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EUROPÄISCHE WÄHRUNGSUNION Ausweg aus der Eurokrise
Hintergrund Was ist eine Währungsunion? Eine Währungsunion ist ein Zusammenschluss mehrerer souveräner Staaten mit unterschiedlichen Währungen zu einem einheitlichen Währungsgebiet. Kennzeichen einer Währungsunion sind: • Eine einheitliche Währung in allen Mitgliedsstaaten • Eine einheitliche Geldpolitik für das gesamte Währungsgebiet • Der unbehinderte Kapitalverkehr innerhalb der Währungsunion Gemäss dieser Definition bilden zum Beispiel die Schweiz und Liechtenstein eine Währungsunion. Die bekannteste und bedeutendste Währungsunion ist die Europäische Währungsunion, die wir im Folgenden genauer untersuchen werden. Wie ist die Europäische Währungsunion entstanden? Den Grundstein zur Schaffung der Europäischen Währungsunion legten die Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer mit dem Vertrag von Maastricht im Februar 1992. Auf dem Weg zu einer Währungsunion wurden drei Stufen durchlaufen: 1. Stufe, ab Juli 1990 • Festlegung gemeinsamer wirtschaftspolitischer Ziele • Vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs • Teilnahme aller EU-Mitgliedsstaaten am Europäischen Währungssystem (EWS)
2. Stufe, ab Januar 1994 • Gründung eines Europäischen Währungsinstituts als Vorstufe zu einer gemeinsamen Zentralbank Ziel: stabile Wechselkursverhältnisse, einheitliche Geldpolitik, wirtschaftliche Angleichung der Mitgliedsstaaten
3. Stufe, ab Januar 1998 • Entscheid der Mitgliedsländer über den Beitritt zur Europäischen Währungsunion • Errichtung der Europäischen Zentralbank (EZB) • 1999: unwiderrufliche Fixierung der Wechselkurse, Einführung des Euro als Buchgeld
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Am 1. Januar 2002 wurde der Euro in Form von Banknoten und Münzen ausgegeben. Heute ist der Euro nicht in allen, aber in der Mehrheit der EU-Mitgliedsländer gesetzliches Zahlungsmittel. Im Jahr 2012 bezahlen rund 335 Millionen Menschen in 17 EU-Mitgliedsstaaten sowie sechs weiteren europäischen Staaten (Monaco, San Marino, Vatikanstadt, Andorra, Kosovo und Montenegro) mit dieser Währung. Für die gemeinsame Geldpolitik im Euroraum sind nicht mehr die nationalen Zentralbanken zuständig, sondern die Europäische Zentralbank (EZB). Eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Instrumente, die Geldpolitik, wurde damit von der nationalen auf die supranationale Ebene transferiert. Wer wird Mitglied der Eurozone? Zur Bestimmung derjenigen Länder, die Mitglied der Europäischen Währungsunion werden dürfen, entwickelte die EU eine Reihe von makroökonomischen Bedingungen: die sogenannten Konvergenzkriterien (Maastricht-Kriterien). Potenzielle Beitrittskandidaten müssen diese Bedingungen im Vorfeld des Beitritts erfüllen. Die Konvergenzkriterien betreffen sowohl die Geld- als auch die Fiskalpolitik. Geldpolitik • Die Inflation darf in den beitretenden Staaten höchstens 1,5 Prozentpunkte über der Inflation in den drei preisstabilsten Ländern liegen. • Die Zinssätze auf ihre langfristigen Staatsanleihen dürfen nicht mehr als 2 Prozentpunkte über den Zinssätzen der preisstabilsten Länder liegen. • Ihre Wechselkurse müssen im Vorfeld des Beitritts gegenüber dem Euro relativ stabil sein. Fiskalpolitik • Das jährliche Budgetdefizit von beitretenden Staaten darf nicht grösser als 3 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts sein. • Ihre Staatsverschuldung darf 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts nicht überschreiten. Mit diesen Konvergenzkriterien wollten die Gründerväter sicherstellen, dass sich die in der Europäischen Währungsunion zusammengeschlossenen Volkswirtschaften makroökonomisch annähern.
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Die Ausgangslage Die ersten zehn Jahre galten die Europäische Währungsunion und der Euro als Erfolgsgeschichte. 2009, zehn Jahre nach seiner Einführung, wurde der Euro als stabile und starke Währung angesehen. Nach der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise werden indes auch die Nachteile sichtbar: Länder an der sogenannten «Peripherie» der Eurozone drohen ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem «Zentrum» zu verlieren. Die Gegensätze in Europa nehmen zu. Bürger, Unternehmen und/oder Regierungen einiger Länder haben in den letzten zehn Jahren Schulden aufge-
nommen, deren Bedienung zunehmend zum Problem wird. 2010 mussten Griechenland und Irland mit Notkrediten vor dem Bankrott bewahrt werden. 2011 griff Portugal auf Rettungsgelder zurück. 2012 erhielt Spanien einen Rettungskredit und Zypern beantragte einen solchen. Ob Italien ohne Finanzhilfen durchkommt, ist gegenwärtig alles andere als sicher. Das internationale Vertrauen in den Euro hat gelitten. Auch zwei Jahre nach dem Ausbruch der Eurokrise bleibt umstritten, welches die Existenzbedingungen und Überlebenschancen der Währungsunion sind.
Die Eurozone (Stand 1. Januar 2011) EU-Staaten mit Euro Andere Staaten mit Euro
Quelle: Wikipedia.org
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Die Eurozone: ein optimaler Währungsraum? Eine gemeinsame Währung erleichtert den Bewohnern, aber auch den Unternehmen in einem Währungsraum das tägliche Geschäft – der Fachjargon spricht diesbezüglich von mikroökonomischen Vorteilen. Andererseits verzichtet ein Land mit dem Beitritt zu einer Währungsunion auf eine eigene Geldpolitik. Damit verliert das Land makroökonomisch an Flexibilität: Ohne eigene Währung können Konjunkturschwankungen nicht mehr durch Zins- und Wechselkursanpassungen gedämpft werden. (Wohingegen strukturelle Probleme, z.B. ein Defizit an Wettbewerbsfähigkeit, nicht durch eine Abwertung korrigiert werden können.) Aufgabe 1: Vorteile der Währungsunion Denken Sie an die Bewohnerinnen und Bewohner Europas: Welche Vorteile hat die gemeinsame Währung für sie?
Welches sind die volkswirtschaftlichen Vorteile des Euro? Erläutern Sie, auf welche Weise die Wirtschaft von den folgenden Effekten profitiert: Wegfall des Wechselkursrisikos
Senkung der Transaktionskosten
Reduktion der Informationskosten
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Aufgabe 2: Nachteile und Voraussetzungen einer Währungsunion Ist die Europäische Währungsunion ein vielversprechendes Projekt? Einige Hinweise dazu liefert die in den 1960erJahren vom kanadischen Ökonomen Robert Mundell entwickelte «Theorie optimaler Währungsräume». Sie listet diverse Bedingungen auf, die über die Erfolgsaussichten einer Währungsunion entscheiden. Recherchearbeit: Vergleichen Sie die Situation in der Eurozone mit derjenigen in den USA. Wie ähnlich sind sich die jeweiligen Mitglieds- bzw. Gliedstaaten dieser beiden Währungsgebiete? Ähnliche Wirtschaftsstrukturen Wirtschaftliche Homogenität ist ein Vorteil: Je ähnlicher die Teilnehmerländer sind, desto kleiner ist die Gefahr, dass einzelne Länder stärker als andere von Konjunkturveränderungen betroffen sind. Situation in der Eurozone bzw. den USA:
Flexible Löhne und Preise Sind die Löhne und Preise in einem Land völlig flexibel, so passt sich die Lohn- und Preisstruktur eines Landes rasch an eine veränderte Konjunktur an: Bei guter wirtschaftlicher Lage steigen die Löhne und Preise, in einer Rezession sinken sie. Je flexibler die Löhne und Preise sind, desto weniger ist ein Land auf eine individuelle Geldpolitik angewiesen. Situation in der Eurozone bzw. den USA:
Mobilität der Arbeitskräfte Sind die Arbeitskräfte dazu bereit, ihren Wohn- und Arbeitsort innerhalb der Währungsunion zu wechseln, so können regional unterschiedliche Entwicklungen besser ausgeglichen werden. Die Lohnhöhe in einzelnen Regionen übt dabei eine Signalfunktion aus: Arbeitskräfte aus einer rezessiven Wirtschaftsregion wandern in boomende Regionen, in denen sie einen höheren Lohn erzielen können. Situation in der Eurozone bzw. den USA:
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Koordinierte Fiskalpolitik Die Fiskalpolitik, d. h. die Gestaltung der Staatseinnahmen und -ausgaben, wird für die Mitgliedsländer einer Währungsunion zu einem wichtigen Mittel, um dem Entstehen von Ungleichgewichten entgegenzuwirken. So bewirkt beispielsweise eine Obergrenze für das jährliche Staatsdefizit auf natürliche Weise eine Koordination der Fiskalpolitik, indem z. B. Länder in einer Boomphase automatisch eine restriktivere Fiskalpolitik führen als ohne solche Obergrenze. Situation in der Eurozone bzw. den USA:
Ausgleichende Transferzahlungen Fiskalische Transfers stellen eine Form des Ausgleichs zwischen verschiedenen Wirtschaftsregionen dar. Dabei handelt es sich um Steuergelder, welche meist indirekt (über eine stärkere Zentralisierung des Steuerwesens) von boomenden in rezessive Länder fliessen und dort eine entsprechende Nachfragewirkung erzeugen. Situation in der Eurozone bzw. den USA:
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Streiks und Proteste in den Krisenländern Anpassungen können sehr schmerzhaft sein – dies erfahren gegenwärtig Krisenländer wie Griechenland oder Spanien: Hier muss der Staat sparen. Den Unternehmen der Krisenländer fällt es schwer, ihre Produkte abzusetzen. Um die Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu machen, müssen Preise und Löhne gegenüber den starken Zentrumsländern sinken. Arbeitsmarktreformen sind angesagt, um der Wirtschaft zu neuer Dynamik zu verhelfen: In der Zwischenzeit leiden Wachstum und Beschäftigung in den Krisenländern. Wie kam es zu diesen Problemen? Hintergrund ist die ungleiche Entwicklung in Europa. Nach dem Eintritt in die Währungsunion verzeichneten viele der heutigen Krisenländer einen Boom: Es herrschte Hochkonjunktur, die Produktionskapazitäten der Unternehmen waren ausgelastet. In der Folge stieg das Preisniveau in diesen Ländern an – und zwar stärker als im restlichen Kerneuropa. Stärker auch, als das gleichzeitige Wachstum der Produktivität es in den jeweiligen Ländern erlaubt hätte. Der Boom manövrierte die Länder gewissermassen ins wirtschaftliche Offside. Weil diese Länder heute keine eigene Geldpolitik mehr führen, bleibt ihnen innerhalb der Währungsunion nur noch die Anpassung über das Preis- und Lohnniveau. Ein solcher Prozess der «Deflation», «Desinflation» oder «inneren Abwertung» kann langwierig und mit hohen Kosten verbunden sein, wie die aktuellen Beispiele zeigen. Deutlich wird heute auch, welchen Stellenwert die Fiskalpolitik in der Währungsunion erhält. Senken die Krisenländer ihre Ausgaben und erhöhen die Steuern, so senkt dies die Preise in den Krisenländern. Verfolgen die wettbewerbsstarken Länder gleichzeitig eine expansive Fiskalpolitik (d. h., es werden Steuern gesenkt oder Ausgaben erhöht), so steigen die Preise in diesen Ländern an. Diese Art der koordinierten Fiskalpolitik beschleunigt die Rückkehr zum Gleichgewicht in der Währungsunion.
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Der Weg in die Krise Aufgabe 3: Das strukturelle Auseinanderdriften der Eurozone In einer Währungsunion gilt eine Geldpolitik nach dem Motto «one size fits all». Das bedeutet, dass die nominalen Zinsen in der gesamten Union gleich hoch sind und sich die Entwicklung von Konjunktur und Inflation in den einzelnen Ländern nicht mehr geldpolitisch beeinflussen lässt – es entfällt die Möglichkeit, eine auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Landes ausgerichtete Geldpolitik führen zu können. In den verschiedenen Euroländern herrschten bei der Einführung des Euro unterschiedliche Ausgangsbedingungen. Die unten stehenden Abbildungen zeigen, wie sich einige Länder im darauf folgenden Jahrzehnt entwickelt haben.
Welche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern fallen Ihnen auf?
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Wie beurteilen Sie die fiskalpolitischen Bedürfnisse der einzelnen Länder in den ersten Jahren der Eurozone?
Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit in den einzelnen Ländern
Abbildung 3: Realzinsen in der Eurozone, 2006
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Betrachten Sie die nebenstehende Grafik. Wie war das Investitionsklima in den verschiedenen Ländern vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008? Welche Rolle spielte die Geldpolitik?
Quelle: Eurostat
Der Realzins entspricht dem nominalen Zinssatz abzüglich der Inflation in einer Volkswirtschaft:
Realzins = Nominalzins – Inflation
Was waren die Folgen dieser Unterschiede?
Der Realzinssatz beschreibt die realen Kosten der Verschuldung. Weil die Nominalzinsen innerhalb einer Währungsunion überall gleich hoch sind, gilt: je höher die Inflation in einem Land, desto tiefer die Realzinsen.
1 AT = Österreich, BE = Belgien, DE = Deutschland, GR = Griechenland, ES = Spanien, FI = Finnland, FR = Frankreich, IE = Irland, IT = Italien, LU = Luxemburg, NL = Niederlande, PT = Portugal,
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Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder Betrachten Sie die nebenstehende Grafik. Wie erklären Sie sich das Auseinanderdriften der Lohnstückkosten?
Abbildung 4: Aufaddierte Veränderung der Lohnstückkosten in der Eurozone, 1999–2007 2
Quelle: Eurostat
Die Lohnstückkosten setzen die Lohnkosten einer Firma ins Verhältnis zur produzierten Stückzahl: Was waren die Folgen dieser Unterschiede?
Lohnstückkosten =
Lohnkosten Produzierte Stückzahl
Die Lohnstückkosten einer gesamten Volkswirtschaft (berechnet aus Lohnsumme und BIP) liefern ein Mass für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes.
2 AT = Österreich, BE = Belgien, DE = Deutschland, GR = Griechenland, ES = Spanien, FI = Finnland, FR = Frankreich, IE = Irland, IT = Italien, LU = Luxemburg, NL = Niederlande, PT = Portugal,
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Bankenrettung mit Steuergeldern Staatliche Ausgabendisziplin nützt wenig, wenn unkontrollierter Wildwuchs im Bankensystem herrscht: Diese Lektion haben Irland und Spanien in den Jahren seit der Finanzkrise lernen müssen. Gerade einmal 25 Prozent betrugen Irlands Staatsschulden im Vergleich zum BIP im Jahr 2007 – im europäischen Kontext war das ein rekordtiefer Wert. Zwei Jahre später lag die Zahl bereits bei 65, zwei weitere Jahre später bei 106 Prozent der Wirtschaftsleistung. Europa musste dem «keltischen Tiger» mit Rettungskrediten aus der Patsche helfen. Wie konnte es zu diesem Fiasko kommen? In den Boomjahren vor der Krise war massiv viel Geld nach Irland geflossen. Irlands Einwohner begannen, Hypothekarkredite für den Häuserbau im grossen Stil nachzufragen – welche die unvorsichtigen, wenig regulierten Banken noch so gerne gewährten. Als die Krise einschlug, die Arbeitslosigkeit zunahm und die Häuserpreise in sich zusammenfielen, rächte sich dies: Um die Banken vor dem Zusammenbruch zu bewahren, musste Irlands Staat Gelder im Wert von gegen 35 Prozent des BIP in den Finanzsektor pumpen. Manche Institute mussten mit Milliardenspritzen rekapitalisiert werden. Bei der Anglo Irish Bank war die Lage dermassen hoffnungslos, dass die Regierung gleich die gesamte Bank verstaatlichte. Gegen 30 Milliarden Euro kostete allein die Rettung von Anglo Irish den Staat – Geld, das Irlands Bürger in der Wirtschaftskrise noch so gut hätten brauchen können.
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Aufgabe 4: Das Versagen des Stabilitätspakts Im Jahr 1997 schlossen die Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion den sogenannten Wachstums- und Stabilitätspakt. Dieser Vertrag legt fest, dass die Euroländer auch nach ihrem Beitritt zur Währungsunion an die Konvergenzkriterien bezüglich Staatsverschuldung und erlaubten Budgetdefizits gebunden bleiben. Der Wachstums- und Stabilitätspakt soll für fiskalpolitische Stabilität in den Euroländern sorgen, ohne ihre nationale Souveränität in Fragen der Steuerpolitik anzutasten – das heisst, ohne in die nationale Gestaltung der Budgets einzugreifen. Bereits in den ersten Jahren nach der Eurolancierung wurde die Defizitschwelle von 3 Prozent von diversen Ländern – darunter Deutschland und Frankreich – unterschritten (d.h. tiefer als minus 3 Prozent). Die folgende Grafik zeigt die Verschuldungs- und die Defizitquote einiger Euroländer in den Jahren 2007 und 2009. Kommentieren Sie die Grafik: Welche Ausgangslage herrscht im Jahr 2007? Welche Veränderungen finden bis 2009 statt? Abbildung 5: Verschuldungsquoten in der Eurozone (in Prozenten des BIP)
Abbildung 6: Haushaltssalden in der Eurozone (in Prozenten des BIP)
Quelle: Eurostat
Quelle: Eurostat
Staatsverschuldung der Euroländer
Defizitquoten in den Euroländern
Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit des Stabilitätspakts im Rückblick?
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Aufgabe 5: Die Rolle der Finanzmärkte Im Verlauf des Jahres 2010 wurde deutlich, dass sich die Finanzen einiger europäischer Länder in bedrohlicher Schieflage befinden. In der Folge stiegen die Renditen auf Staatsanleihen dieser Länder stark an: Staaten wie Griechenland, Irland oder Portugal sahen sich dazu gezwungen, immer höhere Zinsen auf Neuemissionen ihrer Staatsanleihen anzubieten, weil die Finanzmärkte nur noch gegen hohe Risikoprämien bereit waren, ihnen Geld zu leihen. Abbildung 7: Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen
In einer Währungsunion emittieren alle Länder Anleihen in derselben Währung. Weshalb kann dies ein Land zur Aufnahme hoher Schulden verleiten?
Weshalb waren die Renditen innerhalb der Währungsunion lange Zeit identisch?
Warum gingen die Renditen auf Staatsanleihen seit dem Jahr 2008 auseinander?
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Die Zukunft der Europäischen Währungsunion Aufgabe 6: Die Kosten mangelnder Finanzdisziplin Um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden, musste Griechenland im Frühjahr 2010 auf Hilfskredite von EU-Ländern und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückgreifen. Ende 2010 und im Frühjahr 2011 erhielten auch Irland und Portugal Hilfskredite von EU und IWF. Diese Kredite müssen von den Empfängerländern verzinst werden – jedoch zu einem etwas niedrigeren Zinssatz, als ihn die Finanzmärkte verlangt hätten. Anfang 2012 erliessen private Kreditgeber Griechenland zudem einen Teil der Schulden, Ende 2012 wurde mit neuen EU-Krediten ein Schuldenrückkaufprogramm finanziert. Unter der Aufsicht der internationalen Gemeinschaft erhalten die Krisenstaaten nun etwas Zeit, um die Sanierung ihres Staatshaushalts in Angriff zu nehmen. Ob ihnen der Schuldenabbau gelingt und sie ihren verbleibenden Gläubigern das geliehene Geld zurückbezahlen können, ist jedoch ungewiss. Überlegen Sie sich vor dem aktuellen Hintergrund: Wie tragen die nachfolgend genannten Akteure die Kosten mangelnder Finanzdisziplin? Die Bewohnerinnen und Bewohner des Landes
Die privaten Gläubiger des Staates
Andere Staaten, Notenbanken und internationale Organisationen (wie IWF)
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Aufgabe 7: Massnahmen in der Krise Nicht in allen aktuellen Krisenländern ist die Lage gleich prekär – doch die Probleme sind dieselben: • Erstens besteht ein Schuldenproblem: Bereits die Zinszahlungen erfordern vom Land enorme Anstrengungen. • Zweitens besteht ein Wettbewerbsproblem: Wegen hoher Löhne ist die Wirtschaft international kaum konkurrenzfähig. Diverse Auswege aus der Krise sind denkbar. Bearbeiten Sie dazu die folgende Aufstellung: Was ist das Ziel der aufgeführten Lösungen? Welche Wirkung verspricht man sich davon? Welche Risiken beinhalten sie? Austritt aus der Währungsunion: Länder wie Griechenland verlassen die Eurozone und kehren zu ihrer früheren Währung zurück.
Ziele:
Wirkungsweise:
Risiken:
Spar- und Reformprogramme: Der Staat erhöht seine Einnahmen bzw. drosselt seine Ausgaben (über sogenannte «Austeritätsmassnahmen») und liberalisiert die Märkte.
Ziele:
Wirkungsweise:
Risiken:
Schuldenschnitt: Der Staat handelt mit seinen Gläubigern die teilweise Streichung der Schulden, die Kürzung der Zinsen oder die Verlängerung der Laufzeit aus.
Ziele:
Wirkungsweise:
Risiken:
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Aufgabe 8: Zukünftige Krisen verhindern Die Eurozone ist eigentlich kein optimaler Währungsraum: Trotz Stabilitätspakt entstanden in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens massive wirtschaftliche Ungleichgewichte (vgl. Aufgaben 2 bis 4). Seit Ausbruch der Krise wurde deshalb über Reformen diskutiert, die zur künftigen Stabilisierung der Währungsunion beitragen können. Im Folgenden sind einige Aussagen von Politikern und Ökonomen aufgeführt, die sich auf mögliche Massnahmen beziehen. Recherchieren Sie, worauf sich die Zitate beziehen, und nehmen Sie dazu Stellung: Inwiefern sind die Vorschläge bereits umgesetzt? Welche Vor- und Nachteile hätten sie?
«Der Fiskalpakt ist beschlossen und muss jetzt weiterbearbeitet werden.» Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel am 7. Mai 2012 zu den Medien
«Das Europäische Semester ist eine weitere dieser guten, aber wirkungslosen Ideen.» Ökonom Charles Wyplosz in einem Aufsatz vom 4. Oktober 2010
«Eurobonds werden im Zuge der Integration Europas wohl in der einen oder anderen Form eingeführt.» Italiens Premierminister Mario Monti in einem Zeitungsinterview vom 2. Juni 2012
«Ich bin für gründliche Vorbereitungen, nicht für die hastige Einführung einer Bankenunion.» Jean-Claude Juncker, Chef der Eurogruppe, an einer Pressekonferenz am 19. September 2012
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«Ein finanzieller Risikoausgleich sollte nicht so strukturiert sein, dass er zu dauerhaften Fiskaltransfers zwischen Mitgliedsländern führt.» EU-Ratspräsident Herman van Rompuy in einem Bericht über die Zukunft der Eurozone vom 12. Oktober 2012
Der Euro und der Schweizer Franken Aufgabe 9: Betroffenheit der Schweiz Wie ist die Schweizer Volkswirtschaft von der aktuellen Schuldenkrise in der Eurozone betroffen?
Wie wirkt sich die Euroschuldenkrise auf den Schweizer Franken aus?
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Welche Auswirkungen hätte eine Verschärfung der Schuldenkrise auf den Schweizer Finanzsektor?
Welche Konsequenzen ergeben sich für den Bund und die Steuerzahler?
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