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Das Ende Der Werbung» Von Thomas Koch

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2 DIGITALE TRANSFORMATION  WERBUNG DAS ENDE DER WERBUNG FÜR VIELE MENSCHEN UND BRANCHEN IST DIE GESCHWINDIGKEIT BEÄNGSTIGEND, MIT DER DIE DIGITALISIERUNG VORANSCHREITET. DIE EINZIGEN, DIE NOCH WIE IN EINEM TAL DER AHNUNGSLOSEN ZU LEBEN SCHEINEN, SIND MEDIEN UND WERBUNG. UNBEIRRT UND SELBSTVERLIEBT GEHEN SIE IHREM TAGESWERK NACH, ALS WÜRDE SIE DAS ALLES NICHT TANGIEREN. NOCH AHNEN SIE NICHT, DASS IHNEN DIE DIGITALISIERUNG IHRE DASEINSBERECHTIGUNG RAUBEN WIRD. ES WIRD SIE TREFFEN WIE EIN TSUNAMI. THOMAS KOCH Thomas Koch ist Deutschlands profiliertester Media-Profi. Er gründete 1987 die Mediaagentur tkm und war CEO von tkmStarcom, er schreibt Kolumnen für diverse Fachzeitschriften, ist Herausgeber von «Clap», Managing Partner von Plural Media Services, Autor des Buchs «Die Zielgruppe sind auch nur Menschen» und mit Auszeichnungen reich gesegnet.  https://twitter.com/ufomedia Zunächst und für jedermann sichtbar trifft es die Medien. Print stirbt derzeit einen langsamen, qualvollen Tod, offenbar nicht ahnend, dass die Einschläge immer schneller kommen. Die Journalisten sehen nicht, wie die Digitalisierung ihre Aufgabe verändert. Sie wollen partout nicht einsehen, dass ihre Leser inzwischen ebenso gut googlen können wie sie. Dass aus vielen ihrer Leser selbst Blogger geworden sind. Die Auflagen befinden sich im Sinkflug. Die Nutzer wandern ins Netz, wo sie zwar mehr denn je lesen. Jedoch meist kostenlos. Tom Standage, Vize-Chef des Economist, glaubt längst nicht mehr, dass Werbung ein nachhaltiges Geschäftsmodell für Medien ist. Werbung sei tot, sagt er. Die einzig und weiterhin wachsende Haupterlösquelle des Economist seien die Abonnements. Auch Native Advertising lehnt der Economist ab. Das ist eine Grenze, die nicht überschritten werden dürfe. Sie haben Recht: Es kann nicht Aufgabe oder Sinn der Medien sein, ihre Nutzer hinters Licht zu führen, ihnen Werbung als getarnte Redaktion vorzumachen. Und wenn Standage recht behält, werden wohl nur wenige Magazine überleben. Platz für die unzähligen Metoo-Produkte im Printregal bleibt da nicht. Auf Seiten der Zeitungen, insbesondere der lokalen Presse, ist die Lage für viele schon heute aussichtslos. Die Zeitungen, die die Hälfte ihrer Redakteure entlassen, leisten damit ihren ­Offenbarungseid. Was am Ende bleibt, ist eine kleine, elitäre Schar der überregionalen, meinungsbildenden Tages- und Wochenzeitungen. Das Fernsehen, wie wir es kennen, steht vor einem ebenso revolutionären Wandel. DIGITALE TRANSFORMATION  WERBUNG Das lineare Fernsehen, das den Flimmerkasten-Konsum mit seinem starren Programmschema vorschreibt, ist oftmals nicht mehr als ein bunter Lampenschirm in der Ecke des Wohnzimmers. Es wird immer stärker abgelöst von YouTube, Netflix, Mediatheken & Co. Die Generationen Y und Z haben sich längst vom analogen Fernsehen abgewandt. Mit SmartTV wird jeder zum eigenen Programmdirektor und sieht, was er will und wann er will. Bereits heute finden zwei Drittel des TV- «Es kann nicht Aufgabe oder Sinn der Medien sein, ihre Nutzer ­hinters Licht zu führen» Konsums alleine statt. Es ist vorbei mit Lagerfeuer und Leitmedium. Die Digital Natives haben dem Fernsehen den Rücken gekehrt. Ingo Schäfer, ehemaliger Marketingchef von Maggi sieht bereits das Ende der Fernsehreklame kommen. Er sagt: «Der 30-Sekünder, den man über 30 TV-Sender einheitlich ausstrahlt, wird zum Auslaufmodell. Man wird stattdessen kleinteiliger und massgeschneidert auf die spezifischen Customer Journeys kommunizieren müssen.» Auch die «Love Brand» Coca-Cola läutet gerade das Ende des 30»-Spots ein. Sie betreiben Content Marketing und Storytelling, nennen es «Liquid Content», laden zur Konversation und zum «Sharen» ein. Schon immer investierte Coke zehn Prozent seiner weltweiten Werbegelder in mediale und kommunikative Experimente, über die kein ROI-fähiger Wirkungsnachweis erforderlich ist. Vor allem aber besitzen sie eine Vision darüber, was die Marke der Welt geben soll. Wem die Vision fehlt, braucht über seine digitale Zukunft ohnehin nicht weiter nachzudenken. Webradio eröffnet jedem User Hunderte und Abertausende Radio-Programme weltweit. Mit Spotify und ähnlichen Angeboten, die uns in den nächsten Jahren überschwemmen werden, streamt sich jeder auch hier sein eigenes Programm. Das ehemalige Radio, das gerade eine halbe Million Hörer verlor, verliert zwar nicht seinen Status als unser Tagesbegleiter, wir hören jedoch Programm und nicht mehr Sender. Das dürfte den werbefinanzierten Radiosendern noch ordentlich Kopfschmerzen bereiten. Das am wenigsten von dieser Entwicklung betroffene Medium ist die Aussenwerbung. Sie verwandelt sich in «Digital-Out-ofHome» und könnte sich am Ende womöglich deshalb gut im künftigen Medien-Szenario zurechtfinden und positionieren, weil sie eben kein Content-Medium ist, sondern «nur» ein Werbeträger. Skurril, aber vorstellbar. Und Online? Online ist womöglich überhaupt kein Werbemedium… Die Klickraten sind seit Beginn von durchschnittlich acht Prozent auf zuletzt 0,2 Prozent gesunken. Manche Experten sprechen bereits von einem Durchschnitt von nur einem Promille. Demnach wäre die endgültige Null-Linie nicht mehr fern. Welches andere Medium als Online kann sich erlauben, einen 3 97prozentigen Performance-Verlust wegzustecken und dennoch von weiter steigenden Einnahmen zu träumen? Nach dem Abrutschen der Klickraten und einem fulminanten Anstieg der Adblocker-Software, die unsere Zielgruppen per se Online unerreichbar macht, erfahren wir, dass bis zu 60 Prozent des Internet-Traffics auf Bots zurückzuführen ist. Und dass nach Aussage des US-Branchenverbandes mehr als ein Drittel des gesamten Daten- und Klick-Verkehrs ohnehin betrügerischen Ursprungs ist. Da verwundert es nicht, dass der Chef der amerikanischen Association of National Advertisers dem Wall Street Journal sagt: «Wenn man Bots, betrügerische Klicks und den Mangel an Transparenz zusammennimmt, wird die Gesamtrechnung des Werts von digitalen Medien komplett in Frage gestellt.» Die US-Werber diskutieren längst, ob sie ihre digitalen Budgets weiter erhöhen. Da tickt eine digitale Werbe-Bombe, deren Auswirkungen im Augenblick überhaupt noch nicht abzusehen sind. Die Nachrichtenlage für Online ist also nicht sonderlich gut. Marketing Daily meldet, dass nur acht Prozent aller Online Impressions die Chance haben, von einem echten Menschen gesehen zu werden. Business Insider schreibt, dass sogenannte Botnets in diesem Jahr einen Werbeschaden in Höhe von sage und schreibe zwölf Milliarden US-Dollar verursachen werden. Aus einer faszinierenden, neuen Medienplattform haben wir binnen kürzester Zeit ein «Gammel-Medium» gemacht. Die Lösungen, die Vermarkter und Agenturen anbieten – Real Time Bidding und Programmatic Buying – sind darauf keine Antworten. Ebenso wenig wie die von den Agenturen angestrebte, vollständige Automatisierung des Planungs- und Einkaufsprozesses. Diese Antworten drohen das Problem höchs­ tens zu vergrössern. Aber was war nochmal die Frage? Sie lautete: Wie kann man den durch immer mehr Medien und Werbung abgelenkten Verbraucher noch für die eigene Botschaft gewinnen? Wie kann man ihn überhaupt noch erreichen? US-Schätzungen zufolge wird jeder Konsument täglich 16.000mal Werbung, Marken-Labels und Botschaften ausgesetzt. Richard Gingras, Director News & Social Products bei Google, sagte auf einem Kongress: «1975 gab es weniger als «Die Generationen Y und Z ­haben sich längst vom analogen Fernsehen abgewandt» 10.000 Medienmarken in den USA. Heute gibt es Millionen.» «Houston, wir haben ein Problem», möchte man da ausrufen. Der Gründer von Wired brachte es auf den Punkt, als er sagte «After electrifying the world, we are now datafying it.» Frei übersetzt: Erst gelang es uns, die Welt zu begeistern, nun ertränken wir sie in unseren Daten. Es besteht derzeit eine grosse Gefahr, dass wir die Werbung den ITlern, ihren Automaten, Computern und Algorithmen 4 DIGITALE TRANSFORMATION  WERBUNG überlassen. Dass wir den Sinn der Werbung ihren ExcelSheets opfern. Vielleicht sollten wir uns in diesen ach so digitalen Zeiten noch einmal vergegenwärtigen, wozu Werbung überhaupt dient. «Durch Werbung versuchen die Unternehmen, ihre Zielkunden wirkungsvoll anzusprechen und zu beeinflussen.» So die Definition bei Kotler. Die andere von Behrens lautet: «Eine ­absichtliche und zwangfreie Form der Beeinflussung, welche die Menschen zur Erfüllung der Werbeziele veranlassen soll». So so, zwangfrei also. «Die «Love Brand» Coca-Cola läutet gerade das Ende des 30"-Spots ein» Werbung will und muss die Menschen umgarnen, sie einladen, sie anlocken. Sie muss sie verführen. Sie muss um ihre Sympathie kämpfen. Weder sie mit dem Holzhammer erschlagen, noch sie verfolgen. Ziel der Werbung war nie, soweit ich mich erinnere, die Menschen zu stören und zu stalken. Sie muss ihre Zielgruppen wie Menschen aus Fleisch und Blut behandeln, nicht wie Klickvieh und Kaufroboter. Sie muss sie ernst nehmen, sie respektieren. Ebenso wie sie ihre Wünsche, aber auch ihre Ängste ernst nehmen muss. Die Werbung muss endlich lernen, mit Online umzugehen. Die ersten zwanzig Jahre Online-Werbung haben die ganze Zunft in Verruf gebracht und unsere Zielgruppen zu Werbe-Hassern gemacht. Wir müssen begreifen, wozu die Menschen die digitale Welt betreten, was sie dort machen und wann, wo und wie sie den «Eindringling» Werbung zulassen. Das Internet ist nun einmal in erster Linie ein Kommunikationsmedium, ein Informationsund ein Suchmedium. Es ist leider kein prädestiniertes Werbemedium. Einzig Search, die Suche, funktioniert für unsere Zwecke bisweilen perfekt. Das mit der Kommunikation jedoch, das haben wir noch lange nicht verstanden. Auch die User lernen noch. Bis heute glaubt jeder vierte USAmerikaner, dass ein Gigabyte ein südamerikanisches Insekt ist … Während es auf Medienseite einige wenige, kluge Köpfe gibt, die diese Schreckensszenarien durchaus vor Augen haben und händeringend nach Lösungen suchen, gibt es also noch eine Branche, die völlig blind ins Messer läuft: die Werbung. Mit der Werbung ist es bald vorbei. Künftige Historiker werden das Jahr 2020 als das Jahr identifizieren, in dem die Reklame ihr Leben aushauchte. Es gibt dann kaum mehr Werbung in Tageszeitungen und Magazinen, weil Print bis auf wenige, elitäre und zielgruppenspezielle Vertreter aufgehört hat zu existieren. Es gibt kaum mehr Werbung auf den ehemaligen Radio- und Fernsehstationen, weil sie ihr Leben längst ausgehaucht haben. Auch die Werbung wird sich in wenigen Jahren vollständig digitalisiert haben, den Erfordernissen der digitalisierten Welt ergeben haben. Aber, und das wird vor allem die Konsumenten erfreuen, es wird keine «Werbung», keine nervige Reklame mehr sein. Bereits heute lässt Google jeden YouTube-Nutzer nach wenigen Sekunden entscheiden, ob er den Werbespot, neudeutsch Bewegtbild, sehen mag oder wegklickt. Das ist schlau. Denn es nimmt die Werbenutzung der Zukunft vorweg. Die digitalen Medien, die uns eine bislang ungeahnte Vielfalt und Freiheit vermitteln, werden uns auch vom Zwang der Werbenutzung befreien. Wir werden nur die Werbung zulassen, nach der uns gerade zumute ist: Die Werbung, die uns wirklich interessiert und wahrhaft begeistert. Es ist eine historische und zugleich grossartige Evolution, die der Werbung bevorsteht. Statt sich eitel mit sich selbst zu beschäftigen, wird sie gezwungen, sich endlich wieder, wie zu ihren goldenen Zeiten in den 60er Jahren, mit dem Konsumenten auseinanderzusetzen. Da der Grossteil der klassischen Medien künftig fehlen wird, die der Werbung einhundert Jahre lang als Plattform für ihre einseitige Kommunikation dienten, müssen sich die Botschaften der Marken nun im Netz behaupten. Sie werden sich dort ihre Markenwelten aufbauen. Sie werden sich wieder positionieren müssen. Uns erklären, was sie unterscheidet, was sie einzigartig macht, welchen Vorteil wir uns vom Kauf oder ihrer Dienstleistung erhoffen dürfen. Wer das nicht tut oder nicht kann, wird vom Verbraucher abgestraft und vernichtet. Und das ist gut so. Denn Marken, die wir nicht brauchen, machen dank Online transparent, warum wir sie nicht brauchen. Wem es jedoch gelingt, seine Zielgruppe digital zu erreichen, ihr ein klein wenig der wertvollen Aufmerksamkeit zu entreissen, dem gehört die kommunikative Zukunft. Der Weg in eine erfolgversprechende, digitale Markenwelt führt nicht mehr alleine über die heutigen Massenmedien, sondern über Google, Facebook, Twitter, Instagram und die vielen digitalen Plattformen, die uns noch erwarten. Der neue Weg führt über Blogger, die einen Stellenwert bekommen werden wie früher die Chefredakteure der angesehensten Medien. Der Weg führt über «Owned Media»: Die eigenen MarkenWebsites und Corporate Media, YouTube-Channels und Blogs. Je nachdem, ob Kommunikation, Dialog, Text, Fotos oder Video zur Marke führen sollen – jede Online-Plattform steht für seine ureigene Position und Fähigkeit, die es künftig zu nutzen gilt. «Bis heute glaubt jeder vierte ­US-Amerikaner, dass ein ­Gigabyte ein südamerikanisches Insekt ist» Das gilt für BtoC, aber noch viel stärker für BtoB. Kommunikation macht da keinen Unterschied. BtoB besitzt und besass schon immer die «Communities», von denen BtoC nur träumen konnte. In Zukunft werden die Consumer-Marken viel von BtoB lernen können. Content Marketing ist derzeit das neue und allgegenwärtige Buzz-Thema. Aber nicht wirklich neu, denn Content stand zu Beginn der Reklame vor 60 Jahren viel deutlicher im Mittelpunkt als heute. Relevant und ratsam ist es jedoch, die neuen DIGITALE TRANSFORMATION  WERBUNG digitalen Kommunikationskanäle und Touchpoints mit passenden Inhalten zu befüllen. Die Nutzer in den verschiedenen Situationen entlang ihrer Customer Journey gezielt zu erreichen. Womit wir in einem Atemzug gleich zwei weitere Buzzwords untergebracht hätten. Wir müssen es, wie so vieles, offenbar wieder neu erlernen. Content Marketing-Agenturen, die das neue Medien- und Touchpoint-Szenario in Gänze beherrschen und zu steuern wissen, werden womöglich wie Pilze aus dem Boden schiessen. Seit Jahren schreien es die grossen, weltbeherrschenden Konzerne und ihre Marken in die Welt hinaus: The consumer is king! Wir werden sehen, wie viel davon nur Lippenbekenntnis war und wer es damit ernst meint, den Verbraucher ernst zu nehmen und ihn tatsächlich als Souverän zu respektieren. Die neue, «Brave New Digital World» zwingt die Marken und ihre Kommunikation zu einer neuen, längst überfälligen Transparenz, Offenheit und Ehrlichkeit. Dieses Szenario hat weitreichende Konsequenzen. Einerseits für Medien, die – soweit sie werbefinanziert sind - neue Business- und Erlös-Modelle benötigen, die darauf bauen, dass Werbung auf ihren Plattformen tatsächlich Beachtung findet. Dann für Werbungtreibende, die schon seit langem die Forderung stellen, am liebsten nur für die Werbung zu zahlen, die auch nachweisbar wirksam ist. Für sie eröffnet sich eine völlig neue Dimension des Return-On-Marketing-Investment. Und letzten Endes für das Marketing selbst: Marketing gewinnt im Unternehmen die Stellung, die es zu recht beansprucht. Marketing besitzt künftig nicht nur Einfluss auf die Kommunikation, sondern wieder auf die gesamte Entwicklung und Ausgestaltung von Produkten und Dienstleistungen. Das allerdings erfordert auch eine neue Qualität von Marketingprofis. Gut so. Die Folge wird sein: Eine neue und deutlich gesteigerte Qualität des Marketings, der Unternehmens- und Markenwerbung und auch der Medienauswahl. Gewinner werden in diesem Zukunftsmarkt nicht alleine Software, Automatisierung und ­Algorithmen sein, sondern Menschen, die die bessere, überlegene Positionierung und Strategie entwickeln. Die herkömmliche Werbung, wie wir sie kennen, stirbt 2020. Neue Formen der Kommunikation mit dem Endverbraucher entstehen. Wer dabei am meisten gewinnt, ist der Konsument. Und auch das ist gut so. 5