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Interview
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EINE WELT ERSCHAFFEN Bernd Alois Zimmermanns «Soldaten» sind, wie in diesem Monat in Wiesbaden, der Ausnahmezustand für ein Haus, erst recht für die Sänger. Doch auch wenn HOLGER FALK erstmals den Stolzius singt: Zeitgenössisches, Extremes, Experimentelles ist für den Bariton nicht nur Alltag, sondern karriereprägend. Mit großer Neugier, Flexibilität und Risikolust sät und erntet der gebürtige Regensburger in einem Biotop, das viele Kollegen meiden
von Markus Thiel
Und das lässt sich nicht bewerkstelligen, indem man Mozart ins Heute holt? Doch, schon. Das wird ja ständig versucht, und manchmal gelingt es. Das Neue daran ist dann halt der Blick der Regie. Aber wenn ich die Gelegenheit habe, ein gutes neues Stück zu singen aus der Feder von Komponisten, die von innen heraus schreiben wie zum Beispiel Wolfgang Rihm oder Peter Eöt-
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Foto: Gert Mothes
Aus all dem hört man ein Unbehagen der Opernszene gegenüber heraus … Teilweise. Das hängt ja immer von den Leuten ab, die Oper machen, egal ob alt oder neu ... Ganz prinzipiell: Die Theater stellen Großartiges zur Verfügung. Die ganze Struktur, die vielen Menschen, die im Hintergrund wirken, um etwas so Komplexes wie Oper überhaupt zu ermöglichen. Alles, damit wir Künstler uns fallen lassen können. Ich mache fast ausnahmslos gute Erfahrungen. Leute, die sich gern mit zeitgenössischer – oder übrigens auch mit Alter – Musik beschäftigen, haben oft eine neugierige und offene Herangehensweise. Die brauchen sie auch, weil es ja Neuland ist, Experimentierfläche. Man tritt mit Komponisten in einen Austausch. Das alles sind ethisch beeinflusste Grundsätze und Wünsche. Auf der anderen Seite gibt es gerade zu Beginn einer Karriere auch Sachzwänge, nicht nur finanzieller Natur. Wie geht man mit solchen Realitäten und Risiken um? Die Zeit im Opernchor war unheimlich wichtig für mich, weil ich an der Hochschule nicht unbedingt auf die Realität vorbereitet wurde. In zwei Jahren habe ich 40 Repertoire-Opern gesungen, dabei tolle Sänger, Regisseure und Dirigenten kennengelernt. Aber von Anfang an war mir klar: Mit meinem speziellen Wunsch mich auszudrücken, sehe ich im Chor kein Land. Deshalb hieß für mich die Entscheidung: Entweder ich schaffe es als Solist – oder ich mache etwas ganz anderes. Diesen Mut braucht man, sonst kann man sich nicht entfalten und nicht bestehen.
Kommen Sie überhaupt ohne Bühne aus? Na ja, ich hatte da ein Kindheitserlebnis bei meiner Erstkommunion, da war ich neun. Ich hatte eine ganz schöne Altstimme. Der Pfarrer wünschte sich, dass ich ein Lied singe. Und ich bin nach vorn gegangen, war gar nicht nervös und sah die Rosette in der Kirche. Irgendwie war es mir, als singe ich da in dieses Göttliche hinein. Ganz berührend. Im Rückblick sehr spirituell. Danach suche ich immer wieder: eine spirituelle Erfahrung zu machen. Das Aufgeben der eigenen Identität in diesem Augenblick, durch Hingabe an eine Figur, an die Musik. Das klingt jetzt ein bisschen dramatisch und bedeutungsschwer, oder? Soll es eigentlich gar nicht (lacht). Das kann auch unglaublich witzig oder erotisch sein.
OPERNWELT Mai 2016
War der Mainstream also mit Frust verbunden? Ich war bei den Regensburger Domspatzen. Die extreme Disziplin hat einen in ein Korsett geschnürt. Und auch mein Studium war geprägt von einem Zurück- und Kleinhalten, und dies meine ich jetzt nicht nur stimmlich, sondern auch in kreativer Hinsicht. Direkt nach dem Studium war ich zwei Jahre im Frankfurter Opernchor, ich bin nach Mailand gegangen und habe weiterstudiert. Irgendwann kapierte ich: Ich muss niemandem – auch mir selbst nicht – etwas beweisen, keine Erwartungen erfüllen. In der Kunst geht es um etwas ganz anderes: darum, eine Welt zu erschaffen. Oder die Welt, die wir zu kennen glauben, neu zu sehen und zu zeigen.
vös, von Künstlern also, die keine Konstrukte ablieferen, nehme ich das gern an. Einfach, weil die Themen unserer Tage angesprochen werden und auch, weil die Gebrochenheit oder Ambivalenz des heutigen Menschen ohne die straffen Formen der Vergangenheit zum Ausdruck gebracht werden können. Das hat doch etwas viel Direkteres. Ich ziehe aus zeitgenössischen Werken viele Impulse. Das heißt nicht, dass ich dem klassischen Repertoire aus dem Weg gehe. Ich habe immer auch Stücke früherer Epochen gesungen und werde das auch in Zukunft tun. Wenn mir also jemand den Don Giovanni anbietet und die Rahmenbedingungen stimmen, sprich: ein spannender Regisseur und ein gutes Team winken, dann gern!
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Sie sind der Mann für besondere Opernfälle. Wünscht man sich eine solche Position oder rutscht man da hinein? Ich bin sehr früh mit außergewöhnlichem Repertoire in Berührung gekommen. Schon unter meinen ersten Engagements als Solist waren Uraufführungen. Doch ich sagte mir: Du musst unbedingt eine normale Mainstream-Karriere machen. Mit Festengagement und allem. Das hat ja viel mit Psychologie zu tun. Ich dachte immer, ich müsse mir mit dem üblichen Weg beweisen, dass ich ein vollwertiger Sänger bin. In meinem damaligen Denken war eine internationale Karriere gar nicht vorstellbar. In dieser Phase habe ich intensiv an meiner Persönlichkeit gearbeitet. Und mit der Zeit ist dieser Zwang von mir abgefallen. Ich merkte: Das moderne Repertoire ist das, was ich schwerpunktmäßig machen will. Mozart und all die anderen Komponisten haben schließlich immer für die Sänger ihrer Zeit geschrieben. Und ein solches Privileg wird nun mir zuteil. Abgesehen davon: Mozart würde lachen, wenn er sehen könnte, wie gering der Anteil zeitgenössischer Werke in den Opernspielplänen ist.
In Ihrem Repertoire werden ungewöhnliche Dinge verlangt. Hatten Sie nie Angst vor vokalem Raubbau? Als ich zu einem frühen Zeitpunkt meiner Karriere die «Eight Songs for a Mad King» von Peter Maxwell Davies in Gießen sang, hörte ich mir die Aufnahme der Uraufführung an. Der Kollege ging ruinös mit seiner Stimme um. Das fand ich krass. Und mir wurde bewusst, dass ich diese Musik eigentlich nur über einen Weg realisieren kann: indem ich über meine eigene Emotionalität arbeite und nicht mit einem technischen Effekt. Das war für mich da-
mals eine Urerfahrung. Ich tauche also beim Probenprozess erst einmal auf Kosten der Musik in die Emotion ein. Wenn ich die richtig erfasst habe, kehre ich zurück zur musikalischen Genauigkeit. Dann achte ich darauf, dass ich innerlich eine Art offenen Raum baue, in dem ich diese Gefühle nicht mehr so stark entwickle, weil ich sie gar nicht mehr in dieser Intensität brauche – sie wurden ja bereits integriert. Und das geht dann nicht auf die Stimme. Haben Sie das absolutes Gehör? Nein. Aber ich bin ein brauchbarer Blattsänger. Und ich habe ein ganz gutes Intervallgespür. Wenn ich den Anfangston habe, läuft die Chose eigentlich. Nehmen Sie die Anspannung dieses extremen Repertoires mit nach Hause? Oder öffnet es Ventile bei Ihnen, so dass Sie ausgeglichener und genießbarer sind? (lacht) Erst mal ist die Musik, die heute entsteht, ja nicht immer extrem, so wie in den 70ern. Sie finden auch viel Lyrisches. Das ganze Spektrum wird abgebildet. Das ist eben das Schöne. Genau dafür möchte ich das Publikum gewinnen: Neue Musik ist heute sehr sinnlich und kann zugleich extreme Gefühle ausdrücken. Und zur Sache mit dem Ventil: Mein Privatleben hat von meinen künstlerischen Aufgaben schon oft profitiert. Weil ich dadurch
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Interview auch an Grenzen herangekommen bin, sodass ich meine Arbeit auch als Weg verstehe, um als Mensch zu reifen. Wenn Sie es so sehen, mache ich eine durchgehende Therapie … Und je mehr ich als Mensch durch mich hindurchlassen kann, desto mehr kann ich auf der Bühne ausdrücken, wie ein Medium.
Erstaunlich, dass Ihnen das Singen dadurch nicht verleidet wurde. Das hat eben mit meinem schon geschilderten Erstkommunionerlebnis zu tun. Im Kreis der Familie habe ich gern gesungen, alle waren oft ganz berührt, da liegen meine Wurzeln. In einer Phase, als mit dem Singen alles in Ordnung und im Lot war. Ich hatte eben ein wunderbares Geschenk bekommen: Ich brauchte nur den Mund aufmachen, um zu singen – und die Leute weinten oder lachten. Eine Urerfahrung. Auch in der Schule war das so, wenn mich die Lehrerin darum gebeten hat.
Also wäre es für Sie gar nicht möglich gewesen, zehn Jahre in einem Ensemble zu sein? Möglich schon. Ich bin allerdings sehr froh, dass ich den anderen Weg gegangen bin, weil ich so mein ganz eigenes Potenzial stärker leben kann. Ich werde nur engagiert, wenn man mich wirklich für eine Rolle will. Weil man mich für den Richtigen hält und weil ich dazu ja sage.
Sie sind also eher ein Anbieter. Ich würde es anders formulieren. Ich bin eine Forschernatur. Ich brauche das Team und Konflikte im positiven Sinn.
Eine weitere außergewöhnliche Erfahrung: Sie haben mit persischen Künstlern zusammengearbeitet, um Werke dieses Kulturkreises aufzuführen. Ich hatte mich einmal mit den Daumer-Liedern von Brahms beschäftigt und las dann den Verweis «Daumer nach Hafis». Daraufhin habe ich mich mit diesem persischen Mystiker aus dem 14. Jahrhundert beschäftigt und erfuhr, dass es noch einige weitere Vertonungen gab auf Übersetzungen aus der Romantik. Mein Pianist meinte damals, ein normaler Liederabend sei doch langweilig. Ob man also nicht mit Persern arbeiten könne? Ein schönes Projekt wurde daraus, mit deutschen Liedern, persisch-klassischen Gesängen und gemeinsamen Neukompositionen. Alles basierte auf den wunderbaren Texten von Hafis. Nach sieben Konzerten und einer von mir selbst produzierten CD konnten wir es aber nicht weiterführen. Ich fand keine Agentur, die das vertreten wollte. Die einen sagten, das sei Weltmusik, die anderen, das sei zu klassisch. Der übliche Schubladenkonflikt. Außerdem hatten wir keinen Manager, die gesamte Organisation lief über mich. Es wurde mir einfach zu viel.
Sie haben alle Lieder von Poulenc und Satie aufgenommen. Woher kommt die Liebe zu diesem französischen Repertoire? Meine Klavierpartner bringen viel ein. Alessandro Zuppardo hat mich an die Mélodies von Poulenc herangeführt, Steffen Schleiermacher ist ein Satie-Spezialist. Ich liebe einfach diese französische Klangsprache. Und diese wunderbaren, so besonderen Miniaturen, ihre Gestik. Ich würde auch den Pelléas wahnsinnig gern einmal singen, vielleicht streue ich das noch zu wenig … Außerdem habe ich den enormen Luxus einer Vereinbarung mit der audiophilen Plattenfirma MDG, die mir jedes Jahr eine Lied-CD ermöglicht [siehe OW 4/2016]. Mit dem Label war abgemacht, dass wir erst einmal eine Poulenc-CD produzieren. Als die recht erfolgreich war, machten wir uns an eine Gesamtaufnahme der 115 Lieder für Männerstimme. Es gibt übrigens schon ein neues Projekt: fünf Eisler-CDs mit einem Großteil seines Liedschaffens.
Ein persischer Mystiker, Ihre Betonung spiritueller Erfahrungen – sind Sie ein religiöser Mensch? Ja, aber nicht konfessionell gebunden. Das mystische Erleben ist für mich eine spirituelle Quelle, nicht der Ritus oder das Dogma. Als Kind war ich sehr inbrünstig an Kirchlichem beteiligt. Aber später konnte ich mich mit diesem Männerclub nicht mehr anfreunden, der von anderen irgendwelche Moraldinge verlangte. Das i-Tüpfelchen war für mich dann der Umgang mit dem Missbrauchsskandal bei den Domspatzen vor einigen Jahren. Ich will das jetzt nicht vertiefen. Rückblickend empfinde ich die Zeit bei den Domspatzen als eher lebensfeindlich – trotz der auch schönen Erinnerungen an die Konzerte, die Reisen, die Gemeinschaft. Die Kinder wurden im Chor zum Teil wie Maschinen behandelt. Die Eltern und die Gesellschaft haben das damals aber auch toleriert.
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in Eötvös’ «Der Goldene Drache», mit Hans-Jürgen Lazar (Bregenz 2015) Foto: Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler
als Luzifer in Eötvös’ «Paradise reloaded», mit Frances Pappas als Lilith (Chemnitz 2015) Foto: Dieter Wuschanski
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Sie wachen nie morgens auf mit dem Gedanken: Jetzt wäre mir ein Almaviva ganz recht? Ich möchte betonen, dass ich einige der «Mainstream»-Rollen sehr mag: Pelléas, Don Giovanni, Papageno, Billy Budd, den ganzen Monteverdi, natürlich Wozzeck, den ich in Planung habe. Es kommt ja in erster Linie darauf an, wie man die Stücke macht.
Sie lehren mittlerweile auch. Eine Situation, die sich so ergeben hat? Oder könnten Sie sich sogar vorstellen, in 20 Jahren eine Professur zu übernehmen? Wenn’s nach mir ginge, könnte das schon um einiges früher passieren. Im Moment kommen die Meisterkurse meinem Terminkalender allerdings schon sehr entgegen. Eine Professur würde meine Karriere doch stark einschränken. Aber ich habe eigentlich immer unterrichtet. Während der Abiturzeit Klavier, später auch Gesang, um mein Studium zu finanzieren. So, wie ich mir selbst gegenüber sehr neugierig bin, so geht es mir auch mit anderen. Mich reizt die Erfahrung, dass Technikvermittlung immer mit der Persönlichkeit des Schülers zu tun hat. Zum Beispiel kam in Kattowitz einmal ein junger Bariton mit dem Papageno-Auftrittslied zu mir. Erst hat er das so heiteitei gesungen, wie man es klischeehaft kennt – obwohl er ein eher finsterer, derber Typ war. Und dann sind wir den Text durchgegangen. «Ein Netz für Mädchen möchte ich, ich fing sie dutzendweis für mich. Dann sperrte ich sie bei mir ein, und alle Mädchen wären mein.» Da fragte ich ihn, ob er Georg Fritzl kennt. Und genau so solle er sich jetzt den Papageno vorstellen. Auch in Polen kennt man Fritzl. Und plötzlich hat er das Stück auf eine unglaublich starke Weise gesungen. So etwas gefällt mir. Jede Figur des klassischen Repertoires bekommt unerwartete, womöglich wahrhaftigere Facetten, wenn die Sänger sich selbst und ihre Ressourcen einbringen. Sind die Hochschulen auch daran schuld, dass die Moderne ins Hintertreffen gerät? Es gibt einfach zu wenige Interpreten, die für unsere heutige Musik ausgebildet werden. Man braucht dafür die Aufgeschlossenheit, die vermittelt werden muss. Das Grundproblem ist: Das ganze Studium ist darauf ausgerichtet, wie man im Opernbetrieb am besten funktioniert. Kreativität entsteht aber im offenen Raum. Den brauchen Schüler genau so wie die Auseinandersetzung mit der Tradition und mit dem Handwerk. Je mehr tolle Interpreten wir haben, die zu Hause sind in der Jetztzeit der Kunst, desto mehr und bessere Musik fällt den Komponisten ein. Das war ja zu Mozarts Zeiten oder im Barock nicht anders. Erst durch eine solche Zusammenarbeit, durch eine solche kreative Symbiose kann das Publikum vollständig gewonnen werden, dann erst lechzen die Leute nach neuen Stücken. Ich arbeite zurzeit mit einem jungen Sänger von der Hochschule in Amsterdam. Dort erhalten die Master-Studenten 1200 Euro pro Semester, die sie in ihre individuelle Ausbildung investieren können. Ein wunderbares Prinzip! Ich dachte mir schon während meines Studiums: Mein Studienplatz kostet den Staat so viel – wie wäre es, wenn ich über das Geld verfügen könnte, um es für Fortbildungen einzusetzen, die ganz auf mich zugeschnitten sind? Ich würde meine Studenten dazu inspirieren, Kunstfilme anzuschauen, zeitgenössisches Tanztheater, Schauspiel-Produktionen, den Horizont zu weiten, mit Künstlern anderer Disziplinen Projekte zu realisieren ... Sonst bleibt doch alles auf der rein handwerklichen Ebene und am Gewohnten hängen. So wird man zum nützlichen Rädchen im Getriebe, aber nicht zum echten Künstler, der für sich entdecken darf, was er, und sei das noch so klein, der Welt zu geben hat. Sind Sie eher Optimist oder Pessimist? Für die Zukunft der Oper? Kann ich schwer sagen. Dass das Musiktheater lebendig ist und bleibt, dafür stehe ich allerdings ein!
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