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MEDIEN
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KONTAKTER 44/2015
Die personalisierte Werbewelt wartet auf die Politik ADRESSIERBARE TV-WERBUNG — Internet-Fernsehanbieter wie Zattoo und Magine arbeiten an individuell adressierbaren Spots für das lineare TV. Ob daraus in Deutschland ein großes Geschäft wird, hängt zunächst von den Landesregierungen ab
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ernsehen über das Web funktioniert. Nicht nur Sender-Apps, auch das Telekom-Produkt Entertain sowie die App-Anbieter Zattoo und Magine haben den Beweis längst geliefert. Kein Ruckeln, keine Ausfälle mehr. Selbst die absoluten Spitzen seien 2014 bei der Fußball-WM bewältigt worden, sagt Zattoos Chief Officer Content Jörg Meyer. Da sollte doch gemäß der Onlinemechanik auch adressierbare Werbung möglich sein. Sprich: Jede Zielgruppe bekommt, Kriterien wie Soziodemografie, Standort, Interessen und Verhaltensmustern entsprechend, Werbung zu sehen. In der Folge ließe sich TV-Werbung wie Onlineanzeigen und -spots zielgerichtet ausliefern. Zattoo hat die nötige Technik bereits am Hauptsitz in Zürich in der Schublade, die schwedische Firma Magine will im ersten Quartal kommenden Jahres technisch nachziehen. Für beide Firmen, wie auch für die Telekom, könnte sich ein enorm interessantes, neues Geschäftsfeld aufbauen. Das Produkt ist zwar die Verbreitung des lineares Fernsehangebots. Wenn die Sender jedoch ihre Werbung internetbasiert nach Zielgruppen aussteuern könnten, würden enorm viele kleine Sender ihren Nullstatus verlieren. Denn 65 Prozent der Sender in Europa hätten in den TV-Panels gemessene null Prozent Marktanteil, sagte Laurence Miall-d’Aout, CEO der TV-Analytics-Firma TVbeat, auf den Münchner Medientagen. Ohne anerkannte Panel-Reichweiten sind solche Sender aus dem Rennen um die Budgets der Mediaagenturen. Gleichzeitig würden sich teure Zielgruppen über alle Sender teurer und besser monetarisieren lassen.
Addressable TV wäre aus Sicht der Werbeindustrie ein Segen. Allerdings sieht Armin Schröder, Digital-Geschäftsführer von Crossmedia, auch weitreichende Veränderungen auf alle Beteiligten zukommen – allen voran die Agenturen. „Es führt kein Weg daran vorbei. Die Umwälzungen werden plötzlich da sein, darauf stellen wir uns heute bereits ein“, sagt der Mediaplaner. Er rechnet realistisch für 2018 mit dem endgültigen Schub. Hinter dem Zeitplan steht derzeit aber noch ein großes Fragezeichen. Denn der neue Rundfunkstaatsvertrag, der ab dem ersten Januar gelten soll, macht jetzt „Werbung zum Teil des Programms“. Damit untersagen die Ministerpräsidenten faktisch eine „nichtbundesweite Verbreitung“ von Werbung. Aber sie kann grundsätzlich von jedem Bundesland, in dem sie zu sehen sein soll, explizit erlaubt werden. Hier folgten zuletzt allerdings alle Landesregierungen der Angst-Argumentation von Radioanbietern und den Printverlegern, die um ihre regionalen Werbepartner bangen. Demnach wird es keine regionalen Spots geben. Aber ob das auch bannerähnliche Ein- und Überblendungen betrifft, ist offen. Genauso offen ist, inwiefern solche Werbefor-
DIE LÜCKEN DES VERBOTS Das Bundesverwaltungsgericht hatte Ende 2014 regionale Werbung in einem Urteil ermöglicht. Werbung sei nicht Bestandteil des Programms und der Lizenzen. Diese Lücke werden die Landesregierungen im neuen Rundfunkstaatsvertrag ab 2016 schließen. „Auf der Basis einer Zulassung für ein Programm kann es dann nur einen Signalstrom mit ungeteilter Werbung geben. Regionalisierte oder personalisierte Werbung bedarf voraussichtlich ab 2016 einer eigenen rundfunkrechtlichen Genehmigung“, sagt Roland Bornemann, Justiziar der Bayerischen Landesmedienanstalt. Er weist auch explizit darauf hin, dass die Regelungen für alle Werbeformen gelten und Überblendungen generell unzulässig sind. Ob oder welche Ausnahmeregelungen einzelne Landesmedienanstalten künftig aussprechen, ist noch völlig offen.
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Fernsehen findet in der Zukunft im Web statt. Zattoo zählt 15 Millionen registrierte Nutzer in Europa, Magine kommt in Schweden und Deutschland auf etwa 1,5 Millionen. Faktisch dominieren noch Satellit und Kabel – neue Werbemodelle könnten das jedoch ändern
mate bewegte Bilder und Ton beinhalten dürfen. Genau diese Fragen diskutieren Sender bereits hinter den Kulissen mit der Politik und den Landesmedienanstalten. ADRESSIERBARE SPOTS SIND LÄNGST MÖGLICH
Technisch können Kabelnetzbetreiber nur bedingt adressierbare Spots anbieten – Targeting wäre derzeit auf einfache Kriterien wie eine Region beschränkt. Heruntergebrochen auf Nutzer, ist Werbung nur über internetbasierte Verbreitungswege möglich. Bereits 2014 hatte Zattoo in der Schweiz mit der Firma Filmwords und den Sendern der öffentlich-rechtlichen SRG SSR Werbeblöcke aus dem linearen TV klickbar gemacht. Hierfür wurde ein „Blue Button“ eingeblendet. „Das Projekt hat gezeigt, wo die Reise hingehen kann“, sagt Zattoos Content-Chef Meyer. Möglich ist alles wie im Web – also auch die Adressierung einzelner User. 2015 soll der Einbau von Spots im Livesignal möglich sein. Aktuell ist Zattoo auf der Suche nach Senderpartnern für größere Pilotprojekte. „Das ist ein Thema, welches wir nur gemeinsam mit den Sendern angehen können und wollen“, betont Meyer. Mit einer Sendergruppe seien die Gespräche fortgeschritten, und bis Ende des
Jahres will Zattoo technisch für Pilottests vorbereitet sein. Aus Meyers Sicht gibt es neben der Bereitschaft der einzelnen Marktteilnehmer zu solchen neuen Werbeformen aber nicht zuletzt die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Wenn es ums Geld geht, bauen die Zattoos und Magines lieber auf andere Modelle – eine Gebühr der User. Werbung ist da eher kontraproduktiv. „Derzeit geht es um den Aufbau von Reichweite“, sagt Michael Turner, Content-Chef von Magine. Magine verzichtet ganz auf eigene Werbeformate. Dafür zahlen User für 87 Sender 6,99 Euro im Monat oder 15,99 Euro für 113 Sender. Der Service wird derzeit in Schweden und Deutschland angeboten. Die Schweizer von Zattoo zeigen nur in ihrer kostenlosen Variante Spots: Einen Clip bei jedem Aufruf der App und manchmal beim Wechsel der Kanäle. Die Version für 9,99 Euro im Monat ist werbefrei und enthält zusätzlich die großen Privatsender. Dahinter steckt eine Wette. Denn noch zahlen die Plattformanbieter gehörige Summen an die Sender. Rechnen sich jedoch irgendwann die adressierbaren Werbemodelle oder Alternativen wie Pay-per-View für beide Seiten, purzeln die Preise. Internet-TV wäre dann ein ernster Konkurrent für Kabel und Satellit. LP