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Sektionsveranstaltung der Sektion Politische Soziologie auf dem Soziologiekongress 2016 in Bamberg Postdemokratie? Politische Praxis jenseits von Repräsentation und Verrat Organisation: Henning Laux (Bremen) & Jasmin Siri (München) Es gibt wohl kaum eine Profession, bei der Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen wie im Bereich der Politik. Auf der einen Seite wird die Repräsentation individueller Willensbekundungen, die Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse und die Überwindung pathologischer Entwicklungen erwartet. Regierungen und Parlamente sollen Wirtschafts- und Finanzkrisen bewältigen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, den Klimawandel aufhalten, die Energieversorgung garantieren, die Lebensmittelsicherheit gewährleisten oder Flüchtlingsströme managen. Andererseits zeigt sich der Demos geradezu chronisch enttäuscht. Die politische Klasse gilt vielen Bürgerinnen und Bürgern als verlogen, korrupt, inkompetent oder ohnmächtig. Gewählte Repräsentanten werden als Marionetten globaler Konzerne verunglimpft, als Spielbälle der Globalisierung verspottet oder als medienaffine Symbolpolitiker diffamiert. In Sozialen Medien steigert sich die Verachtung der Profession häufig zu Hass- und Gewaltphantasien. Auch die Soziologie verfällt angesichts der Politik allzu häufig in Extreme. Sie betont die Machttrunkenheit politischer Eliten (Bourdieu), setzt in idealistischer Weise auf die Entfaltung der Vernunft durch politische Deliberation (Habermas) oder nivelliert die Zentralität der Politik im Rahmen differenzierungstheoretischer Modelle (Luhmann). Nur zu oft werden politische Praxen einer vorgelagerten theoretischen Wertung ausgesetzt, der sie als empirische Phänomene verblassen lässt und Überraschungen verunmöglicht. Zugleich reagiert die demokratische politische Praxis auf öffentliche Bewertungen ebenso wie auf wissenschaftliche Diagnosen. So schreiben sich allmachtsphantasmatische Regelungsansprüche ebenso in die politische Praxis ein, wie Politikverdrossenheit oder der Vorwurf der Symbolpolitik. Die Sektionsveranstaltung nimmt gegenwärtige Kontroversen rund um den Modus der Politik zum Anlass für einen Blick hinter die Kulissen. Dabei wollen wir uns auf zwei zentrale Themenbereiche konzentrieren: 1.
Arbeitsalltag im Parlament, in politischen Organisationen und im Lobbyismus: Mit empirisch gehaltvollen Vorträgen wollen wir die Praktiken und Selbstbeschreibungen des politischen Feldes rekonstruieren. Wie sieht der Alltag in Abgeordnetenbüros aus? Welche formellen und informellen Arenen muss eine politische Initiative durchlaufen? Was passiert in den berühmten „Hinterzimmern“, welche Rolle spielen innerparteiliche Hierarchien und wie kommen politische Positionen zustande? Inwiefern befördern die vorhandenen Strukturen und Verfahren die Generierung tragfähiger, kollektiv verbindlicher Entscheidungen? Welche Erwartungen verknüpfen PolitikerInnen und politisch engagierte Personen mit ihrer eigenen Tätigkeit? Wie gehen PolitikerInnen mit der Vielzahl an öffentlichen Ansprüchen und ggf. Anfeindungen um?
2.
Synchronisation von Politik und Gesellschaft: In einem zweiten Teil interessieren wir uns genauer für das Zusammenspiel zwischen Politik und anderen gesellschaftlichen Bereichen. Hier können Fragen wie die Folgenden eine Rolle spielen und in theoretischen wie empirischen Beiträgen untersucht werden: Welche Rolle spielen Massenmedien und Interessenverbände bei der Genese und Vermittlung politischer Positionen? Welche sozialen, sachlichen und zeitlichen Differenzen müssen in der Kommunikation der Politik mit ihrer gesellschaftlichen Umwelt überwunden werden? Inwiefern ist Lobbyismus zum existenziellen Bestandteil der Demokratie geworden? Auf welche Techniken und Methoden greifen Politikerinnen und Politiker bei der Erfassung und Repräsentation des Wählerwillens zurück?
Wir bitten um Zusendung von 2-3-seitigen Short Papers, in denen sowohl die Grundthese des geplanten Vortrages, theoretische Grundlagen wie auch (so vorhanden) die empirische Datenbasis expliziert werden. Bitte senden Sie die Beiträge bis 1.4.2016 an
[email protected] und
[email protected].