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Bernhard Nauck
Bildungsstrategien in Migrantenfamilien
Institut für Interkulturelle und International Vergleichende Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg
[email protected]
Übergang von einheimischen und Migranten-Kindern in die Sekundarstufe I 1985 – 2006 (Diefenbach 2010: 56)
Übergang in die Sekundarstufe I nach Nationalität
Bildungsabschlüsse von Jugendlichen aus einheimischen und Migranten-Familien
Die Bewertung solcher Befunde folgt dann zumeist einer Defizit-Perspektive...
Jugendliche aus Migrantenfamilien haben Probleme und machen Probleme ... aber wie sieht es mit einer Erklärung aus?
Das sozialwissenschaftliche Erklärungsproblem klar und einfach:
Warum sind ethnische
Gruppen unterschiedlich erfolgreich im Bildungssystem?
Theoretische Mechanismen (1): Strukturelle Erklärungen
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Auf der Suche nach einer Erklärung…. … Bourdieu‘s Theorie der wechselseitigen Transformation von • ökonomischem Kapital • sozialem Kapital • kulturellem Kapital als Ressourcen elterlicher Investitionen in den Bildungserfolg ihrer Kinder
Die drei Kapitalarten nach Bourdieu
Bildungserfolg = Akkumulation von kulturellem Kapital
… Boudon‘s Theorie der primären und sekundären Herkunftseffekte Primäre Herkunftseffekte: Schulische Performanz
Ressourcen der sozialen Herkunft
Bildungserfolg und Bildungsungleichheiten
1) Ökonomisches Kapital 2) Positionierung in der sozialen Schichtung
Sekundäre Herkunftseffekte: Elterliche Bildungsentscheidung 10
Elterliches Kapital • ökonomisches Kapital = Geld und Zeit Geld anregungsreiche Sozialökologie Zeit Lerninteraktion, Supervision • kulturelles Kapital = elterliche (Akkulturations-)Kompetenz Erziehungs- und Monitoringkompetenz Kinder Wissen über Bildungs-Instrumentalität Institutionen • soziales Kapital = Zugang und Kontakt zu Informanden und Bildungsinstitutionen weak ties Informationsbeschaffung über Bildungsinstitutionen strong ties kohärente Supervision und Kontrolle
Sekundäre Herkunftseffekte Erwartungen und Bewertungen bezüglich der Instrumentalität von Bildung für die Wohlfahrtsproduktion ( = soziale Anerkennung + physisches Wohlbefinden) • zukünftig für das Kind • unmittelbar für die Eltern Migrantenfamilien
höhere Variabilität
Strukturelle Erklärung (I) Kapital-Investitions-Modelle verknüpfen elterliche Ressourcen mit dem Bildungserfolg ihrer Kinder • Einfache Variante: Je höher das (ökonomische, kulturelle, soziale) Kapital der Eltern, desto größer ist der Bildungserfolg ihrer Kinder • Mainstream-Erklärung des (fehlenden) Bildungserfolgs von Kindern aus Migrantenfamilien durch fehlende elterliche Ressourcen • Bezug auf Primäreffekte sozialer Herkunft
Strukturelle Erklärung (2) • Erweiterte Variante: Je höher und je sicherer die wahrgenommenen Renditen des Bildungserfolgs, desto wahrscheinlicher und höher sind elterliche Investitionen in die Bildungskarriere ihrer Kinder. • fehlende Anschlusserklärung des Zustandekommens der unterschiedlichen Bewertungen in ethnischen Gruppen: Warum unterscheiden sich ethnische Gruppen in ihren Bewertungen? •
Bezug auf Sekundäreffekte sozialer Herkunft
Die bisherige Forschung • stützt sich vor allem auf den Vergleich von Ressourcen bei den jeweiligen ethnischen Gruppen • zeigt empirische Evidenz, dass die einheimische Bevölkerung besseren Zugang hat zu • kulturellem Kapital (höheres Bildungsniveau) • sozialem Kapital (mehr weak ties, mehr soziale Ressourcen) • ökonomischem Kapital (höheres Einkommen, mehr Besitz) als die klassischen Arbeitsmigranten. Die Erklärungen scheinen somit adäquat zu sein für Unterschiede im Bildungserfolg von z.B. deutschen und türkischen Schülern und für die allgemeine Benachteiligung von Kindern aus Familien von Arbeitsmigranten.
Das Rätsel mit den Vietnamesen Vietnamesische Eltern haben im Durchschnitt... • weniger Sozialkapital als türkische und deutsche Eltern (Nauck & Lotter 2014) • geringeres Einkommen (1.800€) als türkische (2.200€) und deutsche Eltern (3.000€) (Mikrozensus 2010) • einen ähnliches Bildungsniveau wie deutsche Eltern und ein höheres Bildungsniveau als türkische Eltern (Hochschulreife der Mütter: 32 % / 31 % / 15 %) (Mikrozensus 2010) • geringere Deutschkenntnisse als türkische Eltern (Nauck & Schnoor 2015) • eine kürzere Aufenthaltsdauer in Deutschland als türkische Eltern und hatten somit weniger Zeit für Adaptationsprozesse
Das Rätsel mit den Vietnamesen Entsprechend der Ressourcen-Theorien primärer Herkunftseffekte (und klassischen Assimilationstheorien) sollten also vietnamesische Schüler • weniger bildungserfolgreich sein als deutsche • weniger bildungserfolgreich sein als türkische • – oder zumindest nicht erfolgreicher!
...sie sind es aber!
Ethnische Unterschiede in Bildungsbeteiligung und -erfolg Gymnasialquote Schuljahr 2013/14
(Fach-) Hochschulreife im Alter 18-25 (Mikrozensus 2010)
Deutsche
47,2 %
42,4 %
Türken
19,9 %
18,1 %
Vietnamesen
64,4 %
53,9 %
Schlussfolgerung (erstmal): Positive Diskriminierung? – sehr unwahrscheinlich! Was aber dann???
Theoretische Mechanismen (2): Kulturelle Erklärungen
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Why do Asian Americans academically outperform Whites? (Liu & Xie 2016) Academic achievement
Why do Asian Americans academically outperform Whites? (Liu & Xie 2016) Students' and Parents' educational expectation
Aspirationen und Bildungserfolg bei deutschen und türkischen Schülern in Abhängigkeit vom Bildungsstatus der Eltern (Salikutluk 2016)
Deutsche
Türken
Bildungsaspirationen von einheimischen und MigrantenJugendlichen (CILS4EU) 40 38 36 34 32 30 28 26 24 22 20 England
Deutschland
Einheimische
Niederlande
Migranten
Schweden
Schulische Selbstwirksamkeit von einheimischen und MigrantenJugendlichen (CILS4EU) 45,5 45 44,5 44 43,5 43 42,5 42 41,5 41 40,5 England
Deutschland
Einheimische
Niederlande
Migranten
Schweden
Bildungsaspirationen von deutschen und Migranten-Jugendlichen in Deutschland (CILS4EU) 330 320 310 300 290 280 270 260 250 240
Theoretische Mechanismen (3): Die Herkunftsland-Perspektive
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LineUp Study • LineUp. 2000 Families - Migration Histories of Turks in Europe (2009 – 2014) • NORFACE = New Opportunities for Research Funding Agency Co-operation in Europe: Research Programme „Migration in Europe“ • University of Essex, UK: Ayse Güveli (PI), Lucinda Platt, Sebnem Eroglu-Hawksworth, Sait Bayrakdar • Free University Amsterdam, NL: Harry Ganzeboom, Efe Sözeri • Chemnitz University of Technology, DE: Bernhard Nauck, Helen Baykara-Krumme
Innovationen im Forschungsdesign • Sampling in der Herkunftsgesellschaft („true“ migration effects) • Kontrafaktische Vergleiche von Migranten- und NichtMigrantenfamilien • „Linked lives“ von bis zu 4 Generationen • Nachhaltige Effekte der Migration • Migration nach, innerhalb und von Europa • Transnationale Verfolgung aller Familienmitglieder
Regionen in der Türkei
AKÇAABAT mainstage/2011
KULU mainstage/2011
EMİRDAĞ mainstage/2011
ACIPAYAM mainstage/2011
ŞARKIŞLA pilot/2010
LineUp Studie: Grundgesamtheit • Auswahl von 5 Regionen in der Türkei, in denen in der Anwerbephase viel Auswanderung stattfand Provinz („Ilce“)
Denizli Trabzon (Acipayam) (Akcaabat)
Afyon (Emirdag)
Konya (Kulu)
Sivas (Sarkisla)
Männer (20-45J.) 1965
69.600
74.200
162.400
97.700
Emigration nach 19.500 Europa 1961-73
20.300
10.900
22.900
15.600
Ziel: insgesamt 2000 Familien...
… die aus fünf Regionen der Türkei stammen
Stichprobendefinition • Parallele Samples von “Ankerpersonen” aus Migranten- und NichtMigranten-Familien an ihrem Ausgangspunkt in der Türkei, um diesen über 3 Generationen zu folgen • Migrantenfamilien haben einen männlichen Vorfahren, der: • In einem Alter zwischen 65 and 90 ist/wäre • in der Region aufgewachsen ist • zwischen 1960-1974 nach Europa emigriert ist • dort für mindestens 5 Jahre gelebt hat • Nicht-Migranten-Familien haben einen männlichen Vorfahren mit denselben Eigenschaften, der jedoch in der Türkei geblieben ist • Das Sample wurde durch random walk gezogen, wobei eine Quotierung von 4 Migranten für jeden Nicht-Migranten vorgenommen wurde
Zum Beispiel.... ANKERPERSON
ENKEL
ENKEL Vorname nahe A (18+)
KIND Vorname nahe Z
KIND
KIND Vorname nahe A
ENKEL Vorname nahe Z (18+)
ENKEL
ENKEL
ENKEL (18+)
URENKEL (unter 18 J.)
URENKEL (18 +)
Kooperation mit Interviewern bei der Arbeit
Screening der Regionen
Interviews
Realisierte Interviews Generation
G1 G2 G3 Total
Persönliche Interviews
Nur Proxy Information
Nur Familienstammbaum
Total
1.053 2.718 2.200 5.971
727 5.723 8.407 14.857
212 1.946 15.947 18.105
1.992 10.387 26.554 38.933
Bildungsniveau
(1 „kein Abschluss“ bis 11 „Promotion“)
Mittelwert
Türkei
Europa
Türkei
Männer
Europa Frauen
G1
2,15
2,21
-
-
G2
4,39
6,26 ***
3,40
6,18 ***
G3
6,34
6,72 **
6,17
6,84 ***
Anmerkung: 1 Gen: nach Aufenthaltsland 2 und 3 Gen: Türkei = Bildungsabschluss und aktueller Lebensmittelpunkt in der Türkei Europa = Bildungsabschluss und aktueller Lebensmittelpunkt in Europa
Bildungsgewinne durch Migration über 3 Generationen (Guveli et al. 2016: 86) 1. Generation Türkei Europa Türkei Türkei
2. Generation Türkei Europa Europa Europa
3. Generation Türkei Europa Europa Türkei
Referenz 0.36** 0.46*** -0.18*
Ayse Guveli et al. Intergenerational Consequences of Migration. Socio-economic, Family and Cultural Patterns of Stability and Change in Turkey and Europe. Basingstoke: Palgrave Macmillan 2016