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Soziales Europa oder „marktgerechte Demokratie“? Veranstaltung des Studium Generale vom 27. Januar 2016 Fotos: HWR Berlin In der letzten öffentlichen Veranstaltung des Studium generale im laufenden Wintersemester trafen sich drei angesehene Experten zu einem Streitgespräch über den aktuellen Stand der ‚Eurokrise’. Sie boten dem Publikum im vollen Saal der alten Bibliothek ein eindrückliches Beispiel dafür, wie kontroverse theoretische Argumente und politische Schlussfolgerungen in einer offenen, fairen und das Nachdenken fördernden Weise ausgetauscht werden können. Für ein produktives Gesprächsklima sorgte von Beginn an die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, die als souveräne und präzise nachfragende Moderatorin die Fäden der Diskussion in der Hand behielt. Ihre Gesprächsführung machte es den drei Gästen auf dem Podium leicht, ihre Übereinstimmungen und Differenzen in der Analyse der Eurokrise und in den politischen Antworten zu verdeutlichen.
Unterschiede in der Diagnose In den einleitenden Gedanken über die beiden Leitbilder „soziales Europa“ und „marktgerechte Demokratie“ traten die Gemeinsamkeiten und Differenzen der drei Experten deutlich zutage. Clemens Fuest betonte, wir benötigten ein Gleichgewicht zwischen Markt und Demokratie. In einer Demokratie gebe es Fehlentwicklungen wie z.B. die Neigung, Kapital zu hoch zu besteuern; davon habe der Staat zunächst Vorteile, später aber Mühe, die Schäden wieder einzusammeln. Der internationale Wettbewerb könne solche Fehlentwicklungen einschränken, denn die Mobilität von Kapital tue der Politik gut. In der Eurokrise zeige das Beispiel Griechenland: „Die wollten das Geld der anderen Länder, aber die Autonomie behalten. Beides zugleich geht nicht.“ Der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister bekannte, die Grundsatzfrage „Markt oder Staat“ gehe ihm ein wenig auf die Nerven. Zu fragen sei vielmehr: Welche Aktivitäten setzt die Politik? Welche Märkte erfüllen ihre Aufgabe und welche nicht? Schon früh habe der liberale Ökonom Hayek den Grundkonflikt benannt und im Zweifelsfall für ‚individuelle Freiheit’ und gegen ‚soziale Gerechtigkeit’ plädiert. Zur Krise der Finanzmärkte: Nach dem 2. Weltkrieg habe die Politik den Gedanken von Keynes beherzigt: „Alle ökonomischen Krisen gehen von den Finanzmärkten aus.“ In den 1970er Jahren sei diese Politik – unter dem Beifall der meisten Wirtschaftswissenschaftler – aufgegeben worden. Seitdem sei der Primat der Ökonomie über die Politik das akzeptierte Deutungsmuster. Die Finanzkrise im Kapitalismus sei nicht Ausnahme, sondern „business as usual“. Sven Giegold stellte heraus, die Globalisierung habe vor allem in den Nationalstaaten die politischen Entscheidungsspielräume für das „Soziale“ in der Marktwirtschaft eingeschränkt, aber Politiker versteckten sich zuweilen auch nur hinter dieser behaupteten ‚Ohnmacht’. Eine Lösung drängender sozialer und ökologischer Probleme (der Ungleichheit, des Klimawandels und der sozialen Sicherungssysteme) sei nicht mehr national, sondern nur auf europäischer und internationale Ebene möglich.
Auf Ulrike Hermanns Nachfrage, ob die Finanzmärkte nach der Krise ‚richtig’ reguliert würden, erwiderte Fuest, er halte überhaupt nichts von einer „Dämonisierung der Finanzmärkte“. Man solle nicht überall herumregulieren, wichtiger sei die Festlegung einer Eigenkapitalausstattung von 8 Prozent. Schulmeister zeigte sich dagegen skeptisch: Wenn ein neues 2008 komme, dann könnten weder neue Basel-III-Regeln noch eine Eigenkapitalquote von 8 Prozent den erneuten Crash verhindern.
Was tun gegen die Krise im Euroraum? Wie lassen sich die Produktivitäts- und Leistungsbilanz-Unterschiede in Europa ausgleichen und soziale Ungleichheiten mildern? Auf diese Fragen von Ulrike Hermann erfolgten unterschiedliche Antworten. Für Clemens Fuest sind Wohlstandsunterschiede innerhalb der EU-Währungsunion kein Problem, nur müsste dann jedes Land seine wirtschaftspolitische Verantwortung ernst nehmen und zum Beispiel den Staatshaushalt in Ordnung bringen. Dem entgegnete Clemens Schulmeister, schwächere EU-Länder könnten „aus eigener Kraft“ nicht gesunden. Die eine Therapie (wie die Nullzins-Politik der EZB) ziehe nur die nächste Krise nach sich. Die Reichen nähmen das billige Geld, investierten aber mangels sicherer Gewinnerwartungen doch nicht – und spekulierten weiter im Finanzsektor. Damit sei die alte Spielanordnung nicht länger zu halten. Konkret erhob er die Forderung, spekulative Finanzoperationen einzudämmen und in der EU einen Preispfad für Öl mit langsamen Steigungsraten ‚politisch’ vorzugeben, um eine umweltfreundliche Investitionswelle auszulösen. Wer solche Maßnahmen als „zu viel Staat“ empfinde, stelle den Markt über alles und müsse konsequenterweise „die Demokratie eine Repression der Diktatur nennen“. Sven Giegold ging davon aus: Märkte neigten dazu, dass man Dritten schadet, und das erfordere Regulierung. Deshalb müsse man Bereiche definieren, die dem Finanzmarkt nicht ausgesetzt sind. Er wandte sich gegen den Eindruck, die Brüsseler Expertokratie sei im ‚Fall Griechenland’ für den Druck auf die Regierung maßgeblich verantwortlich. Letzten Endes hätten die Chefs der Eurogruppe und deren liberaler Wirtschaftsglaube den größten Einfluss – weshalb man heute in Südeuropa die Europäisierung einer restriktiven Sozialpolitik fürchte. Der Vorschlag des EuropaAbgeordneten: dem „Wahnsinn des innereuropäischen Steuerwettbewerbs“ Grenzen ziehen und mit einer ökologisch sinnvollen Investitionspolitik die Zahl der Verarmten eindämmen, denn: „Es gibt keine politische Legitimation zur Entvölkerung ganzer Länder. Wenn das passiert, zerfällt die Eurozone wirklich.“ Die Integrationsschritte in der EU dürften nicht einseitig einer Logik folgen, in der die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse zwar erlaubt sind, nicht jedoch Hilfen für die schwächsten Länder wie Griechenland. Diese Logik fördere den Populismus und damit das Ende Europas. Clemens Fuest plädierte in der aktuellen Lage für weitere Integrationsschritte in der EU, diese sollten aber nicht überehrgeizig, sondern realistisch sein. Die Idee einer europäischen Arbeitslosenversicherung müsse einhergehen mit einer gemeinsamen Arbeitsmarktpolitik, das Gleiche gelte für die Bankenunion. Es gebe freilich ein Hindernis: „Wir sind ein Bund souveräner Staaten, also ein Staatenbund und kein Bundesstaat.“ Im politischen Europa schrieben Staaten etwas aufs Papier (wie in der Asylpolitik oder bei den Haushaltsdefiziten), aber wenn es zum Schwur komme, hielten sich die Regierungen nicht daran. Nötig sei deshalb, wie das Beispiel der EZB lehre, „mehr institutionelle Integration“.