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Nachkommen psychisch kranker Eltern. Ein Blick aus der Perspektive der Erwachsenenpsychiatrie PD Dr. med. Dr. phil. Daniel Sollberger Chefarzt ZPP / ZPS Workshop-Tagung der KJPK Basel, 4. Februar 2016
Nachkommen psychisch kranker Eltern
«[…] daheim ist wie der schwarze, giftige Ort und dort bei meiner Freundin ist wie der schöne warme Ort […]. Es passt nicht zusammen, diese beiden Welten.[…] wenn jemand wirklich normal und warm ist, kann der das nicht verstehen wie meine Mutter ist. Das überfordert jemanden völlig. Ich meine, mich überfordert es ja auch […] und das hat nicht dürfen zusammen kommen.» (39-jährige Tochter einer schizophren erkrankten Mutter, 61. Gesprächsminute)
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2000
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Nachkommen psychisch kranker Eltern
Übersicht 1. Einführung und Epidemiologie 2. Resultate einer SNF-Studie 2.1 Psychologische Aspekte Tabuisierung 2.2 Soziologische Aspekte Stigmatisierung und Alterität 2.3 Psychodynamische Aspekte Gefühl der Andersartigkeit 3. Interventionen
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2008
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2012
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Nachkommen psychisch kranker Eltern
Übersicht 1. Einführung und Epidemiologie 2. Resultate einer SNF-Studie 2.1 Psychologische Aspekte Tabuisierung 2.2 Soziologische Aspekte Stigmatisierung und Alterität 2.3 Psychodynamische Aspekte Gefühl der Andersartigkeit 3. Interventionen
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Einführung und Epidemiologie
Prävalenz psychisch kranker Eltern mind. 20‘000 (bis 50‘000) Kinder leben in der Schweiz mit ihren psychisch kranken Eltern zusammen (Gurny et al. 2007). Kein Unterschied in der durchschnittlichen Kinderzahl von gesunden und psychisch kranken Eltern (Hinden et al. 2006)
30% (bis zu 50%) psychisch kranker Menschen sind Eltern (Sommer et al. 2001; Goepfert et al. 1996)
15-30% psychiatrisch hospitalisierter PatientInnen in der Schweiz und in Deutschland sind Eltern minderjähriger Kinder (Gundelfinger 1997; Lenz 2005, vgl. auch Östmann & Hansson 2002)
Ca. 3/4 der kranken Eltern leben mit ihren minderjährigen Kindern zusammen (Lenz 2005, Nicholson et al. 2001)
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Einführung und Epidemiologie
Prävalenz psychischer Störungen bei den betroffenen Kindern ca. 25-50% der Betroffenen leiden unter psychischen Störungen; 1/3 zeigen keine, 1/3 transiente, 1/3 bleibende psychiatrische Störungen (Rutter & Quinton 1984) 2-3(bis4-)fach erhöhtes Risiko für eine psychische Störung gegenüber Kindern in der Allgemeinbevölkerung mit psychisch gesunden Eltern (Beardslee et al., 2003)
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Einführung und Epidemiologie
Prävalenz für Schizophrenie
Abb. 1: Lebenslanges Risiko für Schizophrenie (Aichhorn 2009)
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Einführung und Epidemiologie
Prävalenz für unipolare Depression
Abb. 2: Risiko für unipolare Depression bei Verwandten unipolar Depressiver. (Schosser et al. 2006)
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Einführung und Epidemiologie
Prävalenz psychischer Störungen bei den betroffenen Kindern Ca. 61 % der Kinder von Eltern mit einer Major Depression im entwickeln im Verlaufe der Kindheit/Jugend eine psychische Störung (Beardslee, 2002; Beardslee et al., 2003): Angststörungen Störungen im Sozialverhalten Leistungsprobleme in der Schule Einschränkungen in den Bindungsfähigkeiten
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Einführung und Epidemiologie
Prävalenz psychischer Störungen bei den betroffenen Kindern Kindern von Eltern mit Persönlichkeitsstörungen und Abhängigkeitserkrankungen zeigen ungünstigste Entwicklungsverläufe (Laucht, Esser & Schmidt, 1997 «Mannheimer Risikokinderstudie»)
9- bis 13-jährige Kinder von Müttern mit einer BorderlinePersönlichkeitsstörung weisen im Vergleich zu Müttern mit anderen Persönlichkeitsstörungen signifikant mehr psychische Störungen (Weiss et al. 1996): ADHS Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten Störungen des Sozialverhaltens
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Einführung und Epidemiologie Prävalenz psychischer Störungen bei Eltern behandelter Kinder
Remschmidt & Mattejat 2008
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Nachkommen psychisch kranker Eltern
Übersicht 1. Einführung und Epidemiologie 2. Resultate einer SNF-Studie 2.1 Psychologische Aspekte Tabuisierung 2.2 Soziologische Aspekte Stigmatisierung und Alterität 2.3 Psychodynamische Aspekte Gefühl der Andersartigkeit 3. Interventionen
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Psychologische Aspekte
Tabuisierung
100% 80%
53.4%
62.1%
60% selten bis nie
40% 20%
regelmässig und offen 46.6%
37.9%
0% Familieninterne Kommunikation
Familienexterne Kommunikation
Kommunikation über Krankheit und Familie (Sollberger et al. 2008)
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Psychologische Aspekte
Sorgen und subjektive Belastungen in der Kindheit
86.4%
100.0% 74.6% 80.0% 60.0%
trifft sehr bis manchmal zu
40.0%
25.4% 13.6%
20.0%
trifft selten bis gar nicht zu
0.0% Sorgen in der Kindheit
Belastungen in der Kindheit
(Sollberger et al. 2008)
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Übersicht 1. Einführung und Epidemiologie 2. Resultate einer SNF-Studie 2.1 Psychologische Aspekte Tabuisierung 2.2 Soziologische Aspekte Stigmatisierung und Alterität 2.3 Psychodynamische Aspekte Gefühl der Andersartigkeit 3. Interventionen
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Soziologischer Aspekt
Stigmatisierung Stigmatisierung = Zustimmung zu Stereotypen in Form von negativen Vorurteilen, welche letztlich diskriminierendes Verhalten begründet «courtesy»-Stigma (Goffman 1975)
Hauptquelle von Stigma bei vielen erwachsenen Nachkommen in der Rückschau: «Kontamination» (vgl. auch Corrigan 2006) Erstaunlicher Befund unserer SNF-Studie: über 80% der Befragten gaben an, keine oder nur wenig Stigmaerfahrungen gemacht zu haben Aber: umgekehrt proportional viele der Befragten gaben an, ein Gefühl der Andersartigkeit gehabt zu haben
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Nachkommen psychisch kranker Eltern
«[…] und ein Kind ist eine seltsame Mischung von Scham und Loyalität, […] und natürlich grösstmögliche Verwirrung.» (39-jährige Tochter einer schizophren erkrankten Mutter, ca. 20. Gesprächsminute)
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Sozialpsychologischer Aspekt
Fremdheitserfahrungen Kinder nehmen unterschiedliche Perspektiven im Blick auf ihre kranken Eltern, ihre Familien und sich selbst ein: «Normalitätsperspektive» der Aussenwelt auf die eigene Familie und sich selbst Identifikation mit der Aussenperspektive führt zu einer Differenz- und Fremdheitserfahrung gegenüber dem kranken Elternteil, der Familie «Familiäre Innenperspektive»: Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Familie, die als «Objekt» der Aussenperspektive fungiert Identifikation mit der Innenperspektive, der «familiären Andersheit» gegenüber der «normalen» Aussenwelt Kinder mit einer «liminalen» oder «Schwellen-Identität»
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Sozialpsychologischer Aspekt
Stigma und Fremdheit Zwei Befunde: 1. wenig Stigmatisierungserfahrungen 2. ausgeprägtes Fremdheitserleben
Hypothese: Befund 1 könnte Resultat einer Bewältigung der Fremdheits- und damit potentiell stigmatisierenden Aussenperspektive auf den kranken Elternteil, die Familie und das Selbst sein. Soziale Tabuisierung als Bewältigungsform einer antizipierten Stigmatisierung
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Nachkommen psychisch kranker Eltern
Übersicht 1. Einführung und Epidemiologie 2. Resultate einer SNF-Studie 2.1 Psychologische Aspekte Tabuisierung 2.2 Soziologische Aspekte Stigmatisierung und Alterität 2.3 Psychodynamische Aspekte Gefühl der Andersartigkeit 3. Interventionen
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Psychodynamische Aspekte
Gefühl der Andersartigkeit Angst, Desorientierung, Schuld- und Schamgefühle, Loyalitätskonflikte, Parentifikation, «Partnerersatz» führen zu Verunsicherung und Verwirrung bei fehlender emotionaler Resonanz und emotionaler Vernachlässigung
Defizite in der Entwicklung der Kompetenz zu mentalisieren, d.h. die eigenen mentalen Zustände und jene der andern als Motivationsgründe von Verhalten und Handeln zu verstehen Fremdheit nicht nur in verschiedenen äusseren Welten, sondern auch hinsichtlich der eigenen Innenwelt aufgrund fehlender oder mangelnder affektiver «Spiegelung» und «Markierung» führt zu einer Diskontinuität im Selbst Repräsentanz der unverstandenen bedeutsamen Andern (primäre BP) wird internalisiert: «alien self» (Fonagy et al. 2005)
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Mentalisierungskonzept
Störung des Selbst
Markierung
Inkongruente Markierung
Spiegelung
gesundes Selbst
kein «containercontained» (Bion)
Inkongruente Spiegelung
falsches Selbst
«alien self»
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Psychodynamische Aspekte
Problematik einer Identitätsstörung Risiko einer Bindungsstörung mit der Folge einer fehlenden Integration unterschiedliche Selbst- und Objektrepräsentanzen Innere Bedrohtheit durch schwer kontrollierbare (destruktive) Impulse oder ängstliche, depressive oder auch aggressive Affekte
Unreife Abwehrmechanismen: Spaltung, Projektion, projektive Identifikation Gefühle der eigenen Inkohärenz werden externalisiert drängende Nähewünsche sind dabei nicht bloss Abbild unsicherer Bindung, sondern verweisen auch auf den bedeutsamen Anderen als Projektionsfläche der eigenen Inkohärenz (Bateman & Fonagy 2010) Reifere Abwehrformen: altruistische Abtretung Parentifizierungsrisiko
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Nachkommen psychisch kranker Eltern
Übersicht 1. Einführung und Epidemiologie 2. Resultate einer SNF-Studie 2.1 Psychologische Aspekte Tabuisierung 2.2 Soziologische Aspekte Stigmatisierung und Alterität 2.3 Psychodynamische Aspekte Gefühl der Andersartigkeit 3. Interventionen
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Interventionen
«Vier-Säulen-Modell» 1
2
3
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1. Aufklärung, Prävention und Früherkennung
Albermann et al. 2012
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Interventionen
Information und Aufklärung der Kinder
100% 80% 60%
73.7%
66.7% 81.2%
82.3%
40% 20%
Nein 26.3%
Ja
33.3% 19.8%
17.7%
0% g ose ung ang run n k g e g i n ia Um at is rkra m E m i er D e r d e e n Th läg nd h e c r teile t s ä i l M Rat Erk (Sollberger et al. 2008)
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Interventionen
«Vier-Säulen-Modell» 1
2
3
4
1. Aufklärung, Prävention und Früherkennung 2. Soziale Unterstützung und Beratung für Eltern und Kinder 3. Therapie 4. Kinderschutz Albermann et al. 2012
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Impressum
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Daniel Sollberger Psychiatrie Baselland
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