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LITERATUREN DER WELT Freitag, 9. September 2016 19.30 Uhr Meriam Bousselmi. Tunesien
Die Dramatikerin Meriam Bousselmi erkundet die Parameter menschlicher Freiheit © MEYER ORIGINALS
Moderation: Jörg Thadeusz Sprecherin: Kathleen Gallego-Zapata
Samstag, 10. September 2016 19 Uhr Julia Kissina. Ukraine/ Deutschland
Elephantinas Moskauer Jahre © Alan Kaufman/ Suhrkamp Verlag
Veranstalter: internationales literaturfestival berlin und Kulturamt Steglitz-Zehlendorf Grunewaldstraße 3, 12165 Berlin www.kultur-steglitz-zehlendorf.de
Lesung: Julia Kissina Moderation: György Dalos
Schwartzsche Villa Grunewaldstraße 55, 12165 Berlin-Steglitz Eintritt: je 8 € (6 €), Schüler*innen 4 € Karten/Infos: 25 48 91 00 | www.literaturfestival.com
Die Dramatikerin Meriam Bousselmi erkundet die Parameter menschlicher Freiheit
Elephantinas Moskauer Jahre
Als die Menschen in Tunesien den so genannten Arabischen Frühling einläuteten, befand sich unter ihnen auch die Dramatikerin Meriam Bousselmi, voller Hoffnungen auf ein Leben in Freiheit. Auch wenn diese rasch zerstieben, so sind ihre Stücke kritische Interventionen, die mit den Mitteln der Kunst die Politik auf die Bühne bringen: Sie erkunden die Parameter menschlicher Freiheit und die Möglichkeit einer Gesellschaft jenseits der Mechanismen von Unterdrückung und Macht.
Von der Sehnsucht nach einem freien Künstlerdasein geleitet, folgt die junge Elephantina ihrem Idol, dem Dichter Pomidor, in die Katakomben Moskaus. Dichter abende in überfüllten Studentenclubs, verbotene Kunstaktionen, eine Begegnung mit Allen Ginsberg und eine Vorladung beim KGB bilden die Kulisse, vor der sich Elephantina nach Pomidor verzehrt. Übersetzt von Ingolf Hoppmann und Olga Kouvchinnikova.
Meriam Bousselmi wurde 1983 in Tunis, der Hauptstadt Tunesiens, geboren. Von 2002 bis 2007 studierte sie dort Regie und Dramaturgie am Centre Arabo-Africain de Formation et de Recherches Théâtrales und machte 2010 ihren Abschluss in Rechtswissenschaft. Drei Jahre zuvor war sie bereits nicht nur mit dem Theaterpreis der Organisation Ressources culturelles für das Stück »Zapping sous contrôle« (Ü: Zappen unter Kontrolle) ausgezeichnet worden, sondern hatte auch den Literaturpreis des Arab Fund for Arts and Culture für ihr Buch »Brouillon de vie« (2007; Ü: Entwurf des Lebens) erhalten. Rezensenten bezeichneten das Werk als jung und frisch, absurd und bewusst verrückt. Genres überschreitend und Tabuthemen wie Jungfräulichkeit anpackend, zeichnet Bousselmi ein kritisches Bild unserer Gegenwart, in der Menschen in der Flut an Informationen, die von allen Seiten auf sie einprasseln, ironischerweise selbst sprachlich zu verarmen drohen. 2011 wurde ihr Stück »Mémoire en retraite« (dt. »Gedächtnis im Ruhestand«) beim vierten Arabischen Theaterfestival mit dem Sheikh Sultan Bin Mohammed Al Qasimi Award als beste arabische Theaterperformance gewürdigt. Der darin verhandelte Konflikt zwischen einem Sohn und seinem Vater, die ungewollt voneinander abhängig sind, steht für den Kampf zwischen den alten, korrupten Eliten und der Jasminrevolution der Jugend in Tunesien. 2012 war die Autorin Stipendiatin der Sektion Darstellende Kunst der Akademie der Künste Berlin und entwickelte die Performance-Sequenz »Odette«. 2013 folgten die Stücke »Sünde Erfolg« in Köln sowie »Truth Box« (Ü: Wahrheitskiste), ein öffentlicher Beichtstuhl, der, in Berlin an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum installiert, Besucherinnen und Besucher dazu herausforderte, fremden Sünden Absolution zu erteilen. In Luxemburg hatte 2014 Bousselmis Stück »Was der Diktator nicht gesagt hat« Uraufführung. Bousselmi ist 2016/2017 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.
Julia Kissina wurde 1966 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geboren, lebte in Moskau und studierte an der dortigen Filmhochschule im Fachbereich Drehbuch. 1990 zog sie nach Deutschland, wo sie an der Akademie der Bildenden Künste in München studierte. Kissina gehört zum Kreis des Moskauer Konzeptualismus und zählt zu den beliebtesten Autorinnen der russischen Avantgarde-Literatur. In den 1980er und 1990er Jahren publizierte sie regelmäßig in zwei bedeutenden intellektuellen Zeitschriften, »Obscuri viri« in Moskau und »Mitin Journal« in Petersburg. Ihr Buchdebüt »Des Täubchens Flug über den Schlamm der Phobie« (1992) wurde trotz einer kleinen Auflage zu einem Kultbuch in der alternativen Samisdat-Bewegung. Kissinas Lyrik und Prosa erschien in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien, u. a. in der am meisten übersetzten Anthologie »Russische Blumen des Bösen« (1997). Ihr erster Erzählband auf Deutsch wurde im Jahr 2005 unter dem Titel »Vergiss Tarantino« publiziert. Im selben Jahr erschien Kissinas Kinderbuch »Milin und der Zauberstift«. Ihr Stil ist von skurrilem Humor und präzisen Beobachtungen geprägt. Trotz ihrer intertextuellen Experimente mit Wort und Sujet bleibt sie eine exzellente Erzählerin. Ihr »autofiktionaler« Roman »Frühling auf dem Mond« (2013) erzählt von ihrer Kindheit im Kiew der 1970er Jahre, wo sich die tragischen Ereignisse zwischen surrealer Wahrnehmung und bürokratischer Willkür entfalten. Autobiografisch gefärbt ist auch der 2016 erscheinende Roman »Elephantinas Moskauer Jahre«. Julia Kissina wurde auch als Künstlerin bekannt. In den 1990er Jahren widmete sie sich der Konzeptuellen Fotografie und der Performance: Sie führte u. a. eine Schafherde durch das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, 2003 organisierte eine Aktion in einem Berliner Gefängnis und cokuratierte das Festival Art & Crime im Hebbel Theater in Berlin. 2006 gründete Kissina »The Dead Artists Society«, die in spiritistischen Sitzungen »Dialoge mit Klassikern« wie Duchamp und Malewitsch führte. Julia Kissina lebt in Berlin und in New York.