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1 Freitag, 16.12.2016 Swr2 Treffpunkt Klassik – Neue Cds

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1 Freitag, 16.12.2016 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Susanne Stähr Ätherisch und klar MOZART AMADEUS MOZART Violin Concertos ISABELLE FAUST violin IL GIARDINO ARMONICO | GIOVANNI ANTONINI HMC 902230.31 Aus der Seele gespielt CPE BACH DER FRÜHLING RUPERT CHARLESWORTH CAFÉ ZIMMERMANN ALPHA CLASSICS 257 Hochvirtuos und rasant LES SIÈCLES LIVE GYÖRGY LIGETI SIX BAGATELLES KAMMERKONZERT; ZEHN STÜCKE FÜR BLÄSERQUINTETT DIX PIECES POUR QUINTETTE A VENT LES SIECLES FRANÇOIS-XAVIER ROTH MUSICALES ACTES SUD Federnd, spielerisch, leicht DANSE MACABRE ORCHESTRE SYMPHONIQUE DE MONTREAL KENT NAGANO DECCA 483 0396 Klar, stringent, feurig L’ANGE & LE DIABLE Locatelli | Leclair TARTINI | FORQUERAY CHOUCHANE SIRANOSSIAN JOS VAN IMMERSEEL Alpha CLASSICS 255 Autorin: Susanne Stähr Am Mikrophon begrüßt Sie herzlich: Susanne Stähr. Ganz mit rechten Dingen wird es heute nicht zugehen im Treffpunkt Klassik mit neuen CDs. Denn es erwarten Sie Teufelstriller und Totentänze, ein Zauberlehrling und entfesselte Maschinen. Und wo nicht gerade höhere Mächte im Spiel sind, da stellt der musikalische Humor die Welt auf den Kopf. Oder, um es mit Klarnamen zu sagen: Sie dürfen sich auf die Violinvirtuosin Chouchane Siranossian und den Cembalisten Jos van Immerseel freuen, auf Kent Nagano und sein Orchestre Symphonique de Montréal, auf Les Siècles mit François-Xavier Roth oder auf das Ensemble Café Zimmermann. Und auf die große Geigerin Isabelle Faust, mit der wir beginnen werden. Mozarts fünf Violinkonzerte hat sie eingespielt, und damit ist sie nicht allein: kaum ein Geiger von Rang, der diese Werkgruppe nicht aufgenommen hätte. Oftmals dienen die Mozart- 2 Konzerte sogar zum Einstieg in den Plattenmarkt, wie einst bei Anne-Sophie Mutter, die als 14-Jährige mit Herbert von Karajan ihren ersten Mozart aufnahm. Isabelle Faust aber ist den umgekehrten Weg gegangen: Erst jetzt, mit 44 Jahren und auf der Höhe ihrer Kunst, hat sie sich an Mozart herangewagt. Denn diese Stücke zu spielen, so hat sie gesagt, sei das Schwerste überhaupt. Um die Herausforderung zu meistern, hat sie sich mit einem Granden der historisch informierten Aufführungspraxis zusammengetan, mit Giovanni Antonini und seinem Ensemble Il Giardino Armonico. Und das Warten hat sich gelohnt. Wolfgang Amadeus Mozart: Violinkonzert Nr. 3 G-Dur KV 216, 3. Satz 6:05 Isabelle Faust spielte das Rondeau aus Mozarts G-Dur-Konzert KV 216: ein erster Ausschnitt aus ihrer Neueinspielung mit allen Mozart-Violinkonzerten, die sie mit Giovanni Antonini und dem Ensemble Il Giardino Armonico bei Harmonia Mundi France herausgebracht hat. Das ist nun alles andere als Mainstream: Das Grundtempo ist sehr flott, und nicht einmal der Refrain dieses Rondos klingt immer gleich, von den verschiedenen Episoden ganz zu schweigen. Isabelle Faust gestaltet ihren Solopart pointiert und gewitzt, rhetorisch in der Ansprache; sie staffelt die Dynamik und variiert munter die Phrasierung. Dabei beschränkt sie sich nicht auf das Buffoneske oder handfest Volkstümliche, sondern lässt ihre „Dornröschen“-Stradivari auch mal fragil und elegisch klingen. Zum Beispiel in der Gavotte, die sie fast wie ein französisches Chanson intoniert. Vor allem erliegt sie nie der Gefahr, mit „Breitsaite“ zu spielen, also im volltönenden Klang zu schwelgen. Viel eher erinnert es von der Ästhetik her an die Punkt- und Strichzeichnungen von Paul Klee – und das macht den Reiz aus. Auch in den langsamen Sätzen verzichtet Isabelle Faust auf jede Romantisierung, und das ist eine seltene Tugend. Denn 90 Prozent der Geiger tendieren hier zu einem ahistorischen Ansatz; im schlimmsten Fall scheinen sie gar Mozart mit Tschaikowsky zu verwechseln. Oder sie wählen ein Vibrato à la Fritz Kreisler. Isabelle Faust dagegen musiziert immer stilgetreu, und das nicht nur, weil sie auf Darmsaiten und mit einem kürzeren Bogen spielt, der den Modellen aus der Mozart-Zeit nachgebaut ist. Hören wir das Andante cantabile aus dem vierten Violinkonzert: Wolfgang Amadeus Mozart: Violinkonzert Nr. 4 D-Dur KV 218, 2. Satz 6:25 Die Solovioline geht ganz im Orchesterklang auf, wenn Isabelle Faust und das Ensemble Il Giardino Armonico Mozart spielen, hier das Andante cantabile aus dem D-Dur-Violinkonzert KV 218. Nie trumpft die Solistin als Primadonna auf, sie verhält sich eher wie eine Primaria im Streichquartett. Ätherisch und klar ist der Klang, mit einem Faible für das Non-Vibrato. Ungewöhnlich ist die Interpretation auch deshalb, weil sich Isabelle Faust vom Pianisten Andreas Staier neue Kadenzen und Eingänge hat schreiben lassen. Mozart selbst hat diese Passagen nämlich nicht komponiert, sondern sie im Konzert frei improvisiert. Und genau so wirkt es nun auch, wenn Isabelle Faust und Giovanni Antonini hier zu Werke gehen – es ist übrigens ihr erstes gemeinsames CD-Projekt. Neben den fünf Violinkonzerten präsentieren sie auch die drei Einzelsätze für Violine und Orchester, die Mozart geschaffen hat. Als Kostprobe möchte ich Ihnen noch das Rondo C-Dur KV 373 vorstellen: Wolfgang Amadeus Mozart: Rondo für Violine und Orchester C-Dur KV 373 5:27 Sie hörten Mozarts Rondo in C-Dur für Violine und Orchester, mit Feingefühl und Raffinement vorgetragen von Isabelle Faust und dem Giardino Armonico unter der Leitung von Giovanni Antonini. Was an dieser Aufnahme mit Mozarts Violinkonzerten so fasziniert, das ist die nie nachlassende Neugierde, die das Spiel prägt. Manche Phrasen werden wie mit Fragezeichen intoniert und die „Antworten“ dann mit einer kurzen Kunstpause hinausgezögert. Es ist, als ob die Musiker selbst die Ohren spitzten: Was kommt jetzt, wer hat die nächste Idee? Doch trotz dieser Freiheit ist die Interpretation aufs Feinste 3 abgestimmt, ja umwerfend homogen im Zusammenklang – die Perfektion entsteht allein dadurch, dass man intensiv aufeinander hört und interagiert. Das ist ein Mozart ohne Behäbigkeit und Betulichkeit, hier wird gewissermaßen im Stehen musiziert. Und manchmal sogar im Schweben. Wolfgang Amadeus Mozart hatte es von seinem Vater Leopold eingetrichtert bekommen: Er solle beim Komponieren bloß nicht „das Populare“ vergessen, das „auch die langen Ohren kitzelt“. Mit anderen Worten: Man würze die Werke mit einer guten Prise Humor und Volkstümlichkeit. Ein Meister in dieser Disziplin war auch der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel, dem das französische Ensemble Café Zimmermann gerade eine CD mit Kammermusik und Kantaten gewidmet hat. Darauf findet sich zum Beispiel eine Sinfonia in a-Moll für zwei Violinen und Basso continuo, deren Schlusssatz als Menuett gestaltet ist. Aber Emanuel Bach überspitzt diesen höfischen Tanz wie in einer Satire: mit allzu zackigem, fast militärischem Rhythmus, als würde hier ein Ritter in vollem Ornat mit Grandeur und Pomp den Saal betreten. Doch dann gerät der stolze Tänzer durch plötzliche harmonische Rückungen ins Wanken und Trudeln – und schließlich wird ihm der Saft sogar ganz abgedreht: Carl Philipp Emanuel Bach: Sinfonia a-Moll Wq 156, 3. Satz 2:55 Mit dem Titel „La Coorl“ hat Carl Philipp Emanuel Bach dieses bizarre Menuett überschrieben, das wir soeben mit dem Ensemble Café Zimmermann gehört haben. Solche Benennungen waren für ihn nicht ungewöhnlich, meist hat Emanuel Bach dabei allerdings bestimmte Frauen portraitiert. „La Coorl“ ist jedoch ein Sonderfall. Denn hier handelt es sich nicht um eine Weibsperson, sondern um einen jungen Mann namens Carl. Und der wurde von seinem österreichischen Geigenlehrer immer „Coorl“ gerufen, was CPE Bach offenkundig so erheitert haben muss, dass er ihm diese kuriose Hommage widmete. Die Musikerinnen und Musiker des 1998 gegründeten Café Zimmermann, die sich um die Cembalistin Céline Frisch und den Geiger Pablo Valetti scharen, greifen die Idee des Stücks lustvoll auf. Es scheint hier etwas vom Geist fortzuleben, der sich mit dem berühmten Gasthaus verbindet, nach dem sich das Ensemble benannt hat: In Gottfried Zimmermanns Café in der Leipziger Katharinenstraße hatte Emanuels Vater Johann Sebastian Bach ab 1729 allwöchentlich mit seinem Collegium musicum konzertiert und dort weltliches Repertoire präsentiert, darunter auch so humoristische Stücke wie die Kaffee- oder die Bauernkantate. Hört man die Werke, die das Ensemble auf seiner bei ALPHA CLASSICS erschienenen CD versammelt hat, so merkt man durchaus, wes Kind Emanuel Bach gewesen ist: Vieles ist auch bei ihm, dem Sohn, so gelehrt gesetzt und präzise durchgearbeitet, wie man es vom Vater kennt. Aber daneben gibt es einen ganz eigenen Tonfall der neuen Einfachheit und Natürlichkeit. „Aus der Seele muss man spielen“, forderte Emanuel von seinen Interpreten. Und diesem Ratschlag folgt das Café Zimmermann dann auch. Zum Beispiel im Largo der Triosonate B-Dur für zwei Violinen und Basso continuo: Carl Philipp Emanuel Bach: Triosonate B-Dur Wq 158, 2. Satz 4:20 An ein Gespräch zu dritt oder ein Theaterstück mit drei Darstellern erinnert diese Triosonate von Carl Philipp Emanuel Bach, deren zweiten Satz, ein Largo con sordini, das Ensemble Café Zimmermann gerade für Sie gespielt hat. Jede Stimme hat hier ihre eigene Persönlichkeit, wobei sich in der musikalischen Konversation aparte Zusammenklänge ergeben, etwa wenn die beiden Violinen zupfen und damit das Cembalo fast zu imitieren scheinen. Emanuel Bach wandte mit dieser exquisiten Musik der höfischen Sphäre, in der er seine Laufbahn begonnen hatte, den Rücken zu und kehrte ein in den Hafen der bürgerlichen Empfindsamkeit. Welch unglaubliche Entwicklungen sich im Laufe seines 74-jährigen Lebens ereigneten und wie sie sich auf ihn selbst auswirkten – auch davon 4 erzählt diese CD. Denn mit der Arie „Fürsten sind am Lebensziele“ vertonte Emanuel, der viele Jahre dem Preußenkönig Friedrich dem Zweiten gedient hatte, kurz vor seinem Tod einen geradezu revolutionären Text. Da heißt es: „Fürsten sind am Lebensziele / Jedem Erdensohne gleich. / […] / Seht den Staub der Weltgebieter, / Seht des ärmsten Bettlers Staub! / Sieht man dort noch Pracht und Größe, / Sieht man hier des Armen Not?“ Diese Verse nehmen die Französische Revolution, den Gedanken der „Egalité“, gewissermaßen schon vorweg. Aber vertont klingen sie so: Carl Philipp Emanuel Bach: Fürsten sind am Liebensziele Wq 214 2:45 Der britische Tenor Rupert Charlesworth und das Ensemble Café Zimmermann musizierten Carl Philipp Emanuel Bach, genauer gesagt die Arie „Fürsten sind am Lebensziele jedem Erdensohne gleich“. Wenn man sich die Botschaft der Worte vergegenwärtigt, die der BachSohn vier Jahre vor dem Sturm auf die Pariser Bastille vertonte, dann hat das durchaus etwas Umstürzlerisches – es erscheint wie eine Absage an den Absolutismus. Oder auch wie eine Abrechnung mit dem ungeliebten, selbstherrlichen Dienstherrn, mit Friedrich dem Großen. Die ganz und gar liedhafte Melodieführung jedoch setzt nicht auf Rebellion und Aufstand, sondern viel eher auf Trost. Emanuel Bach scheint sich hier an all diejenigen zu richten, denen es nicht so gut geht wie den Machthabern: Seht her, auf die Hautevolee wartet am Ende auch nichts anderes als auf uns. Der Tod macht uns alle gleich. Sie hören SWR2, den Treffpunkt Klassik mit neuen CDs. Wolfgang Amadeus Mozart musste sich mühselig aus den Fängen seines strengen Vaters Leopold befreien, Carl Philipp Emanuel Bach gegenüber seinem omnipotenten Vater Johann Sebastian emanzipieren. Und auch der nächste Komponist, mit dem wir uns befassen, stand erst einmal vor der Aufgabe, sich selbst zu finden: Von György Ligeti ist hier die Rede. Zunächst war für ihn sein ungarischer Landsmann Béla Bartók das große Vorbild, aber Bartók war nur einer von mehreren Übervätern aus der Gründergeneration der Moderne. Hört man Ligetis frühe Werke wie zum Beispiel die Sechs Bagatellen für Bläserquintett von 1953, dann werden noch andere Bezugspunkte offenbar. Das französische Orchester Les Siècles, das von François-Xavier Roth gegründet wurde, hat bei Actes Sud eine Ligeti-CD veröffentlicht, die auch zu den Anfängen des Komponisten führt. Etwa mit der ersten Bagatelle, einem „Allegro con spirito“. György Ligeti: Sechs Bagatellen für Bläserquintett, Nr. 1 1:05 Wenn Sie dieses kurze Stück als Blindverkostung zu hören bekommen hätten – wem hätten Sie es wohl zugeordnet? Igor Strawinsky vielleicht? Nein, es war György Ligeti mit seiner ersten Bagatelle für Bläserquintett, hochvirtuos und rasant gespielt von fünf Musikern des Orchesters Les Siècles. Strawinskys Bewegungsenergie scheint hier tatsächlich Pate zu stehen, aber auch die Arbeit mit repetitiven Formeln, wie sie für die osteuropäische Volksmusik grundsätzlich prägend ist. In der dritten Bagatelle mit der Spielanweisung „Allegro grazioso“ setzt sich dieses Prinzip fort, aber es wird noch eine andere Inspirationsquelle offenbar: György Ligeti: Sechs Bagatellen für Bläserquintett, Nr. 3 2:25 In den weiten melodischen Bögen, die sich über einem motorischen Fundament entfalten, ruft György Ligeti in dieser dritten Bagatelle für Bläserquintett einen anderen Großen aus der Generation der frühen Moderne in Erinnerung: nämlich Claude Debussy. Doch wirkt hier nichts epigonal. In dieser Aufnahme spielten fünf Musiker des vorzüglichen französischen Orchesters „Les Siècles“, das – nomen est omen – in ganz verschiedenen Jahrhunderten gleichermaßen zuhause ist, vom Barock bis zur Gegenwart. Seine Ligeti-CD vereint Ensemblewerke aus der frühen und der mittleren Schaffensphase des Komponisten. Dabei ist faszinierend zu hören, wie beim jungen Ligeti schon vieles angelegt ist, was später seinen 5 Reifestil ausmachen wird: vor allem der ausgeprägte Sinn für Klangfarben und die Lust am Bizarren. Sein Faible für das Groteske treibt Ligeti im dritten Satz seines Kammerkonzerts von 1970 auf die Spitze: mit einem Movimento preciso e meccanico, einem scheinbar präzise und mechanisch ablaufenden Scherzo, bei dem die Apparate aber immer mehr außer Kontrolle geraten. György Ligeti: Kammerkonzert, 3. Satz (Ausschnitt) 1:50 Das war György Ligeti mit dem Movimento preciso e meccanico aus dem Kammerkonzert, interpretiert von Les Siècles mit François-Xavier Roth. Wir schreiben das Jahr 1970: Stanley Kubrick hat seinen Film „Space Odyssey“ gedreht, bei dem er übrigens Musik von Ligeti verwendete; der Mensch hat den Mond betreten, die Technik übernimmt das Kommando. Die Frage freilich stellt sich: Haben wir die Maschinen, die wir erbaut haben, eigentlich noch im Griff – oder ist es nicht umgekehrt, beherrschen nicht sie schon längst uns? Ligeti inszeniert in diesem Satz ein seelenloses Räderwerk aus ungewöhnlichen Lauten und Geräuschen, doch die Planmäßigkeit und Monotonie wird durch bizarre Überraschungen durchkreuzt. Und das macht die Aktualität dieser Musik aus, die wie ein Menetekel der Zivilisation mit ihrem Technisierungswahn erscheint. Moderne, die modern und brisant geblieben ist, auch wenn sie nun fast schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat. Aber – ist es nicht eigentlich ohnehin eine alte Geschichte? Goethes Ballade vom „Zauberlehrling“ mag einem da in den Sinn kommen, der die Abwesenheit seines Meisters ausnutzt, um selbst einmal zu erproben, welche magischen Kniffe er so draufhat. Also macht er einen Besen zu seinem Knecht und lässt ihn immer mehr Wasser heranschleppen, bis das Becken überquillt und die Fluten sich über die Schwellen ergießen. Denn eines weiß er nicht, der hoffnungsvolle Famulus: wie er dem Spuk Einhalt gebieten soll … Paul Dukas hat die Ballade 1897 in einer berühmten Tondichtung aufgegriffen. Und die haben Kent Nagano und sein Orchestre Symphonique de Montréal neu eingespielt. Paul Dukas: L’apprenti sorcier 10:30 „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, klagt Goethes Zauberlehrling – nur sein alter Meister kann ihn gerade noch aus der höchsten Not retten. Der Franzose Paul Dukas hat diese Geschichte wunderbar bildkräftig vertont, mit viel Liebe zum Detail: Man hört genau, wie die Zauberformel gesprochen wird, der Besen losrennt, einen Wassereimer nach dem anderen heranschleppt und sich überhaupt nicht mehr stoppen lässt, nicht einmal durch einen beherzten Beilhieb – ganz im Gegenteil, jetzt sind es sogar zwei Besen, die als Wasserträger wetteifern. In unserer Aufnahme spielte das kanadische Orchestre Symphonique de Montréal unter der Leitung seines Chefdirigenten Kent Nagano. Und der legt Dukas’ Kabinettstück als das an, was es ist: als ein Orchesterscherzo. Federnd, spielerisch und leicht klingt das, nicht schwer und dräuend wie eine Tondichtung von Franz Liszt, sondern transparent und suggestiv. Man sieht hier plastisch vor sich, wie die Besen als flotte Feger durch den Raum wetzen. Alle Details sind hörbar: Selbst wenn die Bläser zu ihren Fanfaren ansetzen, dann geschieht das in so delikater Ansprache, dass auch die Nebenstimmen mit ihrem silbrigen Begleitwerk noch bestens zur Geltung kommen. Diese Interpretation des „Zauberlehrlings“ hat Nagano in Montreal zu Halloween 2015 aufgeführt, bei einem kuriosen Konzert mit lauter Totentänzen, Hexenkünsten und Geisterspuk. Originelle Programme wie dieses sind längst zu seinem Markenzeichen geworden. Unter dem Titel „Danse macabre“ ist jetzt ein Mitschnitt der Aufführung bei DECCA erschienen – das Panorama spannt sich von Dvořák über Saint-Saëns und Balakirew bis zu Charles Ives. Und natürlich darf auch Modest Mussorgskys „Nacht auf dem Kahlen Berge“ nicht fehlen, eine brillante Orchesterfantasie, die eine wüste Orgie feiert: den Hexensabbat. 6 Modest Mussorgsky: Nacht auf dem Kahlen Berge (Ausschnitt) 8:00 Eine schwarze Messe zelebriert der Satan mit seinem Gefolge in Modest Mussorgskys „Nacht auf dem Kahlen Berge“, aber am nächsten Morgen – und da haben wir uns gerade ausgeblendet – ist der ganze Spuk wieder verflogen, der mystische Berg bei Kiew liegt scheinbar unberührt und ruhig da, als wäre nichts gewesen. Sie hörten das Werk in Kent Naganos Deutung, die er mit dem Orchestre Symphonique de Montréal vorgelegt hat, bei dem er seit nunmehr zehn Jahren als Musikdirektor amtiert. In Zeiten der Globalisierung ist es diesem Orchester gelungen, eine unverwechselbare Identität zu wahren, mit einem spezifisch französischen Klang. Da wirkt nichts brutal oder grell, auch die Bläser klingen nicht scharf und schrill, sondern warm und goldgrundig, mit Farben, die wie in der Byzantinischen Malerei von innen zu leuchten scheinen. Möglich, dass dieses gerundete, fließende Klangideal, bei dem sich die Instrumentengruppen in vollendeter Homogenität mischen, auch mit Naganos modellierenden Bewegungen zusammenhängt. Denn sein Dirigierstil ist nicht die Attacke, sondern eher die Umarmung. Und auch das hat mit Magie zu tun. Der Teufel hat in der Musikgeschichte des Öfteren seine Finger im Spiel gehabt. Davon kündet auch die fünfte CD, die ich Ihnen vorstellen möchte. Hier geht es um diabolische Virtuosität, wie sie zum Beispiel der Italiener Giuseppe Tartini in seiner „Teufelstrillersonate“ verlangt. Die französische Geigerin Chouchane Siranossian hat das berüchtigte Werk jetzt bei ALPHA CLASSICS vorgelegt; auf dem Cembalo wird sie dabei von keinem Geringeren als Jos van Immerseel begleitet, dem belgischen Multitalent. Die Idee zur „Teufelstrillersonate“ soll Tartini – so hat er es selbst erzählt – im nächtlichen Traum gekommen sein. Da ist ihm der Leibhaftige höchstselbst erschienen, nahm die Geige zur Hand und spielte darauf so atemberaubend, wie es im wirklichen Leben nicht wahr sein kann. Ob die Sonate den Traum tatsächlich spiegelt, das mag dahingestellt bleiben. Fest steht, dass der Schlusssatz mit seinen spektakulären „Teufelstrillern“ jeden Interpreten vor eine echte Herausforderung stellt: Giuseppe Tartini: Violinsonate g-Moll, 3. Satz (Ausschnitt) 4:20 Das war nun nicht der Satan, sondern Chouchane Siranossian, die den Schlusssatz von Tartinis „Teufelstrillersonate“ vorgetragen hat, mit Jos van Immerseel am Cembalo. Teuflisch gut ist das in jedem Fall, man könnte fast glauben, sie träte zu dritt auf: Die 1984 in Lyon geborene Geigerin mit armenischen Vorfahren vereint in ihrem Spiel Klarheit, Stringenz und Biss mit feuriger Expressivität. Ihr Ton ist wendig und vielfältig, sie kann ihm Nektar beimischen oder auch Essig, mal klingt es süß, dann giftig und aggressiv. Chouchane Siranossian spielt frei und rhapsodisch, manchmal wirkt es wie improvisiert und verrät eine Nähe zur Volksmusik des Mittelmeerraums mit ihren Melismen und Tonschwankungen. Mit der puristischen Doktrin aus den Gründerjahren der historisch informierten Aufführungspraxis hat das nicht mehr so furchtbar viel zu tun. So empfindet es auch Siranossians Lehrer Reinhard Goebel, der den Booklettext beigesteuert hat und seine Schülerin als Protagonistin einer „dritten Generation von ‚early music‘“ charakterisiert, die mit „Witz & Scherz & Tiefe“ vorgehe. Dasselbe hätte er allerdings auch über seinen Altersgenossen Jos van Immerseel sagen können, also einen Vertreter der „zweiten Generation“, der auf dieser CD solistisch mit Stücken eines „Teufelscembalisten“ zu hören ist, nämlich mit Tanzsätzen von Antoine Forqueray, die schon die Zeitgenossen als „launisch, wunderlich und seltsam“ empfanden. Antoine Forqueray: Suite Nr. 5 c-Moll. CD, La Guignon (Ausschnitt) 2:05 Sie hörten Jos van Immerseel mit Antoine Forquerays „La Guignon“, einer Hommage an den Komponisten und Geiger Jean-Pierre Guignon, den zeitweiligen Duopartner des Komponisten. Dass Forquerays Musik als „launisch“ verschrien war, liegt bei diesem Stück auf der Hand, denn es wechselt ständig die Richtung und Gangart. Kaum stellt man sich auf 7 etwas ein und will dem musikalischen Verlauf folgen – zack: ist Forqueray schon wieder ganz woanders. Genau wie Emanuel Bach oder György Ligeti ist auch er ein Musterexemplar für den musikalischen Humor. „L’Ange et le Diable“ lautet der Titel dieser CD, und da wir jahreszeitlich gerade den Engeln näherstehen als den Teufeln, sollen die himmlischen Heerscharen das Schlusswort haben. Oder genauer gesagt: der Komponist und Geiger Jean-Marie Leclair, von dem es hieß, er spiele wie ein Engel. Leider können wir das nicht mehr überprüfen, denn naturgemäß sind auch von diesem barocken Meister keine Tondokumente überliefert. Aber seine Musik bekräftigt und befestigt die Ordnung, sie steht auf einem sicheren Fundament. Und das ist die weihnachtliche Botschaft, die Leclair für seine Hörer bereithält: Fürchtet euch nicht! Hören wir noch einmal Chouchane Siranossian und Jos van Immerseel mit einer Chaconne vom Engel Leclair: Jean-Marie Leclair: Violinsonate C-Dur op. 9 Nr. 8, 4. Satz (Ausschnitt) 4:50 … und an dieser Stelle der „Ciaccona“ aus Jean-Marie Leclairs C-Dur-Sonate op. 9 Nr. 8, die Chouchane Siranossian und Jos van Immerseel spielten, müssen wir uns leider ausblenden. Denn: Die Frist ist um, zumindest für den heutigen Treffpunkt Klassik mit Neuem vom Plattenmarkt. Eine Übersicht mit allen CDs, in die wir hineingehört haben, finden Sie im Internet unter swr2.de. Auf unserer Website können Sie übrigens während der nächsten Woche die ganze Sendung auch noch einmal abrufen. Fürs Zuhören an diesem Vormittag dankt Ihnen herzlich: Susanne Stähr. Hier geht es jetzt weiter mit dem Kulturservice und danach mit Aktuell und den neuesten Nachrichten.