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Achtsamkeit - Buddhismus Deutschland

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Euro 8,– | Österreich: € 8,30 | Schweiz: CHF 11,– www.buddhismus-aktuell.de AUSGABE Januar, Februar, März ( ACHTSAMKEIT 1 2016 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Ob sich der Buddhismus bei uns im Westen tatsächlich in nennenswertem Maße (als Religion) wird etablieren können, scheint mir immer noch eine offene Frage zu sein. Keine Frage aber ist, dass eines seiner zentralen Konzepte – die Achtsamkeit – mehr und mehr in der Mitte unserer Gesellschaft ankommt. Achtsamkeit hat Eingang gefunden in die Psychologie, die Psychotherapie, die Arbeit mit Kindern, in den schulischen und gesundheitlichen Bereich, in die Wirtschaft – und mittlerweile auch ins Militär. Lebenshilfebücher versprechen Entspannung, Stressreduktion, Glück, Heilung von Depressionen und hohem Blutdruck, gelungene Partnerschaft und Idealgewicht durch Achtsamkeit. Ist all dies ein Zeichen, dass unsere Gesellschaft insgesamt achtsamer und damit vielleicht auch menschlicher wird? Und wird sie dann möglicherweise auch buddhistischer? Ist die Achtsamkeit also, wie Stephen Batchelor sagt, das trojanische Pferd, das einen „Siegeszug“ des Buddhismus einleitet? Oder ist eher das Gegenteil der Fall? Ein Konzept, das ursprünglich in eine spirituelle Tradition eingebettet war, wird dort herausgelöst, seines spirituellen Kerns beraubt, säkularisiert und zu einer bloßen Technik der Selbstoptimierung gemacht, die dazu beiträgt, dass stressgeplagte Menschen in ihrer Freizeit Methoden erlernen und einüben, um ihrer Arbeit effektiver nachgehen zu können? Natürlich kann Achtsamkeit als reine Methode verwendet werden und das geschieht auch mancherorts, wo unzureichend ausgebildete oder selbsternannte Achtsamkeitslehrende sie vermitteln, ohne selbst intensive Erfahrungen mit der Praxis gemacht zu haben. Doch ist sie nicht auch schon im buddhistischen Kontext „missbraucht“ worden, als zum Beispiel japanische Zen-Meister während des Zweiten Weltkriegs das achtsame Marschieren und Töten empfahlen? Bei all den zweifellos möglichen Instrumentalisierungen scheint mir aber der Achtsamkeit selbst eine Qualität innezuwohnen, die sich solchen Vereinnahmungen immer auch widersetzt oder entzieht. Eines der ersten Bücher Thich Nhat Hanhs hieß Das Wunder der Achtsamkeit. Von diesem Wunder oder dieser transformativen Kraft der Achtsamkeit berichten einige der Autoren und Autorinnen in dieser neuen Ausgabe von Buddhismus aktuell. Und zwar sowohl die, die das Thema eher aus einer buddhistischen Perspektive beleuchten, als auch jene, die das eher aus einer säkularen tun. Thich Nhat Hanh beschreibt Achtsamkeit als eine fortwährende Übung, jeden Augenblick unseres Lebens auf tiefgreifende Weise zu berühren. Berühren ist mehr als ein reines, neutrales Beobachten, es ist auch ein Hinwenden. Und es beinhaltet, dass wir in Kontakt mit der uns innewohnenden Gutheit, mit unserem Mitgefühl gelangen. Wenn wir dann uns und andere mit dieser sorgenden Achtsamkeit (caring mindfulness), wie Matthieu Ricard sie nennt, wahrnehmen und daraus handeln, werden wir weder andere achtsam erschießen noch in Selbstoptimierungsstrategien unsere Erfüllung finden können. Aber dies fällt nicht vom Himmel, sondern bedarf der Übung und eines gewissen Bemühens und ist nicht mit einem Wochenendkurs erledigt. Wenn diese sorgende Achtsamkeit in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen ankommt, wird unsere Gesellschaft sicherlich humaner werden – und vielleicht auch etwas buddhistischer. Vor einigen Tagen las ich in einem Newsletter des Zen-Lehrers Heinz-Jürgen Metzger: „Ich habe den Eindruck, dass im Laufe des Jahres 2015 das Ausmaß von Gewalt und Hass, mit dem wir konfrontiert werden, zugenommen hat. Gewalt und Hass in Gedanken, Worten und Taten. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Gifte in unserem eigenen Geist erkennen und den Raum, den wir ihnen geben, verringern. Das ist kein geringer Beitrag zu einer friedlicheren Welt.“ Auch dafür brauchen wir die Achtsamkeit. Ich wünsche Ihnen ein friedvolles, glückliches, inspirierendes Neues Jahr Ihre Ursula Richard Chefredakteurin BUDDHISMUS aktuell 1 | 16 3 Inhalt SCHWERPUNKTTHEMA: ACHTSAMKEIT Herausgeberin: Deutsche Buddhistische Union Buddhistische Religionsgemeinschaft Gemeinschaften Neutrale Auskunftsstelle © Tara Di Gesu © Tara Di Gesu Traditionsübergreifender Dachverband buddhistischer Gruppen in Deutschland Netzwerk buddhistischer AKTUELL 7 Verbundenheit leben 39 Achtsamkeit bei der Stressbewältigung und im Zen – dasselbe? Von Cornelius von Collande ACHTSAMKEIT 42 Das Wunder der Achtsamkeit Von Cara Rasmuß 19 Achtsamkeit – ein trojanisches Pferd? Von Stephen Batchelor 48 Zum achtsamen Umgang mit Achtsamkeit Von Peter Malinowski 20 Wer ist es, der achtsam ist? Von Margrit Irgang 23 Es gibt keine Achtsamkeit des Tötens Von Thich Nhat Hanh 26 Achtsamkeit und der buddhistische Befreiungsweg Von Peter Gäng 33 „Siehst du, wie achtsam ich bin? Findest du mich gut?“ Von Toni Packer 34 Grundprinzipien und Leitsätze achtsamen Wirtschaftens Von Kai Romhardt und dem NAW-Team Wirtschaftsethik 51 Worte der Weisheit IM GESPRÄCH 52 Kunstwerke als Opfergaben Mit der Thangka-Malerin Tara Di Gesu 24 Achtsamkeit – der direkte Weg Mit Bhikkhu Analayo 29 Im Fokus der Forschung: Transformation durch Achtsamkeit Mit der Psychologin Britta Hölzel 44 Achtsamkeit – ein zeitgemäßer Weg, den Geist zu erforschen Mit dem Verleger Lienhard Valentin 36 Achtsamkeit als ethische Praxis Von Karl-Heinz Brodbeck 4 BUDDHISMUS aktuell 1 | 16 © Wake-Up-Sangha INHALT © Dimaberkut | Dreamstime.com | Athens, Greece - Contemporary Graffiti Art MAGAZIN 12 „Der Buddha war auch ein Wanderer“ Mit dem Pilger Horst Gunkel 59 „Wir sind eine Art Familie“ Mit Anna-Marie Nehl von der Wake-Up-Sangha 68 Nachrichten 96 DBU-Mitgliedsgemeinschaften 98 DBU-Rat | Impressum 62 Die Stimme der Schwachen Mit dem Tierrechtsaktivisten Bob Isaacson Vorschau Buddhismus aktuell 2 I 16 HOFFNUNG & FURCHT ELTERNSEITE 67 Hausvaters Achtsamkeit und Sohnemanns Pläsier David Loy über das Erwachen im Zeitalter des Klimawandels Barbara Salaam Angyo Wegmüller über das Verwandeln von Leiden in Weisheit – die Übung, nicht zu flüchten von dem was ist Von Uwe Spille Michaela Haas über posttraumatisches Wachstum Der 12. Gyalwang Drukpa über ökologisches AUS DER WELT DER MEDIEN Sowie mit Beiträgen von Lama Yeshe Songma, Ludger Tenryu Tenbreul, Wolf Schneider, Rinchen Khandro Choegyal, Götz Mundle & Barabara Costaz und anderen 68 Rezensionen und soziales Engagement Auch an ausgewählten Kiosken und fast überall im Bahnhofsbuchhandel erhältlich! Abo-Bestellungen: [email protected]; Einzelheft, Print und Digital, sowie Probeheft: [email protected] (s. Impressum S.98) BUDDHISMUS aktuell 1 | 16 5 ACHTSAMKEIT VON MARGRIT IRGANG © Eutah Mizushima | stocksnap.io Wer ist es, der achtsam ist? ACHTSAMKEIT IST EINE ERFOLGSGESCHICHTE. LAUFEND GIBT ES NEUE GEBIETE, AUF DENEN MAN MIT ACHTSAMKEIT ERFOLGREICH SEIN KANN. DOCH WIE FÜHLT SICH, JENSEITS DER BEGRIFFE, DIE ERFAHRUNG DES ACHTSAMSEINS AN? UND WER IST ES, DER ACHTSAM IST? MIT DIESEN FRAGEN BESCHÄFTIGT SICH DIE SCHRIFTSTELLERIN UND MEDITATIONSLEHRERIN MARGRIT IRGANG IM FOLGENDEN BEITRAG. I m November 2013 bringt die New York Times einen langen Artikel mit der Überschrift „Mindfulness getting its share of attention“. Der Autor David Hochman berichtet, dass fast alle großen Firmen in den USA für ihre Mitarbeiter Achtsamkeitskurse einrichten. Er zitiert Chade-Meng Tan, der für Google-Mitarbeiter einen internen Online-Kurs über Achtsamkeit anbietet (der jeweils innerhalb von 30 Sekunden ausgebucht ist), mit den Worten: „Ein einziger Atemzug am Tag kann zu innerem Frieden führen.“ Es gibt eine meditation app namens „Get Some Headspace“, die der französische Geschäftsmann Loic Le Meur bei einer Wisdom 2.0 Konferenz mit den Worten empfahl: „Du musst dich nicht in die Lotosposition setzen, du drückst einfach den Knopf und entspannst.“ Und Arianna Huffington, Mitgründerin der Huf- 20 BUDDHISMUS aktuell 1 | 16 fington Post und laut Time Magazine eine der hundert einflussreichsten Personen der Welt, propagiert „Mindfulness“ mit den Worten: „Achtsamkeit, Yoga, Gebet, Meditation und Kontemplation sind nicht mehr nur etwas für WochenendRetreats, sondern die perfekten Leistungssteigerungsmethoden für den Alltag.“ Jede Woche entdecke ich im Internet oder in Buchhandlungen neue Anwendungsgebiete für Achtsamkeit: Mit Achtsamkeit kann man schlank werden, das Rauchen aufgeben, den richtigen Partner finden, den Krebs besiegen. Die gute Nachricht hinter dieser verblüffenden Entwicklung: Achtsamkeit hat eine tiefe Wirkung, sonst würden Top-Firmen nicht in sie investieren. Aus spiritueller Sicht jedoch liegt hier ein großes Missverständnis vor. Das kollektive Ego hat sich der altehrwür- IM GESPRÄCH Achtsamkeit – der direkte Weg Lebendig und gleichzeitig in sich ruhend, offen und gleichzeitig klar, in einem Wort: achtsam. FRAGEN VON SUSANNE BILLIG UND URSULA RICHARD AN DEN BUDDHISTISCHEN GELEHRTEN BHIKKHU ANALAYO Buddhismus aktuell: Achtsamkeit wird vom Buddha als der „direkte Weg“ zur befreienden Erkenntnis bezeichnet. Wie würden Sie diesen Weg beschreiben? Was sollte man wissen und beachten, wenn man diesen Weg beschreiten möchte? macht, ist speziell die direkte Begegnung mit und das Aufnehmen von dem, was gerade geschieht. Der Weg besteht darin, mit Achtsamkeit voll und ganz bei dem zu sein, was ist, ohne es sofort und automatisch zu bewerten und emotional darauf zu reagieren. Einfach nur erst einmal offen dem gegenüber sein, was ist, was gerade jetzt passiert. Dies geht einher mit einer gewissen Weite des Geistes, die volle Aufnahmefähigkeit ermöglicht. Diese rezeptive Weite ermöglicht es, die Dinge wirklich zu verstehen, so, wie sie tatsächlich sind, in ihrer Komplexität und wechselseitigen Beziehung zueinander. Dieses Verstehen dringt durch das verweilende Betrachten unter die Oberfläche, ist dadurch tiefer und nimmt die Information über die momentane Situation voll auf, bevor es zu vorschnellem Aktionismus kommt. Achtsamkeit bereitet nicht nur ein volles Erkennen der Situation vor, sondern begleitet auch das Reagieren auf diese Situation von 24 BUDDHISMUS aktuell 1 | 16 Foto: © Wichan Kongchan | 123rf.com Bhikkhu Analayo: Was die Achtsamkeit zum „direkten Wege“ IM GESPRÄCH KUNST WERKE als OPFER GABEN EIN GESPRÄCH VON DORIS WOLTER MIT DER THANGKA-MALERIN TARA DI GESU Doris Wolter: Was hat dich dazu inspiriert Thangka-Malerin zu werden? Tara Di Gesu: Ich zeichne und male schon seit meiner frühen Kindheit. Während andere Kinder Luftgitarre spielten, zeichnete ich auf dem Heimweg von der Schule mit meinen Fingern in die Luft. Malerei war Teil der Umgebung, in der ich aufwuchs. Mein Vater war Maler und gehörte während der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre einer populären Künstlergruppe in der Gegend von San Francisco an. Sie nannte sich Visionary Artists und war stark von östlichen Religionen, Meditation, Yoga sowie halluzinogenen Drogen beeinflusst. Meine Eltern waren beide Schüler von Suzuki Roshi und später auch von Chögyam Trungpa Rinpoche. Buddhismus und Meditation waren damit Teil unseres häuslichen Lebens. Kunst war bereits damals tief in mir verwurzelt, und als ich älter wurde, ging ich selbstverständlich davon aus, dass ich eines Tages auch meinen Lebensunterhalt mit Kunst verdienen 52 BUDDHISMUS aktuell 1 | 16 würde. In meinen wilden Teenagerjahren sehnte ich mich danach, aus den Zwängen meiner Erziehung auszubrechen. Ich verspürte eine große Neugier und den Drang, die Welt zu entdecken. Dies war verbunden mit einem Interesse an Meditation und veranlasste mich dazu, von zu Hause wegzugehen. DW: Wie ging es weiter? TG: Als Erstes besuchte ich Nepal. Dort fühlte ich mich rasch heimisch und entwickelte ein starkes Interesse für den Buddhismus. Viele großartige Lehrer, von denen heute leider die meisten nicht mehr leben, gaben damals Kurse für „Westler“. Durch den Kontakt zu den Menschen aus diesem anderen Kulturkreis wurde diese Zeit unglaublich wertvoll für mich. Während meines ersten Aufenthalts lernte ich Jamyang Gyatso, einen traditionellen Thangka-Maler, kennen. Kurz nach unserer ersten Begegnung begann ich bei ihm Unterricht zu nehmen. Damals wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass dies der Anfang eines lebenslangen Weges sein würde. Wenn ich heute zurückschaue, finde ich es ziemlich lustig, dass ich nach Nepal reiste, um meine ersten Schritte als unabhängige Person zu machen und meine eigene Richtung einzuschlagen – und doch dabei direkt auf das Erbe meiner Eltern traf: Kunst und Meditation. DW: Und was faszinierte dich an der Thangka-Malerei? TG: Zuerst fesselte mich die schiere Präsenz der Gemälde meines Lehrers. Als ich dann mehr über Thangka-Malerei lernte, faszinierte mich zudem die enorme Symbolik sowie der eigentliche Sinn und Zweck dieser Kunstform. Denn es handelt sich bei Thangkas nicht um Dekorationsgegenstände, sondern um eine Unterstützung für Meditierende, mit dem Ziel, in ihrer Praxis Verwirrung aufzulösen. Jedes Gemälde wird vom Künstler als Opfergabe angesehen und richtet sich vorwiegend nach traditionellen Vorgaben statt nach IM GESPRÄCH Die Stimme der Schwachen Es war der Vietnamkrieg, der den Friedensaktivisten Bob Isaacson dazu veranlasste, Anwalt zu werden. Nach Abschluss seines Jurastudiums reiste er durch Europa, Asien und Afrika und wusste bei seiner Rückkehr: Er wollte sich in seinem Beruf engagieren und die Gesellschaft verändern. Also vertrat er Menschen, die sich keinen Anwalt leisten konnten, und setzte sich gegen die Todesstrafe ein. Heute leiht er seine Stimme den Schwächsten unserer Gesellschaft – Tieren. Bob Isaacson meint: Es ist an der Zeit, dass auch Buddhistinnen und Buddhisten aufwachen, was die Lage der Tiere angeht. Anlässlich einer Vortragsreise in Deutschland konnte Buddhismus-aktuellMitarbeiterin Wiebke Westphal mit dem buddhistischen Tierrechtsaktivisten sprechen. 62 BUDDHISMUS aktuell 1 | 16 © hbieser | pixabay.com