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Die Relation Resilienz, Geschlecht und Gesundheit Dr. Antje Richter-Kornweitz, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. Resilienz Resilienz boomt. In der Forschung, abzulesen an Tausenden von Artikeln wissenschaftlicher Literatur. Sie boomt aber auch in populär-wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dabei ist das Konstrukt „Resilienz“ alles andere als „einfach zu verstehen“ oder anzuwenden. Überdies gehen die Meinungen darüber auseinander, wie Resilienz zu definieren ist. Ist es ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal? Eine gegebene Größe, die einige besitzen, andere jedoch nicht? oder ... ... eher das Ergebnis der Bewältigung von Belastungen, wenn günstige Bedingungen zusammen treffen? Nach Bengel & Lyssenko (2012, 24) versteht man darunter „disziplinübergreifend die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen bzw. die Widerstandskraft von Systemen“. Auch das klingt eher kompliziert. In diesem Beitrag wird unter Resilienz die „Widerstandskraft von Individuen angesichts belastender Lebensereignisse“ verstanden (Bengel & Lyssenko 2012, 24) und Resilienz wird als Ergebnis eines positiv verlaufenden Bewältigungsprozesses gesehen, bei dem verschiedenste Faktoren günstig zusammenwirken. Die Geschichte der Resilienz ist mittlerweile bekannt. Die Insel Kauai als Entdeckungsort des Phänomens, die Euphorie der Forscherinnen Werner & Smith, die dort eher zufällig darauf stießen und im Anschluss bei Kindern und späteren Erwachsenen gezielt nach gesund erhaltenden Faktoren angesichts diverser schwerwiegender Risikofaktoren suchten. Vorangebracht haben das Thema aber auch die Faszination und lebenslange Forschungsaktivitäten von Sir Michael Rutter, Glen Elder und anderen. Die Begeisterung drückte sich in Begriffen aus, wie „Super-Kids“, „Unbesiegbare“, „Invulnerable“, „Überlebenskünstler“, „Kinder, die schwimmen, obwohl alles dafür spricht, dass sie untergehen“, etc. Aus dem Blickwinkel der zuvor vor allem pathogenetisch orientierten Wissenschaft wurde die Bewältigungskompetenz von Menschen zuvor tatsächlich unterschätzt. Dies sollte nun mit einem auf das Positive ausgerichteten Perspektivwechsel nachgeholt werden. Die reine Begeisterung ist größerer Nüchternheit gewichen, auch weil man entdeckte, dass es komplizierter war, als ursprünglich gedacht. Denn das Phänomen Resilienz lässt sich nicht in einem einfachen Wenn-Dann-Modell erklären, seine Erforschung ist methodisch sehr aufwendig. Es ergaben sich Probleme bei der Definition, unübersichtliche Überschneidungen zu anderen psychologischen Konstrukten, ein Mangel an Vergleichbarkeit der Studien untereinander, etc. 1
Betrachtet man die Forschungshistorie, werden die Entwicklungsschritte deutlich. Zu Beginn hat man speziell nach Faktoren gesucht, die zu einer günstigen Entwicklung beitragen. Es waren vor allem Kinder im Fokus der Forschung. Danach versuchte man zu entschlüsseln, wie diese Faktoren sich wechselseitig beeinflussen und zusammenspielen. Aufbauend auf diesem Wissen wurden im nächsten Schritt Maßnahmen zur Förderung von Resilienz und wirksame Präventionsstrategien entwickelt und gegenwärtig sollen diese Erkenntnisse um die der neurologischen, molekularbiologischen und -genetischen Forschung erweitert werden. Außerdem gerieten Erwachsene immer mehr in den Fokus der Resilienzforschung (vgl. Bengel & Lyssenko 2012). Die Theorie wird komplexer und verliert doch nicht an Reiz. Denn folgende Fragen, die auf die Kennzeichen von Resilienz zielen, sind unverändert aktuell:
Warum machen manche eine positive, gesunde Entwicklung trotz hohem Risiko-Status?
Warum haben manche Stressbedingungen?
Warum zeigen manche eine positive bzw. schnelle Erholung von traumatischen Erlebnissen?
eine beständige
Kompetenz unter extremen
Ann S. Masten (2001, 216) nannte Resilienz einmal das Wunder des Alltags (ordinary magic): „Die größte Überraschung der Befunde auf diesem Gebiet ist das Gewöhnliche an der Resilienz. (...) Was immer wieder erstaunt und möglicherweise auch zum Irrtum verleitet, resiliente Menschen verfügten über ganz besondere, möglicherweise magische Kräfte, ist einfach die Fähigkeit auch unter außergewöhnlichen Umständen zu „funktionieren.“ Indem Resilienz derart vom Sockel herab ins Alltagsgeschehen geholt wird, eröffnen sich neue Blickwinkel und Verständnismöglichkeiten dieses Phänomens. Die Entzauberung hilft, es begreifbarer zu machen und Bestand und Lücken des Verstehens zu kartographieren. Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Forschung gehört, Resilienz nicht als etwas „Gegebenes“, als feste Qualität, starres Merkmal, stabile und überdauernde Persönlichkeitseigenschaft zu verstehen, sondern - als etwas - „Erworbenes“. Das heißt, Resilienz ist nicht einfach da! Es gibt nicht dieses „einmal resilient, immer resilient“. Resilienz ist das Ergebnis einer Entwicklung in Interaktion mit der Umwelt. Dabei wirken verschiedenste (Schutz-)Faktoren in einem Prozess der Bewältigung zusammen – in einem Prozess, der anhaltend Förderung benötigt, der aber auch durch positive Vor-Erfahrungen beflügelt und gestärkt werden kann. Neben der Forderung auf Resilienz mit einer Prozessperspektive zu schauen, ist Folgendes maßgeblich: 1. Resilienz ist eine variable Größe, kann Schwankungen unterliegen und ist phasen- und bereichsspezifisch angelegt; sie beruht z.B. auf bereichsspezifischen Ressourcen, die durch Interaktion mit der Umwelt erworben wurden. a. Wer sich gegenüber einem bestimmten Stressor (z.B. Verkehrsunfall) resilient zeigt, kann in anderen Situationen durchaus größere Bewältigungsprobleme aufzeigen (z.B. beim Tod des Lebenspartners). b. Anpassungs- und Bewältigungsleistungen können individuell - in verschiedenen Lebensbereichen - unterschiedlich ausgeprägt sein; ein 2
Mädchen/Junge/Frau/Mann kann z.B. sogenannte academic resilience trotz erheblicher Belastungen im Entwicklungsverlauf zeigen, aber Schwierigkeiten haben, soziale Beziehungen aufzubauen. c. Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens als resilient gelten, können zu anderen Zeitpunkten wesentlich vulnerabler erscheinen. Als Beispiel kann der Entwicklungsverlauf Heranwachsender genannt werden. Auch wenn frühere Entwicklungsübergänge wie der Eintritt in Krippe, der Übergang Kindergarten/Schule trotz bestehender Belastungen gut gemeistert wurden, können in späteren Entwicklungsphasen, in der Pubertät oder beim Übergang Schule/Beruf, größere Schwierigkeiten auftauchen (vgl. auch Bengel & Lyssenko, 2012). Entscheidend wirkt sich hierbei oft das Zusammenspiel von Risiko- und Schutzfaktoren aus. Dieses sowie generell das Konstrukt der Schutzfaktoren sind zentral für das Verständnis der Resilienz. Zu den Schutzfaktoren gehört beispielsweise die Selbstwirksamkeitserwartung, also die subjektive Erwartung, Anforderungssituationen aus eigener Kraft bewältigen zu können. Als Schutzfaktor gilt ebenso soziale Unterstützung. Zu den Zielen der Resilienzforschung gehört es, Schutzfaktoren zu identifizieren, Modelle ihres Zusammenwirkens zu erstellen und Interventions- und Präventionsansätze zu entwickeln. Was protektiv wirkt, hängt von individuellen und von Kontextfaktoren und deren Wechselwirkungen ab. Risikomildernde bzw. schützende Bedingungen haben im Bewältigungsprozess eine Schlüsselfunktion. Das heißt: Das Vorhandensein von Schutzfaktoren moderiert insbesondere bei einer Kumulation von Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit bzw. den Grad einer Störung. Dabei können sich die Effekte risikoerhöhender bzw. -mildernder Faktoren addieren und den Grad der Belastung bestimmen (vgl. auch Wustmann 2005). Schützende Bedingungen zu erhöhen sowie Risikoeinflüsse zu mindern, ist ein entscheidendes Ziel der Resilienzförderung. Entsprechende Konzepte sollten multidimensional entwickelt werden. Denn Resilienz entsteht als hochkomplexes Zusammenspiel von individuellen Merkmalen und Merkmalen der Lebensumwelt. Schutzfaktoren wirken auf verschiedenen Ebenen (auf der individuellen, der familiären, der außerfamiliären und auf der gesellschaftlichen Makroebene), auf die bei Interventionen Bezug genommen werden sollte. Dies spricht gegen allzu simple Konzepte von Prävention und Intervention in gefährdeten Zielgruppen und gegen rein risiko- oder verhaltensorientierte Maßnahmen. Und vor allem - gegen individuelle Schuldzuschreibung für Misserfolge bei der Bewältigung von Belastungen. Es spricht vielmehr dafür, nicht nur individuell, sondern auch im engeren und weiteren Lebensumfeld anzusetzen, Interventionen nicht nur risikoorientiert, sondern ebenso ressourcen- und prozessorientiert zu planen (vgl. Masten 2001). Hier treten die Gemeinsamkeiten zwischen Resilienzforschung und Gesundheitswissenschaften überdeutlich hervor. Auch die Gesundheitsförderung setzt am engeren und weiteren Lebensumfeld. Sie orientiert sich dabei am sozialökologisch beeinflussten Modell der sozialen Determinanten von Gesundheit.
Gesundheit 3
Entstehungshintergrund und Gemeinsamkeiten Der Perspektivwechsel von der Defizit- zur Ressourcenperspektive und die Konzentration auf Ressourcen kennzeichnen auch die Entwicklungen im Bereich der Gesundheitswissenschaften und stehen für einen neuen Zeitgeist. Dem entsprach auch der Ansatz der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Gesundheit als umfassendes (d.h. körperliches, geistiges und soziales) Wohlbefinden zu verstehen (vgl. Franke 2008). Gesundheit wird nun nicht mehr als einmal erreichter und dann unveränderlicher Zustand, sondern als eine lebensgeschichtlich und alltäglich immer wieder neu und aktiv herzustellende Balance verstanden. Das bis dahin vorherrschenden „Risikodenken“ wird perspektivisch erweitert, um psychosoziale Determinanten sowie umfeld- und verhältnisbezogene Faktoren einzubauen. Prävention wird im Rahmen eines mehrdimensionalen sozialökologischen Gesundheitsmodells gesehen, - womit die WHO einen bedeutenden Impuls zur Stärkung der Bedeutung von Schutzfaktoren gab. Antonovsky Aaron Antonovski gebühren hier viele Verdienste. Er richtete den Blick auf den Einfluss von Umweltfaktoren und forderte verstärkte interdisziplinäre Forschung. Hervorragend ist auch die Besonderheit seiner Fragstellung, die Blickrichtung auf Gesundheit, die es erst erlaubte, wesentliche Antworten zu finden und den entscheidenden Richtungswechsel der Forschung begünstigte. Dazu kommt seine Position, die Widerstandsfähigkeit angesichts von Belastungen hänge stark von gesellschaftlichen Gegebenheiten ab. Kontextabhängigkeit von Gesundheit Gesundheit wird seitdem in ihrer Kontextabhängigkeit gesehen. Sie ist abhängig von den Rahmenbedingungen des Lebens und den sich wechselseitig beeinflussenden körperlichen, seelisch-geistigen und sozialen Faktoren, für die das Modell der sozialen Determinanten von Gesundheit steht. Unterstützende und damit schützende Faktoren Faktoren, die Gesundheit stärken, Auswirkungen von Belastungen reduzieren und/oder eine positive Anpassung an die Umgebung fördern können, haben einen hohen Stellenwert (in der Gesundheitswissenschaft wie auch in der Resilienzforschung) und werden als personale und soziale Ressourcen aufgelistet. Sie können auf verschiedenen Ebenen lokalisiert werden, d.h. auf der personalen, in der Familienkonstellation, -situation und -atmosphäre, im außerfamiliären Umfeld (in Settings wie Nachbarschaft, Quartier, Kindergarten, Schule), dem gesellschaftlichen Kontext. Prozessperspektive Gemeinsamkeiten bestehen zudem in der Prozessperspektive. Auch Gesundheit ist „in Entwicklung“,- nicht als ein einmal erreichter und dann unveränderlicher „Zustand“, sondern prozesshaft und lebensgeschichtlich zu sehen. Dazu gehört die alltäglich immer wieder neu und aktiv herzustellende Balance zwischen Risiken und Ressourcen, die eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen) wie auch der äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen beinhaltet. Subjektiv wahrgenommener Gesundheitsstatus 4
Dabei gilt der subjektiv wahrgenommene Gesundheitsstatus als wesentliches Kriterium gesundheitsbezogener Lebensqualität1; d.h. die eigene Einschätzung des Wohlbefindens nimmt einen hohen Stellenwert in gesundheitsbezogenen Untersuchungen ein. Der Faktor Geschlecht In diesen Kontext ist der Faktor Geschlecht einzuordnen. Die epidemiologischen Befunde der Kinder- und Jugendgesundheitsforschung beispielsweise zeigen, dass sich bereits im Kindes- und Jugendalter deutliche Geschlechtsunterschiede in der gesundheitlichen Lage und im gesundheitsrelevanten Verhalten identifizieren lassen und geschlechtsspezifische Muster entstehen (vgl. Kolip 2009). In der Resilienzforschung wurde man ebenfalls auf die Bedeutung des Geschlechts hier im Prozess der Belastungsbewältigung - aufmerksam. Insbesondere das weibliche Geschlecht wurde hier des Öfteren als Schutzfaktor hervorgehoben. Beispiel: Mädchen schienen unter den resilienten Kindern der Kauai-Studie eindeutig stärker zu sein als Jungen. Sie zeigten seltener Verhaltensauffälligkeiten und hatten ein positiveres Bild von sich als Jungen. Außerdem war der Anteil der Frauen, die widrige Lebensumstände in der Kindheit und im Erwachsenenalter bewältigen konnten, größer als der Anteil der Männer. Diese Ergebnisse trugen dazu bei, dass „weibliches Geschlecht“ immer wieder als Schutzfaktor genannt wurde. Dies sollte aber nicht dazu verleiten, vorschnell eine höhere Resilienz bei Mädchen bzw. Frauen zu vermuten (vgl. Werner 1999). Es lohnt sich jedoch sorgfältig hinzuschauen und die zugehörigen Variablen genauer zu betrachten, vergleichbar dem Vorgehen in der Kinderund Jugendgesundheitsforschung. Betrachtet man Ergebnisse der Resilienzforschung, in denen unter den Variablen im Forschungsansatz stärker differenziert wird, wird deutlich, dass es bei der Entwicklung von Resilienz / Vulnerabilität wesentlich auf das Zusammenspiel des Faktors Geschlecht mit weiteren Faktoren ankommt (wie „Geschlecht/Sozialstatus/Lebensalter“ oder „Geschlecht/Erziehungsorientierungen in der Familie“). Beispiel: Erziehungsorientierungen in der Familie, die kindliche Resilienz stärken können, divergieren nach Werner (1999) folgendermaßen in ihren Auswirkungen auf Mädchen und Jungen: Jungen, die eine resiliente Entwicklung aufweisen, kommen oft aus Haushalten mit klaren Strukturen und Regeln, in denen ein männliches Familienmitglied (Vater, Großvater, älterer Bruder) als Identifikationsmodell dient und in denen Gefühle nicht unterdrückt werden. 1
Gesundheitsbezogene Lebensqualität (Health-Related Quality of Life, HRQoL) ist ein multidimensionales „Konstrukt“ aus physischen, psychischen und sozialen Dimensionen und schließt deutlich mehr ein als lediglich Aussagen zum individuellen Gesundheitszustand. Wesentliche Orientierung ist hierbei die subjektive Wahrnehmung durch den Probanden (vgl. RobertKoch-Institut: http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/G/Gesbez_Lebensq ualitaet/Inhalt/Lebensqualitaet.html )
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Mädchen, die eine resiliente Entwicklung aufweisen, kommen oft aus Haushalten, in denen sich die Betonung von Unabhängigkeit mit der zuverlässigen Unterstützung einer weiblichen Fürsorgeperson verbindet, z.B. der Mutter, Großmutter, älteren Schwester. Die Gesundheitswissenschaften sind voller Belege für Abhängigkeiten von Geschlecht/Lebensalter/Vulnerabilität und könnten somit möglicherweise zur Aufklärung phasenspezifisch auftretender Resilienz beitragen. Ähnliche Zusammenhänge berichtet die Resilienzforschung auch über das Zusammenwirken von Geschlecht/Sozialstatus/Lebensalter/Vulnerabilität sowie - generell vernachlässigt – den Einfluss des gesellschaftlichen gesellschaftliche Kontextes auf die Entwicklung von Resilienz. Wechselwirkungen zwischen Geschlecht, Sozialstatus und weiteren Variablen über den Lebenslauf Ingrid Schoon (2008) hat resilienzfördernde Faktoren über den Lebensverlauf hinweg untersucht und dazu die Wechselwirkungen von gesellschaftlich-historischem Kontext, sozialem Status der Eltern, Schulleistungen, sozialem Status im Erwachsenenalter sowie psychischem Wohlbefinden im Erwachsenenalter geschlechtsdifferenziert in den Fokus genommen. Dazu hat sie die Daten der britischen Geburtsjahrgänge von 1958 und 1970 vergleichend analysiert. Sie kam zu folgenden zentralen Ergebnissen. Resilienz gemessen an höheren schulischen Leistungen im Kindesalter bei gleichzeitig niedrigem Sozialstatus geht einher mit...:
mehr überdurchschnittlichen schulischen und beruflichen Abschlüssen,
weniger Verhaltensproblemen,
mehr Vollzeitbeschäftigung im Erwachsenenalter
... in Relation zu Gleichaltrigen ohne diesen schulischen Erfolg im Kindesalter bei ebenso niedrigem Sozialstatus. Als besonders einflussreich erweisen sich dabei Wechselwirkungen von Geschlecht, Sozialstatus und gesellschaftlich-historischem Kontext. Nach Schoon (2008) bestehen innerhalb der Gruppe der untersuchten Frauen erhebliche Unterschiede je nach Sozialstatus, die trotz bereichsspezifischer Resilienz nicht ausgeglichen werden können:
Frauen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus berichten trotz resilienter Entwicklung im schulischen Bereich von höheren Stressbelastungen als privilegiertere Frauen ohne diesen frühen schulischen Erfolg.
Dasselbe gilt für Männer mit frühem Schulerfolg aus Familien mit niedrigem Sozialstatus im Vergleich zu statushöheren Männern ohne diesen schulischen Erfolg.
Durch Schoons Kohortenvergleich (der Jahre 1958 bzw. 1970) wird darüber hinaus deutlich, wie sehr die Entwicklung vom gesellschaftlich-historischen Hintergrund sowie vom sozio-ökonomischem Status der Herkunftsfamilien abhängt.
Die Stressbelastung hat sich bei den Jüngeren (d.h. den 1970 geborenen) gegenüber den Älteren (d.h. den 1958 geborenen) im Alter von etwa dreißig Jahren bei beiden Geschlechtern nahezu verdoppelt. 6
Eine leichte Verschlechterung wird außerdem bezüglich der Lebenszufriedenheit, der Kontrollüberzeugung und bei Depressionen berichtet (vgl. Schoon, 2008, S. 53ff).
Ähnliche, d.h. geschlechtsspezifisch differierende, Ergebnisse ergeben sich auch bzgl. der „Kontrollüberzeugung“:
Frauen berichten generell mehr Kontrollüberzeugung als Männer, vor allem bei früher „akademischer Resilienz“. Letztendlich entscheidend wirkt hier jedoch abermals der Sozialstatus: Frauen wie Männer aus statushöheren Elternhäusern bestätigen generell einen höheren Grad an Kontrollüberzeugung als jene aus statusniedrigen, auch wenn die ehemals Statushöheren früher in der Schule weniger erfolgreich waren.
Zu den zentralen Ergebnissen ihrer Studie gehört folgende Erkenntnis: Auch allgemein anerkannte Resilienzfaktoren wie „früher schulischer Erfolg“ können die frühen Erfahrungen sozialer Ungleichheit nur geringfügig abmildern. Sie bewirken im Lebensverlauf bei Frauen wie Männern niedrigere Kontrollüberzeugungen, einen höheren Grad an Depressionen und weniger Lebenszufriedenheit im Vergleich zu Statushöheren. (vgl. Schoon 2008, S. 104ff). Was heißt gelungene Anpassung? Abschließend ein Hinweis auf eine weitere Unschärfe im Resilienzkonstrukt, die sich weiterhin hält. Nach Schoon (2008) zielt Resilienz auf psychische Widerstandsfähigkeit trotz erhöhter Risiken und auf „gelungene Anpassung“ im Entwicklungsverlauf. Verschwommen bleibt jedoch, anhand welcher Kriterien Anpassung als gelungen bewertet werden kann. Auf welche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sollte sich diese Anpassungsleistung beziehen? (vgl. auch Masten 2001 und Bengel et al 2009). Die Einordnung des Begriffs Anpassung in entwicklungspsychologische oder pädagogische Konzepte erlaubt es zwar, das Aufwachsen von Kindern in ein System zu bringen, welches Entwicklung als Abfolge von mehr oder weniger gelingenden Entwicklungsschritten sieht. Aber wie sind darin die zuvor genannten Ergebnisse einzuordnen, wie die Langzeitperspektive auf Resilienz (wie – ganz plakativ - „mehr Depressionen, weniger Lebenszufriedenheit“)? Die Bewertung der Ergebnisse bleibt jedoch (zwangsläufig) normativ und eindimensional. Sie orientiert sich an verschiedensten - quasi absolut gesetzten – Auflistungen von Entwicklungsaufgaben, die in Abhängigkeit vom Lebensalter bewältigt werden müssen (vgl. 13. Kinder- und Jugendbericht 2009; Weiß 2011). Unklar bleibt die Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung dieses Prozesses, die sich in gesundheitswissenschaftlichen Studien als so relevant erwiesen hat. Oder anders gefragt: Was ist subjektiv als Ergebnis gelungener Anpassung zu sehen? Und vor allem, wie können Mädchen und Jungen/Frauen und Männer ihrer so passiv definierten Rolle entkommen, um endlich als „handelnde Subjekte“ in Erscheinung zu treten? Ingrid Schoon (2008) untersucht in ihrer Resilienzstudie Lebenszufriedenheit, Kontrollüberzeugung, Stressbelastung und Depressionsraten bei Frauen und Männern im späteren Erwachsenenalter, die ehemals wegen ihrer Erfolge bzw. Misserfolge im schulischen Bereich als „resilient“ bzw. „(nicht-resilient) eingestuft wurden. Ihre 7
Ergebnisse liefern ein Bild der gesundheitlichen Situation ihrer Untersuchungsgruppe mit Langzeitperspektive und erweitern so die bisherigen Erkenntnisse der Resilienzforschung um eine neue Dimension. Vor dem Hintergrund der dabei deutlich zutage tretenden Prozesshaftigkeit und Kontextabhängigkeit resilienter Entwicklung, stellt sich auch Schoon der Frage, wer eigentlich die Kriterien gelungener Anpassung festlegt. Gesucht werden verallgemeinernde Faktoren, anhand derer sich „gelungene Anpassung“ erfassen lässt, ohne unreflektiert normativ und differenzblind zu sein. Da Resilienz phasen- und situationsspezifisch zu betrachten ist und eine als gelungen bezeichnete Entwicklung in einem einzelnen Bereich nicht gleichzeitig auch auf andere übertragen werden kann, sollte der Rahmen nicht zu eng sein und unbedingt mehrere Ebenen (kognitive, emotionale, soziale) sowie die zeitliche Dimension umfassen. Nach Bengel et al (2009) sollte eine erweiterte Definition von Resilienz neben externalen auch internale Anpassungskriterien beachten. Entsprechend wären das eigene Erleben und die Frage nach der subjektiven Bedeutung von Anpassung stärker zu gewichten und Kriterien zu berücksichtigen, die Aussagen über das subjektive Wohlbefinden ermöglichen. Bei alleiniger Anwendung externaler Kriterien (wie z.B. akademische Leistungen) bleibt ansonsten offen, welche Rolle in diesem Kontext Variablen wie die Erwartungen „der Anderen“ hinsichtlich eines „typischen“ geschlechtsspezifischen Verhaltens bei Mädchen und Jungen haben. Es gibt hier hohen Klärungsbedarf: Was bedeutet gelungene Anpassung gemessenen an dem, was ich bzw. andere für gelungen oder erfolgreich halten? Sind es eventuell eher sozial erwünschte und den allgemeinen Erwartungen gerecht werdende Verhaltensweisen, die als Ausdruck von Resilienz gelten? Eine gelungene Anpassung könnte man nach diesem Schema z. B. bei einem Mädchen vermuten, das trotz hoher Risikokonstellation nach außen gute akademische Leistungen und ein unauffälliges Verhalten im Umgang mit Gleichaltrigen zeigt, obwohl es gleichzeitig Essstörungen oder selbstverletzendes Verhalten entwickelt hat. Die Frage ist: Gilt es trotzdem als resilient? Ein anderes Mädchen mit ähnlicher Risikokonstellation kann weniger gute Schulleistungen vorweisen, hat vielleicht einen hohen Bewegungsdrang und neigt zu ausagierendem Verhalten. Es kommt deswegen in der Gruppe gleichaltriger Mädchen weniger gut zurecht, hat aber ein durchschnittliches Körpergewicht und hohe Fitness. Erwachsene fühlen sich aber eher durch ihr ausagierendes Verhalten gestört. Zu fragen ist: Gilt es als nicht-resilient? Wir haben es hier mit einer hohen Kontextabhängigkeit in der Bewertung je nach kulturellem Hintergrund, sozialer Statusgruppe oder eben nach Geschlecht zu tun. Hier bieten Fragen nach subjektiv erlebter Gesundheit, wie: „Wie würden Sie selbst ihr Wohlbefinden aktuell beurteilen?“ mehr Information und könnten helfen, die Ergebnisse präziser zu gewichten. Denn, die Verortung des weiblichen Geschlechts als ein Schutzfaktor kann ja auch darauf beruhen, dass Mädchen häufiger als ruhig-liebenswert-hübsch wahrgenommen werden (und oft dazu erzogen werden, zu gefallen) als Jungen, was ihre Akzeptanz durch Erwachsene positiv beeinflusst. Positive Rückmeldungen, die sie daraufhin erhalten, könnten wiederum positive Wechselwirkungen im Anpassungsprozess ausgelösen. Dass Mädchen damit auch auf gesellschaftliche Erwartungen reagieren können, sich so zu verhalten, dass ihr Geschlecht klar erkannt wird, ist ein zentraler Aspekt der 8
Gesundheits- und Geschlechterforschung, der in der Resilienzforschung (noch) relativ undiskutiert bleibt. Die Bewertung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale als Ausdruck von Resilienz durchläuft also ebenfalls den Prozess der kulturellen und gesellschaftlichen Formung, der auch vor Forscherinnen und Forschern nicht halt macht. Mehr Gendersensibilität in der Resilienzforschung! Werner (2007) berichtet von psychosomatischen Symptomen und Befindlichkeitsstörungen bei ehemaligen Risikokindern aus der Kauai-Studie, die als Erwachsene leistungsfähig und erfolgreich waren und als „resilient“ beurteilt wurden. Diese Probanden beiderlei Geschlechts beschreiben jedoch insgesamt mehr gesundheitliche Probleme als andere. Der größere Teil der Männer wies Gesundheitsprobleme auf, die auch als Stressreaktionen interpretiert werden können, wie Rückenschmerzen, Übergewicht, Magengeschwür, Schwindel, etc. (Werner nach Lösel/Bender 1996). Auch hier kommen Fragen auf: Sind diese Phänomene Folgen der Belastungen? Oder Folgen der Anpassung? Wie kann diese Unschärfe in die Gesamtbewertung des Entwicklungsverlaufs einfließen? Die Suche nach Methoden zur Messbarkeit von subjektivem Wohlbefinden und die Operationalisierung der subjektiv wahrgenommenen, „erlebten“ Gesundheit, mit denen sich die Gesundheitswissenschaft seit längerem beschäftigt, ist für die Resilienzforschung von enormer Bedeutung. Die gemeinsame Diskussion zentraler Annahmen der Resilienzforschung und der Gesundheitswissenschaft sollte nicht nur ihre Nähe zeigen, sondern ist auch als ausdrückliche Aufforderung zu einer verstärkten Interdisziplinarität gedacht. Lohnenswert könnte es sein:
den Stellenwert der subjektiven Wahrnehmung von Wohlbefinden im Resilienzkonstrukt zu erhöhen
in- und externale Kriterien für eine gelungene Anpassung entsprechend zu gewichten
und somit Kinder und Jugendliche als Mädchen und Jungen und Menschen als Männer und Frauen und vor allem als handelnde Subjekte in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten zu stellen.
Prof. Dr. Antje Richter-Kornweitz Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Telefon: 0511 / 388 11 89 - 33
[email protected] http://www.gesundheit-nds.de/index.php/aboutus/team/58-antjerichter
Literatur Grundlage dieses Vortrags ist der Beitrag von Richter-Kornweitz, Antje: „Gleichheit und Differenz – Die Relation zwischen Resilienz, Geschlecht und Gesundheit“, in: Zander Margherita (Hrsg.): Handbuch
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Resilienzförderung, VS Verlag, Wiesbaden 2011. Dort ist auch eine Liste der verwendeten Literatur zu finden. Sie ist zu ergänzen um:
Bengel, Jürgen / Lyssenko, Lisa (2012): Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter. Köln 2012.
Franke, Alexa: Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern 2008
Weiß, Hans: Was brauchen Kinder? -- Lebens- und Entwicklungsbedürfnisse von Kindern. In: Gerda Holz, Antje Richter-Kornweitz: Kinderarmut und ihre Folgen. Wie kann Prävention gelingen? Ernst Reinhardt Verlag, München, 2011
Die gesamte Literaturliste ist auf Anfrage erhältlich unter:
[email protected]
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