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Unterlagen für den Lehrgang für Schüler/innen- und Bildungsberatung an höheren Schulen an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich
MODUL 5 Konfliktpsychologie
Differenzen und soziale Konflikte in der Schule Einführung in die Methoden der kooperativen Konfliktregelung
Zusammengestellt von Dr. Hans Smoliner
INHALT: 1 DIFFERENZEN und SOZIALE KONFLIKTE in der SCHULE ........................................................................ 1 2 DEFINITION DES SOZIALEN KONFLIKTES................................................................................................. 2 3 KONFLIKTTYPEN ............................................................................................................................................. 3 4 KONFLIKT – DIAGNOSE IN DREI SCHRITTEN ........................................................................................... 6 5 DYNAMIK DER KONFLIKTESKALATION ................................................................................................... 8 6 KONFLIKTESKALATION .............................................................................................................................. 10 7 KONFLIKTREGELUNG .................................................................................................................................. 12 8 KONFLIKTBEARBEITUNGSMODELLE ...................................................................................................... 14 9 METHODEN DER KOOPERATIVEN KONFLIKTREGELUNG .................................................................. 17 10 LITERATURHINWEISE ................................................................................................................................ 26
Dr. Hans Smoliner Klin. und Gesundheitspsychologe Dipl. Kunsttherapeut Psychotherapeut und Supervisor
9500Villach, Peraustraße 22 Mobil: 0699/100 95 316
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Differenzen und soziale Konflikte in der Schule
1 DIFFERENZEN und SOZIALE KONFLIKTE in der SCHULE Friedrich Glasl (2002) unterscheidet zwischen sozialen Konflikten und bloßen Differenzen: „Allen sozialen Konflikten liegen immer Differenzen zugrunde – aber nicht alle Differenzen sind schon Konflikte.“ Differenzen zu haben, ist die natürlichste Sache der Welt: Wir nehmen die meisten (oder sogar alle) Dinge unterschiedlich wahr. Unsere Begriffe, Vorstellungen und Gedanken sind voneinander verschieden. Unser Wollen geht in verschiedene Richtungen. Auch in der Schule sind die Ziele und Interessen der Beteiligten häufig sehr unterschiedlich. Zwischen Lehrer/in und Schüler/in, deren Familien, aber auch im Umgang mit der Schulleitung, der Schulbehörde sowie unter den Lehrern und Lehrerinnen besteht ein reichhaltiges Konfliktpotential:
Lehrer-Schüler-Konflikte nehmen ihren Ausgangspunkt z.B. in:
Provokationen Regelverletzungen Nichteinhalten von Absprachen allgemeiner Disziplinlosigkeit Angriffen auf den Lehrer aggressivem Verhalten der Schüler untereinander
Lehrer-Eltern-Konflikte nehmen ihren Ausgangspunkt z.B. in:
Notengebung Hausaufgaben Lehrinhalten erzieherischen Maßnahmen des Lehrers der politischen Einstellung des Lehrers etc.
Lehrer-Schulleitungs-Konflikte nehmen ihren Ausgangspunkt z.B. in:
Verwendung von Schulbüchern Stundenplangestaltung Vertretungs- und Aufsichtspflicht Verteilung des Etats etc.
Lehrer-Schulbehörden-Konflikte nehmen ihren Ausgangspunkt z.B. in:
schlechten äußeren Bedingungen Lehrplänen Verordnungen kleinlichen Kontrollen der Schulbehörden etc.
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2 DEFINITION DES SOZIALEN KONFLIKTES (Friedrich Glasl, 2002) Ein sozialer Konflikt ist eine Interaktion - zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen), - wobei wenigstens ein Aktor - Differenzen ( Unterschiede, Widersprüche, Unvereinbarkeiten) im Wahrnehmen und im Denken / Vorstellen / Interpretieren und im Fühlen und im Wollen - mit dem(n) anderen Aktor(en) in der Art erlebt, - dass im Realisieren eine Beeinträchtigung - durch einen anderen Aktor (die anderen Aktoren) erfolgt.
2.1 Definitionselemente eines sozialen Konfliktes nach F. Glasl (2002):
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3 KONFLIKTTYPEN Da wir uns hier aber auf die Bearbeitung von Konflikten im Bereich der Schule beschränken wollen, reicht für unsere Zwecke die Unterscheidung von: – intraindividuellen (innerpsychischen) Konflikten – interindividuellen (sozialen) Konflikten – strukturbedingten Konflikten in der Institution „Schule“ aus.
3.1 Intraindividuelle Konflikte: – Konflikt als Folge der Auflösung mehrerer Verhaltenstendenzen: z.B. verschiedene Alternativen, stehen dem Individuum offen. – Konflikt im Sinne der Unvereinbarkeit der Tendenzen: Es handelt sich hierbei um eine Inkompatibilität zwischen Zielsetzung und/oder Wertvorstellung des Individuums. – Konflikt als Störungssymptom: Der Konflikt wird in engem Zusammenhang mit emotionalen Reaktionen, insbesondere mit der Frustration, gesehen. – Konflikt als Moment des Orientierungsverlustes: Durch neuartige unübersichtliche Situationen kommt es zum Orientierungsverlust und dadurch wird das Verhaltensrepertoire erheblich eingeschränkt (z.B. stereotype Verhaltensweisen). – Konflikte als Entscheidungs- und Lösungsdruck: Störungen in der „inneren psychobiologischen Homöostase“ veranlassen das Individuum, nach Lösungsmöglichkeiten für Konflikte zu suchen, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist.
3.2. Interindividuelle Konflikte: Konflikte treten nicht nur im „Inneren“ von Individuen auf, sondern auch zwischen Einzelpersonen bzw. Gruppen. Interindividuelle Konflikte werden daher auch als soziale Konflikte bezeichnet.
3.2.1 Komponenten interindividueller (sozialer) Konflikte Vorbedingungen (z.B. Knappheit der Ressourcen, Unterschiedlichkeiten in Strategien) von Konfliktverhalten affektive Zustände (z.B. Stress, Spannung, Feindseligkeit, Angst usw.) der betroffenen Individuen, kognitive Zustände der Individuen (d.h. ihre Wahrnehmung oder ihr Bewusstsein von Konfliktsituationen) und Konfliktverhalten, angefangen vom passiven Widerstand bis zur offenen Aggression (Pondy 1975).
3.3 Strukturbedingte Konflikte: Jede Organisation ist durch eine bestimmte „strukturelle“ Gliederung gekennzeichnet. Diese Organisationsstrutur ist meist durch Regeln und Verhaltensvorschriften festgelegt. Sie deckt sich aber nicht immer mit dem, was an konkreten Handlungen in der Organisation beständig vollzogen wird.
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3.3 Konfliktdeterminanten Fürstenberg (1964) unterscheidet drei Bereiche von Konfliktdeterminanten:
1. Die institutionelle Rahmenordnung:
z.B. unterschiedliche Erwartungen und Ansprüche der Beteiligten, Rechtsposition der Lehrer/innen, Direktoren/Direktorinnen, Schülerinnen und Schüler etc.
2. Das soziale Interaktionsgefüge:
z.B. Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsmuster
3. Das Individuum:
Die Ursache der Konflikte wird im individuellen Erleben und der Verarbeitung konfliktträchtiger Situationen gesehen z.B. Werthaltungen, Überzeugungen, Wissensstand, Attitüden und damit verbundene Emotionen, Verhaltensrepertoire etc.
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3.4 Wie verhalten sich Menschen in Konflikten? (nach Gottfried Banner, 2009) – Vielfach sind die Grundformen des Auseinandersetzung im Konflikt immer noch: Kampf oder Flucht – Der eigene Gewinn kann nur durch den Verlust des Gegners erzielt werden (Nullsummenspiel) – Die eigenen Vorteile sollen durchgesetzt werden. Hierfür werden immer intensivere Mittel eingesetzt – Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst bei sich abzeichnenden Misserfolgen an der einmal eingenommenen Position festgehalten wird. – Ein Verlust an Differenzierung findet auf allen Ebenen statt. – Konfliktsituationen werden als Bedrohung der eigenen Sicherheit wahrgenommen. – Die Kommunikation mit dem Konfliktpartner wird im Verlauf weniger offen und transparent. Geheimniskrämerei und Unaufrichtigkeit nehmen zu. – Die Wahrnehmung der Unterschiede und Differenzen der Interessen treten stärker hervor. Das Trennende wird deutlicher gesehen als das Verbindende. – Vertrauen nimmt ab und Misstrauen wird stärker. Feindseligkeiten entwickeln sich. – Jeder versucht alleine zum Ziel zu gelangen, man will nicht abhängig sein und nicht ausgenutzt werden
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4 KONFLIKT – DIAGNOSE IN DREI SCHRITTEN (nach Friedrich Glasl, 2004)
4.1 Schritt I – Orientierung an Konflikttypen: Bevor ein Berater eine professionelle Diagnose erstellen kann, ist eine Einschätzung des Konflikttypus (sozialer Rahmen, Reichweite, Erscheinungsform) erforderlich, weil sich daraus unmittelbar Konsequenzen für das Handeln bei der Diagnose ergeben. Reichweite der Bemühungen: Wie weit wollen die Konfliktparteien offensichtlich und vordergründig mit der Auseinandersetzung gehen? Hier unterscheidet F. Glasl (2004): – Friktion: wenn es ihnen ausdrücklich um die Klärung einzelner Streitpunkte geht; – Positionskampf: wenn Einzelne um eine Machtverschiebung zwischen ihnen kämpfen; – Systemveränderungs-Konflikt: wenn es um das Durchsetzen oder Abwehren von umfassenderen Veränderungen eines ganzen Systems geht. Für die Bearbeitung von Friktionen reicht „Moderation“ bzw. „supervisorische Mediation“ aus, während für Positionskämpfe bereits „Konflikt-Prozessberatung“ erforderlich ist. Für Systemveränderungs-Konflikte ist ein Ansatz notwendig, der Organisationsentwicklung zu integrieren weiß. Arena des Konflikts – sozialer Rahmen: – mikro-soziale Konflikte: der Konflikt spielt sich in sehr kleinen Rahmen ab, etwa zwischen einigen Personen – meso-soziale Konflikte: der Konflikt zwischen Gruppen, Abteilungen, Organisationseinheiten – makro-soziale Konflikte: es ist die weitere Umgebung miteinbezogen Auch hier kann eingesehen werden, dass in einem mikro-sozialen Konflikt Methoden aus der Gruppendynamik wirksam sind, während man in meso-sozialen Konflikten auch Organisations- und Management-Kompetenz anwenden muss. Darüber hinaus werden in makro-sozialen Konflikten je nach der Situation auch politikwissenschaftliche, staatsrechtliche, ökonomische, soziologische, anthropologische und andere Kompetenzen benötigt. Erscheinungsformen des Konfliktes: – heiße Konflikte: Konflikte, in denen heiß und lautstark und offen gestritten wird – kalte Konflikte: das Bestehen von Konflikten wird geleugnet
4.2 Schritt II - die professionelle Diagnose der Drittpartei: 4.2.1Die Streitpunkte, die Konfliktthemen, die „Issues“: – – – – – –
Welche Streitfragen (Streitpunkte, Reibungspunkte usw.) bringen die Parteien selbst vor? Sind die Streitpunkte für jede Partei dieselben? Kennen die Parteien gegenseitig die Issues? Hängen die Issues miteinander zusammen? Welche Issues sind die Kern-Issues? Auf welche Issues sind die Parteien besonders fixiert?
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4.2.2 Der Konfliktprozess, die Eskalationsdynamik: – – – – –
Ist der Konflikt relativ stabil – oder sehr explosiv? Lassen sich die Momente erkennen, zu denen der Konflikt an Umfang gewonnen hat? Wann hat der Konflikt an Intensität gewonnen? Was erleben die Parteien selbst als die kritischsten Momente in der Konfliktgeschichte? Auf welchem Eskalationsgrad befindet sich der Konflikt zum gegenwärtigen Zeitpunkt?
4.2.3 Die Konfliktparteien, die Konfliktkonstellationen – Sind die Parteien Individuen oder Gruppen? Bei Gruppen als Konfliktparteien: – – – – –
Sind die Gruppen formlos oder straff organisiert? Gibt es deutliche Spielregeln für das parteiinterne Verhalten? Sind die Gruppen als Konfliktparteien gegeneinander abgegrenzt? Welche Personen spielen im Konflikt eine zentrale Rolle? Welche Positionen haben die Kernpersonen bzw. Exponenten in ihrer eigenen Partei oder Hintermannschaft? – Wie sehen die Rollen und Beziehungen innerhalb der Konfliktparteien aus?
4.2.4 Die Beziehungen zwischen den Konfliktparteien Formelle Beziehungen: – Wie sind die Position und die Beziehungen zwischen den Parteien formell umschrieben? – Welche Abhängigkeitsbeziehungen schafft die Organisation zwischen den Parteien? – Auf welche Weise ist die Organisationskultur, die Struktur usw. von Einfluss? Informelle Beziehungen: – – – –
Welche Bilder haben sich die Parteien voneinander gemacht? Welche Gefühle, welche innere Einstellung haben die Parteien zueinander? Wie ist das gegenseitige Verhalten der Parteien? Manövrieren sich die Parteien gegenseitig in bestimmte Rollen?
4.2.4 Die Grundeinstellungen der Konfliktparteien, das konkrete Strategie-Kalkül – – – – –
Wie denken die Konfliktparteien prinzipiell über Konflikte? Was wollen die Parteien mit diesem Konflikt im Besonderen erreichen? Welches Risiko wollen die Konfliktparteien dafür in Kauf nehmen? Wie schätzen die Parteien wirklich ihre Chancen ein, um ihr Ziel zu erreichen? Wie stehen die Konfliktparteien zu den in der Organisation vorhandenen Konfliktregulatoren?
4.3 Schritt III - Konflikt-Diagnose unter Beteiligung der Konfliktparteien: Bei Konflikten mit bloß mittlerer Eskalation (bis Stufe 5) ist eine Vertiefung der Diagnose mit den Konfliktparteien möglich und wünschenswert. Es ist sehr wichtig, dass nicht nur die Drittpartei ein deutliches Bild von der Konfliktsituation bekommt, sondern dass den Parteien geholfen wird, so viel wie möglich selbst gut zu durchschauen, in welcher Situation sie sich befinden.
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5 DYNAMIK DER KONFLIKTESKALATION 5.1 Die fünf Eskalationsstufen nach Louis Pondy: Vom latenten zum manifesten Konflikt. L. PONDY (1967) unterscheidet 5 Phasen des Eskalationsprozesses:
5.1.1 Der latente Konflikt: Verschiedene Faktoren können wirksam sein, die später zu einem offenen Konflikt führen. Vorerst sind sich die Parteien dieser Faktoren noch nicht bewusst, obwohl sie bereits unterschwellig das Verhalten der Parteien bestimmen. Dies kann der Wettkampf sein oder das Streben nach Autonomie, Unterschiede in der Zielauffassung etc.
5.1.2 Der perzipierte Konflikt: Die Konfliktparteien werden auf die Gegensätze aufmerksam. Es ist auch möglich, dass jemand Konflikte wahrnimmt, wo eigentlich noch keine vorliegen, bei Missverständnissen oder bei ungenauer Wahrnehmung können sich Spannungen einstellen, d.h. es können vermeintliche Konflikte perzipiert werden.
5.1.3 Der erlebte Konflikt: Die Spannungen werden schon tiefer als bloß kognitiv von den Betroffenen erlebt. Sie sind auch gefühlsmäßig in die Differenzen verwickelt und versuchen damit fertig zu werden.
5.1.4 Der manifeste Konflikt: Die wahrgenommenen und gefühlsmäßig erlebten Spannungen äußern sich nun im Konfliktverhalten. Es kommt zu offener oder verdeckter Gewaltanwendung und der Gegenseite werden Schaden oder Frustration zugefügt.
5.1.5 Nachwirkung der Konflikte: Die bisher erfolgten Auseinandersetzungen können zu einer Änderung der ursächlichen Faktoren führen, die einen latenten Konflikt bewirkt haben. Die gerade abgeschlossene Episode kann somit den Stoff für die nächste Episode liefern. Dadurch kann ein neuer Zyklus beginnen und die Faktoren 1 - 5 können lange Zeit unbemerkt in einer Organisation geschlummert haben, bis eine der Parteien darauf aufmerksam wird. Die Phasen 2 - 4 hingegen beschreiben Bewusstseinsstufen innerhalb der Parteien. Erst mit Phase 4 ist äußeres Verhalten gegeben. Der 5-Phasen-Zyklus von L. PONDY ist eigentlich kein Modell der Eskalation, weil es keine nähere Unterscheidung von Intensitätsstufen des gegenseitigen Verhaltens der Konfliktparteien bietet. Ein Eskalationsmodell müsste es ermöglichen, verschiedene Grade der Konfliktintensität in Wahrnehmung, Erleben und Handeln zu unterscheiden.
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DYNAMIK EINER KONFLIKTEPISODE nach Pondy 1975
Nachwirkungen der vorangegangenen Konfliktepisoden
1. Latenter Konflikt (Konfliktpotential)
3. Gefühlter Konflikt (Emotion)
2. Wahrgenommener Konflikt
4. Manifester Konflikt (Verhalten)
5. Konflikt und seine Nachwirkungen
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6 KONFLIKTESKALATION (nach Friedrich Glasl, 2002) Die Konflikteskalation nach Friedrich Glasl stellt ein Modell zur Verfügung, um Konflikte besser analysieren und während ihres Verlaufes besser reagieren zu können. Das Modell hat neun Stufen, welche sich in drei Ebenen mit jeweils drei Abstufungen teilen.
6.1 Ebenenmodell – Ebene (Win-Win) – Ebene (Win-Lose) – Ebene (Lose-Lose) In der ersten Ebene können beide Konfliktparteien noch gewinnen (Win-Win). In der zweiten Ebene verliert eine Partei, während die andere gewinnt (Win-Lose) und in der dritten Ebene verlieren beide Parteien (Lose-Lose).
6.2 Die 9 Stufen der Konflikteskalation Friedrich Glasl beschreibt in seinem Standardwerk Konfliktmanagement, wie sich ein Konflikt typischerweise aufschaukelt. Interessanterweise kann man die unterschiedlichsten Konflikte damit analysieren: Rosenkriege, Konflikte zwischen Kollegen oder Schülern und auch Konflikte zwischen Staaten.
1. Ebene (Win-Win) Stufe 1: Spannung Konflikte beginnen mit Spannungen, z.B. gelegentliches Aufeinanderprallen von Meinungen. Es ist alltäglich und wird nicht als Beginn eines Konflikts wahrgenommen. Wenn daraus doch ein Konflikt entsteht, werden die Meinungen fundamentaler. Der Konflikt könnte tiefere Ursachen haben.
Stufe 2: Debatte Ab hier überlegen sich die Konfliktpartner Strategien, um den Anderen von seinen Argumenten zu überzeugen. Meinungsverschiedenheiten führen zu einem Streit. Man will den Anderen unter Druck setzen.
Stufe 3: Taten statt Worte Die Konfliktpartner erhöhen den Druck auf den Anderen, um sich oder seine Meinung durchzusetzen. Gespräche werden z.B. abgebrochen. Es findet keine Kommunikation mehr statt und der Konflikt verschärft sich schneller.
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2. Ebene (Win-Lose) Stufe 4: Koalitionen Der Konflikt verschärft sich dadurch, dass man Sympathisanten für seine Sache sucht. Da man sich im Recht glaubt, kann man den Gegner denunzieren. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern darum, den Konflikt zu gewinnen, damit der Gegner verliert.
Stufe 5: Gesichtsverlust Der Gegner soll in seiner Identität vernichtet werden durch alle möglichen Unterstellungen oder Ähnliches. Hier ist der Vertrauensverlust vollständig. Gesichtsverlust bedeutet in diesem Sinne Verlust der moralischen Glaubwürdigkeit.
Stufe 6: Drohstrategien Mit Drohungen versuchen die Konfliktparteien, die Situation absolut zu kontrollieren. Sie soll die eigene Macht veranschaulichen. Man droht z.B. mit einer Forderung (10 Mio. Euro), die durch eine Sanktion ("Sonst sprenge ich Ihr Hauptgebäude in die Luft!") verschärft und durch das Sanktionspotential (Sprengstoff zeigen) untermauert wird. Hier entscheiden die Proportionen über die Glaubwürdigkeit der Drohung.
3. Ebene (Lose-Lose) Stufe 7: Begrenzte Vernichtung Hier soll dem Gegner mit allen Tricks empfindlich geschadet werden. Der Gegner wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen. Ab hier wird ein begrenzter eigener Schaden schon als Gewinn angesehen, sollte der des Gegners größer sein.
Stufe 8: Zersplitterung Der Gegner soll mit Vernichtungsaktionen zerstört werden.
Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund Ab hier kalkuliert man die eigene Vernichtung mit ein, um den Gegner zu besiegen. Dieses Modell ist ein Diagnoseschema, dem Friedrich Glasl folgende Strategiemodelle zuweist: Stufe 1 - 3: Stufe 3 - 5: Stufe 4 - 6: Stufe 5 - 7: Stufe 6 - 8: Stufe 7 - 9:
Moderation Prozessbegleitung sozio-therapeutische Prozessbegleitung Vermittlung / Mediation Schiedsverfahren / Gerichtliches Verfahren Machteingriff
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7 KONFLIKTREGELUNG 7.1 Die Frage nach dem Problembesitz (nach Th. Gordon, 1977) Für eine erfolgreiche Konfliktregelung ist es notwendig, dass die/der Lehrer/in in der Lage ist, zwischen Problemen zu unterscheiden, die in der Person des Gesprächspartners existieren, und solchen, die seinen eigenen Interessen und Bedürfnissen im Wege stehen.
1. Gesprächspartner besitzt das Problem
z.B. Eine Lehrerin beklagt sich beim Direktor darüber, dass sie wieder zum Vertretungsunterricht eingeteilt wurde.
2. Kein Problem
Beide Gesprächspartner können sachlich an einem Problem arbeiten (z.B. Direktor und sein Stellvertreter korrigieren den Vertretungsplan).
3. Ich besitze das Problem
z.B. Der Direktor kommt 5 Minuten, nachdem es am Ende der großen Pause zum Unterricht geläutet hat, in das Lehrerzimmer und sieht dort 3 Lehrer im Gespräch miteinander sitzen, die eigentlich im Unterricht sein sollten.
(hier aus der Sicht des Direktors)
7.1.1 Wer hat den Konflikt? „Habe ich einen Konflikt?“ – oder „Hat der Konflikt mich?“ 1. Sachliche Differenzen Wir haben den Konflikt
Selbsthilfe
2. Persönliche Differenzen Nachbarschaftshilfe
3. Konflikt über den Konflikt Der Konflikt hat uns 4. Konflikt über die Konfliktlösung
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Professionelle Hilfe
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7.2 Konfliktregelung in Gruppen nach Friedrich Glasl (2002) Es lassen sich folgende Muster der Konflikthandhabung nennen, die im zunehmenden Maße die Reife einer sozialen Gruppe spiegeln:
1.
Unterdrückung:
z.B. unter Ausübung von Macht oder Gewalt
2.
Eliminierung:
z.B. der Gegner wird verspottet, diffamiert, ignoriert etc.
3.
Vermeiden, Ablenken, Verzögern:
z.B. werden schwebende Differenzen und Konflikte verleugnet, verdrängt etc.
4.
Verbündete suchen:
z.B. werden Fragen auf die Machtebene verschoben, Cliquenbildung etc.
5.
Suche nach einer autoritativen Regelung:
z.B. Gruppe ruft nach einer formalen oder juristischen Autorität etc.
6.
Allianz:
z.B. der Konflikt wird auf Eis gelegt, unter Umgehung des zentralen Konfliktes wird ein Bündnis geschlossen etc.
7.
Kompromiss:
z.B. jede Partei macht Zugeständnisse etc.
8.
Integration:
z.B. Unterschiede zwischen den Parteien werden respektiert, es wird versucht, den Gegner zu verstehen, Meinungen werden diskutiert etc.
7.3 Konfliktlösungskompetenzen 7.3.1Konfrontative Kompetenzen:
Grenzen ziehen und vertreten können Eigene Gefühle zulassen und artikulieren Einen klaren Standpunkt einnehmen Das eigene Selbstwertgefühl stärken Die eigenen Schritte transparent machen In Kontakt mit sich bleiben Bedürfnisse und Wünsche artikulieren
7.3.2 Kooperative Kompetenzen:
Perspektivenwechsel Botschaften des Konfliktpartners ernst nehmen Für Waffengleichheit sorgen Über Vorstellungen beider Seiten sprechen Wertschätzung/ Respekt beibehalten können Einigung im Blick haben Fehler zugeben können Die eigene Haltung nötigenfalls ändern Beziehung beibehalten
7.3.3 Deeskalierende Kompetenzen: Nicht auf emotionale Ausbrüche reagieren Dr. Hans Smoliner: Soziale Konflikte
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Keine Aktionen setzen die zum Gesichtsverlust des Kontrahenten führen Keine einseitigen Schuldzuweisungen Die eigenen Schritte transparent machen Zeit nehmen/ Entschleunigen Gemeinsame Gespräche statt vollendeter Tatsachen Kontrolle der eigenen Gefühle Die körperliche und psychische Integrität des Gegners wahren
7.3.4 Kommunikative Kompetenzen:
Eigene Bedürfnisse und Sichtweisen so formulieren, dass sich der Konfliktpartner nicht angegriffen fühlt Rückmeldung geben Über sich reden Aufmerksam zuhören und ausreden lassen Position und Bedürfnis, Mensch und Problem unterscheiden können Folgen des eigenen Handelns einschätzen können Gewahrsein der körperlichen Reaktionen Empathie/ Einfühlungsvermögen entwickeln
8 KONFLIKTBEARBEITUNGSMODELLE 8.1 Ablaufschritte GORDON
SCHWÄBISCH/SIEMS 1. Anmeldung der Störung
eigene Schritte 1. Kontakt 2. Annahme
2. Herausarbeiten der Den Konflikt identifizieren und defiHintergrundbedürfnisse nieren 3. Umformulierung der Störungen
3. Konfliktanalyse
2. 3.
Mögliche Lösungen entwickeln 4. Brainstorming für mögliche Alternativlösungen kritisch bewerten Lösungen
4. Lösungsmöglichkeiten
4.
Sich für die beste Lösung entscheiden
5. Entscheidung
5.
Die Entscheidung ausführen
6. Realisierung
6.
Nachfolgende kritische Bewertung
7. Kontrolle
1.
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5. Einigung auf die beste Lösung
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8.2 Kooperative Konfliktregelung in der Schule SCHÜLERBERATUNG IM SCHNITTPUNKT SCHÜLER - LEHRER - FAMILIE (Higer/Smoliner, 2001)
Schulproblem tritt auf
Lehrer od. Eltern informieren SB
Problemklärung durch SB
Schulproblem als Ausdruck eines Familienproblems
Problem als Ausdruck eines Schulproblems
Ind. Problem des Schülers z.B. Lernprobleme etc.
Rollen- und Aufgabenklärung durch SB Was kann ich selber lösen, was muss ich delegieren?
Elternberatung
Lehrerberatung, Arbeiten mit der Klasse
Schülerberatung
Helfersysteme: Jugendamt, PPD, Schulpsychologie
Helfersysteme: Schulleiter, BSI, Schulpsychologie
Helfersysteme: Schulpsychologie,
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Psychotherapeuten etc.
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8.3 Konflikt und Problemanalyse im System Schule
PROBLEM- und KONFLIKTANALYSE
Pädagogische Interventionen
Klassenvorstand Klassenlehrer
Methodik / Didaktik Soziales Lernen
Administrative Organisatorische Interventionen
Beraterische Interventionen
Therapeutische Interventionen
Direktor Klassenvorstand BSI
Schülerberater Vertrauenslehrer Klassenvorstand Schulpsychologie
Schulpsychologie PPD Psychotherapeute n
Päd. Konferenzen Org. Maßnahmen Verhandlungen
Beratungsgespräch Mediation Konfliktgespräch
Psych. Beratung Supervision Psychotherapie
(Higer/Smoliner, 2001)
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9 METHODEN der KOOPERATIVEN KONFLIKTREGELUNG GESPRÄCHSFORM
IM BRENNPUNKT
Beratung:
der/die Andere/n
Mediation:
die Streitenden
Konfliktgespräch:
der/die Andere/n und ich selbst als Streitende/r
Verhandlung:
das Ziel
9.1 Das Beratungsgespräch SCHRITTE DES BERATUNGSPROZESSES
LEITGEDANKEN
Grundphase: GESPRÄCHSERÖFFNUNG
Klärung der Beziehung
1. Phase: KONTAKT HERSTELLEN
Aktives Zuhören - auf den Klienten eingehen, Verständnis zeigen
2. Phase: PROBLEMANALYSE
Das Problem erkennen und verstehen
3. Phase: ENTSCHEIDUNGSFINDUNG
Lösungswege erarbeiten
4. Phase: REALISIERUNG
Hilfen zur Durchführung erarbeiten.
Grundphase: Gesprächseröffnung Klärung der Beziehung Berater - Ratsuchender Warum kommt der Klient? (Wer will was von wem?) Kommt der Klient freiwillig?
Was erwartet der Klient vom Berater? Örtliche Gegebenheiten, Zeitproblem
1. Phase: Kontakt und Rapport herstellen Den Klienten und dessen Probleme annehmen und verstehen. Das Problem soll konkret beschrieben werden. Welche Gefühle und Gedanken habe ich dabei? Wichtig sind in dieser Phase Wertschätzung und Echtheit. Effekt: Das Problem kann anders gesehen werden. Methodische Hilfen: Zuhören u. Anschauen (zugewandte Haltung) Durch nicht verbale Äußerungen ermutigen Gedanken, Gefühle des Klienten akzeptieren Nonverbale Zeichen beobachten und Rückmeldung geben, Probleme, Wünsche, Gefühle des Klienten verbalisie- reversible Sprache benutzen! ren (und verstärken)
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2. Phase: Problemanalyse / Bedingungsanalyse Die Probleme erkennen und ernst nehmen, verbalisieren. Das Problem in Zusammenhänge stellen und analysieren. Die Bedingungen müssen geklärt werden, die zu dem Problem führen oder das Problem aufrechterhalten. Wichtig: Einfühlendes Verhalten zeigen. Effekt: Veränderbare Bedingungen können erkannt werden. Methodische Hilfen: Verbalisieren möglichst aller Konflikte, die Teil des Problems sind (Was ist das Problem? Für wen ist es ein Problem?) Bei der Problembeschreibung helfen
Problem klar formulieren (seit wann ist es ein Problem? etc.) Interessen und Wünsche des Klienten hier und jetzt klären (Welche Lösungsmöglichkeiten werden derzeit angewandt?)
3. Phase: Entscheidungsfindung Zielanalyse und Lösungswahl. Der Klient kann sich jetzt darüber klar werden, ob er überhaupt eine Problemlösung möchte, nachdem er das Problem genauer sieht. Jetzt werden die Ziele möglicher Veränderungen aufgestellt. Entsprechende Lösungen sollen ungezwungen und zunächst ohne Wertung gesammelt werden. Auch außergewöhnliche Lösungen werden beachtet. Anschließend werden die Lösungsmöglichkeiten theoretisch auf Brauchbarkeit hin bewertet und ausgewählt; es wird gefragt, ob die Lösungen durchführbar sind und die Ziele angestrengt werden können. Effekt: Mögliche Ziele und Lösungsmöglichkeiten werden erkannt. Es entwickelt sich Einsicht. Methodische Hilfen: Zusammenhang zwischen Bedürfnissen und Alternativen herstellen (Lösungsmöglichkeiten erarbeiten, Information geben, Alternativen reihen, persönlich relevante Aspekte gewichten) Eigeninitiative des Klienten verstärken
Alternativen formulieren und sammeln (positive und negative Aspekte überlegen, Konsequenzen durchdenken, Risiko, Erfolgswahrscheinlichkeit) Kompetenzfragen klären (entscheiden, begründen, "überschlafen")
4. Phase: Realisierung Die Bedingungen für die Durchführung der Lösungen werden geplant und organisiert. Danach wird versucht, die Lösung durchzuführen. Ziel und realisierte Lösung werden verglichen. Wenn das Ziel nicht erreicht wird, wird überprüft, bei welchen Schritten mögliche Fehler gemacht wurden. Effekt: Mögliche Problemlösungserfolge werden kontrolliert, Scheinerfolge werden eher vermieden. Methodische Hilfen: Realisierungshilfen anbieten (Was steht der Umsetzung z. B. Lernpläne erstellen im Wege? Was muss zuerst gemacht werden?) Weitere Gespräche anbieten bzw. vermitteln Kontrolle
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9.2 Das Mediationsgespräch (nach Hagedorn, 1994)
0. Vorlaufphase: INFORMATION
Stress abbauen ungestörte Rede – nacheinander, keine Beschimpfungen
1. Phase: DEFINITION
subjektive Konfliktdarstellung aktives Zuhören und Spiegeln Probleme zusammenfassen, Synthese vergewissern über treffende Definition
2. Phase: ERHELLUNG
Gefühle annehmen Ziele und Interesse klären Beziehungen klären Wünsche und Idealvorstellungen entlocken Vergewissern über treffende Erhellung
3. Phase: SAMMLUNG
Lösungsvorschläge entgegennehmen – keine Tabus! Sichtung verhandelbarer Lösungen Einvernehmen für beide Parteien erfragen
4. Phase: VEREINBARUNG
Beratung der Modalitäten (wer, was, wann, wie lange, als Versuch) Bestätigung der sozialen Leistung Vertragshandlung (Handschlag, Vertrag etc.)
5. Nachbearbeitungsphase: BEWERTUNG
Ertrag der Effektivität Bestärkung der sozialen Kräfte Bei Ineffektivität Rückschau auf die Verhandlung, erneuter Einstieg bei Phase 3
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9.2.1 Konflikt – Perspektiv - Analyse (KPA) Die ersten beiden Stufen sind Grundbedingung für einen Perspektivenwechsel. Es handelt sich um: – Die Wiedererlangung der Fähigkeit, überhaupt anzuhören, was die andere Partei sagt und – um die Bereitschaft, dieses zu wiederholen (das vom anderen Gesagte selbst „in den Mund zu nehmen“). Zusätzlich geht es darum, glauben zu können, dass der Gegner das, was er sagt, selbst tatsächlich glaubt und es nicht nur aus strategischen Gründen behauptet. Erst nach Überwindung dieser drei Stufen, welche die MediatorInnen durch geeignete Interventionen unterstützen, sind Konfliktbeteiligte bereit, das Wagnis einzugehen, die Sichtweise der anderen Partei auch nur für einen kurzen Moment einzunehmen. Der eigentliche Moment des Perspektivwechsels bleibt indes eine spontane Angelegenheit und ist nicht zu erzwingen. Dennoch passiert er nicht zufällig; bestimmte Techniken und Methoden machen es wahrscheinlicher, dass es den Parteien gelingt, bildlich gesprochen, vom eigenen Stuhl aufzustehen, Schritte in Richtung der Anderen zu gehen und sich geradezu in sie hineinzuversetzen. Gelingt dies, erleben die Parteien oft einen befreienden „Aha-Effekt“. Schließlich geht es nicht nur um ein rationales Nachvollziehen der fremden Argumente, sondern im Kern um ein emotionales Verstehen, um Mitgefühl und echte Betroffenheit und damit um die Erarbeitung weiterer Stufen der Anerkennung. Auf der nächsten Stufe erkennen die Parteien an, dass ihre unterschiedlichen Wahrheiten beide eine Existenzberechtigung haben und können dann die eigene Wahrheit, ebenfalls als Teilwahrheit relativieren. Entscheidungsraster für die Bearbeitung von Konflikten mit Hilfe von Mediation
Energiezustand: niedrig
Energiezustand: mittel
Energiezustand: hoch
Komplexität: gering
Kosten/Nutzen-Verhältnis prüfen!
Mit Mediation kostengünstiger als ohne
Eingriff von außen nötig
Komplexität: mittel
Mediation angenehm und sinnvoll
Mediation notwendig Stopp der Dynamik
Schutz der Beteiligten!
Komplexität: hoch
Mediation empfehlenswert
Ohne Unterstützung Schäden unvermeidbar
(Erst im 2. Schritt Konfliktbearbeitung)
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9.3 Das Konfliktgespräch – methodische Hilfen 9.3.1 Kernfragen der Konfliktberatung: (nach Reichel, Rabenstein, 2001) – Wer zeigt sich betroffen? Wer ist involviert? – Für wen ist der Konflikt wie aktuell, bedeutsam, brennend? Sind die Richtigen hier? Ist es der richtige Rahmen, der richtige Zeitpunkt? – Welche Konfliktthemen werden genannt? Worum geht es? Welche Positionen, Gefühle und Bedürfnisse werden genannt und gegenseitig verstanden (!)? Sprechen die Beteiligten in der Ichform (statt „man“ oder „wir“)? Wird konkret statt verallgemeinernd beschrieben? Wie wird der Konflikt bewertet? – Welche Lösungsversuche sind bereits unternommen worden, was gelingt? Welche Ressourcen haben die Beteiligten, die sie hier nützen (könnten)!? – Wie sieht das gute Ergebnis der Konfliktbehandlung aus, was ist danach besser? Woran erkennen die Beteiligten, dass ihnen die Konfliktberatung gut getan hat? Was sind die Ziele, die Bedürfnisse? (Sehr bald abfragen!) – Was ist das Nützliche am derzeitigen Konflikt? Was kostete er? – Wie könnten die Einzelnen den Konflikt verschlimmern? Was geschieht, wenn nichts geschieht? Was wäre das Schlimmste, was kommen könnte? – Wie kommen die Beteiligten vom „Verteidigen der Positionen“ zum „Verhandeln von Bedürfnissen“? – Wie gelingt es, vom „Entweder-oder“ zum „Sowohl-als-auch“ zu kommen? – Welche Lösungsideen werden erfunden, vorgeschlagen? Welche vertrauensbildenden Angebote können einander gemacht werden? Welcher Lösung können alle Beteiligten zustimmen? Was sind die ersten Schritte einer neuen Vereinbarung? Was wird sie bringen, was wird sie kosten?
9.3.2 Vier Fragen zu Konflikten in Gruppen/Teams (Quelle: Paul Eichinger) – – – – –
Was ist dein Traum von diesem Team (bzw. Gruppe, Zusammenarbeit …)? Was ist deine größte und was deine kleinste Schwierigkeit, hier zu dem zu kommen, was du brauchst? Was tut ihr bereits, damit es trotzdem klappt? Welche Ideen gibt es jetzt für die nächste Zeit? Was wollt ihr in nächster Zeit probieren?
9.3.3 Fragen zu Konflikt Auswirkung Konfliktbeschreibung in Kurzforum: – – – – – – –
Was kostet mich der Konflikt? Was nützt er mir? Für wen ist der Nutzen höher als für mich? Für wen sind die Kosten höher als für mich? Wie ist es, wenn der Konflikt gelöst ist? Was kann ich tun, dass der Konflikt sicher schlimmer wird? Was kommt auf mich nach der Lösung zu?
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9.3.4 Konfliktkalkül: Kosten-Nutzenbilanz (Quelle: Friedrich Glasl)
Kosten des Konflikt (-Verhaltens)
Nutzen/Gewinn des Konflikt (-Verhaltens)
derzeit:
derzeit:
künftig bei „so weiter“:
künftig bei „so weiter“
künftig bei „verändert“:
künftig bei „verändert“
9.3.5 Schritte/Fragen zur Konflikt-Regelung (Quelle: systemisch, traditionell) – – – – –
Thema: Was ist los, worum geht`s? Wer ist beteiligt – gibt es Parteien? (Wer beschreibt welche?) Was haben wir bereits probiert? (Was haben Sie bereits probiert?) Was hat genützt – was weniger? Was ist noch nicht probiert? Wenn wir versuchen XY zu tun, was könnte passieren? (Szenarien – möglichst mehrere!) – Das probieren wir ab jetzt … Wen/was brauche ich dazu? Was haben wir schon? – Reflexion nach kurzer Zeit – neue Entscheidung.
9.3.6 Konfliktmoderation mit Teams/Gruppen – ein Modell (Quelle: Eva Scala, angeregt durch Alexander Redlich, Konfliktmoderation, Windmühle Verlag)
Grundidee des Vorgehens: Moderation bedeutet, einen Kommunikationsprozess eröffnen, ausweiten, mit Ideen und Alternativen bereichern, verdeutlichen, entscheiden, konkretisieren und beschließen. Komplexität managen
Kontrakt mit Auftraggeber klären: Was sind seine Ziele? Steht er/sie dahinter?
Einstieg: Kontakt schaffen – „Wüste der Fassaden bewässern“ Bereitschaft der Konfliktparteien erheben: Besteht ein grundsätzlicher Glaube an eine Verständigung? Rolle der/des Moderatorin/Moderators erklären: Er schafft einen passenden Rahmen, ist kein Schiedsrichter! Hoffnungen und Befürchtungen der Teilnehmer/innen erheben, auf Flipchart oder Pinwand aufschreiben.
Auftrag klären: „festen Boden gewinnen“ Anliegen sammeln und klären, was bearbeitet werden kann.
Sichtweisen klären: „Dickicht der Argumente lichten“ Parteien auseinander setzen: Die Moderatorin spricht zuerst mit der einen, dann mit der anderen Partei und schreibt das Wesentliche auf (spiegelt es vorher). Die zeitliche Balance muss beachtet und oft zwischen den Parteien gewechselt werden! Nach Abschluss der Interviews die Gegenpartei nach Reaktionen fragen. Eventuell zum Abschluss: Reflecting-Team
Verhandeln: Lösungsmöglichkeiten – „Positionen in Bewegung bringen“ Die Streitparteien erarbeiten Lösungsideen (eventuell getrennt). Darauf aufmerksam machen, dass es zunächst die Bearbeitung von Dissens ist, keine Lösung.
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Umsetzung: Auswahl der passenden Lösungen – „Auf den Punkt bringen“ a) Auswahl und konkretes Vorgehen: Was wird wie, bis wann, von wem geregelt? b) Kontrolle
Abschiedsstimmungsbild Bezieht sich auf c).
Merkmale: – – – – – –
eine angemessene Ungewöhnlichkeit der Gesprächsgestaltung kein Ruck auf eine schnelle Lösung, um der unangenehmen Situation zu entkommen durch Verzögerungseffekte Erweiterung des Reflexions- und Handlungsrahmens kein Unterbrechen und Aufschaukeln - übliche Handlungsmuster werden unterbrochen Haltung des Moderators: interessiert, distanziert, nicht wissend jede Partei kann die andere im Gespräch mit dem Moderator erleben
9.3.7 Phasen der Konfliktberatung: I. Phase: Einleitung Allgemeine Information über Hintergrund und Auslöser des Konfliktes Betonung des gemeinsamen Anliegens Grundsätze der Konfliktregelung darlegen
II. Phase: Konfliktbeschreibung und Konsensbildung Beschreibung des Konfliktes aus der Sicht aller betroffenen Parteien Zerlegung des Konflikts in Teilkomponenten Abgrenzung der Komponenten Präzise Beschreibung des Konflikts möglich? Weitere Informationsbeschaffung Formulierung des konflikthaften Istzustandes Besteht Konsens über die Beschreibung des Istzustandes?
III. Phase: Beschreibung eines von den Konfliktparteien akzeptierten Zielzustandes und eines Weges zu dessen Erreichung Vorläufige Beschreibung von alternativen Zielzuständen Vorläufige Beschreibung von alternativen Wegen zur Erreichung der Zielzustände Vergleich und Bewertung der vorgeschlagenen Alternativen Formulierung eines akzeptierbaren Zielzustandes und Weges möglich? Weiter Informationsbeschaffung Formulierung eines von allen Konfliktparteien akzeptierten Zielzustandes und eines Weges zu dessen Erreichung Sind Ziel und Weg umsetzbar? Ist der Konflikt für alle Betroffenen zufriedenstellend geregelt?
IV. Phase: Erfolgssicherung Konkrete Beschreibung der von jeder Partei aufgrund der Konsensbildung geforderten Verhaltensform bzw. der zu leistenden Arbeit Festlegung von Ort und Termin der Erfolgskontrolle
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9.4 Kollegiale Beratung (nach Doris Kessler, Dagmar Strohmeier, „Gewaltprävention an Schulen“, 2009) In einer kollegialen Beratung treffen sich (zumeist regelmäßig) Personen aus dem gleichen Berufsfeld, die daran interessiert sind, über ihre Arbeit, ihre „Fälle“ oder Konflikte zu berichten. Aus den Rückmeldungen der Gruppe erlangt die Person, die einen Fall einbringt, neue Erkenntnisse, erweitert damit ihr Verständnis und kann neue Handlungsschritte gehen. Eine Person aus der Gruppe übernimmt die Moderation und achtet auf den Ablauf.
Folgender Ablauf für eine kollegiale Beratung kann empfohlen werden: Klare Rollenverteilung in der Gruppe (max. 10 Personen) Moderator/in (Bring selbst kein Thema ein) sorgt für Rollenklärung und den raschen Ablauf der einzelnen Schritte; Fallbringer/in; Protokollführer/in; Hüter/in der Zeit; Mitdenker/innen. Arbeitszeit pro Fall: etwa 30 Minuten 1.
Schritt: Fallbringer/in berichtet über schwierige Situation. Was ist für das Hier und Jetzt wichtig? Die Gruppenmitglieder unterbrechen nicht, hören aufmerksam zu. Dauer: 4-7 Minuten
2.
Schritt: Die Gruppenbitglieder stellen eventuell Fragen (nur offene Fragen) an den Fallbringer / die Fallbringerin.
3.
Schritt: Kurzes Nachdenken in der Gruppe. Dauer: 3 Minuten
4.
Schritt: Die Gruppenmitglieder richten Ideen und Vorschläge an den Moderator / die Moderatorin. Der Fallbringer / die Fallbringerin hört nur zu! Dauer: max. 10 Minuten
5.
Schritt: Der Fallbringer / die Fallbringerin wählt aus den Vorschlägen aus und entwickelt mögliche Handlungsschritte.
Vorteile der kollegialen Beratung für die Person, die den Fall einbringt: – kommt aus der schwierigen Lage, allein ein Problem lösen zu müssen, heraus – erlebt Kolleg/innen als aufmerksame Zuhörer/innen, die ihre Sichtweise, ihre Kreativität und Kompetenz einbringen – bekommt viele (praktikable) neue Ideen und Handlungsvorschläge – erkennt Ressourcen von Kolleg/innen für die Zukunft – ist bereit, selbst auch Hilfestellung zu geben
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9.5 Verhandlung (nach Barbara Schott/Klaus Birker: „Kompetent verhandeln“ rororo Sachbuch, 1995) LEITFADEN für die VORBEREITUNG
AUSFÜHRUNG
VORÜBERLEGUNG: Wie wird die Gesprächssituation sein und was muss ich noch herausfinden? Was erwartet mich und was muss ich daher für die Planung berücksichtigen (zeitliche, örtliche Umstände, Rollenverteilung etc.)? Aufmerksamkeit der Zuhörer/innen errei1. Worum geht es? Was ist das Ziel des Argumentierens? Mit welchen. Was spricht das Herz an (Bild, Gecher Absicht spreche ich? schichte, provokante Frage etc.)?
2. Was ist Gegenstand, das Thema, die Ausgangssituation? Ist- Die Lage/Situation/das Problem/das AnAnalyse: Wie sind die Zustände, was ist? liegen darstellen.
3. Stattdessen? Wie könnte die Zukunft aussehen?
Worin besteht die Verbesserung/der Gewinn (für die Anderen)?
Was spricht für und was gegen eine Veränderung des Ist- Pro und Kontra der verschiedenen AuffasZustandes? Argumente sammeln (Gewinn für Andere überlegen). sungen sammeln.
Welche Schwierigkeiten sind zu erwarten? Mögliche GegenarguErreichte Übereinstimmung und Meimente und Antworten darauf überlegen. Welche förderlichen Benungsunterschiede formulieren. dingungen und Ressourcen gibt es?
Wie könnte der Abschluss aussehen?
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Ergebnisse zu einem Maßnahmen- bzw. Tätigkeitskatalog zusammenfassen, den ersten Schritt bestimmen.
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10 LITERATURHINWEISE: Th. Fleischer: F. Glasl:
„Zur Verbesserung der sozialen Kompetenz von Lehrern und Schulleitern“, Schneider Verlag 1990 „Selbsthilfe in Konflikten“, Verlag Freies Geistesleben, 2002
F. Glasl:
„Selbsthilfe in Konflikten“, Verlag freies Geistesleben, 2002
F. Glasl:
„Konfliktmanagement“, Verlag freies Geistesleben, 1994
T. Gordon:
„Familienkonferenz“, Heyne Sachbuch 1970
T. Gordon:
„Lehrer-Schüler-Konferenz“, Heyne Sachbuch 1974
O. Hagedorn:
„Konfliktlotsen“, Ernst Klett Verlag, 1994
D. Kessler/ D. Strohmeier:
Gewaltprävention an Schulen, Özeps, 2009
H. Knödler
Problemschüler-Problemfamilien, Beltz,1995
R. Mitschka:
„Sich auseinander setzen- miteinander reden“ Veritas 2002
R. Reichel, R. Rabenstein:
„kreativ beraten“, Ökotopia Verlag, 2001
F. Schulz von Thun:
„Miteinander Reden 1“, rororo Sachbuch 1988
F. Schulz von Thun:
„Miteinander Reden 2“, rororo Sachbuch 1992
Ch. Thomann, F. Schulz von Thun:
„Klärungshilfen“, rororo Sachbuch 1988
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11 ANHANG: