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Epistemische Logik

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Epistemische Logik Eine kurze Einf¨ uhrung im Rahmen des Seminars Einf¨ uhrung in die Erkenntnistheorie Sascha Benjamin Fink Otto-von-Guericke Universit¨at Magdeburg [email protected] Version 1.2: Fehler vorbehalten & Kritik ist willkommen Bitte lesen Sie zumindest bis Abschnitt 2.3. Auf der letzten Seite findet sich eine Formelsammlung. ¦ Viele Probleme der klassischen Erkenntnistheorie lassen sich durch logische Werkzeuge besser diagnostizieren, analysieren, pr¨azisieren und—unter Umst¨anden—auch l¨osen oder aufl¨osen. Mit diesem Ziel entstand ab Mitte der 1960er eine formalisierte Logik der Erkenntnis“, die epistemische Logik. (Siehe besonders Fitch (1963); ” Hintikka (1962); Lenzen (1978).) In den 1980ern und 1990ern wurde von diesen philosophischen Vorarbeiten besonders in der theoretischen Computerwissenschaft (z.B. Fagin et al., 1995) und der Spieltheorie (z.B. Aumann, 1999)1 Nutzen gezogen: Der Informationszustand eines Rechners l¨asst sich ¨ahnlich beschreiben wie der Wissenszustand einer Person, und in Verhandlungen ist es manchmal von Vorteil zu wissen, was der andere weiß oder nicht weiß (siehe hierzu auch Abschnitt 2.1). Epistemische Logik erg¨anzt sich gut mit doxastischer Logik, die sich mit den logi¨ schen Regeln besch¨aftigt, denen Uberzeugungen unterworfen sind. Man kann jedoch auch, wie hier, epistemische unabh¨angig von doxastischer Logik betreiben. Eine epistemische Logik (EL) erlaubt es, ein rationales Ideal zu formulieren. Die Grundfrage einer EL ist damit: Wie w¨ urden sich ideal-rationale Agenten oder wie w¨ urden wir uns idealerweise epistemisch verhalten? Gerade deswegen war sie so fruchtbar in den Computer- und Wirtschaftswissenschaften. Wir als evolvierte Trockennasen-Affen werden diesem Ideal leider nur selten gerecht. Wie Christopher Hitchens schreibt: [...] it is a fact of nature that the human species is, biologically, only ” partly rational. Evolution has meant that our prefrontal lobes are too small, our adrenal glands are too big, and our reproductive organs apparently designed by committee; a recipe which, alone or in combination, is very certain to lead to some unhappiness and disorder.“ (Hitchens, 2009, p. 8) 2 Wir sind nicht vollkommen logisch, weswegen uns eine EL nicht notwendig ad¨aquat beschreibt. Dies heißt jedoch nicht, dass sie nutzlos ist: Wir k¨onnen die von ihr beschriebenen Subjekte als Ideal sehen, das man anstrebt. Oder man kann sie als eine normative Theorie lesen: Wir sollten uns epistemisch so verhalten, wie es epistemische Logik vorgibt. Man kann EL auch als Kontrasthilfe verstehen: Wir verstehen unsere Wissensprozesse sehr viel besser, wenn wir wissen, wie sie sich von einem Ideal einerseits und pathologischen Fehlern andererseits unterscheiden. EL hat in allen drei F¨allen einen Mehrwert, wenn auch nicht unbedingt einen deskriptiven. 1. Aufbau einer einfachen epistemischen Logik LK Wir werden uns hier auf eine einfache EL namens LK beschr¨anken. LK baut auf der Aussagenlogik auf, und ignoriert gr¨oßtenteils verkomplizierende Aspekte wie Zeit, die kognitive Dynamik, Informationsgewinn, Kommunikation, Koreferentialit¨at, Hyperintensionalit¨at, Modalit¨at und so weiter. Man versucht diese Aspekte durch Erweiterungen von LK zu erfassen. (In Abschnitt 2 werden einige dieser Verkomplizierungen dennoch zum Tragen kommen.) Man braucht dreierlei um eine formale Sprache aufzustellen: (1) ein Vokabular, das uns sagt, welche Zeichen Teil dieser Sprache sind;2 (2) eine Syntax, mit der man wohlgeformte S¨atze von fehlgeformten Zeichenfolgen unterscheiden kann; (3) eine Semantik, mit der man wahre wohlgeformte S¨atze von falschen unterscheiden kann. Allein auf syntaktischer Ebene lassen sich schon einige Beweise f¨ uhren und Kl¨arungen vorbringen. Rein syntaktisch lassen sich jedoch fast nur Notwendigkeiten und Konditionale beweisen. Dies erlaubt selten eine direkte Anwendung auf Einzelf¨alle. Wir werden uns dennoch auf Syntax konzentrieren. Der Vollst¨andigkeit halber wird in Abschnitt 3 jedoch kurz auf Semantik und epistemische Modelle eingegangen. 1.1. Vokabular und Grammatik von LK . Das Vokabular von LK besteht aus atomaren S¨atzen p, q, r, u, v, . . . , den Konnektoren der Aussagenlogik (¬, ∧, ∨, →, ↔) sowie Klammern, Subjektvariablen s1 , s2 , . . . , und dem Wissenoperator K (vom englischen know ). Die Verwendung von K legen wir folgendermaßen fest: (Df: K) Wenn ein Subjekt s irgendeine Proposition weiß, die sich als ein Satz ϕ ausdr¨ ucken l¨asst, dann schreibe K(s, ϕ).3 Wiederum hilft das Englische als Eselsbr¨ ucke: s knows that ϕ wird u ¨bersetzt als K(s, ϕ). 3 Sollten temporale Aspekte, Kontexte, etc. eine Rolle spielen, so l¨asst sich die Wissens-Relation erweitern, so dass sie sensitiv ist f¨ ur Kontexte (abgek¨ urzt mit k1 , k2 , . . . ) und Zeitpunkte (abgek¨ urzt mit t1 , t2 , . . . . Wir schreiben dann beispielsweise K(s, t, p) um auszudr¨ ucken, dass s zum Zeitpunkt t weiß, dass p. Die Syntax von LK erlaubt uns nun nach folgenden zwei Regeln wohlgeformte Formeln von Nonsens zu unterscheiden: (LK R1) Wenn ein Satz ϕ ein wohlgeformter Satz der Aussagenlogik ist, dann ist ϕ auch ein wohlgeformter Satz in LK . (LK R2) Wenn ein Satz ϕ ein wohlgeformter Satz in LK ist, dann ist auch ein Satz K(s, ϕ) ein wohlgeformter Satz in LK . Formeln wie p ∨ q, K(s, p ∨ q), K(s, p) ∨ K(s, q), oder K(s, ¬K(s, p ∨ q)) sind damit wohlgeformte S¨atze in LK . Bei Meta-Selbstwissen k¨onnen Klammern weggelassen werden: KK(s, p) ist ebenso zul¨assig wie K(s, K(s, p)). 1.1.1. Aufgabe 1: Welche der folgenden Formeln sind wohlgeformt in LK ? p  p∨q  K(s, p)  pKs  Kq(s, r)  ¬K(s, p)  K(s, ¬q)  ¬K(s)  KK(s,p)  K¬K(s, p)  ¬p ∧ K(s, p)  p → K(s, p)  ¬K(s, p → K(s, p) ∨ K¬K(s, r ↔ ¬q))  K¬KK(¬s, p → K¬KK(rKp¬pK(r))) ¨ 1.1.2. Aufgabe 2: Ubersetzen Sie folgende S¨atze in Formeln in LK . i Ich weiß, dass ich mit Peter im Auto sitze. ii Wenn ich weiß, dass ich weiß, dass es hier komisch riecht, dann riecht es hier komisch. iii Peter tut so als w¨are nichts gewesen und ich weiß nicht, dass Peter so tut als w¨are nichts gewesen. iv Peter weiß, dass es hier komisch riecht und dass Peter so tut als w¨are nichts gewesen. v Peter weiß, dass wenn es hier komisch riecht, dass Peter dann so tut als w¨are nichts gewesen. vi Ich sitze mit Peter in einem Auto und Peter tut so als w¨are nichts gewesen. Daher weiß ich, dass es hier komisch riecht. Verwenden Sie p f¨ ur Ich sitze mit Peter in einem Auto, q f¨ ur Es riecht hier komisch, r f¨ ur Peter tut so als w¨are nichts gewesen. 4 1.2. Axiome. Es gibt einige Grund-Axiome der epistemischen Logik, die leicht einsehbar sind. Beispielsweise gilt aus begrifflichen Gr¨ unden, dass Wissen faktisch ist: Alles, was gewusst wird, ist auch der Fall—und wenn etwas nicht der Fall ist, dann kann es auch nicht gewusst werden. Also: (T) K(s, ϕ) → ϕ Ebenso gilt, dass, wenn man weiß, dass p, man nicht wissen kann, dass ¬p: (D) K(s, ϕ) → ¬K(s, ¬ϕ) Es gilt auch folgendes Axiom, nach dem wir die einzelnen Konjunkte wissen, wenn wir wissen, dass sie als Konjunktion wahr sind. (Formaler: Die Klasse der Wahrheiten in LK ist geschlossen unter Konjunktionselimination.) (M) K(s, ϕ ∧ ψ) → K(s, ϕ) ∧ K(s, ψ) Auch folgendes scheint sinnvoll: Nehmen wir an, s weiß, dass Garfield eine Katze ist, und ebenso, dass alle Katzen S¨augetiere sind. Dann sollte s auch wissen, dass Garfield ein S¨augetier ist. Aus logischen Schl¨ ussen Wissen zu ziehen ist eine Hauptquelle unseres Wissens.4 Um durch logisches Schließen Wissen erlangen zu k¨onnen, muss Wissen logisch abgeschlossen sein unter gewußter logischer Implikation: (K) K(s, ϕ → ψ) → (K(s, ϕ) → K(s, ψ)) Einige Philosophen wie Dretske (1970) bestreiten die (K)-Axiom. Ohne sie versiegt jedoch logisches Schließen als Wissensquelle (vgl. Brendel, 2013, p. 96). Außerdem sind ohne (K) viele Beweise nicht f¨ uhrbar. Epistemische Logik ist zudem eine Interpretation des Apparats der Modallogik. In der Modallogik ist das Axiom der Form (K) basaler als das Axiom der Form (T). Man kann Modallogik ohne (T) machen, nicht aber ohne (K). Dies sollte in ihren Interpretationen ebenso gelten. Insofern ist es sinnvoll, (K) erst einmal anzunehmen. Manche Axiome gelten nur in bestimmten Systemen epistemischer Logik. Sie sind zudem weniger intuitiv. Zwei sind besonders hervorzuheben: (4) K(s, ϕ) → KK(s, ϕ) (5) ¬K(s, ϕ) → K¬K(s, ϕ) Positive Introspektion (4)—auch KK -Axiom oder KK-rule 5 genannt—sagt, dass Wissen strahlt“:6 Wenn Sie wissen, dann wissen Sie, dass Sie wissen. Wissen ohne ” Wissen, dass man weiß, ist nicht m¨oglich. Wie ein Leuchtturm in der Nacht ist das eigene Wissen un¨ ubersehbar und macht auf sich aufmerksam. Wenn Sie also unsicher sind, ob Sie wissen, dann wissen Sie auch nicht. 5 Positive Introspektion (4) wird h¨aufig kritisch betrachtet. Zum einen scheint es manchmal sinnvoll, jemandem aufgrund von exzellenter Performance Wissen zuzuschreiben, obwohl die Person selbst unsicher ist. Stellen Sie Sich vor, Sie m¨ ussten immer sagen, ob eine frisch geschl¨ upfte Echse m¨annlich oder weiblich ist. Sie haben das Gef¨ uhl, immer nur zu raten. Aber dennoch zeigt sich auf Dauer, dass Sie perfekt m¨annliche und weibliche Echsen voneinander trennen. Physiologische Untersuchungen zeigen nun, dass Sie ein bestimmtes geruchloses Pheromon weiblicher Echsen, das Epistemocyn, durch ihr Vomeronasal-Organ verl¨asslich detektieren k¨onnen, dies aber einfach nicht bewusst erleben. Obwohl Sie also erwiesenermaßen perfekt weibliche von m¨annlichen Echsen unterscheiden k¨onnen und dies auch noch durch einen reliablen Mechanismus zustande bringen, sind Sie selbst vollkommen unsicher: Sie wissen nicht, ob Sie wissen. Nach dem KK-Axiom (4) w¨are es falsch zu sagen, dass Sie wissen, dass eine gewisse Echse weiblich ist. W¨are es aber unter diesen Umst¨anden nicht dennoch angebracht zu sagen, dass Sie wissen? Wenn Sie diese Frage mit ja beantworten, dann scheinen Sie (4) abzulehnen. Zum anderen verlangt (4), dass man f¨ ur jeden gewussten Satz weiß, dass man ihn weiß. Mit einem einzigen gewussten Satz w¨ urde man somit streng genommen unendlich viel Wissen erlangen, denn K(s, p) → KK(s, p) → KKK(s, p) → . . . . Negative Introspektion (5) scheint noch etwas unrealistischer: Man weiß um seine eigene Ignoranz—und das in ihrer Gesamtheit! Auch hier w¨ urde man schnell unendlich viele triviale S¨atze wissen, denn bei jeder Unsicherheit, bei der ich sage, dass ich nicht weiß, weiß ich etwas. Dadurch, dass ich die Blutgruppe von keinem r¨omischen Imperator kenne, weiß ich bereits eine Menge. W¨ urde (5) gelten, w¨are dann auch ein universeller Skeptizismus aus logischen Gr¨ unden nicht mehr formulierbar: Selbst wenn Sie behaupten, dass Sie nichts wissen, dann w¨ ussten Sie durch (5) etwas—n¨amlich, dass Sie nichts wissen. Trivialerweise folgt aus (5), dass jedes wissensf¨ahige Subjekt etwas wissen muss! Niemand kann also gar nichts wissen — was der universelle Skeptiker behaupten m¨ usste. (4) und (5) m¨ogen formal elegant sein, da sie aus modal-logischen Gr¨ unden einige interessante Beweise erm¨oglichen. sie m¨ogen auch praktisch sein f¨ ur computerwissenschaftliche Anwendungen. Sie sind sicherlich auch relevant, um einen idealen epistemischen Agenten zu formulieren. Sie sind jedoch kaum realistisch, um Menschen mit begrenztem Geist zu modellieren. Je nachdem, ob man mit diesen Axiomen arbeitet oder nicht, gibt man an, ob etwas in System K, T, 4 oder 5 beweisbar ist. In K gelten nur (K), (D) und (M); in T all diese und auch (T); in 4 gelten all diese Axiome und auch (4); in 5 gelten all 6 diese Axiome und zus¨atzlich (5). Die Systeme sind also jeweils Erweiterungen ihrer Vorg¨anger. Wir k¨onnen diese Axiome nat¨ urlich verwenden, um weitere Theoreme zu beweisen. 1.3. Schlussregeln. Ohne Schlussregeln h¨atte man nur einen starren Kanon an einsichtigen S¨atzen. Schlussregeln erlauben uns, aus S¨atzen zu anderen S¨atzen zu gelangen. Wir k¨onnen durch sie aus einer umgrenzten, einsichtigen Formelmenge eine Vielzahl interessanter Formeln gewinnen. Generell spricht man davon, einen Satz ψ aus einem anderen ϕ zu folgern, aboder herzuleiten. Es gibt zwei Formen der Herleitung: syntaktische Ableitung (`) und semantische Folgerung (|=). Wir werden uns im Folgenden nur auf syntaktische Ableitbarkeit konzentrieren. Wenn man einen Kalk¨ ul aufstellt, dann f¨angt man h¨aufig mit eher wenigen Schlussregeln an, deren Angemessenheit direkt einsehbar ist. Zwei Schlussregeln reichen h¨aufig f¨ ur epistemische Logiken aus: (MP) Wenn ` ϕ → ψ und ` ϕ, dann ` ψ. (Nec) Wenn notwendig gilt ` ϕ, dann ` K(s, ϕ). Der einfache modus ponens (MP) ist unkontrovers.7 Die epistemic necessitation rule (Nec) hingegen verdeutlicht wiederum, dass epistemische Logik mit Idealisierungen arbeitet. Denn (Nec) verlangt, dass ein epistemisches Subjekt alle mathematischen und logischen Wahrheiten kennt, da diese mit Notwendigkeit gelten. Es g¨abe also keine mathematischen Vermutungen“, d.h. wahre mathematische S¨atze, die zu ei” nem gewissen Zeitpunkt nur vermutet, aber eben nicht gewusst werden. Dies scheint unrealistisch.8 Ohne (Nec) jedoch lassen sich sehr viele Beweise nicht f¨ uhren. Es ist deswegen hilfreich, (Nec) im Rahmen einer bewussten Idealisierung anzunehmen. Durch die Anwendung dieser beiden Schlussregeln auf die basalen Axiome lassen sich generell g¨ ultige, aber unter Umst¨anden nicht direkt einsichtige S¨atze beweisen. In vielen F¨allen entsprechen diesen Theoremen auch eine Beweisregel. Wir werden in den Beweisen in Abschnitt 2 einige solcher eigentlich erst zu beweisenden Regeln der Aussagenlogik verwenden: (DS) (∧A) (∧E) (→E) (MT) (RAA) Disjunktiver Syllogismus: Wenn ` ϕ ∨ ψ und ` ¬ψ, dann ` ϕ. Und-Aufl¨osung: Wenn ` ϕ ∧ ψ, dann ` ϕ und ` ψ. Und-Einf¨ uhrung: Wenn ` ϕ und ` ψ, dann ` ϕ ∧ ψ. Implikations-Einf¨ uhrung: Wenn ` ϕ, dann ` ψ → ϕ. modus tollens: Wenn ` ϕ → ψ und ` ¬ψ, dann ` ¬ϕ. reduction ad absurdum: Wenn ` ϕ → ⊥, dann ` ¬ϕ. 7 Es lassen sich noch mehr solcher Theorem-Regeln“ beweisen, die die Beweisarbeit ” erleichtern. Teils sind diese dann beschr¨ankt auf die Systeme, deren Axiome man verwendete, i.e. K, 4 oder 5. 1.3.1. Aufgabe 3: Zeigen Sie (wenn m¨oglich in einem formalen Beweis), dass.... • ...der Satz ¬p ∧ K(s, p) mit (T) im Widerspruch steht. • ...der Satz ¬p ∨ p gewusst wird. • ...aus K(s, p ∧ ¬q ∧ (r → q)) folgt, dass K(s, ¬r). • ...wenn K(s, p) ∧ K(s, q), daraus folgt K(s, p ∧ q). • ...der Satz ¬K(s, p) in 4 folgt aus ¬KK(s, p). • ...in 5 aus ¬KK(s, p) folgt, dass K¬K(s, p). 2. Einige syntaktische Anwendungen EL ist sehr sinnvoll f¨ ur die Modellierung spezieller F¨alle (2.1). Um EL f¨ ur Epistemologie selbst fruchtbar zu machen, wird das klassische Vokabular h¨aufig erweitert (2.2 und 2.3). Wir werden hier kommentierte und halbformale Beweise f¨ uhren. Das heißt, dass wir formale Schritte mit nicht-formalen kombinieren, um den Beweis m¨oglichst verst¨andlich zu gestalten. Alle Schritte sind g¨ ultig, aber um sie g¨anzlich im Kalk¨ ul von LK zu vollziehen, m¨ ussten erst einige Theoreme bewiesen werden—was wir uns aus Platzgr¨ unden sparen. Der Kalk¨ ul, den wir verwenden ist folgendermaßen aufgebaut: Am Anfang jeder Zeile schreiben wir die Nummer dieser Zeile in runden Klammern. Dann schreiben wir die Formel. Diese kann entweder eine Annahme, ein Axiom, oder das Ergebnis einer Schlussregel auf eine vorhergehende Zeile sein. Nach der Formel geben wir an, ob es eine Annahme oder ein Axiom war. Oder wir geben die Schlussregel an, die wir benutzt haben, sowie die Zeilen, auf die wir sie angewendet haben. Danach schreiben wir in eckigen Klammern, von welchen Annahmen diese Zeile abh¨angig ist. (Axiome sind von nichts abh¨angig.) 2.1. Anwendung 1: Kommen drei Logiker in eine Bar... . 8 Kommen drei Logiker in eine Bar... Kommen drei Logiker in eine Bar. Der Wirt fragt: Wollt Ihr ” alle Pils?“ Der erste Logiker, Bertie, antwortet: Ich weiß nicht.“ ” Der zweite Logiker, Kurt, antwortet: Ich weiß nicht.“ ” Die dritte Logikerin, Ruth, antwortet: Ja.“ ” Der Wirt antwortet also: Okay, drei Pils. So mag ich’s.“ ” Woher weiß der Wirt, dass alle drei Logiker Pils m¨ochten, obwohl zwei mit Ich ” weiß nicht.“ antworten? Legen wir folgende Abk¨ urzungen f¨ ur die M¨oglichkeiten an: p: Bertie (s1 ) will ein Pils. q: Kurt (s2 ) will ein Pils. r: Ruth (s3 ) will ein Pils. Die Antwort auf des Wirtes Frage kann nur dann Ja! “ sein, wenn alle Pils m¨ochten. ” Wenn alle Pils wollen, dann gilt p ∧ q ∧ r. Dies gilt es also zu beweisen. (Ziel) p ∧ q ∧ r Unsere Logiker haben sich vor dem Barbesuch nicht abgesprochen und wissen also nur von sich selbst, ob sie Pils wollen oder nicht. Es ist nat¨ urlich offensichtlich, dass wir von einem ideal rationalen Wirt ausgehen k¨onnen. Weniger trivial ist sicherlich, dass alle Logiker ideal rational sind, und deswegen wissen, was Ja“, Nein“, und ” ” Ich weiß nicht“ bedeuten. Wie w¨ urde man diese Antworten formal fassen? ” Williamson (2002, p. ch. 11) schl¨agt eine knowledge rule of assertion vor, nach der man nur dann eine Aussagen p machen soll, wenn man u ¨berzeugt ist, dass man weiß, dass p. Dies legt folgende Formalisierung nahe: Formalisierung: Ja vs. Nein vs. Ich weiß nicht. (YES) (NO) (IDK) Ja“: K(s, p) ” Nein“: K(s, ¬p) ” Ich weiß nicht“: ¬K(s, p) ∧ ¬K(s, ¬p) ” Ruth behauptet, sie weiß, dass alle Pils wollen, also: (Ziel’) K(s3 , p) ∧ K(s3 , q) ∧ K(s3 , r) 9 Aus (Ziel’) folgt mit (T) per modus ponens direkt (Ziel). Woher weiß Ruth aber, dass alle Pils m¨ochten? ¨ Uberlegen wir uns einmal exemplarisch den Fall f¨ ur Ruth: Ruth wusste vor dem Betreten der Bar bereits, ob sie Pils wollte oder nicht. Was w¨are, wenn sie kein Pils gewollt h¨atte? H¨atte Sie kein Pils gewollt (¬r), so h¨atte sie auch nicht mit Ja!“ ” antworten k¨onnen. Denn wenn Ruth weiß, dass ¬r, dann h¨atte sie gewusst, dass p ∧ q ∧ r nicht der Fall sein kann—weil daraus r folgen w¨ urde. (i) (p ∧ q ∧ r) → r (ii) ¬r → ¬(p ∧ q ∧ r) Tautologie [ ] (MT) auf (i) [ ] Da sie aber gewusst h¨atte, dass ¬r, so h¨atte sie auch gewusst, dass ¬(p ∧ q ∧ r). Sie weiß also, dass Ihr Ablehnen von Pils damit einhergeht, dass nicht alle Pils m¨ochten. Daher h¨atte sie in diesem Fall mit Nein!“ antworten k¨onnen. Bevor Sie also jegliche ” weitere Information von Ihren Kollegen bekommt, weiß Ruth, dass sie nur mit Nein!“ ” oder Ich weiß nicht.“ antworten kann. ” Diesen Gedankengang Ruths k¨onnten wir folgendermaßen rekonstruieren. (1) K(s3 , K(s3 , ¬r ∧ (¬r → ¬(p ∧ q ∧ r))) → K(s3 , ¬(p ∧ q ∧ r)) [] Ruth weiß also, dass Sie Nein“ geantwortet h¨atte, wenn sie kein Pils gewollt h¨atte. ” Sie hat aber mit Ja“ geantwortet. Ruth muss also zumindest selbst ein Pils wollen: ” (2) K(s3 , r) [2] Sie kann aber nur dann mit Ja“ antworten, wenn sie weiß, dass alle anderen auch ” Pils wollen.Woher weiß Sie aber dies? Sie weiß, dass Bertie und Kurt entweder Pils wollen oder nicht: (3) K(s3 , (K(s1 , p) ∨ K(s1 , ¬p)) (4) K(s3 , (K(s2 , q) ∨ K(s2 , ¬q)) [3] [4] Schauen wir uns an, wie sie mit den Antworten ihrer Kollegen umgeht. Beide antworten mit Ich weiß nicht.“ Sie wissen also weder, dass alle Pils wollen, noch, ” dass nicht alle Pils wollen.9 Daraus weiß Ruth: (5) K(s3 , ¬K(s1 , p ∧ q ∧ r) ∧ ¬K(s1 , ¬(p ∧ q ∧ r))) (6) K(s3 , ¬K(s2 , p ∧ q ∧ r) ∧ ¬K(s2 , ¬(p ∧ q ∧ r))) [5] [6] Ruth wusste ja, dass nicht alle Pils gewollt h¨atten, wenn sie selbst kein Bier gewollt h¨atte — und sie deswegen mit Nein“ h¨atte antworten m¨ ussen. Selbiges trifft aber ” auch auf alle Ihre Kollegen zu: ¬p oder ¬q sind ebenso inkompatibel mit p ∧ q ∧ r. Sie wissen also, dass wenn sie kein Pils wollen eben nicht alle Pils wollen — und sie deswegen mit Nein“ h¨atten antworten m¨ ussen. ” 10 F¨ uhren wir dies als kleinen Beweis f¨ ur ein beliebiges epistemisches Subjekt si : (iii) ¬p → ¬(p ∧ q ∧ r) (iv) K(si , ¬p → ¬(p ∧ q ∧ r)) Tautologie, vgl. (ii) [ ] (Nec) auf (iii) [ ] Es gilt also damit auch, dass Ruth (ii) weiß: (7) K(s3 , K(s1 , ¬p → ¬(p ∧ q ∧ r))) (8) K(s3 , K(s2 , ¬q → ¬(p ∧ q ∧ r))) (Nec) [ ] (Nec) [ ] Wenn also irgendeiner ihrer Kollegen gewusst h¨atte, dass er kein Pils will, so h¨atte er mit Nein!“ geantwortet. Beide antworteten aber mit Ich weiß nicht.“ Sie h¨atten ” ” nicht mit Ja!“ antworten k¨onnen, da sie nicht wissen, ob Ruth Pils m¨ochte. Dass ” sie mit Ich weiß nicht.“ antworten weist schon darauf hin, dass beide Pils wollen. ” Um sicher zu gehen spielt Ruth den Fall exemplarisch f¨ ur Bertie (s1 ) durch. Lassen wir der Lesbarkeit halber weg, dass Ruth alle Pr¨amissen weiß. Was immer wir aus den von Ruth gewussten Pr¨amissen zeigen k¨onnen, das wird von Ruth als idealer Logikerin nat¨ urlich gewusst. (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) ¬K(s1 , p ∧ q ∧ r) ∧ ¬K(s1 , ¬(p ∧ q ∧ r)) ¬K(s1 , ¬(p ∧ q ∧ r)) K(s1 , ¬p → ¬(p ∧ q ∧ r)) K(s1 , ¬p) → K(s1 , ¬(p ∧ q ∧ r)) ¬K(s1 , ¬p) K(s1 , p) ∨ K(s1 , ¬p)) K(s1 , p) (MP) auf (T,5) [5] (∧A) auf (9) [5] (MP) auf (T,7) [ ] (K) auf (10) [ ] (MT) auf (10,12) [5] (MP) auf (T,3) [3] (DS) auf (13,14) [3,5] Auf ganz analoge Weise verfahren wir mit Kurts Aussagen, dass er nicht weiß, ob alle Pils m¨ochten. Statt der Pr¨amissen (3), (5) und (7) nehmen wir hier die Pr¨amissen (4), (6) und (8) und zeigen: (16) K(s2 , q) analog zu (9)–(15) [4,6] Da beides auf von Ruth gewussten Pr¨amissen und Schlussregeln beruht, weiß Ruth (13) und (14). Es gilt also: (17) K(s3 , r) ∧ K(s3 , K(s1 , p)) ∧ K(s3 , K(s2 , q)) (∧E) auf (2,15,16) [2,3,4,5,6] Wissen ist faktisch, sagt (T). Wenn irgendjemand weiß, dass p, dann p. (T) wird von Ruth gewusst. Ruth weiß deshalb: Wenn Ruth weiß, dass irgendjemand weiß, dass p, dann weiß auch Ruth, dass p. Nennen wir dieses Theorem Lernen durch das Wissen anderer (LDWA). (LDWA) K(si , K(sj , ϕ)) → K(si , ϕ) Durch (LDWA) k¨onnen wir schließen 11 (18) K(s3 , r) ∧ K(s3 , p) ∧ K(s3 , q) (LDWA) auf (17) [2,3,4,5,6] Dies ist unser (Ziel’), woraus wir folgern (Ziel) p ∧ q ∧ r (MP) auf (T,16) [2,3,4,5,6] was zu beweisen war. Darauf ein Pils! 2.2. Brendel gegen den Kontextualismus. Kontextualisten behaupten, dass wis” sen“ kontextsensitiv ist: Ob jemand weiß oder nicht, das wird unter anderem dadurch bestimmt, wo, wann und durch wen die Wissenszuschreibung get¨atigt wird. Elke Brendel (2005, 2009) hat mehrere Argumente gegen den Kontextualismus vorgebracht. Eines davon ist ein bezauberndes Selbstanwendungsargument, eine reductio ad absurdum des Kontextualismus. Nehmen wir an, der Kontextualist (z.B. Cohen, 1986; DeRose, 1992; Lewis, 1996; Neta, 2005) h¨atte recht, dass Wissensaussagen kontextsensitiv sind. Wir fangen dies dadurch ein, dass wir eine Kontextvariable einf¨ uhren, die Wissensaussagen auf Kontexte k1 , k2 , . . . relativiert. Statt K(s, p) schreiben wir also K(s, k, p): s weiß in Kontext k, dass p Stellen wir uns nun folgende Szene vor: Der Zoobesuch Ludger und Gisela sind im Zoo vor dem Zebragehege. Ludger sagt: Ich mag Zebras – und ich weiß eine Menge u ¨ber Zebras ” wie diese da. Wusstest Du beispielsweise, dass Zebras wie diese im Stehen schlafen und ...“ Woher weißt Du eigentlich, dass dies da Zebras sind?“, un” terbricht ihn Gisela: Ich habe gerade gelesen von einem Fall in ” Gaza.10 Dort hat ein Zoo-Direktor Esel angemalt und diese in ein Zebra-Gehege gesteckt. Warum soll dies hier nicht auch der Fall sein?“ Hm. Anscheinend weiß ich nicht, dass das da Zebras sind.“ ” Wir haben hier zwei Kontexte: In Kontext klow —vor Giselas Einwurf—sind die epistemischen Standards gering, und Ludger (s) weiß in klow , dass vor ihm Zebras stehen (p). Giselas Einwurf steigert die epistemischen Standards und erzeugt so einen neuen Kontext khigh . In khigh weiß Ludger nicht mehr, dass vor ihm Zebras stehen—so zumindest die Intuition des Kontextualisten. Dem Kontextualisten zufolge ist dies auch kein Widerspruch. Es kann also gelten: (1) K(s, klow , p) ∧ ¬K(s, khigh , p) Kontextualismusthese [1] 12 Aus (1) k¨onnen wir folgern, dass (2) K(s, klow , p) (3) ¬K(s, khigh , p) (∧A) auf (1) [1] (∧A) auf (1) [1] Klarerweise ist der Kontextualismus aber auch wissbar, wenn er wahr w¨are. Also kann Ludger nach Giselas Einwurf wissen, dass er vor ihrem Einwurf wusste. Ein Kontextualist sollte also annehmen: (4) K(s, khigh , K(s, klow , p) ∧ ¬K(s, khigh , p)) . Wissbarkeit des Kontextualismus in anspruchsvollen Kontexten [4] Aus (4) folgt durch (M) aber nat¨ urlich auch, dass Ludger in khigh weiß, dass er in klow wusste. Also: (5) K(s, khigh , K(s, klow , p)) (MP) auf (M,4) [4] Auch im Kontextualismus gilt die Regel (T): Wissen bleibt auch im Kontextualismus faktisch. Und dies ist ebenso wissbar. (6) K(s, khigh , K(s, klow , p) ∧ K(s, klow , p) → p) (Nec) auf (T,4) und (∧E) [4] Durch das Abgeschlossenheitsprinzips (K) k¨onnen wir demnach schließen: (7) K(s, khigh , p) (K) auf (6) [4] Dies ist eindeutig ein Widerspruch zu (3). (3) ist nur abh¨angig von (1)—der Kontextualismusthese. Der Widerspruch selbst ist demnach abh¨angig von (1) und der These, dass der Kontextualismus wissbar ist (4). Irgendetwas davon muss anscheinend aufgegeben werden. Dass der Kontextualismus selbst nicht wissbar sein soll (4), w¨are absurd. Also: (8) ¬K(s, khigh , p) ∧ K(s, khigh , p) (∧E) auf (3,6) [1,4] (9) K(s, klow , p) ∧ ¬K(s, khigh , p) → (¬K(s, khigh , p) ∧ K(s, khigh , p)) . (→E) auf (// 1,7) [4] (10) ¬(K(s, klow , p) ∧ ¬K(s, khigh , p)) durch (RAA) auf (8) [4] Der Kontextualismus ist nach Brendels Argument deswegen selbstwiderspr¨ uchlich. 2.3. Fitchs Beweis der notwendigen Unwissbarkeit. Fitch (1963, p. 138f) formulierte einen sehr informellen Beweis11 f¨ ur die These, dass nicht jede Wahrheit wissbar sein muss—dass es also eine Wahrheit gibt, die notwendig unwissbar ist. Dies w¨are, letztendlich, der Todesstoß f¨ ur den Verifikationismus, der davon ausgeht, dass jede Wahrheit nachpr¨ ufbar und wissbar sein muss. Um den Beweis zu formalisieren bedarf es zus¨atzlich zum Wissensoperator K noch des M¨oglichkeitsoperators ♦ (Es ist m¨oglich, dass...). Da in diesem Beweis 13 Subjekt-Sensitivit¨at keine Rolle spielt, unterdr¨ ucken wir zugunsten der Lesbarkeit den Subjekt-Ausdruck s in den Formeln. (Er kann aber gerne dazugedacht werden.) Wir k¨onnen eine (schwache) Verifikationismus-These formalisieren als: (V) ∀ϕ(ϕ → ♦K(ϕ)) Verifikationismusthese [V] F¨ ur jede Aussage ϕ gilt nach (V), dass wen ϕ wahr ist, dass ϕ dann auch gewusst werden kann. Fitch widerlegt (V) dadurch, dass er zeigt, dass Verifikationismus faktische Allwissenheit impliziert, was absurd w¨are! Das Ergebnis des Beweises ist deswegen als Knowability Paradox (KP) bekannt ist: (KP) ∀ϕ(ϕ → ♦K(ϕ)) ` ∀ϕ(ϕ → K(ϕ)) Absurdit¨ at (KP) w¨are nat¨ urlich absurd, da wir faktisch nicht alles wissen. Also w¨are (V) falsch. Betrachten wir Fitchs Beweis im Details. Fitchs reductio ad absurdum des Verifikationismus beginnt mit folgender Feststellung: Faktischerweise gibt es S¨atze, von denen wir wissen, dass wir sie derzeit nicht wissen. Beispielsweise ist entweder eine gerade oder eine ungerade Anzahl von B¨ uchern im Regal in meinem B¨ uro. Ich weiß aber jetzt nicht, ob die Anzahl gerade oder ungerade ist. Ich weiß es erst, wenn ich in mein B¨ uro gehe und die B¨ ucher z¨ahle. Welcher Satz p u ucherregal auch immer wahr sein m¨oge, f¨ ur ihn gilt: ¨ber mein B¨ (1) p ∧ ¬K(p) Annahme [1] Wenn (V) wahr w¨are, dann m¨ usste (1) wissbar sein, also: (2) (p ∧ ¬K(p)) → ♦K(p ∧ ¬K(p))) (3) ♦K(p ∧ ¬K(p)) ϕ ∀-Aufl. p∧¬K(p) [V] (MP) auf (V,1) [V,1] Damit (3) wahr ist, muss es eine Situation (oder m¨ogliche Welt) geben, in der es der Fall ist, dass ich (1) weiß. (3) anzunehmen ist deswegen nicht widerspr¨ uchlich: (4) K(p ∧ ¬K(p)) Annahme [4] Wir k¨onnen dann folgendermaßen fortfahren: (5) (6) (7) (8) (9) (10) K(p) ∧ K¬K(p) K¬K(p) K(p) ¬K(p) K(p) ∧ ¬K(p) ¬K(p ∧ ¬K(p)) (MP) auf (M,4) (∧A) auf (5) (∧A) auf (5) durch (MP) auf (T,6) (∧E) auf (7,8)–Widerspruch! (RAA) auf (/ 4,9) [4] [4] [4] [4] [4] [ ] 14 (9) zeigt, dass (4) falsch sein muss, da (4) zu einem Widerspruch f¨ uhrt, also gilt die Negation von (4)—damit (10). (10) muss gelten, da die Negation von (10) zum Widerspruch f¨ uhrt, also: ` ¬K(p ∧ ¬K(p)). Weil (10) eine syntaktische Wahrheit ist und im Widerspruch zu (4) steht, ist es unm¨oglich, dass (4) wahr sein kann: (11) ¬♦K(p ∧ ¬K(p)) aus (4)–(10) [ ] Erinnern Sie Sich aber daran, dass es einen Fakt gibt, den ich nicht kenne (1)— beispielsweise bez¨ uglich der Anzahl der B¨ ucher in meinem Regal im B¨ uro. Daraus hatten wir mithilfe von (V) den Satz (3) abgeleitet. (3) ist aber eindeutig im Widerspruch zu (11). Aus (1) l¨asst sich also mithilfe von (V) ein Widerspruch ableiten, wodurch wir beweisen k¨onnen, dass (1) nicht gilt: (12) ¬(p ∧ ¬K(p)) (RAA) auf (/1,V,11) [V] Nun k¨onnen wir (12) zur logisch ¨aquivalenten Formel (13) umformen:12 (13) p → K(p) Umformung [V] Aus (V) l¨asst sich also (13) ableiten: Wenn p wahr ist, dann wissen wir p. Die Aussage p war aber keine bestimmte Aussage, sondern eine beliebige, die zu einem gewissen Zeitpunkt nicht gewusst wurde. Da p so beliebig ist, k¨onnen wir das Ergebnis wiederum generalisieren: (14) ∀ϕ(ϕ → K(ϕ)) ∀-Einf. (13) p∧¬K(p) ϕ [(V)] Aus der M¨oglichkeit, alles zu wissen, folgt durch sehr unkontroverse Schl¨ usse, dass man alles weiß (KP): (KP) ∀ϕ(ϕ → ♦K(ϕ)) ` ∀ϕ(ϕ → K(ϕ)) Absurdit¨ at Da wir faktisch nicht alles wissen, ist der Verifikationismus falsch: Es muss eine Wahrheit geben, die wir notwendig nicht wissen k¨onnen. Fitchs Beweis ist einer der sch¨onsten der epistemischen Logik. Selbst wenn er korrekt gef¨ uhrt ist, tr¨agt er immer noch den Hauch des Paradoxen. Denn er zeigt, dass wir wissen, dass es etwas gibt, von dem wir nichts wissen k¨onnen. 3. Epistemische Modelle Unser Fokus lag auf der Syntax einer EL. Wir haben also syntaktisch bewiesen. Man kann jedoch auch semantisch beweisen. Hierf¨ ur wird anstatt auf Beweistheorie auf Modell theorie zur¨ uckgegriffen. Der Vollst¨andigkeit halber sei hier der Aufbau einer rudiment¨aren Semantik (basierend auf einem epistemischen Modell) zumindest erw¨ahnt. 15 Die Semantik von Wissensaussagen spielt eine große Rolle in der philosophischen Epistemologie, aber auch in der Anwendung des formalen Apparats auf konkrete Situationen: Wie entscheiden wir f¨ ur einen bestimmtes Subjekt si (bspw. Elke, Holger, Sonja, etc.), ob f¨ ur si ein Satz K(si , p) wahr ist? Wie bauen wir also die Semantik von Wissensaussagen auf? Der Wahrheitswert einer epistemischen Zuschreibung muss nicht aus der Sicht des Subjekts entscheidbar sein—besonders, wenn wir sicherheitsbasierte oder externalistische Wissenstheorien zulassen wollen. Wir m¨ochten jedoch auch erfassen, wann ein Subjekt wie Elke anhand ihres Bildes der Welt einer Wissensaussage zustimmt oder nicht. Wir k¨onnen dazu Elke ein Modell der Welt und deren M¨oglichkeiten unterstellen. Dieses (hypothetische) kognitive Modell w¨ urde es Elke erlauben, die Wissenszuschreibungen, die sie akzeptiert, von denen, die sie ablehnt, zu unterscheiden. In der Aufstellung eines solchen Modells geht man gerne auf eine Formulierung von David Lewis (2001) zur¨ uck, der von Vorstellungen wie die Welt sein k¨onnte“ ” spricht, die mit unserem Wissen vereinbar sind. Dies sind epistemisch zug¨angliche Welten: The content of someones knowledge of the world is given by his class ” of epistemically accessible worlds. These are the worlds that might, for all he knows, be his world; world W is one of them [if and only if] he knows nothing, either explicitly of implicitly, to rule out the hypothesis that W is the world where he lives.“ (Lewis, 2001, p. 26) Wir wissen derzeit nicht, ob Julius C¨asar die Blutgruppe A+ hatte (Welt w1 ) oder nicht (Welt w2 ). Beide Alternativen, w1 und w2 sind mit all unserem Wissen vereinbar. Also sind beide Welten f¨ ur uns epistemisch zug¨anglich. In einer epistemisch zug¨anglichen Welt ist also all das wahr, was wir wissen. Die aktuale Welt, in der wir uns befinden, ist demnach trivialerweise auch epistemisch zug¨anglich. Nennen wir die Zug¨anglichkeitsrelation RK , die epistemisch zug¨anglichen Welten oder Szenarios w1 , w2 , . . . und die (nicht-leere) Menge aller f¨ ur ein Subjekt epistemisch zug¨anglichen Welten W . RK ist demnach folgenderweise definierbar: Df1: RK Ein Welt wi ist dann epistemisch zug¨anglich f¨ ur ein Subjekt s in einer Welt wj , wenn alles, was s in wj weiß, auch in wi wahr ist. Df2: RK Trivialerweise ist alles, was in einer Welt gewusst wird, in dieser Welt wahr. Daher gilt f¨ ur jede Welt wi in W : RK (wi , wi ). RK ist also notwendig reflexiv.13 16 Ein epistemisches Modell M, mit dem man S¨atze unserer epistemischen Logik auf deren Wahrheitsgehalt untersuchen kann, besteht somit aus folgenden Bestandteilen: Der Menge epistemisch zug¨anglicher Welten W , der Zug¨anglichkeitsrelation RK und einer Funktion V , die jedem atomaren Satz p eine Teilmenge V (p) von W zuweist, in der p der Fall ist. Man kann V auch als eine Belegungsfunktion verstehen, nach der V (p) sagt, in welchen Welten p wahr ist. Also M = hW, RK , V i. Wann weiß ein Subjekt s in diesen Modellen, dass p? Genau dann, wenn von der Welt wi , in der s sich befindet, p in allen zug¨anglichen Welten gilt. Betrachten Sie als Beispiel die grafische Repr¨asentation eines Model MBsp. in Abbildung 1. Formal w¨ urde man MBsp. aufschreiben als: MBsp. = hW = {w1 , w2 , w3 }, . RK = {hw1 , w2 i, hw2 , w3 i, hw1 , w1 i, hw2 , w2 i, hw3 , w3 i} . V (p) = {w3 }, V (q) = {w2 , w3 }, V (r) = {w1 , w2 , w3 }i Abbildung 1. Eine grafische Darstellung von MBsp. : Die Kreise stellen die Welten dar, Pfeile die epistemischen Zug¨anglichkeitsrelationen, und die Beschriftung innerhalb der Kreise, welche S¨atze in dieser Welt nicht ausgeschlossen werden k¨onnen. Wir k¨onnen in diesem Modell MBsp. ohne den Umweg u ul rein ¨ber einen Kalk¨ semantisch Beweise f¨ uhren. Wir k¨onnen beispielsweise in MBsp. zeigen, dass s in w1 nur weiß, dass r, in w2 aber, dass q und r, und in w3 sogar, dass p, q, und r. Wir k¨onnen auch semantisch beweisen, dass, beispielsweise, |= K(s, p ∧ r) → K(s, r). Erinnern Sie Sich an die drei Logiker in der Bar (Abschnitt 2.1)? MBsp. k¨onnte eine vereinfachte Version von Elkes Wissenszustand zu unterschiedlichen Zeitpunkten sein. Bei jeder Antwort geht Elke von einer Welt via der Zug¨anglichkeitsrelation in eine andere Welt u ¨ber: Nach der Antwort Berties von w1 zu w2 ; nach der Antwort von Kurt von w2 zu w3 ; eben solange, bis sie in w3 wirklich weiß, dass alle drei Logiker ein Pils m¨ochten: Von w3 sind n¨amlich nur Welten zug¨anglich, in denen gilt p ∧ q ∧ r. Also gilt in diesem Modell semantisch K(s, p ∧ q ∧ r). NOTES 17 4. Empfehlungen Es gibt kaum einf¨ uhrende Literatur zur epistemischen Logik, obwohl Hintikka (1962) ¨ immer noch empfehlenswert ist. F¨ ur einen Uberblick eignet sich Sorensen (2002) und de Bruin (2007) sowie der Eintrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy: http: //plato.stanford.edu/entries/logic-epistemic/. F¨ ur eine Aufstellung von Beweisregeln, siehe http://www.ai.rug.nl/mas/finishedprojects/2011/ELPC/www. ai.rug.nl/_dwedema/mas/index.html. F¨ ur eine weiter gefaßte deutsche Einf¨ uhrung in die philosophische Logik eignet sich auch Stuhlmann-Laisz (2002), der besonders die modallogischen Grundlagen der philosophischen Logik erl¨autert. Danksagung: Ich bedanke mich herzlich bei Ramiro Glauer, Jan-Nikolas Klanke, Marius Markmann, Sonja Priesmeyer, und Stanislaw WirokStoletow f¨ ur deren hilfreiche Kommentare. Notes ¨ Aumann erlangte f¨ ur seine spieltheoretischen Arbeiten 2005 den Nobelpreis in Okonomie. Democracy und kilt geh¨ oren zum Vokabular des Englischen, Demokratie, demorcrazy und c 飇 derzeit aber noch nicht. 3 Es gibt auch die Schreibweise, in der man den Wissensoperator indiziert (Ks1 (p), Ks2 (q), ...). 4 Sogar die Hauptquelle, wenn man Rationalist ist. 5 Interessanterweise wurde im Schwedischen der Ausdruck KK“ zum Synonym f¨ ur fuck buddy. ” Dies ist nat¨ urlich epistemologisch absolut marginal, sollte sie aber ermutigen, Fußnoten zu lesen. 6 Williamson (2002, p. 93ff) nennt dies the luminosity of knowledge“. Er selbst lehnte (4) ab. ” 7 Siehe aber McGee (1980) und Yalcin (2012). 8 Eine andere M¨ oglichkeite w¨ are, dass mathematische S¨atze nur dann einen Wahrheitswert haben, wenn sie bewiesen sind und nicht vorher. Es g¨abe dann S¨atze ohne Wahrheitswert. Diese Idee ist der Kern der von Brouwer (1967) entwickelten intuitionistischen Logik, die in der Philosophie der Mathematik vielbeachtet ist, da sie den Satz des ausgeschlossenen Dritten aufgibt. 9 W¨ urde man f¨ ur Ich weiß nicht.“ nur schreiben ¬K(s, p), dann w¨are dies vertr¨aglich mit ” K(s, ¬p). Wenn wir wirkliche Ignoranz ausdr¨ ucke wollen, dann sollten wir sagen, dass wir nicht wissen, ob p oder ¬p, also ¬K(s, p) ∧ ¬K(s, ¬p). 10 Siehe https://www.youtube.com/watch?v=fNjidijtL1I, http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_ east/8297812.stm, oder http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/israel/ 6274874/Gaza-zookeepers-draw-crowds-with-painted-donkeys-after-zebras-die.html. 11 THEOREM 4. For each agent which is not omniscient, there is a true proposition which that ” agent cannot know. Proof. Suppose that p is true but not known by the agent. Then, since knowing is a truth class closed with respect to conjunction elimination, we conclude from Theorem 2 that there is some true proposition which cannot be known by the agent.“ 12 ¨ Uberpr¨ ufen Sie zur Not durch Wahrheitswerttabellen, dass (12) und (13) ¨aquivalent sind. 13 (Df2: RK ) folgt also notwendig aus (Df1: RK ). 1 2 18 NOTES Literatur Aumann, R. (1999). Interactive epistemology i: Knowledge. International Journal of Game Theory, 28:263–300. Brendel, E. (2005). Why contextualists cannot know they are right — self-refuting implications of contextualism. Acta Analytica, 20:38–55. Brendel, E. (2009). Contextualism, relativism, and factivity. analyzing ‘knowledge’ after the new linguistic turn in epistemology. In Hieke, A. and Leitgeb, H., editors, Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences, pages 403–416. Frankfurt-Heusenstamm: Ontos. Brendel, E. (2013). Wissen. Grundthemen Philosophie. Berlin: Walter de Gruyter. Brouwer, L. E. J. (1967). On the significance of the principle of excluded middle in mathematics, especially in function theory. In van Heijenport, J., editor, A Source Book in Mathematical Logic, 1879-1931, pages 334–45. Cambridge, MA: Harvard University Press. Cohen, S. (1986). Knowledge and context. The Journal of Philosophy, 83:574–583. de Bruin, B. (2007). Epistemic logic and epistemology. In Hendricks, V. F. and Pritchard, D., editors, New Waves in Epistemology, pages 106–163. London: Palgrave Macmillan. DeRose, K. (1992). Contextualism and knowledge attributions. Philosophy and Phenomenological Research, 52(4):913–929. Dretske, F. I. (1970). Epistemic operators. The Journal of Philosophy, 67(24):1007–1023. Fagin, R., Halpert, J. Y., Yoram, M., and Vardi, M. Y. (1995). Reasoning about Knowledge. Cambridge, MA: MIT Press. Fitch, F. B. (1963). A logical analysis of some value concepts. Journal of Symbolic Logic, 28(2):135–142. Hintikka, J. (1962). Knowledge and Belief: An Introduction to the Logic of the Two Notions. Cornell University Press. Hitchens, C. (2009). God Is Not Great: How Religion Poisons Everything. New York: Twelve Books. Lenzen, W. (1978). Recent work in epistemic logic. Acta Philosophica Fennica, 30:1–219. Lewis, D. (1986/2001). On the Plurality of Worlds. Oxford: Blackwell. Lewis, D. (1996). Elusive knowledge. Australasian Journal of Philosophy, 74(4):549–567. McGee, V. (1980). A counterexample to modus ponens. The Journal of Philosophy, 82(9):462–471. Neta, R. (2005). A contextualist solution to the problem of easy knowledge. Grazer Philosophische Studien, 69(1):183– 206. Sorensen, R. (2002). Formal problems about knowledge. In The Oxford Handbook of Epistemology, chapter 19, pages 539–568. Oxford: Oxford University Press. Stuhlmann-Laisz, R. (2002). Philosophische Logik. Paderborn: mentis. Williamson, T. (2002). Knowledge and its limits. Oxford: Oxford University Press. Yalcin, S. (2012). A counterexample to modus tollens. Journal of Philosophical Logic, 41(6):1001–1024. NOTES 19 5. Formelsammlung ` Syntaktische Ableitbarkeit (beweisbar in einem Kalk¨ ul) |= Semantisch Folgerung (beweisbar in einem Modell) Zeichen: ϕ spricht man phi aus und ψ spricht man psi aus. nicht: ¬; und: ∧; oder: ∨; impliziert/wenn,dann: →; genau dann, wenn: ↔ (Df: K) Wenn ein Subjekt s irgendeine Proposition weiß, die sich als ein Satz ϕ ausdr¨ ucken l¨asst, dann schreibe K(s, ϕ). (LK R1) Wenn ein Satz ϕ ein wohlgeformter Satz der Aussagenlogik ist, dann ist ϕ auch ein wohlgeformter Satz in LK . (LK R2) Wenn ein Satz ϕ ein wohlgeformter Satz in LK ist, dann ist auch ein Satz K(s, ϕ) ein wohlgeformter Satz in LK . (T) (D) (M) (K) (4) (5) (MP) (Nec) (DS) (∧A) (∧E) (→E) (MT) (RAA) (LDWA) (YES) (NO) (IDK) K(s, ϕ) → ϕ K(s, ϕ) → ¬K(s, ¬ϕ) K(s, ϕ ∧ ψ) → K(s, ϕ) ∧ K(s, ψ) K(s, ϕ → ψ) → (K(s, ϕ) → K(s, ψ)) K(s, ϕ) → KK(s, ϕ) ¬K(s, ϕ) → K¬K(s, ϕ) modus ponens: Wenn ` ϕ → ψ und ` ϕ, dann ` ψ. Wenn notwendig gilt ` ϕ, dann ` K(s, ϕ). Disjunktiver Syllogismus: Wenn ` ϕ ∨ ψ und ` ¬ψ, dann ` ϕ. Und-Aufl¨osung: Wenn ` ϕ ∧ ψ, dann ` ϕ und ` ψ. Und-Einf¨ uhrung: Wenn ` ϕ und ` ψ, dann ` ϕ ∧ ψ. Implikations-Einf¨ uhrung: Wenn ` ϕ, dann ` ψ → ϕ. modus tollens: Wenn ` ϕ → ψ und ` ¬ψ, dann ` ¬ϕ. reduction ad absurdum: Wenn ` ϕ → ⊥, dann ` ¬ϕ. K(si , K(sj , ϕ)) → K(si , ϕ) Ja“: K(s, p) ” Nein“: K(s, ¬p) ” Ich weiß nicht“: ¬K(s, p) ∧ ¬K(s, ¬p) ” Modell M = hW, RK , V i W Menge der epistemisch zug¨anglichen Welten w1 , w2 . RK Epistemische Zug¨anglichkeitsrelation: wi ist von wj epistemisch zug¨anglich, wenn alles, was s in wj weiß, auch in wi der Fall ist. V Wahrheitsfunktion: Weist S¨atzen zu, in welchen Welten in W sie wahr sind. p ist wahr in wi genau dann, wenn wi ∈ V (p).