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Prof. Dr. Matthias Perkams FSU Jena, Institute für Altertumswissenschaften und für Philosphie
VL Klassiker der antiken Philosophie WS 2015/16
2 Die frühen Vorsokratiker bis Heraklit
– Gliederung – 1. Allgemeines zu den Vorsokratikern
2. Homer und Hesiod
3. Die ionischen Naturphilosophen
a) Thales von Milet (um 585 v. Chr.)
b) Anaximander (ca. 560 v. Chr.)
c) Anaximenes (2. Hälfte des 6. Jh.s)
4. Xenophanes (ca. 570-475 v. Chr.): Skeptizismus und Monotheismus
5. Pythagoras (gest. um 500 v. Chr.) und Pythagoreer: Seelenwanderung, Metaphysik und Politik
6. Heraklit (um 480 v. Chr.): Der Logos im Werden
Klassische Fragmentsammlung: Diels, Hermann/Kranz, Walther (Hrsg.), Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch, Bd. 1-3, Berlin 61951-1952 (zahlreiche Nachdrucke dieser Auflage). Preiswerte Textausgabe: Die Vorsokratiker. Auswahl der Fragmente, Übersetzung und Erläuterungen von Jaap Mansfeld, Bd. 1-2, Stuttgart 1983-1986.
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1. Homer berichtet über Odysseus’ Besuch in der Unterwelt: „Also sprach der Schatten. Ich aber, aufs tiefste erschüttert, Wollte liebend die Seele der toten Mutter umarmen. Dreimal stürzte ich vor und wollte sie zärtlich umfassen, Dreimal zerrann sie mir unter den Händen, als wär es ein Schatten Oder ein Traum. Mir wuchs der Schmerz im Herzen noch ärger; Und so rief ich ihr die geflügelten Worte hinüber: ,Meine Mutter, was meidest du meine sehnenden Arme? Könnten wir nicht im Hades mit liebenden Händen einander zärtlich umschlingen und uns durch herbe Klage erleichern? Sandte mir etwa gar die hehre Persephoneia Nur ein trügerisch Bild, dass ich noch bitterer seufze?‘ Also sprach ich; da gab die würdige Mutter zur Antwort: ,Weh mir, teures Kind, unseligster unter den Menschen, Nein, es täuscht’ dich nicht Zeus’ Tochter Persephoneia, Dies ist das Schicksal der Menschen, sobald sie dem Tode erliegen, Denn dann halten Gebeine und Sehnen nicht länger zusammen, Sondern die mächtige Kraft des lodernden Feuers vernichtet Alles, sobald der Geist die bleichen Gebeine verlassen; Aber die Seele fliegt dahin wie ein flatterndes Traumbild“. (Odyssee XI, 204-224; Übs. Thassilo von Scheffer, 1938). Ὣς ἔφατ᾿, αὐτὰρ ἐγώ γ᾿ ἔθελον φρεσὶ µερµηρίξας µητρὸς ἐµῆς ψυχὴν ἑλέειν κατατεθνηυίης. τρὶς µὲν ἐφορµήθην, ἑλέειν τέ µε θυµὸς ἀνώγει, τρὶς δέ µοι ἐκ χειρῶν σκιῇ εἴκελον ἢ καὶ ὀνείρῳ ἔπτατ᾿· ἐµοὶ δ᾿ ἄχος ὀξὺ γενέσκετο κηρόθι µᾶλλον, καί µιν φωνήσας ἔπεα πτερόεντα προσηύδων· „Μῆτερ ἐµή, τί νύ µ᾿ οὐ µίµνεις ἑλέειν µεµαῶτα, ὄφρα καὶ ἐν Ἀΐδαο φίλας περὶ χεῖρε βαλόντε ἀµφοτέρω κρυεροῖο τεταρπώµεθα γόοιο; ἦ τί µοι εἴδωλον τόδ᾿ ἀγαυὴ Περσεφόνεια ὄτρυν᾿, ὄφρ᾿ ἔτι µᾶλλον ὀδυρόµενος στεναχίζω;“ Ὣς ἐφάµην, ἡ δ᾿ αὐτίκ᾿ ἀµείβετο πότνια µήτηρ· „ὤ µοι, τέκνον ἐµόν, περὶ πάντων κάµµορε φωτῶν, οὔ τί σε Περσεφόνεια, ∆ιὸς θυγάτηρ, ἀπαφίσκει, ἀλλ᾿ αὕτη δίκη ἐστὶ βροτῶν, ὅτε τίς κε θάνῃσιν· οὐ γὰρ ἔτι σάρκας τε καὶ ὀστέα ἶνες ἔχουσιν, ἀλλὰ τὰ µέν τε πυρὸς κρατερὸν µένος αἰθοµένοιο δαµνᾳ, ἐπεὶ κε πρῶτα λίπῃ λεύκ᾿ ὀστέα θυµός, ψυχὴ δ᾿ ἠΰτ᾿ ὄνειρος ἀποπταµένη πεπότηται.“
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2. Die kosmologische Grundannahme des Thales: „Thales [...] sagt, das Wasser sei [das Prinzip], weshalb er auch erklärte, die Erde sei auf dem Wasser. Er begründete diese Annahme wohl mit der Beobachtung, dass die Nahrung von allem feucht sei“. (Aristoteles, Metaphysik I 3, 983b 20f. = Diels-Kranz 11 A 12; Übs. in Anlehnung an Mansfeld) Θαλῆς µὲν [...] [τὴν ἀρχὴν ] [...] ὕδωρ εἶναι φησὶν (διὸ καὶ τὴν γῆν ἐφ’ ὕδατος ἀπεφαίνετο εἶναι), λαβὼν ἴσως τὴν ὑπόληψιν ταύτην ἐκ τοῦ πάντων ὁρᾶν τὴν τροφὴν ὑγρὰν οὖσαν.
3. Platon erzählt die Legende von Thales und der thrakischen Magd: „Es wird erzählt, dass Thales, [...] als er astronomische Beobachtungen anstellte und dabei nach oben blickte, in einen Brunnen gefallen sei und dass eine witzige, reizende thrakische Magd ihn verspottet habe: Er strenge sich an, die Dinge im Himmel zu erkennen, von dem aber, was ihm vor Augen und vor den Füßen liege, habe er keine Ahnung. (Theaitet 174a) καὶ Θαλῆν ἀστρονοµοῦντα [...] καὶ ἂνω βλέποντα, πέσοντα εἰς φρέαρ, Θρᾴττά τις ἐµµελὴς καὶ χαρίσεσσα θεραπαινὶς ἀποσκῶψαι λέγεται, ὡς τὰ µὲν ἐν οὐράνῳ προθυµοῖτο εἰδέναι, τὰ δ᾿ ὄπισθεν αὐτοῦ καὶ παρὰ πόδας λάνθανοι αὐτὸν.
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4. Das älteste wörtliche Zitat aus einer philosophischen Schrift, nämlich aus dem Buch des Anaximander: „Woraus die seienden Dinge ihr Entstehen haben, dorthin findet auch ihr Vergehen statt, wie es in Ordnung ist, denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht, gemäß der zeitlichen Ordnung“. (Anaximander, zitiert bei Simplikios; Diels-Kranz 12 A 9). ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσις ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών· δίδοναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν.
5. Xenophanes’ monotheistische Wendung des skeptischen Gedankens: „Ein einziger Gott ist unter Göttern und Menschen der größte, weder dem Körper noch der Einsicht nach dem sterblichen Menschen gleich“. (Diels-Kranz 21B 23). εἷς θεὸς ἔν τε θεοῖσι καὶ ἀνθρώποισι µέγιστος, οὔτε δέµας θνητοῖσι ὁµοίιος οὐδὲ νόηµα.
6. Xenophanes spottet über Pythagoras: „Sie sagen, dass Pythagoras einmal vorbeikam, als ein Hündchen geschlagen wurde, dieses bemitleidete und sprach: ,Hör auf, schlag nicht mehr, denn es ist die Seele eines Freundes. Als ich ihre Stimme hörte, habe ich sie sofort erkannt“. (Diels-Kranz 21 B 7, Übs. Mansfeld) καί ποτέ µιν στυφελιζοµένου σκύλακος παριόντα φασὶν ἐποικτῖραι καὶ τόδε φάσθαι ἔπος· ,παῦσαι, µηδὲ ῥάπιζ᾿, ἐπεὶ ἦ φίλου ἀνέρος ἐστίν ψυχή, τήν ἔγνων φθεγξαµένης ἀϊών‘.
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7. Heraklit über die Vernachlässigung des Logos: „Während der Logos allgemein ist, lebt die Masse der Leute so, als hätten sie eine spezifische Einsicht“. (Diels-Kranz 22 B 2) Τοῦ λόγοῦ δ᾿ἐόντος ξυνοῦ ζώουσιν οἱ πολλοὶ ὡς ἰδίαν ἔχοντες φρόνησιν.
8. Heraklit über die Möglichkeiten des Menschen: „Es ist allen Menschen möglich, selbst zu erkennen und besonnen zu sein“. (Diels-Kranz 22 B 116). ἀνθρώποισι πᾶσι µέτεστι γινώσκειν ἑωυτοὺς καὶ σωφρονεῖν.
9. Heraklit über seinen Weg: „Ich suchte mich selbst“. (Diels-Kranz 22 B 101). Ἐδιζησάµην ἐµεωυτὸν. 10. Ein klassisches Zitat Heraklits: „Krieg ist von allem der Vater, von allem der König“. (Diels-Kranz 22 B 53). πόλεµος πάντων µὲν πατὴρ ἐστι, πάντων δὲ βασιλεύς.
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11. Ein Beispiel für Heraklits Sprachkunst: „Der Name des Bogens ist Leben [bios], sein Werk Tod“. (Diels-Kranz 22 B 48). τῷ οὖν τόξῳ ὄνοµα βίος, ἔργον δὲ θάνατος.
12. Heraklit über die Natur des Kosmos: „Diesen Kosmos, denselben für alles, schuf weder einer der Götter noch der Menschen, sondern er war immer, ist und wird sein: Feuer, ewig lebendig, die Maße berührend, die Maße verlassend“. (Diels-Kranz 22 B 30) κόσµον τόνδε τὸν αὐτὸν ἁπάντων οὔτε τις θεῶν οὔτε ἀνθρώπων ἐποίησεν, ἀλλ᾿ ἦν αἰεὶ καὶ ἔστιν καὶ ἔσται· πῦρ ἀείζωον, ἁπτόµενον µέτρα καὶ ἀποσβεννύµενον µέτρα.
13. Heraklit über die Aufgaben des Philosophen: „Philosophische Männer müssen Erforscher von sehr vielem sein“. (Diels-Kranz 22 B 35). χρὴ γὰρ εὖ µάλα πολλῶν ἵστορας φιλοσόφους ἄνδρας εἶναι.