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Stadt Linz
am Rhein
Bürgermeister
Der preußische Kreis Linz 1816-22 Liebe Bürgerinnen und Bürger der Stadt Linz am Rhein, liebe Bürgerinnen und Bürger in den ehemaligen Bürgermeistereien Unkel, Leutesdorf und Linz, sehr geehrte Geschichtsinteressierte, „Linz war einmal Kreisstadt!“ Diesem Satz begegnen selbst eingesessene Linzer in der Regel mit Staunen. Dass diese Tatsache selbst vor Ort weitgehend in Vergessenheit geraten ist, verwundert auch nicht, existierte der preußische Kreis Linz doch nur von 1816 bis 1822. Erinnerungen an den Schulunterricht in Heimatkunde kommen allenfalls dann wieder, wenn man zum Beispiel vor dem ehrwürdigen Rathaus in Erpel steht und auf einer Tafel liest, dass das Rathaus seinerzeit als Kreiskanzlei für den eigenwilligen Landrat Philipp von Hilgers diente. 1822 wurde der kleine Kreis Linz mit dem deutlich größeren Kreis Neuwied vereinigt. Die Hoffnung, dass nicht Neuwied, sondern Linz die Kreisstadt des neuen Kreises werden würde, war sicher auch von dem Selbstbewusstsein der Linzer Bürger getragen, die von der Bedeutung ihrer Stadt überzeugt waren. Diese Überzeugung hat das Jahr 1822 deutlich überdauert. Im fernen Berlin kam man zu anderen Überzeugungen, machte Neuwied zur Kreisstadt und gab den Linzern lediglich die Genugtuung, den Landrat des vormaligen Kreises Linz zum Landrat des neuen Kreises Neuwied zu bestimmen. Das war auch sicher keine schlechte Entscheidung, denn unter Philipp von Hilgers hatte der kleine Kreis Linz und hat dann in der Folge der neue Kreis eine durchaus positive wirtschaftliche Entwicklung genommen. Der Landkreis Neuwied, am Anfang des 21. Jahrhunderts eine bevölkerungsreiche und wirtschaftlich starke Gebietskörperschaft, feiert in diesem Jahr den 200. Jahrestag seiner Entstehung mit mehreren geschichtsbezogenen und kulturellen Veranstaltungen. Das Gebiet der heutigen Verbandsgemeinden Linz, Unkel und Bad Hönningen allerdings gehört erst seit 194 Jahren dem Kreis Neuwied an und
damit war der Anlass gegeben, auf die 6 Jahre „Kreis Linz“ aufmerksam zu machen. Die Veranstaltungen in Linz und Umgebung, insbesondere auch die Ausstellung in der Linzer Stadthalle, sind von der Liebe zur Heimat und ihrer Geschichte getragen; ein wenig klingt aber auch das schon beschriebene Selbstbewusstsein der Einwohner der altehrwürdigen Städte und Orte am Rhein mit. Für die Konzeption und Umsetzung der Ausstellung sowie die Erstellung der Broschüre danke ich Frau Stadtarchivarin Andrea Rönz herzlich. Darüber hinaus danke ich allen Personen und Institutionen, die zum Gelingen beigetragen haben. Ein besonderer Dank geht an die Repräsentanten der Städte und Gemeinden des ehemaligen Kreises Linz, die die Idee einer gemeinsamen regionalen Präsentation der Ereignisse vor zweihundert Jahren aufgegriffen haben. Geschichtsvermittlung lebt auch von Anekdoten und bildhaften Eindrücken. Und gerade die eigenwillige Persönlichkeit des Landrats Philipp von Hilgers lädt dazu ein, seine besonderen Beziehungen zu seinem Heimatort Heister und seinem eigenmächtig bestimmten Dienstort in Erpel darzustellen. Dazu leisten Unkel und Erpel, vertreten durch Stadtbürgermeister Gerhard Hausen und Ortsbürgermeisterin Cilly Adenauer, einen besonderen Beitrag, für den ich herzlich danke. Dr. Hans Georg Faust Stadtbürgermeister Linz am Rhein, im Juli 2016
Stadt Linz
am Rhein
Stadtarchiv
Einführung
1815 wurde das Rheinland preußisch. Für die alte Verwaltungs- und Handelsstadt Linz hatten die geänderten Herrschaftsverhältnisse besondere Auswirkungen, denn die Stadt wurde Hauptort des im Mai 1816 gebildeten Kreises Linz mit den drei Bürgermeistereien Unkel, Linz und Leutesdorf. Die Region erlebte zu dieser Zeit einen durch die Revolutions- und Befreiungskriege, das Ende der Kurstaaten und den Übergang erst an Nassau-Usingen und schließlich an Preußen ausgelösten tiefgreifenden Wandel. Kriegslasten, Steuerdruck und der Verlust kurkölnischer Privilegien hatten einen dramatischen sozialen und wirtschaftlichen Niedergang zur Folge, der noch verschärft wurde durch die Hungerjahre 1816-18. Die Ausstellung „Der preußische Kreis Linz 1816-22“ beleuchtet die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Veränderungen in Stadt und Kreis, stellt die Persönlichkeit des einzigen Linzer Landrats Philipp von Hilgers vor und fasst auch die ambivalente Beziehung der Menschen am Rhein zu den neuen preußischen Machthabern ins Auge. Denn obwohl die Preußen zumindest verwaltungstechnisch einen leichten Start hatten, die Verwaltungspolitik zu Beginn keineswegs „antirheinisch“ war und auch konfessionelle Faktoren noch eine untergeordnete Rolle spielten, war das Verhältnis dennoch von gegenseitigen Vorurteilen und Unverständnis geprägt und die tiefgreifenden Konflikte zwischen Berlin und den Provinzen am Rhein bereits am Horizont zu erkennen. Zum Gelingen von Jubiläumsausstellung und Begleitbroschüre haben zahlreiche Institutionen, Vereine und Privatpersonen beigetragen. Die finanziellen Voraussetzungen schuf die „Stiftung Stadtsparkasse Linz am Rhein der Stadt Linz am Rhein“ mit ihrem Vorsitzenden des Vorstands, Bürgermeister Dr. Hans Georg Faust.
Ein Dank geht auch an die Sparkasse Neuwied und die VR-Bank Neuwied-Linz eG. Mit Rat und Tat unterstützt wurde ich vom Heimatverein Rheinbreitbach, namentlich Thomas Napp und Jürgen Fuchs, der wertvolle Hinweise zur Geschichte des dortigen Bergbaus beigetragen hat, dem Unkeler Stadtarchivar Wilfried Meitzner, Edgar Neustein vom ad Erpelle – Kunst- und Kulturkreis Erpel sowie Ellen Schimikowski und Kurt Schröder vom Verein Leutesdorfer Dorfmuseum. Dem LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Bonn, namentlich Dr. Helmut Rönz und den Kartographinnen Esther Weiss und Martina Schaper, verdanke ich das aktuelle Kartenmaterial. Bildmaterial und Leihgaben steuerten auch der Leiter des Roentgen-Museums Neuwied Bernd Willscheid und der Geschäftsführer der Sammlung RheinRomantik Karsten Keune bei, außerdem Winfried und Ursula Lotzmann aus Bad Hönningen und Bettina Veith-Werner aus Neuwied. Das Heimatmuseum Sinzig, namentlich dessen Leiterin Agnes Menacher, stellte uns auch diesmal Tischvitrinen zur Verfügung. Bert Gaebler sorgte in bewährter Manier für ein eindrucksvolles Layout und vollbrachte bei der Bildbearbeitung wie gewohnt so manches Wunder. Ihnen allen ein herzliches Dankeschön!
Andrea Rönz M.A. Stadtarchivarin Linz am Rhein, im Juli 2016
Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
1 | Das Ende der Kurstaaten „Unterm Krummstab ist gut leben“ – dieses geflügelte Wort galt auch für die rechtsrheinischen Gebiete zwischen Rheinbreitbach und Leutesdorf, die über Jahrhunderte zu den Kurfürstentümern Köln und Trier gehört und somit unter geistlicher Herrschaft gestanden hatten. Trotz der Belastung durch stete Kriegswirren, fiel die maßgebliche Entwicklung bis hin zur wirtschaftlichen und politischen Blütezeit vor allem der rheinnahen Orte in diese Epoche. Dem Genuss von landesherrlicher Förderung und Privilegien gegenüber stand jedoch die starke Abhängigkeit vom jeweiligen kurfürstlichen Herrn. Im 15. und 16. Jahrhundert brachte die „Linzer Union“, ein Schutz- und Verteidigungsbündnis kleiner mittelrheinischer Städte und Dörfer, einen ersten grenzübergreifenden Zusammenschluss von Orten des späteren Kreises Linz, denn die „Obereintracht“ der Union vereinte die kurtrierischen Dörfer Leutesdorf sowie Ober- und Niederhammerstein, das von Sayn an Kurtier gekommene Rheinbrohl, das isenburgische Hönningen, Erpel sowie die kurkölnischen Städte Linz und Unkel.
Proklamation des Brigadegenerals der französischen Rhein-Armee Nicolas-Joseph Desenfans an die Bewohner auf dem rechten Rheinufer (Ausschnitt), 1793 (Stadtarchiv Linz) Eintrag im Ratsprotokoll der Stadt Linz vom 5. Juni 1796, wonach der französische Kriegskommissar Bonquet verlangt hat, dass einer bei Hönningen lagernden Division
1789 läutete die Französische Revolution einen geistigen, moralischen, religiösen und weltanschaulichen Umbruch und somit das Ende des absolutistischen Zeitalters ein. Im Zuge der sich anschließenden Revolutionskriege zwischen Frankreich und den Monarchien Europas brachten die Franzosen die Gebiete links des Rheins, den sie als ihre natürliche Grenze betrachteten, bis Ende Oktober 1794 in ihre Hand und begründeten ihre bis 1814 währende Herrschaft in den linksrheinischen Gebieten. Die rechtsrheinischen Gebiete litten hierdurch über Jahre unter Einquartierungen, Kriegslieferungen für durchmarschierende Armeen und Plünderungen durch über den Rhein streifende französische Truppen. Im Herbst 1795 wurde Unkel erstmals geplündert, Anfang Juni rückten französische Truppen von Bonn aus über Unkel und Erpel auf Linz zu und lagerten auch bei Hönningen. Verteidiger wie Besatzer gleichermaßen verlangten unter Androhung schärfster Strafen wie Geiselnahmen oder Gefängnishaft häufig unerfüllbare Kontributionen, die die Stadtoberen von Linz durch Bestechungsgelder nur gelegentlich abzumildern wussten. In Unkel brachten die ständigen erzwungenen Abgaben in Naturalien oder Geld die Bewohner an den Rand des Hungertodes. Durch einquartierte Verwundete brach dort, wie auch in Rheinbreitbach, außerdem Fleckfieber aus, das auch zahllose Zivilisten dahinraffte und der Stadt enorme Summen für Arznei und ärztliche Behandlung aufbürdete. Am Ende des 18. Jahrhunderts, so der Unkeler Gemeindesekretär Becker am 8. März 1799, haben Krankheit, Hunger und Krieg uns an den Abgrund des Elends gebracht.
400 Maß Branntwein 800 Maß Wein 100 Stück Vieh 3350 Portionen Brot 3000 Rationen Hafer 3000 Rationen Heu geliefert werden. „Um diese starcke Anforderung zu mindern“, heißt es im Protokoll weiter, „wurde beschlossen, dem Herrn Kriegskommissar ein Praesent von 48 Brabanter Kronen zu machen“, der die geforderten Requisitionen dann auch tatsächlich deutlich herabsetzte. (Stadtarchiv Linz)
Andrea Rönz
Ausstellung „Der preußische Kreis Linz · 1816-1822“ · 16.-31. Juli 2016 · Stadthalle Linz
Das 1927 errichtete Österreicher-Denkmal in Rheinbreitbach erinnert an 140 österreichischkaiserliche Soldaten, die während der Koalitionskriege dort an Fleckfieber starben. (Heimatverein Rheinbreitbach, Foto: Thomas Napp)
Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
2 | Unter Nassau-Usingen Im zweiten Koalitionskrieg von 1799-1802 führte Napoleon die Entscheidung zugunsten Frankreichs herbei. Durch den Frieden von Lunéville 1801 wurden die linksrheinischen Gebiete Bestandteil der Französischen Republik und der Rhein zur Grenze zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich. Weltliche deutsche Fürsten, die Besitz auf der linken Rheinseite hatten, erhielten für ihre Gebietsverluste eine Entschädigung auf dem rechten Rheinufer. Durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurden schließlich die geistlichen Fürstentümer aufgelöst, so auch Kurköln und Kurtrier. Deren rechtsrheinisch gelegene Gebiete unter anderem des späteren Kreises Linz erhielt das Fürstentum Nassau-Usingen zugesprochen, das auf französischer Seite gestanden hatte. In Linz wurde bereits am 22. September 1802 den im Rathaus angetretenen Gerichts- und Ratsmitgliedern sowie kurfürstlichen Beamten und der vor dem Rathaus versammelten Bürgerschaft durch einen Vertreter des Fürsten von NassauUsingen die Inbesitznahme von Stadt und Kirchspiel Linz gemäß dem Patent vom 14. September 1802 verkündet und die Bürger zu Treue und Liebe ihrem neuen Landesherrn gegenüber ermahnt. Entgegen der Zusage der nassauischen Regierung, dass durch die Inbesitznahme die gegenwärtige Civilverwaltung und bestehende gesamte Verfassung des Landes nicht den mindesten Eintrag noch einige Abänderung erleiden und diese Veranstaltung […] auf unsere alleinige Kosten vorgenommen und ausgeführt werden solle, gingen in der Folge die in kurfürstlicher Zeit erworbenen Rechte und Privilegien wie der Linzer Rheinzoll und verschiedene Verwaltungsund Gerichtsbehörden verloren. An die Stelle des kurkölnischen trat das verkleinerte fürstlich-, ab 1806 herzoglich-nassauische Oberamt Linz, das kurtrierische Amt Hammerstein blieb hingegen territorial unverändert bestehen. Die Verwaltung wurde durch eine Fülle von gesetzlichen Verordnungen und Verfügungen eingeengt. Auf der Bevölkerung lastete außerdem ein enormer Steuerdruck bis hin zur Stempel-, Kalender- und Spielkartensteuer, gegen den Bürgermeister und Ortsvorsteher oftmals, aber immer vergeblich protestierten. Das Eigentum geistlicher Einrichtungen wurde zudem nach französischem Vorbild säkularisiert, also in Staatsbesitz überführt. Wehmütig erinnerte man sich an die kurkölnische Landesverfassung, welche die Untertanen Jahrhunderte hindurch beglückte und sie vor Willkür, Druck und Mißbrauch der Gewalt beschützte, wie es in einer Beschwerde der Stadt Unkel über die Regierung in Wiesbaden heißt.
Friedrich August von NassauUsingen (1738-1816), ab 1803/1806 Fürst/Herzog von Nassau, zeitgenössisches Ölgemälde. Der Landesherr besuchte auf Inspektionsreisen durch seine neuen Herrschaftsgebiete unter anderem 1803 Linz und 1804 Leutesdorf, wo keine Kosten und Mühen gescheut wurden, ihn gebührend zu empfangen. Patent der Inbesitznahme der rechtsrheinischen Gebiete des Kurfürstentums Köln durch Fürst Carl Wilhelm von Nassau, 1802 (Stadtarchiv Linz)
Verleihungsurkunde der WaterlooMedaille an den Linzer Stephan Wirz, 1817. Das Herzogtum Nassau trat nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 der antinapoleonischen Allianz bei. An der Schlacht bei Waterloo am 17./18. Juni 1815, die zu Napoleon Bonapartes endgültiger Abdankung führte, nahmen in den Reihen der herzoglich-nassauischen Truppen auch zahlreiche Soldaten aus den Städten und Dörfern des späteren Kreises Linz teil. (Stadtarchiv Linz)
Andrea Rönz
Ausstellung „Der preußische Kreis Linz · 1816-1822“ · 16.-31. Juli 2016 · Stadthalle Linz
Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
3 | Übergang an Preußen Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft teilte der Wiener Kongress Preußen die Rheinlande als Entschädigung für die preußischen Anstrengungen in den kriegerischen Auseinandersetzungen zu. Das Königreich Preußen hätte lieber Sachsen als Neuerwerbung erhalten, musste jedoch aufgrund seiner Rolle als gestärkte europäische Mittelmacht und der geostrategischen Bedeutung der Rheinlande seinen Wunsch zugunsten des fremden Rheinlandes und des ebenso fremden Westfalen aufgeben. Im preußisch-nassau-
ischen Tauschabkommen vom 31. Mai 1815 erhielt Preußen u.a. die Ämter Altenkirchen, Altenwied, Dierdorf, Hammerstein, Heddesdorf, Neuerburg, Linz, Stadt und Gebiet Neuwied sowie die rechtsrheinischen Gebiete der Ämter Vallendar und Ehrenbreitstein zugesprochen und nahm die ihm zugefallenen Territorien per Patent offiziell in Besitz. Der Herzog von Nassau ließ im Juli 1815 den getreuen Staatsdienern, Unterthanen und Einwohnern in diesem an die Krone Preußen abgetrettenen Landestheil die Veränderung des bisher bestandenen Regie-
König Friedrich Wilhelm III. von Preußen (17701840). Lithographie von Wilhelm Devrient nach einem Porträt von Franz Krüger, um 1830
rungsverhältnisses eröffnen, nicht ohne Euch zugleich nochmals Unsere Zufriedenheit und Unsern Dank öffentlich auszudrücken für Eure in mancherlei schwierigen Lagen gegen uns bewährte Anhänglichkeit und für die Treue, wodurch Ihr Unsere Regierungs-Fürsorgen erleichtert und Unsere Bemühungen um die Erhaltung und Beförderung Eures Wohlergehens unterstützt habt, und entließ sie, unter beruhigenden und angenehmen Hoffnungen über Euer zukünftiges Schicksal, aller Uns geleisteten Dienst- und Unterthanenpflichten. Der Übergang an Preußen wurde der Bevölkerung kurze Zeit später offiziell bekannt gegeben. In Linz etwa verkündete am 13. August 1815 der Stadtschreiber der vor dem Rathaus versammelten Bürgerschaft das Besitzergreifungspatent König Friedrich Wilhelms III., worauf der preußische Adler am Rathshaus angebracht, sodan unter dem Donner der Boeller und Läutung aller Glocken allerseits ein herzliches Vivat gerufen und mehrmals wiederholt wurde. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. zeigte sich überzeugt, dass seine neuen Unterthanen, die in den Jahren der Prüfung ihren deutschen Sinn als das köstlichste Erbtheil ihrer alten deutschen und glücklichen Vorfahren am gesegneten Rheinstrome aufbewahrt und dem Glauben an die gerechte Sache nie entsagt haben, […] ihrem Könige und Landesherrn mit Vertrauen, Liebe und Gehorsam entgegen eilen werden, und ließ versichern, dass ihr Wohl ein Gegenstand der unausgesetzten Sorgfalt ihres Königs sein wird. Ab 1815 führten alle öffentlichen Einrichtungen das preußische Hoheitszeichen, den gekrönten KöniglichPreußischen Adler, der auf dem Staatswappen (links) in seinem (jeweils heraldisch) rechten Fang ein Zepter und im linken einen Reichsapfel, auf der Staatsflagge (rechts) im rechten Fang ein Schwert und im linken das Zepter trug.
Besitzergreifungspatent vom 21. Juni 1815. Die Bekanntmachung sollte in allen Ortschaften am Rat- oder Gemeindehaus und den Kirchen angeschlagen, der versammelten Einwohnerschaft öffentlich bekannt gemacht und auch in den Kirchen verlesen und außerdem in allen öffentlichen Blättern und Zeitungen abgedruckt werden. (Stadtarchiv Linz) Der Preußenadler am Linzer Rathaus um 1910
Andrea Rönz
Ausstellung „Der preußische Kreis Linz · 1816-1822“ · 16.-31. Juli 2016 · Stadthalle Linz
(Stadtarchiv Linz)
Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
4 | Kommunale Verfassung und Verwaltung Die Einteilung der neuen Westprovinzen durch das Königreich Preußen sah die Angleichung an den Altstaat vor, folgte staatlichen Effizienzgründen und nahm auf wirtschaftliche, gesellschaftliche, landsmannschaftliche oder kulturelle Aspekte keine Rücksicht. Und dennoch war es die preußische Zeit, in der jener Raum Gestalt annahm, der heute mit dem Begriff des Rheinlands assoziiert wird. Im Norden wurden die Regierungsbezirke Köln, Düsseldorf und Kleve in der Provinz JülichKleve-Berg zusammengefasst. Verwaltungssitz war das wirtschaftlich prosperierende Köln. Im Süden wurde das Großherzogtum Niederrhein gebildet mit Sitz in Koblenz und den Regierungsbezirken Aachen, Koblenz und Trier. Der Regierungsbezirk Kleve im Norden wurde bereits 1821 aufgelöst und Düsseldorf zugeschlagen, 1822 folgte dann die Auflösung der Provinzen, um eine einheitliche Rheinprovinz – der Name ist etwa ab 1830 gebräuchlich – zu bilden. Sitz dieser Provinz und auch des kommandierenden Generals mitsamt seines Stabes wurde Koblenz. Am 22. April 1816 nahm die Königliche Regierung dort ihre Arbeit auf. Einer preußischen Provinz stand ein Oberpräsident vor, den Regierungsbezirken in verschiedene Ressorts gegliederte Regierungen mit einem Präsidenten. Die Regierungsbezirke wurden in Kreise mit einem Landrat an der Spitze untergliedert, die Kreise wiederum setzten sich aus Bürgermeistereien zusammen. In den Jahren des Übergangs blieben die alten französischen Rechtsinstitute in Form des „Rheinischen Rechts“ auch unter preußischer Herrschaft in Funktion einer „Ersatzverfassung“ weitgehend erhalten und wurden auch für die rechtsrheinischen Gebiete übernommen,
Wappen des Großherzogtums Niederrhein, später für die Rheinprovinz übernommen. In dem Wappenschild, ein grünes Herzschild mit einem silbernen, wellenweise gezogenen Schrägrechtsbalken, der den Rhein symbolisiert, haben die Farben des Rheinlands – grün und weiß – ihre Wurzeln. Stempel des Großherzogtums Niederrhein
und auch die Einteilung von 1815/16 in Landkreise und preußische Bürgermeistereien war nur eine Fortsetzung der Mairie- und Kantonsverfassung mit deutschem Namen. Bereits mit dem Einzug der Preußen jedoch setzte ein Streit um die Kommunalverfassung ein, der mehr als dreißig Jahre währte und zu einem der Hauptkonflikte zwischen Berlin und den Provinzen am Rhein wurde. In Berlin nämlich war man bestrebt, die französische Hierarchie zugunsten der Kollegialität zu überwinden sowie die Unterteilung in Stadt und Land wieder herzustellen. Dafür verfasste bereits 1818 Kultusminister Altenstein seine „Grundideen für eine Kommunalordnung“, und 1820 wurde von einer eigens berufenen königlichen Zentralkommission das „Konzept einer Gemeindeordnung“ vorgestellt. Am Rhein jedoch pochte man auf den Erhalt der Errungenschaften aus der Franzosenzeit, allen voran die Rechtsgleichheit aller Staatsbürger, die Rechtsgleichheit von Stadt und Land sowie eine mit beträchtlichen Kompetenzen ausgestattete Verwaltungsspitze in Person der Bürgermeister. Erst 1845 kam nach jahrzehntelangem zähem Ringen die Rheinische Gemeindeordnung zustande, die für Stadt und Land galt.
(Stadtarchiv Linz)
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Ausstellung „Der preußische Kreis Linz · 1816-1822“ · 16.-31. Juli 2016 · Stadthalle Linz
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1816 bis 1822
5 | Die Bildung des Kreises Linz Gemäß der am 30. April 1815 durch die preußische Regierung erlassenen Verordnung zur verbesserten Einrichtung der Provinzialbehörden wurde das Königreich Preußen in zehn Provinzen, fünf Militär- und 25 Regierungsbezirke eingeteilt, letztere wurden in Kreise untergliedert. Die Kreise sollten so gebildet werden, dass es niemand leicht weiter als drei Meilen zum Sitz der Kreisbehörde hat, und also, ohne auswärts zu übernachten, seine Geschäfte bei derselben abmachen kann. Der Kreis Linz umfasste die drei aus den Ämtern Linz und Hammerstein und in Anlehnung an die früheren Kirchspiele entstandenen Bürgermeistereien Unkel, Linz und Leutesdorf. Mit Bekanntmachung im Amtsblatt der Königlichen Regierung in Koblenz vom 14. Mai 1816 wurde die Bildung des Kreises Linz vollzogen. Das Kreisgebiet gehörte zum Regierungsbezirk Koblenz der Provinz Großherzogtum Niederrhein, ab 1822/1830 Rheinprovinz. Der Kreis Linz grenzte im Norden an den Regierungsbezirk Köln, im Osten war er umschlossen vom Kreis Neuwied, und im Süden und Westen lagen linksrheinisch die Kreis Mayen und Ahrweiler. Linz war der kleinste der 14 Kreise des Regierungsbezirks Koblenz. 1817 zählte er insgesamt 11.179 Einwohner, bis 1822 stieg die Bevölkerung nur unwesentlich auf insgesamt 12.078 Einwohner. Das nachträglich eingezeichnete Kreisgebiet auf dem Kartenwerk des preußischen Generalmajors Friedrich Karl Ferdinand Freiherr von Müffling (1775-1851), eine der ältesten topographisch zuverlässigen Darstellungen der Region. Die hier abgebildeten Blätter entstanden 1817-19 und zeigen die Lage und Ausdehnung von Siedlungen und Einzelgehöften, den exakten Verlauf von Straßen und Wegen und die unterschiedlichen Flächennutzungsformen besonders detailgetreu und plastisch. (©GeoBasis-DE / LVermGeoRP2016, dl-de/by-2-0, http://www.lvermgeo.rlp.de, Originale im Besitz der Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin)
Die Kreise des Regierungsbezirks Koblenz (aus: Der Regierungs-Bezirk Coblenz nach seiner Lage, Begränzung, Größe, Bevölkerung und Eintheilung, samt einem doppelten Ortschafts-Verzeichniße, [Koblenz] 1817, S. XV.)
Andrea Rönz
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1816 bis 1822
6 | Die Kreisstadt Zur Kreisstadt wurde Linz erhoben, der mit gut 1.800 Einwohnern größte Ort des Kreises. Sitz der Kreisverwaltung, also des landrätlichen Büros und der Kreiskasse, war das Schloss zu Linz, die Linzer Burg. Hier hatten bereits die kurkölnischen und später auch die naussauischen Amtmänner Räumlichkeiten genutzt. Jetzt wurde in der Burg ein Geschäftslokal mit zwei Stuben für den Landrat und seine Subalternen eingerichtet. Die Kreiskasse bezog einen Raum im Erdgeschoss des Turmes und wurde mit allen erforderlichen Utensilien wie Truhen, Büchsen mit Schloss und Schlüsseln, Stempeln und Siegeln ausgestattet. Zudem verwahrte der Kreiskassenbeamte dort ein umfangreiches Archiv mit beachtlichen Beständen an Heberegistern, Lagerbüchern oder Kellereirechnungen aus mehreren Jahrhunderten.
Die Kreisstadt Linz, wie der Maler und Kupferstecher Friedrich Wilhelm Delkeskamp (1794-1872) auf seiner Rheinreise wohl Anfang der 1820er Jahre sie sah. Rechts Dattenberg mit der Ruine der gleichnamigen Burg. (Stadtarchiv Linz) Linz auf dem preußischen Urkataster von 1828/29, der ersten parzellenscharfen Aufnahme des Stadtgrundrisses. Violett eingefärbt die Weingärten, hellgrün das Garten-, gelb das Ackerland. (LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Bonn)
Das Leetor, der südliche Eingang der Stadt Linz, auf einer kolorierten Ansicht nach einer Radierung von Richard Püttner. Rechts des Tores ist das Rathaus zu sehen, im Vordergrund die verfallene Stadtmauer mit einem Bildstock. Links hinter dem Tor erkennt man das ehemalige Pest- oder Leprosenhaus, dahinter den Dachreiter der Kapuzinerkirche, heute Stadthalle, am linken Bildrand den Turm der Burg und das Rheintor. Im Hintergrund erhebt sich die Erpeler Ley. (Stadtarchiv Linz)
Die Stadt Linz war zu dieser Zeit noch nicht über ihren mittelalterlichen Kern hinaus gewachsen, war noch umschlossen von der schon teilweise verfallenen Stadtmauer, mit deren Abbruch man jedoch 1817 begann. Der Kreissitz, die Burg, war innerhalb der Stadt noch von einem Weiher umgeben und konnte nur über eine Brücke betreten werden. Jenseits der Stadtmauer erstreckten sich Weinberge, Garten- und Ackerland. An die Aufwertung zum Behördenstandort knüpfte man in Linz hohe Erwartungen. Denn die alte Verwaltungs- und Handelsstadt hatte den Verlust der in kurkölnischer Zeit erworbenen Privilegien nicht verkraftet, deren Folge der Niedergang von Handel, Handwerk und Gewerbe war. Durch den Ausfall der städtischen Akzise von jährlich 2.000 Talern und die im französischen Krieg auferlegten Lasten war die Stadt – wie die meisten anderen rheinnahen Gemeinden – hochverschuldet. Auch die Aufhebung des Rheinzolls, durch den die Stadt als Handelsstadt angesehen werden durfte und über Neuwied stand, verursachte einen unersetzlichen Schaden. Die Stadt litt unter einem dramatischen sozialen und wirtschaftlichen Einbruch, der durch die Hungerjahre 1816-18, von denen im Folgenden noch die Rede sein wird, zusätzlich verschärft wurde.
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Ausstellung „Der preußische Kreis Linz · 1816-1822“ · 16.-31. Juli 2016 · Stadthalle Linz
Der preußische Kreis Linz
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7 | Die Bürgermeistereien: Unkel
Unkel um 1830, erneut aus der Sicht des Rheinreisenden Friedrich Wilhelm Delkeskamp (Stadtarchiv Unkel)
Rheinbreitbach und das Siebengebirge, 1845. Gemälde von Bernt Lund (1812-85) (Sammlung Rheinromantik / www.sammlung-rheinromatik.de)
Unkel, die nördlichste Bürgermeisterei des Kreises Linz, bestand aus den zwei Städten Unkel und Erpel, den Dörfern Rheinbreitbach, Scheuren, Bruchhausen und Kasbach (Erpelerseits) sowie mehreren Höfen und weiteren Wohnplätzen. Unkel und Erpel waren nicht im Besitz von Stadtrechten – Unkel, kurkölnische Stadt seit spätestens 1578, hatte diese 1815 verloren, Erpel, Herrschaft oder „Herrlichkeit“ seit dem späten 15. Jahrhundert, nie besessen – wurden aber aufgrund ihrer städtischen Struktur und ihrer zentralörtlichen Funktion für die umliegenden Dörfer so bezeichnet. Der Zahl der Einwohner spielte hierbei keine Rolle, denn der größte Ort des Kreises, das Dorf Rheinbreitbach mit 1.000 Einwohnern (1817), war fast doppelt so groß wie der Bürgermeistereisitz Unkel. Im Süden endete die Bürgermeisterei am Kasbach, der seit dem Mittelalter (und noch bis 1935) als ehemalige Grenze zwischen den Erzbistümern Köln und Trier das gleichnamige Dorf teilte.
In Unkel war von 1817-39 Bürgermeister Carl Eberhard Mäurer im Amt. Unkel war sowohl hinsichtlich der Fläche als auch der Einwohnerzahl die kleinste Bürgermeisterei des Kreises. Zeitgenössische Ansichten wie die Müffling-Karte oder die frühen Rheinpanoramen von Delkeskamp zeigen ein dünn besiedeltes Gebiet mit waldreichen Höhenlagen, aber auch ausgedehnten landwirtschaftlichen Flächen in der Ebene am Rhein und rings um Bruchhausen. Die gut 3.000 fast ausschließlich katholischen Einwohner der Bürgermeisterei – die Statistik von 1817 erwähnt keine Protestanten oder Juden, es gab aber in mehreren Orten kleine jüdische Gemeinden – lebten fast ausschließlich vom Weinbau. Eine Beschreibung der Bürgermeisterei von 1830 rühmt vor allem den köstlichen Leiwein, der am südlichen und östlichen Abhang der Erpeler Lei wächst, und welcher der vorzüglichste weiße Wein in dieser Gegend ist. Bei Rheinbreitbach wird auf dem Menzenberg ein vorzüglicher Bleichart (ein hellroter Wein) angebaut, und überhaupt hatten die Dörfer sämmtlich Weinbau. Sehr wahrscheinlich bis in römische Zeit reicht die Geschichte des Kupferbergbaus in Rheinbreitbach zurück, der im 19. Jahrhundert eine große wirtschaftliche Bedeutung für den Ort gewann. Eine geringere Rolle spielte der Abbau von Basaltstein.
An der Spitze jeder Bürgermeisterei stand der Bürgermeister mit zwei Beigeordneten, ein vom Regierungspräsidenten eingesetzter königlichpreußischer Beamter, der mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet war. Sein Vorgesetzter war der Landrat. Ausschlaggebend bei der Besetzung waren Verwaltungserfahrung und Loyalität der Amtsträger, und nach Möglichkeit wurden Ortsansässige berufen. Fand sich vor Ort jedoch kein geeignetes Personal, griff die preußische Regierung auf ortsfremde Beamte und ehemalige Offiziere zurück – und das sogar bevorzugt, denn diese garantierten eine straffe Verwaltung. Die Amtsträger des Kreises Linz rekrutierten sich überwiegend aus Ortsansässigen und waren – soweit nachvollziehbar – allesamt katholisch.
Stempel der KöniglichPreußischen Bürgermeisterei Unkel (Stadtarchiv Linz)
Andrea Rönz
Statistik der Bürgermeisterei Unkel (aus: Der Regierungs-Bezirk Coblenz nach seiner Lage, Begränzung, Größe, Bevölkerung und Eintheilung, samt einem doppelten OrtschaftsVerzeichniße, [Koblenz] 1817, S. 59f.)
Erpel und Remagen mit der Apollinariskapelle, 1847. Gemälde von Johannes Jakob Diezler (1789-1855) (Sammlung Rheinromantik / www.sammlung-rheinromatik.de)
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1816 bis 1822
8 | Die Bürgermeistereien: Linz
Blick auf Dattenberg Richtung Ahrtal. Kupferstich von Ludwig Heß (1776-1853) nach einer Zeichnung von Ernst Fries (1801-1833), erschienen 1819-26. (Stadtarchiv Linz) Blick von Ockenfels auf das Rheintal und die Goldene Meile, 1845-52. Gemälde von Johann Wilhelm Schirmer (1807-1863), zugeschrieben (Sammlung Rheinromatik / www.sammlung-rheinromantik.de)
Linz war hinsichtlich der Einwohnerzahl die größte, hinsichtlich der Fläche die zweitgrößte der drei Bürgermeistereien des gleichnamigen Kreises. Neben der Kreisstadt umfasste sie die Dörfer Linzhausen, Hargarten, Notscheid, Ohlenberg, Ockenfels, Leubsdorf, Dattenberg und Kasbach (Linzerseits) sowie vier Weiler, eine Mühle und zahlreiche Höfe. Die gut 4.000 Einwohner (1817) waren auch hier fast ausschließlich katholisch, neben kleineren jüdischen Gemeinden (die Linzer Gemeinde etwa zählte 1816 44 Mitglieder) gab es nur sehr wenige Protestanten (in der Stadt Linz waren es 1816 drei). Zum Bürgermeister wurde der 28-jährige Hauptmann Friedrich Adolph von Cocy ernannt, der aus Frechen stammte und offensichtlich erst seit Kurzem in Linz wohnte. Kreiskommissar Philipp von Hilgers teilte ihm am 5. Februar 1817 mit, dass die Königlich hochlöbliche Regierung Euer Hochwohlgeboren am 24ten vorigen Monats zum provisorischen Bürgermeister von Linz zu ernennen geruht [hat], und zwar unter der Bedingung in demjenigen Orte der Bürgermeisterey Ihren Wohnsitz zu nehmen, welcher zur Communication mit allen Theilen des Bezirkes am bequemsten liegt. Bürgermeister von Cocy ließ am 10. Februar in Linz durch den Ausscheller meinen Mitbürgern bekannt machen, daß ich das Secretariat der Bürgermeisterey vorderhand auf dem hiesigen Rathhauße errichtet habe. 1820 wurde von Cocy durch den gebürtigen Bonner, aber schon länger in Linz ansässigen Premierleutnant Franz Kerp abgelöst.
Linz und Umgebung 1803. Zeichnung von Christian Georg Schütz d. J. (17581823). Zu sehen sind auch die Ruinen der mittelalterlichen Burgen Dattenberg in der Bildmitte und zur Leyen (Ockenfels) am linken Bildrand. (Sammlung Rheinromatik / www.sammlung-rheinromantik.de)
Auch die Bürgermeisterei Linz endete im Süden an einem geschichtsträchtigen Wasserlauf: Der Ariendorfer Bach, von 1250 bis 1803 Grenze zwischen Kurköln und Kurtrier, trennte den Weiler, der noch bis 1967 teils zu Leubsdorf, teils zu Hönningen gehörte. In den Wohnplätzen auf der waldreichen Höhe – überwiegend Weiler oder Einzelhöfe mit nur wenigen Bewohnern – dominierte der Ackerbau, in den rheinnahen, deutlich größeren Orten der Weinbau. Vor allem in der Kreisstadt (siehe Tafel 6) waren auch Handel, Gewerbe und Schifffahrt von Bedeutung, außerdem etablierten sich frühe Industrien wie die Linzer Max-Friedrichs-Hütte, der Streckhammer oder das Hüttenwerk Alsau bei Dattenberg. Daneben gab es mehrere Basaltsteinbrüche.
Stempel des KöniglichPreußischen Bürgermeisteramts Linz (Stadtarchiv Linz)
Statistik der Bürgermeisterei Linz (aus: Der Regierungs-Bezirk Coblenz nach seiner Lage, Begränzung, Größe, Bevölkerung und Eintheilung, samt einem doppelten OrtschaftsVerzeichniße, [Koblenz] 1817, S. 59.)
Andrea Rönz
Ausstellung „Der preußische Kreis Linz · 1816-1822“ · 16.-31. Juli 2016 · Stadthalle Linz
Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
9 | Die Bürgermeistereien: Leutesdorf
Blick auf Schloss Arenfels und das Rheintal mit Hönningen, Breisig und Burg Rheineck, um 1843. Gemälde von Johannes Jakob Diezler (Sammlung Rheinromantik / www.sammlung-rheinromatik.de)
Die Bürgermeisterei Leutesdorf wurde aus dem ehemals kurtrierischen Amt Hammerstein und der Herrschaft Arenfels gebildet. Lediglich die Gemeinde Irlich, zuvor eine Exklave des Amtes Hammerstein, gehörte nicht mehr dazu, sondern wurde zunächst in die Bürgermeisterei Heddesdorf des Kreises Neuwied und kurz darauf in die Fürstlich-Wiedische Standesherrschaft eingegliedert. Sitz der Bürgermeisterei wurde das ganz im Süden gelegene Dorf Leutesdorf, der mit gut 1.100 Einwohnern größte Ort und zuvor bereits für etwa anderthalb Jahrhunderte Sitz der Hammersteiner Amtmänner, was ausschlaggebend für die Wahl gewesen sein dürfte. Zum Bürgermeister ernannte die Regierung in Koblenz am 26. Januar 1817 den ehemaligen Sekretär des Kreises Linz Joseph de Lamack. Als eine seiner ersten Amtshandlungen erging die Anweisung, daß in den Gemeinden ein Schöffe, Ortsvorsteher genannt, zu wählen ist. Die Ortsvorsteher kleinerer Gemeinden hatten einen, in Orten ab 300 Einwohnern zwei Beigeordnete und waren dem Bürgermeister unterstellt, der seine Bürgermeisterei regelmäßig bereisen und sich vergewissern sollte, ob die Schöffen die höheren Orts erlassenen Anordnungen auch umsetzten. Die preußische Regierung achtete auf korrektes und pünktliches Verwalten, was auch das Anfertigen ausführlicher Aufstellungen und Dokumentationen umfasste, und bürdete ihren Amtsträgern damit eine enorme Arbeitslast auf. Die Rheinorte der Bürgermeisterei Leutesdorf, festgehalten von Friedrich Wilhelm Delkeskamp auf einer seiner Rheinreisen, um 1830. Von oben nach unten: Hönningen mit Schloss Arenfels, Rheinbrohl, Niederhammerstein, Hammerstein, Leutesdorf. (Privatbesitz Lotzmann, Bad Hönningen)
Andrea Rönz
Die Gemeinde Leutesdorf war nur für wenige Wochen Sitz des Bürgermeisters, denn Joseph de Lamack verlegte seinen Wohn- und Dienstsitz noch im Jahr 1817 nach Hönningen. Auch unter seinem Nachfolger, dem erst 25-jährigen Hönniger Juristen und Ökonomen Jakob Haas, der sein Amt im Februar 1819 antrat, war die Bürgermeistereiverwaltung dort angesiedelt.
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Leutesdorf war hinsichtlich der Fläche die größte Bürgermeisterei des Kreises Linz. Drei Viertel der 1817 knapp 4.000 Einwohner der Bürgermeisterei Leutesdorf – auch hier fast ausschließlich Katholiken und nur wenige Protestanten und Juden – lebten jedoch in den am Rhein gelegenen Dörfern Leutesdorf, Hönningen und Rheinbrohl mit jeweils um 1.000 Bewohnern, die beiden anderen Dörfer Ober- und Niederhammerstein waren wesentlich kleiner. Auf der dünn besiedelten Höhe lagen verstreut lediglich einige Weiler und Einzelhöfe, deren jeweils zwischen sechs und knapp 40 Einwohner sich von Ackerbau ernährten. In allen Dörfern am Rhein hingegen dominierte auch hier der Weinbau, wobei erneut besonders der Bleichart in der zeitgenössischen Reiseliteratur allseits gelobt wurde. In Leutesdorf waren außerdem Schifffahrt und Handel von Bedeutung.
Statistik der Bürgermeisterei Leutesdorf (aus: Der Regierungs-Bezirk Coblenz nach seiner Lage, Begränzung, Größe, Bevölkerung und Eintheilung, samt einem doppelten Ortschafts-Verzeichniße, [Koblenz] 1817, S. 60.)
Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
10 | Der Landrat
Der Wohn- und Dienstsitz des Landrats in Heister, ehemaliges Weingut mit Kelterhaus von 1598. Das Gut kam nach 1822 über Philipp von Hilgers’ Schwestern Anna Franziska (1788-1810), die mit Jacob Daniel Nepomuk von Weise verheiratet war, und Clara (1797-1869), Ehefrau von Franz Caspar Weise (1845), an die Familie von Weise und trägt bis heute den Namen Von-Weise-Haus. (Foto: Bernd Willscheid)
Landrat Philipp von Hilgers, undatiertes Porträt, vermutlich zwischen 1817 und 1827 (Kreisverwaltung Neuwied)
Zunächst zum landrätlichen Kommissar, am 16. Januar 1817 dann in Anerkenntnis unserer Zufriedenheit mit Ihrer bisher gezeigten Thätigkeit und Umsicht zum Landrat des Kreises Linz wurde Philipp von Hilgers ernannt unter der Maaßgabe, daß Sie Ihre Qualifikation innerhalb längstens sechs Monaten durch Bestehung des großen Examens noch erreichen müssen. Er bezog ein jährliches Gehalt von 800 Reichstalern, dazu 180 Reichtaler für einen Privat-Schreiber und weitere Kostenerstattungen etwa für Schreib- und Büromaterial. Der Geschäftsbereich des Landrats umfasste die allgemeinen Verwaltungs-, Landespolizei- und Militärsachen sowie die Gewerbeangelegenheiten, die Aufsicht über die Regalien, also die königlichen Hoheitsrechte, das Steuerwesen und die Kreiskasse. Als Personal standen ihm in der 1818 nach dem Vorbild der altpreußischen Provinzen ausgebauten Kreisverwaltung dafür der Kreissekretär, der Kreisbote, der Kreiskassenbeamte sowie Kreisphysikus und Kreischirurgus zur Verfügung. Ihm unterstellt waren die Bürgermeister, die im Mai und November eines jeden Jahres dem Landrat Bericht über etwaige Missstände in ihren Bürgermeistereien zu erstatten und vorzuschlagen hatten, was zu deren Behebung erforderlich sei. Das in Teilen rekonstruierte Dienstsiegel des Landrats. Abweichend von der offiziellen Staatsflagge des Königreichs Preußen sind Schwert und Zepter in den Fängen des Adlers hier vertauscht, offensichtlich eine Fehlgravur des Siegelstempels.
Der Landrat des Kreises Linz stammte ursprünglich vom Niederrhein, wo er als Philipp Joseph Ludwig Franz Salesius Johann Nepomuk Freiherr von Hilgers am 9. Mai 1785 als ältestes von acht Kindern des Kölner Bürgermeisters Franz Jakob Freiherr von Hilgers (1745-1821) und dessen Ehefrau auf dem ins Hochmittelalter zurückFerdinandina von Francken gehenden Adelssitz Haus Horr bei Hülchrath (heute als Neukirchen-Hülchrath Ortsteil der Stadt Grevenbroich) zur Welt kam. Die Familie des Vaters lässt sich in Köln bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen und brachte zahlreiche hohe Amtsträger hervor. Der Vater war zudem 1783 von Kaiser Josef II. in den erblichen Familienstand erhoben worden. Nach Beendigung eines Studiums der Kameral- und Finanzwissenschaften 1805 und kurzzeitiger Anstellung bei der Unterpräfektur in Köln schlug Philipp von Hilgers die Offizierslaufbahn ein. Er stand zunächst in französischen Diensten, soll den Jägern der Alten Garde und später der Kavallerie der Kaiserlichen Garde Napoleon Bonapartes angehört haben; 1814/15 dann nahm er als Herzoglich Nassauischer Landhauptmann an den Befreiungskriegen teil. 1809 hatte er Sophie von Dhaem (1788-1849), Tochter eines luxemburgischen Advokaten, geheiratet und war mit ihr nach Heister (heute Stadtteil von Unkel) gezogen, um das dortige väterliche Weingut zu bewirtschaften. Das Paar bekam 10 Kinder, fünf Söhne und fünf Töchter, von denen die ersten acht in Heister, die letzten beiden in Neuwied geboren wurden.
(Stadtarchiv Linz)
Andrea Rönz
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Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
11 | Der Landrat Das Schloss zu Linz, Sitz des landrätlichen Büros und der Kreiskasse (bis 1819). Lithographie von Aimé Henry (1801-1875), vor 1838 (Stadtarchiv Linz)
Obwohl das landrätliche Büro in Linz eingerichtet war, scheute Philipp von Hilgers die beschwerliche Fahrt in die Kreisstadt über kaum befestigte oder ausgebaute Straßen und Wege. Nur zwei Tage nach seiner Ernennung zum Landrat, am 18. Januar 1817, schrieb er an die Regierung in Koblenz, dass er sowohl zur Beschleunigung der Geschäfte, als wie auch zu meiner Bequemlichkeit wünsche, die Kreis-Kanzley von Linz in das nur 10 Minuten von meinem Wohnorte entfernte Städtchen Erpel verlegen zu dürfen. Die Dienstgeschäfte nahm er von seinem Gut in Heister aus wahr, was ihm unter der Voraussetzung gestattet worden war, dass er sich wöchentlich wenigstens einen oder auch zwei ein für allemal bestimmten Tagen, die nach der Bequemlichkeit der Einsaßen ausgewählt werden und nach den Umständen mit den gewöhnlichen Markttagen zusammenfallen müßten, in der Kreisstadt aufzuhalten und dort jedermann Gehör zu geben habe. Die Regierung erlaubte die Einrichtung der Kreiskanzlei im Rathaus in Erpel, man bestand jedoch darauf, dass auch in Linz weiterhin ein Geschäftslokal unterhalten würde, zumal auch die Kreiskasse dort angesiedelt war. Dies erregte den Zorn des Linzer Magistrats, denn obwohl der Herr Landrath […] versprach, alle Sitzungen, die Volksversammlungen nach sich zögen, hier in Linz zu halten, um durch die Verlegung der Kreiskanzley der Stadt nicht alle derselbige Nahrung zu entziehen […], hielt von Hilgers seine Versammlungen auch weiterhin nur in Erpel ab. Hierauf brachten wir das gegebene Versprechen dem H. Landrath schriftlich und mündlich in Erinnerung; ungeachtet dessen, fährt Er fort, die Versammlungen in Erpel zu halten, beschwerte sich der Linzer Stadtrat schließlich bei der Regierung in Koblenz und führte weiter aus: Weil die hiesige Stadt als Kreishauptort auch Lasten zu tragen hat, die anderen Orten nicht zufallen, […] so wird sie auch gegründeten Anspruch auf die ihr zustehenden Vorrechte u. Vortheile machen können. Aus diesen Gründen erlauben wir uns als Sprachorgan der Bürgerschaft, die unterthänigste Bitte dieser Eurer K. H. Regierung vorzutragen, welche dahin geht, daß der Herr Landrath angewiesen werden möge, in Zukunft alle Versammlungen in dem Kreishauptorte zu veranstalten, wozu die nöthigen Lokale daselbst auch vorhanden sind.
Andrea Rönz
Die Kreiskanzlei war im Rathaus in Erpel ansässig. (Foto: Bernd Willscheid)
Unterschrift Philipp von Hilgers‘, noch als „Königlich Pr. Kreis-Commissar“, unter einem der wenigen Schriftstücke, die in Linz ausgefertigt wurden. (Stadtarchiv Linz)
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Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
12 | Der Landrat
Panorama von Unkel, um 1840. Das Aquarell von Carl Schlickum (1808-1869) zeigt den Fronhof noch in seiner ursprünglichen Gestalt.
Inwieweit sich der Landrat tatsächlich an die wiederholt ausgesprochenen Ermahnungen und Anweisungen aus Koblenz hielt, ist nicht bekannt. Überliefert ist nur, dass er ab November 1818 montags, mittwochs und freitags von 10 bis 13 Uhr Sprechstunden in seinem Büro in Erpel – nicht aber in Linz – abhielt. Bis dahin hatten Privatleute ihre Anliegen zu jeder Zeit persönlich bei ihm vorbringen können, was jedoch die Amtsgeschäfte zu sehr gestört hatte. Erpel und Heister blieben also ganz offensichtlich Mittelpunkt seiner Tätigkeiten. Nach Auflösung des Kreises Linz 1822 übersiedelte Philipp von Hilgers, der von 1821-22 in Vertretung des Landrats auch den Kreis Ahrweiler betreut hatte und währenddessen im Kreis Linz durch Kreissekretär Jakob Theophil Duill vertreten worden war, von Heister nach Neuwied. Für die kommenden fast 30 Jahre hatte er dort das Amt des Landrats inne. Er strebte ganz offensichtlich auch den Einzug in den 1826 in Düsseldorf erstmals zusammengetretenen Rheinischen Provinziallandtag an. Denn 1826 erwarb er die Leubsdorfer „Burg“, ein vermeintlich „landtagsfähiges Rittergut“, da für einen Sitz im Provinziallandtag ein bestimmter Grundbesitz Voraussetzung war. Als sich die „Burg“ dann aber doch als nicht „landtagsfähig“ erwies, musste er seine diesbezüglichen Ambitionen begraben. Philipp von Hilgers wurde am 1. Juli 1851 als Geheimer Regierungsrat und Träger des Roten Adlerordens III. Klasse mit Pension in den Ruhestand versetzt. Bereits wenige Monate später starb der Witwer im Alter von 66 Jahren und wurde am 11. Februar 1852 auf dem heutigen Alten Friedhof in Neuwied bestattet.
Zwei der Söhne Philipp von Hilgers‘, Jakob (1810-1877) und Philipp (1816-1891), traten später in den Staatsdienst ein und amtierten u. a. für einige Jahre als Landräte der Kreise Altenkirchen bzw. Jülich, die übrigen schlugen nach dem Vorbild des Vaters die Offizierslaufbahn ein. Der zweitälteste Sohn Georg Benignus (1811–1855) erwarb den ehemaligen Fronhof des Kölner Mariengradenstifts in Unkel an der Nordwestecke der alten Stadtbefestigung und wohnte dort mit seiner Ehefrau Henriette Euge), Tochter eines Kölner nie von Mylius Bürgermeisters. Das Ehepaar baute den Fronhof 1844/45 zu Wohnzwecken grundlegend um und gab ihm seine heutige Gestalt. Auch nach dem frühen Tod Georg von Hilgers‘ 1855 auf der Festung Ehrenbreitstein lebte die Witwe, eine der „ersten Damen“ der vorwiegend adligen Gesellschaft von Unkel, bis zu ihrem Tod im Fronhof.
Andrea Rönz
(Stadtarchiv Unkel)
1826 erwarben Philipp von Hilgers und seine Ehefrau die Leubsdorfer „Burg“. 1835 verkaufte das Ehepaar das Gebäude für „710 Thaler preußisch courant“ wieder an seine Vorbesitzer, die Familie Schneider. (Stadtarchiv Linz)
Grab der Eheleute von Hilgers auf dem Alten Friedhof in Neuwied (Foto: Bettina Veith-Werner)
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1816 bis 1822
13 | Wirtschaft: Landwirtschaft und Weinbau
Acker- und Weinbau in der Ebene um Rheinbreitbach und Unkel...
…und zwischen Hönningen und Rheinbrohl.
Ausschnitte aus: Friedrich Wilhelm Delkeskamp, Neues Panorama des Rheins von Mainz bis Coeln, erschienen 1839. (Roentgen-Museum Neuwied)
(Privatbesitz Lotzmann, Bad Hönningen)
Die Regierung in Berlin verlangte eine Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Verhältnisse in ihren neuen Provinzen, um anschließend die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Auch mussten die Landräte darüber in ihren monatlichen Verwaltungsberichten detailliert Auskunft geben. Im Kreis Linz hatten Landwirtschaft und Weinbau noch immer die größte wirtschaftliche Bedeutung. Die preußische Regierung bemängelte allerdings eine Monokultur des Weinbaus in Teilen des Kreisgebiets. So wurde Unkel beispielsweise attestiert, dass der Erdboden zur Hervorbringung von Trauben vorzüglich geeignet [ist], Weinstöcke haben aber das Unglück, daß sie im Mai oder Winter verkalten, Blüten durch kalten Nebel oder Regen vernichtet werden, oder im Herbst die Trauben durch Fäulnis oder Frost verderben. Dadurch waren die Qualitätsunterschiede sehr groß und der Ertrag schwankte stark. Getreide hingegen musste importiert werden. Die Regierung empfahl daher besonders im nördlichen Kreisgebiet in den Ebenen um Rheinbreitbach und Unkel den Anbau von Getreide statt Wein, was nach anfänglichem Widerstand auch geschah.
Auf den Höhen des Kreisgebiets waren Ackerbau und Viehhaltung vorherrschend. In den Jahren 1816-18 litt die Bevölkerung nicht nur im Kreis Linz, sondern in großen Teilen Europas – vermutlich verursacht oder zumindest verstärkt durch den Ausbruch des Vulkans Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa 1815 – unter einer ungewöhnlich kalten und nassen Witterung und daraus resultierenden dramatischen Missernten. Die Getreidepreise stiegen dadurch so stark, dass sich viele Menschen nicht ausreichend versorgen konnten. Hungersnöte waren die Folge. Zur Linderung ließ der preußische König im Juni 1817 ostseeisches Getreide liefern, wodurch die Preise wieder sanken. Die kalte Witterung beeinträchtigte auch den Weinbau stark, so dass in den Hungerjahren 1816/17 nur sehr wenig und noch dazu schlechter Wein gelesen werden konnte. Erst ab 1818 war die Weinlese wieder zufriedenstellend und Ernten, Lebensmittelpreise und Gesundheitszustand der Bevölkerung ließen Landrat von Hilgers zufolge nichts zu wünschen übrig.
Blick über die Ebene vor Rheinbreitbach Richtung Siebengebirge. Gemälde von Carl Friedrich Lessing (1808-1880), um 1840 (Sammlung Rheinromantik / www.sammlung-rheinromantik.de)
Andrea Rönz
Steillagenweinbau unterhalb von Burg Hammerstein. Ausschnitt aus einer Radierung von Delkeskamp, um 1830.
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1816 bis 1822
Der preußische Kreis Linz
14 | Wirtschaft: Handel, Handwerk, Gewerbe
Ein Holländerfloß passiert Unkel. Kolorierter Kupferstich von Johann Andreas Ziegler (1749-1802) und Laurenz Janscha (1749-1812), 1792 Kapitale Rheinflöße waren noch im 19. Jahrhundert ein gewohnter Anblick. Die Flöße waren 200 bis 400 Meter lang, 40 bis 80 Meter breit, bestanden aus mehreren Tausend Stämmen und wurden von 400 bis 500 Mann gesteuert, für die Unterkünfte, Küchen, Wäscherei und Bäckerei, ein Schlachthaus und Viehställe auf dem Floß errichtet wurden. (Stadtarchiv Unkel)
Durch Missernten, Lebensmittelknappheit und dramatische Preissteigerungen wurden auch Handel und Gewerbe stark in Mitleidenschaft gezogen. Der dominierende Weinhandel kam in den Jahren 1816-18 ganz zum Erliegen und florierte erst ab Anfang 1820 wieder. Die übrigen Handelsgüter wie Pottasche, Eisen, Kupfer, Blei, Walkerde, Leinenwaren, Holz und weitere Produkte aber erzielten weiterhin beinahe gar keinen Absatz, wie den Verwaltungsberichten Philipp von Hilgers‘ zu entnehmen ist. Auch hatte der Kreis bis dahin nur einen überregionalen Markt, jenen in Linz, wo Krämerwaren, Frucht und Vieh gehandelt wurden. Die Kram- und Viehmärkte in Unkel und Leutesdorf hatten lediglich regionale Bedeutung. Das Handwerk reglementierten nach wie vor die Zünfte. Das Landhandwerk war allerdings in den letzten Jahren unter nassauischer Herrschaft vom städtischen Zunftwesen unabhängig geworden, wodurch den Städten neue Konkurrenz im Hinterland entstanden war. Neben den Grundhandwerken waren vor allem die am Weinbau hängenden Gewerbe wie Böttcher oder Schröter bedeutend. In Unkel etwa bildeten die für den Transport der Weinfässer zuständigen Schröter die größte Berufsgruppe unter den Handwerkern. Die Branntweinbrennerei, ein weiterer ehemals wichtiger Zweig der Wirtschaft im Kreisgebiet, war bis 1820 nahezu eingegangen, denn die meist kleinen Brennereien im Nebenerwerb konnten nicht mit der aufkommenden industriellen Branntweinproduktion mithalten.
Reger Schiffsverkehr auf dem Rhein vor Linz. Im Vordergrund wird ein Treidelschiff be- und entladen, und ein Passagier wartet auf die Weiterreise. Stahlstich von R. Brice nach G. Shepherd, 1840 (Stadtarchiv Linz)
Ein bedeutender Gewerbezweig des Kreises Linz war selbstredend auch die Schifffahrt. In den Gemeinden am Rhein waren zahllose Schiffer ansässig, die Personen, Waren und Post rheinauf- und –abwärts transportierten und in vielen Orten neben den Winzern die größte Berufsgruppe bildeten, so etwa in Unkel, Leutesdorf und Linzhausen. Hier fand sich außerdem ein Bauplatz für die großen Holländer-Flöße, und auch in Leutesdorf soll es um 1800 einen großen Floßhafen gegeben haben. Ob dieser zu Zeiten des Kreises Linz noch existierte, ist allerdings unsicher.
Andrea Rönz
Das Zolltor in Leutesdorf. Der dortige Rheinzoll erlosch 1805, wenige Jahre nach dem Linzer, der 1803 aufgehoben wurde – ein herber Verlust besonders für die Stadt Linz, auf der 1816 noch 82.000 Reichstaler Kriegsschulden lasteten. (Roentgen-Museum Neuwied)
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1816 bis 1822
15 | Wirtschaft: Frühe Industrien
Frühindustrialisierung am Virneberg: Am linken Bildrand die östlich gelegenen Häuser von Rheinbreitbach, heute Ecke Westerwaldstraße/Am Grendel. Daneben liegt zwischen den Pappeln vermutlich die alte Virneberger Schmelzhütte, wo sich auch das sogenannte untere Pochwerk befunden haben muss. Die zeltartige Darstellung rechts davon stellt wohl Bergwerkshalden vom Tiefen Stollen des Virnebergs und der Erzaufbereitung herrührend dar. Daneben erkennt man an der Wegegabelung vermutlich das obere Pochwerk mit einem Wasserrad. Ursprünglich lagen hier die Obere Mühle (eine Getreidemühle) und die St. Marien-
berger Schmelzhütte. Die Schmelze wurde zeitweise sowohl von der Grube St. Josephsberg, als auch von der bei Bruchhausen gelegenen Grube St. Marienberg betrieben. Nachdem man sich über die Nutzung zerstritten hatte, wurde auch die vormalige Mühle für den Hüttenbetrieb einer der Gruben genutzt. Das Gebäude rechts mit den sechs Fenstern wird auf einer Karte zur Mitte des 19. Jahrhunderts als „Haus von Rhodius“ bezeichnet. Hier dürften daher die Gebrüder Rhodius, in erster Linie Christian Rhodius, während ihrer Aufenthalte in Rheinbreitbach gewohnt haben.
Wie bereits erwähnt, etablierten sich Anfang des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des Kreises Linz auch frühe Industrien. Mehrere Berg- und Hüttenwerke erzeugten Eisen, Kupfer, Blei und Silber, nahe Linz war ein großes Braunkohlelager entdeckt worden, und zwei Fabriken produzierten Vitriol. Außerdem gab es Basaltsteinbrüche.
Im Jahr zuvor, Anfang 1820, hatte Christian Rhodius die nordöstlich von Linz am Zusammenfluss von Rennenberger und Sterner Bach gelegene, zu der Zeit bereits seit einigen Jahren stillgelegte Eisenhütte Max Friedrich erworben, die 1768 erbaut und nach dem regierenden Kölner Kurfürsten benannt worden war. Die Rhodius’sche Hütte zu Stern produzierte ab 1822 Kupfer, Eisen und Vitriol und beschäftigte zu ihrer Blütezeit zwischen 1835 und 1850 etwa 100 Arbeiter. Kupfer, Blei und Silber erzeugte das Hüttenwerk Alsau bei Dattenberg. Dort und in weiteren Orten des nördlichen Kreisgebiets wurde außerdem Basalt abgebaut, zum Teil bereits seit dem Mittelalter. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Basaltindustrie zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige mit Zentrum in Linz.
Möglichweise bis in römische Zeit, sicher aber bis ins Mittelalter reichte der Kupferbergbau am Virneberg in Rheinbreitbach zurück, der im 19. Jahrhundert von großer wirtschaftlicher Bedeutung für den Ort war. Leopold Bleibtreu hatte das zwischenzeitlich zum Erliegen gekommene Bergwerk 1799 erworben. 1800 wurde der Schacht „Vertrauen zum Landesvater“ abgeteuft, 1810 der Wasserstollen im „Duverott“ fertiggestellt. Trotz des Engagements Bleibtreus ging der Bergbau am Virneberg in den folgenden Jahren wieder zurück und nahm erst wieder mit der Übernahme durch die Linzer Christian und Engelbert Rhodius Fahrt auf, die dort 1821 eine Vitriolfabrik in Betrieb nahmen.
Basaltbruch bei Dattenberg …
Basaltabbau bei Dattenberg. Ausschnitt aus einem Kupferstich von Ludwig Heß (siehe Tafel 8)
… und bei Kasbach
Ausschnitte aus: Friedrich Wilhelm Delkeskamp, Neues Panorama des Rheins von Mainz bis Coeln, erschienen 1839. (Roentgen-Museum Neuwied) Die Linzer Max-Friedrich-Eisenhütte
Andrea Rönz
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1816 bis 1822
16 | Wirtschaft: Das Aufkommen des Tourismus Zu einem der bedeutendsten Wirtschaftszweige der Region entwickelte sich ab Anfang des 19. Jahrhunderts der Tourismus. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatten englische Künstler die Gegend besucht. Nach Beendigung der napoleonischen Kriege dann reisten viele wohlhabende Briten von England nach Italien und nahmen dabei den Weg den Rhein hinauf. Ihre Berichte von der landschaftlichen Schönheit des Rheintals lösten Begeisterung aus und sorgten zunächst für einen stetig anschwellenden Strom britischer Touristen. Bereits Ende der 1820er Jahre kamen jährlich über 26.000 Engländer an den Rhein, denen bald auch deutsche Reisende folgten. Die aufblühende Rheinromantik und die aufkommende Dampfschifffahrt trugen zu der Entwicklung maßgeblich bei.
Die „Defiance“, das erste Dampfschiff auf dem Rhein
Das erste Dampfschiff, der englische Schaufelraddampfer „Defiance“, erreichte am 12. Juni 1816 Köln, wo auf unserem schönen Rheinstrom ein wundervolles Schauspiel zu beobachten war, wie die „Kölnische Zeitung“ am folgenden Tag berichtete. Ein ziemlich großes Schiff, ohne Mast, Segel und Ruder kam mit ungemeiner Schnelle den Rhein heraufgefahren. Die Ufer des Rheins, die hier vor Anker liegenden Schiffe waren in einem Augenblick von der herbeiströmenden Volksmenge bedeckt. – […] Jedermann wollte den inneren Bau dieses Wunderschiffes und die Kräfte erforschen, welche dasselbe in Bewegung setzen. Im folgenden Jahr erreichte die „Caledonia“ als erster Dampfer Koblenz. Seit 1827 bestand eine regelmäßige Verbindung zwischen Mainz und Köln.
Das Gebiet des Kreises Linz auf einer der frühesten Rheinpanoramen. Ausschnitt aus: Friedrich Wilhelm Delkeskamp, Neues Panorama des Rheins von Mainz bis Coeln, erschienen 1839.
Mit dem aufkommenden Rheintourismus kamen Bildreiseführer in Mode, die sogenannten „Rheinpanoramen“, also Abbildungen des Flussverlaufs auf einem langen, gefalteten Plan, auf dem alle Orte am Ufer verzeichnet sind, je nach Ausführung bereichert durch Reliefdarstellungen der Berge und Randbilder der Sehenswürdigkeiten links und rechts des Rheins. Ein erstes Panorama des Rheins zwischen Nahe- und Moselmündung von der Frankfurter Künstlerin Elisabeth von Adlerflycht erschien bereits 1811. 1823 schließlich beauftragte der Frankfurter Verleger Friedrich Wilmans den Maler und Kupferstecher Friedrich Wilhelm Delkeskamp mit der Aufnahme und Zeichnung der Rheinstrecke von Mainz bis Köln. Sein 1825 entstandenes Werk ist das erste Panorama des Mittelrheins. Ab der Neuauflage von 1837 stattete er seine Panoramen zusätzlich mit Randbildern aus.
(Roentgen-Museum Neuwied) Ein Dampfschiff legt in Linz an. Der Ausschnitt aus Delkeskamps zweitem Rheinpanorama ist die früheste Dokumentation einer dortigen Anlegestelle für Dampfboote. Links die hölzerne Gierponte (Fähre) am Längsseil.
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1816 bis 1822
17 | Verkehr Obwohl die Schifffahrt eine wichtige Rolle für das Transportwesen spielte, wurde die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Linz dennoch maßgeblich gebremst durch den schlechten Zustand des Straßennetzes. Die Straßen zwischen den Orten am Rheinufer und auf den Höhen des Westerwalds waren auch zu dieser Zeit noch wenig ausgebaut, meist nur unbefestigte, schmale Wege oder Pfade, die nicht ganzjährig befahrbar waren und das Reisen sehr beschwerlich machten. Auch die „Chaussee“, die Straße längs des Rheins (heute B 42), wurde erst 1827 überhaupt befestigt und wies auch danach noch oft erhebliche Schäden auf. Um Handel und Gewerbe zu beleben, drängte Landrat von Hilgers daher vor allem auf den Ausbau der Wege und Straßen. Er ließ die Chaussee längs des Rheins, die immer wieder durch Hochwasser in Mitleidenschaft gezogen wurde, und auch die anderen Verbindungen regelmäßig aus- und verbessern und auch für die Reinlichkeit der Straßen in den Dörfern sorgen, auch wenn es ihm zufolge oft schwierig war, die Bewohner dazu anzuhalten. In Unkel wurde die Hauptverkehrsstraße verlegt, so dass sie nicht mehr an dem Ort vorbei-, sondern direkt hindurchführte. Im November 1818 konnte der Landrat nach Koblenz mitteilen, dass der Straßenbau in den Bürgermeistereien Unkel und Linz lebhaft fortgeschritten war – in Leutesdorf hingegen wenig – und gab sich überzeugt, dass die baldige Herstellung der Straßen für großen Nutzen für den Kreis sein [wird], denn dann kann endlich die vollständige Einrichtung des Postwesens erfolgen, was positiven Einfluss auf Handel und Gewerbe haben wird.
Reisende auf der Chaussee zwischen Leutesdorf und Hammerstein, 1805. Zeichnung von Christian Georg Schütz d. J. (Ausschnitt) (Sammlung Rheinromantik / www.sammlung-rheinromantik.de)
Die Nutzung der Chaussee war kostenpflichtig. In regelmäßigen Abständen wurde an Schlagbäumen ein Barriereoder Chausseegeld erhoben. Barrieren gab es in Leutesdorf, Hammerstein, Rheinbrohl, Hönningen, Linzhausen und auch im nördlichen Kreisgebiet. Der Chausseegeld-Tarif der Barriere Linzhausen aus nassauischer Zeit gibt einen schönen Eindruck von Verkehr und Verkehrsmitteln Anfang des 19. Jahrhunderts. (Stadtarchiv Linz)
Andrea Rönz
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Und tatsächlich ging vom 1. Dezember 1819 an zur Brief-, Paket- und Personenbeförderung eine fahrende zweispännige Post mit einer gut in den Federn hängenden Chaise wöchentlich, Dienstags und Sonnabends, Morgens um 4 Uhr, von Neuwied über Linz und Königswinter nach Bonn und gegen 2 Uhr nachmittags zurück, was einen großen Fortschritt bedeutete. Bis dahin hatte wegen der schlechten Straßenverhältnisse nur eine reitende Post die Orte des Kreisgebiets versorgen können. In Linz war eine Posthalterei angesiedelt, die 1798 durch Thurn und Taxis eingerichtet und 1816 von der preußischen Postverwaltung übernommen worden war. Bei Postexpediteur Bendten konnten auch Extrapostfahrten nach Neuwied, Bonn, Siegburg und Deutz bestellt werden.
Der preußische Kreis Linz
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18 | Wissen und Kult Schulunterricht wurde im Kreis Linz fast ausschließlich an Elementarschulen erteilt. Die einzige höhere Schule auf Kreisgebiet war das Linzer Gymnasium Martinianum. Mit dem Übergang an Preußen ging die Schulaufsicht an den Staat über, und die preußische Regierung erließ eine Reihe von Anordnungen zur Verbesserung des Schulwesens. Der ganzjährige Unterricht wurde verpflichtend und durfte nicht nur im Winter erteilt werden, wie es vor allem an den ländlichen Schulen bisher der Fall war. Angestrebt wurde außerdem eine Trennung der Geschlechter. Eigene Mädchenschulen wurden u.a. 1817 in Linz und 1821 in Leutesdorf und Hönningen eingerichtet. Auch das Linzer Gymnasium förderte die preußische Regierung erheblich. Neben finanziellen Zuschüssen übertrug sie der Lehranstalt mit dem 1813 säkularisierten Kapuzinerkloster erstmals ein eigenes Gebäude. Im November 1817 wurde es als Progymnasium mit drei Klassen und vier Lehrern eröffnet.
1818 bezog das Linzer Progymnasium die verlassenen Klostergebäude in der Strohgasse; Aufnahme von 1891 (Stadtarchiv Linz)
Der König von Preußen übernahm 1815 auch das Patronatsrecht der katholischen Pfarreien, entschied also über die Besetzung der Pfarrerstellen, und Berlin verlangte ab 1817 von den Priestern (und evangelischen Pfarrern, eine evangelische Gemeinde gab es allerdings im Kreis Linz nicht) den Treueeid – ein erstes Vorzeichen auf die tiefgreifenden konfessionellen Konflikte der kommenden Jahrzehnte. Die jüdische Bevölkerung war von einer Gleichstellung mit den übrigen Staatsbürgern noch weit entfernt. Das bereits 1812 in den alten preußischen Provinzen erlassene Emanzipationsedikt, das den Juden gleiche bürgerliche Rechte und Pflichten zumaß, war nach 1815 nicht auf die neuerworbenen Gebiete am Rhein ausgedehnt worden. Immerhin wurden hier mit der Einführung der preußischen Steuergesetze 1821 die entehrenden Schutzgelder abgeschafft und die Juden hinsichtlich der Abgaben an den Staat mit den christlichen Einwohnern gleichgestellt.
Das private und öffentliche Leben war stark durch Religion und Kirche geprägt und orientierte sich am Ablauf des Kirchenjahres. Einer der ältesten katholischen Bräuche, die im Mittelalter wurzelnde Fastnacht, war der preußischen Regierung bekanntlich besonders suspekt, weshalb bereits 1828 durch allerhöchste Kabinettsordre verfügt wurde, dass FastnachtsMasqueraden nur in größeren Städten, wo sie von altersher herkömmlich waren, gestattet wurden. Diese Bestimmung musste jedes Jahr beim Herannahen der närrischen Zeit öffentlich bekannt gemacht werden mit dem Hinweis, dass hiergegen handelnde Individuen zur gesetzlichen Strafe gezogen würden.
Verordnung zur Abhaltung der Sommerschule (Stadtarchiv Linz) Verordnung betreffend die „Fastnachts-Masqueraden“ Siegel des Königlich-Preußischen Gymnasiums zu Linz (Stadtarchiv Linz )
(Stadtarchiv Linz) Eine den Karneval betreffende Akte mit dem sinnigen Titel „Die Faschings-Polizei“ (Stadtarchiv Linz)
Andrea Rönz
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Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
19 | Die Auflösung des Kreises Der Kreisstadt Linz drohte 1819 neben wirtschaftlichen Nöten und dem Ärger über die Abwesenheit des Landrats mit den Plänen zur Verlegung der Kasse für die Kreise Neuwied und Linz nach Neuwied weiteres Unheil. Wie erwähnt, war die Kasse zusammen mit dem Geschäftslokal des Landrats in der Linzer Burg eingerichtet worden, wo der Kreisrendant auch wohnte. Die Verlegung zog sich über einige Monate hin, bereits im April 1819 hatte der Königliche Kreis-Einnehmer Schaaf aus gesundheitlichen Gründen dagegen protestiert. Auch Schaafs Nachfolger, Hofkammerrat Pasch aus Dierdorf, äußerte im August 1819 Zweifel, in Neuwied eine convenable Wohnung zu finden, und bekundete, dass er auch bei der Verlegung der Kasse nach Neuwied fest entschlossen [ist], hier in Linz zu bleiben, sobald mir das ganze Schloß-Gebäude nebst Garten in Miete gegeben wird. Bereits im September 1819 jedoch beschwerte er sich bei der Regierung, dass ihm bei Dienstantritt als Dienstlokal nur die kleine beengte untere Stube in dem Schloßthurm, worin jetzt die Casse sich befindet, angewiesen [wurde], und daß ich später noch eine Stube, eine Treppe höher, in Selbigem haben, und 2 Stübchen von dem übrigen Gebäude mir eingeräumt werden sollten. Pasch bat daher entgegen seiner früheren Aussagen nun darum, wenn ein dauernder Verbleib der Kasse in Linz nicht möglich sei, sobald wie möglich nach Neuwied umzuziehen. Im Oktober 1819 hatte Pasch dort eine passende Wohnung gefunden, in der er auch ein Geschäftslokal einrichten konnte, und nur wenig später wurde die Umsiedelung vollzogen.
Als Gerüchte über die geplante Vereinigung der Kreise Linz und Neuwied aufkamen, schickte Bürgermeister Kerp eine seitenlange Eingabe nach Koblenz, in der er die Regierung beschwor, aufgrund der dadurch zu erwartenden dramatischen wirtschaftlichen Folgen für die Stadt Linz, den Kreissitz dort zu belassen: „Einem hohen Staatsministerium sey mir erlaubt, die gerechte Besorgnüsse der Einwohner der Stadt und des Kreisorts Lintz unterthänig vorzustellen, die ein schon längst verbreitetes und noch immer bestehendes Gerücht verursacht, daß der Kreis Lintz eingehen und mit einem anderen benachbarten vereinigt werden solle. Mag auch dies immerhin nur Gerücht seyn, so veranlasst mich doch die Möglichkeit der Sache und die daher resultierende Furcht der Einwohner, bei dieser Veränderung den landräthlichen Sitz zu verlieren, die Verhältnisse unserer Stadt der höchsten Stelle zur gnädigsten Berücksichtigung vorzulegen. […]“ (Stadtarchiv Linz)
Die Verlegung der Rendantur war ein erstes Vorzeichen, dass die Tage des Kreises Linz gezählt waren. Bereits im Jahr darauf wurde gemäß Abmachungen des Wiener Kongresses neben der landrätlichen Verwaltung des Kreises Neuwied eine fürstlich-wiedische Regierung eingerichtet, der die Polizei-, Kirchen-, Kommunal- und Schulsachen übertragen wurden. Dem Landrat von Neuwied blieben dadurch nur die Hoheits-, Militär- und Steuerangelegenheiten. Die preußische Regierung hielt daher die Zeit für gekommen, den kleinen Kreis Linz mit dem größeren Kreis Neuwied zu vereinigen.
Die Antwort aus Koblenz ließ Kerp hoffen, „daß bei dem würcklichen Erfolgen der Vereinigung zweier Kreiße die Stadt Lintz als Kreißort bestätiget werden wird“, wie er Landrat von Hilgers am 2. Mai 1821 schrieb. Die Wahl war zu dieser Zeit allerdings schon längst auf Neuwied gefallen. (Stadtarchiv Linz) Bekanntmachung der Verlegung der Kreiskasse im Amtsblatt vom 10. November 1819 (Stadtarchiv Linz)
Andrea Rönz
Ausstellung „Der preußische Kreis Linz · 1816-1822“ · 16.-31. Juli 2016 · Stadthalle Linz
Der preußische Kreis Linz
1816 bis 1822
20 | Die Auflösung des Kreises Auf die Bitte des Linzer Bürgermeisters, bei Zusammenlegung der Landkreise Linz als Kreisstadt zu bestätigen, da ansonsten der bürgerliche Wohlstand den letzten Stoß bekommen müßte, erwiderte die Regierung in Koblenz im April 1821 zwar, daß, wenn die Vereinigung der beiden Kreise Neuwied und Linz von Sr. Königl. Majestät beschlossen werden sollte, die Gründe, welche etwa dafür sprechen dürften, die Stadt Linz zum Hauptort beider vereinigten Kreise und zum Sitz der Kreis-Behörden zu bestimmen, alsdann nicht unerwogen bleiben werden. Dennoch war das Schicksal der Kreisstadt besiegelt, und Philipp von Hilgers teilte dem Linzer Bürgermeister am 27. April 1822 mit, dass Seine Majestät der König mittels Allerhöchster Cabinets-Ordres vom 28ten Merz zu bestimmen geruht [haben], daß die Kreise Neuwied und Linz in Zusammenziehung mit der Bürgermeisterei Engers und der Dorfschaft Ierlich des Kreises Koblenz unter Benennung des Kreises Neuwied und unter Beibehaltung des Hauptorts Neuwied, für immer vereinigt werden sollen. Zugleich bin ich zum Landrath des jetzigen Kreises Neuwied bestimmt worden. Am 1. Mai 1822 wurde die Eingliederung vollzogen.
des Kreises Neuwied vergrößerten, witterte der Magistrat von Linz die Chance einer Wiedereinrichtung des Kreises Linz. 1849 schickte Bürgermeister von Gerolt eine entsprechende Deputation an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, und 1852 ließ Bürgermeister Hubaleck dem König von Preußen eine Denkschrift über die Theilung des Kreises Neuwied in zwei Hälften zukommen. Der Kreis sollte die Bürgermeistereien Unkel, Linz, Leutesdorf, Neuerburg, Neustadt und Asbach umfassen. Die betroffenen Gemeinden lehnten die Pläne jedoch ab, und auch das Innenministerium wies die Eingabe am 10. Oktober 1852 zurück. Damit war die Geschichte des Kreises Linz endgültig besiegelt.
Nachdem der Fürst zu Wied 1848 gegenüber dem König von Preußen auf die Regierungsbefugnisse und die damit verbundenen Hoheitsrechte verzichtet hatte, wodurch sich Umfang und Verwaltungsaufgaben
Bekanntmachung der Vereinigung der Kreise und Bestimmung des Kreissitzes nach Neuwied im Amtsblatt vom 1. Mai 1822
„Denkschrift über die Theilung des Kreises Neuwied in zwei Hälften mit den Kreisorten Neuwied und Linz. Nebst einer Karte über die projektierte Theilung.“ Argumentiert wurde u.a. mit den großen Entfernungen, „denn gegenwärtig ist den Bewohnern der Bürgermeistereien Unkel, Asbach, Neustadt und Linz die Hin- und Rückreise nach dem resp. 5, 4 und 3 Meilen entfernten Neuwied an einem und demselben Tage unausführbar, wenn
(Stadtarchiv Linz)
sie nicht der Dampfschiffe oder eines Fuhrwerks sich bedienen. Der größte Theil der Hülfesuchenden ist aber gewöhnlich zu mittellos, um jene Reisekosten bestreiten zu können […].“ (Stadtarchiv Linz)
Andrea Rönz
Ausstellung „Der preußische Kreis Linz · 1816-1822“ · 16.-31. Juli 2016 · Stadthalle Linz
Ungedruckte Quellen Zum Kreis Linz finden sich ergiebige Unterlagen im Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK), vor allem im Bestand 441 (Bezirksregierung Koblenz), weniger in den Beständen 403 (Oberpräsidium der Rheinprovinz) und 442 (Bezirksregierung Trier). Die Altakten der Bestände LHAK 475 (Landratsamt Neuwied) und 476 (Kreisausschuss Neuwied) sind hingegen fast vollständig Kriegsverlust, eine Gegenüberlieferung offenbar nicht vorhanden. Zur Vereinigung der Kreise Linz und Neuwied sowie Verlegung der Kreiskasse findet sich im Stadtarchiv Linz (StAL) recht Ausführliches in 2/2-37 u. -38.
Gedruckte Quellen (Auswahl)
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Impressum Titel Andrea Rönz: Der preußische Kreis Linz · 1816-1822 Ausstellung in der Stadthalle Linz am Rhein 2016 Herausgeber Stiftung Stadtsparkasse Linz am Rhein der Stadt Linz am Rhein © 2016 Alle Rechte vorbehalten. Gesamtherstellung Layout, Bildbearbeitung, Satz und Druck Werbeagentur Gaebler, Linz Ausgabe Juli 2016 / 750 Ex. Alle Angaben nach bestem Wissen – Irrtum vorbehalten.