren Störungen. ISBN: 978-3-7945-3108-0. © Schattauer GmbH
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Teil I MBCT für Bipolare Störung – Einleitung
Störung verbunden mit der Verabreichung von Medikamenten betonen stark das „Tun“. Patienten lernen, ihre Stimmung zu überprüfen, ihr Leben anzupassen, Fähigkeiten zu erwerben, die ihnen dabei helfen, die Medikamente regelmäßig einzunehmen, ihren Rhythmus anzupassen, wirksamer zu kommunizieren und Probleme zu lösen. Trotzdem erleben viele Patienten weiterhin Tage mit Depression, gehobener Stimmung, Angst, Reizbarkeit, Sorge und Grübeln. Mit Achtsamkeit lernen die Patienten, diesen Erfahrungen anders zu begegnen – eher zu sein als zu tun. Wie wir sehen werden, kann eine Veränderung des „Seins“ mit unangenehmen und erschütternden Erfahrungen wie auch mit angenehmen Erfahrungen tiefgreifende Auswirkungen darauf haben, wie diese Erfahrungen sich für die Person mit Bipolarer Störung weiter entwickeln. Andererseits ist es nicht das Ziel dieses Behandlungsprogramms, einfach zu lernen, sich an unangenehme Erfahrungen „zu gewöhnen“, oder mit gängigen Behandlungsansätzen zu konkurrieren, die erfolgreich von Menschen mit Bipolarer Störung genutzt wurden. Vielmehr integriert unser Ansatz drei Kompetenzbereiche: klinisches Wissen über die Bipolare Störung, yy therapeutisches Wissen über bewährte Behandlungen der Bipolaren Stöyy rung und Sachkenntnis in Achtsamkeit. yy Wir betrachten Achtsamkeit als einen zusätzlichen therapeutischen Zugang, der die Optionen, die bereits für Menschen mit einer Bipolaren Störung erhältlich sind, ergänzt. Aus diesem Grund übernimmt und enthält unsere Behandlung viele Werkzeuge, die bereits entwickelt und erfolgreich bei der Behandlung von Bipolarer Störung eingesetzt wurden, und kombiniert diese mit Achtsamkeit.
1.1 An wen richtet sich dieses Buch? Dieses Buch wendet sich an klinisch tätige Ärzte und Therapeuten, die bereits Erfahrung in der Behandlung von Patienten mit Bipolarer Störung mit anderen Behandlungsformen haben, wie zum Beispiel Kognitive Verhaltenstherapie (CBT), Familienfokussierte Therapie (FFT), Interpersonelle und Soziale Rhythmustherapie (IPSRT) oder Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT). Sie sollten mit der Bipolaren Störung vertraut sein und den Wunsch haben, ihr Repertoire an therapeutischen Zugängen auf Achtsamkeit auszuweiten. Dieses Buch ist auch für erfahrene Achtsamkeitslehrer geeignet, die gern Menschen mit Bipolarer Störung behandeln möchten. Es bietet Informationen über die Störung sowie einen Leitfaden dazu, wie Achtsamkeit auf die Anzeichen und Symptome der Bipolaren Störung angepasst werden kann. Das Buch beschreibt auch, wie die gängigen Strategien Kognitiver Verhaltenstherapie, die wir als unentbehrlich für die Behandlung der Bipolaren Störung ansehen, eingebunden werden können.
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1 Bipolare Störung und Achtsamkeit
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1.2 Aufbau des Buchs Wir beginnen dieses Buch mit einem Überblick über die wichtigsten klinischen Aspekte der Bipolaren Störung. Was sind die Symptome der Bipolaren Störung? Was sind ihre unterschiedlichen Formen, und wie verbreitet sind sie? Klinisch tätige Ärzte und Therapeuten sollten die Bipolare Störung als wiederkehrende, chronische Störung einstufen, die trotz zeitweiser „Genesung“ oft drastische Folgen für die Funktionsfähigkeit und Lebensqualität der Menschen hat. Da stimmungsstabilisierende Medikamente weiterhin die erste Wahl für die Behandlung sind, gehen wir auf die gängigsten Medikamente und pharmakologischen Behandlungsansätze sowie ihre Herausforderungen ein. Unser achtsamkeitsbasiertes Programm übernimmt Behandlungselemente von anderen, bereits etablierten Behandlungen der Bipolaren Störung, und kombiniert diese mit den Elementen der Achtsamkeit. Daher beschreiben wir auch kurz die am häufigsten zur Verfügung stehenden Begleittherapien für die Bipolare Störung, ihre Techniken und was über ihre Wirksamkeit bekannt ist. Unseres Erachtens stellt Achtsamkeit eine bedeutende Erweiterung des Portfolio von Herangehensweisen an die Bipolare Störung dar. In diesem Zusammenhang werden wir einen Überblick über die bereits etablierten achtsamkeitsbasierten Behandlungsformen wie die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion und die Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie für Depressionen geben. Wir werden auch auf die Vorteile der regelmäßigen Ausübung von Achtsamkeit eingehen (z. B. erhöhte Konzentrationsfähigkeit, stabilere Stimmung). Außerdem geben wir einen Überblick über Pilotstudien, die in Gruppen von Menschen mit Bipolarer Störung durchgeführt wurden, einschließlich unserer eigenen Pilotstudie am Bipolar Clinic and Research Program am Massachusetts General Hospital in Boston. Dieses MBCT-Programm ist darauf ausgelegt, Menschen mit einer Bipolaren Störung, die viele Krankheitsepisoden erleben, zu behandeln. Sie kämpfen mit chronischen, gegenwärtig depressiven und manischen Restbeschwerden. Und sie haben möglicherweise auch Begleitstörungen wie eine Angststörung. Wie genauer in Kapitel 2 beschrieben, handelt es sich um ein Gruppen programm, bestehend aus zwölf Sitzungen gepaart mit Einzelsitzungen. In Kapitel 3 geben wir hilfreiche Informationen, wie man eine Bipolare Störung und ihre zugehörigen Probleme diagnostiziert. Kapitel 4 behandelt das Setting und den Aufbau der Einzelsitzungen, die die Gruppentreffen ergänzen. Der Rest des Buches beinhaltet eine Beschreibung, wie der Gruppenteil dieses Programms in den einzelnen Sitzungen umzusetzen ist, sowie die Handouts. Das schließt auch die folgenden Behandlungselemente ein: wie man seine Stimmung überprüft (Sitzung 1), Warnsignale für das Her annahen einer Krankheitsepisode erkennt (Sitzung 2) und Verhaltensnotfallpläne für gehobene Stimmung vorbereitet (Sitzung 3). Achtsamkeitslehrer werden auch erfahren, wie sie Yogaübungen (Sitzungen 1 und 2), Sitzme ditationen und Body Scans (Sitzungen 2 bis 8) unterrichten können, wie Acht-
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Teil I MBCT für Bipolare Störung – Einleitung
samkeit ins tägliche Leben integriert werden kann (Sitzung 1 und folgend) und wie Achtsamkeit auf die Symptome von aufkommender Depression oder Manie angewandt werden kann (Sitzung 3 und folgend). Gesteigertes Mitgefühl für sich selbst, Wohlbefinden und Achtsamkeit gegenüber angenehmen Erfahrungen werden in der Mitte der Behandlung zum Thema, sobald die grundlegenden Achtsamkeitsübungen vorgestellt wurden (Sitzung 9 und folgend). Lehrer werden auch lernen, wie sie Liebende-Güte-Meditationen durchführen und diese in das tägliche Leben der Teilnehmer übertragen können. Gruppensitzungen sind mit regelmäßigen Einzelsitzungen gepaart (▶ Kap. 4), welche dazu verwendet werden, Achtsamkeit auf die besonderen Bedürfnisse der Teilnehmer zuzuschneiden und Hilfe für Krisensituationen zu bieten, die oft im Laufe der Behandlung auftreten. Wir haben mehrere Skripte für die angeleiteten Meditationen eingefügt, die wir in dieser Behandlung verwenden. Die meisten Teilnehmer empfanden es als hilfreich, Audioaufnahmen dieser Meditationsanleitungen zu haben, um sie bei ihren Übungen zuhause zu nutzen. Aufnahmen dieser Anleitungen in englischer Sprache können unter www.schattauer.de/deckersbach-3108.html heruntergeladen werden.
1.3 Bipolare Störung: die Grundlagen Symptome
In diesem Buch konzentrieren wir uns auf zwei der verbreitetsten Formen der Bipolaren Störung: Bipolar-I-Störung und Bipolar-II-Störung (für eine Gesamtliste der Formen der Bipolaren Störung siehe DSM-5, die neuste Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders). Beide Formen der Bipolaren Störung setzen eine Episode von ungewöhnlich gehobener oder gereizter Stimmung voraus (American Psychiatric Association 2013). Diese Symptome gehen einher mit übertriebenem Selbstbewusstsein und ungewöhnlich hohem Mitteilungsbedarf, Größenwahn, flüssigeren und schnelleren Gedanken sowie leichterer Ablenkbarkeit, Gedankenflut und gemindertem Schlafbedürfnis verbunden mit einem erhöhten Aktivitätslevel, oft zusammen mit vergnüglichen und/oder riskanten Aktivitäten (z. B. übermäßiges Geldausgeben oder Glücksspiel). Der entscheidende Unterschied zwischen Bipolar-I-Störung und Bipolar-II-Störung sind Dauer und Schweregrad der gehobenen Stimmungslage. Menschen, die aus sich herausgehende oder reizbare Stimmung und die verbundenen Symptome für mindestens vier Tage erleben, jedoch nicht heftig genug, um ihre Funktionstüchtigkeit merklich zu beeinträchtigen (z. B. bei der Arbeit, in Beziehungen), haben eine hypomanische Episode (nicht eine manische Episode). Wenn sie auch eine oder mehrere Episoden schwerer Depression erleben (▶ unten), erfüllen sie die Kriterien der Bipolar-II-Störung. Größenwahn und Paranoia, gepaart mit der mangelnden Erkenntnis, wie unrealistisch diese Vorstellungen sind (mangelnde Einsicht), sind Beispiele
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