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Holzbau
Freitag, 29. Januar 2016
Nummer 4 · Holz-Zentralblatt · Seite 103
Ausflug zum kanadischen Holzbau Bauen mit Holz erreicht in Nordamerika ungeahnte Dimensionen Ehe Prof. Thomas Tannert von der University of British Columbia (UBC) aus Vancouver, Kanada, im Rahmen des IHF-Blocks „Verbindungstechnik“ auf „Geschraubte Schubverbindungen in BSP“ zu sprechen kam (siehe Beitrag „Viel Neues bei Verbindungstechniken“ auf Seite ?), gewährte er auf Wunsch von Prof. Dr. Gerhard Schickhofer von der TU Graz, der den Themenblock moderierte, Einblicke in das aktuelle kanadische Holzbaugeschehen. Der Holzbau in Kanada befinde sich im Wandel, so Tannert. Zwar lebten die meisten Kanadier in Holzhäusern; aufgrund einer konservativen Normenentwicklung der zurückliegenden Jahrzehnte beschränke sich die Nutzung von Holz im Bauwesen jedoch weitgehend auf Wohngebäude mit wenigen Geschossen in Holztafelbauweise. Das steigende Interesse an nachhaltigen Baupraktiken und Baustoffen sowie die Einführung neuer flächiger Holzwerkstoffe, insbesondere von Brettsperrholz (BSP), haben in Nordamerika und besonders in Kanada dazu geführt, dass Planer Holz auch außerhalb des Wohnungsbaus einsetzen wollten. In diesem Zusammenhang spielt die Provinz British Columbia eine kanada- aber auch USA-weite Vorreiterrolle. Der Wandel ist mitunter den Entwicklungen von Schraubenverbindungen zuzuschreiben, zu denen an der UBC sowie an anderen kanadischen Universitäten viel geforscht wurde und wird, so Tannert. Diesen Wandel eingeleitet hat ein neuer
Baucode vor rund zehn Jahren. Der lockerte den bis dahin sehr restriktiven Umgang mit dem Holzbau und ermöglicht seit 2005 auch Konstruktionen, die die kanadische Baunorm (National Building Code of Canada – NBCC 2010) nicht abdeckt, die aber dennoch
Thomas Tannert
gebaut werden dürfen, sofern ein Ingenieur – ähnlich wie in der Schweiz – nachweisen kann, dass die Konstruktion trotzdem „funktioniert“. Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist das „Wood-First Act“-Gesetz, das die Provinz British Columbia 2009 verabschiedet hat. Es verpflichtet Bauherren von Gebäuden, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, zum Einsatz von Holz als erstem Baustoff. Sie können nur davon abweichen, wenn die planenden Ingenieure nachweisen, dass eine Lösung mit Holz nicht möglich ist. Zudem ist es inzwischen auch kanadaweit möglich, Holzrahmenbauten bis zu sechs Geschosse hoch zu bauen. Diese Entwicklungen haben in Kanada nun auch BSP-Hersteller auf den Plan gerufen; der erste begann vor vier Jahren mit der Produktion. Die Zahl be-
Das UBC Earth Sciences Building (ESB) in Vancouver aus dem Jahr 2012 ist das erste große Gebäude, bei dem Holz-Beton-Verbund-Decken eingesetzt wurden. Bekannt ist es auch für seine frei schwebende Treppe in Holz-Beton-Verbundbauweise Foto: Martin Tessler können; Letzteres ist etwa an der Westküste der USA und Kanadas entscheidend. Eine interessante Nachricht bestand schließlich noch darin, dass das 18-geschossige Gebäude der „New UBC student residence“ (mineralisches Sockelgeschoss mit 17 Holzgeschossen) eines von drei Projekten war, das vom kana-
Innovationen für den Holzbau
Derzeit das höchste Holzhochhaus in Nordamerika: Wood Innovation Design Center (WIDC) in Prince George, das 2014 fertiggestellt wurde Foto: Ema Peter
schränkt sich bislang jedoch auf zwei Unternehmen – und das für einen ganzen Kontinent, denn in den USA gibt es laut Tannert bisher keine Hersteller. Die BSP-Fertigung in Nordamerika wird von der Produktnorm PRG 3202012 (ANSI 2012) geregelt. Weder die NBCC 2010 noch die kanadische Holzbaunorm „Canadian Standard for Engineering Design in Wood“ (CSA-086-2014) bieten Berechnungsgrundlagen für BSP und deren Anschlüsse. Anwendungsmöglichkeiten und Berechnungsgrundlagen werden aber im BSP-Handbuch bereitgestellt (CLT Handbook, Gagnon & Pirvu 2011). Speziell bei der Anwendung von Holz im Hochbau können Architekten und Ingenieure auch Anleitung aus zwei weiteren Veröffentlichungen beziehen: Aus dem „Technical Guide for the Design and Construction of Tall Wood Buildings in Canada“ (Karacabeyli & Lum 2014) und dem „Use of Timber in Tall Multi-storey Buildings“ (Smith & Frangi 2014), ließ der Referent wissen. Als aktuelles Beispiel zeigte Tannert das 28 m hohe „Wood Innovation Design Center“ (WIDC) in Prince George (British Columbia/Kanada), das 2014 fertiggestellt wurde. Der Entwurf von Michael Green ist aktuell das höchste Holzgebäude Nordamerikas. Es wird ab Januar 2016 das neue Zuhause des neuen Masterprogramms „Integrated Wood-Design“ sein – das einzige dem Holzbau gewidmete Masterprogramm in ganz Nordamerika. Erwähnt hat Tannert außerdem das fünfgeschossige UBC Earth Sciences Building (ESB) in Vancouver, ein Holzbau aus dem Jahr 2012 mit „frei schwebender“ Treppe (free floating staircase). Es ist das erste große Gebäude, bei dem Holz-Beton-Verbunddecken eingesetzt wurden; „und das, obwohl der Holz-Beton-Verbundbau in Kanada eigentlich gar nicht stattfindet“, erklärte der deutsche Professor aus Kanada. Aus diesem Grund betreibt die UBC unter anderem auch Forschung auf diesem Gebiet und fährt Versuche mit unterschiedlichsten Verbindern. Zu guter Letzt kam Tannert noch auf die „Tall Wood initiative“ von 2011 zu sprechen. Dabei ging es vor allem darum, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass im Grunde auch Wolkenkratzer aus Holz gebaut werden können. Architekt Michael Green trat diesbezüglich mit seinen Entwürfen namentlich weltweit in Erscheinung. „Am UBC haben wir dazu auch experimentelle und numerische Untersuchungen durchgeführt, die bestätigten, dass solche Systeme sicher bzw. erdbebensicher bemessen werden
Aktueller Neubau eines Studentenwohnheims in Vancouver mit 18 Geschossen, von denen 17 in Holz- bzw. Holz-BetonVerbundbauweise ausgeführt sind Isometrie: H. Kaufmann Arch.
Das sichtbar belassene Holztragwerk des WIDC macht den Reiz des Gebäudes aus und soll beispielgebend sein. In der mehrschichtigen Deckenkonstruktion kommt ein Teil der Haustechnik unter Foto: Ema Peter
www.hundegger.de
dischen Holzbauverband gefördert wurde, um ein Holzhochhaus zu realisieren. Entworfen haben es Acton Ostry Architects aus Vancouver zusammen mit Hermann Kaufmann Architekten aus Schwarzach (Österreich). Die Bauarbeiten laufen; es soll im Herbst 2016 fertiggestellt sein. Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe