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VALERY SHARIFULIN / TASS / ACTION PRESS
Ruinen von Palmyra in der syrischen Wüste
„Bloß kein Beton!“ Archäologie Der Palmyra-Experte Udo Hartmann über die Debatte zum möglichen Wiederaufbau der zerstörten antiken Oasenstadt Hartmann, 46, Althistoriker an der Universität Jena, forscht am Schnittpunkt von Orient und Okzident. Aus seiner Feder stammt die einzige deutschsprachige Geschichte Palmyras unter der Herrschaft der sagenhaften Königin Zenobia. SPIEGEL: Nach zehn Monaten der Beset-
zung und mutwilligen Zerstörung sind die IS-Kämpfer aus Palmyra vertrieben. Freuen Sie sich? Hartmann: Die Erleichterung ist groß, weil der größte Teil der antiken Siedlung noch aufrecht steht. Beim Theater und den Grabtürmen sind die Schäden geringer als befürchtet. Auch die Kolonnadenstraße ist relativ gut erhalten. Eine der ersten Aufgaben wird es nun sein, das mit Minen übersäte Gelände zu säubern, damit nicht noch mehr Unheil passiert. SPIEGEL: Einige ihrer Kollegen plädieren dafür, die gesprengten Tempel an Ort und Stelle liegen zu lassen, weil auch der ISIrrsinn zur Geschichte gehöre. Diese dürfe man nicht ungeschehen machen. Hartmann: Die Diskussion um die historische Identität von Gebäuden gab es auch 116
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bei der Dresdner Frauenkirche. Ich sehe das unverkrampft: Es wäre in jedem Fall besser, die Trümmer wieder aufzurichten. Römisch-hellenistische Pracht hat sich in der Oase auf spektakuläre Weise mit altorientalischen Bautraditionen und parthischer Ornamentik gepaart. So etwas gibt es weltweit kein zweites Mal. SPIEGEL: Woher all der Reichtum? Hartmann: Die Siedlung war Schnittpunkt der Kulturen, vermögend durch den Karawanenhandel, der vom Persischen Golf den Euphrat aufwärts durch die Wüste bis nach Rom verlief. Kaufleute holten Gewürze, Perlen und Edelsteine aus Indien. Sogar Seide aus Westchina wurde in der Oase gefunden. Im Übrigen: Ohne Wiederaufbau keine Touristen. Palmyra war vor dem Bürgerkrieg ein wichtiger Wirtschaftsfaktor mit Ausflüglern, Gästen und einem Luxushotel. SPIEGEL: Wer gesprengte Tempel wieder aufbaut, verfälscht der nicht? Hartmann: In Palmyra ist ohnehin vieles nicht original aus der Antike erhalten. Als 1678 die ersten Europäer kamen, waren eine Menge Säulen umgefallen. Erst französische Archäologen haben nach 1930 vieles wieder zusammengefügt und aufgerichtet. Der Triumphbogen wurde ausge-
bessert. Im ummauerten Sakralbereich des Baaltempels standen damals Hütten, ein ganzes arabisches Dorf. Im Heiligtum selbst waren Holzwände und Zwischendecken eingezogen. All das hat man entfernt und den Tempel behutsam rekonstruiert. SPIEGEL: Beim römischen Theater ging es eher ruppig zu; da kam ziemlich viel Zement zum Einsatz … Hartmann: … das stimmt, die Sitzreihen wurden damit vervollständigt. Solche Rekonstruktionen durch die syrische Altertümerverwaltung sollten natürlich dringend vermieden werden – bloß kein Beton! SPIEGEL: Die Schuttberge und zerborstenen Architekturteile lassen zweifeln: Kann man Palmyra überhaupt im Detail wiederherstellen? Hartmann: Ja, schon. Archäologen aus Syrien, Frankreich, der Schweiz, Polen, Deutschland und selbst aus Japan haben die Ruinen sehr genau erfasst und Bestandsaufnahmen auch der kleinen Gebäude gemacht. Es liegen Fotografien, Pläne, Risszeichnungen vor. Fast jeder Stein wurde vermessen. Polnische Forscher haben zudem Wohngebäude der kaiserzeitlichen Stadt gut dokumentiert, wozu auch die sogenannten Diokletiansthermen gehören. Das mächtige Bauwerk besaß einen Innenhof mit Wasserbecken und Granitsäulen aus Ägypten. Hier könnte Königin Zenobia gewohnt haben, die von 267 bis 272 n. Chr. Teile des Römischen Reichs an sich riss. Es gibt also genug Vorgaben, an die sich die Rekonstrukteure halten können. SPIEGEL: Wie sollte man in Zukunft vorgehen?
Wissenschaft
Hartmann: Wir brauchen die Kompetenz
aller Palmyra-Forscher, ein internationales Team unter der Schirmherrschaft der Unesco. Selbst Stuck und Ornamente, die von den IS-Barbaren zerschlagen wurden, ließen sich aus lokalem Sandstein originalgetreu nachformen. SPIEGEL: Der Archäologe Andreas SchmidtColinet, der in der Siedlung eine Karawanserei mit Golddecken und spezielle Zimmer für Damenbesuche freigelegt hat, hält die Debatte vom Wiederaufbau für verfrüht. Hartmann: Da widerspreche ich nicht. Bevor sich nicht feste staatliche Strukturen in Syrien einstellen und solange Millionen auf der Flucht sind, ist nicht daran zu denken, alte Tempel auszubessern. Erst braucht die Bevölkerung ein Dach über dem Kopf, ehe man etwa in Aleppo den historischen Markt saniert. Ebenso ist es mit Palmyra: Die moderne Stadt existiert nicht mehr, sie ist zerbombt und verwüstet. Die Bewohner wurden getötet oder evakuiert. SPIEGEL: Der Historiker Maurice Sartre vermutet, viele Zerstörungen in Palmyra seien unsichtbar, weil sie unter der Erde liegen. Ist alles doch viel schlimmer? Hartmann: Da müssen wir genau hinschauen: Wo gab es Einschläge von Granaten? Wo haben Panzer den Untergrund beschädigt? Mich sorgen vor allem die Grabräuber. Die hellenistische Altstadt aus dem 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. ist kaum erforscht. Auf Satellitenbildern sieht man, dass Schatzsucher dort Löcher gebuddelt haben. Auch die Wohnviertel der römischen Neustadt nördlich des Wadis sind noch nicht ausgegraben. Da kennt man nur den Straßenverlauf. Ich fürchte, dort wurde viel gestohlen. SPIEL: Was ist mit den berühmten Totenstätten, den Hypogäen? Einige sind überreich verziert und mit Fresken bemalt. Hartmann: Deren aktuellen Zustand kenne ich nicht. Neben den Tempeln und der Kolonnadenstraße zeugen diese unterirdischen Grabbauten vom besonderen Stellenwert der Kunst in der Oase – sie zählt nicht umsonst zum Weltkulturerbe. Unter den Kaisern Roms war es eine blühende Metropole mit Tausenden Einwohnern. Als Zenobia dort herrschte, war das Umland noch grün, mit fruchtbaren Feldern und Dattelplantagen. Von dieser Schönheit ist nur ein Bruchteil geblieben. Die IS-Truppen haben nun weitere Zeugnisse zerstört. Ich hoffe, die Trümmer werden genutzt, um etwas vom alten Glanz wiederherzustellen. Interview: Matthias Schulz
Video: Was in Palmyra zerstört wurde spiegel.de/sp142016palmyra oder in der App DER SPIEGEL DER SPIEGEL 14 / 2016
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