Transcript
Nachhaltige Fassaden
Außenwände können mehr als Wärmedämmung Klassische Styroporplatten zur Wärmedämmung sind mittlerweile überholt. Inzwischen gibt es deutlich umweltfreundlichere Alternativen, die auch noch gut aussehen.
„Statt sie im Supermarkt zu kaufen, können die Menschen ihre Erdbeeren, Kartoffeln, Gurken und Zucchini schon bald von den Fassaden und Dächern ihrer Häuser ernten“, sagte Garry Grueber schon 2014 auf einer Tagung der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau. Er ist geschäftsführender Gesellschafter von Cultivaris, einem internationalen Dienstleister, der Ideen und Projektmanagement rund um das Thema Begrünung anbietet, und Partner von Global Breadfruit, einer Initiative, die die Verbreitung der Brotfrucht als Nahrungsmittel fördert. „Grüne Dächer und Wände werden in Zukunft die Städte gestalten“, so der studierte Gartenbauer.
Seine Vision ist zwar noch nicht ganz in der Realität angekommen. Aber Dachgärten und bepflanzte Fassaden sind beim Stadtspaziergang immer öfter zu sehen. Der Vorteil: Die Blätter verdunsten Regenwasser und kühlen dadurch die Gebäude und sogar ganze Stadträume. Es ist das gleiche Prinzip wie beim Schwitzen des menschlichen Körpers. Die Begrünung verbessert das Stadtklima, schafft Lebensraum für Insekten und Schmetterlinge und entlastet bei starkem Regen die Kanalisation. Wer sich schlau anstellt, kann sogar seinen eigenen Wein von der Wand ernten. Allerdings können Kletterpfanzen Dach und Fassade auch schädigen, wenn sie nicht richtig gepflegt werden. Normale Fassaden erfordern allerdings auch Pflege. Aber das Grün ist kein Zwang. Pflanzen sind nur eine Alternative, Fassaden nachhaltig zu gestalten. Das Bewusstsein dafür, dass Außenwände mehr als nur reine Wärmedämmung sein sollten, ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Insbesondere die Diskussion um die sogenannten Wärmedämmverbundsysteme, die überwiegend mit sogenannten EPS-Platten aus expandiertem Polystyrol, besser bekannt unter der Marke Styropor, konstruiert werden, hat bei vielen Bauherren und Investoren zu einem Umdenken geführt. Die Liste der Nachteile dieses Dämmstoffs ist lang: Sie reicht vom übermäßigen Rohstoffverbrauch bei der Herstellung aus Erdöl über den Einsatz giftiger Brandschutzmittel bis hin zur teuren Entsorgung.
Eine Frage des Preises Stein- und Glaswolle dämmen ebenso gut wie EPS und lassen sich problemlos recyceln. Allerdings sind die Investitionskosten gut ein Drittel höher. Noch nachhaltiger sind nachwachsende Rohstoffe wie Hanf, Stroh, Holzspäne oder Schilf. Sie haben ähnlich gute Dämmeigenschaften, enthalten aber keine gesundheitsgefährdenden Stoffe und lassen sich ebenfalls ohne Probleme recyceln beziehungsweise kompostieren. Einziges Manko: Für viele dieser Stoffe existieren noch keine allgemeinen Zulassungen als Dämmstoffe, und sie sind um ein Vielfaches teurer als EPS und Co. Der jeweilige Dämmstoff macht jedoch nur einen Teil der Fassadenkonstruktion aus. Eine ebenfalls zentrale Rolle spielt die Art der Fassade sowie die für die äußere Hülle verwendeten Materialien. Vorgehängte hinterlüftete Fassaden sind heutzutage die Standardvariante bei prestigeträchtigen Wohn-, Büro- und Gewerbebauten. Hier trägt eine Unterkonstruktion aus Metall die vor äußeren Witterungseinflüssen schützende Sichtfassade. Wärmedämmung und Wetterschutz sind also voneinander getrennt. Dadurch bietet dieser Fassadentyp sehr viel größere Gestaltungsspielräume in architektonischer Hinsicht. So können als Materialien für die Außenhülle beispielsweise Metallbleche aus Kupfer oder Aluminium, Holz, Naturstein, Keramik und Glas verwendet werden. Nachhaltig wird das Ganze vor allem dann, wenn die Fassadenfläche als Energielieferant genutzt wird.
Glas? Klar! Ein Beispiel für diesen Ansatz ist das neue Hochregallager des Textilfilialisten Ernsting’s Family im nordrhein-westfälischen Coesfeld-Lette: Gläserne Fassaden machen das 111 Meter lange, 52 Meter breite und über 25 Meter hohe Lager zu einem echten Blickfang: Durch die transparenten Glasscheiben können Außenstehende das hoch automatisierte Warenwirtschaftssystem live miterleben. Doch der eigentliche Clou steckt in der Südseite des riesigen Lagergebäudes: Hier verbaute das Architekturbüro Wortmann nach einer Vorlage des Glaskünstlers Nabo Gaß eine gefaltete Membran als zweite Außenhaut, die mit Fotovoltaik-Modulen bestückt ist. Dank der Faltung sind die Module um 30 Grad geneigt. Dadurch wird deutlich mehr Strom produziert. Gleichzeitig dient die Hülle dem Wärmeschutz des Gebäudes, da die schräg liegenden Module die dahinterliegenden Gebäudeteile beschatten. Jährlich produziert das Unternehmen mindestens 260.000 Kilowattstunden elektrischen Strom. „Hierdurch trägt sich das gesamte Lager energetisch selbst“, sagt Thomas Hoffmann, Leiter des Gebäudemanagements bei Ernsting’s Family.
90 Prozent weniger Heizkosten Mindestens ebenso spektakulär ist das Sanierungsprojekt der Pforzheimer Bau und Grund GmbH: Hier wurde ein Wohnhochhaus aus dem Jahr 1972 grundsaniert und in ein Passivhaus umgewandelt, das nun seinen kompletten Wärmebedarf für Brauchwasser und Heizung selbst erzeugt. Die Pforzheimer Wohnungsbaugesellschaft nutzt dafür einen an der Fassade angebrachten Solarabsorber. Dieser besteht aus Betonplatten, in die wasserführende Kapillaren mit einem Durchmesser von nur einem Millimeter eingearbeitet sind. Das durchgeleitete Wasser wird von der Sonne in den warmen Monaten des Jahres erwärmt und in einem unterirdischen Speicher gesammelt. Während der kalten Jahreszeit wird die gespeicherte Wärme zur Beheizung des Gebäudes genutzt. Das Wasser kühlt sich nach und nach ab und gefriert schließlich bis zum Frühjahr. Diese Kälte wird dann im Sommer wiederum zur Kühlung des Gebäudes genutzt. Außerdem erzeugt eine auf dem Dach installierte Fotovoltaik- und Kleinwindanlage die für die technische Ausrüstung des Gebäudes notwendige Energie. Lothar Hein, Technischer Leiter des Projekts, zu den Kosten für die Mieter: „Die Heizkosten sind nach der Sanierung um rund 90 Prozent gesunken. Demgegenüber steht eine moderate Erhöhung der Kaltmiete um 1,10 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.“ Das Konzept überzeugte auch die Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises: Sie zeichnete das Sanierungsprojekt im vergangenen Jahr mit dem Sonderpreis „Nachhaltiges Bauen“ aus.
Pflanzen statt Erdöl Auch die Baustoffforschung beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Entwicklung nachhaltiger
Fassadenwerkstoffe. Das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart beispielsweise hat mit der Entwicklung des neuen Werkstoffs Arbor Skin von sich reden gemacht. Der Biokunststoff wird aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt. Damit spart er nicht nur fossile Ressourcen, sondern ist auch leicht zu recyceln. Aus einem Granulat des Biokunststoffs werden Platten hergestellt, die dann in beliebige Formen gebracht werden können. Erfinder Professor Jan Knippers von der Universität Stuttgart sieht neben den technischen Innovationen auch wirtschaftliche Vorteile seiner Entwicklung: „Arbor Skin ist ein Thermoplast, der sich warm verformen lässt. Für Fassadenbekleidungen ist der Biokunststoff also insbesondere dann interessant, wenn es um Formteile geht. Aus einem Referenzprojekt wissen wir, dass Arbor Skin zudem um einiges günstiger ist als tiefgezogene Aluminiumpaneele.“ Das Herstellen und Tiefziehen der Arbor-Skin-Paneele sei ein sehr einfacher Prozess. Das Stuttgarter Projekt steht damit in einer Reihe von Ansätzen, die eine ganzheitliche Betrachtungsweise von Nachhaltigkeit anstreben. Stichwort ist hier das sogenannte Cradle-to-Cradle-Prinzip, das den gesamten Wertstoffkreislauf von der Förderung des Rohstoffs über die umweltschonende Fertigung bis zu seiner Wiedergewinnung und -verwertung im Blick hat. Abfall entsteht dabei nicht. In der Praxis bedeutet das, dass bereits bei der Entwicklung neuer Werkstoffe auf die Ökobilanz bei der Herstellung geachtet wird, ebenso wie auf die Möglichkeit, das Material so verlustfrei wie möglich aus seinem verarbeiteten Zustand herauszulösen und dann bestenfalls vollständig wiederzuverwerten und aus dem recycelten Material neue Produkte herzustellen. Die Vielzahl der parallel existierenden Ansätze und Ideen macht deutlich, dass es keine Patentlösungen für die eine nachhaltige Fassade gibt. „Jede Immobilie ist ein Prototyp“, sagt Axel Härtel von der Firma Alsecco, einem Anbieter von Systemlösungen für den Fassadenbau. „Welches Fassadenkonzept wo am besten eingesetzt werden kann, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab.“ Ausschlaggebend seien neben der angedachten Nutzung des Gebäudes, seiner Form, dem Standort, der Heizungs- und Lüftungstechnik auch die Frage, ob die erzeugte Energie aus Fotovoltaik- oder Kleinwindanlagen selbst verbraucht werden kann oder eingespeist wird. Jeder einzelne der Faktoren und nicht zuletzt der finanzielle Aspekt variiert bei jedem Gebäude und macht daher eine genaue Einzelfallanalyse notwendig.
Zwei Trends lassen sich nach Meinung von Jürgen Einck, Experte für Fassaden beim Ingenieur- und Planungsbüro Drees & Sommer mit Stammsitz in Stuttgart, aber dennoch erkennen: „Erstens nimmt die Verwendung von Materialien wie Aluminium, Holz und Stahl vor allem bei anspruchsvollen Büro- und Wohngebäudenzu. Und zweitens könnten künftig transparente Fotovoltaik-Anlagen, die in Glas eingebettet werden, eine Alternative zu den Standardmodulen bieten.“ Dank ihrer Transparenz würden sie den Charakter der Architektur nicht verändern.
„Transaparente Fotovoltaik-Module, die in Glas eingebettet werden, können eine Alternative zu den Standardmodulen bieten“ Jürgen Einck, Fassaden-Experte von Drees & Sommer
Doch nicht nur bei neuen Gebäuden sind ästhetische Lösungen gefragt, auch bei Bestandsobjekten: Besonders bei denkmalgeschützten Gebäuden wird der Einsatz von Maßnahmen zur Wärmedämmung an Fassaden oft kontrovers diskutiert. Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, vertritt dabei einen klaren Standpunkt, den er auch als Auftrag an die Politik sieht: „Die Politik kann den Einsatz nachhaltiger Fassaden konstruktiv begleiten, indem sie die scheinbare Nachhaltigkeit energetischer Normen auf einen ganzheitlichen Ansatz erweitert, der Stoffkreisläufe, Gesamtenergiebilanzen und Lebenszyklen mit einbezieht. Wir dürfen uns und künftigen Generationen keinen Müll an die Fassade kleben und müssen langlebige Lösungen fördern.“ Zudem sollten im Sinne langfristig tragbarer Lösungen Schnellschüsse bei der weiteren Reglementierung energetischer Vorschriften vermieden werden: „Bei der Energieeinsparverordnung wäre es gut, wenn die Politik mal eine Pause einlegt und ein paar Jahre gar nichts macht – es ist so schon schwer genug. Jetzt müssen Erfahrungen gesammelt werden, damit sich Qualität und gute Gestaltung durchsetzen“, so Nagel.
Das Ende der fossilen Ära Fazit: Zusammen mit modernen Techniken wie leistungsstarken Fotovoltaik-Anlagen und Warmwasserkollektoren, deren Potenzial erst zu einem Bruchteil genutzt wird, lassen sich künftig erhebliche Mengen fossiler Energie einsparen. Das steht im Einklang mit dem Ziel der Bundesregierung, dass ab 2030 keine Heizungsanlagen auf Öl- und Gasbasis mehr in neue Wohngebäude eingebaut werden. Nicht zu vergessen: Bis Mitte dieses Jahrhunderts soll die Ära der fossilen Brennstoffe endgültig vorbei sein. So steht es im Klimaschutzplan 2050, den die Regierung mit aller Kraft umsetzen will.
Dieser Artikel erschien am 25.08.2016 unter folgendem Link: http://www.dieimmobilie.de/nachhaltige-fassaden-aussenwaende-koennen-mehr-als-waermedaemmung-1472136 943/
Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)