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Aspekte Jüdischen Denkens Im Werk Hermann Brochs

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Vivian Liska, Paul Michael Lützeler, Arvi Sepp (Veranstalter) Aspekte jüdischen Denkens im Werk Hermann Brochs (Antwerpen, 21.-23. Oktober 2015) Internationale Tagung in memoriam Jean-Paul Bier (aktualisierte Fassung vom 16. April 2015) Überblick: Vivian Liska, Professor für deutsche Literatur und Direktorin des Instituts für Jüdische Studien der Universität Antwerpen, Paul Michael Lützeler, Vorsitzender des Internationalen Arbeitskreises Hermann Broch und Direktor des Max Kade Zentrums für deutschsprachige Gegenwartsliteratur an der Washington University in St. Louis, und Arvi Sepp, Professor für deutsche Literatur der Universität Antwerpen, organisieren ein internationales Symposium zum jüdischen Denken im Werk von Hermann Broch. Die Tagung wird vom 23.-25. Oktober 2015 am Institut für Jüdische Studien der Universität Antwerpen stattfinden. Die Tagung ist dem Gedenken an den Antwerpener Broch-Forscher Jean-Paul Bier gewidmet, dem Doktorvater Vivian Liskas und einem befreundeten Kollegen von Paul Michael Lützeler. Hermann Broch (1886-1951) wurde in Wien geboren und wuchs in einer jüdischen Industriellenfamilie auf. Mit 21 Jahren trat er in die väterliche Textilfabrik (Spinnerei und Weberei) als kaufmännischer Direktor ein. Gleichzeitig begann er literarische Essays, Gedichte und Novellen zu schreiben. Nach zwanzig Jahren gelang es Broch die Firma zu verkaufen und sich ganz der schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Zwischen 1930 und 1932 erschien seine Romantrilogie „Die Schlafwandler“, die sofort internationale Beachtung fand und fast gleichzeitig auf Englisch in Großbritannien und Amerika erschien. 1938 musste Broch wegen seiner jüdischen Herkunft ins amerikanische Exil fliehen, wo er 1945 sein zweites Hauptwerk, den Roman „Der Tod des Vergil“ (gleichzeitig auf Deutsch und auf Englisch) publizierte. Sein letzter Roman war das 1950 veröffentlichte Buch mit dem ironischen Titel „Die Schuldlosen“, in dem es um moralische Verstrickungen der Generation zwischen den beiden Weltkriegen geht. Berühmt wurde Broch, der zuweilen der österreichische Joyce genannt wird, auch durch seinen Essay „James Joyce und die Gegenwart“ von 1932. Im Exil verfasste der Autor die großangelegte Studie „Hofmannsthal und seine Zeit“, eine Kulturgeschichte des Wiener Fin de Siècle im europäischen Kontext. In Brochs frühe Lebensphase fällt seine Konversion zum Katholizismus, die einerseits bedingt war durch die Heirat, andererseits aber auch durch ein genuines Interesse an christlicher Ethik motiviert war. Eine besondere Affinität hegte er zum katholischen Existenzialismus von Theodor Haecker (inklusive Kierkegaard-Rezeption), von dessen entschiedenem Antifaschismus Broch beeindruckt war, und dessen Buch „Vergil, Vater des Abendlandes“ keinen geringen Einfluss auf die Konzeption seines Exilromans „Der Tod des Vergil“ hatte. Broch gehörte in der Donaumonarchie seiner Generation zu den vielen Intellektuellen und Künstlern (man denke an Gustav Mahler) , die aus unterschiedlichen Gründen vom Judentum zum Christentum konvertiert waren, die dann aber ein Leben lang die dominierenden Ideen beider Religionen zu verbinden trachteten bzw. die dialogische Spannung zwischen den beiden Kulturen thematisierten. Auch sein zeitkritisches Vorbild Karl Kraus war zum Christentum übergetreten. In den "Schlafwandlern" (1932) kommt in der "Geschichte des Heilsarmeemädchen in Berlin" eine Reihe von Figuren vor, die unterschiedliche Richtungen des Judentums repräsentieren. Im "Zerfall der Werte" (dort besonders im Epilog) werden Nähe und Distanz zwischen christlichen Religionen und dem Judentum diskutiert. In dem antifaschistischen Roman "Die Verzauberung" (1935) rückt der Vertreter einer Minorität, seine Verfolgung und Vertreibung, in den Vordergrund. Im "Tod des Vergil" (1945), dem wichtigsten Exilwerk Brochs, kommen jüdische Figuren direkt nicht vor, aber die ausführliche Diskussion der Versklavung, die Broch in seinen "Politischen Schriften" aus der Exilzeit explizit auf das Judentum unter Hitler bezieht, ist eines der durchgängigen Themen in diesem Roman. Zudem ist es ein Buch, dessen mystische Passagen – wie Gershom Scholem feststellte – durch den Chassidismus inspiriert sind. In der ebenfalls im Exil geschriebenen "Massenwahntheorie" (1939-1948) ist das Schicksal der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus zentral. Hier zeigt Broch wie das Konzentrationslager der Nationalsozialisten die denkbar radikalste Form der Versklavungs- und Vernichtungspolitik ist. Im Gegenzug dazu entwickelt er eine Theorie des Menschenrechts, das auf dem Tötungsverbot des Dekalogs, den Forderungen christlicher Ethik und Denkströmungen der Aufklärung basiert. Die Geschichte der Assimilation und Akkulturation in der Donaumonarchie ist dominant in seiner Studie "Hofmannsthal und seine Zeit" (1948). Zu verweisen ist zudem auf das "Prophetengedicht" in seinem letzten Roman "Die Schuldlosen" (1950), das als Teil der "Stimmen 1933" Judentum und Exilexistenz in engem Zusammenhang sieht. Schließlich sind Brochs Briefwechsel zu erwähnen, wo das Schicksal der Juden, jüdische Philosophie und Religion Diskussionsthemen sind. Man denke an die Korrespondenzen mit Hannah Arendt, Thomas Mann und Ruth Norden, vor allem aber an diejenigen mit Freunden, die wie Broch in der Donaumonarchie aufgewachsen waren wie Erich von Kahler, Paul Federn, Abraham Sonne und Daniel Brody. All diese und weitere Aspekte von Brochs Zusammenhang mit dem jüdischen Denken seiner Zeit werden in den Vorträgen der zwölf Broch-ExpertInnen und bei den Diskussionen im Verlauf des Symposiums zur Sprache kommen. ([email protected]) ([email protected]) Programm der Tagung Anreise am Morgen des 21.10.2014 Mittwoch, 21. Oktober 2015 13:15-13:30 Uhr Begrüßung durch Vivian Liska und Paul Michael Lützeler 13:30 – 15:30 Uhr I.Soziologie und Theologie im Kontext der „Schlafwandler“ 13:30 – 14:30 Uhr Daniel Weidner (Zentrum für Literaturforschung Berlin) "Der Diskurs über Judentum und Moderne in Brochs 'Die Schlafwandler'" Es geht darum zu zeigen, wie in der Romantrilogie „Die Schlafwandler“ Argumentationen über den Zusammenhang von Judentum und Moderne, insbesondere jene von Soziologen und Kulturphilosophen wie Werner Sombart, Max Weber und Max Scheler, aufgenommen und transformiert werden. Diese Trilogie wird im Sinne eines Diskursromans gelesen, der die ‚große Erzählung‘ (Lyotard) von der „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) verhandelt, und zwar gerade in ihren jüdischen Konnotationen. Dabei steht im Mittelpunkt des Interesses, wie diese Verhandlung selbst wiederum problematisiert wird. ([email protected]) 14:30-15:30 Uhr Hartmut Steinecke (Universität Paderborn) Hermann Broch und das Ostjudentum Das Judentum, das Broch in der Vorkriegszeit kennenlernte, war weitgehend assimiliert und säkularisiert. Das gilt auch für seine jüdischen Bekannten und Freunde, Künstler wie Wissenschaftler in den 1920er Jahren. Was brachte ihn dazu, in der „Geschichte des Heilsarmeemädchens in Berlin“ aus den „Schlafwandlern“, Ostjuden eine wichtige Rolle zuzuteilen? Welche Funktion haben sie in einem Epochenbild von 1918? Und was bedeutet das für den Entstehungszeitraum 1931/32? Schließlich: Welche Bedeutung hat das Ostjudentum im Gesamtbild des Juden in den geschichtsphilosophischen und politischen Schriften des Exils und nach der Shoah? ([email protected]) Kaffeepause 15:30-16:00 Uhr 16:00-17:00 Uhr Ioana Vultur (Freie Universität Berlin) Zwischen zwei Ufern : Christliches und jüdisches Denken in den „Schlafwandlern“ und im „Tod des Vergil“ Die Geschichte vieler Juden aus Wien ist die Geschichte einer Assimilation. Ausgehend von einer Analyse der Epoche und der persönlichen Situation Hermann Brochs, der auch ein assimilierter Jude war, soll die Verbindung zwischen jüdischem und christlichem Denken in zwei Romanen Brochs analysiert werden, und zwar in den „Schlafwandlern“ und in dem „Tod des Vergil“. Obwohl in diesen Romanen keine jüdischen Hauptfiguren auftreten (außer denjenigen, die in der „Geschichte des Heilsarmeemädchens“ vorkommen), kann man hier Elemente aus der jüdischen und christlichen Religion und Philosophie finden. So zum Beispiel wird in dem Essay über den „Zerfall der Werte“ aus den „Schlafwandlern“ die Verbindung zwischen jüdischer und christlicher Religion diskutiert. Untersucht wird, wie sich in diesen Romanen Elemente aus dem katholischen Existenzialismus Theodor Haeckers, aus der christlichen Ethik und der jüdischen Mystik miteinander verbinden. ([email protected]) 18:00 Uhr Abendessen 20:00-21:00 Uhr Abendvortrag Paul Michael Lützeler (Washington University in St. Louis) Jüdisches Denken im Werk Hermann Brochs (siehe „Überblick“) ([email protected]) Donnerstag, 22. Oktober 2015 9:00-12:30 Uhr II.Philosophie und Mystik im Kontext von „Der Tod des Vergil“ 9:00-10:00 Uhr Ashraf Noor (Zürich) Broch and Husserl: Language, Logic, and God “Über syntaktische und kognitive Einheiten” was written by Broch as a sequel to his theoretical comments on his novel „Der Tod des Vergil” with the title “Technische Bemerkungen zum Stil im ‚Tod des Vergil‘”. These theoretical comments are infused with Husserls conceptions of the cognitive structures that underly elementary and complex syntactic unities. Broch appropriates these conceptions to enable him to analyse, in addition, dynamic unities. This opens the way to a discussion of style in the novel but also of the temporal relation of forms of art in history. Broch’s intellectual use of Husserl thus not only concerns the first stage of Husserl’s antipsychologistic foundation of logic, and its second stage, when, in 1913, Husserl reformulates the first edition of the “Logische Untersuchungen” on the basis of his “theory of transcendental and eidetic phenomenological reduction”, but also the last two stages in Husserl’s thought, where the idea of a “genetic phenomenology” leads to his later discussion on history in his writings on the “Krisis” of science and European culture. ([email protected]) Kaffeepause 10:00-10:30 Uhr 10:30-11:30Uhr Dieter Hornig (Université Paris 8) Exil – Babel - Übersetzung: Brochs Reflexionen zur Philosophie und Technik des Übersetzens Die Erfahrung des Exils ist für viele jüdische Autoren und auch für Broch nicht nur eine Auseinandersetzung mit ihrer jüdischen Identität und ihrer Beziehung zur deutschen Sprache, sondern ein Herausfallen aus einer einsprachigen Welt und ein Eintauchen in die Vielsprachigkeit und damit in die Notwendigkeit des Übersetzens. Broch reagiert auf diese Herausforderung, indem er während der Niederschrift von „Der Tod des Vergil“ eng mit seiner Übersetzerin Jean Starr Untermeyer zusammenarbeitet und seine Reflexionen 1946 in seinem Essay „Einige Bemerkungen zur Philosophie und Technik des Übersetzens“ zusammenfaßt. Hinter diesem bescheidenen Titel verbirgt sich eine äußerst dichte Reflexion über den Logos, den Mythos von Babel, die Beziehungen der Sprachen zueinander, eine Philosophie der symbolischen Formen und eine neue Praxis des Lesens. Außer in George Steiners „After Babel“ wurde Brochs Essay bisher kaum zur Kenntnis genommen. ([email protected]) 11:30 – 12:30 Uhr Itta Shedletzky (Hewbrew University, Jerusalem) „Der Tod des Vergil“ – ein ‚mystischer Text‘? Gershom Scholems Broch-Lektüre – Hermann Brochs Scholem-Lektüre. Eine Spurensuche. Von Scholems Broch-Lektüre und Brochs Scholem (und Kabbala)-Lektüre gibt es eine knappe Dokumentation in Briefen. Als die beiden sich 1949 in New York trafen, hatte Scholem nur Brochs „Tod des Vergil“ (1945) gelesen und Broch Scholems „Major Trends in Jewish Mysticism“ (1941). Scholem berichtete darüber in einem Brief an Rudolf Hartung (1972), wie "sehr aufgeregt" Broch von dieser Lektüre war und wie beeindruckt er von Broch war, dessen Roman er "als einen mystischen Text“ betrachtete. Ebenfalls 1949 schrieb Broch in einem Brief an seinen (und Scholems späteren) Verleger Daniel Brody über sein Hebräischstudium in jungen Jahren "um Kabbala 'lernen' zu können" und dass er "sogar in den Sohar" hineingeschaut hätte. Diesen Spuren soll nachgegangen werden, um mystische Dimensionen in Brochs Roman zu eruieren, möglicherweise in einer Spannung zwischen Judentum und Katholizismus. ([email protected]) 12:30-14:00 Uhr Mittagspause 14:00 - 17:30 Uhr III.Menschenrecht und Demokratietheorie im Zeichen der „Massenwahntheorie“ 14:00 – 15:00 Uhr Barbara Picht (Viadrina: Europa-Universität Frankfurt/Oder) Menschenrecht und Ebenbild: Aspekte jüdischen Denkens in Brochs Menschenrechtstheorie „Um über Politik sprechen zu können, muß man eine Vorstellung vom Menschen haben, sonst spricht man über eine leere Mechanik." (KW12, S. 458) Die Vorstellung vom Menschen ist, nach jüdisch-christlicher Tradition, vom Gedanken der Ebenbildhaftigkeit getragen. All seine Faszination entwickelt dieser Gedanke für Broch durch die damit verbundene Vorstellung von der Autonomie des menschlichen Bewußtseins, der Autonomie des menschlichen Denkens. Der Anspruch, dem Menschen diese Autonomie zu bewahren, wird zur Grundlage von Brochs politik- und massenwahntheoretischen Schriften. Herausgearbeitet wird die Bedeutung des Ebenbild-Gedankens für Brochs Theorie des Menschenrechts und es wird untersucht, an welche jüdische Interpretation der Gottebenbildlichkeit er anknüpft, wenn er die Vorstellung von der Ebenbildlichkeit auslegt als die Vorstellung, Gott habe "des Menschen Erkenntnis mit seiner eigenen" vereinigt (KW12, S. 461). ([email protected]) 15:00 – 16:00 Uhr Birgit Erdle (Hebrew University of Jerusalem) Erkenntnistheorie und jüdische Erfahrung: Brochs Nachdenken über die Konzentrationslager im Dialog mit Hannah Arendt Eine der Fragen, die in der bisherigen Forschung zu Brochs Exilwerk „Massenwahntheorie“ vernachlässigt worden ist, ist die Frage nach dem Zusammenhang von jüdischem Denken und jüdischer Erfahrung. Ein möglicher Ausgangspunkt dafür ist Brochs Nachdenken über die Konzentrations- und Vernichtungslager, wie es sich in Textpassagen in den nach 1945 verfassten Entwürfen der Massenwahntheorie niederschlägt. Was bedeutet es, dass Broch die Gewalt in den Lagern nicht von der Tortur, sondern von der Versklavung her denkt, und wie steht Broch dabei im Dialog mit Hannah Arendt, vor allem mit ihrem 1948 veröffentlichten Text „Die Konzentrationsläger“? ([email protected]) 16:00-16:30 Kaffeepause 16:30-17:30 Uhr Helga Mitterbauer (University of Alberta) Definitio ex adverso: Zur Denkfigur des Juden als Opfer und als Repräsentant bedrohter Kultur Hermann Broch empfand die Novemberpogrome von 1938 als Bedrohung der „Zukunft des Menschlichen, ja, … unser aller Existenz“ (Briefe 2, S.52), und widmete fortan sein Leben der Aufgabe, der schon verbreiteten NS-Propaganda aufklärerisch entgegenzutreten. Die im Sommer 1944 entstandene fiktive Abschiedsrede Hitlers, „Letzter Ausbruch eines Größenwahns“ verdichtet nicht nur die „Massenwahntheorie“ auf tragisch-satirische Weise, sondern legt bereits die später von Hannah Arendt formulierte „Banalität des Bösen“ offen. Basierend auf diesen Texten und den Briefen aus dieser Zeit wird der Frage nachgegangen, welcher Begriff des Jüdischen Brochs Denken zugrunde liegt. Angesichts der existenziellen Ausnahmesituation wird die Denkfigur des Juden als Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zentral; indem er jedoch den Genozid mit der Auslöschung von Kultur und Humanität in Verbindung bringt, deutet er die Opfer zu Repräsentanten bedrohter Werte um. ([email protected]) 18:30 Uhr Abendessen Freitag, 23. Oktober 2015 9:00-12:30 Uhr IV.Ethik und Geschichte im Gesamtwerk Brochs 9:00 – 10:0 Uhr Elke Dubbels (Universität Bonn) Der Nachbar. Brochs literarische und theoretische Verarbeitung eines unheimlichen Nahverhältnisses im deutsch-jüdischen Kontext Im Umfeld der Studien zum „Massenwahn“ beschreibt Broch die Situation von Minoritäten wie die der Juden in Westeuropa mit dem Begriff des „fremden Nachbarn“. Dieser „fremde Nebenmensch“ werde in friedlichen Zeiten wohl als „komisch“, aber ungefährlich betrachtet. Wenn aber in Krisenzeiten die Angst vor einem unübersichtlichen Außen um sich greife, werde der „Inner-Fremde“ dafür verantwortlich gemacht und Opfer von vernichtendem Hass. Die Position des fremden Nachbarn nehmen die Juden auch in der „Geschichte des Heilsarmeemädchens in Berlin“ aus den „Schlafwandlern“ ein. Der literarischen Gestaltung und theoretischen Reflexion des Nachbarn als „fremdem Nebenmenschen“ in Brochs Werken wird nachgegangen, einer Figur, die sich zwischen Ausgrenzung und ethischer Bezugnahme bewegt. Verbindungen sollen zu Georg Simmels Soziologie des Fremden und zu Franz Rosenzweigs Ethik des Nächsten hergestellt werden. ([email protected]) 10:00-10:30 Uhr Kaffeepause 10:30-11:30 Uhr Alice Stašková (Freie Universität Berlin) Zum Verhältnis von Geschichte und Judentum bei Hermann Broch Ausgegangen wird von Annahme, dass Hermann Broch mit seiner Reflexion des Judentums auf konkrete historische Ereignisse reagierte. Für viele mitteleuropäische Intellektuelle, die wie Broch ihr – zum Teil unterschiedlich motiviertes – Interesse am Christentum einst zur Taufe bewog, haben die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und die mit ihm verbundene Welle des Antisemitismus eine eingehende Auseinandersetzung mit der jüdischen Kultur, Tradition und Identität eingeleitet. Brochs eigenes Denken soll im Vergleich mit diesen Autoren untersucht werden und zwar mit Blick darauf, welche konkreten Ereignisse seine Reflexion anregten und auf welche Art und Weise er in literarischen und philosophischen Texten auf diese Herausforderung reagierte. ([email protected]) 11:30 – 12:30 Uhr Gunter Martens (Universität Gent) Einheit, unverloren: Brochs Wissenspoetik - von der Enzyklopädie Otto Neuraths zum kombinatorischen Witz dritter Potenz Das Spektrum der Einheitsvorstellungen bei Broch ist abzuschreiten und dabei sind sowohl der anfängliche Einfluss des Wiener Kreises (als tragende Kontrastfolie zur "Ungeduld der Erkenntnis") als auch Einflüsse des jüdischen Denkens und der kabbalistischen Mystik zu berücksichtigen. Zum Schluss wird auf die jüdischen Witze eingegangen, die Broch vermehrt in seiner Exilkorrespondenz erzählt. Die kommunikative Struktur dieser Briefe wird stärker in ein Gesamtkonzept eingeordnet und so Brochs "Zettelwirtschaft" stärker als Teil seines Schreibens betrachtet. Die weltumspannende Korrespondenz, die Broch führt, ist mit ihrem unverwechselbaren Ton quasi "the testing ground" für Brochs Versuch, ein universalistisches Weltbild im Sinne von Leibniz in die moderne Welt zu verpflanzen, und zwar im leidenden Duktus und im gewitzten, ständigen Bewusstsein der Aussichtslosigkeit eines solchen Unternehmens. ([email protected]) 12:30-13:45 gemeinsames Mittagessen 14:00-15:00 Uhr Rosanne Ceuppens (Vrije Universiteut Brussel) Jenseits der Sprache: Dichtung als Seinsbewältigung und Todesnähe in Brochs Der Tod des Vergil   Ausgehend von Maurice Blanchots Auffassung des Blicks des Orpheus und der ursprünglichen Erfahrung in Der literarische Raum (1955) soll das Verhältnis zwischen Tod und Dichtung in Hermann Brochs Roman Tod des Vergil analysiert werden. Blanchot hebt in seinem Essay „Der Tod des Vergil: Die Suche nach der Einheit‟ (1959) hervor, dass die Innenwelt des Protagonisten Vergil und die Abkehr der Dichtung mit der „unpersönlichen Macht des Todes“ zusammenhängen. Wie wird das Schicksal der Äneis vom Sterben des Dichters beeinflusst und wie können Vergils Gedanken über das Unendliche interpretiert werden? Nicht nur die Parallelen zwischen dem Ursprung der Dichtung und dem wahrhaften Tod werden diskutiert, sondern auch Blanchots Interpretation des Exodus in Bezug auf Brochs jüdischen Hintergrund soll beleuchtet werden. Blanchot zufolge werden das Exil und der Exodus als wesentliche Beziehung zu dem Offenen betrachtet und diese Beziehung soll im Hinblick auf Der Tod des Vergil die Affinität zwischen Tod, Wahrheit, Sein und Sprache konkretisieren. ([email protected]) 15:00-16:00 Uhr Sebastian Wogenstein (University of Connecticut) Brochs letzte Utopie? Menschenrechtsengagement und Messianismus In den letzten Jahren seines Lebens, dem Beginn des Kalten Krieges, setzte sich Broch im Rahmen seiner Menschenrechtsforderungen verstärkt für eine Ächtung nuklearer und anderer Massenvernichtungswaffen ein. In einem Aufsatz, der 1950 in der Neuen Rundschau unter dem Titel „Trotzdem: Humane Politik. Verwirklichung einer Utopie“ erschien, wiederholt er seine bereits in der Massenwahntheorie formulierte Forderung nach einem „irdischen Absoluten“. Der Aufsatz, der als politisches Vermächtnis Brochs betrachtet werden kann, endet mit einem merkwürdigen, messianisch anmutenden Verweis auf das Kommen eines Erleuchteten, der die Massen von der Bedeutung dieses irdisch Absoluten zu überzeugen vermag. Der Konferenzbeitrag setzt sich mit diesem Aufsatz und der Frage auseinander, ob und inwiefern Brochs politisches Engagement in Bezug auf sein ambivalentes Verhältnis zum Judentum betrachtet werden kann. ([email protected])   16:00 Abreise