Preview only show first 10 pages with watermark. For full document please download

Die Zeit Nr. 8/2017

   EMBED


Share

Transcript

DIEZEIT PREIS DEUTSCHLAND 4,90 € 12:19 102826_ANZ_10282600009388_12893426_X4_ONP26_01 1 09.02.17 WO C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I RTS C H A F T W I S S E N U N D KU LT U R Wer setzt Kindern noch Grenzen? Weitere Informationen unter www.zeit.de/zg-aktuell o 16. Februar 2017 09.02.17 N 8 12:19 102826_ANZ_10282600009388_12893426_X4_ONP26_02 2 Neue ZEIT-Serie: Die Bosse der Zukunft Viele Angestellte halten ihren Vorgesetzten für eine Fehlbesetzung. Aber was muss ein fähiger Chef alles können? Wirtschaft, S. 23 Zwischen großer Freiheit und Sehnsucht nach Orientierung: Eltern, Pädagogen und Therapeuten streiten darüber, was heute gute Erziehung bedeutet Titelfoto [M]: Christian Grund Das neue Heft. Jetzt im Handel! CHANCEN, SEITE 73 40 SEITEN EXTRA SÜNDENBOCK DEUTSCHLAND NEUE RECHTE Falsche Feinde Unter Berührzwang Von links und rechts wird die Bundesregierung für ihre Wirtschaftspolitik kritisiert – zu Unrecht  VON UWE JEAN HEUSER W as eint Donald Trump und Alexis Tsipras? Beide sind wütend auf Deutschland. Der rechte amerikanische Präsident und der linke grie‑ chische Premier meinen, die Bundesrepublik übervorteile sie. Trumps oberster Handelsberater hat die Anklage offen ausgesprochen: Die Deutschen betrieben Lohn- und Währungsdumping. Erst hätten sie übermäßig gespart und die Löhne niedrig gehalten, dann auf sinistre Weise den Kurs des Euro gedrückt, damit ihre Autos und Maschinen im Rest der Welt zur billigen Ware werden. Auch wenn man Tsipras zuhört, könnte man glauben, die Deutschen führen wie Bulldozer über ihre Wirtschaftspartner hinweg. Lautstark beschwert er sich darüber, dass Berlin die von der Krise gebeutelten Griechen drangsaliere, statt ihnen Schulden zu erlassen. Bei der Europäi‑ schen Zentralbank gelten deutsche Politiker und Ökonomen sowieso als die größten Störenfriede, weil sie die Politik des billigen Geldes ablehnen. Vor allem wenn Wolfgang Schäuble stichelt, wie gerade wieder geschehen, stellen sich bei der EZB alle Nackenhaare auf. Der Euro ist zu billig – doch dafür können die Deutschen nichts Sind die Deutschen also wirklich die Schurken der Weltwirtschaft? Absolut nicht! Sie sind nur in einer besonderen Situation. Nie waren ihre Exporteure erfolgreicher als 2016. Die Wirtschaft schraubte den Überschuss im Handel auf eine Viertelbillion Euro, weil Mario Draghi mit Nullzins und Geldflut genau das erreicht hat, was er wollte: Der Euro-Kurs ist gegenüber dem Dollar stark gesunken – und für die Bundesrepublik eigentlich zu niedrig. Das macht deutsche Autos in Amerika günstig und amerikanische Autos in Deutschland teuer. Nur können die Deutschen ausnahmsweise nichts dafür. Anders als es das Ausland wahr­ haben will, hat die Entwicklung für sie auch enorme Nachteile. Als Sparer leiden die Bundes‑ bürger unter den Nullzinsen. Und was für die Industrie derzeit so famos aussieht, ist auf Dauer kein Segen: Weil die billige Währung das Expor‑ tieren leicht macht, fehlt den Unternehmen der Druck, immer effizienter und besser zu werden. Lohndumping kann man Deutschland auch nicht mehr vorwerfen. Allein in den vergange‑ nen drei Jahren sind die Löhne um über sechs Prozent gestiegen – nach Abzug der Inflation. Und die staatlichen Investitionen steigen Jahr für Jahr. Wer den offiziellen Zahlen misstraut, sollte beim Nachhauseweg einen Blick auf all die­ Baustellen werfen. Die Deutschen müssen sich also nicht ein­ reden lassen, dass die Weltwirtschaft an ihnen leidet. Ein überschuldetes Deutschland wäre nur eine Last mehr für Europa und wahrscheinlich eine zu viel. Das gab es ja schon einmal vor gut zehn Jahren, Deutschland als kranker Mann Eu‑ ropas. Alle regten sich auf, und damals zu Recht. Heute ist die Bundesrepublik der lebende Beweis, dass Reformen sich lohnen. Und sie ist ein Champion des freien Handels. Wer sonst sollte Europa an die eigenen Versprechen erin‑ nern – und sich Protektionisten wie Trump ent‑ gegenstellen. It’s a dirty job, but somebody’s gotta do it, heißt es in Amerika. Irgendjemand muss die »schmutzige Aufgabe« übernehmen und die Welt an den Wert des Wettbewerbs erinnern. Und irgendjemand muss den Amerikanern den eigenen Widerspruch vorhalten. Soll Deutschland den Euro retten, dann wird es an seine Verantwortung fürs Ganze erinnert. Geht es aber um den Export, dann soll das Land allein schuld sein. Das ergibt keinen Sinn. Die Europä‑ er haben eine Währung, und deren Kurs passt nicht immer zu Deutschland, so wie der Wert des Dollar nicht immer zu Kalifornien passt. Deutschland braucht ein einiges Europa und sollte die anderen nicht unnötig gegen sich auf‑ bringen. Aber deshalb muss es sich nicht verste‑ cken. Von den Vereinigten Staaten haben die Nachkriegsdeutschen den Wert des offenen Wettbewerbs gelernt und sich auf die Globalisie‑ rung eingelassen – wenn man einmal von der protektionistischen Agrarpolitik absieht. Jetzt wollen die USA die Regeln ändern, wol‑ len für unfair erklären, was früher fair war. Ihr Problem ist aber nicht, dass Handelspartner sie übervorteilen. Die Amerikaner selbst haben zu sehr auf die Finanzindustrie gesetzt, die zwar riesigen Wohlstand schafft, aber nur für ganz wenige. Jetzt wollen sie die Industriejobs zurück. Nur bitte nicht mit Deutschland als Sün‑ denbock. www.zeit.de/audio Der Fall Höcke und das Elend deutscher Nationalisten: Warum die AfD nicht von der Vergangenheit lassen kann  VON BERND ULRICH W arum bloß kommt die un‑ aufhaltsam aufstrebende AfD nicht weg von diesem blöden Nationalsozialismus, dem Antisemitismus und all dem Kram? Mal spaltet sich deswegen eine Fraktion in Baden-Württemberg, mal rutscht der atemlosen Frauke Petry was Selt‑ sames raus zum Begriff »völkisch«, und dann kommt wieder der Höcke um die Ecke und sagt etwas, was so klingt, als käme es geradewegs aus dem Volksempfänger. Rational gesehen ist die Lage für eine rechts‑ populistische Partei doch sonnenklar: Es ist für diese Leute zum Beispiel viel lohnender, für die Juden zu sein und gegen die Muslime. Politisch noch ergiebiger ist es sogar, wegen des muslimi‑ schen Antisemitismus gegen Muslime zu sein. Darum haben sich etwa Marine Le Pen oder­ Geert Wilders von allem losgesagt, was mit die‑ sem dunklen Gestern zusammenhängt. Für eine rechte Partei in Deutschland ist das noch viel wichtiger, weil es hierzulande bei dem Thema be‑ sondere Empfindlichkeiten gibt. Wieso kann die AfD sich trotzdem nicht zusammenreißen, wieso leidet sie unter diesem manischen Berührzwang? Gemein: Alle haben ein schönes stolzes Gestern – nur wir nicht Das hat zu tun mit einem spezifischen Dilemma reaktionärer Politik in diesem Lande. Wer in Frankreich zurückwill in eine bessere Zeit, der kann davon ein Bild erzeugen, der spricht von je‑ nen idyllischen Zeiten, als proletarisch veranlagte Arbeiter Citroën gebaut haben, die noch richtig schön waren, danach rauchten sie eine Gauloise, die keinen Krebs erzeugte, und über allem weht würdig die Trikolore. Auch die Niederlande kön‑ nen sich mit etwas Willkür an bessere Zeiten er‑ innern, vorhangfreie Fenster, morgens eine Fla‑ sche Vla vor der Tür, beim Fußball Weltmarkt‑ führer und darüber das Königshaus. Alle haben ein schönes Gestern – nur wir nicht. Immer kommt sie dazwischen, DIE Ver‑ gangenheit. Und das bringt unsere Nationalisten regelmäßig schier um den Verstand. Darum müssen sie immerzu an der Narbe kratzen. Die anderen Deutschen haben sich schon längst eingerichtet in einem postnationalisti‑ schen Nationalgefühl, jenem berüchtigten Stolz darauf, nicht stolz zu sein. Sie glauben, dass dies Wie ein Tier Der Brite Charles Foster lebte unter Füchsen. Und lernte dabei mehr über Menschen als über die Tiere Wissen, Seite 39 PROMINENT IGNORIERT gerade deswegen ein gutes – und erfolgreiches – Land ist, weil es DIE Vergangenheit aufgearbeitet hat – und damit nicht aufhört –, weil es sich ihr gestellt und daraus Schlüsse gezogen hat: kein Zentralismus, kein Autoritarismus, kein Milita‑ rismus, Respekt vor Minderheiten, eine gewisse Offenheit gegenüber dem Fremden. Das jedoch ist genau jenes Deutschland, das die AfD ab‑ schaffen möchte. Diese Leute sind im Grunde heimatlose Nationalisten, sehr traurig. Nun will Frauke Petry (die mit dem Völki‑ schen) Björn Höcke (den mit dem Schandmal) aus der Partei ausschließen. Rechts von ihr soll es keine demokratisch legitimierte Kraft geben. Da‑ bei klafft zwischen den beiden allenfalls macht‑ taktisch ein Abgrund, vergangenheitstechnisch liegen höchstens Nuancen zwischen »völkisch« und »Schandmal«, eher was für Spezialisten. Und am Ende lässt sich das deutsche NationalistenDilemma ohnehin nicht auflösen, es wird auch ohne Höcke nicht aus der AfD verschwinden. Dieses Problem stellt für die AfD die Ober‑ grenze ihres politischen Potenzials dar, man wird in diesem Land niemals eine Mehrheit finden, der dieses Gefummel an der Vergangenheit ge‑ fällt, der es auch nur gleichgültig genug wäre, um diese Partei trotzdem zu wählen. Weil die Deut‑ schen so anständig sind? Eher weil sie nicht blöd sind. Nationalismus ist für Frankreich nett, für die Italiener anstrengend und in Österreich ein bisschen albern – in Deutschland ist er schlicht geschäftsschädigend. Umgekehrt besteht allerdings genauso wenig ein Grund aufzuatmen. Denn die AfD wird sich auch jetzt nicht zerlegen. Die Vorstellung, dass der Autoritarismus seinen Siegeszug durch die gesamte westliche Welt fortsetzt, in Deutschland aber an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, ist ab‑ wegig. Deutschland wird mit der AfD leben müssen, die AfD wird mit ihrem verkorksten und verzweifelten Nationalismus leben müssen. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen, einer für Seehofer und einer für die Linksliberalen. Es hat a) keinen Sinn, sich der AfD anzuverwan‑ deln, um sie zu zerstören. Sie ist vorerst unzer‑ störbar. Und es hat b) keinen Zweck, sich im‑ merzu über die AfD zu empören. Je kühler man sie behandelt, desto besser. Und am Sonntag dann ein Spaziergang durchs Stelenfeld. www.zeit.de/audio Wahres Schwein »Steht das Schwein auf einem Bein, ist der Schweinestall zu klein.« Mit einer Plakataktion sol‑ cher »neuen Bauernregeln« wollte die Umweltministerin eine Debat‑ te über Ökologie und Landwirt‑ schaft anregen. Nach einem Em‑ pörungssturm der Lobbyisten der Agrarindustrie hat Barbara Hen‑ dricks um Entschuldigung gebeten und die Kampagne gestoppt. Es ist Politikern noch selten gut bekom‑ men, die Wahrheit zu sagen. GRN. Kleine Fotos (v. o.): D. Otis/Getty Images; Felicity McCabe; C. Koall/Getty Images Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, 20079 Hamburg Telefon 040 / 32 80 ‑ 0; E-Mail: [email protected], [email protected] ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de; ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de ABONNENTENSERVICE: Tel. 040 / 42 23 70 70, Fax 040 / 42 23 70 90, E-Mail: [email protected] PREISE IM AUSLAND: DK 49,00/FIN 7,50/N 66,00/E 6,10/ CAN 6,30/F 6,10/NL 5,30/ A 5,00/CH 7.30/I 6,10/GR 6,70/ B 5,30/P 6,30/L 5,30/H 2090,00 o N8 7 2. J A H RG A N G C 7451 C 08 4 190745 104906