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Der Alltag unserer Greifvögel Rotmilan Milvus milvus
Grösse Spannweite Gewicht Gelege Zugverhalten
61 - 72 cm 140 - 165 cm 750 - 1300 g 1 Gelege mit 2 - 3 Eier Teilzieher, Tagzieher
In der Schweiz ist der Rotmilan nördlich des Alpenkamms ein verbreiteter Brutvogel. Er ist heute auch ein verbreiteter Wintergast, mit Ausnahme der Alpen, des Tessins und der höheren Lagen im Jura. Er war bis ins 19. Jahrhundert in Europa weit verbreitet. Durch rücksichtslose Verfolgung wurde die Art danach stark dezimiert. Ab 1945 nahm der Bestand der Rotmilane wieder zu; die Vögel haben gelernt, das reichliche Nahrungsangebot zu nutzen, das ihnen in Siedlungen und im Kulturland zur Verfügung steht. Heute bleiben die Rotmilane vielfach das ganze Jahr im Gebiet, während früher fast alle zur Überwinterung auf die Iberische Halbinsel zogen.
Sperber Accipiter nisus
Grösse Gewicht Gelege Zugverhalten
30 - 38 cm 150 - 350 g 1 Gelege mit 4 - 6 Eier Teilzieher, Tagzieher
Sperber sind habichtartige Greifvögel, mit recht kurzen, breiten, stumpfen Flügeln und langem Schwanz. Das Sperberweibchen ist deutlich grösser als das Männchen, erreicht aber nicht die Grösse von einem Habicht. Sperbermännchen wiegen mit durchschnittlich 140 g, nur halb so viel wie ein Weibchen. Die bevorzugte Beute des Sperbers sind Vögel. Der männliche Sperber kann Vögel bis zur Grösse eines Buntspechtes bewältigen, das Weibchen schlägt Vögel bis zur Grösse einer Ringeltaube. Die Hauptbeute sind Drosseln, Stare, Sperlinge, Finken und Meisen. Im Gegensatz zum Habicht kann man den Sperber auch in Siedlungen und Gärten beobachten.
Turmfalke Falco tinnunculus
Grösse Gewicht Gelege Zugverhalten
34 cm 190 - 300 g 1 Gelege à 4 - 6 Eier Kurzstreckenzieher, Tagzieher; überwintert in Mittel-, West- und Südeuropa
Der Turmfalke stellt an seinen Lebensraum keine allzu grossen Ansprüche und er ist in der Schweiz weit verbreitet. Man findet ihn in den Ebenen und auch in den Alpen, es müssen einfach Flächen mit niedriger bzw. lückenhafter hoher Vegetation vorhanden sein. Horste wurden bis auf 2800 m gefunden und auf der Jagd begibt er sich mitunter bis auf Höhen über 3000 m. Der Turmfalke fällt vor allem durch seinen Rüttelflug auf. Wenn er über freien Flächen nach Beute Ausschau hält, steht er oft "rüttelnd" in der Luft, bevor er auf seine Beute niederstösst, oder mangels Erfolgsaussicht weiterfliegt. Seine Hauptnahrung sind Mäuse, da die fast ganzjährig vorhanden sind. Aber auch Reptilien, grosse Insekten und gelegentlich Singvögel gehören zu seiner Beute. Im Sommer benötigt ein Turmfalke täglich mindestens acht, im Winter mindestens 5 Nager. Als Horst benutzt er alte Krähennester, Felsnischen, speziell für ihn hergerichtete Nistkästen oder einen ruhigen Winkel in einem Gebäude.
Greifvögel - Krummer Schnabel und spitze Krallen Ein Januartag am Bodensee. Es ist bitterkalt, obschon die Sonne am klaren Himmel steht. In einer Bucht ruht sich eine Schar Enten von der aufwändigen Nahrungssuche aus. Aber wer glaubt, dass die Vögel schlafen, wird urplötzlich eines Besseren belehrt. Mit einem Mal erheben sie sich in die Luft und suchen das Weite. Kurz darauf wird der Grund dafür klar: In reissendem Flug nähert sich ein Wanderfalke. Trotz seiner hohen Geschwindigkeit folgt er dem Schwarm mühelos bei jeder Wendung. Mit Leichtigkeit holt er ihn ein und sticht auf eine Pfeifente nieder, die getroffen nach unten taumelt. Der Wanderfalke setzt ihr nach und landet mit ihr auf einer Kiesinsel, wo er sofort beginnt, sein Opfer zu rupfen. ---------------------------------------------------------------
Mit ihren artistischen Flugleistungen, ihren scharfen Sinnen und ihren spitzen Waffen beherrschen Greifvögel den Himmel. Als Wappentiere verkörpern sie Macht und Stärke. Und dennoch sind sie verletzlich: Nur die Hälfte der Schweizer Greifvögel gilt als nicht gefährdet. Gegen das Wirken des Menschen bieten ihre Waffen keinen Schutz.
Der Name «Greifvogel» weist auf ein typisches Merkmal dieser Vogelgruppe hin: die Jagd mit Hilfe der krallenbewehrten Füssen. Ein Steinadler kann damit selbst wehrhafte, grössere Tiere wie einen Fuchs überwältigen. Der Schnabel der Greifvögel wiederum ist ein hochentwickeltes Mehrzweckinstrument. Er dient dem Zerlegen der Beute, der Gefiederpflege und dem Nestbau. Falken töten ihre Beute gar mit einem gezielten Nackenbiss.
Perfekt angepasste Jäger Greifvögel haben die unterschiedlichsten Strategien bei der Nahrungsbeschaffung entwickelt. Das führt dazu, dass sich Greifvögel in ihrer Flugart und dem dafür erforderlichen Körperbau stark unterscheiden. Schnelle Flieger wie die Falken sind an ihren schlanken, spitzen Flügeln erkennbar, die es ihnen erlauben, in rasendem Flug zuzuschlagen. Der Wanderfalke kann im Sturzflug mit angezogenen Flügeln Geschwindigkeiten von 184 km/h erreichen, wie die Vogelwarte Sempach mit einem Zielfolgeradargerät ermittelte. Eine spezielle Flugtechnik zeigt der nahe verwandte Turmfalke: Der Rüttelflug ermöglicht es ihm, in der Luft an Ort zu verharren und nach Mäusen Ausschau zu halten. In der Schweiz brütet mit dem Baumfalken zudem ein weiterer Luftakrobat, der Insekten und Vögel im Flug verfolgt und fängt. Im Gegensatz zu Falken haben Segelflieger breite und abgerundete Flügel, mit deren Hilfe sie in aufsteigender Warmluft und in Aufwinden an Berghängen und Küsten mühelos Höhe gewinnen. Sehr wichtig ist der Segelflug auf dem Zug, denn er ist eine sehr energiesparende Fortbewegungsmethode. Einen Nachteil hat er dennoch: Weil es über dem Wasser keine warmen Aufwinde gibt, müssen die meisten Greifvögel grosse Wasserflächen umfliegen. Von den in der Schweiz brütenden Greifvögeln sind Steinadler, Bartgeier, Mäuse- und Wespenbussard sowie Rot- und Schwarzmilan regelmässig beim Kreisen am Himmel zu beobachten.
Breite und kurze Flügel sind das Kennzeichen von besonders wendigen und beweglichen Jägern wie dem Sperber und dem Habicht. Sie jagen vorwiegend im Wald und überraschen ihre Beute, meist Vögel, mit Blitzangriffen aus der Deckung heraus. Der Habicht, jagt Vögel und verkörpert damit wie kaum ein anderer Greifvogel die Vereinigung von Schnelligkeit, Kraft und hervorragender Sehleistung.
Korn-, Wiesen- und Rohrweihe werden beinahe nur auf dem Durchzug in der Schweiz beobachtet. Sie sind Spezialisten des Pirschflugs. Aus geringer Höhe suchen sie Felder und Wiesen im langsamen Flug nach Beutetieren ab, wobei sich Phasen mit aktiven Flügelschlägen und ruhige Gleitphasen abwechseln. Mit nach unten gerichtetem Kopf erspähen sie auch kleinste Beutetiere und ergreifen sie nach einem kurzen Sturzflug.
Mit Adleraugen Verschiedene Sehleistungen bewirken, dass Greifvögel die Welt ganz anders wahrnehmen als wir Menschen.
Weil sie viel mehr Sehzellen pro Flächeneinheit besitzen (beim Mäusebussard sind es 5 –6 Mal mehr), sehen sie wesentlich schärfer als wir. Zudem lassen Untersuchungen vermuten, dass Greifvögel die Möglichkeit haben, Bilder mit einer Zoomfunktion ihrer Augen stark zu vergrössern. Schliesslich ist auch ihr Kontrast- und Farbempfinden viel feiner als beim Menschen. Wo wir nur Weiss sehen, kann ein Steinadler leicht ein weisses Alpenschneehuhn im Schnee ausmachen.
Jäger und Gejagte Greifvögel bewohnen verschiedenste Lebensräume, von den Tieflagen bis zur Schneegrenze. Die Voraussetzung für ihre Anwesenheit ist ein ausreichendes Angebot an Beutetieren, mehrheitlich Säugetieren und Vögeln. Kleinere Greifvögel jagen Insekten, andere geben sich auch mit Aas zufrieden oder stellen Fischen und Fröschen nach. Je grösser die Vögel sind, umso weiträumiger sind in der Regel ihre Reviere. Grosse Arten wie der Steinadler leben von recht schweren Beutetieren – und diese sind in viel geringerer Dichte vorhanden als Kleinsäuger. Ein Turmfalkenpaar findet schon auf einem Quadratkilometer sein Auskommen. Ein Steinadlerpaar in den Alpen benötigt hingegen ein Revier von durchschnittlich 50 km2.
Der Wespenbussard frisst vor allem Wespenlarven und Wespenpuppen. Diese sind auch die Hauptnahrung für die heranwachsenden Jungvögel.
Der Bartgeier wiederum ist ein Aasfresser, und Knochen sind ein wichtiger Teil seiner Nahrung. Sind diese zu gross, so trägt er sie in die Luft und lässt sie aus 50 bis 80 Metern Höhe auf Felsen fallen, wo sie in schnabelgerechte Trümmer zersplittern.
Partnerwahl Im Vorfrühling beginnt bei vielen Greifvögeln die Balz. Mäusebussarde und andere Arten vollführen dann spektakuläre Kunstflüge. Damit beeindrucken die Männchen mögliche Partnerinnen und markieren gleichzeitig ihr Revier. Mit der Balz stimmen sich die Partner auf die Paarung und die Aufzucht ihres Nachwuchses ein. Viele Greifvogelpaare bleiben das ganze Leben zusammen, dennoch balzen sie jeden Frühling. Das starke Geschlecht sind bei den meisten Greifvögeln die Weibchen. Besonders gross sind die Unterschiede beim Sperber, einem ausgesprochenen Vogeljäger: Das um einen Drittel grössere Weibchen beschützt die Jungen im Horst, während das kleinere, wendigere Männchen in der Umgebung des Nestes im Wald jagt, um das Weibchen und den Nachwuchs zu ernähren. Bei den Greifvögeln brüten nur die Weibchen; bei kleinen Arten dauert die Brutzeit drei bis vier, bei grösseren sechs bis acht Wochen. Anschliessend müssen die Jungvögel mindestens ebenso lange im Nest aufgezogen werden. Die Betreuung des Nachwuchses nach dem Ausfliegen dauert beim Turmfalken einen Monat und beim Steinadler sechs Monate!
Unterwegs Unter den Greifvögeln gibt es ausgeprägte Zugvögel wie den Baumfalken oder den Wespenbussard. Sie sind auf Insektennahrung angewiesen und verbringen das Winterhalbjahr im tropischen und südlichen Afrika.
Andere Greifer sind Teilzieher. Beim Mäusebussard etwa wandern die nördlicheren Populationen im Herbst zu einem grösseren Teil ab und überwintern in Mittel- und Südeuropa. Die südlicheren Populationen hingegen sind eher sesshaft oder bringen nur kürzere Strecken hinter sich. So ziehen fast sämtliche finnischen Mäusebussarde und legen bis ins Winterquartier im Mittel rund 1800 km zurück, wogegen die Schweizer Vögel hauptsächlich in den ersten Lebensjahren wandern und dabei durchschnittlich nur 320 km weit kommen.
Bedrohte Vielfalt Greifvögel lieferten und liefern immer wieder Stoff für echte oder vermeintliche Konflikte. So standen sie als verhasste Nahrungskonkurrenten oder als gefährliche «Schädlinge» über Jahrhunderte zuoberst auf den Abschusslisten. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden von Bund und Kantonen Prämien für den Abschuss von «Raubvögeln» bezahlt. Deshalb wurde der Steinadler in den Alpen stark dezimiert und brauchte fast hundert Jahre, bis sich seine Bestände wieder erholt hatten. Der Bartgeier war in den Alpen sogar ausgerottet und ist nur dank eines erfolgreichen Wiederansiedlungsprogramms als Brutvogel zurückgekehrt. Heute sind alle einheimischen Greifvogelarten geschützt. Dennoch steht jede zweite auf der Roten Liste! Die schleichende Verarmung der Lebensräume und die Übernutzung unserer Landschaften stellen die momentan grösste Bedrohung für unsere Greifvögel dar. So ist das Beutetierangebot im Kulturland – beispielsweise Grossinsekten heute vielerorts spärlich. Zudem verschwanden während der letzten Jahrzehnte weite Lebensräume durch Überbauung oder sie wurden durch Verkehrsachsen zerschnitten. Greifvögel reagieren sehr empfindlich auf Umweltgifte und sind damit gute Gradmesser für die Umweltqualität. Wenn Giftstoffe in die Nahrungskette gelangen, dann reichern sie sich im Körper der Greifvögel an. Im Falle des Mäusebussards können sie im Vogelkörper 1000 Mal stärker konzentriert sein als in den Pflanzen.
1942 gelangte das Insektizid DDT auf den Markt. In der Schweiz wurde es vor allem gegen Maikäfer grossflächig angewendet. Die Anreicherung von DDT und dessen Abbauprodukten in Greifvögeln führte dazu, dass die Schalen der Eier brüchig wurden und unter dem brütenden Greifvogel zerbrachen. Ende der Siebzigerjahre betrug der dadurch bedingte Ausfall von Eiern bei Sperbern in der Schweiz schätzungsweise 20–30%. Wegen des DDT stand der Wanderfalke einige Zeit sogar kurz vor dem Aussterben. Zwar scheinen die Zeiten mit den höchsten Belastungen durch Umweltgifte vorbei zu sein. Doch in weiten Teilen Europas leiden der Rotmilan und andere Greifvögel noch immer unter dem Einsatz von Giften, beispielsweise für die Feldmausbekämpfung.
Forschen für den Greifvogelschutz Greifvögel sind auch mit modernen Problemen konfrontiert, deren Ausmass noch weitgehend unbekannt ist. Sie gehören beispielsweise zu den häufigsten Opfern von Windenergieanlagen, weil sie mit Rotorblättern kollidieren. Wie stark sich solche Todesfälle auf Greifvogelpopulationen auswirken, untersuchte die Vogelwarte Sempach unlängst am Beispiel des Rotmilans.
Die Analyse zeigt, dass eine Rotmilan-Population umso stärker beeinträchtigt wird, je gleichmässiger die Windräder in der Landschaft verteilt sind. Um den Einfluss von Windenergieanlagen auf Greifvögel möglichst gering zu halten, sollten Windräder also generell an so wenigen Standorten wie möglich aufgestellt werden. In den letzten Jahren mehren sich die Hinweise, dass Steinadler vermehrt an Bleivergiftungen eingehen. Ursache können Fragmente von Bleimunition in Jagdwild sein, die in die Nahrungskette gelangen, wenn beschossene Tierkadaver oder Teile davon in der Natur belassen werden. Für grosse Greifvögel im Alpenraum, zu denen auch der Bartgeier gehört, bilden eingegangene Huftiere eine wichtige Nahrungsgrundlage. Schon kleine Bleimengen können zur Schwächung und zum Tod der Greifvögel führen. Um das Ausmass der Bleibelastung auf Greifvögel abschätzen zu können, lässt die Vogelwarte Sempach Organe von tot gefundenen Steinadlern auf Bleirückstände untersuchen. Zwar beherbergt die Schweiz momentan über 1200 Rotmilan und 300 Steinadler Brutpaare und damit vitale und stabile Bestände. Doch gibt es laufend auch Ausfälle oder Brutverluste durch menschliche Störungen. Deshalb gilt es, Todesursachen, welche die Population schwächen könnten, im Auge zu behalten.
Grosse Vielfalt Als Greifvögel werden aktuell zwei verschiedene Vogelgruppen bezeichnet. Entgegen früherer Annahmen sind die Falkenartigen nicht näher mit den übrigen Greifvögeln verwandt, die unter dem Begriff Habichtsartige zusammengefasst werden. Weltweit gibt es 67 Falkenarten und 255 Arten von Habichtsartigen, die ausser der Antarktis alle grösseren Landmassen der Erde besiedeln. In Europa kommen 10 bzw. 29 Arten als Brutvögel vor. In der Schweiz brüten Wander-, Baum- und Turmfalke. Von den Habichtsartigen pflanzen sich bei uns Wespenbussard, Schwarzmilan, Rotmilan, Habicht, Sperber, Mäusebussard und Steinadler regelmässig fort. Nach seiner erfolgreichen Wiedereinbürgerung brütet auch der Bartgeier seit 2007 regelmässig in der Schweiz. Der Rotmilan breitet sich in der Schweiz immer stärker aus und erobert sich Brutgebiete zurück, aus denen er lange Zeit verschwunden war. In anderen europäischen Ländern steht es weniger gut um den Greifvogel. Als der Ornithologe Adrian Aebischer vor 15 Jahren begann, sich mit dem Rotmilan zu beschäftigen, war er in Aebischers Heimatkanton Freiburg noch eine Seltenheit; ihn am Himmel kreisen zu sehen ein besonderes Ereignis. Denn wie Bartgeier, Bär und Wolf war er im 19. Jahrhundert verfolgt, gejagt, geschossen, vergiftet worden. «Ganz ausgerottet wurde er wahrscheinlich nicht», sagt Aebischer. Aber stark dezimiert. Im Jahr 1925 stellte man den mit einer Flügelspannweite von bis zu 1,7 Meter drittgrössten einheimischen Greifvogel – nach dem Steinadler und dem Bartgeier unter Schutz, doch bis in die 1950er Jahre wurde er weiterhin abgeschossen, vergiftet, seine Horste geplündert.
Erst danach erholte sich die Population allmählich. Als man im Jahr 1969 erstmals eine landesweite Bestandsaufnahme durchführte, brüteten an die 90 Rotmilan Paare in der Schweiz, fast ausschliesslich im Nordwesten des Landes. Mitte der 1980er Jahre zählte man an die 300 Brutpaare, und in den letzten 20 Jahren breitete sich der Rotmilan rasant Richtung Südwesten aus. Heute schätzt die Vogelwarte Sempach den Bestand auf 1200 bis 1500 Brutpaare. Laut Aebischer brütet er ausser in den Kantonen Genf und Tessin in allen Gebieten unter 800 Metern über Meer, und in den letzten Jahren habe sich der Vogel auch in grössere Höhen gewagt und begonnen, sich in grosse Alpentäler im Wallis, Berner Oberland und Graubünden auszubreiten. Dieses Jahr brütete ein Rotmilan-Pärchen in Graubünden gar auf einer Höhe von 1500 Metern über Meer – mit Erfolg. «Das ist ein Weltrekord», sagt Aebischer. Noch hat der Rotmilan nicht sein ganzes ehemaliges Brutareal zurückerobert, aber gefährdet ist er in der Schweiz nicht mehr. Selbstverständlich ist das nicht, wie ein Blick ins Ausland zeigt. Die Schweizer Exemplare machen zwischen fünf und zehn Prozent des gesamten europäischen Bestandes aus, der auf rund 20 000 bis 25 000 Brutpaare geschätzt wird. «Rechnet man die Anzahl Vögel pro Flächeneinheit aus, haben wir die höchste Dichte überhaupt», sagt der Ornithologe. «Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, in denen sowohl Winter- als auch Brutbestände zunehmen.» In Frankreich und Spanien – beides wichtige Verbreitungsgebiete – nehmen sie ab. Zum Beispiel deshalb, weil Rotmilane noch immer vergiftet oder geschossen würden, obschon es heute verboten sei. «Aber manchmal werden sie auch ganz legal vergiftet.» So sei etwa im Nordosten Frankreichs die Giftsubstanz Bromadiolon in grossen Mengen eingesetzt worden, um Schermäuse zu bekämpfen. Das Gift lässt die Nager innerlich verbluten – und kann auch tödlich sein für den Rotmilan, der die verendeten Tiere frisst. So sei der Greifvogel zwischen 1995 und 2005 aus vielen Departementen komplett verschwunden, wohl wegen dieses einen Gifts. In Spanien habe der Vogel lange davon profitiert, dass man an vielen Orten Schlachtabfälle unter freiem Himmel deponierte. Wegen einer EU-Bestimmung sei das verboten worden. Der Rotmilan verlor innert wenigen Jahren sehr viele Futterplätze, sein Bestand nahm in der Folge stark ab. In Deutschland seien die Bestände teilweise stabil, teilweise rückläufig. Im Osten des Landes habe dem Vogel die Intensivierung der Landwirtschaft nach dem Fall der Mauer 1989 zu schaffen gemacht. In der Folge seien einerseits Grünflächen verloren gegangen, andererseits seien viele Felder nun mehrmals pro Jahr gepflügt worden. Beides habe den Bestand von Feldhamstern, Mäusen und anderen Kleinsäugern rapide abnehmen lassen – in diesem Gebiet die Hauptnahrungsquelle des Rotmilans. Die wenigen Beutetiere, die noch vorhanden, sind für den Greifvogel oft unerreichbar, da sie sich in hohen Getreide- oder Maisfeldern verstecken. So erfuhr der Vogel innert weniger Jahre eine markante Bestandsabnahme. «Wir dürfen uns also nie ganz auf der sicheren Seite wähnen: Eine einzige Veränderung kann für den Rotmilan ein massives Problem darstellen.»
Warum es dem Greifvogel in der Schweiz viel besser geht als in den meisten anderen Ländern, ist laut Aebischer noch nicht restlos geklärt, ein entsprechendes Forschungsprojekt sei bei der Vogelwarte Sempach erst in Vorbereitung. Ein Grund sei sicher, dass in der Schweiz nicht so viele Tiere gewildert würden wie in Frankreich und Spanien. Und die Überlebensrate der Schweizer Vögel sei wohl auch deshalb grösser, weil viele hier überwintern können – selbst in harten Wintern, in denen sie natürlicherweise kaum Futter finden. Der Grund: «Es gibt in der Schweiz viele Privatpersonen, die Rotmilane im Winter füttern. Manche mit Küchenresten, viele besorgen sogar eigens Schlachtabfälle. Es sind Hunderte von Vögeln, die so durch den Winter kommen.» Telemetriestudien deuten darauf hin, dass ein Grossteil der hier geschlüpften Jungvögel in ihrem ersten Winter noch in den Süden ziehen, oft nach Südfrankreich oder Spanien. Dass sie aber bereits vom zweiten oder dritten Winter an hierbleiben, sofern sie Futter bekommen. Anders als bei anderen Wildtieren hält Aebischer das Füttern im Fall der Milane nicht für problematisch: «Sie verlieren dadurch nicht ihren Instinkt», sagt er. «Wenn es mitten im Winter schneit und nirgends Futter in Reichweite ist, fliegen sie wieder in den Süden.» Dass sie dadurch die Scheu vor dem Menschen ein Stück weit verlören, sei schon möglich. So sind ihm zwei Fälle bekannt, in denen Rotmilane sich ein Stück Fleisch vom Grill griffen und damit davonflogen. Von aggressivem Verhalten gegenüber Menschen habe er aber noch nie gehört.