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Bericht Zur Förderung Der Integration In Unseren Gesellschaften

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Bericht von Frau Annegret Kramp-Karrenbauer und Herrn Jean-Marc Ayrault zur Förderung der Integration in unseren Gesellschaften Überreicht an die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und an den Präsidenten der Republik Frankreich anlässlich des 18. Deutsch-Französischen Ministerrats Metz, 07. April 2016 Inhaltsverzeichnis Sachstand zur Integration in Frankreich und in Deutschland und Bilanz der deutsch-französischen Zusammenarbeit Unterschiedliche Zuwanderungstraditionen in Deutschland und Frankreich 7 9 Annäherung der deutschen und französischen Integrationsmodelle 11 Eine privilegierte bilaterale Zusammenarbeit im Bereich Integration und Chancengleichheit (Deutsch-Französischer Ministerrat, 13.03.2006) 13 Die Herausforderungen der Integration in Frankreich und in Deutschland in den letzten zehn Jahren 15 Integration durch Staatsbürgerschaft und Kampf gegen Diskriminierungen 20 Die Achtung der gemeinsamen Werte 21 Der Kampf gegen Radikalisierung 23 Die Integration der Flüchtlinge 24 Vorschläge zu bilateralen Projekten und Initiativen zur Förderung der Integration und des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften und ihre Verstetigung 27 Verstetigung der deutsch-französischen Zusammenarbeit beim Thema Integration 29 Weiterentwicklung der Zusammenarbeit und des Austausches zwischen den deutschen und französischen Akteuren im Integrationsbereich 30 Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Kampf gegen Diskriminierung Deutsch-französische Mobilitätsinitiative zur Förderung der Integration und des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften, die sich insbesondere an Jugendliche richtet Deutsch-französisches Programm zur Förderung der Vielfalt und zum Kampf gegen Diskriminierung 31 Bildung und Forschung 34 Wirtschaft, Beschäftigung und Ausbildung 36 Kultur, Sport und Medien 37 Anhänge 32 33 41 Der Deutsch-Französische Ministerrat vom 31. März 2015 hat uns beauftragt, bilaterale Projekte zur Förderung der Integration und des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften zu erarbeiten. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass Deutschland und Frankreich als Triebkräfte des europäischen Aufbaus und als Länder, deren Schicksale untrennbar miteinander verbunden sind, gemeinsam an dieser großen Aufgabe und dieser für die Entwicklung unserer Gesellschaften bedeutsamen Frage arbeiten. Unsere Vorschläge zielen darauf ab, die gleiche Teilhabe für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu ermöglichen, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und alle Formen der Diskriminierung zu bekämpfen. Hiermit wollen wir zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen, damit alle Bürger gemeinsam diese Gesellschaften bilden und an ihnen gleichberechtigt teilhaben, unabhängig von ihren Wurzeln, ihrem Glauben und ihren Lebensbedingungen, geeint in Vielfalt und unter Wahrung unserer Werte. All das gehört ebenso dazu wie die Teilhabe an Bildung und den Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Frankreich und Deutschland haben in Bezug auf die Zuwanderung nicht dieselbe Geschichte, aber sie können voneinander lernen, was Erfolge und Misserfolge hinsichtlich der Erfahrungen und politischen Strategien anbelangt, und gemeinsam neue Initiativen anstoßen. Durch den Dialog, den Austausch und die Zusammenarbeit bei diesen großen Herausforderungen und durch die Versachlichung der Debatte können sie Wege auf dem Pfad der Integration pluraler Gesellschaften aufzeigen, einen Mehrwert für andere europäische Länder generieren, die vor vergleichbaren Problemen stehen, und damit zur Entwicklung europäischer Lösungsansätze beitragen. Dabei haben Frankreich und Deutschland eine besondere Verpflichtung, zusammen die Grundlagen für eine gemeinsame Politik zu legen und den europäischen Werten Gewicht zu verleihen. Der im Brief des französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin formulierten Aufforderung folgend, haben wir unsere Aufmerksamkeit den Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe und des bürgerschaftlichen Engagements, der Bildung, der Ausbildung, der Beschäftigung, der Mobilität und der Kultur sowie dem Kampf gegen Diskriminierung gewidmet. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stand die Jugend. Auch eine europäische Erweiterung unserer bilateralen Zusammenarbeit wurde angestrebt. 5 Wir haben die neue Herausforderung des Zuzugs von Flüchtlingen berücksichtigt: Alle europäischen Länder sind aufgerufen, die Aufnahme der Flüchtlinge in verantwortlicher und solidarischer Weise zu regeln, ebenso wie die daraus resultierende Aufgabe zur Integration. Wir haben in Frankreich und in Deutschland mehrere Besuche vor Ort durchgeführt (Berlin, Nantes, Hamburg, Nancy, Clichy-sous-Bois). Wir waren darauf bedacht, Akteure der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu mobilisieren, insbesondere das DeutschFranzösische Jugendwerk (DFJW), das Deutsch-Französische Sekretariat für den Austausch in der beruflichen Bildung (DFS), die Deutsch-Französische Hochschule (DFH) und den Deutsch-Französischen Kulturrat (DFKR), denen wir für ihr Engagement danken. Wir bedanken uns bei France Stratégie für die Organisation des deutsch-französischen Studientags unter dem Titel „Regards croisés sur l’intégration“ [Verschiedene Perspektiven auf das Thema Integration] in Paris, sowie bei allen Intellektuellen, Forschern und Akteuren vor Ort, mit denen wir uns während unserer Besuche austauschen konnten. Auf deutscher Seite erfolgte die Arbeit in enger Abstimmung mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Staatsministerin Aydan Özoğuz. Auf französischer Seite nahm Frau Ericka Bareigts, Staatsministerin für tatsächliche Gleichstellung, am Besuch in Clichy-sous-Bois teil. Wir werden zunächst den Sachstand zur Integration in Frankreich und Deutschland beschreiben sowie eine Bilanz zur diesbezüglichen deutsch-französischen Zusammenarbeit ziehen, die 2006 initiiert wurde, um im Anschluss daran unsere konkreten Vorschläge für die Wiederbelebung der Zusammenarbeit zu unterbreiten. 6 SACHSTAND ZUR INTEGRATION IN FRANKREICH UND IN DEUTSCHLAND UND BILANZ DER DEUTSCH-FRANZÖSISCHEN ZUSAMMENARBEIT Im Bereich der Zuwanderung und Integration blicken Deutschland und Frankreich auf eine unterschiedliche Geschichte zurück. Jedoch kam es zu einer Annäherung der Integrationspolitik, die im Jahr 2006 zur Aufnahme einer bilateralen Zusammenarbeit bei diesem Thema führte. Diese Zusammenarbeit gilt es nun wiederzubeleben, um sich den neuen Herausforderungen der Integration in beiden Ländern zu stellen. Unterschiedliche Zuwanderungstraditionen in Deutschland und Frankreich Aufgrund seiner demografischen Schwäche hatte Frankreich eine erhebliche Zuwanderung aus europäischen Ländern zu verzeichnen, die im 19. Jahrhundert begann (Belgien, Italien, Polen, dann ab 1945 Portugal und Spanien) und im 20. Jahrhundert durch eine starke Wirtschaftsmigration aus nichteuropäischen, vorrangig afrikanischen Ländern, fortgesetzt wurde (insbesondere aus dem Maghreb und auch aus den ehemaligen französischen Kolonien im subsaharischen Afrika). Frankreich hat seit 1889 das ius soli, d.h. das Prinzip des Geburtsortes, als Tatbestand zum Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft neben dem fortbestehenden Grundsatz des ius sanguinis etabliert. Kinder, die in Frankreich geboren sind, erhalten danach mit der Geburt in Frankreich die französische Staatsbürgerschaft, wenn zumindest ein Elternteil in Frankreich geboren ist. In Deutschland herrschte lange Zeit ein Verständnis der Staatsbürgerschaft vor, das im ius sanguinis [Abstammungsprinzip] als dem zentralen Erwerbstatbestand der deutschen Staatsbürgerschaft zum Ausdruck kam. Beginnend mit dem Jahr 1990 wurden die Regelungen zur Erleichterung der Einbürgerung als Teil einer umfassenderen Gesetzgebung zur Integration der in Deutschland dauerhaft lebenden Ausländer geschaffen und stetig weiter liberalisiert. Seit 1993 besteht für lang ansässige Ausländer ein Anspruch auf Einbürgerung. Adressaten dieser Regelung waren vor allem die sogenannten „Gastarbeiter“, die seit den 1950er Jahren (über Verträge mit Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien, Jugoslawien) in großer Zahl als Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen waren. Es setzte sich damals die Erkenntnis durch, dass diese Arbeitskräfte nicht, wie ursprünglich gedacht, in ihre Herkunftsländer zurückkehren, sondern dauerhaft in Deutschland bleiben würden. Es stellte sich damit die Frage der nachhaltigen Integration der in Deutschland niedergelassenen Ausländer auch durch den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft im Wege der Einbürgerung. 9 Auch in Frankreich war das Zuwanderungsgeschehen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet durch temporäre Arbeitswanderungen vor allem männlicher Saisonwanderer, die ohne ihre Familien kamen. Von Assimilation und Integration wurde anfangs nicht gesprochen. Im Gefolge der Wirtschaftskrise wurde nach 1974 ein Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte verhängt. Rückkehrförderung und Zuwanderungsbeschränkung waren das Ziel. Dieses Ziel wurde nicht erreicht, vielmehr setzte sich die Zuwanderung insbesondere durch die Familienzusammenführung fort (Modell des „langsamen Auffüllens“, nicht des „massiven Hereinbrechens“, François Héran). Eine vergleichbare Entwicklung ereignete sich in Deutschland: Ebenso wie in Frankreich ging trotz des Anwerbestopps für ausländische Arbeitnehmer die Zahl derer, die sich dauerhaft in Deutschland niederließen und nun ihre Familien nachholten, nicht zurück. Viele Ausländer in Deutschland lebten in dieser Zeit in der paradoxen Situation von Einwanderern ohne Einwanderungsland, denn Deutschland beschrieb sich selbst als Nichteinwanderungsland im Gegensatz zu Frankreich, dass eine zielgerichtete Politik der Einbürgerung und der Assimilation verfolgte. Erst in den 1990er Jahren setzte in Deutschland ein Sinneswandel ein. Neben der Zuwanderung von Arbeitskräften hat Deutschland eine starke Tradition bei der Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen, wobei es Zeiten mit größerer Aufnahme gab (Flüchtlinge aus dem Balkan im Gefolge des Jugoslawienkriegs in den 1990er Jahren, syrische und irakische Bürgerkriegsflüchtlinge und Afghanen in der jüngsten Zeit), während Frankreich eine geringere, aber kontinuierlichere Zahl an Asylanträgen verzeichnete. Heute machen Zuwanderer und die Kinder der Zuwanderer einen bedeutenden Teil der Bevölkerung unserer beiden Länder aus: Ein Viertel in Frankreich und ein Fünftel in Deutschland, wobei der Anteil der Zuwanderer der ersten Generation in Deutschland höher ist als in Frankreich. Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund1 gehören in Deutschland definitionsgemäß auch die 1 Spät-/Aussiedler,2 die in großer Zahl Entsprechend der Definition des Statistischen Bundesamtes gehören dazu alle Personen, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugewandert sind, sowie alle Ausländer, die in Deutschland geboren wurden. Hinzu kommen Personen, die in Deutschland als Deutsche geboren wurden und mindestens einen zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil haben. 2 Aussiedler sind deutsche Staatsangehörige oder Volkszugehörige, die nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen und vor dem 1. Januar 1993 im Wege des Aufnahmeverfahrens die ehemaligen deutschen Ostgebiete, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, die ehemalige Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien oder China verlassen haben. Als Spätaussiedler gelten die seit dem 1. Januar 1993 nach dem Bundesvertriebenengesetz aufgenommenen Antragsteller deutscher Herkunft. 10 insbesondere nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs nach Deutschland kamen (ca. 4,5 Mio. Aussiedler aus Osteuropa zwischen 1950 und 2006). In unseren beiden Ländern gibt es Menschen unterschiedlicher Religionen, darunter viele Menschen muslimischen Glaubens. Sie werden in Deutschland auf vier Millionen und in Frankreich auf sechs Millionen Menschen geschätzt. In Deutschland ist die geografische Differenzierung aufgrund der Unterschiede zwischen den alten Bundesländern einschließlich Westberlin, die eine lange Zuwanderungstradition haben (in Frankfurt haben zwei Drittel der Schüler, in Hamburg die Hälfte der Schüler einen Migrationshintergrund), und den neuen Ländern, wo es, wie auch in osteuropäischen Ländern, deutlich weniger Zuwanderer gab, ausgeprägter als in Frankreich. Annäherung der deutschen und französischen Integrationsmodelle Aufgrund dieser gleichzeitig unterschiedlichen und doch parallelen Entwicklungen haben sich beide Länder angenähert. Beide haben in den 1990er Jahren politische Maßnahmen zur Bekämpfung der städtischen Segregation und zur Förderung sozialer Aktivitäten ergriffen (z. B. die Programme politique de la ville in Frankreich und Soziale Stadt in Deutschland). Frankreich hat die Integration zu einer nationalen Priorität gemacht und 1989 den Hohen Integrationsrat eingerichtet, (der 2012 aufgelöst wurde), blieb aber gleichzeitig den Grundprinzipien der republikanischen Assimilation treu: Verteidigung der Gleichstellung, Förderung des Staatsbürgertums, Kampf gegen Diskriminierung. Der sogenannte Aufnahme- und Integrationsvertrag, der Sprachkurse und Kurse zur Staatsbürgerkunde vorsieht, ist in Frankreich seit 2007 für Neuankömmlinge verpflichtend. 2006 wurde ein nationales Zentrum für die Geschichte der Immigration gegründet (heute ist es das nationale Museum für die Geschichte der Immigration, Musée national de l'histoire de l'immigration), das den Beitrag der Einwanderung an der Geschichte des Landes würdigen soll. Deutschland hat seinerseits eine bedeutende Reform durchgeführt und im Jahr 2000 als einen weiteren Tatbestand für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft neben das fortbestehende ius sanguinis (und die Einbürgerung) das Territorialitätsprinzip gestellt. Das Gesetz war der erste Schritt zu dem Bekenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist: Seitdem können Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren werden, unter bestimmten Voraussetzungen auch den deutschen Pass bei der Geburt bekommen. 11 Danach erwerben in Deutschland geborene Kinder von in Deutschland seit acht Jahren ansässigen Ausländern mit einem dauerhaften Aufenthaltsrecht mit der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft, die neben die Staatsbürgerschaft der Eltern tritt. Gegenüber Deutschen, die in Deutschland von deutschen Eltern geboren wurden, war die Rechtstellung jener Kinder ursprünglich dadurch abgeschwächt, dass ihre deutsche Staatsbürgerschaft durch die gesetzliche Verpflichtung, nach Volljährigkeit zwischen ihr und der Staatsbürgerschaft der Eltern zu entscheiden, auflösend bedingt war (Optionspflicht). Die Optionspflicht wurde 2014 für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern weitgehend aufgehoben. Sie gilt danach nicht für Kinder, die sich bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres acht Jahre gewöhnlich in Deutschland aufgehalten und sechs Jahre in Deutschland eine Schule besucht haben oder über einen in Deutschland erworbenen Schulabschluss bzw. einen in Deutschland erworbenen Berufsabschluss verfügen. Diese Regelung kommt dem französischen Gesetz, wonach in Frankreich geborene Kinder ausländischer Eltern die französische Staatsbürgerschaft mit der Volljährigkeit erhalten, wenn sie zum Zeitpunkt der Volljährigkeit ihren Wohnsitz in Frankreich haben und seit dem Alter von elf Jahren mindestens fünf Jahre lang mit oder ohne Unterbrechung in ständigen Wohnsitz in Frankreich hatten, sehr nahe. Mit dem Zuwanderungsgesetz 2005 folgte dann ein weiterer Schritt für eine bessere Integration in Deutschland. Mit diesem Gesetz wurden die Integrationskurse zum Erlernen der deutschen Sprache geschaffen. Die Kurse sind ein Erfolg und heute eines der wichtigsten Integrationsinstrumente. Auch hier haben sich die Integrationspolitiken von Frankreich und Deutschland einander angenähert. Die Integrationskurse vermitteln neben deutschen Sprachkenntnissen durch Orientierungskurse auch Kenntnisse über Deutschland, die deutsche Gesellschaft und Rechtsordnung. Ziel der deutschen Integrationspolitik ist es, allen die gleiche Teilhabe an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen. Seit 2006 richtet die Bundeskanzlerin jedes Jahr einen Integrationsgipfel aus, um einen gemeinsamen Dialog von Politik, Zivilgesellschaft und den Organisationen zu führen, die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte repräsentieren. Auch wurde 2006 die Deutsche Islamkonferenz (DIK) ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, den Islam in seiner ganzen Vielfalt in die deutsche Rechtsordnung zu integrieren und einen langfristigen Dialog und ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen den Muslimen und dem Staat (Bund, Länder, Kommunen) zu schaffen. 12 Parallel zu diesen Bemühungen gab es sowohl in Frankreich als auch in Deutschland konfliktträchtige Episoden, die die Schwierigkeiten und Ängste, die mit Zuwanderungsund Integrationsprozessen verbunden sind, deutlich gemacht haben: Anfang der 90er Jahre und auch jetzt wieder verzeichnet Deutschland eine steigende Anzahl von rechtsextremistisch und rassistisch motivierten Übergriffen auf Asylbewerberunterkünfte und Flüchtlinge. Kontroversen über das, was Integration eigentlich bedeutet (z.B. die vor einigen Jahren geführte politische Debatte über die „Leitkultur“, über die Stellung des Islam und die Rechte der Muslime) fanden Eingang in die öffentliche Debatte. In Frankreich gab es heftige Diskussionen über die Einhaltung des Prinzips des Laizismus in Zusammenhang mit dem Verbot zur Schau getragener religiöser Symbole in der Schule (2004 durch ein Gesetz beschlossen). Die schweren Unruhen in den französischen Vorstädten im Jahr 2005 zeigten tiefgreifende soziale Spannungen, hervorgerufen durch die urbane Segregation und das Gefühl der Ausgeschlossenheit bei einem Teil der Jugend, insbesondere bei den in den Vororten lebenden und unter Diskriminierung leidenden Jugendlichen. Eine privilegierte bilaterale Zusammenarbeit im Bereich Integration und Chancengleichheit (Deutsch-Französischer Ministerrat, 13.03.2006) In diesem Gesamtkontext, der von Gemeinsamkeiten, aber auch von Unterschieden geprägt ist, wurde erstmals eine Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern auf dem Feld der Integration begründet. Die vom Deutsch-Französischen Ministerrat am 13. März 2006 verabschiedete Erklärung mit dem Titel „Europa der Chancengleichheit: Integration ist Zukunft“ hat dieses Thema damals zu einem zentralen Anliegen der deutsch-französischen Beziehungen gemacht und ein konkretes Kooperationsprogramm aufgelegt. Zahlreiche Treffen zwischen Abgeordneten, Verwaltungen, wirtschaftlichen Entscheidungsträgern, sozialen und akademischen Akteuren und der Zivilgesellschaft zum Thema Integration fanden statt. Das Deutsch-Französische Institut in Ludwigsburg rief damals ein Best-Practice-Forum ins Leben, das mehrfach zusammentrat. Mehrere in Frankreich entwickelte Instrumente inspirierten Entwicklungen in Deutschland. Die 2004 von französischen Unternehmen verabschiedete Charta der Vielfalt diente als Vorlage für die 2006 von deutschen Unternehmen verabschiedete Charta. Diese hat inzwischen großen Zuspruch. Mehr als 2000 Unternehmen und öffentliche Einrichtungen gehören der deutschen Charta an und über 400 von ihnen 13 nehmen am jährlich stattfindenden Tag der Vielfalt teil. Die französische Charta hat inzwischen mehr als 3000 Mitglieder. In Frankreich gibt es seit 1991 einen Staatssekretär bzw. einen Minister für Integration: Derzeit ist das Innenministerium für die Integration neuankommender Flüchtlinge zuständig, und eine Staatssekretärin für tatsächliche Gleichstellung, die dem Premierminister untersteht, ist für den Kampf gegen Diskriminierung zuständig. In Deutschland ist das Bundesministerium des Innern für Integration zuständig. In Weiterentwicklung des Amtes des Beauftragten zur Förderung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen wurde 2005 das Amt des/der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration eingerichtet. Es wird von einer/einem Staatsminister/in geleitet und ist direkt im Bundeskanzleramt angesiedelt. Die 2006 im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geschaffene unabhängige Antidiskriminierungsstelle des Bundes zur Bekämpfung von Diskriminierungen bildet das Gegenstück zur Hohen Behörde zur Bekämpfung der Diskriminierung und zur Förderung der Gleichstellung, die 2005 in Frankreich gegründet wurde und deren Funktionen im Jahr 2011 der Défenseur des droits [Bürgerrechtsbeauftragter] übernommen hat. Im Rahmen der deutsch-französischen Zusammenarbeit gründete das DeutschFranzösische Jugendwerk im Jahr 2006 gemeinsam mit der Stiftung Genshagen das deutsch-französische Netzwerk „Integration und Chancengleichheit“ zum Austausch von beispielhaften Initiativen auf regionaler und lokaler Ebene. Dieses Netz besteht heute unter dem Namen „Diversität und Partizipation“. Daraus entstanden sind deutschfranzösische Projekte und Begegnungen mit mehr als 10 000 Teilnehmern. In diesem Rahmen wurden zwischen 2010 und 2012 Austausche zwischen Mediatoren aus Clichysous-Bois und Berlin-Neukölln organisiert. Heute zählen 14,9 Prozent der jungen Leute, die sich in außerschulischen Programmen beim Deutsch-Französischen Jugendwerk begegnen, zu den „jungen Menschen mit besonderem Förderbedarf“.3 Auf kultureller Ebene wurde 2008/09 zunächst in der Cité nationale de l’histoire de l’immigration in Paris und dann im Deutschen Historischen Museum Berlin eine viel 3 Als „junge Menschen mit besonderem Förderbedarf“ gelten im Sprachgebrauch, abgeleitet vom offiziellen Sprachgebrauch der Europäischen Kommission, junge Menschen, die sich in vielerlei Hinsicht Schwierigkeiten ausgesetzt sehen, die folgendermaßen aussehen können: soziale, wirtschaftliche oder geografische Hindernisse ebenso wie bildungsbezogene oder gesundheitliche Schwierigkeiten sowie Jugendliche, die mit kulturellen Unterschieden leben oder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Richtlinien des DFJW, Stand: 01.01.2016, Anlage 5.2, S. 79). 14 beachtete Ausstellung über den Umgang Frankreichs und Deutschlands mit Zuwanderern seit 1871 gezeigt. Diese privilegierte deutsch-französische Zusammenarbeit fand mit dem europäischen Jahr der Chancengleichheit, das 2007 von der deutschen Präsidentschaft der EU ausgerufen wurde, eine europäische Begleitung und Fortsetzung. Und noch weitere europäische Initiativen wurden verwirklicht: Die Einrichtung eines Netzwerks nationaler Kontaktstellen (2002), die Definition gemeinsamer Grundprinzipien der Integration (2004), die Vorstellung von Integrationsagenden durch die europäische Kommission (2005 und 2011). Die letzten Schlussfolgerungen des Rates auf diesem Gebiet wurden 2014 gezogen. Im Rahmen des Vertrags von Lissabon wurde außerdem ein Dialog zwischen den europäischen Institutionen, den Kirchen und den weltanschaulichen und nicht-konfessionellen Gemeinschaften ins Leben gerufen, um über das Zusammenleben und den Kampf gegen Erscheinungsformen von Hass und Radikalismus zu diskutieren. Es ist allerdings festzustellen, dass die 2006 auf diesem Gebiet entstandene deutschfranzösische Zusammenarbeit mit der Zeit an Elan eingebüßt hat. Es ist daher, zehn Jahre später und in der derzeit besonders schwierigen Situation in unseren beiden Ländern, notwendig und angebracht, dieser Zusammenarbeit neuen Schwung zu verleihen. Die Herausforderungen der Integration in Frankreich und in Deutschland in den letzten zehn Jahren Wie der am 11. Dezember 2015 von France Stratégie veranstaltete deutsch-französische Studientag anschaulich gezeigt hat (das zusammenfassende Protokoll befindet sich im Anhang dieses Berichts), haben Frankreich und Deutschland zwar unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen, sind hinsichtlich der Integration jedoch mit vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert. In Deutschland hat der Zugang vieler Zuwanderer zur deutschen Staatsbürgerschaft zu einer verstärkten Integration in die deutsche Gesellschaft geführt. Die Integration erfolgt nach dem Prinzip des Förderns und Forderns. Integrationspolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik und umgekehrt. In Deutschland heißt das Ziel Integration durch Teilhabe. Und das heißt, dass nicht Integrationspolitik für 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund gemacht wird. Es geht darum, im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts alle 81 Millionen Menschen in Deutschland einzubeziehen. 15 Mit dem Nationalen Integrationsplan (2007) und seiner Fortentwicklung zum Nationalen Aktionsplan Integration (2012) wurde erstmals ein integrationspolitisches Gesamtkonzept vorgelegt. Daran haben Bund, Länder, Kommunen, nichtstaatliche Akteure und Migrantenorganisationen aktiv mitgewirkt. Integrationspolitik ist eine der zentralen Herausforderungen, die sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam stellt. Die Länder arbeiten im Rahmen der Integrationsministerkonferenz zusammen. Eine zentrale Aufgabe der Länder ist die Bildungspolitik. Demgegenüber sind die Beschäftigungs- und Sozialpolitik in weiten Teilen auch Aufgaben des Bundes. Wie in Frankreich spielen die Kommunen eine zentrale Rolle für die Integration, denn Integration wird vor Ort umgesetzt, und die Kommunen haben das Recht zur Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten, wie etwa die Errichtung, Unterhaltung und Verwaltung von Schulen und Kindertageseinrichtungen sowie von Sport- und Kultureinrichtungen. Außerdem tragen sie Verantwortung für die Unterbringung neu eingereister Flüchtlinge. Der Dialog mit dem Islam ist ein wichtiger Bestandteil der Gleichbehandlung von Muslimen in Deutschland. Die Einführung des Islamunterrichts in den öffentlichen Schulen durch die Länder (insbesondere in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen und in Hessen) stellte einen wichtigen Schritt zur Gleichstellung des Islam mit anderen Religionen in Deutschland dar. Um eine universitäre Ausbildung der Religionslehrkräfte sicherzustellen, wurden an mehreren Universitätsstandorten Lehrstühle für islamische Theologie geschaffen, an denen auch muslimische Geistliche ausgebildet werden. Die gute wirtschaftliche Situation in Deutschland, mit einer im Vergleich zu anderen europäischen Ländern geringeren Arbeitslosigkeit, gerade auch unter jungen Menschen, und der aufgrund des demografischen Wandels vielfach spürbare Mangel an Fachkräften können dazu beitragen, dass Integration gelingt. Denn der Zugang zum Arbeitsmarkt ist ein zentrales Element für gelingende Integration. Trotzdem zeigen Studien, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte einen schwereren Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Bundesregierung, Länder, Kommunen und die Wirtschaft haben in Deutschland erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Ausbildung und die Qualifizierung von Jugendlichen zu fördern, sie bereits während der Schulzeit auf eine Ausbildung hin zu orientieren, sie auf ihren Eintritt ins Berufsleben vorzubereiten und denjenigen, die zunächst keinen Schulabschluss erreicht haben, weitere Chancen zu geben. Das System 16 der dualen Berufsbildung fördert die bedarfsgerechte Qualifizierung von Fachkräften, indem es schulisches und betriebliches Lernen verbindet. Damit ist es ein wichtiger Faktor für die nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit insbesondere der jüngeren Generation. Es ist ein System, das große Anerkennung genießt, und an dem sich Frankreich für die Weiterentwicklung seiner Ausbildungsangebote ein Beispiel nimmt. Außerdem wurde in Deutschland in den letzten zehn Jahren ein Gesetz zur der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erlassen und die Beratung für erwachsene Zuwanderer sowie die Hilfsangebote für jugendliche Zuwanderer wurden erheblich weiterentwickelt. Darüber hinaus wurden die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ zur Förderung von Stadtteilen mit erhöhtem Entwicklungsbedarf erhöht. Auch wenn die Integration in Deutschland gut vorangeschritten ist, bleibt noch viel zu tun. Immer noch ist die Schulabbrecherquote bei Schülern mit Migrationshintergrund deutlich höher als bei ihren Altersgenossen ohne Migrationshintergrund, was ihre Integration auf dem Arbeitsmarkt erschwert. Zwar wurden in Deutschland keine Attentate wie jene von Paris verübt. Beide Länder sind aber mit dem Phänomen der religiösen Radikalisierung konfrontiert. Andererseits sind auch fremdenfeindliche und islamophobe Entwicklungen zu beobachten. Dies zeigt sich in Deutschland etwa an der „Pegida“-Bewegung und in Form von gewalttätigen Ausschreitungen, wie Brandanschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Frankreich wiederum erlebt eine Situation, die durch zwei gegenläufige Entwicklungen gekennzeichnet ist. Einerseits ist die Integration ein kontinuierlicher Prozess, der aus einer alten Tradition der Zuwanderung heraus erfolgt. Integration ist eine Realität, die in der französischen Gesellschaft, im öffentlichen Raum, in der Arbeitswelt, in der Verwaltung, in der Kultur und in den Medien immer sichtbarer wird. Die sprachliche Barriere hatte bislang aufgrund der Zuwanderung aus ehemaligen Kolonien nicht die Bedeutung, die ihr in Deutschland zukommt, das mit Flüchtlingen und Zuwanderern konfrontiert war und ist, die die deutsche Sprache nicht beherrschen oder für die die deutsche Sprache eine Hürde darstellt – sie ist in beiden Ländern jedoch oft vergleichbar, etwa in Bezug auf neuankommende Flüchtlinge und Asylbewerber. Neben der Tatsache, dass die Einwanderer oder Kinder von Einwanderern zum Großteil die französische Staatsbürgerschaft erworben haben, zeigt auch der Anteil der Ehen zwischen zugewanderten und gebürtigen Franzosen die reale Durchmischung der französischen Gesellschaft. Aus diesen Gründen erkennt sich Frankreich eher in den 17 Konzepten der Gleichheit, der Bürgerlichkeit, der gesellschaftlichen Teilhabe und des Kampfes gegen die Diskriminierungen als in dem der Integration. Auf der anderen Seite gibt es sehr reale Schwierigkeiten. Frankreich steht vor den Folgen einer weniger guten wirtschaftlichen Situation und einer höheren Arbeitslosigkeit als Deutschland. Die Probleme konzentrieren sich sehr viel stärker als in Deutschland in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf. In der französischen Gesellschaft finden intensive Debatten zum Beispiel zur Rolle des Islams, zur Situation der Roma und zum „Dschungel von Calais“ statt. Mit Ausnahme der Neuankömmlinge in spezifischen den ersten Aufnahmepolitik fünf Jahren des antwortet Innenministeriums Frankreich auf für diese Schwierigkeiten nicht durch eine spezifische Integrationspolitik, sondern verfolgt allgemeinpolitische Maßnahmen und kämpft gegen soziale und regionale Ungleichheiten. Ein interministerieller Beauftragter, der beim Premierminister angesiedelt ist, kümmert sich spezifisch um den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Die städtische Entwicklungspolitik, in der Staat, regionale Gebietskörperschaften und Bürger zusammenarbeiten, hat zum Ziel, örtliche Ungleichheiten zu verringern: Mit dem Ziel größerer Effizienz wurden 2014 die Maßnahmen auf eine geringere Anzahl an Stadtteilen konzentriert (1300 statt 2500). In Ablehnung des Kommunitarismus lehnte Frankreich es seit jeher ab, seine Bevölkerung in Statistiken nach ethnischen und religiösen Kriterien zu kategorisieren. In Frankreich empfindet man es als stigmatisierend, Bürger aufgrund ihrer Herkunft voneinander zu unterscheiden. Vielmehr ist die öffentliche Politik in Frankreich, einschließlich der sozialen und territorialen Politik, darauf ausgerichtet, benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu unterstützen. Daher ist auch die Arbeit des DFJW auf „Jugendliche mit besonderem Förderbedarf“ ausgerichtet, die nach sozialen Kriterien definiert werden (Behinderung, sozial benachteiligtes Milieu, sozial benachteiligter Stadtteil, wobei die beiden letzten Kriterien oft mit einem Migrationshintergrund einhergehen), und nicht explizit auf Jugendliche mit Migrationshintergrund. In jüngster Zeit trat das Konzept der „Integration“ angesichts des Imperativs der Gleichbehandlung und der Staatsbürgerschaft zurück. 2015 fanden zwei interministerielle Räte zur Gleichbehandlung und zur Staatsbürgerschaft statt, außerdem wurde ein Aktionsplan Engagement, mit 60 Maßnahmen Laizismus, Erwerb in den der Bereichen französischen 18 Bildung, Sprache, bürgerschaftliches Kampf gegen Diskriminierung und gegen den Schulabbruch, digitale Wirtschaft, Wohnungswesen, Sicherheit, Gesundheit und Kultur beschlossen. Trotz des französischen republikanischen Modells gab es auch spezifische Initiativen zur Förderung der Integration, manche nah an der Grenze zur positiven Diskriminierung. Dazu zählen etwa ein Studiengang, der Schüler aus Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf über Ausnahmeregelungen den Zugang zur Grande École Sciences Po ermöglichen sollte (2001), oder das Programm des Vereins Passeport Avenir, das den Eintritt von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in die Grandes Écoles und in die Arbeitswelt erleichtern sollte. Seit 2005 haben 18.000 Jugendliche davon profitiert. Die Charta der Vielfalt für Unternehmen wurde 2008 durch die Schaffung eines Labels der Vielfalt ergänzt, welches an Behörden, Unternehmen, Vereine und Gebietskörperschaften verliehen wird und noch höhere Anforderungen stellt als die Charta. Zu den durch das Label abgedeckten Diskriminierungskriterien gehört die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, einer Nation oder einer Religion, des Familiennamens, des Aussehens oder des Wohnorts. Mehr als 300 Einrichtungen haben das Label in Frankreich inzwischen erhalten, darunter die Stadt Nantes, die als erste Großstadt damit ausgezeichnet wurde. Darüber hinaus wurde ein Dialog zwischen dem Staat und den Vertretern des Islam eingerichtet, 2003 gründete sich der französische Zentralrat der Muslime. Das erste Treffen dieser Dialoginstanz mit dem Islam fand unter der Schirmherrschaft des Premierministers 2015 statt, ein zweites 2016. Basierend auf einem Modell, das der deutschen Islamkonferenz ähnelt, ermöglichten diese Treffen die Erörterung von Fragen bezüglich der Verwaltung der Moscheen, der Ausbildung der Religionslehrer und des Kampfes gegen die Radikalisierung. Unsere Maßstäbe, Werkzeuge und Traditionen im Bereich der Integration sind unterschiedlich, und doch verblassen zunehmend die ehemaligen Trennlinien zwischen dem französischen universalistischen, assimilationistischen und dem deutschen auf Integration und nicht auf Assimilation ausgerichteten Modell. Deutschland verfolgt nicht das Ziel einer multikulturellen Gesellschaft, sondern strebt Gleichheit durch die Schaffung von Chancengleichheit in einer kulturell und religiös pluralistischen Gesellschaft an. 19 Ein solches Konzept kommt der französischen Vorstellung nahe, auch wenn der Gedanke der Assimilation in Frankreich fundamental ist. Wie der Studientag von France Stratégie gezeigt hat, müssen Frankreich und Deutschland auf vergleichbare und gerade in der heutigen Zeit besonders drängende Herausforderungen, die weitgehend auch europäische Herausforderungen sind, reagieren. Integration durch Staatsbürgerschaft und Kampf gegen Diskriminierungen Für einen Zuwanderer oder dessen Nachkommen in der zweiten Generation führt der Erwerb der französischen oder der deutschen Staatsbürgerschaft – sei es durch Geburt, sei es durch Einbürgerung – zu Rechten und Pflichten. Er erfordert die Kenntnis der Sprache des Landes, schließt die Vermittlung staatsbürgerlicher Werte und die Teilnahme am demokratischen Leben ein. Es genügt jedoch nicht, die Sprache zu beherrschen oder die Staatsbürgerschaft zu besitzen, um Deutscher oder Franzose zu werden und sich, ebenso wie seine Mitbürger, auch als solcher zu fühlen. Die Partizipation der Zuwanderer am sozialen Leben, Vereinsleben und an der Gesellschaft muss gefördert werden. In beiden Ländern ist, wie wir bei unseren Besuchen vor Ort feststellen konnten, der Dialog mit den Vereinen ein wichtiger Baustein der Integrationspolitik. Das Zusammenleben der Kulturen ist eine Realität, die als mehr oder weniger positiv empfunden wird. In Deutschland, wo seit Jahrhunderten religiöser Pluralismus vorherrscht und von den Zuwanderern keine kulturelle Assimilation erwartet wird, werden kulturelle und ethnische Unterschiede eher akzeptiert. Die 2005 eingeführte statistische Kategorie der „Personen mit Migrationshintergrund“ wird als notwendiges statistisches Werkzeug zur Messung der Diversität, zur Verminderung von Teilhabeunterschieden und zur Förderung von Chancengleichheit angesehen. In Frankreich führen die Homogenität und die Einheitlichkeit des republikanischen Rahmens dazu, dass solche statistischen Erhebungen nicht offiziell durchgeführt werden (jedoch erfolgen sie im Rahmen der akademischen Forschung, wie die 2008-2009 vom Nationalen Demografie-Institut durchgeführte Studie „Trajectoires et origines“ [Wege und Herkunft], die 2016 veröffentlicht wurde, gezeigt hat). 20 Dem Kampf gegen Diskriminierung kommt in beiden Ländern eine grundlegende Bedeutung bei der Garantie von Teilhabe und Inklusion zu. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wurde dieser Kampf 2006 in Deutschland auch gesetzlich verankert. Studien zeigen, dass Diskriminierung auf beiden Seiten des Rheins existiert: Forschungsergebnissen zufolge ist es in beiden Ländern für einen Menschen mit Migrationshintergrund zweimal wahrscheinlicher, arbeitslos zu werden, arm zu sein oder keinen Schulabschluss zu haben, als für einen Menschen ohne Migrationshintergrund. In Frankreich sind insbesondere junge nordafrikanische Männer auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Angesichts dieser Diskriminierungen sind sogenannte Testing-Verfahren in Bezug auf Lebensläufe nützliche Instrumente. Die Initiativen zur Förderung der Vielfalt (Charta der Vielfalt, Label der Vielfalt) leisten einen wichtigen Beitrag. Es darf nicht vergessen werden, dass Diskriminierungen vor allem soziale Ursachen haben und auf die Zugehörigkeit zu bestimmten Schichten zurückzuführen sind. Daher muss man sich auf die Sozialpolitik konzentrieren, um diese Herausforderung zu meistern und jungen Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft den schulischen und beruflichen Erfolg ermöglichen. Die Achtung der gemeinsamen Werte Unsere gemeinsamen Werte sind die der Verfassung; sie gelten für alle Menschen, die in unseren Ländern leben. Es gilt, sie zu kommunizieren und ihre Einhaltung zu gewährleisten. Die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/16 in Deutschland sowie die antisemitischen und homophoben Demonstrationen in Deutschland und Frankreich weisen darauf hin, dass hier ein Nachholbedarf besteht. Die Achtung der gemeinschaftlichen Werte – der republikanischen Werte in Frankreich und des Grundgesetzes in Deutschland – ist nicht verhandelbar. Dies ist eine Verpflichtung, die alle Bürger, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, betrifft. Für die Neuankömmlinge, einschließlich der Flüchtlinge, müssen besondere Angebote bereitgehalten werden. In Frankreich sind die „Aufnahme- und Integrationsverträge“ seit 2007 obligatorisch für legal eingereiste Ausländer, die dauerhaft in Frankreich leben wollen. Etwa 100.000 Integrationsverträge wurden in den vergangenen Jahren jährlich in Frankreich 21 unterzeichnet. Sie sehen, ausgehend von einem persönlichen Gespräch zwischen der zugewanderten Person und einem Sozialarbeiter, verpflichtend entsprechende Sprachkurse und staatsbürgerliche Bildung vor. Die zugewanderte Person verpflichtet sich, die grundlegenden Werte der Französischen Republik zu achten und die ihr angeratenen Weiterbildungen auch wahrzunehmen. Bei Nichteinhaltung der Bedingungen drohen Sanktionen. Der Präfekt kann beispielsweise die Verlängerung des Aufenthaltstitels bei mangelndem Willen zur Vertragserfüllung verweigern. Darüber hinaus können im Rahmen der Familienzusammenführung noch vor Ort im Ausreiseland Kurse und Weiterbildungen beginnen, nachdem die Konsulate den Stand der Französischkenntnisse und der staatsbürgerlichen Bildung geprüft haben. Auch in Deutschland hat man in einer 18-monatigen Erprobungsphase in einigen deutschen Kommunen Erfahrungen mit individuellen Integrationsvereinbarungen gesammelt. Schließlich muss das Erlernen von Interkulturalität gefördert werden. Die Werte der Toleranz, des Dialogs, der Begegnung, der Offenheit gegenüber Anderen sind in unseren westlichen Gesellschaften verankert und müssen gegenüber der wachsenden Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit verteidigt werden. Deutschland hat mit seinem Ansatz des kulturellen Pluralismus und der kooperativen Beziehung zwischen dem neutralen und säkularen Staat und den Religionen, einschließlich des Islam, eine andere Tradition als Frankreich. In Frankreich garantiert der Grundsatz der Laizität die Freiheit des Einzelnen zur religiösen und kulturellen Selbstbestimmung, und es ist in diesem Sinne pluralistisch. Dies kann dazu führen, dass die Religionen aus dem öffentlichen Dienst und zum Teil auch dem öffentlichen Raum ferngehalten werden. Die Schule ist ein prominentes Beispiel, an dem die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich in diesem Bereich besonders stark hervortreten. Allgemein tragen kulturelle Akteure eine herausragende Verantwortung, da Kultur per Definition keine nationalen Grenzen kennt und sie sich für den Austausch und das Erlernen von Toleranz besonders eignet. Der deutsch-französischen Kulturzusammenarbeit kommt eine besondere Bedeutung zu. Und das kulturelle Lernen muss so früh wie möglich, in Kita, Schule und Ausbildung beginnen. 22 Der Kampf gegen Radikalisierung 2015 wurden in Paris Anschläge verübt und dabei die Grundwerte unserer westlichen Gesellschaften frontal angegriffen: Die Meinungsfreiheit (Charlie Hebdo), die Religionsfreiheit (Supermarkt Casher) und unsere Art zu leben und unsere Freizeit zu verbringen (Anschläge vom 13. November im Bataclan, im Stade de France und in mehreren Pariser Cafés). Diese Attentate fanden vor dem Hintergrund einer wachsenden Radikalisierung und der Entwicklung islamistischer Netzwerke statt, die durch die Expansion des Islamischen Staates im Irak und im Nahen Osten seit 2013 befördert worden waren. Die Zahlen der französischen und deutschen „ausländischen Kämpfer“, die sich im Irak oder in Syrien am Dschihad beteiligen, liegen bei 1800 bzw. 800 (DEU). Unter den radikalisierten Muslimen gibt es auch einen Anteil von Konvertiten, die keinen Migrationshintergrund haben. Dieser religiöse Extremismus darf nicht dazu führen, dass die große Mehrheit der Muslime, die friedlich ihre Religion ausübt und die die gemeinsamen Regeln und Werte akzeptiert, unter Generalverdacht gerät. Das Phänomen der religiösen Radikalisierung zwingt uns hingegen, uns der real bestehenden Ausgrenzung benachteiligter Jugendlicher, die einen Teil des Nährbodens für die radikalisierten Netzwerke bilden, zu widmen, den Kampf gegen die Diskriminierung zu verstärken, das Bildungssystem leistungsfähiger zu machen und Integration durch Beschäftigung zu fördern. Der Kampf gegen Radikalisierung muss mit größter Entschlossenheit geführt werden, wobei repressive mit präventiven Maßnahmen zu verbinden sind. Sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland sind salafistische Moscheen geschlossen bzw. Moscheevereine verboten worden. In Frankreich hat der Präsident angesichts der Ernsthaftigkeit der Bedrohung den Ausnahmezustand ausgerufen und bemüht sich angesichts dieser Belastungsprobe um den Zusammenhalt der Nation. Bildungs- und Präventionsmaßnahmen müssen in den Medien, in der Schule und im Internet verstärkt zum Einsatz kommen. Es ist wichtig, dass Frankreich und Deutschland sich weiter untereinander, aber auch in einem größeren Rahmen, mit ihren europäischen Partnern austauschen, um den Pluralismus in unseren Gesellschaften zu verteidigen und die Jugendlichen in diesem Sinne zu erziehen, so wie es die Bildungsminister und der Bildungskommissar der Europäischen Union am 17. März 2015 in Paris feierlich erklärt haben. 23 Über die Bekämpfung des radikalen Islamismus hinaus gilt es außerdem, jeglicher Form von Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Extremismus entgegenzutreten. Das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung ist eine Basis unserer Gesellschaft, die Grenzen sind allerdings dann erreicht, wenn Gewalt und Hetze ausgeübt werden. In Deutschland haben sich die rechtsextremen Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte in der jüngsten Zeit deutlich erhöht. Hier muss der freiheitliche Verfassungsstaat mit aller Konsequenz durchgreifen. Die Integration der Flüchtlinge Die Aufnahme und die Integration einer beträchtlichen Anzahl von Flüchtlingen (2015: mehr als eine Million als asylsuchend registrierte Personen, ca. 480.000 Asylanträge), stellen in Deutschland eine erhebliche Herausforderung dar, insbesondere im Bereich der Sprachkurse, der Unterbringung, der Bildung und der Ausbildung sowie des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Obwohl sehr viel weniger Asylsuchende nach Frankreich kommen, als nach Deutschland, erfüllt Frankreich seine Verpflichtungen im Rahmen des von den europäischen Staaten im September 2015 beschlossenen Umverteilungsprogramms für Asylbewerber, und die gestiegene Anzahl der Asylsuchenden (+25 Prozent im Jahr 2015) führt hier ebenfalls zu einem höheren Aufwand, insbesondere in den Bereichen Verwaltung und Unterbringung. Die Politik der Integration durch Teilhabe bleibt in Deutschland die Leitlinie bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Wir wissen, dass viele von ihnen dauerhaft im Land bleiben werden und dass keine Zeit bei ihrer Einbindung in die Gesellschaft verloren gehen darf. So erhalten Flüchtlinge, die eine gute Bleibeperspektive haben, frühen Zugang zu den Sprachkursen, und der Arbeitsmarktzugang wurde für Asylbewerber und Geduldete nach drei Monaten geöffnet. Die Aufnahmebedingungen in Frankreich und Deutschland lohnen einen Vergleich, der dazu dienen soll, gegenseitig von den Erfahrungen zu profitieren und die Maßnahmen und Instrumente in beiden Ländern unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Situation zu verbessern. Auch die Beteiligung der Flüchtlinge an den deutschfranzösischen Austauschmaßnahmen ist in Betracht zu ziehen, soweit die sprachlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Das gilt besonders für die vom DFJW organisierten Jugendaustausche, die berufliche Mobilität des Deutsch-Französischen Sekretariats für den Austausch in der beruflichen Bildung und die Studiengänge der DeutschFranzösischen Hochschule. 24 Die Herausforderungen, vor denen Frankreich und Deutschland stehen, stellen sich auch für ihre Partner. Durch eine Zusammenarbeit im Bereich der Integration können beide Länder mit gutem Beispiel vorangehen und zu neuen Kooperationen auf europäischer Ebene anregen. Es ist außerdem wichtig, sich gemeinsam um eine Rückkehr zum Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa zu bemühen, da Integration wesentlich besser gelingen kann, wenn der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährleistet ist. 25 VORSCHLÄGE ZU BILATERALEN PROJEKTEN UND INITIATIVEN ZUR FÖRDERUNG DER INTEGRATION UND DES ZUSAMMENLEBENS IN UNSEREN GESELLSCHAFTEN UND IHRE VERSTETIGUNG Wir sind beauftragt worden, Vorschläge zu konkreten bilateralen Projekten und Maßnahmen zur Förderung der Integration und des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften zu entwickeln. Dabei gilt es, den Austausch zu vertiefen und auf der Grundlage guter Praxisbeispiele voneinander zu lernen. Nachdem viele nationale Akteure aus Verwaltung und Zivilgesellschaft, zahlreiche Akteure der deutsch-französischen Zusammenarbeit und europäische Institutionen zu Rate gezogen wurden, formulieren wir folgende Vorschläge, die sich insbesondere an die Jugend unserer beiden Länder richten. Dabei gilt es, eine deutsch-französische Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Integration in beiden Ländern dauerhaft zu etablieren, Akteure im Bereich der deutschfranzösischen Beziehungen zu mobilisieren und mit den europäischen Institutionen im Rahmen des Europäischen Aktionsplans für Integration zusammenzuarbeiten. Wir haben uns mit den vier im Beauftragungsschreiben des französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin definierten Themenschwerpunkten beschäftigt, auf die sich die Vorschläge konzentrieren: gesellschaftliche Teilhabe und Bekämpfung der Diskriminierung, Bildung und Forschung, Wirtschaft, Beschäftigung und Ausbildung und schließlich Kultur, Medien und Sport. Verstetigung der deutsch-französischen Zusammenarbeit beim Thema Integration Wir erachten es als wichtig, dass diese Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich zur Förderung der Integration und des Zusammenlebens auf Dauer angelegt ist. Wir halten die Förderung der Integration und des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften für eine zentrale Aufgabe im Rahmen der Zukunftsgestaltung unserer beiden Länder und sollten die Vielzahl größerer und kleinerer Initiativen, die wir im Zusammenhang mit unserem Auftrag angestoßen haben, von einer Instanz weiterverfolgen lassen. Um die deutsch-französischen Initiativen und Ansätze zu verstetigen, die sich aus den Vorschlägen für den Deutsch-Französischen Ministerrat am 7. April 2016 ergeben, bedarf es eines klaren politischen Impulses. Wir schlagen die Einrichtung eines Deutsch-Französischen Rates für die Integration in unseren Gesellschaften vor. Dieser könnte die auf der Ebene der Gemeinden gewonnenen Erfahrungen berücksichtigen, das DFJW sowie die Zivilgesellschaft, Vereine, Wissenschaftler beider Länder und Verwaltungen beteiligen und konkrete Projekte zur 29 Förderung der Integration unterstützen. Der nächste DFMR könnte 2017 eine erste Bilanz der Realisierung dieser Projekte ziehen. Weiterentwicklung der Zusammenarbeit und des Austausches zwischen den deutschen und französischen Akteuren im Integrationsbereich Es ist wichtig, dass Deutschland und Frankreich sich über gute Praktiken beraten. Daher gilt es, die lokalen Gebietskörperschaften und Bürgermeister, die staatlichen Verwaltungen, die wirtschaftlichen und sozialen Akteure und auch die Bürger beider Länder zu vernetzen. Wir schlagen demzufolge vor, mehrere Begegnungen zu organisieren, um die Integration zu einem konkreten Thema des Austausches zwischen Deutschland und Frankreich zu machen. Integration geschieht vor Ort in den Kommunen. Ihnen kommt bei diesem Thema eine Schlüsselrolle zu. Bestehende Städtepartnerschaften können bei der Einrichtung einer Plattform zum Best-Practice-Austausch genutzt werden und sich z.B. über Integrationspolitik, Aufnahme von Migranten und Städtebau-Politik austauschen. Die Vereinigung der französischen Bürgermeister hat sich bereiterklärt, im Herbst ein deutsch-französisches Treffen zu organisieren und dabei den Deutschen Städtetag (DST), den Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) sowie den Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) auf deutscher und französischer Seite einzubinden. Der Verband der Bürgermeister der Städte und Vorstädte in Frankreich (Association des maires des villes et banlieues de France) könnte ebenfalls in diesen Best-Practice-Austausch einbezogen werden. Denkbar ist auch ein Preis für die deutsch-französischen Städtepartnerschaften, bei denen es eine gelungene Zusammenarbeit im Bereich der Integration gibt. Dies könnte Anreize zur Entwicklung neuer lokaler Initiativen schaffen. Ein deutsch-französischer Kongress der Sozialarbeiter, der beispielsweise aus berufspraktischer Sicht auch Fragen der Interkulturalität, der Beziehung zu religiösen Angelegenheiten und der Bekämpfung der Radikalisierung eingehen könnte, wird ebenfalls angeregt. Dabei könnte man auf die Expertise des Netzwerks „Diversität und Partizipation“ des DFJW zurückgreifen, insbesondere bezüglich der Erfahrungen beim Austausch von Jugendbetreuern, und auf die des Conseil supérieur du travail social [Hoher Rat für soziale Arbeit des Ministeriums für Gesundheit und soziale Angelegenheiten] in 30 Frankreich und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Deutschland. Die Teilnehmer sollten Sozialarbeiter, Mitarbeiter lokaler Betreuungsstellen, Mitarbeiter der Rechtsbeihilfe für Jugendliche (PJJ) und der Sozialzentren sowie Jugendbetreuer in den Kommunen und Vereinen sein. Über die Einbeziehung des DFJW und von Jugendbetreuern könnte der Aspekt der Anregung der Mobilität der Jugendlichen, die teilweise das begrenzte Umfeld ihres Wohnorts nie verlassen, ein wichtiger Bestandteil dieser Konferenz sein. Ein deutsch-französisches Forum der Verbände von Frauen mit Migrationshintergrund, das Fragen der Gleichstellung und der Parität, der Förderung der Frauenrechte, des Kampfes gegen den Frauenhandel und gegen Stereotype sowie Fragen der Solidarität behandeln könnte, soll Ende 2016 im Rahmen des Helene-Weber-Kollegs in Saarbrücken stattfinden. Um das Thema Integration auch zu einem Schwerpunkt deutsch-französischer Bildungskonsultationen zu machen, begrüßen wir, dass beim 6. Treffen der Recteurs d’académie mit den Kultusministern der Länder am 7. und 8. Juni 2016 das Thema der Bildungsintegration von Zuwanderern und Flüchtlingen auf der Tagesordnung steht. Außerdem regen wir an, dass Partnerschaften zwischen Organen der partizipativen Demokratie, wie zum Beispiel Stadtteilräten und ausschüssen und Integrationsbeiräten, insbesondere im Rahmen von deutsch-französischen Städtepartnerschaften, entwickelt werden. Der Rat der Gemeinden und Regionen Europas wird Fragen der Integration und der Partizipation auf einer seiner nächsten Konferenzen thematisieren. Schließlich wäre es sinnvoll, wenn politische Stiftungen (wie beispielsweise die KonradAdenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Fondation Jean Jaurès, und die Fondation Robert Schuman) und akademische Einrichtungen weiterhin öffentliche deutsch-französische Debatten zu Fragen der Zuwanderung und der Integration organisierten. Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Kampf gegen Diskriminierung Menschen mit Migrationshintergrund müssen ihren Platz in der Gesellschaft finden. Viele haben ihn bereits gefunden, doch es gibt noch Nachholbedarf. Dies setzt einerseits den Kampf gegen Barrieren und Diskriminierung voraus, die die Repräsentation der Vielfalt in unseren Gesellschaften behindern. Andererseits setzt es voraus, dass Zielgruppen mit besonderem sozialem Förderbedarf stärker in die deutsch-französische Mobilität 31 einbezogen werden, damit sie von den deutsch-französischen Austauschprogrammen profitieren, sich öffnen und ihre Erfahrungen und ihren Lebenslauf bereichern können. Selbstverständlich ist die Weiterentwicklung des Erlernens der französischen und der deutschen Sprache eine wesentliche Bedingung für die Entwicklung dieser deutschfranzösischen Mobilität, und es sollte alles daran gesetzt werden, dieses Sprachenlernen zu fördern. Deutsch-französische Mobilitätsinitiative zur Förderung der Integration und des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften, die sich insbesondere an Jugendliche richtet Wir schlagen daher eine deutsch-französische Mobilitätsinitiative zur Förderung der Integration und des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften vor. Generell sollte der Anteil von „Jugendlichen mit besonderem sozialem Förderbedarf“ an den Austauschprogrammen und Begegnungen des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) steigen. Derzeit machen die Jugendlichen mit besonderem sozialem Förderbedarf in den außerschulischen Austauschen des DFJW einen Anteil von 14,9 Prozent aus. Dieser sollte bis 2020 auf 20 Prozent steigen. Außerdem sollte auch der Anteil der Jugendlichen mit besonderem sozialem Förderbedarf an den schulischen Austauschen gesteigert werden. Die Einrichtung eines neuen Freiwilligendienstes des DFJW für Jugendliche mit besonderem sozialem Förderbedarf, der Deutsch-Französische Freiwilligendienst Opportunities (DFFD-O) ermöglicht die Erprobung eines Mobilitätsprogramms für Zielgruppen, die sonst wenig Zugang zu dieser Form von Mobilität haben. Dieser ergänzt den bereits bestehenden Deutsch-Französischen Freiwilligendienst des DFJW um ein entsprechendes Format mit einer ad-hoc-Vorbereitung im Wohnortland und einem verkürzten Aufenthalt im Zielland. Dieses Format soll jungen Menschen mit besonderem sozialem Förderbedarf, für die ein sechsmonatiger Freiwilligendienst aufgrund ihrer fehlenden Mobilitätserfahrung möglicherweise zu lang ist, den Zugang erleichtern. Das Angebot wird sich zunächst an 15 französische Teilnehmer richten, die in einer Testphase zwischen Mai und Dezember 2016 drei Monate in Deutschland verbringen. In der zweiten Phase ab 2017 sollen gemäß dem Reziprozitätsprinzip auch Jugendliche aus Deutschland am Programm teilnehmen und nach Frankreich entsendet werden. 32 Wir schlagen vor, dass gleichermaßen eine Intensivierung der Austausche des DeutschFranzösischen Sekretariats für den Austausch in der beruflichen Bildung (DFS) für junge Leute mit besonderem sozialem Förderbedarf angestrebt wird. Zusätzlich ließe sich der parcours d’excellence an der Deutsch-Französischen Hochschule zur Erhöhung des Anteils von Jugendlichen mit besonderem sozialem Förderbedarf in den Studiengängen nutzen. Auch wäre die Einrichtung von Jugendräten zwischen den deutschen und französischen Kommunen oder Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf zielführend, nach dem Beispiel der vom französischen Verband der Kinder- und Jugendräte (ANACEJ) organisierten Austausche zwischen Marburg/Richtsberg und Poitiers/St-Eloi sowie zwischen Bruay la Buissière und Fröndenberg. In Frankreich organisiert der Verband ANACEJ in Mitbestimmungsgremien einen Dialog zwischen Jugendlichen und lokalen gewählten Vertretern über Entscheidungen und regionale Fragen. Er verfügt heute über ein Netzwerk von 400 Städten, Departements und Regionen und neun Jugendorganisationen und Organisationen für die außerschulische Bildung. Der französische Verband ANACEJ könnte eingeladen werden, vor dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund über seine Erfahrungen zu berichten. Nach Möglichkeit sollten auch neu angekommene Kinder und jugendliche Flüchtlinge an deutsch-französischen Austauschprogrammen (Jugend- und Schüleraustausche, universitäre Austausche, berufliche Mobilität) teilnehmen können. Die DFH ist eingeladen, 2016 im Rahmen ihrer Strategieplanung nach Möglichkeiten zu suchen, ihre Studiengänge stärker für Flüchtlinge zu öffnen. Deutsch-französisches Programm zur Förderung der Vielfalt und zum Kampf gegen Diskriminierung Deutschland und Frankreich können sich gegenseitig inspirieren und auch beim Thema Förderung der Vielfalt und Kampf gegen die Diskriminierung verstärkt zusammenarbeiten, um zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken und zur Teilhabe anzuregen. Ganz in diesem Sinne konnte eine Partnerschaft zwischen privaten deutschen Initiativen, wie der Hertie-Stiftung (unter Einbindung der START-Stiftung) und französischen Initiativen, wie dem Verein Passeport Avenir und der Stiftung Face zur Förderung der Vielfalt in der Arbeitswelt angestoßen werden. 33 Dasselbe gilt für die Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der französischen Charta der Vielfalt. Dabei handelt es sich um Unternehmensinitiativen zur Förderung von Vielfalt in der Arbeitswelt. In Frankreich könnte im Jahr 2017 ein Tag der Vielfalt nach dem Modell des Diversity-Tages organisiert werden, der in Deutschland seit einigen Jahren mit Erfolg durchgeführt wird. Dieser könnte zu gegebener Zeit auf andere europäische Länder erweitert werden. Umgekehrt kann sich Deutschland von Frankreich inspirieren lassen und ein Label der Vielfalt für Verwaltungen und Gebietskörperschaften nach französischem Vorbild einführen. Im Rahmen eines Prüfauftrags wird die Zusammenarbeit mit einem deutschen Projektpartner angeregt. In Frankreich existiert ein solches Label seit 2008, für Kommunen seit 2012, und wird auf drei Jahre befristet vergeben. Nantes war die erste Stadt in Frankreich, die damit ausgezeichnet wurde, gefolgt von Lyon. Bei den Konferenzen des Rates der Gemeinden und Regionen Europas mit seinem französischen Partner, der Association française du conseil des communes et régions d‘Europe (AFCCRE), könnte ein solches Label offiziell vergeben werden. Auch die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Behörden beider Länder im Rahmen von Prüfaufträgen oder einem Austausch zwischen Referaten der beiden Innenministerien bzw. zwischen den Arbeitsmarktservices Pôle Emploi und der Bundesagentur für Arbeit sollte angeregt werden. Der Défenseur des droits in Frankreich und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Deutschland könnten erstmals im Rahmen eines Informationsaustauschs oder einer Projektpartnerschaft zusammenarbeiten. Hier wäre ein abgestimmtes Vorgehen möglich. Bildung und Forschung Für Integration sind Schule und Bildung zentral. Es gilt daher, durch verstärkte Medienerziehung und Information dem Schulabbruch entgegenzuwirken, die staatsbürgerliche Erziehung zu stärken und gegen Vorurteile und Radikalisierung zu kämpfen. Über die Mobilität der Jugendlichen hinaus, die wir bereits angesprochen haben, können Deutschland und Frankreich noch in weiteren Aspekten der Bildung zusammenarbeiten. Deutschland und Frankreich sollten gemeinsam gegen den Schulabbruch vorgehen und dabei auf das Engagement von Studierenden in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf setzen. Der französische Verband studentischer Stiftungen für die Stadt (AFEV) organisiert in Frankreich studentisches Engagement in Stadtteilen mit 34 besonderem Entwicklungsbedarf und leistet in 330 Stadtteilen jährlich 1 Million Stunden sozialer Arbeit. Diese Aktivität sollte Partneruniversitäten im Rahmen ausgeweitet eines werden, Erasmus-Plus-Projekts mit dem Ziel der auf deutsche Schaffung eines europäischen Netzwerks „Verantwortung der Universitäten für den Kampf gegen den Schulabbruch“. Dieses Netzwerk verbindet bereits die Universitäten Paris-Nanterre, Warschau und die Freie Universität Brüssel. Teilhabe und Kampf gegen Diskriminierung können auch verstärkt Thema von Lehre und Forschung an deutschen und französischen Hochschulen werden. Die DeutschFranzösische Hochschule könnte Seminare, Studiengänge und wissenschaftliche Veranstaltungen zu diesem Thema anbieten. Vor diesem Hintergrund könnten auch sogenannte Universités de la Paix zu den Themen gesellschaftliche Teilhabe, Bekämpfung der Diskriminierung und Integration in unsere Gesellschaften an den Hochschulen initiiert werden, die das erfolgreiche Modell der gleichnamigen Veranstaltung in der Cité internationale universitaire de Paris unter Federführung des Heinrich-Heine-Hauses aufgreifen. 2016 steht diese unter dem Motto „Frieden und Migration: die Welt anders denken“. Um die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der staatsbürgerlichen Bildung für Zuwanderer auszubauen, wäre an eine Zusammenarbeit der beiden Innenministerien sowie an eine Machbarkeitsstudie über ein deutsch-französisches Handbuch zur Staatsbürgerkunde zu denken. In Fortsetzung des von France Stratégie veranstalteten Studientages sollte die deutschfranzösische Generierung von Wissen über die Themen Immigration, Integration und Interkulturalität weiterentwickelt werden. Die Deutsch-Französische Hochschule kann in dieser Hinsicht eine Schlüsselrolle spielen. Das Centre Marc Bloch in Berlin, dass einen Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit auf Migrationsphänomene gelegt hat, das interdisziplinäre Zentrum für Deutschlandstudien und -forschung (CIERA), das Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen des französischen Instituts für Internationale Beziehungen (IFRI / CERFA), die Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), das Deutsch-Französische Institut in Ludwigsburg (DFI) und der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) könnten ebenfalls eine nützliche Rolle spielen. So könnte ein vergleichendes deutsch- 35 französisches Kolloquium zur Rolle des Islams in unseren Gesellschaften organisiert werden. Eines der Ergebnisse der Tagung von France Stratégie war die mangelnde Verfügbarkeit wissenschaftlicher Studien zum Thema Integration, Zuwanderung und Diskriminierung. Während unserer gemeinsamen Arbeit, bei den Terminen vor Ort und bei Treffen mit Experten sind wir immer wieder darauf gestoßen. Daher regen wir die Durchführung deutsch-französischer Studien zu diesen Fragen der Zuwanderung und der Integration an, beispielsweise auf der Grundlage der vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) durchgeführten Forschungsarbeiten. Die gemeinsame Forschungstätigkeit zum Thema Radikalisierung könnte außerdem verstärkt werden. Wirtschaft, Beschäftigung und Ausbildung Der Zugang zu Beschäftigung ist wesentlich für das Gelingen der Integration, wird jedoch oft durch einen Mangel an Qualifikation und durch Diskriminierung erschwert. Es gilt, die Ausbildung und die berufliche Mobilität zu fördern und die Jugendlichen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Deutschland und Frankreich können in diesem Bereich stärker zusammenarbeiten. Auch die Wirtschaft ist gefordert. Daher schlagen wir die Veranstaltung von Schnuppertagen in deutsch-französischen Unternehmen in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf vor. Mit Unterstützung des DFJW und der Außenhandelskammer (AHK) Frankreich, insbesondere im Rahmen der deutsch-französischen „Plattform Schule-Betrieb“, die 2016 in Zusammenarbeit mit der Académie de Paris [Pariser Schulbehörde] ins Leben gerufen wurde, ließe sich dieses Projekt realisieren. Diese Maßnahme soll den Jugendlichen den Zugang zu Praktika und Beschäftigung in deutsch-französischen Unternehmen erleichtern. Dasselbe Ziel steht bei der Nutzung der Initiativen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der deutsch-französischen Züge in Berufsschulen im Vordergrund: Zielgruppen mit besonderem sozialem Förderbedarf sollen stärker eingebunden werden. Die interregionale Jobmesse der Großregion Rheinland-Pfalz – Saarland – Lothringen – Luxemburg – Wallonien (Europa-Camp: „Deine Zukunft in der Großregion“) ließe sich zu diesem Zweck nutzen und könnte den Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte in der Region zu Gute kommen. Die Berufsorientierung ist eine wichtige Dimension der grenzüberschreitenden Initiativen des Pôle Emploi und der Bundesagentur für Arbeit. 36 Wir regen insbesondere die Branchen, die Bedarf an Arbeitskräften haben, dazu an, zusammenzuarbeiten, um Kommunikationsmaßnahmen zu entwickeln. Diese könnten dann zur Berufsorientierung der Jugendlichen in Richtung dieser Berufe beitragen. Kultur, Sport und Medien Für die Integration spielt das Bild des Anderen eine zentrale Rolle. Die Akzeptanz des Anderen, seine Wahrnehmung als Partner eines bereichernden Austausches, das sind die notwendigen Schritte eines gelungenen Miteinanders. Die Kultur nimmt hierbei eine Schlüsselrolle ein, da sie den Geist öffnet und Vorurteilen entgegenwirkt. Sport, Musik, Theater und Kunst sind Aktivitäten, die den Austausch über Sprachgrenzen hinweg ermöglichen. Schon im Kindesalter sollte diese Öffnung einsetzen. Daher haben wir eine Initiative zur deutschen und französischen Kinder- und Jugendbuchliteratur auf den Weg gebracht. Im Herbst 2016 soll zum ersten Mal der deutsch-französische Förderpreis „Qantara“ (Qantara = „Brücke“ auf Arabisch) für literarisches Übersetzen von Kinderliteratur aus dem Arabischen in die deutsche und französische Sprache von der Europäischen Kinderund Jugendbuchmesse e.V. verliehen werden. Ziel ist, Kindern und Jugendlichen Literatur zu vermitteln, zweisprachige Ausgaben (arabisch-deutsch, arabisch-französisch) zu fördern und so literarische Integration zu schaffen, indem zugewanderte Kinder den häufig vertrauten Schlüssel der arabischen Geschichten zum Sprachenlernen nutzen. Ebenso regen wir an, die Ausschreibung des Deutsch-Französischen Kinder- und Jugendliteraturpreises 2017 dem Thema Integration zu widmen, auch durch die Vorstellung der Shortlist anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2017. Da Frankreich als Ehrengast der Buchmesse eingeladen sein wird, bietet sich hier die Gelegenheit, den Themen der Integration und des Austausches im weitesten Sinne (Gastfreundschaft, kulturelle Vielfalt, Sprache als Mittel der Integration, die Frankophonie und ihre Rolle in den Nord-Süd-Beziehungen) in einer deutschfranzösischen Perspektive einen besonderen Schwerpunkt einzuräumen. Dies wird auch im Rahmen des in Deutschland stattfindenden und auf Frankreich ausgerichteten interdisziplinären Kulturprogramms möglich sein. Außerdem lassen sich Expertise und Möglichkeiten der Stiftung Genshagen nutzbar machen: Eine Schriftstellerresidenz mit Literaturworkshop könnte Franz-Hessel- Preisträger und Jugendliche aus sogenannten Willkommensklassen zusammenbringen. Eine stärkere Einbeziehung von Vertretern 37 des Weimarer Dreiecks bei den Netzwerktreffen „Kulturelle Bildung und Integration“ der Stiftung Genshagen ist zu prüfen. Der Deutsch-Französische Kulturrat hat angeboten, eine Konferenz zur kulturellen Bildung zum Thema Integration durch kulturelle Aktivitäten zu organisieren. Darüber hinaus schlagen wir vor, eine deutsch-französische Museumskooperation im Bereich der Geschichte der Einwanderung und ihrer Bedeutung für das kulturelle Erbe zu initiieren. Eine virtuelle Ausstellung des Vereins Génériques zieht derzeit einen Vergleich der Geschichte der Arbeitsmigration in den beiden Ländern zwischen 1968 und 1990. In Zukunft könnte die Zusammenarbeit über eine Partnerschaft zwischen dem Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) und dem Musée national de l’histoire de l’immigration realisiert werden. Wir freuen uns, dass sich der Deutsch-Französische Fonds für Kulturprogramme in Drittstaaten, den beide Außenministerien leiten, 2017 Integrationsthemen widmen könnte. Das deutsch-französische Theaterfestival Perspectives wird sich in den nächsten drei Jahren (2016, 2017, 2018) ebenfalls auf Integrationsthemen konzentrieren. Im Rahmen des Filmfestivals Max-Ophüls-Preis 2017 und 2018 werden die Themen Exil, Migration und Integration in einem Film-Workshop mit deutschen und französischen Nachwuchs-Regisseuren aufgegriffen. Während unserer gemeinsamen Arbeit ist die große Bedeutung der Medienarbeit bei der Thematik hervorgetreten. Insofern würden wir eine Öffnung der beispielsweise von France Télévisions organisierten Medien-Fortbildungen zur Bekämpfung von Vorurteilen, Hassreden und Radikalisierung für deutsche Teilnehmer begrüßen. Erfreulicherweise möchte die Deutsch-Französische Hörfunkkommission im Rahmen ihrer Beratungen eine mögliche thematische Medienkooperation ausloten. Die Ergebnisse journalistischer Arbeit könnten dann durch einen deutsch-französischen Schwerpunkt beim CIVIS-Medienpreis gewürdigt werden. Der Deutsch-Französische Journalistenpreis (DFJP) wird das Thema „Integration und Chancengleichheit“ im Rahmen des aktuellen Wettbewerbs bei der Preisverleihung am 29. Juni 2016 in Berlin aufgreifen. Nicht zuletzt beim Sport werden Fremde zu Freunden. So streben wir mit Unterstützung des DFJW die Inklusion von Jugendlichen mit besonderem sozialem Förderbedarf in Sportbegegnungen an, beispielsweise anlässlich der 2017 gemeinsam von Deutschland 38 und Frankreich ausgerichteten Eishockey-Weltmeisterschaft, des Streetball-Turniers im Sommer 2016 in Paris oder der in der Region Saarland – Luxemburg – Lothringen organisierten Fair-play-Radtour. Wir begrüßen, dass die Veranstaltung „Der Ball ist bunt – Gelebte Vielfalt im Fußball“ das Integrationspotential des Fußballsports im Rahmen der Flüchtlingsdebatte und der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich beleuchten wird. Die große Bandbreite der vorgeschlagenen Projekte lässt uns hoffen, dass unsere Mission in den nächsten Jahren einen nachhaltigen Beitrag zur Integration und zum Zusammenleben in unseren Gesellschaften sowie zur Bereicherung der deutschfranzösischen Beziehungen leisten wird. 39 ANHÄNGE Frankreich und Deutschland: Zwei Ansätze zur Integration Richard Venturi§* Frankreich und Deutschland sind zwei der kulturell vielfältigsten und offensten Gesellschaften Europas. Laut der OECD hat sich der Anteil der Einwanderer und der Bürger, deren Eltern im Ausland geboren sind, 2013 in Frankreich auf etwa ein Viertel und in Deutschland auf etwa ein Fünftel der Bevölkerung vergrößert. Heute stehen die Gesellschaften beider Länder, die für ihre Willkommenskultur und Toleranz beispielhaft sind, möglicherweise vor der größten Herausforderung seit der Aufnahme neuer Einwanderungswellen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Es bleibt die Frage, wie Frankreich und Deutschland die Einwanderer und ihre Kinder vollständig in ihre jeweilige Gesellschaft integrieren können. Gemeinsam Integration fördern Während des deutsch-französischen Ministerrats im Jahre 2015 haben Deutschland und Frankreich gemeinsam die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und den ehemaligen französischen Premierminister und Abgeordneten Jean-Marc Ayrault damit beauftragt, bilaterale Programme zur Förderung der Integration in den beiden Ländern aufzusetzen. Sie werden diese bei der nächsten Zusammenkunft des deutsch-französischen Ministerrats im April 2016 vorstellen. France Stratégie sind das Thema der Immigration und die damit verknüpften sozialen Aspekte nicht fremd. In den letzten Monaten hat France Stratégie die Themen der Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund und der Mobilität von Arbeitnehmern zwischen Frankreich und Deutschland untersucht. Mit dem Ziel, die Debatte zu befördern und das bilaterale Projekt voranzutreiben, wurde am 11. Dezember 2015 eine eintägige Konferenz zum Thema Integration organisiert, bei welcher die drei wesentlichen Punkte der Teilhabe in der Gesellschaft, der Bildung und des Arbeitsplatzes beleuchtet wurden. Zur Eröffnung der Veranstaltung unterstrich Jean Pisani-Ferry, Generalkommisar von France Stratégie, dass die chaotischen Zustände im Nahen Osten beide Länder direkt betroffen hätten. Frankreich habe noch immer mit den Nachwirkungen der jüngsten Attentate in Paris zu kämpfen, und Deutschland sehe sich in der Situation, eine beispiellose Anzahl an * Journalist, France Stratégie Flüchtlingen aufzunehmen. Dennoch endeten der Terrorismus und die Flüchtlingskrise nicht an nationalen Grenzen; sie beträfen beide Länder. Gleichwohl hätten beide Länder in ihrer misslichen Lage, trotz der in den letzten Jahren eingeleiteten gemeinsamen Maßnahmen, einen eigenen Weg bei der Integration der Zuwanderer und ihrer Nachkommen eingeschlagen. Wie Ayrault betonte, sei die Lage akut. Die Gefahr sei jedoch, dass wir uns um die Dringlichkeit kümmerten und dabei die großen Fragen aufschöben. Das wäre ein schwerwiegender politischer Fehler. „Die Herausforderung ist es, trotz der steigenden Angst und des Misstrauens Vertrauen aufzubauen. Frankreich und Deutschland können eine Menge voneinander lernen, wenn es darum geht, zu prüfen, was in Bezug auf die Integration im jeweiligen Land funktioniert und was nicht“, fügte er hinzu. Unterschiedliche Ausgangspunkte in der Nachkriegszeit Frank Baasner, Leiter des Deutsch-französischen Instituts, erinnerte die Konferenzteilnehmer daran, dass das Thema der Integration alles andere als neu sei. Es gehöre fast schon zum festen Inventar der nationalen Debatte in der Folgezeit der konjunkturstarken Nachkriegsjahre (der trentes glorieuses in Frankreich und des Wirtschaftswunders in Deutschland). Beide Länder nähmen große Einwanderungswellen auf, um dem Arbeitskräftemangel der 1950er, 1960er und 1970er Jahre entgegenzuwirken. In Deutschland beispielsweise seien massenhaft Gastarbeiter aus Ländern wie Italien, Griechenland, der Türkei und Marokko angeworben worden, um gering qualifizierte Arbeitsplätze in der Industrie der 1960er und 1970er Jahre zu füllen. Christine Langenfeld, Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, betonte, dass die Behörden damals davon ausgingen, dass die Gastarbeiter eines Tages in ihr Heimatland zurückkehren würden. Demzufolge habe sich der Staat nur wenig um die Integration der Neuankömmlinge gekümmert und sich erschreckend unvorbereitet gezeigt, als sie blieben. Die Folgen seien noch heute spürbar. Ein wesentlicher Unterschied zu Frankreich sei die Tatsache, dass hier der Arbeitskräftebedarf nach dem Zweiten Weltkrieg durch Arbeiter aus ehemaligen Kolonien wie Algerien und Überseeterritorien wie Martinique und Französisch Guyana gedeckt wurde, die in gewisser Weise bereits Teil der französischen Nation waren. Gleichzeitig seien weder diese Neuankömmlinge, wie Patrick Weil, Senior Research Fellow des Centre national de la recherche scientifique, herausstellte, noch ihre Kinder von ihren französischen Landsleuten als solche angesehen worden. Schlimmer noch, die aus Kolonialzeiten herrührenden Wunden hätten noch jahrzehntelang geschmerzt. Der blutige Algerienkrieg von 1954-62 beispielsweise, in dem Algerien mit Klauen und Zähnen für seine Unabhängigkeit gekämpft habe, habe große Narben in der nationalen Psyche hinterlassen. Baasner erinnerte die Teilnehmer daran, dass Frankreich und Deutschland trotz der Unterschiede hart daran gearbeitet hätten, gemeinsame Ansätze im Bereich der Integration zu entwickeln. Diese gemeinsamen Anstrengungen führten zur Einrichtung eines BestPractice-Forums, das seit 2006 lokale Akteure aus dem Integrationsbereich zusammenbringt. „Je mehr man mit den Menschen vor Ort spricht, desto deutlicher wird man sich bewusst, dass sich die Erfahrungen ähneln“, fügte er hinzu. Zwei Konzepte der Nationalität Das französische Konzept der Nationalität war historisch offener als das deutsche, mit dem jus soli, dem Bodenrecht, das für im Land geborene Ausländer gilt, wenn diese bestimmte Wohnsitzvoraussetzungen erfüllen (z. B. fünf Jahre durchgängiger Aufenthalt). Auch seit langem in Frankreich lebende Ausländer können eine Berechtigung zur Einbürgerung erlangen. Überdies kommen aufgrund der französischen Kolonialgeschichte viele Zuwanderer aus der frankophonen Welt und sprechen daher Französisch. Kramp-Karrenbauer unterstrich, dass die Deutschen Frankreich jahrelang als Vorbild im Bereich der sprachlichen Integration angesehen hätten. Auf der anderen Seite wendet sich der französische Staat entschieden dagegen, Multikulturalismus im Sinne der Differenzierung zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen zu fördern: Die Franzosen beteuern, die Republik sei farbenblind wenn es um ihre Bürger geht. Natürlich stellt sich die Realität vor Ort anders dar, wie etwa bei den Unruhen in den Pariser Vorstädten 2005 deutlich wurde. In Frankreich werfe die Nation einen starken Schatten auf die Gesellschaft, wie ein Teilnehmer unterstrich. Die Bürger könnten sich damit identifizieren. In Deutschland sei es schwieriger für einen Einwanderer, sich als Deutsche zu betrachten. Annäherung der Ansätze Andererseits begann Deutschland in den 1990ern und frühen 2000er Jahren, seine Einwanderungspolitik umzugestalten. Zum ersten Mal in der Geschichte begann es, seinen Status als Einwanderungsland anzuerkennen. Insbesondere im Jahr 2005, als die Regierung das neue Zuwanderungsgesetz verabschiedete, das Einwanderern gleichberechtigte Teilhabe an allen wichtigen Bereichen des Lebens ermöglichen sollte. Im Sinne einer aktiven Integrationspolitik wurde Integration als partizipationsorientierte Teilhabe definiert. Darüber hinaus begann es außerdem, seine Gesetze zur Staatsangehörigkeit anzupassen und näherte sich damit dem französischen Ansatz der Einbürgerung an, indem es für lange in Deutschland lebende Menschen und ihre Kinder die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft ermöglichte. Das Konzept der Staatsbürgerschaft habe sich in Deutschland schlicht geändert, wie Weil es ausdrückte. „Bei der Einwanderung kam es zu einer deutsch-französischen Annäherung“, sagte er. „Man könnte sogar sagen, dass das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft bessere Arbeit bei der Integration der zweiten Einwanderergeneration leistet.“ Die Schaffung eines gemeinsamen Bürgersinns Die Kehrseite dieser Annäherung mit Regierungen, die eine aktive Rolle bei der Ergreifung von Maßnahmen spielen, die den Neuankömmlingen das Gefühl geben, Mitbürger zu sein, ist der schmale Grat zwischen der Förderung der Integration und der Beförderung absoluter Assimilation. Letzteres sei in den liberalen und offenen westlichen Gesellschaften heute zumeist verpönt. „Integration ist nicht synonym mit Assimilation“, sagte Langenfeld. „In unseren pluralistischen Gesellschaften schützt sie kulturelle und sprachliche Besonderheiten sowie religiöse Identität, während die in der Verfassung verankerten Werte geachtet werden.“ Langenfeld stellte fest, die einenden Aspekte in Deutschland seien die gemeinsame Sprache und die Gesetze der Verfassung. Es sei nicht verboten, sich zu assimilieren, es gäbe dazu jedoch auch keine Verpflichtung. Dennoch erwarte man von den Einwanderern, dass sie die Sprache lernten. Weil schlug einen anderen Ton an und brachte vor, dass man vor Assimilation, so schlecht die Konnotation dieses Begriffs auch sein möge, nicht zurückschrecken dürfe. „Einbürgerung ist rechtliche Assimilation“, sagte er. „Gleiche Rechte und Nicht-Diskriminierung bedeuten, dass man in ähnlicher Weise behandelt wird.“ Wie dem auch sei, mehrere Identitäten zu haben, könne im heutigen Frankreich problematisch sein. Das werde in der Debatte um das Kopftuch deutlich, das als Gefahr für den öffentlichen Raum gesehen werde, und bei der vermeintlichen Neutralität bei religiösen Themen. Religion und Staat Angesichts der mächtigen Symbolik der Nation in Frankreich sei es nicht überraschend, dass der Säkularismus, bzw. die laïcité, solches Gewicht habe. In jedem Fall habe diese sich als Hindernis für die Förderung der Integration von Einwanderern erwiesen. Ursprünglich zur Sicherung der Gewissens- und Religionsfreiheit und der Trennung zwischen Kirche und Staat entworfen, würde der Säkularismus heute, wie Weil betonte, vom Recht instrumentalisiert, um Religionsfreiheit, insbesondere die des Islams, anzugreifen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass Religion in Frankreich oft als Widerspruch zum allgemein anerkannten Verständnis der Nationalstaatlichkeit gesehen werde. Es sei nicht verwunderlich, dass dies besonders für den Islam gelte. Ein französisch-arabischer Teilnehmer berichtete der Konferenz, dass es unter den Muslimen im Land ein tiefes Gefühl der fehlenden Anerkennung gebe. Einfach ausgedrückt: Sie fühlten sich in ihrem Heimatland nicht als Franzosen. Wenn man dem noch das Gefühl der Demütigung hinzufüge, so werde das Bild noch dunkler. Deutschland pflegt einen völlig anderen Umgang mit Religion. Langenfeld erwähnte hier die Einführung islamischen Religionsunterrichts in Schulen mit dem Ziel der Förderung des interkulturellen Verständnisses. „Das wäre in Frankreich unvorstellbar“, fügte sie hinzu. Ein weiteres Beispiel sei das Kopftuch in Schulen, das in Deutschland auf politischer Ebene keinerlei Probleme bereite. Außerdem habe Deutschland durch die Deutsche Islamkonferenz (DIK) 2006 einen Dialog mit seiner muslimischen Gemeinschaft initiiert. Diese hätte zum Ziel, eine bessere religiöse und gesellschaftliche Integration der Muslime und eine tiefere Zusammenarbeit zwischen allen Deutschen, ungeachtet ihres Glaubens, zu befördern. Langenfeld erklärte, dass mit vier Millionen Muslimen in Deutschland die politischen Entscheidungsträger verstanden hätten, dass die Integration ein politisches Projekt sei. „Wir haben Gleichberechtigung versprochen, und als ein Land, das auf den Prinzipien des Rechtsstaats begründet ist, ist das das beste Angebot, das wir machen können.“ fuhr sie fort. Herausforderungen für den Bildungsbereich Bildung ist zweifellos der Dreh- und Angelpunkt für die erfolgreiche Integration von Einwanderern. Sie ist besonders wichtig für die Kinder der Einwanderer. Andrea Becker, saarländische Staatssekretärin und Mitglied der Kultusministerkonferenz, betonte, dass die Ergebnisse der Pisa-Studie (Programme for International Student Assessment) der OECD gezeigt hätten, dass Kinder mit Migrationshintergrund ihre Leistungen in den vergangenen Jahren in Deutschland beträchtlich verbessert hätten. „Die Rolle der Schulen bei der Integration ist in Frankreich ein hochsensibles Thema“, erklärte Frédérique Weixler, Beraterin der französischen Bildungsministerin. „Die Schule und die Republik sind eng miteinander verwoben.“ Es gebe wesentliche Unterschiede zwischen den Bildungssystemen beider Länder. In Frankreich befolgten die Schulen einen nationalen Lehrplan, wohingegen in Deutschland die einzelnen Länder in großem Maße über ihre eigene Bildungspolitik entschieden und die Bundesregierung hierbei nur eine untergeordnete Rolle spiele. Während das Bildungsniveau der französischen Bevölkerung sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert habe, sei das Schulsystem, laut den Erhebungen der OECD, eines derjenigen Systeme mit der größten Ungleichheit unter den OECD-Ländern. Chancenungleichheit sei besonders bei Migrantenkindern und Kindern mit ausländischen Wurzeln verbreitet. Ganze 30% der Kinder von Zuwanderern verlassen die Schule ohne Abschluss. Weixler betonte, dass jedoch sie Situation noch von weiteren Faktoren erschwert würde, und dass Programme eingerichtet werden müssten, die auf die Bedürfnisse aller jungen Menschen abgestimmt seien, nicht nur auf die von Kindern mit Migrationshintergrund. Es gebe beispielsweise ein signifikantes Auseinanderklaffen zwischen männlichen und weiblichen Schulabbrechern, unabhängig von deren Herkunft. Die französische Politik versuche, eine Reihe von Faktoren zu identifizieren, von sozialer Klasse bis zur Kultur, um diesen Problemen entgegenzusteuern. Darüber hinaus seien starke Verbindungen, nicht nur zwischen Lehrern und Schülern, sondern auch zwischen spezialisierten Erziehern, Ärzten und Psychologen entwickelt worden. Von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der schulischen Leistungen sei es, dafür zu sorgen, dass die Eltern mit den Lehrern zusammenarbeiteten und eine aktive Rolle in der Bildung ihrer Kinder übernähmen. Andrea Becker wies darauf hin, dass Deutschland im Bereich der frühkindlichen Erziehung Anregungen in Frankreich fände. Ein Teilnehmer erklärte, das viele Kinder von Zuwanderern in Deutschland in fachliche und technische Berufsausbildungen gedrängt würden, oft unter dem Vorwand, ihre Familie spreche nicht ausreichend Deutsch. Sie nähmen dies als eine Form der Diskriminierung wahr. Positiv sei zu vermerken, dass Schüler in Deutschland oft eine zweite Chance erhielten, wenn sie schlechte Ergebnisse erzielten. Hier sei es leichter, eine schwierige Phase wieder auszugleichen, als in Frankreich, wo das Schulsystem in dieser Hinsicht sehr unflexibel sei. Diskriminierung am Arbeitsplatz Trotz der offensichtlichen Unterschiede zwischen den Arbeitsmärkten der beiden Länder gibt es bemerkenswerte Parallelen in Bezug auf die Arbeitswelt und die Einwanderer und ihre Nachkommen. Hélène Garner, Senior Policy Analyst bei France Stratégie, beschrieb unverblümt die Situation in Frankreich: Afrikanische Einwanderer und ihre Nachkommen seien in den ärmsten Gemeinden konzentriert, wo es auch die meisten Sozialwohnungen, die höchste Arbeitslosigkeit und die größte Anzahl an Migranten gebe. Laut dem französischen Statistikinstitut INSEE habe die Arbeitslosenquote bei den Kindern afrikanischer Einwanderer unter 25 Jahren bei 42% gelegen, während sie bei unter 25Jährigen ohne Migrationshintergrund nur knapp die Hälfte betragen habe. Überraschenderweise hat Deutschland trotz seiner geringen Arbeitslosigkeit mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Ingrid Tucci, Forscher des Centre national de recherche scientifique (CNRS) und Mitglied des Berliner Instituts für Integration und Migration (BIM), betonte, dass rund 36% der Arbeitslosen Migranten seien oder einen Migrationshintergrund hätten, während letztere nur etwa 20% der Gesamtbevölkerung ausmachten. Diejenigen, die arbeiten, seien für ihre Tätigkeit oft überqualifiziert. Neben der Frustration und der Demütigung für die Arbeitsplatzinhaber selbst könne das auch bei den Kindern das Gefühl der ungerechten Behandlung in ihrer Wahlheimat fördern. In Bezug auf die Maßnahmen zur Behebung dieses Problems sei ein Gesetz zur Erleichterung der Anerkennung von Qualifikationen und Fertigkeiten erlassen worden. Dennoch grassiert die Diskriminierung bei der Einstellung, wie oben im Falle Frankreichs dargestellt: Laut einer Studie müssen Migranten viermal mehr Bewerbungen schreiben als Deutsche, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Gleichwohl ist die Frage der Diskriminierung in der öffentlichen Debatte in Deutschland weniger präsent als in Frankreich, wo es in den letzten zehn Jahren eine große Welle an Studien und Tests gegeben hat. Mehrere Optionen haben sich in Frankreich zur Bekämpfung ethnischer Diskriminierung eröffnet: Eine davon ist die Stärkung der Anti-Diskriminierungs-Gesetzgebung. Ein Beispiel für Maßnahmen in dieser Richtung ist das französische Gesetz Justice du XXIe siècle (Justiz des 21. Jahrhunderts), mit dem Gewerkschaften und Verbände mit dem Recht ausgestattet werden, Sammelklagen im Namen von Arbeitnehmergruppen einzureichen. Ein weiteres Beispiel ist die Förderung von Maßnahmen, die die Beiträge von Einwanderern in der Unternehmenswelt betonen (z. B. die Charta der Vielfalt oder die Initiative für ein Label der Vielfalt). Es muss jedoch ein Gleichgewicht zwischen Maßnahmen, die sich auf die Rechte aller beziehen, und auf besondere Zielgruppen ausgerichtete Initiativen hergestellt werden. Angesichts der Reichweite der Herausforderungen beider Länder bei der Integration von Einwanderern in ihre Gesellschaften ist es klar, dass ein großer Teil der Lösung außerhalb jedes institutionellen und organisatorischen Rahmens liegt. Mit anderen Worten: Es liegt an der Zivilgesellschaft, den Gewerkschaften, und den Arbeitgebern, mit Neuankömmlingen und Nachkommen von Einwanderern in der zweiten und dritten Generation zusammenzuarbeiten, um diesen dabei zu helfen, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten voll auszuschöpfen. Dies wird ihnen das Gefühl von Nutzen und Zugehörigkeit geben, das sie brauchen, um zu vollberechtigten Mitgliedern der Gesellschaft zu werden. Deutschland und die Flüchtlingskrise Wie oben dargestellt, ist Deutschland heute mit einem beispiellosen und massiven Zustrom von Flüchtlingen konfrontiert, die vor Krieg und Konflikten im Nahen Osten, Afrika und Zentralasien fliehen, davon fast ein Drittel aus dem kriegsgeschüttelten Syrien. Obwohl dies dem Land die Möglichkeit eröffnet, dem demografischen Wandel entgegenzuwirken, stellt es auch eine massive Belastung für die erfolgreiche Integration vieler Zuwandererfamilien dar. Und das trotz der robusten Konjunktur und der niedrigen Arbeitslosigkeit. Annette Tabbara, Büroleiterin im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, berichtete, dass Deutschland 2015 etwa eine Million Asylbewerber aufgenommen habe. Außerdem gehe die Bundesregierung davon aus, dass diese längerfristig oder dauerhaft in Deutschland bleiben. Darüber hinaus sprach Tabbara über die Bedeutung der Partizipation in einer Einwanderungsgesellschaft, insbesondere, da 2016 zum Schwerpunktjahr in diesem Bereich erklärt wurde. Sie rief zur Zusammenarbeit mit Frankreich auf und betonte, dass aus Flüchtlingen Nachbarn werden müssten. Sie unterstrich den hohen Grad an Solidarität mit den Flüchtlingen im gesamten Bundesgebiet, mit einer großen Zahl freiwilliger Helfer. „Ich habe den Eindruck, dass wir in Deutschland dabei sind, unserer Sehnsucht nach einer neuen Identität nachzugeben und diese zu finden“, fügte sie hinzu. Es gebe jedoch noch immer Befürchtungen, dass Flüchtlinge kriminell werden und sich an Terroranschlägen beteiligen könnten, und die Ereignisse am Silvesterabend 2015 Köln hätten diese Befürchtungen bedauerlicherweise noch verstärkt. Dennoch warnte Frau Kramp-Karrenbauer davor, Flüchtlinge generell vom Mindestlohn auszuschließen. Eine Ausnahme sei nur bei Praktika gerechtfertigt. Frankreich sieht sich in Bezug auf die Asylsuchenden in einer völlig anderen Situation. Brigitte Frénais-Chamaillard, Leiterin der Asylabteilung im französischen Innenministerium, berichtete, dass das Land bis Ende 2015 mit der Aufnahme von rund 70 000 Asylsuchenden rechne. Sie betonte, dass Frankreich dennoch bei der Linderung der Flüchtlingskrise durch Maßnahmen wie den Dialog mit der Türkei und die Hilfe für Transitländer wie den Libanon und Jordanien mit Deutschland zusammenarbeiten möchte. Darüber hinaus hat Frankreich in diesem Jahr ein Gesetz zur Reformierung des Asylverfahrens verabschiedet, um Wartezeiten zu verringern und die Bedingungen für Asylberechtigte zu verbessern. Frankreich hat sich außerdem an Deutschland orientiert und versucht aufgenommenen Asylbewerber gleichmäßiger über das Staatsgebiet zu verteilen. inzwischen, die Förderung von Vielfalt und Offenheit Wie Kramp-Karrenbauer es ausdrückte, sei die wichtigste Herausforderung der Integration, neben dem Erlernen der deutschen oder der französischen Sprache und der Erlangung eines Arbeitsplatzes, die Entwicklung der Neuankömmlinge zu Mitbürgern. Natürlich seien Bildung, die Ermöglichung beruflicher Mobilität und eine Politik zur Förderung der Vielfalt zentrale Punkte, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei nannte sie insbesondere die Bedeutung der politischen Bildung für die Überwindung vorherrschender Stereotypen. Obwohl der Spracherwerb eine wichtige Grundlage der Integration sei, betonte KrampKarrenbauer, dass Spracherwerb als er dennoch solcher nicht alle noch keine stelle Integrationsprobleme Garantie für automatisch Gemeinschaftssinn löse. und gesellschaftlichen Zusammenhalt dar. Ein weiteres heikles Thema seien das Frauenbild und die Förderung eines Frauenbildes, das mit dem Deutschen Grundgesetz vereinbar sei. Letzten Endes, so Kramp-Karrenbauer, müssten wir uns darüber im Klaren sein, wer wir sind, welchen kulturellen Spielraum wir einräumen und welche Aspekte nicht verhandelbar sind. Trotz der Probleme bei den unterschiedlichen Aspekten der Integration müsse jedoch das übergeordnete Ziel der Integration im Auge behalten werden. „Die Politik muss das Projekt Einwanderungsland zu ihrem Projekt machen“, so Kramp-Karrenbauer. Zweifellos könnten Frankreich und Deutschland trotz ihrer Unterschiede viel voneinander lernen, sei es in Bezug auf die Rolle der Religion im öffentlichen Raum oder im Kampf gegen Diskriminierung. Einerseits befinden sich Deutschland und Frankreich in den Geburtswehen eines bedeutenden gesellschaftlichen Wandels. Aber auf der anderen Seite eröffnen sich ihnen die Möglichkeiten und Verheißungen einer offenen und vielfältigen Gesellschaft. In der Tat könnte man argumentieren, dass offene und vielfältige Gesellschaften das Zukunftsmodell für die globalisierte Welt des 21. Jahrhunderts sind. Sicher ist, wie auch zahlreiche Teilnehmer dies während des Kongresses herausgestellt haben, dass das Erleben und Erfahren von Vielfalt der sicherste Weg ist, Vorurteile und Engstirnigkeit zu überwinden.