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Wirtschaft 9
Dienstag, 23. Februar 2016
«Erst der Anfang der Geschichte» 13 050 DIE ZAHL
Tonnen Dauerbackwaren sind von den zwei Dutzend industriellen Schweizer Herstellern vergangenes Jahr im Ausland verkauft worden. Das sind 5 Prozent weniger als 2014, wie der Verband Biscosuisse mitteilt. Es ist der fünfte Rückgang der Exportmenge in Serie. Einzig brotähnliche Produkte wie Zwieback und Knäckebrot wurden mehr ausgeführt, während Guezli und haltbare Frischbackwaren wie Cakes oder Getreideriegel stark einbüssten. Der Auslandumsatz sank um 5,9 Prozent auf 111,3 Mio. Franken. Insgesamt setzte die Schweizer Industrie knapp 30 Prozent ihrer Produktion im Ausland ab. Weniger Appetit hatte der wichtigste Absatzmarkt Deutschland (–24 Prozent), mehr dagegen China, Japan, Saudi-Arabien oder Schweden. In der Schweiz setzte unsere Industrie 30 923 Tonnen (–2,5 Prozent) ab und setzte damit 336,6 Millionen Franken (–0,4 Prozent) um. Biscosuisse beklagt, wegen des Agrargrenzschutzes müssten die Firmen Mehl und Butter zu Preisen weit über dem europäischen Niveau einkaufen. Mehrkosten werden auch wegen des Verbots des Schoggigesetzes ab 2021 und wegen der SwissnessRegeln befürchtet. (sda)
EFG will mit Tessiner BSI aufsteigen ZÜRICH/LUGANO. Die Privatban-
kengruppe EFG International kauft für 1,3 Mrd. Fr. die fast gleich grosse Tessiner Privatbank BSI. Der Zusammenschluss soll die fünftgrösste Schweizer Privatbank schaffen: Gemeinsam verwalten die Banken Vermögen von 170 Mrd. Franken. Stimmen Aktionäre und Wettbewerbsbehörden zu, überholen die beiden Banken Rivalen wie Vontobel oder J. Safra Sarasin und reihen sich hinter UBS, Credit Suisse, Julius Bär und Pictet ein. «Wir wollen lieber ein Konsolidierer als ein Übernahmeziel sein», sagt EFG-Chef Joachim Straehle. Vom Zusammenschluss verspricht er sich eine bessere Wettbewerbsposition auf dem Bankenplatz. Im derzeit rauhen Marktumfeld − zusammen mit verschärften Regulierungen − sei eine kritische Grösse wichtig. Straehle sagte, die beiden Banken ergänzten sich geographisch. Bis 2019 sollen jährliche Kosteneinsparungen von 185 Mio. Fr. vor Steuern erzielt werden − unter anderem durch die Zusammenlegung der IT-Plattformen. Zunächst kostet die Fusion jedoch Geld: Bis Ende 2018 rechnen die Banken mit Kosten von 200 Mio. Franken. Wie viele Jobs zusätzlich im Zuge der Übernahme wegfallen, sei noch unklar. EFG baut bereits im Rahmen eines Sparprogramms 200 Stellen ab. Per Ende 2015 hatte EFG in Vollzeitstellen gerechnet 2137 Angestellte, die BSI 1852. Verkäuferin ist die brasilianische Bank BTG Pactual, welche die BSI erst Mitte 2015 übernommen hatte, nun aber Liquiditätsprobleme hat. BTG Pactual wird an der um die BSI vergrösserten EFG 20% halten. Grösste Aktionärin wird mit 35% die Genfer Holding EFG Group, die der Reederfamilie Latsis gehört. (sda)
Die St. Galler Firma Adcubum hat einen nationalen Marktanteil von über 50 Prozent in ihrer Branche. Nun ist der Softwareentwickler der Krankenversicherungsbranche für den Prix SVC Ostschweiz nominiert. TIM NAEF
ST. GALLEN. Die Erfolgsgeschichte
von Adcubum beginnt 1997 in einem muffigen Zimmer an der Teufenerstrasse in St. Gallen. Damals haben fünf Ostschweizer die Vision, eine Grundstruktur, eine Software für eine Geschäftsanwendung zu bauen. Einer der Gründer schlägt vor, sich dabei auf die Krankenversicherungsbranche zu konzentrieren. Aufgrund der Millenniums-Problematik und der veralteten eigenentwickelten IT-Systeme der Krankenversicherer sieht man auf dem Markt eine Chance für ihr Produkt. «Eigenbau» als Konkurrenz Unter Standardsoftware werden Systeme verstanden, die einen klar definierten Anwendungsbereich abdecken und als vorgefertigte Produkte erworben werden können. «Wir bieten eine echte Standardsoftware an, gehen aber einen anderen Weg als die Konkurrenz», sagt Ren´e Janesch, Chef der Adcubum AG. «Wir passen die Software nicht für jeden einzelnen Kunden an, sondern bringen ihm bei, die Standardsoftware selbst zu individualisieren und sich so fachlich weiterzuentwickeln.» Ein Schweizer Marktanteil von über 50% im Segment der Softwareprodukte der Krankenund Unfallversicherungen gibt Adcubum recht und zeigt, dass sich die Idee erfolgreich von der Konkurrenz abhebt. «Einer unserer grössten Mitbewerber in der Schweiz ist die Marke Eigenbau», sagt Janesch. Besonders am Anfang hätten viele Versicherungen ihre eigene, selbst entwickelte Software gehabt und sich schwer getan, sich von dieser zu lösen. Dann wurde sie aber dennoch – meist aus Kostengründen – durch eine Standardsoftware ersetzt. Über 280 Mitarbeiter Der erste Versicherer, der sich für Adcubum und ihre Standardsoftware entschieden hat, war mit der Schweizerischen ÄrzteKrankenkasse ebenfalls eine Ostschweizer Firma. Mit Sanitas, Visana, Swica, Concordia, Helsana und schliesslich der Suva folgten
Bild: Benjamin Manser
Firmenchef Ren´ e Janesch geht mit Adcubum unorthodoxe Wege, um ans Ziel zu gelangen.
immer grössere Versicherer dem Beispiel des St. Galler Nischenversicherers. So ist der Umsatz von Adcubum weiter gestiegen – in den vergangenen vier Jahren durchschnittlich um 15%. Der Umsatz liegt bei rund 70 Mio. Fr., und mittlerweile beschäftigt das Unternehmen über 280 Mitarbeitende an sechs Standorten. «Für die Zukunft streben wir ein kontinuierliches Wachstum an», sagt Janesch. «In den kommenden zwei bis drei Jahren wollen wir die Umsatzmarke von 100 Millionen erstmals knacken. Trotz dieser Ambitionen läuft aber alles unter dem Motto: Nie die Bodenhaftung verlieren.» Zum einen sollen diese Ziele mit der Erschliessung des Sachversicherungsmarktes erreicht werden, und zum anderen ist eine Expansion nach Deutschland geplant. «In Stuttgart haben wir bereits seit längerem eine Niederlassung. In den kommenden Monaten sind zudem die Eröffnungen zweier weiterer
Standorte in Düsseldorf und Hamburg geplant», sagt Janesch. «Alle Investitionen werden dabei aus Eigenmitteln finanziert.» Eine eigene Academy Um den hohen Qualitätsansprüchen der Branche zu entsprechen, sind mehr als 70% der Mitarbeitenden Hochschulabsolventen. In der Branche sei es schwierig, qualifiziertes Personal
Prix SVC Ostschweiz Sechs Finalisten aus drei Kantonen Für den 7. Prix SVC Ostschweiz sind sechs Unternehmen nominiert, vier aus dem Kanton St. Gallen, eines aus Appenzell und eines aus Graubünden. Wir stellen die Finalisten in loser Folge vor. Der Preis wird am 10. März verliehen. (T. G.)
zu finden, sagt Janesch. Viele ITFachleute zieht es aus der Ostschweiz nach Zürich. Daher betreibt Adcubum eine Standortförderung, um die Fachkräfte im Raum St. Gallen-Bodensee zu halten respektive sie zurückzuholen. Des Weiteren verfügt Adcubum über ein eigenes Schulungszentrum: die Adcubum Academy, die Kunden wie auch Mitarbeitende für die Standardsoftware schult und Versicherungsfachwissen vermittelt. Post-it an den Wänden Wer sich Adcubum nun als klassische IT-Firma mit unzähligen Bildschirmen vorstellt, wird nach dem Betreten der Räumlichkeiten mehr als überrascht: Zwar hat jeder Mitarbeitende seinen eigenen Arbeitsplatz, die meisten Angestellten stehen aber in kleinen Grüppchen vor einer Wand voller Post-it-Notizzettel. «Die Gruppen bezeichnen wir als Scrumteams», sagt Janesch. Der Begriff stamme aus
dem Rugby und bezeichnet das Gedränge, bei welchem die Mannschaft als Team um den Ball kämpft. Scrum steht aber auch für eine agile Entwicklungsmethode, nach der bei Adcubum gearbeitet wird. Die Post-its erleichtern dabei die Arbeit. «Wir haben gemerkt, dass wir damit die komplexen Sachverhalte und Zusammenhänge übersichtlicher und verständlicher aufzeigen können. Früher sei alles über den Bildschirm gegangen. Ein weiterer Meilenstein Dass die eher ungewöhnliche Arbeitsweise bestens funktioniert, beweist das gute Feedback der Mitarbeitenden. «Und jetzt natürlich auch die Nomination für den Prix SVC Ostschweiz», sagt Janesch. «Es wäre schön zu gewinnen.» Denn dies würde das Geleistete bestätigen. «Es wäre ein weiterer Meilenstein in unserer Firmengeschichte. So oder so – es ist erst der Anfang.»
China ächzt unter Überkapazitäten
Die chinesische Staatswirtschaft hat in den vergangenen Jahren gewaltige Überkapazitäten aufgebaut. Die europäische Handelskammer in Peking warnt, nicht ganz uneigennützig, vor den Folgen. Peking scheint auf einen langsamen Übergang zu setzen. FINN MAYER-KUCKUK
PEKING. Die chinesischen Unternehmen versenkten bitter nötiges Kapital in überflüssigen Anlagen und erhöhten das Risiko einer Kreditkrise. International vernichte der Billigexport Arbeitsplätze und schade dem Ansehen des Landes. Das besagt eine Studie, welche die Kammer zusammen mit der Beratungsfirma Roland Berger vorgelegt hat. «Die Entwicklung schafft erhebliche Probleme in China und weltweit», sagte Kammerpräsident Jörg Wuttke gestern. Jahrelang hat China die Konjunktur vor allem durch immer höhere Investitionen am Laufen gehalten. Einen Rückwärtsgang kennt die Wirtschaftspolitik nicht: Um das Wachstum auf zweistellige Raten hochzutreiben, haben die Staatsfirmen immer höhere Kredite bekommen, mit denen sie neue Fabrikhallen bauen, neue Maschinen an-
schaffen und neue Mitarbeitende anstellen sollten. Gigantische Industrien Die Kammer hat bereits 2009 vor Überkapazitäten gewarnt. Seither hat sich die Lage dramatisch verschlechtert, zumal die Weltnachfrage gefallen ist. Chinas Stahlwerke stossen so viel aus wie jene in Japan, Russland, den USA und der EU zusammen. Die Produktion der nordchinesischen Provinz Hebei allein übertrifft jene des weltweit zweitgrössten Herstellers Japan. China stellt die Hälfte des global verkauften Stahls her – und könnte noch ein gutes Viertel mehr produzieren. Kein Wunder, dass die Anbieter inzwischen unter den Herstellungskosten verkaufen. Praktisch die ganze Grundstoffindustrie ist betroffen. Innert zwei Jahren stellt China so viel Zement her wie die USA im gesamten 20. Jahrhundert. Auch die Aluminiumhütten sind nur
zu drei Vierteln ausgelastet, obwohl sie bereits 13mal mehr absetzen als die US-Konkurrenz. Die Lage sieht in den Branchen Glas, Raffinerien, Papier oder Kohle ähnlich aus. «Null-Gewinn-Wirtschaft» Chinas Staatsbetriebe kennen nur Expansion, die tatsächliche Nachfrage ist den Managern oft völlig egal. Für sie zählt der Erhalt von Arbeitsplätzen und der Gewinn von Marktanteilen. Die Folge sei eine «Null-GewinnWirtschaft», warnt Wuttke. Die Firmen könnten die hohen Kredite der Banken nicht mit Zinsen zurückzahlen und brauchten immer neue Darlehen. Eine Schuldenkatastrophe droht. Kapital wird knapp, Chinas Wirtschaft verliert ihre Dynamik – obwohl die jungen Leute gute Ideen haben. Der starke und schlanke Mittelstand klagt bereits über eine Kreditklemme. Das Wachstum sinkt merklich.
Diese Fehlentwicklung ist in Peking längst erkannt, doch ist die Führung gegenüber den Provinzen weitgehend machtlos. Und die wollen vor allem die Arbeitsplätze und Unternehmen erhalten. Sie befeuern den Trend noch durch Subventionen. Tatsächlich würde beim Abbau der Überkapazitäten kurzfristig viel Personal frei – Schätzungen zufolge droht Hunderttausenden, wenn nicht Millionen von Arbeitskräften der Stellenverlust. Druck auf China wächst Dennoch wächst der Druck. Auf internationaler Bühne steht China immer schlechter dar – denn die Betriebe werfen die Waren immer billiger auf den Weltmarkt. Der Stahlexport in die EU ist 2015 um 50% gestiegen. Als Reaktion hat Brüssel vergangene Woche neue Strafzölle auf Einfuhren aus China verhängt. Stahlarbeiter demonstrieren in Brüssel für einen noch viel
strengeren Umgang mit der unfairen Ostasien-Konkurrenz. Laut Wuttke könnten die steigenden Vorbehalte China schaden: Die Grosskonzerne sind international auf Einkaufstour und investieren hohe Summen in Europa – sind dabei aber auch auf eine positive Stimmung angewiesen. Politisch ebenfalls relevant ist die Anerkennung Chinas als vollwertige Marktwirtschaft durch die EU – das Verfahren hängt in der Schwebe. China hat es bereits einmal geschafft, hohe Überkapazitäten zu beseitigen. Von 1998 bis 2003 wurden unprofitable Staatsbetriebe geschlossen, ein Teil der Belegschaft wurde frühpensioniert, der andere fand neue Arbeit. Fragt sich nur, ob das heute ebenso gut klappen würde – schliesslich sieht die Lage auf dem Weltmarkt schlechter aus. Die aktuelle Führung hat jedenfalls ihre Zweifel – und setzt eher auf einen langsamen Übergang.