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Das Böse - Bayerischer Rundfunk

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Manuskript radioWissen SENDUNG: 28.10.2015 9.35 Uhr / B2 AUFNAHME: STUDIO: PHILOSOPHIE, RELIGION, ETHIK Ab 9. Schuljahr TITEL: Das Böse Zwischen Abscheu und Faszination AUTORIN: Nathalie Weidenfeld REDAKTION: Bernhard Kastner REGIE: Christiane Klenz TECHNIK: Christine Frey und Susanne Herzig PERSONEN: Sprecher Rainer Bock Sprecherin Laura Maire Zitator Shenja Lacher Zitatorin Katja Schild Im O-Ton: Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Prof Dr. Wolf Singer, Prof. Dr. Jörg von Brincken Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 2 MUSIK Hilarious C1557280 111 unter nachfolgendem Zitator Kreuzblende MUSIK With Suspicion Z8007273 104 ZITATOR Und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, dass der König vor Freude sich nicht zu lassen wusste und ein großes Fest anstellte. Er lud auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so musste eine von ihnen daheimbleiben. Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert. Als elfe ihre Sprüche eben getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, dass sie nicht eingeladen war und ohne jemand zu grüßen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme: „Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen.“ Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte sie sich um und verließ den Saal. SPRECHERIN Die böse Fee, die aus purer Lust am Bösen andere verflucht, einsperrt, oder tötet ist ein zentrales Motiv im Märchen. Ihr gegenüber steht die liebe und gute Fee, oder die liebe und unschuldige Prinzessin, die natürlich niemals andere verfluchen, einsperren oder töten würde. Zum Glück kann man das Böse im Märchen immer schnell erkennen, denn die böse Fee ist nicht nur böse, sondern häufig auch hässlich. Auch wenn ein Bösewicht in einem Disneyfilm auftaucht, trägt dieser immer dunkle Kleider – meist dauert es auch nicht lange und der Himmel verdunkelt sich. Doch wie sieht es im realen Leben aus? Ist das Böse auch dort so leicht zu erkennen? Woher kommt 'das Böse' eigentlich? Welche Formen kann es annehmen? Und kann das Böse auch anziehend oder sogar 'erotisch' sein? MUSIK zu Ende Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 3 SPRECHER In der christlichen Lehre herrscht die kanonische Meinung vor, dass 'der Teufel' Schuld daran sei, wenn ein Mensch Böses tut. In früheren Malereien taucht der Teufel als behuftes und gehörntes Wesen auf, das nur darauf aus ist, zu töten, zu zerstören und Streit in die Welt zu bringen. Auf diese Vorstellung beruft sich auch Goethe, der in seinem Faust den Teufel mit folgenden berühmten Worten auftreten lässt: ZITATOR Ich bin der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles was entsteht / Ist wert, dass es zu Grunde geht; / Drum besser wär’s, dass nichts entstünde. / So ist denn alles was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz das Böse nennt, / Mein eigentliches Element. MUSIK Quartermaster Z8000413 111 SPRECHERIN Heutzutage ist die Vorstellung von einem solchen personalisierten Bösen, dem behuften und gehörnten Teufel also, nicht mehr zeitgemäß. Der Teufel macht uns keine Angst mehr, lediglich zu Fasching tauchen noch Teufel auf, meist in Form verkleideter Kinder, die sich schwarze Kostümchen anziehen und rote Plastikhörner überstülpen. Wenn es also nicht der Teufel ist, der uns Menschen Böses tun lässt, woher kommt es dann, das sogenannte 'Böse'? MUSIK freistehend SPRECHERIN Der zeitgenössischen Neurowissenschaft zufolge hat das Böse im Gehirn jedenfalls keinen Platz. Einer der prominentesten Hirnforscher, Professor Wolf Singer, formuliert das folgendermaßen: MUSIK zu Ende Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 4 MUSIK With Suspicion setzt unter nachfolgendem O-Ton ein O-TON 1 - Wolf Singer „Das Böse ist ja eine Zuschreibung, die ja möglich ist, weil sie sich an irgendwelchen normativen Systemen orientiert. Was ist schon böse. Also, Aggression kann ja etwas sehr Gutes sein, wenn es darum geht, sich selbst und seine Kinder zu verteidigen. Das Böse ist eine Zuschreibung, die soziokulturell entstanden ist. Der Begriff ‚Böse‘ ist eine soziale Realität, das ist nicht etwas, was man so im Gehirn einfach finden kann. Was man im Gehirn wohl finden kann, sind Zentren, die Aggressionen vermitteln, ein aggressives Verhalten auch auslösen, und es gibt Zentren, die auch aggressives Verhalten blockieren. Ich glaube also nicht, dass man von einem Absolutum ‚Das Böse‘ sprechen kann als Hirnforscher. Weil Böse ist ja wirklich eine Konnotation, die muss man herleiten. Was für die einen 'böse' ist, bringt die anderen in den Himmel. Ich meine, jemand, der sich mit dem Sprenggürtel in die Luft sprengt, der wird von seiner Umgebung gepriesen als Märtyrer und kriegt den Himmel mit den 40 Jungfrauen versprochen. Für uns ist das eine der schlimmsten Taten, die man begehen kann, sich umbringen und andere mit in den Tod reißen. Was böse ist, legen wir fest, und nicht die Biologie.“ SPRECHER Aber was kann man tun, wenn Menschen böse Handlungen vollziehen wollen? Gibt es hierfür aus neurophysiologischer Sicht Auswege? MUSIK klingt unter dem Anfang des nachfolgenden O-Tons aus O-Ton 2 - Wolf Singer „Wenn wir Verhalten korrigieren wollen, dann wollen wir eigentlich abweichendes Verhalten so beeinflussen – und das tun wir natürlich exzessiv durch Erziehung und durch Abschreckung und durch Belohnung, um Menschen kompensiert in einem sozialen Gefüge halten zu können. Im eigenen Interesse, aber auch wenn man altruistisch ist, im Interesse dieser Menschen. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder kollidieren mit der Welt. Das glaube ich nach wie vor erprobteste Mittel, das Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 5 hinzukriegen, ist Erziehung, also Attraktoren schaffen, abstoßende durch Bestrafung und anziehende durch Belohnung." SPRECHERIN Für den Philosophen Julian Nida-Rümelin ist das Böse hingegen mehr als nur ein soziokulturelles Konstrukt: O-TON 3 - Julian Nida-Rümelin „Es gibt nach meiner festen Überzeugung objektiv Richtiges und objektiv Falsches. Wir versuchen das zu erkennen, dafür tauschen wir Argumente aus. Wir sind uns alle einig, dass der Völkermord an den Juden ein Unrecht war, eines der schlimmsten Verbrechen, die in der Menschheitsgeschichte vorgekommen sind und das ist kein Konstrukt, sondern eine Tatsache. Und wenn das eine Tatsache ist, dann ist auch das Böse ein objektiver Sachverhalt, der zum Beispiel in dieser Praxis der Nationalsozialisten sich manifestierte.“ SPRECHERIN Während also der Neurophysiologe auf Attraktoren setzt, die Belohnung und Abschreckung vermitteln, gibt die Philosophie Nida-Rümelins eine andere Antwort auf die Frage, wie man das Böse vermeiden kann: O-Ton 4 - Julian Nida-Rümelin „Also ich habe nichts dagegen, dass man durch Sanktionen, durch Belohnung und Bestrafung, auch Einfluss nimmt auf das menschliche Verhalten, das ist die ganze Logik des Strafrechts und der staatlichen Friedensordnung, wenn man so will, des staatlichen Gewaltmonopols. Aber das hat Grenzen und die Grenzen liegen vor allem darin, dass, wenn das das einzige Instrument der Verhaltenssteuerung wäre, dann müsste alles kontrolliert und sanktioniert werden. Das ist eine Horrorvorstellung, das wäre gewissermaßen Big Brother in einer extremen Form, alles würde kontrolliert und entsprechend sanktioniert. Und die Alternative ist, dass wir Menschen zumuten und zutrauen, dass sie in der Lage sind, dazuzulernen, abzuwägen, ob das in Ordnung war, was sie getan haben oder nicht. Auf Vorwürfe Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 6 zu reagieren und Vorwürfe so aufzunehmen, dass sie dann ihr Verhalten in Zukunft ändern, auch dann, wenn dieses Verhalten nicht sanktioniert ist. Wenn wir uns nur über Sanktionen verändern würden, dann wäre auch die gesellschaftliche Ordnung human nicht zu gestalten, weil dann das gesamte menschliche Verhalten lediglich Ergebnis ist bestimmter Bedingungen, die andere schaffen. Das heißt, Menschen würden zu bloßen Instrumenten der Ziele anderer Menschen, zum Beispiel Sozialreformer oder auch Diktatoren.“ ZITATOR Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. SPRECHERIN Mit diesem berühmt gewordenen Satz von Kant wird deutlich, dass Kant als Philosoph der Aufklärung den Menschen als ein Wesen betrachtet, das mit der nötigen Vernunft und dem notwendigen Willen ausgestattet ist, um als moralisches und 'gutes' Wesen zu handeln. Was aber, wenn er doch böse handelt? Für Hannah Arendt liegt eine mögliche Erklärung dafür, dass Menschen böse Handlungen vollziehen, darin, dass diese sich eben weigern, dafür als Personen zur Verantwortung gezogen zu werden: ZITATOR Das größte begangene Böse ist das Böse, das von Niemandem getan wurde, das heißt, von menschlichen Wesen, die sich weigern, Personen zu sein. MUSIK Still gone Z8007273 205 SPRECHER Nachdem Hannah Arendt wochenlang den Prozess gegen den Naziverbrecher Eichmann beobachtet hatte, kam die Philosophin zu dem Schluss, dass Menschen wie Eichmann Böses nicht unbedingt aus Lust am Bösen per se tun, sondern weil sie sich weigern, Verantwortung zu übernehmen. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 7 Arendt zufolge handelte Eichmann, der Tausende von Juden in den Tod schickte, nicht nur aus tiefem Hass und Antisemitismus, sondern viel mehr, weil er seine Verantwortung einfach einem anonymen politischen Apparat und seiner Bürokratie übergeben hatte. Obwohl Arendt nicht der Meinung war, dass ein so entstandenes Böses weniger zu verdammen sei, sah sie sich damals mit ihrer These heftigster Kritik ausgesetzt. Es scheint leichter zu fallen, von einem 'dämonischen Bösen' als von einem 'banalen Bösen' zu sprechen. MUSIK hoch und klingt aus SPRECHERIN Eine andere Erklärung für das Böse liefert uns der Tier- und Verhaltensforscher Konrad Lorenz: Für ihn ist 'Das Böse' weder dämonisch noch banal, sondern lediglich dem menschlichen Aggressionstrieb geschuldet, dem wir es zu verdanken haben, dass sich die Menschheit als Gattung auf der Erde überhaupt durchsetzen konnte. Das Problem ist, dass dieser Trieb zwar heute seinen Sinn eingebüßt hat, leider aber uns immer noch in den Genen steckt. Lorenz identifiziert drei Faktoren, die es dem modernen Großstadtmenschen erschweren, sich von seinem biologischen Erbe der Aggression freizumachen: ZITATOR Erstens ist es den persönlichen Bindungen abträglich, wenn ihrer zu viele werden. Das große Angebot an „Bekannten“, wie jede größere Gemeinschaft es zwangsläufig mit sich bringt, vermindert daher die Festigkeit der Einzelbindungen. Zweitens bewirkt das enge Zusammendrängen vieler Individuen auf kleinem Raum eine Ermüdung aller sozialer Reaktionen. Jeder moderne Großstadtmensch, der mit sozialen Beziehungen und Verpflichtungen so sehr überfüttert ist, kennt die beunruhigende Erscheinung, dass man sich über den Besuch eines Freundes, selbst wenn man ihn wirklich liebt und ihn lange nicht gesehen hat, nicht mehr ganz so freuen kann. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 8 Zu diesen unerwünschten Folgen des Anwachsens unsere Sozietät gesellen sich noch diejenigen der Unmöglichkeit, aggressive Triebe im artgemäß vorgesehenen Ausmaße abzureagieren. MUSIK The way he looks at me Z8007273 114 SPRECHER Ist dieser Mangel an Möglichkeiten, sich „abzureagieren“, wie dies Lorenz nennt, vielleicht mit ein Grund, warum sogenannte 'Ego-Shooter Games' von immer mehr Menschen gespielt werden – und inzwischen einen größeren Markt als das Hollywood-Kino erobert haben? MUSIK ausgeblendet MUSIK Bad, Michael Jackson CD821920 006 SPRECHER Wie es scheint, stellt das Töten, die Gewalt und das 'Böse-sein' im virtuellen Raum für viele eine faszinierende und auch süchtig machende Erfahrung dar, die Jörg von Brincken, Professor für Theater und Medien an der LMU-München, folgendermaßen beschreibt: MUSIK aus O-TON 5 - Jörg von Brincken „Natürlich haben Games und auch Ego-Shooter als besonders affektträchtige Games einen sehr faszinierenden Charakter, können einen reinziehen und können sicher auch erlebnissüchtig machen. Auch gewinnsüchtig machen unter Umständen. Aber das gilt für einen eher kleinen Prozentteil von vorneherein anfälligen Spielern.“ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 9 SPRECHER Das Böse spielt für die Faszination der Computerspiele, bei denen die Spieler böse Handlungen wie etwa Mord vollziehen können oder sogar müssen, wenn sie im virtuellen Raum überleben wollen, eine durchaus wichtige Rolle: O-TON 6 - Jörg von Brincken „Man folgt natürlich einem ganz basalen Antrieb, das ist Gewinnsucht und das ist vielleicht auch die Lust am virtuellen Töten, wohlgemerkt am virtuellen Töten. Insofern kann man sich durchaus böse fühlen, wenn man das Böse jetzt als etwas betrachtet, was von einer gewissen übermoralischen Souveränität ist. Das macht ja das Faszinierende des Bösen aus, dass es von einer übermoralischen Souveränität ist, das heißt, es ist sehr frei, es muss sich nicht an moralische Regeln halten. Dann kann es natürlich eine Rolle spielen, ja dann kann man sich unter Umständen böse fühlen beim Spielen. Lust am Böse sein ist immer Lust an Freiheit, sich nicht an Regeln halten müssen, zu den eigenen Gunsten handeln, zweckrational zu den eigenen Gunsten handeln, das macht Lust, das macht Spaß, ja. Nicht umsonst sind Bösewichter in Filmen aber auch in Games faszinierende Charaktere, weil sie sich an keine Regeln halten, weil sie so etwas Rebellisches haben. Also es ist sozusagen wie der Engel, der zu Gott sagt ‚Nein, du kannst mich mal‘. Ja, genau.“ MUSIK Night sight C1395560 012 SPRECHERIN Die Verbindung des Bösen und der Lust ist keine Erfindung Hollywoods oder der Computerspiel-Industrie. Kunst und Literatur haben diese Verbindung schon immer als reizvoll empfunden. Besonders die symbolistische Kunst am Ende des 19. Jahrhunderts kreist immer wieder um das Thema des als lustvoll empfundenen Bösen. Der Mensch erscheint als dekadentes Wesen, sehnt sich nach dunklen und gefährlichen Erfahrungen, durch die er eine Art Ekstase erfahren kann – auch wenn diese ihn in den Tod führt. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 10 Eine wichtige Rolle spielt in diesen düsteren Fantasien die Femme fatale, also die destruktive und böse Frau, die Männer in den Tod oder zumindest in den Wahnsinn oder ins Unglück stürzt. ZITATORIN Ich bin verliebt in Deinen Körper Johannes. Dein Körper ist weiß, wie die Lilien in einem Feld, das noch nie gemäht wurde. Es gibt nichts auf dieser Welt das so weiß wäre wie dein Körper. Erlaube mir dich zu berühren! MUSIK unter nachfolgendem Text ausgeblendet SPRECHER Salome wünscht sich von Herodes als Belohnung für ihre tänzerische Darbietung den Kopf Johannes des Täufers und bekommt diesen auch. Oscar Wildes Salomé zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Lust nicht nur zum Bösen führt, sondern selbst auch als böse präsentiert wird. Dieses Bild der begehrenden und damit gefährlichen und bösen Frau hat Kunst und Literatur schon immer fasziniert. ZITATOR Anhand der Salome-Rezeption lässt sich die steigende Bedeutung weiblicher Erotik in der Kunst ablesen. Salome stellt die Inkarnation der weiblichen, wollüstigen Verführerin dar, die das männliche Objekt ihrer Begierde ins Verderben stürzt. Ihr Tun bestimmt sich aus der ihr eigenen Sinnlichkeit, Triebhaftigkeit, Animalität, Bösartigkeit und Verantwortungslosigkeit. MUSIK aus dem Film Basic Instinct, An unending story CD67474 010 beginnt unter nachfolgendem Text SPRECHER Schreibt die Künstlerin Lissy Winterhoff über die Faszination unserer westlichen Kultur am weiblichen Bösen. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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MUSIK freistehend SPRECHER In der letzten Szene sehen wir, wie der Protagonist des Films, gespielt von Michael Douglas, sich endlich mit dem Objekt seiner Begierde vereint. Während dieser in einen ekstatischen Zustand gerät, schwenkt die Kamera unter das Bett, wo die lüsterne Mörderin ihre Waffe versteckt hat. MUSIK zu Ende SPRECHER In der Kunstwissenschaft genießt das Böse einen besonderen Ruf. Nicht nur, weil es ein faszinierendes Thema für die Künste selbst darstellt, sondern auch weil – wie manche Kunstwissenschaftler meinen – die Erfahrung des Bösen einen unvermittelten Zugang zur Realität verspricht… ZITATOR Die Faszination des Bösen liegt einerseits darin, dass das Böse als diejenige Lebenssteigerung erscheint, die gewissermaßen als einzige Steigerung – noch die unverminderten Erwartungen an Wahrheit, Echtheit, Spontaneität und Authentizität verspricht. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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MUSIK hoch und abrupt zu Ende SPRECHER Cool sind auch die Teenager Vampire aus Twilight, die mit ihren blassen Gesichtern und bewundernswerten Fähigkeiten weitaus begehrenswerter erscheinen als die anderen, normalen Teenager. Findet damit vielleicht eine Verharmlosung, ja sogar eine Legitimierung des Bösen statt? Oder ist dies vielmehr darauf zurückzuführen, dass unsere moderne Kultur weitaus mehr Verständnis für das Böse aufbringt, als dies in vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten der Fall war? SPRECHERIN Es war Freud, der uns gelehrt hat, dass das Böse nicht etwas ist, das außerhalb von uns existiert, sondern in jedem von uns schlummert, und wir daher alle lernen müssen, damit umzugehen. In seiner Abhandlung „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ erklärt er: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Erst nach Überwindung all solcher Triebschicksale stellt sich das heraus, was man den Charakter des Menschen nennt und was mit „gut" und „böse" bekanntlich nur sehr unzureichend klassifiziert werden kann. Der Mensch ist selten im Ganzen gut oder böse. SPRECHER Das Böse kann also als eine Herausforderung begriffen werden. Und das für jeden von uns. Wer keine bösen Taten vollbringen will, muss – so sagt Freud – versuchen, seine destruktiven Triebe zu kontrollieren oder, besser noch: zu sublimieren, also auf produktive und nützliche Aktivitäten umzuleiten: ZITATOR Die Menschen, die heute geboren werden, bringen ein Stück Neigung zur Umwandlung der egoistischen in soziale Triebe als ererbte Organisation mit, die auf leichte Anstöße hin diese Umwandlung durchführt. Ein anderes Stück dieser Triebumwandlung muss im Leben selbst geleistet werden. MUSIK Film Maleficent, True Love’s Kiss C1568200 120 SPRECHER Das zeitgenössische Kino Hollywoods illustriert bildermächtig diesen inneren Kampf, von dem Freud spricht. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 14 Viele unserer Leinwandhelden sind gebrochene Figuren, die – von Selbstzweifeln oder Traumata geplagt – beständig darum kämpfen müssen, gut zu bleiben. MUSIK kurz freistehend SPRECHERIN So steht in Disneys Film Maleficent – einer Wiederverfilmung des Dornröschenstoffes – nicht etwa die unschuldige Prinzessin im Mittelpunkt, sondern die böse Fee Maleficent. Diese wird uns als eine Frau vorgestellt, die nur deshalb böse geworden ist, weil der Mann, den sie geliebt hat, sie verraten und gedemütigt hat. Dies ist der Grund dafür, warum sie das Kind dieses Mannes, Dornröschen, verflucht. MUSIK hoch SPRECHERIN Im Laufe der Zeit aber lernt Maleficent das junge Mädchen kennen und lieben. Sie beginnt den Fluch zu bereuen und versucht, ihn wieder zurückzunehmen – leider aber vergeblich. So geschieht das, was geschehen muss: Dornröschen sticht sich an der Spindel und fällt in einen tiefen Schlaf. Maleficent steht demütig vor dem schlafenden Kind und gesteht ihm, dass sie einen schrecklichen Fehler gemacht hat und es liebt. Als Maleficent Dornröschen zum Abschied küsst, erwacht es zum Leben. Damit aber hat Maleficent nicht nur das Mädchen von dem Fluch befreit, sondern auch sich selbst von der Last, böse zu sein. MUSIK kurz hoch und unter dem Anfang des nachfolgenden Textes zu Ende Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de 15 SPRECHER Das Böse, das ursprünglich aus seelischer Verletzung entstanden ist und dann zu Hass führt, kann also nicht nur zerstörerisch wirken, es kann uns auch zu besseren Menschen machen, gesetzt den Fall, dass wir es überwinden und transformieren. Freud schreibt dazu: MUSIK Night Sight C1395560 012 ZITATOR Unserem Verständnis wie in unserer Empfindung liegt es freilich ferne, Liebe und Hass zu verkoppeln, aber indem die Natur mit diesem Gegensatzpaar arbeitet, bringt sie es zustande, die Liebe immer wach und frisch zu erhalten, um sie gegen den hinter ihr lauernden Hass zu versichern. Man darf sagen, die schönsten Erfahrungen unseres Liebeslebens danken wir der Reaktion gegen den feindseligen Impuls, den wir in unserer Brust verspüren. MUSIK klingt aus Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862 [email protected]; www.bayern2.de