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Brigitte Pothmer, MdB Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik September 2015
Ehrliche Statistik für Langzeitarbeitslose kein Thema für Ministerin Nahles Bundesarbeitsministerin Nahles will die wahre Dimension der Langzeitarbeitslosigkeit weiter verschleiern. Das geht aus der Antwort auf eine grüne Frage hervor.1 Das Bundesministerium für Arbeit (BMAS) lässt darin keine Bereitschaft erkennen, an der derzeitigen statistischen Erfassung von Arbeitslosigkeit etwas zu ändern. Damit bleibt es bei fragwürdigen Regelungen, die das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland verharmlosen. Davon betroffen sind mehrere Hunderttausend Menschen. Zählt man allein die Arbeitslosen zusammen, die unter die Regelung nach § 53a SGB II fallen (siehe unten), die nach einer Maßnahme wieder arbeitslos waren oder nach weniger als einem Monat einen neuen Job wieder verloren haben, dann sind es ca. 294.000 Personen. Zudem zeigt die Antwort des BMAS, dass es Langzeitarbeitslose über 58 Jahre als hoffnungslose Fälle abschreibt. Angesichts der schrittweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 ist das eine arbeitsmarktpolitische Kapitulation. Schönfärberei verhindert Lösung Geschönte Zahlen verhindern sachgerechte und angemessene Lösungen. Ministerin Nahles scheut ehrliche Zahlen, weil dadurch das Scheitern der Politik für Langzeitarbeitslose noch deutlicher würde.2 Darüber hinaus fiele die Diskrepanz zwischen der Größe des Problems und der von Nahles angebotenen Lösung noch eklatanter als ohnehin aus. Obwohl Langzeitarbeitslose in den letzten Jahren kaum von der positiven Beschäftigungsentwicklung profitiert haben, hat Ministerin Nahles lediglich zwei Programme für maximal 43.000 Langzeitarbeitslose aufgelegt. Statt kleiner Sonderprogramme für Wenige sind für die Problemlösung jedoch weitaus größere Anstrengungen erforderlich. Erforderlich wären erhebliche Investitionen in Qualifizierung und Unterstützung und die Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarkts. Beide Schritte wären ein wichtiges Signal an die Langzeitarbeitslosen, dass sie nicht vollends vergessen werden. Diese Sorge besteht, weil die öffentliche Debatte zurzeit im Wesentlichen von der Frage der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen beherrscht wird. Mit einer neuen Politik für Langzeitarbeitslose können soziale Konflikte und Neiddiskussionen von vornherein verhindert werden. Statistik endlich ehrlich machen
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http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/057/1805757.pdf
Von den 1,47 Millionen Menschen, die 2014 aus Langzeitarbeitslosigkeit abgegangen sind, haben lediglich 185.000 eine Stelle am 1. Arbeitsmarkt gefunden. Berücksichtigt man, dass nach einem Monat 22 Prozent dieser Arbeitsverhältnisse nicht mehr bestanden, kann konnten nur 10 Prozent ihre Langzeitarbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer Beschäftigung am 1. Arbeitsmarkt beenden (ebd., S. 4, Antwort auf Frage 5). Vgl. außerdem vgl. http://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/ Personengruppen/generische-Publikationen/Langzeitarbeitslosigkeit.pdf, Abb. 11 (S. 15) 2
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Dazu muss auch endlich die Statistik transparenter werden. Der unsägliche § 53a SGB II, der über 58-Jährige ohne Jobangebot aus der Arbeitslosenstatistik tilgt, muss dafür ersatzlos gestrichen werden. Gerade weil es für ältere Langzeitarbeitslose besonders schwierig ist, eine neue Arbeit zu finden, brauchen sie viel Unterstützung. Mit dem Verschwinden aus der Arbeitslosenstatistik schwindet aber meistens auch das Engagement für diese Gruppe in den Jobcentern. Auch das Konzept der „schädlichen Unterbrechungen“ muss neu konzipiert werden. Selbst wenn eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme die Messung der Dauer der Arbeitslosigkeit unterbricht, rechtfertigt dies nicht die Löschung der vorherigen Arbeitslosigkeitsphase nach Maßnahmeende. Gleiches gilt bei Aufnahme einer Arbeit, wenn das Arbeitsverhältnis nicht einmal einen Monat anhält und im Extremfall vielleicht sogar bereits nach einem Tag wieder beendet wird. Wenn sich an der grundsätzlichen Situation nichts geändert hat, dann dürfen aus Langzeitarbeitslosen nicht einfach wieder Kurzzeitarbeitslose werden. Fragwürdige Regelungen Einen bereinigenden Effekt auf die Langzeitarbeitslosenzahlen hat die Regelung nach § 53a SGB II. Hierunter fallen zurzeit ca. 165.500 Personen.3 Sie sind über 58-jährige Arbeitslosengeld-II-Bezieher und haben ein Jahr kein Arbeitsangebot bekommen. Danach werden sie aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen, obwohl sie weiterhin nach Arbeit suchen und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Anwendung dieser Regelung rechtfertigt das BMAS wie folgt: „(Es) kann angenommen werden, dass ihre Integrationschancen eingeschränkt bleiben und sie nicht mehr alle Möglichkeiten nutzen können, ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Sie stehen damit zwar nicht erklärtermaßen, aber faktisch der Arbeitsvermittlung nur begrenzt zur Verfügung.“4 Das BMAS hat ältere Langzeitarbeitslose offensichtlich abgeschrieben. Statistikentlastend wirkt auch das Konzept der sogenannten „schädlichen Unterbrechung“. Zu einer schädlichen Unterbrechung kommt es zum Beispiel dann, wenn ein Arbeitsloser (mindestens) einen Tag gearbeitet, oder an einer Maßnahme der aktiven Arbeitsmarktpolitik teilgenommen hat (ausgenommen Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung) oder länger als sechs Wochen krank war. Danach wird er in der Statistik wieder auf null Tage Arbeitslosigkeit gesetzt, die Zeit der Arbeitslosigkeit vor der Unterbrechung zählt nicht mehr. Das gilt auch, wenn sich an seiner grundsätzliche Lage nichts geändert hat. Es kann nur vermutet werden, um wie viele Personen jährlich die Langzeitarbeitslosigkeit jährlich dadurch bereinigt wird. Es handelt sich aber keineswegs um Einzelfälle: •
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat beispielhaft für den Unterbrechungsgrund „Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme“ errechnet, in welchem Umfang dadurch die Zahl der Langzeitarbeitslosen nach unten geht.5 Legt man dieses Ergebnis auf die Zahl
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http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/057/1805757.pdf, S. 5 (Antwort auf Frage 7)
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Ebd, S. 3 (Antwort auf Frage 4)
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vgl. http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/unterbr_lazalo.pdf
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der Langzeitarbeitslosen im Jahr 2014 an, hätte deren Zahl um 88.000 höher als die offiziellen 1,1 Millionen gelegen. •
Ein weiteres Beispiel: 2013 waren 22 Prozent aller Langzeitarbeitslosen, die eine Beschäftigung am 1. Arbeitsmarkt aufnahmen, einen Monat später schon wieder ohne Job.6 Bezogen auf das Jahr 2014 bedeutet das, dass von 185.000 Personen knapp 41.000 nach weniger als einem Monat bereits wieder auf der Straße standen.7
vgl. http://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/ Personengruppen/generische-Publikationen/Langzeitarbeitslosigkeit.pdf, Abb. 11 (S. 15) 6
vgl. http://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/ Personengruppen/generische-Publikationen/Langzeitarbeitslosigkeit.pdf, Abb.8 (S. 12) 7
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