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Jürgen Kriz
Die evolutionäre Perspektive in der Verbindung von Körper, Geist und Ausdruck1 Einführung in die Fragestellung und ihren Kontext2
Das Motto der 19. Wissenschaftlichen Arbeitstagung der GTA, 2014 in Parma, lautete „Körper, Geist, Ausdruck“ („Body, Mind, Expression“). Die Thematik, welche mit diesen drei Begriffen bzw. Konzepten sowie mit dem Zusammenwirken der entsprechenden Phänomene aufgespannt wird, spielt seit jeher in der Gestalttheorie der Berliner Schule eine wesentliche Rolle. Entsprechend geht den folgenden Ausführungen ein fast hundertjähriger Diskurs seitens der Gestalttheorie voraus. Im Zentrum stand und steht dabei immer schon die Dynamik des ganzheitlich-strukturierten Zusammenwirkens aller Lebensvorgänge des Menschen in seiner aktiven Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Schon in den Anfängen der Gestalttheorie zeigte Wertheimer (1912) mit seiner umfangreichen Arbeit „Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung“ in Auseinandersetzung mit den zuvor in derselben Zeitschrift für Psychologie veröffentlichten Diskussionen über die Fragen des stroboskopischen Bewegungssehens seitens Forschern wie Marbe, Dürr, Linke, Wundt, Wirth und Schumann, nicht nur die ganzheitliche Organisation der visuellen Wahrnehmung. Vielmehr ging es ihm in der Analyse von zahlreichen experimentellen sowie alltagsweltlichen Phänomenen darum, Wahrnehmung als lediglich einen Teil im Gesamtprozess des Organismus deutlich zu machen - der also nicht nur sensorisch sondern u.a. auch sensomotorisch betrachtet werden müsse. So diskutiert er ausführlich das „sich labil fühlen“, wenn durch großflächige Projektion eines Umwelt-Bildes in Bewegung die stabil gefühlte Raumlage des Körpers dazu kontrastierenden Reizen ausgesetzt wird – etwas, was man ansatzweise auch im Alltagsleben erfahren Überarbeiteter und erweiterter Vortrag anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der GTA, Parma 2015 2 Mein Dank gilt Gerhard Stemberger, der den Text nicht nur sorgfältig durchgesehen und kritisch kommentiert, sondern vor allem durch zahlreiche Hinweise aufgrund seiner fundierten Kenntnis der gestaltpsychologischen Literatur erheblich bereichert hat. In anregenden mail-Diskussionen haben wir Probleme aufgeworfen, die hier teilweise nur implizit anklingen können und von mir keineswegs als gelöst angesehen werden. Es ist aber vielleicht nicht der schlechteste Anlass, wenn offene Fragen und kontroverse Sichtweisen dazu weitere Diskussionen anstoßen würden. Die große Zahl an Fußnoten verweist auf solche Probleme. 1
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© 2015 (ISSN 0170-057 X) Vol. 37, No.3, 305-336
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kann, wenn man sich in einem stehenden Zug befindet und der Blick durchs Fenster auf einen anfahrenden Zug am Nachbargleis fällt. Massiver ist dieser Eindruck bei der sog. „Hexenschaukel“ (Rohracher 1963, 181), bei dem eine Person auf einem fest am Boden verankerten Stuhl sitzt und von einem kleinen, haus-artigen Karton umgeben ist, auf dessen Innenwänden Fenster und Einrichtungsgegenstände aufgemalt sind. Dieses „Haus“ ist an einer Achse befestigt, um die es gedreht werden kann. Wenn nun das Haus in Bewegung gesetzt wird, ist die Erfahrung der eigenen Bewegung so zwingend, dass man sich krampfhaft festhalten muss, um nicht von der Bank zu fallen – und dies auch dann, wenn man weiß, dass sich der Stuhl, auf dem man sitzt, nicht bewegt. Die visuellen Teilprozesse des Erlebens dominieren also hier die körperlichen. Doch es kann auch umgekehrt sein, wenn man dem Menschen Gelegenheit gibt, mit einer stabil gefühlten Raumlage (vor allem durch eigene Bewegung) eine ggf. kontrastierende visuelle Wahrnehmung anzupassen. So haben zahlreiche Experimente am Innsbrucker psychologischen Institut (vgl. Kohler 1951) mit Prismen- oder gar Umkehr-Brillen gezeigt, dass eine optisch verzerrt dargebotene „Welt“ nach wenigen Tagen wieder „wie gewohnt“ organisiert wird: Bei der Umkehrbrille waren beispielsweise „oben“ und „unten“ vertauscht – doch richtete sich die wahrgenommene „Welt“ nach einigen Tagen wieder auf (wobei dann beim Abnehmen der Brille umgekehrte Nacheffekte auftraten – wenn auch nur minutenlang). Nun könnte man aus einer naiv-unreflektierten Weltsicht (Bischof 1966, 23) heraus kritisch anführen, dass es bei den referierten Phänomenen um Fragen des Eindrucks und gar nicht des Ausdrucks ginge. Doch ist eine solche strikte Unterscheidung fragwürdig, denn Eindruck und Ausdruck sind nur artifiziell, etwa zu Untersuchungszwecken, zu trennen – im Gesamtvorgang sind beide wechselseitig voneinander abhängige Teilaspekte. So haben beispielsweise Experimente von Heider (1944) die Wahrnehmung von „sozialen Gradienten“ gezeigt: Selbst abstrakte geometrische Figuren, wie ein Kreis und ein Dreieck, die auf einer Fläche in bestimmter Weise zueinander bewegt werden, rufen beim Betrachter die Wahrnehmung „sozialer Situationen“ hervor – z.B. „freundliche Annäherung“, „argwöhnische Reaktion“ usw. Kein Betrachter ist, wie Kohler (1963, S. 96) betont, „fähig, ‚akademisch‘ dabeizusitzen und lediglich Änderungen von Entfernungen zu registrieren. Es lässt sich nicht vermeiden, dass ganze Szenen gesehen werden.“ Wir kennen dies heute von Zeichentrickfilmen, die – besonders für Kinder – durchaus manchmal ebenfalls nicht nur gezeichnete Personen oder Tiere und Pflanzen sondern abstrakte Formen verwenden.3 In der Gestaltpsychologie gibt es viele weitere Befunde dazu, wie bei der Organisierung der Reizvielfalt zu Gestalten unserer Wahrnehmung eine sinnhafte, soziale und kausale Lebenswelt entsteht – etwa die „Kausalitätswahrnehmung“ von Michotte (1954), wo (ähnlich wie bei Heider) die bewegten Figuren „zwingend“ den Eindruck von (mechanischen) Ursache-Wirkungsbezügen machen, oder das „Eigenrauschen“ von Gestalttendenzen bei Lorenz (1959), wo z.B. in einer Matrix mit, sagen wir, 10x10 Lampen jede einzelne über einen
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Noch immer könnte man bei diesen Beispielen auf dem Aspekt des „Eindrucks“ beharren - und mit „Ausdruck“ beispielsweise auf eine „ausdrucksstarke“ Geste eines Schauspielers, verbunden ggf. mit bestimmter Mimik verweisen. So hat bereits Kurt Lewin (1927), in seinem Beitrag „Kindlicher Ausdruck“ seiner Beschreibung und Analyse dieses Ausdrucks Fotos der Situationen hinzugefügt, bzw. in einem gleichnamigen Filmbeitrag 1928 dies auch mit Filmen belegt (Lewin 2009). Doch könnte man diese Szene statt „live“ ja auch im Film oder im Fernsehen betrachten. Im Film könnte man alle fotografischen Einzelbilder durch gezeichnete ersetzen, und dies im nächsten Schritt immer mehr abstrahieren und stilisieren. So käme man schrittweise von der realen oder gefilmten Situation (also: „Ausdruck“) zu der Situation eines „soziale Gradienten“-Experiments (also „Eindruck“) – ohne dass für die jeweiligen Gesamtsituationen gesagt werden könnte, in welcher es primär um „Ausdruck“ und in welcher es primär um „Eindruck“ geht. Konsequenterweise hat denn auch Rudolf Arnheim – der sich im Rahmen der Gestaltpsychologie auch mit Fragen des Ausdrucks im Kontext von Ästhetik, Kreativität und künstlerischer Gestaltung beschäftigte (Arnheim 1966, 1969, 1979, 2000) – bereits 1949 in seinem umfassenden Beitrag zur Gestaltpsychologie des Ausdrucks diesen als „integralen Teil der grundlegenden Prozesse der Wahrnehmung“ gefasst. Indem er also „Ausdruck“ der phänomenalen Welt des Wahrnehmenden zuordnet,4 kommt er zu der Aussage, dass auch den Stacheln eines Igels, einer Trauerweide, einem Stuhl von Louis XV., der Wärme einer dampfenden Teetasse oder den Farben des Sonnenuntergangs ebenso „Ausdruck“ zukommt – und zwar, ohne dass von einem unzulässigen Anthropomorphismus5 gesprochen werden sollte.6 Dies wird vielleicht durch die Figuren unterstrichen, die man im Internet abgebildet findet, wenn man z.B. in Google den englischen Begriff für Trauerweide – nämlich „willow tree“ – eingibt: Neben einigen Hinweisen zu Bildern von Trauerweiden findet man eine Unzahl von „willow-tree“-Figuren.7 Es handelt sich dabei um ca. 20cm hohe Skulpturen von Susan Lordi, die einzelne Menschen, meist aber Paare und Familien, in sehr markanten Posen darstellen (Abb.1). Die Zufallsgenerator angesteuert wird und daher völlig regellos aufleuchtet. Der Betrachter aber ist weit davon entfernt, „zufällig aufblitzende Lichter“ zu sehen - was er statt dessen sieht, sind „bewegte Gebilde“ bzw. Gestalten (Scheffler 1959) 4 Unbeschadet des Aspekts des Ausdruckverhaltens, der sich auf eine andere Perspektive bezieht. 5 Hingegen wäre es natürlich „unzulässiger Anthropomorphismus“, bei der Teetasse von „menschlicher Wärme“ zu sprechen. 6 Gleichwohl ist bemerkenswert, dass in der o.a. Publikation von Wertheimer rund zweihundertmal „Eindruck“, aber nie „Ausdruck“ vorkommt, während bei Arnheim rund hundertzwanzigmal „expression“, aber nie „impression“ vorkommt – was vielleicht nicht nur dem unterschiedlichen Thema, sondern der Veränderung in den gestaltpsychologischen Diskursen geschuldet ist. 7 Jedenfalls beim Zugriff aufs Internet Frühjahr und Herbst 2015
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Köpfe zeigen keine Gesichtsdetails, was den Fokus auf den Ausdruck der modellierten Körper zueinander fördert. In der therapeutischen Skulpturarbeit (z.B. Satir 1977) würde man das wohl als Wunsch-Skulpturen von „heilen“ Familien bzw. Paaren „a la Hollywood“ bezeichnen und als Klischees bzw. Kitsch bewerten. Doch egal ob Kitsch oder Kunst: in unserem Kontext ist relevant, dass die große Verbreitung der Skulpturen und die offenkundig hohe Nachfrage danach darauf hindeuten, dass diese in ihrem Ausdruck etwas ansprechen, was für viele Menschen etwas von ihrem Inneren ausdrückt, so dass sie sich das hinstellen oder verschenken (ähnlich wie die „süßen“ Teddybären oder Stofftiere, mit Merkmalen des „Kindchen-Schemas“: gedrungener Köper, kurze Extremitäten, großer Kopf mit großen Augen, etc.). Im Gegensatz zum Ausdruck einer Trauerweide hat hier jemand, nämlich Susan Lordi, den Ausdruck des Holzes gezielt so gestaltet, dass ein gewünschter Ausdruck entsteht8 – bei Ihr, beim Betrachter und damit auch in der Holzskulptur.9
Fig. 1 Willow-tree-Figuren (Internet-Seiten von „Baur-Versand“ und „amazon“). Entsprechend heißt es denn auch auf ihrer Webseite: “Susan Lordi‘s art reflects our relationships with people and the world around us. Her keen observation of the human form is further inspired by dance, art history, nature, and personal experiences with family and friends. These influences are revealed in her Willow Tree® sculptures, from which emotion is communicated through gestures only.” 9 Gestaltpsychologisch ist damit die Veränderung in der transphänomenalen Welt gemeint. 8
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An diesen Skulpturen wird auch deutlich, warum Arnheim auch beim Ausdruck materieller Objekte es für nicht sinnvoll hält, von einem Anthropomorphismus zu sprechen. Denn die Skulpturen sollen ja gerade menschliche Beziehungsqualitäten ausdrücken, so und dafür sind sie gemacht. Man würde ja bei einem Foto oder Film eines Schauspielers auch nicht von einem „Anthropomorphismus“ sprechen, wenn man sich über den Ausdruck des Schauspielers unterhält, nur weil dieser nicht in Fleisch und Blut anwesend ist. Andersherum stellt die „Persona“ – die Maske eines Schauspielers im antiken griechischen Drama – ebenfalls einen materiell fixierten typischen Ausdruck dar. Wobei typisierte Masken in vielen Kulturen und bei vielen Ritualen verwendet werden: Hier soll etwas Bestimmtes ausgedrückt und angesprochen werden. Im Gegensatz zu den Farben eines Sonnenuntergangs oder den Stacheln eines Igels handelt es sich bei diesen Skulpturen und Masken also um Objekte, deren Ausdruck funktionell in einem Kommunikationsprozess verwendet wird.10 Daher sieht Arnheim im „menschlichem Ausdruck“ (in der live-Situation) einen speziellen Fall eines allgemeineren Problems von Ausdruck bei der Gestaltbildung im phänomenalen Feld. Für unsere Fragestellung ist nun besonders die Argumentation von Arnheim interessant, dass „menschlicher Ausdruck“ durch ähnliche Strukturen der phänomenalen Welt und der ihnen zugrunde liegenden neuronalen Korrelate von den beteiligten Personen vermittelt und verstanden werden kann. Das bedeutet, dass bei einer Person, bei der ich z.B. eine „ausdrucksvolle Geste“ wahrnehme, bei der Hervorbringung dieser Geste in Teilen ihres phänomenalen Feldes (und damit in Teilaspekten der neuronalen Korrelate) Ähnlichkeiten mit meinem phänomenalen Feld als Wahrnehmendem vorliegen. Auch wenn man Arnheims 1949 noch recht unhinterfragt verwendeten psychophysischen Isomorphismus außeracht lässt (dessen genaue Bedeutung und Tragweite hier umfangreicher Erörterungen bedürfte), ist für unser Thema der Hinweis auf funktional gleichartige phänomenale Welten beim Beobachter und beim Beobachteten für das unmittelbare Verstehen von dessen Ausdruck bedeutsam, denen eine ähnliche organismische Basis zugrunde liegt. Die etwas schwammigen Begriffe „gleichartig“, „ähnlich“ und „zugrunde liegen“ verweisen darauf, dass weder gesamtorganismisch, noch neuronal, noch phänomenal Übereinstimmung postuliert wird, noch zu erwarten ist: Physisch-objektive organismische Zustände und phänomenale Welten werden durch viele situationsbedingte weitere (Teil-)Dynamiken jeweils mitbestimmt. Gleichwohl gibt es eben Wobei übrigens die willow-tree-Figuren eher archetypisch-monosemantischen Ausdruck vermitteln – und sich daher eher als statische Ruhebereiche des phänomenalen Feldes anbieten - während „Kunst“ nach gängiger Auffassung in unserer Kultur eher polysemantische Offenheit haben sollte, also adaptiv zur schwankenden Dynamik des phänomenalen Feldes in dessen Auseinandersetzung mit den sich ändernden Erfordernissen der Umwelt zur Deutungsvielfalt einladen oder dies sogar anregen sollte.
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Strukturgleichheiten in Bereichen der phänomenalen Welten bei der Person, die einen Ausdruck hervorbringt, und der Person, die diesen wahrnimmt. Und dies wiederum ist zumindest auch mit auf die gemeinsame evolutionäre Wurzel der Menschen insgesamt sowie Erfahrungen in einer gemeinsamen Kultur zurückzuführen, wie noch näher ausgeführt werden soll. Eigentlich ist das gar nicht so verwunderlich. So hat z.B. Stemberger (2015) auf die moderne angewandte Forschung zur Steuerung von Prothesen „mit Gedankenkraft“ über ein „Gehirn-Computer-Interface“ verwiesen und die Übereinstimmung des zugrunde liegenden Verständnisses mit gestalttheoretischen Kernkonzepten diskutiert: Sowohl der physische Arm beim Gesunden als auch die mechanische Prothese mit dem Interface werden durch die neuronalen Korrelate der phänomenalen Handbewegung gesteuert (vgl. Abb. 3).
Fig 2 Gehirn-Computer-Interface (aus Grabianowski 2007).
Insbesondere erinnert Stemberger (2015, 21f ) aber daran, dass bereits 1964 Wolfgang Metzger (unter Verweis auf J. Pikler 1917) „anlässlich eines Vortrags 310
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bei einem Kybernetik-Symposium … folgendes Beispiel für die Steuerungsfunktion der phänomenalen Welt gewählt (hatte): ‚Was geschieht, wenn wir einen Arm bewegen, etwa, um nach einem Gegenstand zu greifen‘? (Metzger 1965/1986, 264).“ Und, mit dem Verweis auf den Unterschied zwischen dem von der Person gespürten, gesehenen und bewegten Arm in der phänomenalen Welt einerseits sowie dem objektiv-physischen Arm andererseits, betont bereits Metzger das „Auseinanderklaffen des ‚Angriffspunkts‘ des ‚Willens‘, der klar in der Hand liegt, die ich bewegen will“ – also die phänomenale Hand im phänomenalen Wahrnehmungsfeld – „und der Angriffspunkte der zugehörigen Innervationen, die sich ebenso gewiss z.B. in der Oberarm- und Schultermuskulatur befinden.“ (Metzger 1965, 265 – vgl. die Diskussion dazu in Stemberger 2015). Metzger (1969/1986) spricht denn auch von der phänomenalen Welt als „zentralem Steuerungsorgan“.11 Wenn diese zentrale Steuerungsinstanz bei einem Balletttänzer die Prozesse für das Hervorbringen jener „anmutigen Geste“ organisiert und die zentrale Steuerungsinstanz des Zuschauers die Prozesse für die Wahrnehmung dieser Geste entsprechend organisiert und er sich von diesem Ausdruck gar berühren lässt, so treffen zwei phänomenalen Welten in einer gemeinsamen „Gesamtwelt“ im guten Sinne einer „Begegnung“12 zusammen. Dies hat gewiss auch etwas mit der gemeinsamen Ko-Evolution menschlicher Gehirne in einer gemeinsamen Welt zu tun, in der gerade diese Aspekte von Ko-Evolution besonders wichtig waren (wie noch ausgeführt wird). Die Bedeutsamkeit der phänomenalen Welt bzw. der „zentralen Steuerungsinstanz“ für das Hervorbringen komplexer – also z.B. auch „ausdruckstarker“ Bewegungen oder Körperhaltungen wurde in jüngerer Zeit von Mechsner et al. (2001) überzeugend dargelegt: Seit langem ist bekannt und wurde vielfach untersucht, dass oftmals körpersymmetrische Bewegungen gegenüber anderen bevorzugt sind – etwa die Bewegung beider Hände und Unterarme oder auch nur die beider Zeigefinger symmetrisch aufeinander zu statt parallel gleichzeitig in einer links-rechts, rechts-links Bewegung (s. Abb. 3)
Ich schlage vor, besser von „zentraler Steuerungsinstanz“ zu sprechen, um biologistische Fehldeutungen von „Organ“ zu vermeiden bzw. die phänomenale Welt nicht mit Teilen des physischen Organismus zu konfundieren. 12 Der wichtige Begriff der humanistischen Psychologie „Begegnung“, der auf Moreno zurückgeht, wird hier keineswegs zufällig gewählt – vgl. Kriz 2014b. 11
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Fig. 3 Symmetrische (a) bzw. parallele (b) Bewegung von Zeigefingern (aus Mechsner et al. 2001).
Diese Bevorzugung lässt sich feststellen, indem man mit den Bewegungen langsam beginnt und dann zunehmend beschleunigt: Beide Bewegungsformen, auch die zunächst parallel durchgeführte, enden in einer symmetrischen Bewegung (a, in Fig. 3). Gleiches gilt, wenn man mit den Fingern auf dem Tisch pseudo-„Klavier spielt“: Wieder lässt sich feststellen, dass Symmetrie – Zeigefinger-Zeigefinger und Mittelfinger-Mittelfinger – in der Abfolge stabil gegenüber Beschleunigung bleibt, während die Parallelbewegung – Zeigefinger li.- Mittelfinger re. und Zeigefinger re.- Mittelfinger li. – bei Beschleunigung in die Symmetrie kippt. Lange Zeit hat man für die symmetrische Bevorzugung die symmetrische Anordnung der Motorneuronen in beiden Hirnhälften verantwortlich gemacht. Mechsner konnte nun aber zeigen, dass die Bevorzugung der Symmetrie auch dann gilt, wenn man eine Hand einfach umdreht, d.h. wenn physisch die Bewegung genau andersherum läuft. Dasselbe gilt, wenn man bei einer der beiden Hände statt Zeige- und Mittelfinger nun Mittel- und Ringfinger nimmt. Obwohl doch – von den Muskeln und Neuronen her gedacht – nun eigentlich weiterhin die beiden Mittelfinger bevorzugt gleichzeitig bewegt werden sollten, was eine Parallelbewegung hervorbrächte, bleibt eine Symmetrie in der wahrgenommenen Bewegung als dominant bestehen. Das übrigens auch, wenn man die Augen schließt – es geht also nicht einfach um visuelle Kontrolle oder visuelles Feedback (allerdings dürften zumindest unbewusst ablaufende propriozeptiv-taktile Feedbacks erforderlich sein). Offenbar geht es also insgesamt bei diesen Experimenten und den Bewegungen nicht um die real-körperliche Symmetrie der Gliedmaßen, sondern um die Symmetrie der Bewegungen im phänomenalen Feld. Und dies sogar zwingend: Ohne ausführliches Training gelingt es nicht, bei der Beschleunigung der Bewegungen die Symmetrie der physisch-körperlichen Gliedmaßen durchzuhalten; sie kippen in die phänomenale Symmetrie, und die Motorneuronen und Muskeln folgen einfach - ohne, dass man weiß, wie das geschieht – dieser phänomenalen Ordnung. 312
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Auf dieser Basis unternahmen Mechsner et al. (2001) weitere Experimente, in denen sie zeigten, dass auch sehr komplizierte Bewegungen von untrainierten Versuchspersonen dann ausgeführt werden konnten, wenn die Wahrnehmungsgestalt (mithilfe komplizierter Apparate zur Übersetzung der Bewegung) einfach und bevorzugt symmetrisch war. Allerdings funktionierte dies nur, wenn die Versuchspersonen nicht bewusst auf die Bewegung ihre Hände achteten. Mit Mechsner können wir dies so interpretieren, dass eine phänomenale Bewegungsgestalt top-down dann die nötigen Abläufe für die Muskeln unbewusst und unwillentlich koordiniert (siehe auch Mechsner 2004). Die eben referierten Aspekte aus den Arbeiten von Arnheim, Mechsner, Metzger und Stemberger lassen sich im Hinblick auf unser Thema „Körper, Geist, Ausdruck“ sehr schön mit einer Beobachtung zusammenführen, die Mechsner im Anschluss an einen Vortrag über seine o.a. Forschungsergebnisse berichtete:13 Er befragte nämlich professionelle Marionetten-Spieler, wie sie die komplizierten Bewegungen des Steuerkreuzes und den vielen Fäden bewerkstelligen (manchmal sogar mit einer Puppe von der linken und einer anderen von der rechten Hand gesteuert). Die Antworten liefen darauf hinaus, dass die Puppenspieler (sicher auf der Basis bzw. unter Einsatz elementar gelernter Techniken zu grundlegenden Steuerbewegungen), sich „in die Puppe, bzw. in die Szene hinein versetzen.“ Das heißt, dass die Bewegungen der Gliedmaßen der Puppe in ihrem phänomenalen Feld repräsentiert sind und von dieser imaginierten Anschauung14 her – denn es geht ja um die Bewegungen, die ein Zuschauer objektiv von vorn sieht, während sie selbst objektiv von schräg oben hinunterblicken - die Handbewegungen im obigen Sinne steuern. Etwas pathetisch ausgedrückt könnte man sagen, dass sie sich mit ihrem Geist (als aufmerksamkeitsfokussiertem Bereich der phänomenalen Welt) ganz in den (phänomenalen) Körper der Puppe versenken, um etwas für die Zuschauer auszudrücken. Wenn dies für den Zuschauer gelingt, dieser also in seiner phänomenalen Wahrnehmung den Ausdruck der Bewegung bzw. der Szene so „versteht“, ist es sinnvoll davon auszugehen, dass die beiden phänomenalen Felder von Akteur und Zuschauer in wesentlichen Bereichen Strukturgleichheiten aufweisen. Das genau ist auch Arnheims oben referierte Position hinsichtlich der Vermittlung von Ausdruck. Es sei hier zumindest der Hinweis angebracht, dass die kurze - aber wegen ihrer psychologischen, kunstpädagogischen, philosophischen und theologischen Tiefe viel beachtete – Erzählung von Heinrich von Kleist „Über das Marionettentheater“ (v. Anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Metzgang-Preises 2002 (2.Preis), auf der 13. Wissenschaftlichen Arbeitstagung der GTA in Karlsruhe 2003 (s. Mechsner 2003). 14 Das Thema hat Stemberger (2009) in einem Beitrag zum Mehr-Felder-Ansatz behandelt: es geht demnach beim Puppenspieler um die Ausgliederung eines zweiten Ich (des Marionetten-Ichs) in einer zweiten phänomenalen Welt. 13
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Kleist 1810/2013) zu ähnlichen Ergebnissen gelangt15. Kleist erzählt darin u.a., wie ein junger Mann, der zufällig und intuitiv eine Pose voller Anmut eingenommen hatte, diese Stellung nicht wiederholen konnte, als er darauf aufmerksam gemacht worden war – ja, wie der Ausdruck mehr und mehr verkrampft und lächerlich wirkte, je mehr er versuchte, diese Haltung durch bewusste Kontrolle seiner Muskeln herzzustellen. Das Bemühen, bewusst und intentional über eine muskulär-motorische Steuerung und Kontrolle der Bewegungen ein Greifen nach etwas (s. Metzger), eine komplexe Bewegung (s. Mechsner), oder gar anmutigen Ausdruck (s. Arnheim, v. Kleist) hervorbringen zu wollen, lässt dies eher scheitern. Auch Stemberger (2015, 20f.) weist darauf hin, dass Stottern „in der Regel mit einer spezifischen Störung der Ganzbeziehungen in der phänomenalen Welt verbunden (ist): Das flüssige Sprechen setzt voraus, dass der Aufmerksamkeitsschwerpunkt beim Gegenüber und der Beziehung zu ihm liegt und nicht auf dem Sprechvorgang oder gar auf den Sprechorganen.“ Und die breite Palette pragmatischer Paradoxien, die in vielen Psychotherapie-Ansätzen eine Rolle spielen zeigt, wie stark das bewusste Erreichen-Wollen autonomer Funktionen oft Probleme erst schafft, verstärkt oder aufrecht erhält: Der eigene Versuch oder das Befolgen der Aufforderung „spontan zu sein“, die angstvolle Aufregung, vor einem wichtigen Termin am Morgen nicht einschlafen zu können usw. sind solche pragmatischen Paradoxien. Zur Vermeidung von Missverständnissen soll bemerkt werden, dass die Betonung der phänomenalen Welt als „zentrale Steuerungsinstanz“ keineswegs im Widerspruch dazu steht, dass Puppen- oder Geigenspieler, Tänzer, Schauspieler etc. diese Steuerungen nur auf der Basis von erlernten und geübten „Techniken“ ausüben können. Im Gegensatz zu Mechsners kompliziert-komplexen Bewegungen, die dann spontan und ungeübt ausgeführt werden können, wenn die phänomenale Bewegungsgestalt einfach ist, reicht zum guten Violinspiel eben nicht einfach nur eine entsprechende Bewegungsgestalt (ergänzt ggf. um eine Musikgestalt) zum ausdrucksvollen Spiel einer bestimmten Passage, sondern diese Bewegungsgestalt muss auch realisiert werden können, wozu grundlegende Techniken und konkretes Üben gehören. Gleichwohl darf man andersherum sagen, dass letzteres allein eben auch nicht ausreicht – bzw. selbst von Laien ein solches Unterfangen an einem vielleicht „technisch einwandfreien“ aber „seelenlosen“ Spiel erkannt werden kann. Dies steht auch im Einklang mit den Befunden, welche gestalttheoretische Sportpsychologen wie Paul Tholey (1977), Kurt Kohl (1980) oder Tiziano Agostini (Murgia et al. 2014) über die enge Wechselwirkung zwischen der Bewegung des phänomenalen und des physischen Körpers erforscht und für die Anwendung nutzbar gemacht haben. Auch Turi-Ostheim (2014) hat sich kürzlich in dieser Zeitschrift mit gestalttheoretischen Aspekten der Schauspielkunst auseinandergesetzt. 15
Auch Metzger (1962) bezieht übrigens sich in seinem Werk „Schöpferische Freiheit“ mehrfach auf v.Kleist.
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Mit diesen Hinweisen kommen wir nun zu einem interessanten Verhältnis zwischen Teilen des phänomenalen Feldes - nämlich einerseits dem Selbst-Bewusstsein, insbesondere dem Befindlichkeits-Bewusstsein als Bewusstsein dessen, wie es einem im Augenblick geht, und anderen Bereichen. Denn gerade, weil bisher vielfach von einem „unmittelbaren“, „intuitiven“ - ja, „zwingenden“ - Erfassen von Ausdruck die Rede war, dem auf der anderen Seite ein ebenso „unbefangenes“ Hervorbringen eines (besonders als „stimmig“ einzuschätzenden) Ausdrucks in der interpersonalen Kommunikation entspricht, stellt sich die Frage nach der Rolle des für den Menschen so wichtigen „reflexiven Bewusstseins“, mit dem der Mensch in der Lage ist, quasi auf andere Bereiche seines anschaulichen Erlebens zu blicken und dies beispielsweise über Verwendung von Sprache anderen, aber auch sich selbst, über den nonverbalen Ausdruck hinaus verständlich zu machen. Diese Differenzierung ist wichtig, weil folgende Aspekte nicht konfundiert werden sollten: a) Ich nehme wahr, wie mich ein gefährlich kläffender Hund anspringen will – und weiche zurück. b) Ich mache mir bewusst, dass ich das Tier für einen „Hund“, sein Verhalten als „drohendes Anspringen“ und diese Konstellation für „gefährlich“ halte. Und ich nehme meine Gefühle als „Furcht“ wahr, sowie meine Reaktion als „Zurückweichen“. c) Ich erkläre mir, warum ich einen solchen Hund für gefährlich halte und warum ich zurückweiche – und denke vielleicht über Alternativen beim nächsten Mal nach. In (a) nehmen wir Bezug auf das unmittelbare Wahrnehmungserlebnis und die ebenso unmittelbare Reaktion. Beides spielt sich für mich vor allem16 im phänomenalen Feld ab (vielleicht war es tatsächlich gar kein Hund, vielleicht war er nicht gefährlich. Vielleicht habe ich das sogar nur geträumt – dann würde ich, üblicherweise, nur meinen phänomenalen, nicht meinen physischen Körper bewegt haben). Mein reflexives Bewusstsein spielt in diesem Augenblick kaum eine Rolle. In (b) mache ich von meiner Fähigkeit zur Symbolisierung17 Gebrauch. Mein Selbst-Bewusstsein richtet sich auf (Teile) meines Erlebens und Verhaltens. In dieser phänomenalen Gefahren-Situation wird (b) wohl eher zeitlich nach (a) sein – ich richte mein Selbst-Bewusstsein auf das hier und jetzt Erinnerte. Allerdings gibt es weniger akut bedrohliche Situationen, wo ich mir meine Gefühle und mein Verhalten im Hier und Jetzt symbolisieren kann – etwa: „ich fühle mich jetzt traurig“, „ich bin jetzt erschöpft“ „ich würde gern weggehen, bin aber wie erstarrt“ etc. 16 17
Natürlich reagiert auch mein Organismus auf die objektive Gegebenheit dessen, was mir als Hund erscheint. „Symbolisierung“ ist eines der zentralen Konzepte im personzentrierten Ansatz von C. Rogers (1993).
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In (c) verwende ich zusätzlich zu den selbst-empathischen Symbolisierungen meines Erlebens und Verhaltens (Furcht, Bedrohungsgefühl, Fluchttendenz) nun auch noch Beschreibungs- und Erklärungsprinzipien zum (umfassenderen) Verständnis des Geschehens, zur (weiteren) sinnorientierten Einordnung der Geschehnisse. Ein solches weitergehendes „Verstehen“ ist für Menschen ebenso typisch wie notwendig, wie z.B. salutogenetische Forschungen zeigen (z.B. Antonowsky 1997). Natürlich lässt sich in der Welt auch ohne (b) und (c) trefflich leben: Wolfgang Köhler (1921/1963) hat mit seiner Primatenforschung gezeigt, dass Menschenaffen durchaus in der Lage sind, Probleme zu lösen und z.B. ohne wesentliche Versuch-Irrtum-Schleifen behavioraler Versuchsanordnungen eine Banane durch Zusammenstecken von Stöcken zielgerichtet zu erreichen. Wozu – im Sinne von (a) - nicht nur ein phänomenales Feld mit entsprechenden Figur-Grund-Gliederungen etc. notwendig ist, sondern auch dessen dynamische Umstrukturierung zur Erreichung des Zieles. Aber es darf bezweifelt werden, dass diese zu (b) und (c) fähig sind (obwohl wir das natürlich nicht sicher wissen können): Dazu fehlen ihnen zum einen genau jene Entwicklungsbedingungen, die im Folgenden herausgearbeitet werden sollen, zum anderen ist unklar, was mit „Symbolisierung“ gemeint sein könnte (die angebliche Verwendung von Sprache bei manchen Primaten scheint jedenfalls eher auf Dressur zurückzugehen – vergl. Fischer 2002). Wie gut sich in einer Welt ohne (b) und (c) leben lässt, hat aus einer ganz anderen Perspektive der kanadische Bewusstseinsforscher Julian Jaynes (1993) dargestellt. Jaynes nimmt an, dass sich das, was wir reflexives Bewusstsein nennen, in der Menschheitsgeschichte überhaupt erst vor rund 3000 Jahren (also nur 1000 Jahre B.C.) entwickelt hat. Gleich, ob man seiner These folgen mag oder nicht: Sehr eindrücklich hat er gezeigt, wie die großartigen Kulturleistungen z.B. der Ägypter, Inder oder Chinesen, die sehr viel älter als 3000 Jahre sind, auch ohne reflexives Bewusstsein möglich sind. Für den heutigen Menschen, mit seinen komplexen Gesellschaftsformen, materiell sowie medial strukturierten objektiven Welten und den entsprechenden Anforderungen sind (b) und (c) essentielle Aspekte seines Lebens.18 Das, was wir „psychisch krank“ nennen und was Menschen somit z.B. in Psychotherapie führt, hat ja meistens und wesentlich damit zu tun, dass Teile des Erlebens oder Verhaltens selbst miss- oder gar nicht verstanden werden (und sich der Mensch dann „über sich“ in typisch wiederkehrenden Situationen selbst wundert und sich hierin selbst fremd ist), oder sogar für (b) und (c) gar nicht zugänglich sind. Z.B. fehlt dann trotz massiven Körperausdrucks von „angespannter Wut“ und „tränenreicher Traurigkeit“ der symbolisierende Zugang zu den eigenen Gefüh18
Wobei ich hier die herausfordernde Frage über das Leben schwer geistig Behinderter ausklammere.
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len – obwohl diese sehr gut von anderen als solche wahrgenommen (und sprachlich mentalisiert - vgl. Asen & Fonagy 2014) werden. Diese inadäquate oder mangelnde Symbolisierungsfähigkeit von (a) in (b) und (c) bezeichnet Rogers (1993) mit „Inkongruenz“ – diese stellt das wesentliche Moment der psychischen Krankheitslehre in seinem personzentrierten Ansatz dar. Die alltäglichere, nicht-krankheitswertig-kategorisierte Form hat Metzger (1952/1986, 245) bereits mit den Worten skizziert: „Seit Nietsche, Klages und Freud dürfte es auch keinen Streit mehr darüber geben, dass es Persönlichkeits-Eigenschaften gibt, die dem Blick des Mitmenschen zugänglicher sind als dem Selbstbewusstsein.“ Andersherum kommt es in der interpersonellen Kommunikation gar nicht so selten vor, dass auch ein stimmiger, kongruenter Ausdruck von Person A dann von Person B miss- oder nicht verstanden wird (was wohl oft daran liegen dürfte, dass die Wahrnehmungs-Strukturierungen im phänomenalen Feld von B nicht so sehr auf A gerichtet sind, sondern wirkungsvoll von Valenzen aus den eigenen (b) und (c) beeinflusst werden). Wenn wir diese Betrachtungen nun im Hinblick auf die Frage zusammenführen, wie es möglich ist, dass der von Person A hervorgebrachte, ja intendierte, Ausdruck mehr oder weniger erfolgreich für die Kommunikation von B „verstanden“ werden kann, so müssen wir zwei Analyseebenen in die Betrachtungen mit einbeziehen, die von Psychologen bei ihrem Fokus auf psychische und interpersonelle Dynamiken oft nicht im Blickwinkel sind: Die eine Analyseebene ist die evolutionäre Entwicklung des menschlichen Körpers, speziell auch seines Gehirns. Wenn wir mit Arnheim nochmals auf die weitgehende Ähnlichkeit der (hierfür gerade in Betracht kommenden Teile der) phänomenalen Welt als „zentraler Steuerungsinstanz bei A und B verweisen, so ist dafür auf der histologisch-physiologischen Ebene eine gewisse gemeinsame Struktur als eine wichtige gemeinsame Grundlage zu sehen. Wegen der überaus großen Plastizität gerade des menschlichen Gehirns gegenüber dem stark instinktgesteuerter Tiere hat man diese evolutionäre Grundlage lange Zeit mehr unterschätzt, als es Befunde und Argumente aus den jüngeren Diskursen angebracht erscheinen lassen. Die andere Analyseebene ist die Kultur – als eine über viele Generationen in einer Sozialgemeinschaft gemeinsam geschaffene Symbolwelt aus Sprache, Erklärungsprinzipien, Metaphern usw., einschließlich sozialer Strukturen. So wie es Sinn macht, von einer materiellen trans-phänomenalen Welt außerhalb unserer phänomenalen Welt auszugehen, deren Ordnungen und Regelmäßigkeiten wir mit Konzepten der Physik beschreiben (auch wenn diese Beschreibungen zweifellos der phänomenalen Welt zuzurechnen sind), macht es nicht nur ebenso Sinn, von einer trans-phänomenalen Welt zu sprechen, deren Ordnungen und 317
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Regelmäßigkeiten wir mit Konzepten der Biologie beschreiben, sondern auch von einer trans-phänomenalen Welt, deren Ordnungen und Regelmäßigkeiten wir mit Konzepten der Soziologie oder der Semiotik beschreiben.19 Dies wird schon aus der Einwirkung unserer Handlungen in die transphänomenale Welt deutlich: Wenn Metzger (1969/1986, 278) hierzu betont, man könne „heute in der Einsamkeit einen Steg bauen, den ein anderer ein Jahr später in meiner Abwesenheit vorfindet und hinüberschreitet“, so gilt dies natürlich analog für einen Hammer und anderes Werkzeug. Dann gilt dies aber auch für ein Buch – und nicht nur als physikalischer Gegenstand mit „black marks on white“, sondern auch für die Geschichte in diesem Buch; es gilt auch für Videoaufzeichnungen und Filme; und eine bestimmte Universität, die vor hundert Jahren gegründet wurde, existiert in der sozial-symbolischen Welt ggf. auch heute selbst dann noch, wenn alle (physischen) Personen längst gestorben sind und das Gebäude irgendwann zerstört wurde, so dass in ein anderes Gebäude umgezogen werden musste. Wie oben zunächst nur kurz skizziert wurde, verwendet der Symbolisierungsprozess des Selbstbewusstseins kognitive „Werkzeuge“ in Form von Sprache usw. Ich bin mir bewusst, hier von der gestaltpsychologisch-traditionellen Sicht-, Begriffs- und Sprechweise abzuweichen, die der „phänomenalen“ eine „physikalische“ Welt (die alles einschließt) gegenüberstellt. Physik und die dort aufgestellten Gesetze und Beschreibungen handeln aber von einer bereits wahrnehmungsmäßig konstituierten (und zudem durch wissenschaftliche und/oder andere Sprechregeln strukturierten) Welt, nicht von einer im eigentlichen Sinne transphänomenalen Welt, über die sich nichts sagen lässt (sondern eben erst nach der Konstitution – vgl. Kriz 1977, 1981, 1984). Physik, und ebenso alle anderen Wissenschaften auch, gehören also der phänomenalen Welt an, auch wenn sie sich - wie aber auch Alltagsbeschreibungen - auf eine transphänomenale Welt beziehen. Erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch gesehen stellen wir „Fragen“ an die Welt, indem wir aufgrund von Wissensstrukturen etc. in der/den phänomenalen Welten mit der o.a. „zentralen Steuerungsinstanz“ über unseren Organismus in die transphänomenale Welt eingreifen (und z.B. eine experimentelle Anordnung aufbauen). Ebenfalls beobachten wir über unsere „zentrale Steuerungsinstanz“ die Reaktion dieser Welt. Bei der Untersuchung des Lichts erhalten wir auf „Teilchen“-Fragen „Teilchen“Antworten, auf „Wellen“-Fragen „Wellen“-Antworten usw. Es macht aber Sinn (phänomenal) z.B. an etwas, auf das wir uns mit „Lebewesen“ (in der transphänomenalen Welt) beziehen, anders geartete Fragen zu stellen als an physikalische Gegenstände. Eine lebende Maus lässt sich zerlegen – aber nach dem Zusammenfügen ist das, was wir mit „Lebendig“ meinen, nicht mehr beobachtbar. Es macht Sinn, davon auszugehen, dass diesen strukturellen Unterschieden in der phänomenalen Welt auch Unterschiede in der transphänomenalen entsprechen. Entweder sagen wir also gar nichts über die transphänomenale Welt, oder aber wir tragen dieser Unterscheidung Rechnung. Ein physikalistisch-materieller Reduktionismus von Biologischem/Lebendigem auf Physikalisches ist jedenfalls auch konzeptionell inkonsequent (worauf sollten sich wohl auch sonst z.B. Metzgers (1962) „sechs Kennzeichen der ‘Arbeit am Lebendigen’“, beziehen?). Sofern wir dies akzeptieren ist klar, dass wir uns mit soziologischen und familientherapeutischen Fragen (z.B.) auf wiederum andere Strukturen der transphänomenalen Welt beziehen. Das, worauf wir uns mit „Interaktionsstruktur in einer Familie“ beziehen, ist weder physikalistisch noch biologistisch reduzierbar. Und das, worauf wir uns z.B. mit den „Metaphern“ und „Leitprinzipien“ „in einer Kultur“ beziehen, ist ebenfalls nicht reduzierbar. Die transphänomenal zugrunde liegenden Sachverhalte gehören – unbestritten – zu einer, ganzheitlichen transphänomenalen Welt. Durch unser Handeln darin macht es aber Sinn, „Häuser“, „Flugzeuge“, „Menschen“ „Reizgegenstände“ etc. zu unterscheiden (bzw. auszugliedern). Durch unterschiedliche Fragebereiche (phänomenal) und das damit verbundene Einwirken in die transphänomenale Welt macht es genauso Sinn, z.B. eine physikalische von einer biologischen, diese von einer sozialen und diese von einer kulturellen transphänomenalen Welt zu unterscheiden. Ansonsten müssten und sollten wir schweigen (um Wittgenstein zu paraphrasieren). 19
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Die Verschränkung der drei Aspekte dieser Tagung - Körper, Geist und Ausdruck – soll im Folgenden am Konzept der „Person“ erhellt werden, so wie dieses in der „Personzentrierten Systemtheorie (PZS)“ (Kriz 2013, 2014a, b, 2015) entwickelt wurde. Plädoyer der PZS ist es ja, dass für das Verständnis der komplexen Dynamiken, wie sie beispielsweise für beraterische, klinische und psychotherapeutische oder Coaching-Prozesse typisch sind, stets ein umfassender Kontext berücksichtigt werden muss. Dabei müssen zumindest die evolutionär-körperliche, die psychische, die interpersonell-mikrosoziale, und die makrosozial- kulturelle Perspektive bzw. Prozessebene mit einbezogen werden. Bereits der scheinbar individuelle Organismus des Menschen als biosomatische Basis und Bedingung dafür, dass sich so etwas wie „Person“ entwickeln kann, ist evolutionär gesehen nicht so „individuell“ wie der Begriff vielleicht suggerieren mag, sondern hat sich essentiell im Hinblick auf eine interaktive Vernetzung mit seinem Sozialsystem aktualisiert. Wie gezeigt werden soll, ist „Person“ daher immer nur und immer schon im Zusammen- und Wechselwirken von Körper und sozialer Mitwelt in einem Kontext evolutionärer, bio-psycho-sozialer und soziogentisch-kultureller Entwicklungsdynamik zu sehen. Ohne dass im Folgenden auf Konzepte der PZS explizit eingegangen werden soll, stellt dieser Ansatz gleichwohl die zentrale Perspektive dar, aus der heraus Akzentuierungen vorgenommen werden.20 Die Ökologische Nische der Menschheitsentwicklung
Es ist eigentlich erstaunlich, wie lange westliche Medizin, Psychologie, Pädagogik und Philosophie gerade dem menschlichen Neugeborenen unterstellt haben, es würde zunächst nur unspezifisch, undifferenziert, und wie ein „unbeschriebenes Blatt“ die Welt betreten. Zwar hat sich der Mensch durch sein reflexives Bewusstsein aus dem biologischen Joch der Instinkte befreit – aber verschwunden und ausgelöscht sind damit natürlich keineswegs alle angeborenen Strukturen, mit denen sich der menschliche Organismus, und speziell auch das Gehirn, im Laufe von Jahrmillionen evolutionär entwickelt und an seine Umwelt angepasst hat. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass eine evolutionäre Anpassung an die sozialen Strukturen seiner jeweiligen Spezies sogar schon bei Tieren zu finden ist: Das Aufreißen des Schnabels junger Vögel und der passende Fütterinstinkt der Mutter bzw. Eltern (oder, beim Kuckuck, sogar anderer Vögel), der Vogelgesang mit weiteren abgestimmten Verhaltensweisen für die Paarung, die angeborenen auslösenden Mechanismen für die Paarungsrituale in Form typischer Verhaltenssequenzen bei Fischen etc. – all dies sind letztlich auch angeborene, artinter20
Es sei darauf hingewiesen, dass dabei weitgehend in die Perspektive einer „naiv-realistischen“ Weltsicht übergewechselt wird, da weitgehend Befunde über bereits konstituierten Strukturen aus der transphänomenalen Welt herangezogen werden. „Häuser“, „Menschen“ oder „Evolution“ werden also als real behandelt.
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ne Interaktionsmuster mit der sozialen Mitwelt zur Sicherung des Überlebens. Diese und weitere Strukturierungen von Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Verhaltensdispositionen eines Organismus aufgrund evolutionär erworbener, genetischer Fähigkeiten, welche eine Passung zwischen dem neugeborenen Lebewesen und seiner artspezifischen Sozialgemeinschaft gewährleisten, ist somit nichts Besonderes. Diese evolutionär erworbene Abstimmung sichert bzw. vergrößert die Überlebenschancen des Einzelnen und der Spezies. Zu unterstellen, dass all dies gerade beim Menschen keine Rolle spielen würde, wäre recht ignorant und naiv. Das Umgekehrte ist der Fall: Ein menschliches Neugeborenes kommt so unfertig auf die Welt, dass es zumindest das erste Jahr allein gar nicht überleben könnte. Der hoch differenzierte biologische Organismus „Mensch“ kann sich monatelang nicht einmal artspezifisch brauchbar fortbewegen und in seiner Umwelt für Nahrung sorgen. Er vermag sich weder selbst vor Kälte und Hitze noch vor vielen anderen Einflüssen zu schützen. Ein solches Handicap konnte sich die menschliche Art evolutionär aber nur leisten, indem diese mangelhafte individuelle Überlebensmöglichkeit durch die soziale Aktivität fürsorgender Anderer gewährleistet wurde und wird - ansonsten wäre ein solcher Organismus dem Tode geweiht und damit für das Erzeugen von Nachkommen völlig unbrauchbar. Der auf soziale Systeme hin ausgerichtete Anteil der evolutionären Vorstrukturierung des Gehirns ist daher für den Menschen weit ausgeprägter und bedeutsamer als für jede andere Spezies. In neueren Diskursen21 werden unter dem Begriff „soziales Gehirn“ bzw. „social brain“ (z.B. Dunbar 1998; Fuchs 2008; Adolphs 2009, 2011; Pawelzik 2013) die Konsequenzen aus der Tatsache herausgearbeitet, dass die bio-physiologische Struktur des menschlichen Hirns bei der Geburt wie auch in der weiteren Entwicklung mehr als bei allen anderen Lebewesen auf ein Leben in einer sozialen Gemeinschaft hin ausgelegt ist. Denn die für die Tierwelt typischen Formen von Anpassung und Lernen über Instinkte, Prägung, Konditionierung, Verstärkung oder Imitation würden beim Menschen keineswegs zum Überleben des Neugeborenen ausreichen. Das Ausmaß und die Komplexität der evolutionären Vorstrukturierungen beim Menschen werden deutlich, wenn man der Frage der ökologischen Nische nachgeht, welche für die stammesgeschichtliche Entwicklung des homo sapiens von Vorteil war (und ist). Mit „ökologischer Nische“ sind gewöhnlich die materiellen und biologischen Eigenschaften einer Umwelt gemeint, an welche sich Pflanzen Mit der grundsätzlichen Fragestellung, welchen evolutionären Sinn die Ausbildung einer phänomenalen Welt beim Menschen haben könnte, hat sich schon Metzger (1969) auseinandergesetzt (Diskussion dazu in Stemberger 2015). Die im Folgenden hier eingehenden evolutionären Aspekte aufgrund von Befunden u.a. aus der Säuglingsforschung lagen ihm natürlich dazu noch nicht vor. Diese sind für die Gestalttheorie aber u.a. von Arfelli Galli (2013, 2014) referiert und diskutiert worden, wobei sie sich ebenfalls auf einen Teil der im Folgenden erwähnten Arbeiten bezieht . 21
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oder Tiere in ihrer stammesgeschichtlichen (phylogenetischen) Entwicklung so angepasst haben, dass die jeweils spezifische lebensgeschichtliche (ontogenetische) Entwicklung des einzelnen Organismus gute Bedingungen für das Überleben und damit für die Fortpflanzung und Vermehrung hat. Welchen Elementarkräften – Luft, Wasser, Boden, Sonne, Wind etc. – ist die Spezies ausgesetzt bzw. kann sie spezifisch nutzen; welche Nährstoffe und welches Fressbare sind vorhanden bzw., umgekehrt, welche (Fress-)Feinde stellen eine Bedrohung dar. All diese Gegebenheiten bestimmen die ökologischen Nischen von Flora und Fauna. Anders als für Pflanzen und Tiere ist diese ökologische Nische, an die er sich im Sinne der Evolutionstheorie im Laufe der Entwicklung angepasst hat, für den Menschen aber keineswegs wesentlich durch die materiellen und biologischen Gegebenheiten einer natürlichen Umwelt bestimmt. Sondern bedeutsam ist die sozial-kulturelle Um- und Ausgestaltung der natürlichen Umwelt durch die Sozialgemeinschaft. Vordergründig handelt es sich zunächst um die funktionell-sinnhafte Um- und Ausgestaltungen materieller Gegebenheiten - wie Wohnraum, Kleidung, Fahrzeuge, Arbeits- und Freizeit-Werkzeuge, Maschinen, Fabriken, Bücher, Computer usw. Hinzu kommen Regelwerke sozialer Prozesse, die im Laufe der Soziogenese über viele Generationen hinweg ausgestaltet wurden – wie Sprache, Schrift, (Massen)-Kommunikationsmittel, Rollen, Bildungs-, Rechtsoder Wirtschaftssysteme, Institutionen und Organisationen usw. – in die jeder Mensch vom ersten bis zum letzten Atemzug eingebettet ist. Das „Social Brain“ in Aktion
Doch der für die ökologische Nische des Menschen entscheidende evolutionäre Vorteil eines „social brains“ geht weit über das Genannte hinaus: Dieser besteht in einer weitgehenden, evolutionär begründeten Passung zwischen jeweils einer Elterngeneration – also Eltern, Bindungspersonen und andere Erwachsene – und ihrer Kindgeneration, besonders der hilfsbedürftigen Neugeborenen und Kleinstkinder. Nicht nur das berühmte „Kindchen-Schema“ zeigt diese evolutionäre Abstimmung, indem es bei den meisten Menschen dazu führt, Säuglinge und Kleinkinder „niedlich“ und „beschützenswert“ zu finden (was wir freilich auch auf andere junge Säugetiere, Teddys, Puppen, Comic-Figuren etc. ausdehnen). Noch wichtiger sind die Affektäußerungen, mit denen gerade das Neugeborene seine Befindlichkeiten in die Welt schreit. Sie müssen als angeborene (evolutionär erworbene) Kommunikationsinstrumente gesehen werden. Denn das Baby richtet sich damit an eine soziale Umwelt in der (evolutionären) Erwartung, dass es in seinen Affekten hinreichend von jemand verstanden wird, der oder die entsprechend darauf eingeht. Andere Menschen, und erst recht die Eltern, reagieren intensiv auf das Schreien, Wimmern, Gebrabbel oder „Strahlen“ des Säuglings - bis hin zu oftmals ebenso intensiven Affekten wie Verzweiflung oder Wut, wenn die 321
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Kommunikation nicht klappt und der Säugling mit seinem „durchdringenden“ Schreien nicht aufhört. Die seit drei bis vier Jahrzehnten international intensiv betriebene Säuglingsforschung (u.a. Stern 2005; Trevarthen 2011) hat darüber hinaus zunehmend erstaunliche Leistungen in der Abstimmung zahlreicher organismischer Prozesse zwischen dem Neugeborenem und seiner Mutter belegt (überblicksartige Darstellungen z.B. bereits in Stern 2005). Wie in einem gemeinsamen „Tanz“ stimmen Mutter und das erst wenige Wochen alte Neugeborene motorische Rhythmen ab – z.B. Sprechrhythmus der Mutter und (kleine) Bewegungen des Säuglings. Zwar hat die Forschung ergeben, dass die von Mary C. Bateson (1975) ausführlich beschriebene „proto-conversation“, bei welcher 7- bis 15-Wochen alte Säuglinge in eine Art Wechselgespräch mit abgestimmtem Lächeln etc. mit ihrer Mutter eintreten, nicht kulturübergreifend zu beobachten ist: In diesem Ausmaß gilt das wohl nur für die euro-amerikanische Kultur. Gleichwohl gilt inzwischen eine erweiterte Fassung von „proto-conversation“ als gesichert: Trotz recht unterschiedlicher kultureller Regeln in der face-to-face Kommunikation kann dennoch übergreifend gesagt werden, dass Säuglinge schon kurz nach der Geburt eine multimodale Sensitivität für die jeweiligen kulturellen Strukturen menschlicher Interaktion besitzen. Und dass, auf der anderen Seite, auch Mütter gegenüber ihren Säuglingen eine typisch veränderte Kommunikation zeigen – mit hoher Stimme, übertriebener Melodik usw. Wegen der bereits pränatal gut entwickelten Hörfähigkeit kann das Neugeborene bereits die Stimme der Mutter (bzw. des Vaters und anderer naher Angehöriger mit intensivem Kontakt in der Schwangerschaft) von anderen (Frauen)stimmen unterscheiden. Das, was das Neugeborene an strukturellen Erwartungen hinsichtlich seiner sozialen Umwelt mitbringt, und was diese – in Person von Eltern bzw. Bindungspersonen – an Strukturen bereitstellen, ist somit in einer langen evolutionären Entwicklung aufeinander angepasst. Wir haben es also mit einer generationsübergreifenden Ko-Evolution zu tun. Ein Beispiel für solche umfassenderen Abstimmungen ist das, was wir mit „Bindungstypen“ thematisieren22: Das Kleinstkind testet quasi Personen seiner engeren soziale Umgebung daraufhin, wie verlässlich diese auf seine emotionalen Bedürfnisse eingehen können und, besonders in Stress und angstmachenden Situationen, unterstützend, tröstend und Sicherheit gebend zur Verfügung stehen. Je nachdem, wie diese Erfahrungen ausfallen, aktualisiert sich ein „inner working model“ (Bowlby 1988), also ein inneres Arbeitsmodell darüber, was seine soziale Umgebung zu bieten hat und was es erwarten kann, ohne ggf. immer wieder neu frustriert und zu werden. Unter dieser PerWobei die Universalität der Bindungstypen und insbesondere deren Bewertung aus kulturvergleichender Perspektive starker Kritik unterliegt (vgl. Arfelli Galli 2014; Keller 2011, 2015) – was allerdings für die hier referierten Aspekte eher peripher ist. 22
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spektive ist gut nachvollziehbar, warum „unsicher-vermeidende“ Kinder kaum äußerlich auf das Weggehen der Bezugsperson reagieren (physiologische Daten – Cortisolspiegel, Herzschlag - aber auf starken Stress hinweisen), und bei deren Rückkehr diese eher ignorieren und stattdessen die Nähe fremder Personen suchen: Wenn man häufig Ablehnung und Zurückweisung erfahren hat ist dies ein Schutz gegen erneute Enttäuschung einer „falschen“ Erwartung. Besser, gar nicht erst freudig der zurückkommenden Bezugsperson entgegenlaufen und diese begrüßen (wie dies typisch „sicher gebundene“ Kinder tun): dann muss man nicht den Schmerz einer erneuten Zurückweisung riskieren. Wichtig ist, dass diese Verhaltensmuster der „Bindungstypen“, trotz zahlreich vorfindlicher Übergänge in der Population nicht im üblichen Sinne „gelernt“ sind. Sondern die überwiegende Mehrheit der Bindungsforscher geht davon aus, dass das Potential zu diesen Grundstrukturen evolutionär erworben und somit angeboren ist: Die konkrete Erfahrung lässt dann nur das eine oder das andere dieser Muster aktuell zum Tragen kommen. So, wie es bei der Prägung von Graugänsen im Sinne Konrad Lorenz dazu führt, dass das evolutionär mitgebrachte Muster „laufe dem Objekt hinterher, das nach dem Schlüpfen aus dem Ei als erstes sichtbar ist“, ggf. durch Lorenz (oder andere Menschen) besetzt wird und nicht durch das Muttertier. Auch die Muttersprache ist ja weder angeboren noch wird sie (im üblichen oder gar behavioralen Sinne) erlernt. Vielmehr kann ein (hinreichend gesundes) Kleinkind aufgrund evolutionär erworbener Potentiale jeden Sprachstrom auf diesem Planeten in seine Phoneme zerlegen und daraus die spezifische Grammatik der Sprache seiner Umgebung aktualisieren. In den Debatten über die Unterschiede zwischen Entwicklung (aus sich heraus: z.B. der zweifüßige Gang) und Lernen (nur über andere vermittelt: z.B. deklaratives Wissen wie das „kleine 1x1“) wurde diese wichtige Form der Aktualisierung angeborener Potentiale oft vernebelt bis völlig übersehen. Auch „Bindungstypen“ können ja quasi als „Grammatik von interpersonell zu erwartenden Erfahrungen“ verstanden werden (und seit Jahrzehnten beschäftigt mich die Hypothese, ob nicht weitgehend zumindest die Grammatik aller semiotischen Prozesse – d.h. der Erwerb der Strukturen von Zeichenprozessen aller Art, die für die Lebenswelt des Menschen als „animal symbolicum“ (Cassirer 1960) so überaus wichtig sind – in ähnlicher Weise aktualisiert wird). Viele der hier genannten Aspekte sind eigentlich seit langem mehr oder weniger bekannt. Doch wurde gleichzeitig auf menschliche Entwicklungen mit einem erstaunlichen Ausmaß an evolutionsbiologisch-anthropologischen blinden Flecken geschaut – was beispielsweise vielleicht den Hype verständlich macht, der um die sogenannten „Spiegelneurone“ gemacht wird. Diese wurden vor rund zwei Jahrzehnten zunächst bei Affen entdeckt (und gelten erst seit wenigen Jahren 323
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auch beim Menschen als hinreichend nachgewiesen): Es geht darum, dass man zeigen konnte, dass dieselben Neuronen (richtiger: Neuronen-Verbände!), die im Affenhirn beim Greifen einer Nuss feuerten, auch dann aktiv wurden, als das Tier einen anderen nach dem Futter greifen sah. Dies ist freilich nicht unbedingt verwunderlich: Denn bereits 1874 formulierte der englische Arzt W.B. Carpenter als „Ideomotorisches Gesetz“, dass bereits die Vorstellung einer Bewegung in der entsprechenden Muskulatur eine minimale Bewegung auslöst. Und unter dem Begriff „Motorische Denktheorie“ wurden in den 20er und 30er Jahren mit den damals bereits vorhandenen elektrophysiologischen Möglichkeiten „Potentialveränderungen in den bei der wirklich ausgeführten Bewegung beteiligten Muskeln festgestellt“. Dass man die neuronalen Korrelate dieser Ideomotorik irgendwann im ZNS würde nachweisen können, lag auf der Hand. Die nun aktuellen Entdeckungen vermeintlich neuronaler „Spiegelungen“ von Gefühlszuständen, Handlungen, Absichten, etc. bezieht sich statt auf Spiegel-Neuronen in Wirklichkeit auf immer größere Neuronen-Netzwerke. Somit zeigen die Neurowissenschaftler mit ihren Methoden eigentlich nur noch etwas, was u.a. ganzheitliche und humanistische Psychologen seit einem Jahrhundert betonten: Der Mensch ist vor allem ein soziales Wesen; viele Strukturen bereits seines Organismus sind im Laufe der Evolution genau auf dieser Passung in einer Sozialgemeinschaft hin selegiert und optimiert worden – und dazu gehört ganz besonders auch die evolutionäre Entwicklung menschlicher Gehirne in ihren Grundfunktionen und in ihrer Plastizität hinsichtlich weiterer spezifischer Ausdifferenzierung in einer sozialen Ökologie. Aus der Sicht unseres Themas kann man die o.a. evolutionär angelegte Passung und Abstimmung von z.B. Baby-Äußerungen und denen seiner Mutter in der Protokommunikation auch als eine Verschränkung von Körper- und Ausdrucks-Prozessen verstehen. Dies geht schon vom Verständnis menschlicher Entwicklung weit über das hinaus, was die Körperpsychotherapie sensu Wilhelm Reich, Alexander Lowen oder Elsa Gindler im Blick hatte, wo die Beziehung zwischen Körper und Ausdruck wesentlich auf die Ontogenese, also die biographische Verschränkung beider, gerichtet ist (vgl. Thielen 2014a, b). Eine stärker phylogenetisch-entwicklungsgeschichtliche Betrachtung finden wir hingegen im Ansatz von Albert Pesso. Therapeutisch kann dieser als methodische Integration von körperlichen und (spezifischen) psychodramatischen Techniken gesehen werden (Pesso & Perquin 2008). Jedoch ist der Hintergrund seiner Arbeit die Annahme, dass Kinder „Lücken“ im engeren sozialen System der Familie (z.B. durch Tod, physische oder psychische Abwesenheit bzw. nicht-Verfügbarkeit eines Elternteils) implizit wahrnehmen und versuchen, diese durch Rollenübernahme zu schließen. Und im Gegensatz zur Delegation von solchen Rollen durch die Erwachsenen (wie etwa im Ansatz von Horst-Eberhard Richter), geht Pesso von 324
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einer genetischen (also evolutionär erworbenen) Fähigkeit zur Schließung entsprechender sozialer Gestalten aus. Dies geschieht ganz analog dazu, wie die Tendenz zur Schließung von Gestalten ein zentrales Thema der Gestaltpsychologie ist – und zwar nicht nur im engeren Prozess sinnlicher Wahrnehmung, sondern auch erweitert in Form wie dem Zeigarnik-Effekt (besseres Erinnern nicht erledigter Aufgaben, s. Zeigarnik 1927) oder dem Ovsiankina-Effekt (Tendenz zur Wiederaufnahme einer unterbrochenen Handlung, s. Ovsiankina 1928). Ebenso ist Schließung in der Gestalttherapie ein zentraler Aspekt (Perls et al. 1979). Es bleibt aber eine bisher kaum diskutierte Forschungsfrage, wie weit z.B. die klassischen Gestaltgesetze, die vor allem im Rahmen der Berliner Schule der Gestaltpsychologie erörtert wurden, oder gar deren Ausdehnung auf „soziale Gestalten“ mit entsprechenden Valenzen für Handeln im Sinn von Lewins Feldtheorie auf evolutionäre Präformationen des Möglichkeitsraums zurückgehen. Bereits das neuronale System einer Spinne verleiht dieser die Fähigkeit, ein vom Wind teilweise zerstörtes Netz zwischen schwankenden Zweigen mit großer Varianz in der Geometrie des Einpassens wieder zu komplettieren. Analog ist es zumindest eine interessante Hypothese, dass das „social brain“ des Menschen sich evolutionär so entwickelt hat, dass der Mensch sich mit Wahrnehmung und Verhalten nicht nur in Bezug auf jeweils eine Bindungsperson ausrichtet, um in dieser einen Beziehung z.B. Protokommunikation oder Bindungserwartungen zu realisieren. Sondern dass darüber hinaus die Wahrnehmung von und passende Aktivität für bestimmte soziale Strukturen und Muster ebenfalls evolutionär „mitgebracht“ wird. Phänomene, die wir mit „Archetypen“, mit „repräsentierender Wahrnehmung“ bei System-Aufstellungen, Skulptur-Arbeit und Psychodrama, oder mit den Szenen in Pessos Arbeit thematisieren, werden im Licht einer solchen Hypothese besser verständlich. Doch auch, wenn man den letzten Absatz als vielleicht zu spekulativ unberücksichtigt läßt bleibt festzuhalten, dass der scheinbar individuelle Ausdruck des Menschen aufgrund seiner evolutionären Ausstattung mit einem „social brain“ immer schon auf eine Sozialgemeinschaft hin ausgerichtet ist und dies vom ersten Lebenstage an damit (auch) im Körper repräsentiert. Körper und Ausdruck sind somit nicht nur entwicklungsdynamisch miteinander verschränkt, sondern auch von der Grundmatrix dieser Verschränkung nicht zu trennen – nämlich der co-evolutionären Einbettung in die menschliche Sozialgemeinschaft. Und damit kommt auch das mit in die Betrachtung hinein, was wir im Rahmen dieses Beitrags als „Geist“ thematisieren: Die Verschränkung der drei Person-Perspektiven
Da der Mensch evolutionär gesehen besonders durch seine geistigen Fähigkeiten ausgezeichnet ist, die er im Rahmen einer Sozialgemeinschaft und ihrer Kultur 325
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entfaltet, ist hierfür die spezifische evolutionäre Entwicklung des menschlichen Nervensystems in einer solchen Sozialgemeinschaft und im Hinblick auf diese – was mit dem Begriff „social brain“ thematisiert wird - verständlicherweise ebenfalls bedeutsam. Denn besonders die Möglichkeiten, sich die äußere materielle und soziale sowie auch seine eigene innere Welt kognitiv zu erschließen und Anderen mit-teilen zu können, finden wir in diesem Ausmaß bei keiner anderen Spezies. Hierzu gehört auch der Gebrauch von Symbolsystemen (Sprache, Schrift, Bilder, Filme, Verkehrszeichen etc.), wie bereits oben mit Verweis auf das „animal symbolicum“ hervorgehoben wurde (Cassirer 1960). Der Mensch erschließt sich „die Welt“ (einschließlich seine eigene, innere) und teilt sie mit anderen vor allem mit Hilfe von Symbolen. Gewöhnlich wird in den Diskursen zu diesem Thema – besonders, wenn sie von humanistischen Psychologen und Psychotherapeuten geführt werden – die subjektive (oder 1.-Person-) Perspektive scharf gegenüber einer objektiven (oder 3.-Person-) Perspektive abgegrenzt. Meine gefühlten Zahn- oder Magenschmerzen, meine Traurigkeit oder Sehnsucht unterscheidet sich in der Tat prinzipiell von den Beobachtungen und Beschreibungen anderer über meine inneren Zustände, oder gar von physiologischen oder medizinischen Parametern (oder Ergebnissen von sogenannten Gehirn-Scans). Für das Subjekt steht also zunächst intensives Spüren und Erleben im Zentrum. Doch wie mache ich mir als Subjekt dieses mein Spüren und Erleben überhaupt zugänglich und verständlich? Gehen wir diese Frage nach, so wird deutlich, dass unsere Gefühle von Traurigkeit, von Stolz, von Sinnlosigkeit oder Einsamkeit, zwar auf unser ureigenstes Erleben verweisen – und daher, nochmals betont, durch keine Beschreibung, Beobachtung oder gar Messung ersetzt werden können. Gleichwohl beruht aber die Symbolisierung, also das verstehende Einordnen unseres Spürens und Erlebens, auf der Verwendung von Wörtern, Begriffen, Kategorien, Bildern, Metaphern, Verstehensprinzipien etc., die aus unserer Kultur stammen. Kurz: eine verstehende Aneignung seines eigenen subjektiven Erlebens ist für das Individuum nur möglich, wenn es dabei die kognitiven Werkzeuge seiner Kultur verwendet. Damit sind bereits auf elementarer Ebene die 1.-Person-Perspektive mit der 3.-Person-Perspektive und den kulturellen Strukturen, die diese repräsentieren, miteinander verwoben. Natürlich gibt es beim Menschen auch rein organismisches Erleben so wie auch beim Tier – das ja auch seine Umwelt sowie innere Prozesse wahrnehmen, darauf bewertend reagieren (z.B. mit Flucht, Erstarren, Bellen etc.) und komplexe, situationsadäquate Reaktionssteuerungen vornehmen kann. Aber um dieses organismische Erleben selbst zu verstehen – und erst recht, um sich damit anderen verständlich zu machen – bedarf es der Anwendung von Kulturwerkzeugen. Und diese beschränken sich keineswegs auf deiktische Laut326
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verweisungen, mit denen Dinge oder Befindlichkeiten angezeigt werden. Sie beschränken sich auch nicht auf den Bedeutungsgehalt von Wörtern. Sondern sie transportieren beispielsweise über die spezifische Grammatik der indoeuropäischen Sprachen kognitive Einladungen zur Verdinglichung. Damit ist gemeint, dass Prozesse wie z.B. psychische Krankheiten oder Persönlichkeitseigenschaften wegen der Substantivierung eher als Dinge gesehen werden und man entsprechend damit umgeht. Kulturwerkzeuge transportieren ferner Metaphern, Vorstellungen und Verstehensprinzipien, die in unterschiedlichen Gesellschaften und Gruppen (z.B. in Familien) ebenso unterschiedlich wie hoch bedeutsam sein können. Und sie transportieren über Familiengeschichten sowie über kulturelle Narrationen, die gleichzeitig mit der historischen Geschichte der jeweiligen Gesellschaft verwoben sind, weitere Bilder, Prinzipien, Werte usw. Diese vermitteln Wahrnehmungs-, Interpretations-, Denk-, Fühl- und Handlungsprozesse dahingehend, wie man leben und was man fürchten soll, wie man mit Krisen umgeht, oder wofür es sich zu kämpfen lohnt bzw. wann Flucht, Erstarren oder Resignation angesagt ist. Gerade unsere Kultur in Mitteleuropa, die durch zwei Weltkriege mit Millionen Toten, Zerstörungen und Vertreibungen, einem Naziregime und Holocaust usw. innerhalb nur eines Jahrhunderts mit geprägt wurde, ist übervoll von solchen Leit- und Leidgeschichten. Deren Bewältigungsprinzipien geistern u.a. als implizite Verstehensbilder „der Welt“ und „der Anderen“ durch die Familien – und sind damit wiederum Basis für die Kulturwerkzeuge, mit denen sich das Neugeborene langsam ein Verstehen seines individuellen eigenen Erlebens aneignet – d.h. letztlich ein Verstehen von sich selbst. Es ist daher zwar gut für die Entwicklung des Neugeborenen, wenn die Mutter (oder eine andere Bindungsperson) das Kind in seinen Affektäußerungen und Bedürfnissen „lesen“ und adäquat darauf eingehen kann. Für die Entwicklung eines menschlichen Organismus als „Person“ – also als jemand, der sich und andere verstehend in einer Sozialgemeinschaft lebt und dieser Teilnahme auch Ausdruck verleihen kann - würde diese Art der Zuwendung allerdings nicht ausreichen. Sondern für die Entwicklung des Babys ist es notwendig, dass diese Bindungsperson mit ihren empathischen Rückmeldungen an das Baby eine sinnverstehende Symbolisierung der wahrzunehmenden Welt, der eigenen Gefühle und Verhaltensweisen, heranträgt. Das heißt, die Beziehungspersonen sind auch dafür zuständig, dass die inneren, subjektiven, „individuellen“ Prozesse mit den äußeren, objektiven, interpersonellen Prozessen und den materiell manifestierten Kulturwerkzeugen zusammengebracht werden.23 Nur so kann der sich entwickelnde „Innen“ und „außen“ bezieht sich hier auf die phänomenale Welt versus die sozialen Strukturen der transphänomenalen Welt – im Sinne von Fußnote 19 – also die Struktur des kommunikativen Handelns anderer Menschen in der realen Welt (zumindest aus naiv-realistischer Perspektive).
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Mensch seine „Weisen in der Welt zu sein“ selbst-reflexiv verstehen und sprachlich sich selbst und anderen verständlich machen. In der weiteren Entwicklung der Personalität des jungen Kindes wird das „Herantragen“ von empathischen Symbolisierungen zunehmend zu einer gemeinsamen und wechselseitigen Interpretationsleistung über die ablaufenden Prozesse (die im Hier-und-Jetzt immer auch und zunehmend Bezug auf Vergangenes und Zukünftiges nehmen). Wo eine solche Symbolisierung partiell misslingt – wo also Teile oder Aspekte des eigenen Geschehens nicht verstanden werden –, ist die Grundlage für Störungen gelegt, denn bestimmte Teile bzw. Aspekte des eigenen Erlebens und das der anderen bleiben diesem Menschen ja für ein Verständnis verschlossen. Im personzentrierten Ansatz von Rogers (1961) wird hier beispielsweise von „Inkongruenz“ gesprochen. Jedoch sehen alle therapeutischen Richtungen hier ein zentrales Moment für eine leidvolle Entwicklung. Daher besteht die Gefahr, dass man Wesentliches übersieht, wenn vor allem die „Ich-Du“ Beziehung zwischen Mutter (bzw. Bindungsperson) und Kind in den Fokus gerückt wird. So wird beispielsweise gern auf Martin Buber und dessen Betonung der dialogische Existenz des Menschen verwiesen: „Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ (Buber 1923, S.18). Doch ein „Ich“ entfaltet sich dabei nur, wenn dessen „Du“ sich nicht auf eine Zweiheit beschränkt, sondern die Kulturwerkzeuge an das Kind heranträgt und in der „Begegnung“ deren sinnerzeugende Kraft entfaltet. In der „Person“ sind somit immer schon die drei o.a. Perspektiven miteinander verschränkt: die des Ich-Subjekts (1.-Person-Perspektive), die der objektiven und objekthaften Außensicht (3.-Person-Perspektive) und ein begegnendes und sozialisierendes „Du“ (2.-Person-Perspektive), das eben diese Verbindung besonders in der frühkindlichen Sozialisation (aber z.B. auch in humanistisch-psychotherapeutischen Ansätzen) herstellt und gewährleistet. Vor diesem Verständnis fungieren beispielsweise PsychotherapeutInnen als ein „Du“, welches Inkongruenzen zwischen der 1.- und der 3.-Person-Perspektive in den Prozessen des realen Erlebens der PatientInnen empathisch symbolisieren helfen. Dazu ist „Begegnung“ im Sinne der Humanistischen Therapie zwar essentiell nötig, aber ebenso Kenntnisse über Einflüsse spezifischer Kulturwerkzeuge auf die kindliche Entwicklung bzw. auf die Therapie – etwa in Form von Metaphern, Prinzipien, Leitsätzen (oft: Leidsätzen), Narrationen, usw. Wenn wir uns also klar machen, dass der Mensch beim Symbolisieren von organismischer Erfahrung die Kulturwerkzeuge ver- und anwendet, liegt es auf der Hand, uns als Angehöriger professioneller Psychotherapie, Beratung und Coaching um die Beschaffenheit dieser Kulturwerkzeuge etwas differenzierte Gedanken zu machen und es nicht einfach beim alltagspsychologischen Haus- und Laienverstand bewenden zu lassen. 328
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Bei der Frage, wie gut mit der verwendeten Sprache Erleben empathisch und kongruent symbolisiert werden kann, geht es nicht nur um den semantischen Aspekt, d.h. wie treffend und stimmig z.B. Gefühle ausgedrückt werden können. Relevant sind auch die syntaktischen und pragmatischen Dimensionen der Sprache – etwa die Frage, wie weit durch verdinglichende Substantive („Verhaltensstörung“) oder Verben, welche totalitär-statische Beziehungsverhältnisse ausdrücken („ist“, „hat“) Probleme erst geschaffen und stabil gehalten werden (z.B.: „mein Sohn hat eine Verhaltensstörung“). Wir sollten uns auch klar darüber sein, dass mit der verwendeten Sprache und ihrer Metaphern Beziehungs-, Kommunikations- und Interaktionsmuster vermittelt werden, die erheblich zur Entwicklung und Stabilisierung, aber eben auch zur transformationellen Überwindung von „Symptomen“ beitragen können. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, vor dem eingangs betonten erweiterten Verständnis von „Begegnung“ und „Empathie“ - wo also das Soziale in der scheinbar unmittelbaren Zweierbeziehung stets mit anwesend ist und über ein zu eng verstandenes „Ich-Du“ hinausreicht – auch das „Symbolisieren“ nicht zu eng zu verstehen, sondern vielleicht durch das Konzept des „Mentalisierens“ (Allen, Fonagy & Bateman 2008; Asen & Fonagy 2014) zu erweitern: Für die Entwicklung der „Person“ und ihrer interpersonellen Kompetenzen ist ja nicht nur wichtig, die eigenen inneren Prozesse quasi von außen mit den Kulturwerkzeugen zu sehen, zu verstehen und zur Sprache zu bringen; es ist genauso wichtig, die inneren Prozesse der anderen quasi von innen (mit)-sehen zu können. Wobei dies nie deutungsmächtiges übergriffiges Verstehen des anderen meint, sondern es sich um eine notwendig unexakte, mit partiell fremd bleibenden Aspekten versehene gemeinsame Interpretation handelt – im Sinne eines miteinander Aushandelns von Sinndeutungen aufgrund von ggf. unterschiedlichen Wahrnehmungen. So betonen Asen & Fonagy (2014), dass die Entwicklung eines genauen Bildes vom seelischen Zustand Anderer einer ständigen sozialen Verifizierung bedarf. Die geistigen Fähigkeiten des Menschen, mit denen dieser in seiner Sozialgemeinschaft die Erfahrungen über inneres und äußeres Geschehen zum Ausdruck bringen und an der Kommunikation teilhaben kann, müssen somit über die Vermittlung der Kulturwerkzeuge, vor allem Sprache und die weitergehenden Symbolsysteme, zur Entfaltung gebracht werden. Das Instrument, mit dem dies möglich wird, ist der menschliche Körper, der mit seinem „social brain“ vor allem eine auf diese Sozialgemeinschaft hin ausgelegte evolutionäre Ausstattung mitbringt und dann auf dieser präformierten Basis seine biographischen Ausdifferenzierungen entsprechend der Erfahrungen vornimmt. Der Verweis auf die körperlich-evolutionäre Basis des „social brain“ ist wichtig, um vor einer Überstrapazierung einer narrativen Erklärungsperspektive zu schützen. Denn wenn beispielsweise im narrativen Ansatz betont wird: „Was nicht 329
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narrativ strukturiert wird, geht dem Gedächtnis verloren“ (Bruner 1997, S. 72), so wird bei diesem wichtigen Fokus gleichzeitig außer Acht gelassen, dass eben evolutionäre, vorsprachliche Strukturierungsprinzipien im menschlichen Organismus sowohl den dann für Sprache und Erzählungen zugänglichen Erfahrungsraum bereits vorstrukturieren. Gern wird auch in Anknüpfung an den Leitsatz der griechischen Philosophen um Epiktet (50-125) betont: „ Nicht die Dinge selbst, sondern unsere Meinung von den Dingen beruhigen oder beunruhigen den Menschen“ und darauf verwiesen, dass es nicht die Erfahrungen als solche sind, die Menschen prägen, sondern die Geschichte, die er oder sie bzw. das jeweilige Bezugssystem aus den Erfahrungen macht. Doch darf dabei eben die komplementäre Perspektive nicht außer Acht gelassen werden, dass verkörperte interpersonelle Bindungserfahrungen als Grundstrukturierungen organismischer Prozesse („embodiment“) auch beim dann Erwachsenen z.B. Emotionsregulation, Beziehungserwartungen oder eben sogar die Auswahl, Gewichtung und Formung der Narrationen mit bestimmen. Der Unterschied, ob ein sicheres Bindungsverhalten entstehen konnte oder durch frühe Vernachlässigung und Traumatisierungen ganz andere Erfahrungen verkörpert sind, kann daher nicht in eine narrative Relativierung abgeschoben werden. Diese nicht-narrativ strukturierten Erfahrungen des Körpergedächtnisses gehen eben nicht verloren, sondern beeinflussen erheblich auch die kognitiven Gedächtnisprozesse und andere Prozesse (z.B. Verhalten) des Menschen. Und es sei, trotz anderer Thematik, zumindest darauf verwiesen, dass angesichts zunehmender strukturell belastender Bedingungen in unserer Gesellschaft durch eine auf Maximierung von Effizienz und Profit ausgerichtete Wirtschaftlichkeits-Ideologie die realen Erfahrungen von Überlastung, Arbeitslosigkeit, Verelendung, Mobbing etc. ebenso wenig unberücksichtigt bleiben, wenn über die Strukturbedingungen von Narrationen nachgedacht wird. „Corpo d’Anima“ – Eine künstlerische Entfaltung der Ganzheit aus Körper, Geist und Ausdruck
Die zuvor argumentativ-analytisch dargestellte Ganzheit aus Körper, Geist und Ausdruck läßt sich auch mit Verweis auf eine andere Form des (nicht-sprachlichen) Symbolisierens erläutern: Anfang 2013 brachte Mauro de Candia, Choreograf und Künstlerischer Leiter der „Dance Company“ am Theater in Osnabrück, sein Werk „Corpo d’Anima“ zur Aufführung. Die TänzerInnen verleihen mit ihren Körpern vielen Gesten und Ritualen aus unterschiedlichen Religionen und ihren Kulturen Ausdruck. Das mag auf den ersten Blick an das „Rappresentatione di anima et di corpo“ (dt.: Das Spiel von Körper und Seele) von Emilio de‘ Cavalieri (1550 –1602) erinnern, das 1600 als erstes opernartiges Werk in Rom aufgeführt wurde, und bei dem sich Körper und Geist, Verlangen und Vernunft, 330
Kriz, Die evolutionäre Perspektive in der Verbindung von Körper, Geist und Ausdruck
darüber streiten, was zu mehr Erfüllung und letztlich zum Himmelreich führe. Doch in Mauro de Candias „Corpo d’Anima“ geht es, genau umgekehrt, um die gemeinsame Bedeutung in den unterschiedlichen Formen der Religionen (und dahinterstehenden Kulturen). Denn gerade im Kontext von religiösen Aktivitäten wurde schon immer mit Verweis auf den immanenten und transzendenten Geist eine besondere Auseinandersetzung mit dem Körperlichen geführt: von der Askese, der Zazen-Haltung im Zen oder den Yoga Asanas bis hin zu Tantra oder dem Tanz der Derwische, von der Inkarnation des Göttlichen bis hin zu Körperentwertung und Selbstgeißelung. Und doch sind diese unterschiedlichen Formen ja Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach dem Heil, also Versuche einer umfassenden Heilung. Die oberflächliche Vielfalt der Riten und Gesten, die sich gerade auch im sichtbaren Ausdruck des bzw. der Körper gut symbolisieren lassen, verweist auf dieses Gemeinsame. In einer transzendenten Deutung könnte man sagen, dass diese, vielen Menschen gemeinsame, Sehnsucht nach übergeordnetem Sinn – die, nicht unplausibel, ebenfalls im „social brain“ angelegt sein könnte – einen Hinweis darauf zu geben vermag, was der Wissenssoziologe Peter L. Berger (1970) als „Spuren der Engel“ in unserer säkularisierten Welt genannt hat. Die phänomenalen Welten der Tänzer und die der Zuschauer begegnen sich dann in der motorisch-gestalterischen Ausführung bzw. der sensorisch-wahrnehmenden Organisation nicht nur in der anfangs ausführlich diskutierten „anmutigen Geste“, sondern vielleicht auch im Verweis auf die Sehnsucht nach transzendenter Sinnhaftigkeit.
Fig. 4 Bilder aus „Corpo d’Anima“, 2013 Theater Osnabrück 331
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Gerade mit Blick auf diese Bilder wird nochmals die evolutionäre Verschränkung der drei Aspekte Körper-Geist-Ausdruck dieses Beitrags (und der GTA-Tagung 2015) deutlich. Dass die Gesten und Riten innerhalb der Kulturen - und in erstaunlich hohem Ausmaße auch über die Kulturen hinweg, trotz markanter Gegenbeispiele von Missverständnissen viele Menschen innerlich und äußerlich bewegen können, liegt an der zentralen Steuerungsfunktion der phänomenalen Welt, die für die Ordnung der Prozesse sowohl beim Hervorbringen als auch beim Wahrnehmen solcher Gesten sorgt, sowie daran, dass unser Organismus einschließlich unseres zentralen Nervensystems sich eben so entwickelt hat. Und dass eine Aufführung wie „Corpo d’Anima“, oder auch nur die Bilder in Fig. 4, mit ihren Ausdrucksformen Menschen beeindrucken und etwas vermitteln können, verweist ebenfalls auf diese Verschränkung. Gerade mit der impliziten, nicht-deklarativen Teilhabe an der Welt können wir hier Resonanzen erfahren, die der Symbolisierung und der Eingliederung in die Systeme deklarativen Gedächtnisses nicht vollständig zugänglich sind. Doch vielleicht gehört es zu einer guten Sozialisierung, dass wir ertragen und sogar verstehen können, dass wir nicht alles (deklarativ) verstehen können – was nur dann wie ein Paradox klingt, wenn wir die Welt mit dichotomisierenden Kategorien statt mit komplementär-dynamischen Gestalten zu erfassen suchen. Zusammenfassung Für die Gestalttheorie ist es zentral, die Betonung auf die ganzheitliche Organisation der phänomenalen Welt (und der zugrundeliegenden neuronalen Dynamik) zu legen. Indem man Arnheims Abhandlung über Ausdruck folgt, lässt sich unter „Ausdruck“ das Gegenstück des dynamischen Prozesses in der Organisation der Wahrnehmung verstehen – wobei die phänomenale Welt als zentrale Steuerinstanz dient. Wenn man daher die anmutige Geste eines Tänzers wahrnimmt, so ist diese integraler Bestandteil der Wahrnehmungsorganisation beim Beobachter. Gleichzeitig aber spricht einiges dafür, dass die phänomenale Welt als zentrale Steuerinstanz auch beim Tänzer die muskulären Kräfte organisiert, um diese anmutige Geste hervorzubringen. Es ist daher plausibel, dass die beiden phänomenalen Welten in dieser Situation teilweise strukturell ähnlich sind und ihnen auch korrespondierende mentale Zustände zugeordnet sind. Diese Aspekte sind nicht überraschend, wenn man die Evolution des Menschen berücksichtigt. Alle Lebewesen haben eine Evolution in Adaptation (bzw. mehr oder weniger Ko-Adaptation) an ihre „ökologische Nische“ durchlaufen – das gilt auch für den Menschen. Allerdings ist diese ökologische Nische des Menschen weniger durch materielle oder biologische Strukturen seiner Umwelt bestimmt, sondern vielmehr durch ein Sozialsystem strukturiert, welches aus einer Gruppe bzw. der Gesellschaft anderer Menschen besteht, die miteinander interagieren, kooperieren und kommunizieren. Insbesondere das Gehirn des Menschen hat hier eine Evolution durchlaufen, die dem Menschen zum Überleben unter diesen Bedingungen optimale Voraussetzung gewährleistete. Dies jedenfalls ist die These aktueller Diskurse unter dem Stichwort „social brain“.
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Kriz, Die evolutionäre Perspektive in der Verbindung von Körper, Geist und Ausdruck
Dieser Beitrag diskutiert einige Aspekte im Zusammenwirken von Körper, Geist und Ausdruck unter dieser „soical brain“ - Perspektive. Dabei wird die Bedeutung von Selbst-Reflexion sowie des Verbalisierens von mentalen Zuständen Anderer (sog. „Mentalisieren“) hervorgehoben und die notwendigen Bedingungen für die kindliche Entwicklung untersucht, damit diese evolutionär erworbenen, angeborenen Potentiale auch entfaltet werden können. Schlüsselwörter: Körper, Geist, Ausdruck, Evolution, symbolisieren, Kommunikation, Verstehen.
The Evolutionary Perspective on the Interactions Between Body, Mind and Expression Summary In Gestalt psychology, the holistic organization of the phenomenal world (and its underlying, correlated neural dynamic) is crucial. Following Arnheim´s (1949) analysis, we have to say that expression could be defined as the psychological counterpart of the dynamic processes – led by the phenomenal world – which result in the organization of perceptual stimuli. Therefore, observing a “graceful gesture” of a dancer is an integral part of the organized processes of perception in the observer. However, there is a lot of evidence that the phenomenal world of the dancer will direct the muscular forces which produce the “graceful gesture” of his arm and hand. As a consequence, it is plausible that the phenomenal world which organizes the bodily behavior of the dancer is partly structurally similar to the phenomenal world of the person who perceives this gesture and, moreover, that there are corresponding mental states. These aspects are not surprising if one takes the evolution of mankind into account. All living beings have evolutionarily developed in adaption (and more or less co-adaption) to a so-called “ecological niche”. This is, of course, also true for human beings. However: the “ecological niche” of humans is not so governed by material and biological structures of the environment. But the “ecological niche” for humans’ evolutionary development is the social system constituted of a group or society of interacting, cooperating, and communicating humans. More specifically, humans’ brains have developed so as to serve as a means of surviving in such a social system. This is the thesis of the prevailing discourse under the term “social brain”. The present paper discusses some aspects of the interactions between body, mind and expression from the “social brain” perspective. The importance of self-reflective processes in the phenomenal world as well as the ability to refer verbally to one’s own and another person’s state of mind (“mentalization”) is stressed, and the developmental conditions necessary for a child to unfold these evolutionary and inborn potentials are examined. Keywords: Body, mind, expression, evolution, symbolization, communication, understanding.
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