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BERENBERG IMPULS
2. Dezember 2015
VOR DEM ZINS SIND NICHT ALLE GLEICH Die Konsequenzen einer jahrelangen „Nullzins“-Politik scheinen der Breite noch gar nicht bewusst. Von Florian Koch, Berenberg Investment Advisory Private Banking
AUF E INE N BLICK • Die meisten Menschen haben sich mit dem niedrigen Zinsniveau mittlerweile abgefunden. • Die Risiken am Kapitalmarkt erhöhen sich, weil traditionelle Investments keine ausreichende Rendite mehr erbringen. • Viele Marktakteure stehen vor Herausforderungen.
Seit über sechs Jahren schon ärgert sich der deutsche Sparer – egal ob arm oder reich – wegen der mickrigen Zinsen. Phasen mit sehr niedrigen Leitzinsen sind zwar ungewöhnlich, waren aber in der Vergangenheit schon des Öfteren zu beobachten. Selbst in Deutschland gab es in den 70er Jahren kurze Intervalle, in denen der Notenbankzins unter der laufenden Inflationsrate lag, der kurzfristige Realzins also negativ war. Zumindest die kurzfristigen Geldmarktzinsen sind seit Jahren massiv unter Druck. Die meisten haben sich mit der neuen Situation abgefunden. Sie rechnen in absehbarer Zeit nicht mit höheren Zinsen. Gegen niedrige Leitzinsen als Instrument zur Nachfragesteuerung im Konjunkturzyklus ist nichts einzuwenden – sie sind aus der heutigen Wirtschaftspolitik auch quasi nicht mehr wegzudenken. Die Märkte reagieren in der Regel positiv auf niedrige Zinsen. Und Aktien- wie Rentenkurse steigen seit Jahren. Betrachtet man ihn rein volkswirtschaftlich, ist der Zins nichts anderes als der Preis des Geldes. Aber Vorsicht, wenn die Zinsen dauerhaft niedrig sind. Dann überwiegen die Nachteile. Das Phänomen der niedrigen Zinsen scheint dabei vielfältiger zu sein und in zahlreichen Teilen der Welt aufzutreten. Dabei scheinen die Konsequenzen einer jahrelangen „Nullzins“-Politik in der Breite gar nicht bewusst. Selbst die Bundesbank warnt mittlerweile vor den Auswirkungen zu langer zu niedriger Zinsen. Als Gewerbetreibender oder Hausbauer, der einen günstigen Kredit bekommt, als Arbeitnehmer, der von der wachsenden Wirtschaft profitiert oder als Anteilseigner, der an einem Unternehmen mit Eigenkapital beteiligt ist, profitieren derzeit die einen von einem Umfeld, das andere als Sparer belastet. Dabei ist es
gerade das Ziel einer expansiven Geldpolitik, die kurzfristige Nachfrage zu fördern, also die Sparer vorübergehend stärker zu Konsumenten und Investoren zu machen. Es kann aber auch zum Gegenteil, also zu einer höheren Sparquote, führen, weil sonst die Sparziele, wenn sie zum Beispiel der Altersvorsorge dienen, nicht erreicht werden. Die Gefahr von Fehlinvestitionen nimmt tendenziell zu, weil der Zins als Maßstab zur Beurteilung der Rentabilität von Investitionsprojekte nicht mehr herangezogen werden kann. Die Risiken am Kapitalmarkt erhöhen sich, nicht weil die Anleger risikofreudiger geworden sind, sondern weil sie für ihre traditionellen Investments keine ordentlichen Renditen mehr finden. Daher ist der Trend hin zu Wohnimmobilien wegen der sehr niedrigen Renditen von alternativen Anlagen wieder stärker in den Fokus der Anleger gerückt. Die Suche nach einer krisenfesten Anlage, das sogenannte Betongoldmotiv, hat vor allem die Nachfrage nach Eigentumswohnungen in Großstädten belebt und führt schon seit Jahren in den Ballungszentren zu teilweise enormen Preisschüben. Die Zinssenkungen in der Krise und die großzügige Liquiditätsversorgung haben zur kurzfristigen Stabilisierung des Finanzsystems freilich beigetragen. Allerdings könnte ein dauerhaft niedriges Zinsniveau die Risikotragfähigkeit vieler Versicherer in Frage stellen. Je schwächer die Ertragslage von Banken ist, desto schwieriger ist es für sie, Eigenkapitalpuffer aufzubauen. Geringeres Eigenkapital geht mit einer höheren Anfälligkeit gegenüber wirtschaftlichen Problemen einher. Daher bedeutet das Niedrigzinsumfeld auch Herausforderungen für die Bankenlandschaft. Für den Sparkassensektor zum Beispiel war die Transformation kurzfristiger (Kunden-)Einlagen in langfristige Ausleihungen in Form von Krediten traditionell ein Kerngeschäft. Das wurde in den letzten Jahren durch das niedrige Zinsniveau immer weniger rentabel. Kreditinstitute müssen sich zurzeit demnach verstärkt neuen Ertragsbringern wie dem Provisionsgeschäft widmen.
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Erhebliche Folgen hat die anhaltende Niedrigzinsphase auch für die Altersvorsorge. Um im wohlverdienten Ruhestand gut versorgt zu sein, müssten die Deutschen deutlich mehr private und betriebliche Vorsorge betreiben, als sie dies bisher tun. Die niedrigen Zinsen machen die Vorsorgeprodukte allerdings unattraktiver. Für viele andere Unternehmen wird durch den Renditeverfall die Last der zugesicherten Betriebsrenten immer schwerer. Aufgrund restriktiver Regulierungen sind Versicherer und Pensionsfonds gezwungen, in festverzinsliche Anlagen wie Anleihen zu investieren, die derzeit extrem geringe bis gar keine Rendite mehr bringen. Der durchschnittliche Garantiezins aus früheren Lebensversicherungen liegt derzeit noch bei über 3 Prozent aufgrund der hoch verzinsten Altverträge. Nur für die Neuverträge von Kapitallebensversicherungen beträgt der Garantiezins heute nunmehr „marktgerechte“ 1,25 Prozent.
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Die Auswirkungen einer ausgeprägten Niedrigzinsphase sind demnach vielfältig. Auf der einen Seite wirkt sie konjunkturfördernd. Allerdings ist sie auch mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Wenngleich also eine expansive Geldpolitik vor dem Hintergrund der Preisentwicklungen gerechtfertigt erscheint, darf das nicht den Blick für die zahlreichen Herausforderungen verstellen, die mit dem Niedrigzinsumfeld einhergehen. Unsere Standorte: HAMBURG +49 40 350 60-513 BIELEFELD +49 521 97 79-0 BRAUNSCHWEIG +49 531 12 05 82-0 BREMEN +49 421 348 75-0 DÜSSELDORF +49 211 54 07 28-0 FRANKFURT +49 69 91 30 90-0 GENF +41 22 308 59-00
Die Geldschwemme der EZB bringt jedoch nicht nur Verlierer hervor, sondern auch Gewinner. Denn die Preise an den Aktienund Immobilienmärkten kletterten in den vergangenen Jahren in Deutschland in die Höhe. Unternehmen profitieren von den Niedrigzinsen, wenn sie in reale Wirtschaftsgüter investieren, vor allem wenn sie dafür einen Kredit aufnehmen. Größter Profiteur der langen Niedrigzinsphase ist in allen Euro-Staaten der Staat. Gerade der Bund profitiert wegen seiner sehr guten Bonität von dem weltweiten Drang nach besonders sicheren und liquiden Kapitalanlagemöglichkeiten und von steigenden Steuereinnahmen dank recht guter gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Hier setzt sich eine Entwicklung fort, die schon einige Jahre zuvor begonnen hat. Anfang der 1990er Jahre lag die durchschnittliche Verzinsung der deutschen Staatsschulden noch bei 8 Prozent, bis 2007 war sie auf 4,3 Prozent gesunken, aktuell dürfte sie deutlich tiefer liegen.
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Florian Koch Investment Advisory – Private Banking Berenberg Unser Autor Florian Koch ist Mitarbeiter im Investment Advisory. Als unabhängiger Produktspezialist entwickelt das Team Investmentideen für Kunden des Private Banking.
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