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Bildung Chancen Gerechtigkeit Bildung fortschrittlich denken Karl A. Duffek Barbara Rosenberg (Hg.) EDITION KARL-RENNER-INSTITUT BAND 3
Karl A. Duffek Barbara Rosenberg (Hg.)
AutorInnen: Gerhard Bisovsky, Jürgen Czernohorsky, Karl Heinz Gruber, Gabriele Heinisch-Hosek, Barbara Herzog-Punzenberger, Sabine Letz, Eva Novotny, Daniela Rothe, Peter Schlögl, Heidi Schrodt, Petra Steiner, Michael Sturm.
Bildung fortschrittlich denken
In ganz Europa wird gegenwärtig viel von Bildungskrisen und Bildungsreformen gesprochen, offen bleiben dabei allerdings allzu oft die grundlegenden Fragen: Was wird als Ziel von Bildung definiert? Von welchem Menschenbild werden Reformvorschläge getragen? Was bedeutet die Forderung nach Chancengerechtigkeit in Zeiten zunehmender ökonomischer Ungleichheit und gesellschaftlicher Heterogenität? Welches Bildungssystem ermöglicht es Menschen jeden Alters, sich kontinuierlich weiterzubilden und sich für eine offene demokratische Gesellschaft zu engagieren? Was es bedeutet, Bildung in diesem Sinne fortschrittlich zu denken, ist Thema des ersten Abschnitts des dritten Bands der Edition Karl-RennerInstitut. Im zweiten Abschnitt zeigen Praktikerinnen und Praktiker aus den Bereichen der frühkindlichen Pädagogik, der Schule, der beruflichen Ausund Weiterbildung und der Erwachsenenbildung notwendige Schritte auf dem Weg zu einem chancengerechten und inklusiven Bildungssystem auf.
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BILDUNG – CHANCEN – GERECHTIGKEIT Bildung fortschrittlich denken Karl A. Duffek, Barbara Rosenberg (Hg.) Edition Karl-Renner-Institut Band 3
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Karl-Renner-Institut 1120 Wien Khleslplatz 12 www.renner-institut.at
Lektorat: Martina Brenner, Sylvia Rauscher © Erhard Löcker GesmbH, Wien 2015 Herstellung: General Druckerei GesmbH, Szeged ISBN 978–3-85409-763-1
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INHALT VORWORT Karl A. Duffek und Barbara Rosenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 EINLEITUNG Bildung fortschrittlich denken Gabriele Heinisch-Hosek. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
ABSCHNITT A BILDUNG FORTSCHRITTLICH DENKEN HEUTE FÜR MORGEN LERNEN Ein Plädoyer für eine progressive Lehr- und Lernkultur Peter Schlögl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 TUGENDEN FÜR EINE GERECHTE WELT – ERMÄCHTIGUNG ALS BILDUNGSZIEL Eva Novotny. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 BILDUNGSGERECHTIGKEIT, WOHLERGEHEN UND DEMOKRATIE Was leistet die Erwachsenenbildung? Gerhard Bisovsky. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 BILDUNG UND GESCHLECHTERDEMOKRATIE Beobachtungen über den Stand und die Perspektiven geschlechterpolitischer Anliegen im Bildungswesen Daniela Rothe und Petra Steiner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
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GEWERKSCHAFTLICHE ERWACHSENENBILDUNG – WHAT’S THAT? Sabine Letz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
ABSCHNITT B HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE BILDUNGSPOLITIK DAS KIND IM MITTELPUNKT – FÜR EINEN PARADIGMENWECHSEL IN DER BILDUNGSPOLITIK Jürgen Czernohorsky.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 ENGLISCHE LEKTIONEN Gesamtschule in England – vom Schrittmacher der europäischen Schulentwicklung zur Reformruine Karl Heinz Gruber.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 DIE ÖSTERREICHISCHE SCHULE IN DER MIGRATIONSGESELLSCHAFT Heidi Schrodt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 BILDUNGSARMUT – BESTANDSAUFNAHME IN DER ÖSTERREICHISCHEN EINWANDERUNGSGESELLSCHAFT Barbara Herzog-Punzenberger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 DEN ZUGANG ZU BILDUNG IMMER OFFEN HALTEN – CHANCEN ZUR WEITERENTWICKLUNG VON KOMPETENZEN IN ALLEN LEBENSPHASEN Michael Sturm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 AutorInnen und HerausgeberInnen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
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EINLEITUNG Bildung fortschrittlich denken Gabriele Heinisch-Hosek
»Bildungspolitik ist die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts.« Wolfgang Lutz, Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital
In den letzten Jahrzehnten hat sich ein breiter Konsens darüber entwickelt, dass Bildung nicht nur eine zentrale Rolle für ein gutes und sicheres Leben jedes einzelnen Menschen spielt, sondern dass von ihr auch wesentlich der Wohlstand einer Gesellschaft sowie das friedliche Zusammenleben in einer globalisierten Welt abhängen werden.
Bildung und sozialer Zusammenhalt
Bildung fortschrittlich denken heißt daher, Bildung sowohl aus einer individuellen als auch einer gesellschaftlichen Perspektive zu verstehen. Jeder einzelne Mensch braucht in jeder Lebensphase ansprechende, qualitative Bildungsangebote – von der Elementarpädagogik bis zur Erwachsenenbildung. Sie müssen die Entfaltung der persönlichen Begabungen und Interessen ebenso unterstützen wie das berufliche Fortkommen. In einer komplexen und differenzierten Gesellschaft ist lebensbegleitende Bildung aber auch die Grundlage einer wissensbasierten Ökonomie. Und sie stärkt den sozialen Zusammenhalt so, dass wir den Herausforderungen,
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Bildung aus der Zukunft denken
Stärker als je zuvor müssen wir heute Bildung statt aus der Tradition heraus von einer ungewissen und nicht vorhersagbaren Zukunft her denken. An die Stelle eines Kanons aus gesichertem Wissen, bewährten Haltungen und Fähigkeiten, die zusammen als Voraussetzung für ein gesichertes Leben gesehen wurden, treten abstrakte Vorstellungen davon, was zur Verringerung der vielen unbekannten Risiken innerhalb eines Lebenszyklus beitragen kann. Dasselbe gilt für das Verständnis von Bildung als notwendigem Beitrag, den sozialen und ökonomischen Zusammenhalt kontinuierlich zu erneuern. Der rasche Wandel bringt täglich neue wirtschaftliche, technologische, ökologische, demographische, interkulturelle oder auch gesundheitspolitische Fragestellungen hervor. Sie können allein mit gesichertem Wissen und bewährten Handlungsstrategien nicht mehr ausreichend beantwortet werden.
Veränderte Bedingungen des Aufwachsens
Um die Aufgabe einer zukunftsfähigen Bildung in einer globalisierten Welt zu erfassen, arbeitet die OECD seit einigen Jahren an der Identifizierung von aktuellen, weltweiten Trends und den damit verbundenen Herausforderungen für die nationalen Bildungssysteme. Die Studie »Trends Shaping Education 2013« beschäftigt sich mit der Intensivierung und Vertiefung der transnationalen
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Einleitung
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Vernetzung, ihrer Wirkung auf die Entwicklung von Gesellschaften und den daraus resultierenden Folgen für Familien und Kinder. Dort zeigen sich die massiven, unumkehrbaren Auswirkungen auf die Gestaltung der privaten Räume und sozialen Lebenswelten in vielfacher Weise. Sie betreffen die wissens- und kommunikationsintensive Arbeitswelt ebenso wie geänderte Familienstrukturen, Wohn- und Lebensverhältnisse, Gesundheit, Kommunikation und die Digitalisierung des Alltags. ■■ In Zukunft werden Volkswirtschaften Frauen zunehmend mehr und länger im Erwerbsprozess benötigen – ihre (zeitliche) Präsenz verschiebt sich damit weiter aus dem Familien- in den Arbeitskontext. ■■ Die Notwendigkeit zur kontinuierlichen Weiterentwicklung und lebenslangen Anpassung der professionellen Fähigkeiten wird für Männer wie Frauen ebenso steigen wie der Bedarf an höheren Qualifikationen als Grundlage eines intensivierten Forschungs- und Entwicklungsbereichs. Berufsbegleitende Bildungsangebote werden weiter an Bedeutung gewinnen. ■■ Das noch verbreitete traditionelle Familienbild des 20. Jahrhunderts wird zunehmend dysfunktional. Neue Familienmodelle, spätere Elternschaft, steigende Berufstätigkeit von Frauen, berufliche Mobilität, usw. stellen neue Anforderungen an öffentliche Betreuungsangebote, die gefordert sind, die Rolle der ersten Bildungseinrichtung zu übernehmen. ■■ Nicht nur weltweit wachsen die sogenannten »Megacities« rasant – auch in Europa leben immer mehr Kinder und Jugendliche in städtischen Ballungsgebieten, die von hoher sozialer, sprachlicher und kultureller (Super-)Diversität gekennzeichnet
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Bildungspolitik als Gesellschaftspolitik
Dieses von der OECD beschriebene Szenario unterstreicht deutlich, dass eine zukunftsfähige Bildungspolitik als Gesellschaftspolitik gedacht werden muss. Sie muss die individuellen Bildungslauf-
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bahnen und das Wohl der Einzelnen ebenso im Blick haben wie die Entwicklung einer offenen und demokratischen Gesellschaft. Nur so ist es denkbar, dass die komplexen Herausforderungen der Globalisierung aufmerksam wahrgenommen und in konstruktiver Weise verhandelt und bewältigt werden können. Denn selbstbewusste, gebildete Individuen und ein demokratisch gefestigter sozialer Zusammenhalt sind unabdingbar für die Gestaltung humaner Lebensverhältnisse. »BürgerInnenschaft« und »Zivilgesellschaft« haben zentrale Bedeutung auf allen Ebenen – von der globalen über die regionale Perspektive bis hin zum Schulstandort.
Schlüsselthemen
In den letzten Jahren zeichnen sich die Schlüsselthemen einer fortschrittlich gedachten Bildungspolitik immer deutlicher ab: Über die pädagogische Zielsetzung der Individualisierung und der Bildungsbeteiligung hinaus gerät die gesamtgesellschaftliche Funktion von Bildungssystemen stärker ins Blickfeld. Ihre Wirkung zeigt sich konkret darin, inwieweit es gelingt, Zugang, Teilhabe und Bildungserfolge für alle zu ermöglichen. Selektion, Kategorisierung und Segregation in den Bildungseinrichtungen – in der Eingangsphase oder auch an den Übergängen – erfüllen die Ansprüche an ein zukunftsorientiertes Bildungssystem ebenso wenig wie die Tatsache, dass Bildungserfolge in hohem Maße mit der Herkunft der Schülerinnen und Schüler korrelieren. Ganz im Gegenteil gilt es, Bildung in einem grundlegenden Sinne »barrierefrei« zu denken. Daher müssen wir unsere Bildungseinrichtungen so weiterentwickeln, dass sie (erstens) einen früheren, selektionsfreien Eintritt von Kindern ermöglichen und dass sie
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(zweitens) auf die Unterschiedlichkeit der Heranwachsenden eingehen und niemanden ausschließen oder zurücklassen. Sie müssen (drittens) das Potenzial der Schülerinnen und Schüler so fördern, dass gute Abschlüsse für alle ermöglicht werden. Die Herstellung der Chancengerechtigkeit und die Hebung des Bildungsniveaus stehen nicht im Widerspruch, sondern sind gemeinsam Merkmale starker, zukunftsorientierter Bildungssysteme.
Bildungspolitik fortschrittlich umsetzen
In diese Richtung müssen auch die gegenwärtigen Reformprojekte führen. Daran wird zu bemessen sein, ob sie fortschrittlich gedacht und umgesetzt werden, oder ob sie zwar thematisch richtig gesetzt, aber in ihrer Wirkung konservativ bleiben; ob sie Chancengerechtigkeit fördern, oder ob sie die herkunftsbedingte Bildungsvererbung fortschreiben. Die Stärkung der Elementarpädagogik und der Grundschule, die Neugestaltung der Schuleingangsphase, die Entwicklung der gemeinsamen Schule, die Umsetzung der Ganztagsschule, aber auch zentrale Themen der Schulqualität und Inklusion, Gender- und Diversitätsfragen, durchgängige Sprachförderung, wirksame Bildungsund Berufsorientierung oder auch Schwerpunktsetzungen in der politischen Bildung – all diese Reformen müssen so umgesetzt werden, dass sie die Bildungs- und Lebenschancen aller Kinder und Jugendlichen verbessern, und damit auch als nachhaltiger Beitrag zum Wohlstand des Wirtschaftsstandortes und zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Österreich wirksam werden. Die Gestaltung fortschrittlich gedachter Bildung ist ohne professionelle Transparenz im pädagogischen, im administrativen und im
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Einleitung
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steuernden Bereich nicht denkbar. Für die Qualitätsentwicklung an den Standorten, aber auch im System insgesamt, erweisen sich die Erhebung und Nutzung von Bildungsdaten in Kombination mit den Qualitätsinstrumenten SQA (Schulqualität Allgemeinbildung) und QIBB (Qualitätsinitiative Berufsbildung) als sehr förderlich. Auf diese Weise erhalten Schulen nicht nur eine faktenbasierte Rückmeldung zu ihrer pädagogischen Situation, sondern auch eine Hilfestellung und Begleitung für die Erarbeitung von nachhaltigen Entwicklungsplänen. Mehr professionelle Transparenz im administrativen Bereich bedeutet, die Zuständigkeitsbereiche der verschiedenen Akteure im Bildungssystem so zu regeln, dass die vorhandenen Ressourcen effizienter und effektiver eingesetzt werden und zu 100 Prozent den Schülerinnen und Schülern zugutekommen. Damit in Zusammenhang steht auch die Frage der Steuerung des Bildungssystems. Sie muss sicherstellen, dass die Qualität der Bildungsangebote bundesweit einheitlich zur Verfügung gestellt wird. Hier ist besonders darauf zu achten, dass die Chancen auf Zugang, Teilhabe und Erfolge nicht von der Zufälligkeit des Wohnorts abhängt. Die Aufgabe einer fortschrittlich gedachten Bildung ist eine gemeinsame, an der alle Ebenen und alle Akteurinnen und Akteure des Bildungssystems mitwirken müssen. Gelingen kann diese Aufgabe nur im Bewusstsein um die Bedeutung der Bildung für die persönliche Zukunft jedes einzelnen Kindes und im Wissen um die gemeinsame Verantwortung für den Wohlstand und die materielle Sicherheit von uns allen. In ganz besonderer Weise aber zeigt sich die Fortschrittlichkeit der Bildung in ihrem Beitrag zum Zusammenhalt einer solidarischen Gesellschaft – nur dadurch werden die komplexen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen sein.
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