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Überblick über die liturgischen Gesänge der Koptischen Kirche
Dr. Michael Ghattas
Überblick über die liturgischen Gesänge der Koptischen Kirche
Abb.: 1
Die koptische Musik stellt eine der ältesten Formen geistlicher Musik des Vorderen Orients dar. Sie ist sehr alt und aufgrund des konservativen Wesens der koptischen Kirche ist sie ohne oder nur einem geringen Maß an Veränderungen erhalten geblieben. Es ist anzunehmen, dass die Hauptcharakteristika der koptischen Musik aus der Musik des alten Ägypten übernommen wurden. Sie bildet den Ausklang und die Fortsetzung der altägyptischen Musiktradition, sowohl in ihrem geistlichen als auch im weltlichen Bereich. Es wäre von höchstem Interesse, beim Studium sakraler Musik herauszufinden, wie viel gegenseitige Einflussnahme stattfand zwischen der liturgischen koptischen Musik des alten Ägypten einerseits und der byzantinischen Musik und den gregorianischen Gesängen im Westen andererseits. Dieses Gebiet liegt immer noch weitgehend im Dunkeln; bedingt durch unsere begrenzten Kenntnisse in der koptischen Musikwissenschaft, obwohl gewisse Kriterien durchaus als historisch belegbar betrachtet werden können. Die Musik der Koptischen Kirche ist die älteste Musik des Christentums. Sie wurde von Priestern und Vorsängern von Generation zu Generation mündlich überliefert und ist bis heute fast unverändert erhalten geblieben. Koptische Musik ist vor allem vokal und die Verwendung von Becken und Triangel in den Kirchen wurde sicherlich erst im Laufe des Mittelalters eingeführt, lange nach der Periode des FrühChristentums. Ebenso kann man annehmen, dass in den städtischen Kirchen Hinzufügungen von arabischen und anderen orientalischen Elementen die ursprüngliche Struktur dieser Musik überlagert haben. Insofern wäre es für den forschenden Wissenschaftler nötig, in einsamen Klöstern in der Wüste oder in abgelegenen Landkirchen im Herzen Oberägyptens nach ihren reineren Formen zu suchen. Die Sprache der Liturgie ist koptisch. Dies war die ägyptische Umgangssprache, deren Wurzeln aus der neuägyptischen Sprache stammen. Ihre Schrift benutzt das griechische Alphabet, ergänzt um sieben Buchstaben der Demotischen Schrift. Außer einigen stillen Gebeten des Priesters und den Lesungen aus der Heiligen Schrift ist die koptische Liturgie ein gänzlich gesungener Ritus. Unter traditionellen koptischen Melodien versteht man heute vor allem die Melodien der liturgischen Musik. Nur zu gerne möchte man mehr wissen wollen über traditionelle koptische Volksmelodien, aber koptische Volksmusik auch wissenschaftlich aufzuzeigen ist keine leichte Aufgabe. Bis ins 20.
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Überblick über die liturgischen Gesänge der Koptischen Kirche
Jahrhundert war die koptische Musik nicht in Notenschrift niedergelegt, erst 1927 hat man damit begonnen, die Gesänge schriftlich festzuhalten. Bereits im 2. Jahrhundert wurde die Instrumentalmusik aus der Liturgie verbannt. Schon Klemens von Alexandrien (150-220) schrieb, dass nur die menschliche Stimme würdig ist, um Gott zu loben. Er stand nicht allein da mit seiner Meinung über die Instrumentalmusik.
Mikhael Al Batanouny, Kantor (+ 1957)
Doch haben sich zwei Schlaginstrumente in der koptischen liturgischen Musik bis heute halten können. Es sind dies Triangel und Becken. Die Instrumente unterstützen nur die Gesänge, sie dürfen niemals beherrschen. Deshalb sind sie nicht so sehr, „Taktschläger“. Vielmehr werden sie eingesetzt bei Höhepunkten in Texten. Sie geben den Gesängen einen zusätzlichen Glanz durch ihre abwechselnden, dem einstimmigen Gesang entgegengestellten Polyrhythmen.
Ein Charakteristikum der koptischen Liturgie ist der Wechselgesang zwischen Priester, Diakonen und Volk. Die koptische Musik wird in verschiedenen „Tönen“ gesungen. Neben denen zur allgemeinen Jahreszeit gibt es fünf Töne zu bestimmten Anlässen: Die Melodien zur Karwoche werden im Trauerton gesungen. Diese Melodien stammen aus den altägyptischen Zeremonien der Königsbegräbnisse. Sie drücken Gefühle tiefer lang anhaltender Trauer aus. Weiter kennen wir den Feierton zu den Herrenfesten, den Ton zur Fastenzeit, den Ton zur Adventszeit und den Ton Sha’anin (von hebräisch Hosianna = erlöse uns) zu Palmsonntag und den Kreuzfesten. Die koptische Musik wurde Jahrhunderte lang ausschließlich mündlich überliefert. Durch die mündliche Überlieferung wird neben der Melodie auch die Vortragsweise wie Klangfarbe, Verzierung und Tempo festgehalten. So wie auch das Gotteswort in mündlicher Form an erster Stelle steht und die christlichen Texte in der Abb.: 2 Der Koptische Patriarch koptischen Kirche immer gesungen worden sind, werden auch die Kyrellos VI verwendet die Melodien durch die mündliche Überlieferung weiter vermittelt. Bis Triangel während der Liturgie. heute lehrt der Kantor seinen Schülern in mühevoller Arbeit die schwierigen Gesänge durch stetes Wiederholen. Die einzigen Hilfsmittel waren lange Zeit Handzeichen, vergleichbar mit den Cheironomen, die man auf Alt-Ägyptischen Grabwänden sehen kann. Heute hat jeder Vorsänger seine eigenen Zeichen entwickelt und nur seine Schüler kennen die genaue Bedeutung derselben. Aufgrund der Tatsache, dass die Kantoren der Koptischen Kirche in der Regel blind waren und sind, wurde verständlicherweise auf eine Notation verzichtet. Jedes Wort in der koptischen Liturgie ist für westliche Begriffe gesungen. Die koptische Sprache kennt auch kein eindeutiges Abb.: 3 Dr. Michael Ghattas mit dem Wort für ,singen’. Das koptische Wort ,,Hoos“ heißt sowohl blinden, Ersten Kantor der koptischen ,loben’, ,preisen’ als auch ,singen’. „goo“ kann übersetzt werden mit ,sprechen’, ,rezitieren’, ,sich äußern’ und auch wieder orthodoxen Kirche Gad Lewes. ,singen’. „Retoore“ heißt sowohl , schlagen’, ,stampfen’, ,den Takt schlagen’ und ebenfalls ,singen’. Die Texte selbst, und zum Teil auch die Gelegenheit zu welchem Zeitpunkt ein Text gelesen wird, bestimmen das Tempo, also die Geschwindigkeit, womit ein Text vorgetragen wird. Auch die Tonhöhe des Gesanges hängt ab von der Stimmlage des Kantors und hat weiter keine symbolischen Werte.
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Überblick über die liturgischen Gesänge der Koptischen Kirche
Die Musikwissenschaftlerin und Koptologin Dr. Magdalena Kuhn hat die koptischen Hymnen folgendermaßen beschrieben: 1) Ein Solist singt die Hymne. 2) Die Hymne wird als ,Responsorialgesang’ gesungen, das heißt, ein Vorsänger singt die Hymne und wird in bestimmten Momenten unterbrochen durch einen Chor oder die Gemeinde, die kurze Einwürfe einfügt wie zum Beispiel ,Halleluja’ oder ,Amen’. 3) Als ,Antiphonalgesang’. Zwei Chöre oder ein Vorsänger und ein Chor singen abwechselnd Strophe um Strophe oder Gruppen von zwei Strophen. Die koptische Musik hat keine vollständige Theorie über die Melodietypen oder Tropen und Improvisationen entwickelt. Die Melodietypen der koptischen Musik werden oft mit dem arabischen Wort ,Lahn’ oder dem griechischen Wort ,Hxos’ bezeichnet.
Chor einer koptisch orthodoxen Kirche mit einem blinden Kantor: Nagi Nomaan
Abschließend will ich eine bemerkenswerte Feststellung aus einer Vorlesung des englischen Musikwissenschaftlers Ernst Newlandsmith von der Universität Oxford über die koptische Musik zitieren:
„.... Und wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass die diatonische Musik, obwohl sie auf derselben natürlichen Tonleiter basiert, im Osten anders als im Westen verwendet wird; und wenn wir zu der Erkenntnis gelangen, dass es eine alte orientalische Praxis in der chromatischen Musik gibt, welche nicht weniger als 253 untransponierte Oktavtonleitern kennt, dann sollten wir auf jeden Fall mit Vorsicht voranschreiten! Denn es ist nahezu unmöglich, die endlosen Verflechtungen zu erfassen, zu denen eine solch weitgespannte Ordnung von Tonleitern in der Lage ist. Eine derartige Grundlage der Musik eröffnet einen Ausblick, von dem die ersten Musikwissenschaftler der westlichen Welt nicht einmal zu träumen wagen“.
____________________________________________________________________________________ Bildnachweis: Abb.:1 und 3, privat, Prof. Mina Abd El Malek Abb.:1 Die Schlaginstrumente in der koptischen Liturgie: Becken (arab. Ndaf) und Triangel (arab. Terianto): Patriarch Kyrellos VI und der Kantor Habeeb Hana Al Merahem während des Gottesdiensts Abb.: 2 Dr. Michael Ghattas:http://www.google.de/imgres?imgurl=http://www.copticcairo.com/culture/music/files/page9_1.jpg&imgrefurl=http://www.coptic-cairo.com Abb.:4 Institut du Monde Arabe, Paris Abb.: 5 privat, Dr. Michael Ghattas
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