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CfP: Zum Verhältnis von Empirie und kultursoziologischer Theoriebildung – Stand und Perspektiven – Universität Leipzig, 30.09.2015 – 02.10.2015
„ ... an emotional sense of social reality“ – Andrew Abbotts Lyrical Sociology und die neue Chicago School Abstract Andrew Abbott thematisiert mit seinem bisher in Deutschland kaum rezipierten Konzept einer „lyrical sociology“ eine wenig reflektierte Schnittstelle empirischer und theoretischer Arbeit: Er richtet den Blick auf Formen des soziologischen Beschreibens, die weder die analytische Durchdringung noch das reflektierte Verstehen ihres Gegenstandes zum Ziel haben, sondern ein durch den Text beschworenes Nachempfinden und Erleben. Lyrische Soziologie operiert dazu auf der Grundlage wahrnehmungsnaher Konzepte wie Subjektivität, Einfühlung, dichte Beschreibung, Redundanz, Intensität, Emotion; sie nimmt in Kauf, Normen und Standards der sozialwissenschaftlichen Wissensproduktion – Objektivität, Distanz, Neutralität – zu unterlaufen. Texte, die so verfahren, scheinen per se a-theoretisch formuliert, da sie über die Beschreibung dichter, unmittelbarer „Bilder des Sozialen“ eher auf die emotionale Affizierung des Lesers gerichtet sind . Für Abbott wird das soziologische Urteilsvermögen damit aber keineswegs geschmälert. Im Gegenteil: Gerade diese Unmittelbarkeit kann genutzt werden, um Figuren der Evidenz zu produzieren, die sie in einer Art Scharnierstellung konkrete Anschauung und Empfindung mit begrifflicher Abstraktion verbinden. Dabei wird der Prozess des Theoretisierens von logischen Begründungszwängen entlastet: Was jeder sehen, schmecken, fühlen und nachempfinden kann, bedarf vielleicht eines neuen Fachbegriffes, die Relevanz des Problems ist jedoch bereits auf der vorbegrifflichen Ebene geklärt. Abbotts Vorschlag, lyrische Soziologie als einen distinkten Erkenntnisstil in das Repertoire sozialwissenschaftlicher Methoden aufzunehmen, beschreitet damit einen Weg kultursoziologischer Forschung, der die singuläre soziale Situation, das Geschehen im „hier und jetzt“ in das Zentrum der Analyse rückt. In dieser Würdigung des Indexikalischen und Situativen kommt eine starke Affinität zu ethnografischen Verfahren zum Ausdruck. Nicht zufällig lotet Abbott den epistemischen Mehrwert lyrisch-soziologischen Beschreibens unter Bezugnahme auf klassische Texte der Chicago School aus. Unser Beitrag möchte diese Fährte aufnehmen und in drei Abschnitten das Forschungsprogramm der lyrischen Soziologie vorstellen: zunächst skizzieren wir die maßgeblichen Aspekte einer lyrischen Soziologie (I); in einem zweiten Schritt ordnen wir Abbotts Konzept in den Kontext einer vornehmlich angloamerikanischen Diskussion über Elemente des Lyrischen und Poetischen als konstitutiven Bestandteilen der soziologischen Analyse ein (II); und drittens möchten wir das analytische Potenzial lyrisch-soziologischen
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Beschreibens demonstrieren, indem wir Abbotts Ansatz als interpretativen Rahmen für einige der erfolgreichsten Arbeiten der qualitativen Soziologie in den vergangenen Jahren verwenden: Texte der neuen Chicago School wie Sudhir Venkateshs „Gang leader for a day“ (2008), Didier Fassins „Enforcing Order“ (2013) oder Alice Goffmans „On the run“ (2014) lesen wir als Spielarten einer lyrischen Soziologie und befragen sie auf ihr theoriebildendes Potenzial (III).
Prof. Dr. Sina Farzin, Institut für Soziologie, Universität Hamburg Dr. Il-Tschung Lim, Institut für Soziologie, Universität Gießen