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10 Forderungen zur Weiterentwicklung der Krankenhausversorgung Marburger Bund sieht dringenden Handlungsbedarf in der Krankenhauspolitik Berlin, 10. Juli 2015 - Krankenhäuser müssen mit einer angemessenen Personalbesetzung arbeiten und diese auch auf Dauer finanzieren können. „Eine sichere Behandlung ist letztendlich nur dort möglich, wo das ärztliche und pflegerische Personal nicht über Gebühr belastet wird“, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Der Koalitionsvertrag findet in diesem Punkt die uneingeschränkte Unterstützung des Marburger Bundes. Deshalb sieht der Marburger Bund dringenden Handlungsbedarf insbesondere in folgenden Bereichen der Krankenhauspolitik: Vorgaben für eine ausreichende Personalausstattung erforderlich Der Marburger Bund hat mehrfach auf den bestehenden Personalmangel in den deutschen Krankenhäusern und dessen direkte Auswirkung auf die tägliche Patientenversorgung hingewiesen. Der Personalbedarf im Krankenhaus wird sich zudem in den kommenden Jahren weiter erhöhen. Bislang gibt es für den ärztlichen Dienst keine gesetzlichen Vorgaben zur Personalausstattung. Lediglich Strukturvorgaben in der Krankenhausplanung oder in den Qualitätsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses geben in einigen Bereichen bereits eine personelle Mindestausstattung vor. Um die Ermittlung des adäquaten Personalbedarfs auch im ärztlichen Bereich auf eine valide Grundlage zu stellen, schlägt der Marburger Bund vor, dass Konzepte zur angemessenen Personalbesetzung im Krankenhaus erarbeitet werden. Hierzu könnte zum Beispiel die geplante Einsetzung einer Expertenkommission aus Praxis, Wissenschaft und Selbstverwaltung auf alle patientennahen Berufsgruppen im Krankenhaus erweitert werden. Refinanzierung von Tariflohnsteigerungen gesetzlich verankern Die gesetzlich vorgegebene Preisentwicklung der Krankenhäuser liegt seit Jahren unterhalb der tatsächlichen Kostenentwicklung. Die Schere zwischen Tarifsteigerungen und realisierbaren Zuwächsen der Landesbasisfallwerte geht immer weiter auseinander. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft kalkuliert mit einer für das Jahr 2015 aufsummierten Unterfinanzierung des tarifbedingten Personalkostenzuwachses in Höhe von rund 2,5 Mrd. Euro. Die jährliche Preisfindung auf Landesebene muss eine volle Refinanzierung der Tariflohnsteigerungen ermöglichen, um eine adäquate Stellenbesetzung und damit Arbeitsbedingungen zu schaffen, die den Erhalt der Qualität der medizinischen Versorgung gewährleisten können. Dazu müssen Tarifergebnisse als wirtschaftliche Kosten für die Refinanzierung von Personalkosten anerkannt werden. Personalentwicklungskosten zusätzlich vergüten Die Fort- und Weiterbildung junger Ärztinnen und Ärzte muss gerade angesichts der demographischen Entwicklung ein wesentliches Anliegen des Gesundheitswesens bleiben. Derzeit sind sie entweder gar nicht oder nur unzureichend in den DRG-Kalkulationen abgebildet. Deshalb müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die eine entsprechende Qualifizierung des Personals ermöglichen. Dies betrifft auch die Aufwendungen für die ärztliche Weiterbildung. Eine substanzielle Weiterbildung zum Facharzt erfordert umfangreiche zeitliche und personelle Ressourcen, die mit einem Vergütungssystem, das auf kontinuierliche Verweildauerreduzierung gerichtet ist, nicht kompatibel sind. Deshalb müssen diese Aufwendungen als Personalentwicklungskosten zusätzlich vergütet werden. 1
Personal von Bürokratie entlasten Die ausufernde Bürokratie im Krankenhaus zieht mehr und mehr Personal-Kapazitäten in den administrativen Bereich ab. Die regelmäßigen Mitgliederbefragungen des Marburger Bundes haben ergeben, dass schon heute mehr als die Hälfte der Klinikärzte zwei Stunden pro Tag mit Verwaltungstätigkeiten beschäftigt ist. Eine Entlastung von arztfremden Tätigkeiten würde den Ärzten wieder mehr Zeit für die Patientenversorgung geben. Möglichkeiten dazu existieren, ihre Realisierung scheitert jedoch auch an einer insgesamt zu dünnen Personaldecke oder fehlender Infrastruktur. Fehlanreize des DRG-Systems korrigieren Die Vergütung der stationären Behandlungen über rein leistungsorientierte Fallpauschalen (DRG) führt zu Fehlentwicklungen, die korrigiert werden müssen. Das gilt insbesondere für die betriebswirtschaftlichen Anreize zur weiteren Leistungsverdichtung auf Kosten des Klinikpersonals. Ärzte und Pflege werden zunehmend als Produktionsmittel instrumentalisiert und können ihren eigentlichen Auftrag am Patienten nicht mehr angemessen erfüllen. Dies führt zunehmend zu ethischen Konflikten, der kurative, helfende Aspekt in der Medizin wird immer weiter marginalisiert. Schon heute hält die Personalausstattung mit der Leistungsverdichtung nicht Schritt. Eine Mitgliederumfrage des Marburger Bundes zeigt, dass vollzeitbeschäftigte Ärztinnen und Ärzte im Durchschnitt 55 Stunden pro Woche arbeiten. Jeder fünfte Klinikarzt ist sogar 60 bis 79 Stunden pro Woche im Dienst. Die große Mehrheit der angestellten Ärzte würde gerne deutlich weniger arbeiten und wünscht sich planbare, verlässliche Arbeitszeiten, um Beruf und Privatleben bzw. Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren zu können. Investitionskostenfinanzierung erfordert staatliches Handeln Die Krankenhäuser leiden seit Jahren unter einer völlig unzureichenden Investitionsfinanzierung der Länder, die nicht nur zu einem Aufschub dringender baulicher Maßnahmen führt, sondern auch zu einer Zweckentfremdung betrieblicher Mittel. Erforderlich ist daher eine gesetzlich verankerte Mindestförderung für den Substanzerhalt und die Investition in moderne Strukturen in Höhe des tatsächlichen Bedarfs. Vom Bund und den Ländern anerkannt und durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) kalkulatorisch belegt, liegt der jährliche Investitionsbedarf derzeit bei rund 6 Mrd. Euro. Die Bundesländer haben ihre Finanzmittel in den vergangenen Jahren jedoch insgesamt kontinuierlich gekürzt. Mit derzeit bundesweit 2,7 Mrd. Euro Fördermitteln liegen sie weit unter dem erforderlichen Investitionsbedarf. Die Versäumnisse der Länder werden auf dem Rücken des Personals ausgetragen. Um zwingend notwendige Investitionen tätigen zu können, müssen die Krankenhäuser vermehrt Einsparungen im laufenden Betrieb vornehmen. Diese Mittel fehlen aber für die Patientenversorgung, für eine adäquate Personalausstattung und für die Finanzierung der Personalkosten. Nach dem WIDO Krankenhaus-Report 2015 steuerten die Krankenhäuser allein im Jahr 2013 rund 2 Mrd. Euro aus den Betriebserlösen zum Erhalt des Anlagevermögens bei. Standortreduzierung allein ist keine Strukturverbesserung Der Abbau von Kapazitäten führt nicht automatisch auch zur Strukturverbesserung. Es liegt in der Planungshoheit der Länder, den Kapazitätsbedarf zu ermitteln und die Strukturen darauf auszurichten. Ein bloßer Rückzug von Bund und Länder aus der Daseinsvorsorge auf Grundlage behaupteter Überkapazitäten ist angesichts hoher Arbeitsbelastung und überfüllter Notfallambulanzen das falsche Signal an die Beschäftigten in den Krankenhäusern. Zunächst bedarf es einer Definition, was unter Überkapazität im Rahmen einer bedarfsnotwendigen Versorgung zu verstehen ist. Ökonomische Betrachtungen können dabei hilfreich sein. Wenn aber allein die „Rentabilität“ darüber entscheiden soll, wo in Deutschland noch Krankenhäuser stehen dürfen, führt dies in eine Wartelistenmedizin. Sofern tatsächlich ein Abbau von Kapazitäten geplant wird, sind Krankenhäuser, in die Patientenströme umgeleitet werden, entsprechend finanziell und personell auszustatten. Der 2
Marburger Bund unterstützt derartige Strukturveränderungen, soweit sie auf Grundlage valider Erkenntnisse erfolgen. Rahmenbedingungen der ambulanten Notfallversorgung verbessern Die mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) beabsichtigte bessere Kooperation der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Krankenhäusern muss in der Umsetzung zur Entlastung der Notaufnahmen in den Krankenhäusern führen. Darüber hinaus muss die ambulante Notfallversorgung den Krankenhäusern vollumfänglich refinanziert werden. Dies umfasst auch die Kosten für eine angemessene Personalausstattung. Ein Gutachten zur Fallkostenkalkulation und Strukturanalyse der DKG, das im Februar 2015 vorgestellt wurde, zeigt, dass den Kosten für eine ambulante Behandlung im Krankenhaus von durchschnittlich 126 Euro pro Patient ein Erlös von nur 32 Euro gegenüber steht. Entsprechend ist die personelle Ausstattung der Notaufnahmen häufig auch auf ein Minimum reduziert. Die Absenkung des Investitionskostenabschlags von 10 auf 5 Prozent im Rahmen des GKV-VSG reicht hier nicht aus. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht von einer Kostenunterdeckung von 1 Mrd. Euro jährlich aus. Qualitätsorientierte Krankenhausplanung ist Aufgabe der Länder Die Ausgestaltung und Umsetzung planungsrelevanter Qualitätskriterien liegt in der Hoheit der Bundesländer. Die Länder haben eine bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung sicherzustellen und die Einhaltung des jeweiligen Versorgungsauftrags zu gewährleisten. Die Vorgabe von Kriterien sollte sich auf die Qualität der strukturellen Voraussetzungen für die Erfüllung des Versorgungsauftrages eines Krankenhauses konzentrieren, wie sie bereits in den Krankenhausgesetzen und Krankenhausplänen einiger Bundesländer erfolgt. Mit der Krankenhausplanung stehen die Bundesländer auch in der Verpflichtung, die Leistungsfähigkeit der Plankrankenhäuser sicherzustellen. Dies kann zum Beispiel durch die Vorgabe von Mindestanforderungen an Kompetenz und Verfügbarkeit des ärztlichen Dienstes, an apparativer und infrastruktureller Ausstattung etc. erfolgen. Dabei sind die erforderlichen Finanzmittel zur Umsetzung von (zusätzlichen) Strukturmaßnahmen sicherzustellen. Qualitätsoffensive geht nicht ohne Personaloffensive Maßnahmen zur Qualitätssicherung müssen auf die Sicherung und Verbesserung der Patientenversorgung gerichtet sein. Die Entwicklung und der Einsatz von Qualitätskriterien dürfen auf keinen Fall als Mittel zur Behebung von Finanzierungsproblemen oder zur Strukturbereinigung missbraucht werden. Wo die Qualität nicht stimmt, reicht es daher nicht, einfach die Bezahlung zu verschlechtern. Ein hoher Qualitätsstandard erfordert Qualifikation und personelle Ressourcen. Eine vernünftige Qualität medizinischer und pflegerischer Leistungen kann nur mit einer vernünftigen Personalausstattung einhergehen. Wer also tatsächlich die medizinischen Versorgung der Bevölkerung sichern und verbessern will, sollte eine Personaloffensive starten. Nur wenn alle diese Punkte hinreichend berücksichtigt werden, kann sich die heute vielfach unsichere Finanzlage etlicher Krankenhäuser in eine verlässliche Planungsgrundlage wandeln. Darauf haben Patienten, Beschäftigte und Träger gleichermaßen Anspruch.
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