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Chinesen emigrierten seit Jahrhunderten in das Land, das ab 1939 Thailand hiess. Sie kamen meistens aus den küstennahen Gebieten Süd- und Südostchinas und sprachen ihren angestammten Dialekt: Hokkien, Teochew, Hailam (Hainanesen), Hakka, Kantonesisch. Die Thai pflegen ein unausgesprochenes Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Volksgruppen. Umso erstaunlicher ist es, dass es den Chinesen gelang, Schlüsselstellen in Wirtschaft, Politik und Militär zu besetzen und in die Adelsfamilien einzuheiraten. König Taksin, einer der für die Geschichte des Landes äusserst wichtigen Könige, war der Sohn eines chinesischen Vaters und einer siamesischen Mutter. Aber er war längst nicht das einzige "luhk chin" ("Chinesenkind"), das es zu Wohlstand und Ansehen gebracht hat. Für den Aufstieg der Chinesen gibt es verschiedene Gründe: Traditionellerweise sind sie stärker als die mehrheitlich im Bauernstand verwurzelten Tai-Gruppen (Siamesen, Yuan, Laoten, Shan und andere) mit dem Handel und Gewerbe verbunden. Ihre konfuzianischen Wurzeln halten sie zu einer strengen Arbeits- und Familienmoral an. Die meisten Emigranten aus China besassen nicht viel mehr als das Hemd auf dem Leib, als sie nach Thailand kamen. Fürs Überleben in einer fremden Welt mit einer fremden Sprache und fremden Sitten waren Härte und Disziplin erforderlich. Überdies scheuen sich weder Chinesen noch Thai vor Mischheiraten, so dass heutzutage ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung Bangkoks „chinesisches Blut“ hat, sich aber dennoch als „hundertprozentig Thai“ versteht. Eine neue Publikation zeichnet die Geschichte der Chinesen in Thailand detailreich nach.
Die Geschichte der Chinesen in Thailand auf ein paar wenige Seiten zu kondensieren, ist ein unmögliches Unterfangen. Die beiden Publizisten und Wissenschafter Jerrery Sng und Pimpraphai Bisalputra haben damit Jahrzehnte zugebracht und brauchten dafür 450 Seiten. Ihr reich bebildertes Werk ist 2015 erschienen und weist trotz seines Umfangs erhebliche Lücken auf. So ist der Aufstieg der Thai-Chinesen in Militär und im Mönchtum mit keinem Wort erwähnt. Noch längst ist also nicht alles gesagt zu diesem Thema. Immerhin dauern die Beziehungen Thailands zu Festland-China wahrscheinlich um die zwei Jahrtausende – und wenn man die These berücksichtigt, dass die Tai-Völker noch vor dieser Zeit aus dem Süden Chinas Richtung Westen und Südwesten gewandert sein könnten, dann müsste der Bogen noch viel weiter gespannt werden. Die eigentliche Migration von Chinesen übers Meer setzte sehr viel später ein. Im ersten Jahrtausend unserer Zeit lagen Handel und Schifffahrt mehrheitlich in den Händen von Malaien, Indern und Persern. Kleinere Gruppen von Chinesen kamen vermutlich seit dem 11. Jahrhundert und liessen sich zunächst im Süden nieder, wo wichtige Handelszentren lagen. In Sukhothai, dem ersten Reich der Siamesen, waren Keramikhandwerker gefragt. Ayuthaya, die zweite Hauptstadt Siams, verfügte über ein eigentliches Chinesenviertel. Die Chinesen betrieben bis ins 18. Jahrhundert vor allem einen regen Handel mit ihrem Herkunftsland. Mindestens seit dem 17. Jahrhundert ist die chinesische Kunst (beispielsweise die chinesische Oper) im Land präsent und wird aktiv gepflegt. Die Verbindung zwischen den beiden Ländern wurde durch Tributzahlungen Siams an China vom 13. bis ins 19. Jahrhundert gepflegt. Ein "Chinesenkind" wird König Nach der Eroberung und Zerstörung Ayuthayas durch die Burmesen im Jahre 1767 sammelte der Sohn eines chinesischen Vaters und einer siamesischen Mutter die zerstreuten Truppen, baute die Streitkräfte neu auf und verjagte die Burmesen. Es gelang ihm, das Land gegen grosse innere Widerstände zu einen, den Hunger zu beseitigen und Ordnung zu schaffen. Er sollte unter dem Namen König Taksin bekannt werden. Ohne seine strenge und ordnende Hand und ohne seine kluge Wirtschaftspolitik wäre Thailand das Opfer von fremden Mächten geworden. Da er sich nach innen und wegen seiner impulsiven Art zahlreiche Feinde geschaffen hatte, wurde er schliesslich 1782 im Alter von 47 Jahren exekutiert, um der Chakri-Dynastie Platz zu machen. Die Vorfahren mancher Politiker und Wirtschaftsführer Thailands lebten schon Ende des 18. Jahrhunderts im damaligen Siam, so jene von Pridi Banomyong (Teochew, 1946 Premierminister und Gründer der Thammasat-Universität in Bangkok), Korn Chatikavanij (Hokkien, 2009 bis 2011 Finanzminister) oder Samak Sundaravej (Hokkien, 2000 bis 2004 Gouverneur von Bangkok und 2008 Premierminister). Boonrawd Sreshthaputra, der Begründer der Singha-Bier-Brauerei und einer der reichsten Geschäftsleute Thailands, führt in seinem Stammbaum einen Urgrossvater, der Ende des 18. Jahrhunderts aus Fujian nach Bangkok auswanderte und dort einen einträglichen Seehandel betrieb. © Thaihom Enterprises und Josef Burri 2016 – Die Spezialisten für Kultur und Geschichte
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Die Einlasstore zur Destination Siam Auch der Süden war ein Zielgebiet von Chinesen, die durch Handel mit Vogelnestern (für die berühmte Vogelnestersuppe), in der Ausbeutung der Zinnminen und in der Kautschukindustrie ihr Einkommen fanden und teilweise beträchtliche Vermögen erwirtschafteten. Ein Hokkien-Chinese begründete 1750 in Songkhla im Süden Thailands den Na-Songkhla-Clan, aus dessen Reihen während 126 Jahren bis 1901 der Provinz-Gouverneur stammte. Hokkienchinesische Vorfahren hat auch der in Trang geborene Chuan Leekpai, der als einer der ehrlichsten Politiker der neueren Geschichte Thailands gilt (Premierminister von 1992 bis 1995 und von 1997 bis 2001). Ein weiteres Einlasstor war die Hafen- und Handelsstadt Chanthaburi im Südosten. Dort liessen sich vor allem Teochew aus China und Vietnam nieder, die meistens auf dem Seeweg ankamen, teilweise schon im 19. Jahrhundert. Auch die Vorfahren der Premierminister Thaksin und Yingluck Shinawatra (Hakka-Chinesen), Samak Sundaravej (Hokkien-Chinesen) und Abhisit Vejjajiva (Hakka-Chinesen nordvietnamesischer Herkunft, Premierminister 2008 bis 2011) kamen via Chanthaburi nach Siam. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Küche der Gegend manche speziellen, nur hier bekannten Gerichte bereithält. Die grössten Emigrantengruppen aus China fanden sich jedoch in Bangkok und Thonburi, wo sie sich in den für sie reservierten Stadtteilen niederliessen. Meistens kamen nur Männer. Einige waren zuvor schon in ihrer Heimat verheiratet und nahmen sich dann in Siam eine Zweitfrau. Kinder aus diesen Beziehungen hiessen "luhk chin". Chinesische Frauen blieben bis zur Revolution von 1911 in China zurück. 1848 wurden bei einem Chinesenaufstand in der 80 Kilometer östlich von Bangkok gelegenen Provinzhauptstadt Chachoengsao 3'000 von ihnen massakriert, was darauf hindeutet, dass sich die Beziehungen zwischen dem siamesischen Staat und den Immigranten nicht immer friedlich gestalteten. Allerdings gab es auch Rivalitäten innerhalb der verschiedenen Sprachgruppen, insbesondere zwischen Hokkien und Teochew. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts pendelten Dampfschiffe zwischen den Häfen in Siam und China und brachten grosse Gruppen von Zuwanderern ins Land. Der Zustrom von chinesischen Lohnarbeitern (Kulis) verstärkte sich nach 1900 noch. Eine weitere Welle von Chinesen erreichte Thailand während und nach dem chinesischen Bürgerkrieg von 1946 bis 1949. Lange willkommen, dann geächtet Die Chinesen kamen mehrheitlich aus den südlichen und südöstlichen, küstennahen Provinzen Guangdong (mit Guangzhou oder Kanton und Hongkong), Fujian, Guangxi und der Insel Hainan, und sie brachten ihre unterschiedlichen Sprachen, Dialekte, kulturellen Traditionen und lokalen Küchen mit. Sie emigrierten, um der bitteren Armut und den Hungersnöten in China zu entrinnen. Meistens suchten sie für sich auch einen Ausweg aus den politischen Turbulenzen und Unsicherheiten, so nach dem Ende der Ming-Dynastie im 17. Jahrhundert und während der Herrschaft der Mandschu-Dynastie und den kriegerischen Verwerfungen im China des 20. Jahrhunderts. Die Siamesen betrachteten die Chinesen seit Jahrhunderten nicht als „Ausländer“; so erhielten sie weitgehend Niederlassungsfreiheit und waren mit ihren Kenntnissen in Wirtschaft und Handel sowie im Staatsdienst oder als einfache Arbeiter für den Bau von Kanälen, Strassen und Bahntrassen lange Zeit willkommen. Siam exportierte im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts grosse Mengen an Reis nach China, und der Reishandel (inklusive die Reismühlen) © Thaihom Enterprises und Josef Burri 2016 – Die Spezialisten für Kultur und Geschichte
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lag grösstenteils in den Händen der Chinesen, deren erfolgreichste Exponenten gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine erste unternehmerische Elite bildeten. Reich wurden manche Chinesen auch als Steuereintreiber. Nachdem westliche Mächte (Grossbritannien, Frankreich, USA) das Königreich Siam zur Aufgabe von Handelsschranken und staatlichen Monopolen genötigt hatten, mussten neue Einnahmequellen für die Staatsfinanzen angezapft werden. Besonders ertragreich waren die Steuern auf Prostitution, Opium, Alkohol und Glücksspiel. Da solche Laster besonders unter Chinesen beliebt waren, lag es auf der Hand, Chinesen als "Steuerfarmer" zu beauftragen. Doch wie gewonnen, so zerronnen... Mit der Zentralisierung und Neuordnung des siamesischen Nationalstaates verschwanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Konzessionen der Steuereintreiber allmählich. Wer überleben wollte, musste sich ein anderes Betätigungsfeld suchen oder das Angebot für die verbliebenen letzten Konzessionen in schwindelerregende Höhen treiben, um gegenüber der Konkurrenz zu bestehen. Die meisten Steuereintreiber gingen Konkurs. Die mittlerweile sehr zahlreichen Chinesen in Siam zu Beginn des 20. Jahrhunderts sahen sich angesichts des wachsenden Nationalismus vor grossen, aber nicht unüberwindlichen Hindernissen. König Vajiravudh Rama VI. (Regierungszeit: 1910 bis 1925) hielt die Chinesen, für die „Juden des Ostens“, wobei er allerdings einen Unterschied machte, ob die Chinesen schon lange Zeit in Siam lebten und sich wie loyale Staatsbürger verhielten oder ob sie erst vor kurzem eingewandert waren wie die Massen von Kulis. So wie der König dachten auch zahlreiche andere, vor allem westliche Ideologen. Repressionen oder Handelsbeschränkungen gegen Chinesen gab es jedoch zur Regierungszeit von König Vjiravudh keine. Auch sein Nachfolger, König Prajadhipok, betrachtete die zahlreichen Chinesen als ein Hindernis für eine demokratische Entwicklung Siams; denn er befürchtete – nicht zu Unrecht, wie sich später zeigen sollte -, dass die Chinesen nach der Einführung eines Parlaments das ganze Land übernehmen würden. Inspiriert von westlichem Rassendenken und westlichen nationalstaatlichen Ideologen machte sich ein thailändisches Nationalbewusstsein mit Grossmachtträumen breit: Alle Tai-Sprechenden in China, Laos, Vietnam, Birma, Indien und Thailand sollten sich vereinen und die an Französisch-Indochina „verlorenen“ Territorien in Laos und Kambodscha zurückerobern. Die Situation für Siams Bevölkerung chinesischer Herkunft wurde in den zwanziger und dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend schwierig, nicht nur wegen dem künstlich geschürten Nationalismus der Siamesen. Auch die Chinesen selbst besannen sich mehr als früher auf ihre Wurzeln, vor allem nachdem sich chinesische Männer nicht mehr mit einheimischen Frauen einlassen mussten, sondern ihre chinesischen Frauen mitbringen konnten. Im Kräftefeld der Politik In China hatte sich eine grosse politische Umwälzung vollzogen, die von vielen Chinesen in Siam begrüsst und unterstützt wurde. Nach der demokratischen Revolution des Jahres 1911, der Abdankung der Mandschu-Dynastie ein Jahr später und dem Erstarken der Kuomintang auch in Siam wurde die Regierung in Bangkok nervös: Sie befürchtete negative Konsequenzen wegen der Einmischung in die politischen Angelegenheiten Chinas; noch weit schlimmer war die Vorstellung, dass die republikanischen oder gar revolutionären Ideen aus China die absolute Monarchie in Siam gefährden könnten. Die Kuomintang hatte gegen Ende der zwanziger Jahre um die 20'000 Mitglieder in Siam. Die Verhältnisse wurden nicht einfacher, als sich 1924 auch innerhalb der Kuomintang in Siam ein radikaler linker Flügel bildete. Schliesslich tauchte noch eine dritte politische Kraft auf, nämlich die Japaner, deren Armee 1928 bei einem Zusammenstoss mit den Kuomintang 5'000 Chinesen tötete. Chinesen in Siam © Thaihom Enterprises und Josef Burri 2016 – Die Spezialisten für Kultur und Geschichte
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boykottieren daraufhin japanische Waren. Viele chinesische Geschäftsleute schlossen sich, wohl meist aus opportunistischen Gründen, dem thailändischen Nationalismus an. Allerdings stiessen sie bei den Thai-Ideologen auf wenig Gegenliebe: So hiess es etwa, chinesische und koloniale Händler, alle aus dem Ausland, würden „das Thai-Blut bis aufs Mark aussaugen“. Mit der Revolution von 1932 verbesserte sich die Situation für die Chinesen nicht, im Gegenteil. Der militärische Flügel der Revolutionäre unter Plaek Phibunsongkhram gewann an Stärke und orientierte sich an Staaten mit einer starken Armee wie Japan, Italien oder Deutschland. Als 1937 japanische Truppen in der Mandschurei einmarschierten und sich der chinesische Nationalismus auch in Siam breitmachte, traten einmal mehr Zweifel an der Treue der Chinesen zum thailändischen Staat auf. Es kam zu Verhaftungen und Deportationen von Chinesen sowie zur Schliessung von chinesischen Schulen und Zeitungen. Die Wirtschaft Thailands sollte für die Thai bestimmt sein. Nach dem erneuten Boykott von japanischen Waren durch die Chinesen im Jahre 1938 wurden strategisch wichtige Unternehmen, die bisher in der Hand von Chinesen waren, verstaatlicht (Reishandel, später Salz und Tabak, Alkohol wurde schon 1936 nationalisiert). Bestimmte Berufe und Geschäftszweige waren nur noch den Thai vorbehalten (Taxifahren, Schweine schlachten, fischen, Kautschuk pflanzen, Benzin verkaufen). 1941 folgte die Verstaatlichung von wichtigen Industriebereichen, in denen die Chinesen eine führende Rolle spielten. Aufs Konto von chinesischen Hardlinern gingen die Morde an führenden Chinesen, die nur oberflächlich am antijapanischen Boykott mitgemacht hatten. Ab 1939 konnten sich Chinesen allerdings erleichtert einbürgern, wovon vorerst chinesische Handelsleute Gebrauch machten. Ab dieser Zeit änderten die Chinesen ihre Namen. Die Grossmacht-Träume der Thai gingen weiter, und Siam wurde aus rassischen Gründen in ThaiLand umbenannt. Ab 1943 wandte sich das Land langsam von der Verliererpartei Japan ab, womit sich die Situation für die Chinesen im Land leicht entspannte. Unaufhaltsamer Aufstieg in Wirtschaft und Politik Nach dem Militärputsch von 1947 mit Phibunsongkhram an der Spitze liess der Druck auf die Chinesen nicht nach. Die Militärs befürchteten, dass sich innerhalb der grossen Gruppe der Chinesen kommunistisches Gedankengut breit machen könnte, und sie unterdrückten das wieder erwachte chinesische Nationalbewusstsein, indem sie chinesische politische Rädelsführer deportierten, Arbeiterorganisationen auflösten und die Vorschriften für chinesische Schulen massiv verschärften. Trotz all dieser und weiterer Schwierigkeiten begann der unaufhaltsame Aufstieg der ThaiChinesen, und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft: Im Militär, bei der Polizei und Administration, in der Politik und vor allem in der Wirtschaft setzten sie sich mehr und mehr durch. Viele Söhne (und wenige Töchter) einflussreicher chinesischer Familien studierten im Ausland und brachten von dort das geistige Rüstzeug mit, das bei der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes so dringend benötigt wurde. Durch eine gezielte Heiratspolitik in den höchsten Kreisen entstanden neue Netzwerke und Abhängigkeiten zwischen Thai und Chinesen. Der Zustrom von weiteren Einwanderern aus China blieb seit 1949 praktisch aus, so dass sich das Problem der Assimilation und Integration allmählich entschärfte. Aber auch der Traum einer Rückkehr verflüchtigte sich. Die Thai-Chinesen richteten sich auf Dauer in Thailand ein. Die Thai-Ideologie verschwand ab den sechziger Jahren aus der Öffentlichkeit, und der Anteil der Chinesen in Siam und später Thailand an der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen © Thaihom Enterprises und Josef Burri 2016 – Die Spezialisten für Kultur und Geschichte
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Entwicklung des Landes über eine sehr lange Zeit wurde mehr und mehr anerkannt und respektiert. Es herrschte eine gegenseitige Interdependenz von Politik, Militär und Unternehmertum. Chinesische Geschäftsleute suchten den Kontakt zu Politikern, Militärführern und Vertretern der staatlichen Administration und boten ihnen Posten in der Geschäftsleitung an. Auf diese Weise war es leichter, an Bewilligungen, Monopole, Privilegien und Aufträge zu gelangen. Die grossen Wirtschaftskonglomerate Thailands entstanden praktisch ausnahmslos durch ein Zusammenspiel von politischer Begünstigung (zum Beispiel mit Einfuhrbeschränkungen oder Errichtung von Monopolen), Beschaffung von Risikokapital und Aufbau eigener Produktionsanlagen in Thailand. Neben dem Big Business entwickelte sich auch eine städtische chinesische Mittelschicht, die mithalf, die thailändische Konsumgesellschaft aufzubauen. Dieser Prozess war natürlich in Bangkok am sichtbarsten, blieb aber nicht auf die Hauptstadt beschränkt. Sowohl im Norden (Chiang Mai) wie auch im Süden waren es chinesische Familienunternehmen, die den Handel und die Warenproduktion bestimmten. Vor diesem Hintergrund gelang zahlreichen Geschäftsleuten mit chinesischen Wurzeln der Aufstieg in höchste Wirtschaftskreise. Sie gründeten Unternehmen, die ihre Wurzeln in Thailand haben, heute aber global tätig sind. Ein typisches Beispiel ist Charoen Sirivadhanabhakdi, ein "luhk chin", der noch heute wie sein Vater, ein mittelloser Immigrant und Strassenverkäufer, Teocheow spricht. Das sechste von elf Kindern verliess mit neun Jahren die Schule und baute sich im Verlauf einer langen Karriere ein Business unter dem Namen ThaiBev auf (Thai-Whiskey, Charoen und Wanna Sirivadhanabhakdi Chang-Bier und alkoholfreie Getränke). Zusammen mit anderen Geschäftszweigen wie Immobilien und neuerdings mit einer Mehrheit an den Aktien der Supermarkt-Kette Big C bildet das Unternehmen die Thai Charoen Corporation Group (TCC Group). Dazu gehört auch das 1882 von Schweizern gegründete Handelshaus Berli Jucker. Charoens Frau Wanna – auch sie ein "luhk chin" – und deren fünf Kinder sind alle in führenden Positionen des Unternehmens tätig, das sich im Übrigen auch im sozialen Bereich und für den Schutz der bedrohten Umwelt engagiert. Eine ähnliche Tea-Boy-Karriere legte der 1935 in der chinesischen Provinz Guangdong geborene Kraisorn Chansiri hin. Anlässlich einer Ansprache an der Chulalongkorn-Universität sagte er 2013: "Mein Leben hier in Thailand begann mit drei Nullen: keine Bildung, kein Geld und kein Kredit." Trotz diesem dreifachen Handicap brachte er es zu einem der grössten Produzenten von Büchsen-Thunfisch (Thai Union Group beziehungsweise Thai Union Frozen). Sein grösstes Glück kam mit der Finanzkrise des Jahres 1997, weil er keine DollarSchulden hatte und damit als exportorientierter Unternehmer von der Abwertung des Baht profitierte. Das Unternehmen ist in den letzten Jahren in den Fokus von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen wegen sklavenähnlichen Zuständen in seinen Zulieferfirmen geraten. Zu den höchst erfolgreichen Familienunternehmen gehört auch die Charoen Pokphand Gruppe (CP), geführt von Dhanin Chearavanont. Sie ist traditionellerweise vor allem im Agro-Business tätig (Tierfutter und Farmen mit Schweinen, Hühnern, Enten und Garnelen). Weitere Unternehmensbestandteile sind die Telefon- und Telekommunikationsfirma True Corp und die 7-Eleven-Läden. Die Gruppe beschäftigt rund 300‘000 Mitarbeitende und ex© Thaihom Enterprises und Josef Burri 2016 – Die Spezialisten für Kultur und Geschichte
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pandierte nach Singapur, Indonesien, Japan und China. Dhanins Vater Chia Ekchor (Teochew) legte den Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg 1921, als er in Bangkoks Chinatown einen Laden mit Sämereien aufmachte. Chin Sophonpanich (1910-1988), ein anderer Teochew, wurde trotz einer rudimentären Schulbildung der Begründer der sehr erfolgreichen Bangkok Bank. Abgesehen von solch glänzenden Wirtschafts- und Polit-Karrieren trugen unzählige Chinesen auch dazu bei, dass es den weniger Glücklichen unter ihnen besser ging. Ein typisches Beispiel dafür ist Luan Vongvanu (1891-1964). Geboren wurde er in eine bescheidene HailamFamilie auf der Insel Hainan, verlor aber seine Eltern und Geschwister schon früh. Zusammen mit seinem Schwager machte er sich nach Bangkok auf, wo der lernbegierige Bub die Schule besuchen konnte, aber in bitterster Armut lebte. Als auch noch sein Schwager früh starb, hielt er sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser und besuchte eine Abendschule. Er fand eine Anstellung als Apothekergehilfe - und das war der Einstieg in eine erfolgreiche Karriere als Apotheker und Arzt. Als 1937 der Krieg zwischen China und Japan zahlreiche Opfer forderte, sandte Luan ganze Schiffsladungen von medizinischem Material nach China, was den thailändischen Behörden missfiel. Luan wurde gezwungen, ins Exil zu gehen. In Hongkong, wohin er seine Familie holte, führte er eine Apotheke und half thailändischen Studenten, die dort lebten. Er engagierte sich persönlich im chinesischen Roten Kreuz, was ihm schliesslich die Ehrung als Overseas Chinese Commissioner der Republik China von Chiang Kai-shek eintrug. Hoch dekorierte kehrte er schliesslich nach Bangkok zurück. Flexibel und anpassungsfähig, aber chinesische Spuren bleiben Die Chinesen passten sich im Verlauf der Zeit immer wieder den Verhältnissen in ihrem Gastland an, das heute für die meisten zur ersten Heimat geworden ist. Chinesisch wird kaum mehr gelesen, geschrieben oder gesprochen. Nach zwei oder drei Generationen haben sich die Kinder der chinesischen Emigranten vollkommen den thailändischen Verhältnissen angepasst, zum Bedauern der noch lebenden Vorfahren, wie der Roman "Letters from Thailand" auf literarisch eindrückliche Weise reflektiert. An die lange Chinesen-Tradition in Thailand erinnern hingegen noch immer die chinesischen Schreine, die Feste chinesischen Ursprungs, insbesondere das chinesische Neujahr, das sich nach dem Mondkalender richtet (gewöhnlich im Februar) und das zwischen dem westlichen Jahresbeginn und dem thailändischen Neujahr im April liegt. Auch das Vegetarier-Festival, das vor allem im Süden begangen wird, ist chinesischen Ursprungs. A propos Essen: Die thailändische Küche, ohnehin ein Mix aus ganz verschiedenen Einflüssen, ist stark von Chinas Essgewohnheiten geprägt. Alle Gerichte aus Reisnudeln sind entweder direkt Chinas Küchen entlehnt oder dann eine Kombination von Zutaten aus beiden Ländern. Auch die Stäbchen, mit denen die Thai durchaus umgehen können, stammen ursprünglich aus China. In Thailand isst man mit Löffel und Gabel und auf dem Land teilweise immer noch mit den Fingern.
Literaturhinweis Jeffery Sng, Pimpraphai Bisalputra: A History of the Thai-Chinese. Edition Didier Millet, Singapore, Bangkok 2015, 448 Seiten.
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