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Bauer, Hölscher, Knupfer, Niederich
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Fahren an der "Heimatfront"
Stuttgarts Straßenbahn im Krieg Themen der Zeit Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
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Straßenbahn, Trümmerbahn und Feldbahn
Lore auch von Hand schieben, und so machte fast jeder, der damals auf der Welt war, früher oder später Bekanntschaft mit den rustikalen Vehikeln: sei es in einer Organisation, als Brot beruf, als Soldat, seien es die legendären Trüm merfrauen, die wohl oder übel Hand anlegen mussten, oder auch die Lausbuben, die sonntags verbotene Spritztouren auf den holprigen Gleisen unternahmen.
Blickwinkel einer Sonder ausstellung
Titelseite: Links | Die Sonderausstellung in der Straßenbahnwelt Stuttgart (2015) – der als „Rohbauteil“ gezeigte Beiwagen 1255 der SSB gehört allerdings zu den dauerhaften Exponaten. Rechts | In Feuer bach am 22. Oktober 1918, nach Niedergang einer Fliegerbombe Diese Seite | In den Neckarauen bei Ober türkheim um 1940: Auf hemdsärmeligen Gleisen und Fahrleitung versieht die Stra ßenbahn den Kiestransport, im Hinter grund ein provisorisches Betonwerk
„Warum war das damals so?“ – das fragen vor allem Kinder mit betroffener Miene, wenn sie im Verkehrsmuseum der Stuttgarter Straßen bahnen AG (SSB), in der Straßenbahnwelt Stuttgart, die elektrische „Trümmerlok“ von 1946 sehen. Denn dazu zeigt ihnen der Besucherführer alte Fotos aus jener Zeit, als Stuttgarts Innenstadt eine oft leere, flache Mondlandschaft voller Schutt war – den die Loks mitsamt ihren Muldenkippwagen wegführen halfen. Vor rund 70 Jahren wurden die Lokomotiven dieser Art gebaut, speziell für Stuttgart, aus makabrem Anlass. Jetzt hat die stabile E-Lok vorübergehend „artgerechte“ Gesellschaft erhalten: einen so genannten Feldbahnzug mit einer kleinen Diesel lok und Kipploren. Der Grund ist die aktuelle Sonderausstellung, die der Verein Stuttgarter Historische Straßenbahnen (SHB) erstellt hat: 2
„Fahren an der 'Heimatfront'“. Es geht um die Straßenbahn im Krieg, und zwar in beiden Weltkriegen, denn beider Beginn ist jetzt 100 und 75 Jahre her. Der Verein hat eine Reihe von Originalexponaten aus jenen Zeiten zusammengetragen, ergänzt um historische Fotos. Das größte Relikt der Sonderausstellung ist die besagte Feldbahn, als Gegenstück zum Trümmerbahnzug der Straßenbahn. Die Standard-Kipplore, die einen Dreiviertelkubikmeter Inhalt fasste, kann als neutrales technisches Symbol für damalige Bau vorhaben ebenso gesehen werden wie für die Folgen der Zerstörung, Trümmerbeseitigung und vor allem den Wiederaufbau. Kreuz und quer verliefen die Gleise der Lorenbahnen seinerzeit durch Stuttgart. Zwei Mann konnten solch eine
Die Ausstellung macht auch deutlich, was Krieg und Nachkriegszeit für Straßenbahn, Straßen bahner und natürlich für die Kunden bedeuteten: Die Straßenbahn musste Güterwagen schleppen, Frauen übernahmen an vielen Stellen das Zepter oder vielmehr die Kurbel, Rentner wurden für ihren alten Beruf bei der SSB reaktiviert. Die buchstäblich düsteren Seiten und die Zeitläufe davor und danach werden nicht ausgespart: Tarnung und Verdunkelung, Bombenangriffe, Verwundetentransporte, Todesmeldungen von Kollegen, Inflation, Besatzung. Solange die Straßenbahn fuhr – und sie fuhr fast immer noch irgendwie – war sie zwar Teil des Krieges, gleichzeitig unabhängig davon vor allem aber immer ein aufatmend wahrgenommenes kleines Zeichen: für Normalität, Verlässlichkeit und Bürgerlichkeit, selbst inmitten des Inferno. Die Frage nach dem „Warum“ lässt sich noch immer nicht mit einem Satz beantworten. Aber die Ausstellung zeigt das „Wie“.
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Finstere Zeiten: 1940 wurde in Deutschland zum Schutz gegen nächtliche feindliche Flugzeuge die „Verdunkelung“ angeordnet. Bei Dämmerung und in der Nacht war nur noch spärlichstes Licht erlaubt, das nur gegen den Boden strahlen durfte. Für die Straßenbahnen – nicht nur in Stuttgart – zeittypisch war deshalb die halbschalenförmige Abdeckblende über Schein werfer (Mitte) und Schlussleuchte (rechts), hier am SSB-Motorwagen 300
Inhalt Seite 4 Nikolaus Niederich Fahren an der "Heimatfront" Die Straßenbahn im Krieg Seite 64 Hans-Joachim Knupfer Kartoffeln, Kohlen, Krankenbahren Der Erste Weltkrieg und die SSB Seite 78 Gottfried Bauer Die SSB während der Kriegs- und Nachkriegszeit Stuttgarts Straßenbahn im Zweiten Weltkrieg Die fünf Kapitel dieser Broschüre beruhen auf folgenden Quellen und Anlässen: dem (unwesentlich gekürzten) Text zur Sonderausstellung 2014/15 in der Straßenbahnwelt Stuttgart, einem 1995 in der SSB-Mitarbeiterzeitschrift „Über Berg und Tal“ erschienenen Artikel zum Zweiten Weltkrieg, und einem Beitrag, der aktuell zur Jährung des ersten Weltkrieges für „Über Berg und Tal“ komprimiert erstellt wurde und hier in der Langfassung gedruckt wird. Zwei weitere Ausarbeitungen sind spontan entstanden, aufgrund aktueller Quellenfunde oder der vertiefenden Befassung damit. Bewusst wurden die Beiträge nicht im Detail aufeinander abgestimmt. Einzelne inhaltliche Überschneidungen sind daher unvermeidlich. Die Autoren hoffen, dass die unterschiedlichen Schwerpunkte dennoch für einen Roten Faden sorgen.
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Seite 91 Exkurs: Ein Kapitel Theorie Fahrzeugtypen, die (doch) nicht gebaut wurden Seite 102 Ralph Hölscher Der Papier-Krieg 1939 bis 1945 bei der SSB: „Kunstwerke“ der Improvisation
Im April 2015 Gottfried Bauer, Bietigheim Ralph Hölscher, Stuttgart H.-J. Knupfer, Leonberg Dr. Nikolaus Niederich, Stuttgart
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Nikolaus Niederich
Unsere sehr oft nostalgisch-freundliche Sicht auf die „gute alte Straßenbahn“ wird spätestens dann sehr viel nüchterner, wenn man die Kriegsund Nachkriegszeiten näher beleuchtet.
Fahren an der "Heimatfront"
Diese Ausstellung soll zumindest einen Eindruck davon vermitteln, wie vielfältig die Straßen bahn und alles, was damit zusammenhängt, vom Krieg betroffen war. Durch eine kurze Betrachtung der Jahre vor und nach den beiden Weltkriegen und die hier aufscheinenden Kontraste werden die Auswirkungen des Krieges umso deutlicher.
Die Straßenbahn im Krieg
Wenngleich sich die Ausstellung auf Stuttgart und die Stuttgarter Straßenbahnen konzentriert, sind die Einsichten in diese düsteren Zeiten durchaus verallgemeinerungsfähig.
Warum muss dieses Thema sein? Eine Einführung
2014/15: Große Sonderausstellung des Vereins Stuttgarter Historische Straßen bahnen. – Die oben auf dem Plakat ver wendete schnörkellos reduzierte Fraktur schrift ist im „Dritten Reich“ gerne zu offiziösen Zwecken verwendet worden. Tatsächlich ist diese so genannte Tannen berg-Frakturschrift jedoch ein gestalteri sches Kind der 1920er Jahre. Mitten im Zweiten Weltkrieg wurde sie per „Füh rererlass“ verboten (offensichtlich eine „kriegswichtige“ Angelegenheit) und unzutreffenderweise als „Schwabacher Judenschrift“ verhöhnt
Zur hundertsten Wiederkehr des Ersten Weltkriegs und der fünfundsiebzigsten des Zweiten Welt kriegs haben Publikationen, die diese Themen behandeln, Konjunktur. Diese Ausstellung hat jenseits der allerorten begangenen Jubiläen allerdings ein ganz eigenständiges Anliegen. Sie soll zeigen, welche Bedeutung diese mili tärischen Konflikte der Jahre 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 auch weit entfernt von den Schlachtfeldern hatten. Bei diesem Blick aus der damals so genannten „Heimatfront“ bietet sich die Straßenbahn als Ausgangspunkt zur Darstellung städtischer Alltagsgeschichte geradezu an. Zum einen war 4
die Straßenbahn damals tägliche Normalität der meisten Menschen in vielen und nicht nur größeren Städten. Zum anderen verbindet das Thema Straßenbahn als Gesamtheit aus Fahrgästen, Personal, technischer Ausstattung, wirtschaftlichen Belangen und vielem mehr alle Aspekte zum Verständnis der damaligen Zeit. In diesem Zusammenhang ist auch ein anderer Gesichtspunkt der ersten Hälfte des 20. Jahr hunderts wichtig: Aus heutiger Sicht erscheint diese Zeit oft beschaulich und idyllisch und wird entsprechend verklärt. Diese Sichtweise, wäre den damaligen Zeitgenossen vollkommen unverständlich gewesen. Sie empfanden ihre Zeit und ihre Lebensverhältnisse mehrheitlich nicht als romantisch, sondern als sehr modern und schnelllebig.
Die Gesamtschau des Ersten und des Zweiten Weltkriegs in einer einzigen Präsentation macht die Gemeinsamkeiten, aber auch die gravierenden Unterschiede beider Ereignisse anschaulich. Auch in dieser Hinsicht ist die Straßenbahn eine Art Mikrokosmos, in dem (fast) alles enthalten ist, was die „große Geschichte“ zu bieten hat. Eine wirklich allumfassende Behandlung des Themas „Straßenbahn im Krieg“ wird in einer solchen Ausstellung jedoch immer ausgeschlossen sein.
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Links | Ernährung per Straßenbahn: Kastenloren mit Kartoffeln treffen am Betriebshof Ostheim ein, um 1943 Rechts | Kokstransport vom Gaswerk Stuttgart in die Stadtteile mit dem Güter triebwagen der SSB, um 1917
Die beiden Weltkriege im allgemeinen Überblick Abgesehen von den jeweils „geraden“ Jubiläen der beiden Weltkriege ist die gemeinsame Behandlung dieser das 20. Jahrhundert prägenden Ereignisse auch inhaltlich geboten: In der Geschichtswissenschaft gibt es, wie schon bei vielen Zeitgenossen, eine breite Strömung, welche die beiden Kriege als Einheit sieht. Bei diesem Verständnis wären die Jahre zwischen 1918 und 1939 lediglich eine längere Pause zwischen den eigentlichen Kriegshandlungen gewesen. So nachvollziehbar und plausibel dieser Ansatz ist, so sehr kann er dazu verleiten, Entwicklungen und Sachverhalte gleichzusetzen, die vollkommen unterschiedlich sind.
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Schließlich unterschieden sich die beiden Kriege nicht nur in unmittelbar militärischen Fragen, wie etwa der Bewaffnung und der Kriegsführung, deutlich voneinander. Auch die Wirkungen des Kriegsgeschehens auf die Zivilbevölkerung waren trotz unverkennbarer Gemeinsamkeiten im Ersten und Zweiten Welt krieg spürbar unterschiedlich.
für politisch und rassisch Verfolgte, aber auch für Kriegsgefangene, Zwangs- und Fremdarbeiter sowie für die deutsche Zivilbevölkerung. Um den Gemeinsamkeiten und auch den Unter schieden trotz der notwendigerweise knappen Darstellung gerecht zu werden, sind die beiden Weltkriege in getrennten Kapiteln behandelt.
Ganz erhebliche Unterschiede gibt es bezüglich des Regierungshandelns in Deutschland während der beiden Kriege. Während sich dies im Ersten Weltkrieg nur in Details von dem in anderen kriegführenden Nationen unterschied, war dies im Zweiten Weltkrieg völlig anders. Hier wurde der Schrecken des Krieges massiv durch den Terror und die Verbrechen der nationalsozialistischen Regierung verschärft. Dies galt in erster Linie 5
Alt Cannstatt, Brückenstraße, 1916: Rein optisch deutet nichts auf die Kriegszeit hin
Der erste Weltkrieg Die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts Schon vor 1914 gab es immer wieder Konflikte unter den damaligen Großmächten, nicht selten ging es dabei um koloniale Interessen, wie z. B. bei den Marokkokrisen. Ob allerdings einer oder mehrere dieser Staaten bewusst und gezielt auf einen Krieg hingearbeitet haben, ist bis heute strittig und unklar. Der tatsächliche Auslöser des Krieges, allerdings nicht der Grund, war die Ermordung des öster reichischen Thronfolgerpaares am 28. Juni 1914 in Sarajevo. In Verbindung mit den damaligen Bündnissen und dem diplomatischen Ungeschick – oder Unwillen – einiger Beteiligter führte dieses Verbrechen eines serbischen Nationalisten 6
schließlich zum Krieg. Knapp zusammengefasst war die politische Konstellation so: Russland sah sich als Schutzmacht des ebenfalls slawischen Serbien und konkurrierte außerdem mit dem Osmanischen Reich um die Vorherrschaft auf dem Balkan. Die türkischen Osmanen waren Verbündete des Deutschen Reiches und der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, Russland war Teil der Entente, also des Bünd nisses von Frankreich und Großbritannien. Die Eskalation zwischen Österreich-Ungarn und Serbien sowie Russland zog Deutschland in diesen zunächst reinen Balkankonflikt. Dieser wurde zusätzlich angeheizt durch den so genannten „Blankoscheck“ des deutschen Kaisers Wilhelm II. für die Habsburgermonarchie. Der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien am 28. Juli 1914 folgte am 1. August die des Deutschen Reichs an Russland und zwei Tage später die an Frankreich. Nach dem am 4. August folgenden Einmarsch der kaiserlichen Armee ins neutrale Belgien kam postwendend die Kriegserklärung Belgiens und Großbritanniens an Deutschland. Diese Abfolge resultierte nicht zuletzt aus ver meintlichen oder tatsächlichen militärischen Sachzwängen auf deutscher Seite. Dort war schon lange vor dem Krieg klar, dass das Reich mit seinen eher schwachen Verbündeten den vereint agierenden Ententemächte nicht würde standhalten können. Aus dieser Erkenntnis und der Erwartung, dass Russland deutlich länger für seine Mobilmachung brauchen würde als seine Verbündeten, wurde der Schlieffenplan entwickelt. Benannt nach dem damaligen Chef
des Generalstabs sah der strategische Ansatz vor, zunächst in einem schnellen, massiven Angriff Frankreich zu besiegen und die Briten zumindest zum Abzug zu zwingen. In diesen wenigen Wochen sollte die Grenze zu Russland nur durch schwache Kräfte gesichert werden. Sobald die Truppen im Westen geschlagen waren, sollte der größte Teil der Armee nach Osten verlegt und damit die russischen Truppen besiegt werden. Zunächst schien es so, als ob die Pläne auf gingen, allerdings zeigte sich, dass Russland wesentlich schneller mobilisieren konnte als gedacht. Die Folge war eine militärische Besetzung von Teilen Ostpreußens. Erst die Schlacht von Tannenberg Ende August 1914, die den Ruhm Hindenburgs begründete, warf die russischen Truppen zurück. Trotz der deutschen Militärer folge auch in der Folgezeit blieben erhebliche Truppenkontingente an der Ostfront gebunden. Noch viel gravierender war die strategische Fehleinschätzung im Westen. Der schnelle Bewegungskrieg verlor schon nach wenigen Wochen an Schwung und wurde zu einem Stellungskrieg mit immer besser und subtiler ausgebauten Stellungssystemen aus Laufgräben und Kampfstellungen. Bei dieser für Europa völlig neuen Kriegsführung ging es vor allem um den Einsatz modernen Kriegsgeräts wie Artillerie, Maschinengewehre, Panzer, Kampf flugzeuge und nicht zu vergessen auch Giftgas.
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Zwei der insgesamt mindestens 15 Kastenloren und Güterwagen der SSB, die im Ersten Weltkrieg oder kurz zuvor beschafft wurden. Wenigstens zehn Tonnen Anhän gelast dürfte der 1909 gebaute Motorwagen 306 mit sei nen 56 Kilowatt Leistung zu schleppen gehabt haben, hier angeblich im Stadtteil Wangen
Kriegswirtschaft. Hinzu kamen steigende Men schenverluste in den großen Schlachten wie Verdun sowie sichtbar schwindende Aussichten auf einen militärischen Sieg. Etwa zur gleichen Zeit etablierte sich die militärische Führung in Gestalt der Dritten Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff zu einer faktischen Militärdiktatur. Bis Kriegsende Anfang November 1918 gelang es an der Westfront keiner Seite, einen wirklichen Sieg zu erringen. In Russland war schon im Februar 1917 der Zar gestürzt worden, im Oktober übernahmen die Bolschewiki unter Lenin die Macht. Im März 1918 schloss die neugegründete Sowjetunion einen Separatfrieden mit Deutschland.
Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet die Kriegsflotten, die vor dem Krieg als entscheidend angesehen wurden und deshalb ein wesentlicher Konfliktpunkt zwischen Deutschland und Groß britannien waren, praktisch nicht zum Einsatz kamen. Von wenigen Seegefechten abgesehen, gab es nur die Skagerrakschlacht Ende Mai 1916, die mit einem Patt endete und die britische Seeblockade nicht brechen konnte. In der Seekriegsführung spielte nur der U-Bootkrieg gegen Handelsschiffe eine Rolle. Auch in der Landkriegsführung im Westen konnten keine entscheidenden Erfolge auf deut scher Seite erreicht werden. Stattdessen nutzten sich die Streitkräfte beider Seiten in blutigen Schlachten um selten mehr als einige Meter Ge ländegewinn ab, Millionen toter, verstümmelter Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
und schwer traumatisierter Soldaten waren die Folge. In dieser Lage brachte der Kriegseintritt der USA am 6. April 1917 die entscheidende Wende: Die schon damals führende Wirtschafts macht brachte hunderttausende frischer, hoch motivierter Soldaten und vor allem modernes Kriegsmaterial in praktisch unbegrenzter Menge auf die Schlachtfelder Flanderns. Innenpolitisch gesehen begann der Krieg in Deutschland mit dem „Burgfrieden“, also dem engen Zusammenrücken der gesamten Bevölke rung unter Einschluss der von den herrschenden Kreisen vielfach geschmähten SPD. Ab 1916 verschärften sich die gesellschaftlichen Konflikte jedoch wieder. Ursächlich waren dafür die immer schlechter werdende Versorgungslage der Bevölkerung und die Überlastung durch die
Auch in Deutschland beendete das Kriegsende die monarchische Regierungsform. Dem ging eine eine kurze, schnell unterdrückte Revolution voraus. Dabei gelang es den bisherigen Eliten, gerade auch Ludendorff und Hindenburg, alle Verantwortung für die militärische Niederlage den neuen politischen Kräften zuzuschieben. Es entstand die Legende vom „Dolchstoß“ der sozialdemokratisch dominierten Heimat, welcher die „Frontsoldaten“ um ihren Erfolg gebracht hätte. Zur schrecklichen Bilanz des Ersten Welt kriegs gehörten nicht nur erhebliche Zerstörungen weiter Landstriche, sondern auch rund 17 Millionen Tote. Was seine Stellung in der Welt und auch den Wohlstand angeht, hat sich Europa von diesem Krieg nie mehr wirklich erholt. Dem deutschen Kaiserreich folgte die Weimarer Republik, die während fast ihres gesamten 7
Der Zweite Weltkrieg Der Kampf um die „germanische Weltherrschaft“
Rentner an die Kurbel! Mindestens doppelt so alt wie der 1910 gebaute Wagen 347 war sein um 1942 aufgenommener Betreuer. Dessen Bartmode trägt erkenn bar nicht der damals herrschenden Epoche Rechnung, sondern der wilhelminischen Zeit aus einer Generation zuvor
Beim Zweiten Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit der Beschießung der Westerplatte bei Danzig durch das deutsche Kriegsschiff „Schleswig-Holstein“ begann, ist die Schuldfrage eindeutig zu beantworten. Allenfalls wäre zu fragen, ob nicht auch die Annexionen, die schon vor dem Überfall auf Polen erfolgten, vor allem der Tschechoslowakei, Teil der deutschen Kriegshandlungen waren.
Bestehens politisch und wirtschaftlich instabil blieb. Sie wurde von den meisten Menschen allenfalls hingenommen. Von der ganz überwie genden Zahl der alten Spitzen aus Militär, Verwaltung und Rechtspflege, sowie auch aus der Wirtschaft, wurde das „System“ offen und energisch bekämpft. Große Gebietsverluste im Westen und Osten, die Inflation, die Belastungen des Versailler Friedensvertrags sowie die Insta bilität der Wirtschaft, mit der Weltwirtschafts krise ab 1929 als Höhepunkt, schadeten dem Ansehen der Republik von außen her. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den damaligen Reichspräsidenten Hindenburg am 30. Januar 1933 war die Machtübernahme der NSDAP zwar nicht zwingend, aber erkennbar.
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Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen erklärten zunächst nur Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg, ohne direkt militärisch einzugreifen. Auch nach dem nur 26 Tage dauernden so genannten „Blitzkrieg“ gegen Polen blieben Großbritannien und Frankreich passiv. Dementsprechend lagen sich die Truppen an der deutsch-französischen Grenze im „Sitzkrieg“ oder „drole de guerre“ weitgehend friedlich gegenüber. Erst mit der deutschen Offensive am 10. Mai 1940 endete der „komische Krieg“. Der Operationsplan, der im Kern eine Umgehung der stark befestigten Maginotlinie unter Missachtung der nieder ländischen und belgischen Neutralität vorsah, hatte zwei wichtige Effekte: Zunächst einmal führte er dazu, dass Frankreich innerhalb von sechs Wochen vollständig besiegt wurde. Langfristig noch wichtiger war, dass dieser Sieg den Nimbus Hitlers, der den Plan maßgeblich unterstützt hatte, als „größten Feldherrn aller Zeiten“ begründete.
Fast zeitgleich wie Frankreich wurden Dänemark und Norwegen dem deutschen Machtbereich einverleibt. Schweden konnte seine Neutralität bewahren, allerdings – ähnlich wie die Schweiz – um den Preis einer „wohlwollenden Neutralität“ gegenüber dem Deutschen Reich. Die geplante Invasion Großbritanniens wurde jedoch aufge geben, nachdem die „Luftschlacht über England“ als faktische Niederlage des Deutschen Reiches endete. Da es den italienischen Verbündeten nicht gelang, den südlichen Balkan, insbesondere Jugoslawien und Griechenland, militärisch zu besiegen, wurde auch hier die Wehrmacht eingesetzt. Seit April 1941 lebten beide Länder unter deutscher Besat zung, gegen die sie sich nicht zuletzt durch intensive Partisanentätigkeit zur Wehr setzten. Dies war mit erheblichen Opfern verbunden, auch gerade auf Seiten der Zivilbevölkerung, die besonders unter den deutschen Vergeltungs aktionen litt. Ebenfalls als reine Unterstützungsaktion für die militärisch schwachen Italiener gedacht war die Entsendung eines deutschen „Sperrverbandes“ nach Nordafrika Anfang 1941. Daraus entwickelte sich das Deutsche Afrikakorps und schließlich die Heeresgruppe Afrika. Die wahrscheinlich schwerwiegendste Entschei dung Hitlers, der sich ab 1940 zunehmend in alle militärischen Belange einmischte, war der Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941. Auch hier sollte, wie zuvor vor allem in Polen und Frankreich, der „Blitzkrieg“ eine schnelle Ent
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Ungeachtet verschiedener Einzeloperationen der Wehrmacht waren die deutschen Streitkräfte seit dieser Zeit in der Defensive. Dies galt auch für die bis dahin militärisch so erfolgreichen U-Boote. Den letzten Akt des Zweiten Weltkriegs in Europa läuteten die Landung der Westalli ierten in der Normandie am 6. Juni 1944 und die zeitgleich begonnene Offensive der sowjetischen Streitkräfte ein.
Endschleife Neckarstadion 1942: Eine hohe Dichte von Uniformträgern zwischen wenigen Zivilisten. Hohe Zäune und hölzerner Wachturm im Hintergrund sind zeittypische Attribute
scheidung zugunsten des Reiches herbeiführen. Es kam jedoch ganz anders. Am 7. Dezember 1941 überfiel Japan, neben Italien einer der wenigen deutschen Verbün deten, die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbour. Damit wurden auch noch die USA zum Kriegsteilnehmer, zumal das Deutsche Reich von sich aus den bis dahin zögerlichen USA den Krieg erklärte. So entwickelte sich zwischen September 1939 und Ende 1941 ein militärischer Regionalkonflikt zu einem echten Weltkrieg. Lange Zeit spielte sich der Krieg praktisch voll ständig außerhalb des Reichsgebiets ab, erst mit der zunehmenden Luftüberlegenheit der Alli ierten änderte sich ab 1942/43 die Situation. Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Seither wurden aus den bis dahin vereinzelten Luftangriffen der Briten und Amerikaner regel mäßige Bombardements auf strategische und zunehmend auch auf zivile Ziele. Auch in der Landkriegsführung brachte diese Zeit eine entscheidende Wende auf dem europäischen Kriegsschauplatz: Im Februar 1943 kapitulierte in Stalingrad erstmals eine vollständige deutsche Armee, die sechste, einschließlich rumänischer und italienischer Verbände, vor den sowjetischen Truppen. Bereits im Mai 1943 kapitulierte die deutsch-italienische Heeresgruppe Afrika in Tunesien vor den Briten und US-Amerikanern. Kurz danach kündigte Italien, das inzwischen Mussolini gestürzt hatte, das Bündnis mit dem Reich und wechselte ins alliierte Lager.
Von da an dauerte es noch fast ein Jahr, bis im Mai 1945 das Deutsche Reich bedingungslos kapitulierte. In dieser Zeit starben deutlich mehr Soldaten und Zivilisten als in den Vorjahren. Die Bilanz dieses von Deutschland und Japan bewusst ausgelösten und buchstäblich bis zum Ende geführten Krieges war schrecklich: Insgesamt verloren rund 50 Millionen Menschen ihr Leben, darunter waren allein etwa sechs Millionen europäische Juden, die Opfer der deutschen „Rassenpolitik“ wurden. Etwa 20 Millionen Menschen verloren ihre Heimat, davon die meisten Deutsche, aber auch viele andere wie z. B. Polen. Viele besetzte Länder hatten nicht nur unter der Ausplünderung durch die deutsche Besatzung und die Akquisition von Zwangsarbeitern zu leiden, sondern auch unter Kriegszerstörungen. Polen, Griechenland und die UdSSR sind nur einige Beispiele. Mehr oder weniger zerstört waren auch viele größere und kleinere Städte: Was die deutsche Luftwaffe in Rotterdam und Coventry 1940 begonnen hatte, wurde in Hamburg und Dresden 9
Links | Ein Straßenbahner sammelt für das Winterhilfs werk (WHW). Dies war keine Erfindung der Nazis, wurde aber ab 1933 besonders öffentlichkeitswirksam eingesetzt und die „Spenden“ letztlich zwangsweise eingetrieben. Unter der Hand wurde die Abkürzung auch als „Wir hun gern weiter“ gedeutet.
Rechts | Schon zu Friedenszeiten, ab 1911/12, gab es den Marktverkehr von den fruchtbaren Äckern und Wiesen der damals selbständigen Gemeinde Wangen zur Stuttgarter Innenstadt und Markthalle
Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft in Stuttgart um die Jahrhundertwende
Betriebe in Industrie, Bergbau und Baugewerbe
1882 7.104 1895 8.668 1907 10.273
durch die britische und die amerikanische Air force vollendet.
„Der Platz an der Sonne“* Die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg
Von diesen unmittelbaren Kriegsfolgen abgese hen war die nachhaltigste Wirkung des Zweiten Weltkriegs wohl die Teilung der Welt, Europas und Deutschlands in Ost und West. Erst mit den Umbrüchen der Jahre 1989/90 konnte diese Kriegsfolge überwunden werden.
Auch für die SSB war die Zeit vor 1914 ein „Platz an der Sonne“. Das damals noch mehrheitlich in privater Hand befindliche Unternehmen ex pandierte und profitierte dabei von der allge meinen Entwicklung in Stuttgart. Sichtbarstes Zeichen dieser Entwicklung war der Aufbau eines Vorortstraßenbahnnetzes ab 1908/09. Damit erhielten nach dem bis 1905 noch selb ständigen Cannstatt, das seit 1898 über eine Straßenbahn verfügte, auch eine Reihe anderer Vororte eine Anbindung an das damals hoch moderne Verkehrsmittel. Im Laufe weniger Jahre bekamen Münster, Feuerbach und Zuffen hausen, 1909, sowie Wangen, Hedelfingen und Untertürkheim, 1910, Kaltental im Jahr 1911
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Zahl der Beschäftigten
Beschäftigte je Betrieb
22.645 39.202 74.263
3,19 4,52 7,23
und Botnang noch 1914 Straßenbahnanschluss. Damit war es möglich, dass Menschen aus diesen teilweise noch dörflichen Gemeinden ohne Umzuziehen oder lange Wegezeiten in Kauf nehmen zu müssen, in Stuttgart arbeiten konnten. Diese Möglichkeit entlastete überdies den traditionell stark angespannten Wohnungs markt der Haupt- und Residenzstadt Stuttgart. Umgekehrt konnten auch stark industrialisierte Vororte wie z. B. Feuerbach und Zuffenhausen leichter auf das Arbeitskräftepotenzial im gesamten Raum Stuttgart zugreifen. Hinzu kam die Möglichkeit, Güter nach Stuttgart zu beför dern, was die SSB mit ihrem Marktverkehr seit 1911 unterstützte. *Bernhard v. Bülow, deutscher Außenminister (1897), zur Rechtfertigung deutscher Kolonialpläne
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Die Nachbarstadt Esslingen nutzte 1912 die Gelegenheit, um eine eigene städtische Straßen bahn zu gründen, die einen direkten Anschluss an den großen Nachbarn hatte und durch gehenden Betrieb vom Schlossplatz in Stuttgart bis nach Oberesslingen bot. Die bis dahin dampfbetriebene Filderbahn, einschließlich der dazugehörigen „Zacke“, wurde schon kurz nach der Jahrhundertwende ausgebaut und vor allem durch die Elektrifizierung grundlegend moder nisiert. Damit war aus der ländlichen „Bimmel bahn“ praktisch eine moderne Überlandstraßen bahn geworden, zumal am Bopser seit dem Bau der Neue-Weinsteige-Linie 1904 eine direkte Umsteigemöglichkeit auf das Stadtnetz der SSB bestand.
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Der erste Weltkrieg und die SSB Zwar gab es bei Straßenbahnbetrieben kriegs bedingte Besonderheiten und Anforderungen, wie noch gezeigt werden wird. Aber anders als in der Industrie gab es bei Straßenbahnbetrieben keine „Kriegsproduktion“ und „Kriegswirtschaft“ im eigentlichen Sinne. Insofern sind grund legende betriebliche Daten und Sachverhalte in Friedens- und Kriegszeiten zunächst einmal vergleichbar. Allerdings war ab einem gewissen Zeitpunkt kaum mehr von einem „normalen“ Betrieb zu sprechen, zu stark waren die materiellen und personellen Engpässe. In jedem Fall jedoch war der Erste Weltkrieg auch für die SSB eine völlig neue Herausforderung, deren Auswir kungen zuvor sicher niemand hatte abschätzen können.
Die Materialschlachten an der Maas, in Verdun und anderswo im Westen wirkten bis weit hinein in die „Heimatfront“.
Der „normale“ Betrieb im Ersten Weltkrieg Die nüchternen Zahlen der Verkehrsleistungen der SSB während des Ersten Weltkriegs, mit dem letzten Friedensjahr 1913 als Bezugspunkt, sind bei näherer Betrachtung sehr aufschlussreich. Betrachtet man zunächst die Zahl der beförderten Personen, zeigt sich ein erster Sprung in den Anstiegen von 1915 zu 1916, diese Dynamik nimmt in den Folgejahren deutlich zu. Die annähernde Verdoppelung der Fahrgastzahlen zwischen dem „Boomjahr“ 1913 und 1916 wird mit dem fast unveränderten Fahrzeugpark 11
der unter schwierigen Versorgungsbedingungen von der Substanz zehrte. Nicht zuletzt bei der Würdigung der Entwicklung der Fahrgastzahlen muss man sich klar machen, dass von einem „friedensmäßigen Betrieb“ keine Rede sein konnte. Immer wieder mussten Linien ganz oder teilweise eingestellt werden, um Kapazitäten freizumachen, die an anderer Stelle dringender gebraucht wurden. Insofern haben die An- und Ausführungszeichen in der Überschrift ihren guten Grund.
Wirtschaftliche Situation
Links | Wagenführer und Schaffnerin: An ein solches Gespann auch nur zu denken, hätte einen gestandenen Straßenbahner noch 1913 wohl sein Tabakspfeifchen verschlucken lassen. Schon wenig später war diese Kombination aber auch in Stuttgart unverzichtbar, wie hier vor dem „Vierer“ am Hölderlinplatz Rechts | Für noch größere Marktkarren, fast schon richtige Gespanne, dienten die Flachwagen mit stirnseitiger Rampe
bewerkstelligt. Noch drastischer bilden die gefahrenen Wagenkilometer die betriebliche Situation ab: Sie waren 1915 und 1916 gegenüber den beiden Vorjahren sogar rückläufig und erreichten erst 1917 wieder den Stand von 1913, allerdings bei einem mehr als eineinhalbfachen Fahrgastaufkommen.
Bef. Pers. Wagen-km Trieb- Bei- Personal (in Mio.) (in Mio.) wagen wagen
1913 122,5 14,851 1914 135,5 14,999 1915 145,0 13,811 1916 158,0 13,960 1917 180,0 14,851 1918 187,0 15,445
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267 171 1.642 275 188 1.650 275 188 1.445 275 188 1.560 275 188 1.675 275 188 1.954
Sehr interessant ist auch die Entwicklung des Personalbestands. Für 1915 spiegelt sich die verstärkte Einziehung wehrfähiger Männer nach den ersten verlustreichen Schlachten an der Westfront. Ab 1916 wurden diese Personalverluste durch die verstärkte Einstellung von Frauen und älteren Männern kompensiert. Der hohe Personalbestand von 1918 dürfte allerdings auch darauf zurückzuführen sein, dass entlassene Soldaten wieder an ihre Arbeitsplätze zurück kehrten. Sie verdrängten zunehmend die Frauen aus dem Betrieb. Durch die Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstags ab November 1918 und möglicherweise auch durch den zunehmenden Anteil schlecht ausgebildeter Arbeitskräfte stieg der Personalbedarf weiter. Insgesamt zeigt sich in diesen wenigen Zahlenangaben das Bild eines enorm stark belasteten Verkehrsbetriebs,
Eine Übersicht über die wirtschaftliche Lage der SSB während des Ersten Weltkriegs gibt eine Zusammenstellung der Betriebseinnahmen und der Betriebsausgaben sowie der Erträge. Dabei sind den Kriegsjahren 1914 bis 1918 drei Friedensjahre zum Vergleich vorangestellt, um die anderen Zahlen verständlicher zu machen: 1908 war der Bau des innerstädtischen Straßen bahnnetzes ebenso abgeschlossen, wie die teure und aufwändige Elektrifizierung. Bei den Jahren 1910 und 1913 schlägt hingegen der Aufbau des Vorortsnetzes zu Buche, einschließlich der damit verbundenen Fahrzeugbeschaffung. Die Geldbeträge sind auf 1.000 Mark gerundet, bei der Ermittlung des prozentualen Anteils wurden die genauen Zahlenwerte herangezogen.
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Links | Wachstum, Fortschritt, Rationalisierung auch im Marktwarenverkehr: Die Platt formwagen mit Klapprampe waren der nächste Schritt. Jetzt konnten die Markthändler ihren kompletten Verkaufskarren mitführen und auf ihm noch weitere Ware auftürmen Rechts | Noch 1918 baute die SSB nochmals zwei Gütertriebwagen. Einer davon, Nummer 124, ist am Westbahnhof mit Lebensmitteln beladen worden. Jetzt wird er hinab in die Stadt rollen
1908 1910 1913 1914 1915 1916 1917 1918
Betriebs- Betriebs- Ertrag* Anteil des Ertrags einnahmen* Ausgaben* an den Einnahmen 2,751 3,510 4,919 4,961 4,816 5,634 7,276 9,767
2,047 2,507 4,102 4,285 3,976 4,348 5,124 7,817
0,580 0,638 0,640 0,514 0,540 0,849 0,953 0,856
21,1 % 18,2 % 13,0 % 10,4 % 11,2 % 15,1 % 13,1 % 8,8 % * in Mio. Reichsmark
Eine dritte tabellarische Übersicht differenziert die Betriebseinnahmen und bringt sie in Bezug zu den von der SSB erbrachten Verkehrsleistungen. Dabei werden die gleichen Bezugsjahre gewählt wie bei der vorhergehenden Tabelle. Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Die in Klammern gesetzten Indizes mit dem Bezugsjahr 1913, dem letzten vollständigen Friedensjahr, zeigen die Entwicklung der Ein nahmen bezogen auf Fahrgäste und Wagen kilometer. Für beide Tabellenspalten spielen, vor allem was die Betriebseinnahmen angeht, natürlich die Beförderungszahlen bei der SSB eine entscheidende Rolle. Beim Vergleich der bis 1917 rückläufigen Ein nahmen je Fahrgast, nicht zuletzt wegen des auf die Hälfte des Normalfahrpreises vergünstigten Militärtarifs, und der kontinuierlich steigenden Einnahmen je Wagenkilometer wird dies be sonders deutlich: Im letzten Kriegsjahr sind die Einnahmen je Wagenkilometer fast doppelt so groß wie 1913, bei fast gleichen Einnahmen je Fahrgast.
Einnahmen je beförderte Person
Einnahmen nach Wagen-km
1908 1910 1913 1914 1915 1916 1917 1918
9,01 Pfennige (99 %) 9,44 Pfennige (104 %) 9,11 Pfennige * 8,86 Pfennige (97 %) 8,48 Pfennige (93 %) 8,71 Pfennige (96 %) 8,66 Pfennige (95 %) 9,74 Pfennige (107 %)
37,58 Pfennige (113 %) 38,86 Pfennige (117 %) 33,12 Pfennige * 33,13 Pfennige (100 %) 34,94 Pfennige (105 %) 40,22 Pfennige (121 %) 49,11 Pfennige (148 %) 63,04 Pfennige (190 %) * Bezugsjahr
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Links | Auf den Umladegleisen am West bahnhof, um 1916: Zivile Fracht ist per Eisenbahn angekommen und wird mit einem transportablen Aufzug auf einen offenen Güterwagen der SSB umgeschlagen. Im Hintergrund der stationäre Portalkran Rechts | Zwischen West- und Nordbahn hof pendelt dieser Zweier. Für eine formalrespektable Dienstkleidung reicht es bei dieser Schaffnerin offenbar nicht mehr. Die Versorgungslage wurde ab Mitte des Ersten Weltkriegs zunehmend prekär
aufgeschlagen und direkt abgeführt. Bei der SSB führte das dazu, dass „der bei Kriegsaus bruch gültige Tarif, der seit 1899 in Kraft war, […] erstmals am 1. Juli 1918 erhöht werden [musste]“, wie es im Rückblick des Jahres 1928 hieß. Konkret bedeutete dies, dass der Preis des billigsten Einzelfahrscheins von 10 Pfennig auf 15 Pfennig stieg. Diese durchaus beträchtliche Tariferhöhung um 50 Prozent entsprach aber keinesfalls den seit 1914 zunehmenden allge meinen Preissteigerungen.
Bei all diesen Zahlen ist zu beachten, dass es sich um rein nominale Angaben handelt. Rech nete man die Preissteigerung von zirka 300 Prozent zwischen 1913 und 1918 mit ein, ergä be sich ein dramatisches Bild. Dabei würde klar, dass der Erste Weltkrieg Verkehrsunternehmen wie die SSB auch ohne materielle Kriegszerstö rungen ruinieren konnte und ruiniert hat. Entsprechend den steigenden Lebenshaltungs kosten stiegen auch die Betriebskosten, dabei spielten die Personalkosten eine herausragende Rolle. Beim Vergleich der letzten Vorkriegsjah re mit dem Zeitraum 1914 bis 1918 zeigt sich allerdings, dass der Anteil der Personalaufwen dungen an den Betriebskosten mit rund einem Drittel konstant blieb.
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Zu einer erheblichen Steigerung der Betriebs kosten führte die am 29. März 1917 vom Deut schen Reichstag verabschiedete und am 1. August 1917 in Kraft getretene Reichskohlensteuer. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen belastete die Steuer sämtliche in- und auslän dischen Kohlenprodukte, die in Deutschland verbraucht wurden, mit 20 Prozent des Waren werts. Da ein wesentlicher Teil des Stroms aus Kohlekraftwerken kam und die Stromkosten einen erheblichen Teil der Betriebsausgaben ausmachten, war dieser Steuerzuschlag durchaus spürbar. Noch in den letzten Kriegsmonaten, am 1. Juli 1918, trat die Reichsverkehrssteuer in Kraft. Sie war ebenfalls als Verbrauchssteuer angelegt und wurde unmittelbar auf die Fahrscheine
Auch wenn dieses Ereignis nur sehr mittelbar mit dem Ersten Weltkrieg zu tun hat, sei es auf grund seiner Bedeutung für die Geschichte der SSB doch genannt: Es geht um die faktische Übernahme der SSB-Aktienmehrheit durch die Stadt Stuttgart. 1918 verständigte sich die Hauptund Residenzstadt mit der Daimler Motoren gesellschaft und Bosch - und zwar Robert Bosch persönlich - auf einen gemeinsamen Kauf aller SSB-Aktien. Bisherige Eigentümerin war die Gesellschaft für elektrische Unternehmungen – kurz Gesfürel – in Berlin. Bei diesem Zusammen wirken von Kommune und Privatwirtschaft handelte es sich praktisch um die Kommunali sierung der SSB, denn die Stadt Stuttgart übernahm gegen eine feste Zinszusage das alleinige Stimmrecht. Somit endete für die SSB mit dem Ersten Weltkrieg nicht nur eine Epoche wirtschaftlicher Prosperität, sondern auch der Status als Privatunternehmen, ungeachtet der Firmierung als Aktiengesellschaft.
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Betriebsmittel Anders als z. B. Belgien und Frankreich sowie weite Teile Ost- und Südosteuropas war Deutschland nicht unmittelbar vom Kriegs geschehen betroffen, dies galt natürlich auch für Stuttgart. Insofern gab es auch keine Zerstörungen von Fahrzeugen, Gleisanlagen oder anderen Infrastruktureinrichtungen der SSB. Dennoch wirkte sich der Krieg negativ auf die Betriebsmittel der SSB und anderer öffent licher Verkehrsmittel aus, und zwar wegen des Mangels an Material. Dieser Mangel verhinderte nicht nur die Er weiterung des Streckennetzes im Bereich der Stuttgarter Vororte und die Beschaffung neuer Fahrzeuge zur Bewältigung des steigenden Verkehrs. Auch reine Instandhaltung und der Ersatz verschlissener Teile wurde zunehmend schwieriger, denn es fehlte „an Material wie Öl, Fett, Kupfer usw. Das vorhandene Kupfer“ – vor allem für die Fahrleitungen – „mußte sogar abgeliefert, eingebautes Kupfer mußte abmontiert und durch Eisen ersetzt werden. So häuften sich die Schwierigkeiten unseres Betriebs vier Jahre lang immer mehr“, wie es ein Zeitzeuge in der Betriebszeitschrift „Über Berg und Tal“ 1937 schilderte. Besonders drastisch wirkte sich der Material mangel während des Krieges bei der damals noch nicht zur SSB gehörenden Zahnradbahn, der „Zacke“, aus. Dort hatte die Westdeutsche Eisenbahngesellschaft und ihre württember gische Tochterfirma Württembergische Neben Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
bahngesellschaft – WN- nach der Übernahme der Filderbahn den gesamten Betrieb grund legend saniert. Insbesondere hatte die neue Eigentümerin zwischen 1902 und 1904 das gesamte Streckennetz und dabei auch die „Zacke“ auf elektrischen Betrieb umgestellt. Mit dem zunehmenden Mangel an Betriebs stoffen und Ersatzteilen aus so genannten „strategischen Rohstoffen“, wie z. B. Kupfer, entschloss sich die WN zu einem drastischen Schritt: An die Stelle der erst wenige Jahre alten elektrischen Zahnradbahntriebwagen traten noch im letzten Kriegsjahr 1918 gebraucht beschaffte Zahnradbahndampfloks. Diese waren nach der Elektrifizierung der schweizerischen Brünigbahn entbehrlich geworden und standen zum Verkauf. Trotz des Einsatzes wertvoller
Devisen war der Rückgriff auf Fahrzeuge, die mit dem heimischen Rohstoff Kohle betrieben wurden, offenbar die einzige Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Betriebs. Die Kombination aus fehlendem Material und Fachkräftemangel zur Wartung und Pflege bei gleichzeitiger Überlastung durch steigende Transportleistungen war verheerend: Sämtliche Betriebsmittel der Straßenbahn waren bei Kriegsende stark abgewirtschaftet und dringend erneuerungsbedürftig. Aber auch nach dem Ende der Kampfhandlungen standen dafür die erforderlichen Finanz- und Sachmittel nicht zur Verfügung. Der Raubbau an Menschen und Material sowie die immer mehr zunehmende Geldentwertung zehrten jeglichen „Friedens bonus“ auf. 15
Elf Stück Plattformwagen für den Markt warenverkehr beschaffte die SSB zwischen 1914 und 1926, dazu kam später ein gleichartiger Wagen der Esslinger Straßen bahn, der von dort ebenfalls bis ins Herz Stuttgarts rollte. Abbildung aus Loercher, in Elektrische Bahnen, Heft 1/1918
Bei der Filderbahn war der Zustand so schlecht, dass sich die Eigentümerin WN gezwungen sah, die gesamte Bahn zu verkaufen. Der größte Teil des Netzes sowie der dazugehörigen Fahrzeuge und Anlagen kam ins Eigentum der Stadt Stutt gart, ein kleinerer Teil in das der Deutschen Reichsbahn.
Güterverkehre unter Kriegsbedingungen In Stuttgart betrieb die SSB oder deren Tochter gesellschaft, die Stuttgarter Vorortstraßenbahnen GmbH, schon seit 1911 einen Marktverkehr. Dabei ging es um eine Erleichterung bei der Versorgung der städtischen Märkte mit Obst, Gemüse, Eiern und anderen verderblichen Lebensmitteln. Es war eine Dienstleistung für 16
die Marktbeschicker aus den Vororten mit Stra ßenbahnanschluss. Der 1916 eingeführte Güterverkehr war hin gegen kein Luxus, sondern den Bedingungen einer unter immer knapper werdenden Res sourcen leidenden Kriegswirtschaft geschuldet. Dieser Mangel bezog sich im Transportwesen in geringerem Umfang auf die im zivilen Einsatz ohnehin eher wenigen Lastkraftwagen. Sehr viel schwerwiegender war der im Kriegsverlauf immer größer werdende Mangel an Zugpferden. Dabei ist zu bedenken, dass trotz des Einsatzes moderner Technik im Ersten Weltkrieg wie in den Jahrhunderten zuvor Pferde eine große Rolle spielten. Zwar hatte die traditionelle Kavallerie weitgehend ausgedient, aber beim Ziehen von Geschützen, Nachschubfahrzeugen
oder Sanitätswagen waren die Tiere unverzicht bar. Millionenfach wurden sie ebenfalls Opfer der Materialschlachten. Doch auch die in der Heimat verbliebenen Pferde standen für zivile Transporteinsätze nur bedingt zur Verfügung, weil auch ihre Verpflegungsmöglichkeiten immer schlechter wurden. Insoweit bot sich der Einsatz von elektrischen Straßenbahnen an, da die Stromerzeugung neben Wasserkraft in erster Linie durch den heimi schen Rohstoff Kohle erfolgte. Dabei bezieht sich „heimisch“ nicht auf das „revierferne“ Stuttgart, sondern auf das Deutsche Reich insgesamt. Dementsprechend weitverbreitet war der Straßen bahngüterverkehr: 1918 betrieben ihn 118 deutsche Straßenbahnbetriebe, 1914 hatten aller dings bereits 61 Unternehmen Güterverkehre.
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Links | Schon bevor 1914 die Stuttgarter Markthalle fer tiggestellt wurde, rollten die Marktwarenzüge mit ihrer nahrhaften Fracht von Zuffenhausen, Botnang, Wangen und Esslingen zum Marktplatz der Landeshauptstadt. Die Verkäuferinnen konnten im Motorwagen mitfahren. Diese Art der Lebensmittellogistik erklärt mit das Inter esse der Landeshauptstadt und der (damals noch priva ten) SSB an einer Anbindung der damals überwiegend eigenständigen Randgemeinden um Stuttgart. Die rasch wachsende Zentralstadt war schlicht immer mehr auf die Zufuhr aus den umliegenden Anbaufläche angewiesen, nachdem diese im Talkessel zunehmend überbaut wurden. Rechts | In der Straßenbahnwelt Stuttgart ist heute einer der einstigen Marktwagen, Nummer 2051, Baujahr 1914, erhalten und demonstriert mit (künstlichem) Gemüse sei nen einstigen Gebrauchszweck.
Transportiert wurden bei der SSB alle anfallenden Massengüter. Dazu zählten Brennmaterial, vor allem Kohle, Lebensmittel, wie z. B. Kartoffeln oder die „berüchtigten“ Steckrüben ebenso wie Baustoffe, insbesondere Sand und Kies. Um diese Leistungen erbringen zu können, musste die SSB sowohl ihre Infrastruktur als auch ihren Fahrzeugpark entsprechend ergänzen. Da es außer dem Marktverkehr bislang keine Warenverkehre bei der SSB gab, mussten Be- und Entladegleise neu gebaut werden. Zum einen war dies für den Übergang von der Eisenbahn auf die Straßenbahn erforderlich, zum anderen, um die Feinverteilung der Waren im Stadtgebiet durchzuführen. Neben dem Hauptgüterbahn hof Stuttgart wurden beispielsweise auch am Westbahnhof Umladeeinrichtungen bzw. Straßen Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
bahnanschlüsse neu gebaut. Außer der SSB erstellten auch größere Industriebetriebe auf eigene Kosten Anschlussgleise für den Güter transport mit der Straßenbahn. 1917 drängte die Militärverwaltung auf eine Ausweitung des Güterverkehrs, weshalb auch am Bahnhof Cannstatt eine Umladestation errichtet werden sollte. Hier weigerte sich die SSB allerdings, die Kosten zu übernehmen, diese sollten „von den am Transport Beteiligten getragen werden“. Was die Fahrzeuge betrifft, so wurde zunächst ein offener Gütertriebwagen selbst gebaut. Aus altbrauchbaren Untergestellen wurden Hochbordgüterwagen, was den geringen Anfor derungen des vorgesehenen Ladeguts entsprach und den Transport sehr effizient machte. Die Zahl dieser Fahrzeuge nahm bis Kriegsende
deutlich zu. In den Jahren 1916 und 1917 waren es ein Gütertriebwagen und acht Güter beiwagen, 1918 waren es drei Trieb- und 16 Beiwagen. In diesem Jahr transportierte die SSB mit 200.000 Wagenkilometern 55.000 Tonnen an Gütern.
Kriegsende und die Folgen Ebenso wie im gesamten Reich war auch in Württemberg das Kriegsende im November 1918 gleichbedeutend mit dem Ende der Monarchie. Die „Haupt- und Residenzstadt“ Stuttgart war davon naturgemäß in besonderer Weise betroffen. Trotz der schon vor dem Krieg abnehmenden Bedeutung des königlichen Hofes spielte er 17
Links | 1915 ließ die SSB zwei Verwundetenwagen für den Liegendentransport bauen. Das Gleiten auf glatten Schienen war für die Schwerverletzten sicherlich um Klassen angenehmer als das Geholper auf dem Katzenkopfpflaster. Dennoch werden die Wagenbegleiter manchem ihrer Schutzbefohlenen die Augen für immer zugedrückt haben, weil diese eines der Krankenhäuser oder Lazarette in der Stadt nicht mehr lebend erreichten. Das Bild zeigt eine Überstellung vom Westbahnhof zum Marienhospital
gleichwohl noch eine Rolle und gab der Stadt ein repräsentatives Gepräge. Abgesehen vom deutlich nüchternen Selbstverständnis von Republiken im Allgemeinen und der Weimarer Republik im Besonderen fehlten nach 1918 schlicht die Mittel zur Repräsentation. Mehr als vier Jahre „totaler Krieg“, dieser Begriff entstammt dem Ersten Weltkrieg, hatten nicht nur rund 20 Millionen Tote und noch viel mehr Verwundete gefordert, sie hatten die kriegfüh renden Länder Europas auch arm gemacht. Der „Freistaat Württemberg“ und seine Hauptstadt Stuttgart bildeten dabei keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil war es gerade die schon damals sehr stark exportorientierte Stuttgarter Industrie, die unter der militärischen Niederlage besonders zu leiden hatte und mit ihr die dort beschäf tigten Menschen. Die Siegermächte der Entente 18
Rechts | Für die Verladung der Tragbahren in normale Beiwagen des Personenverkehrs umgebaut. Diese Transportweise erwies sich aber als umständlich, personalaufwändig und für den Kranken auch nicht gerade als schonend. In Ostheim wurde für den Foto graf diese Szene vermutlich gestellt
schlossen ihre Märkte für deutsche Waren, enteigneten dauerhaft Produktionsstätten und Patentrechte in ihren Ländern. Von beidem waren auch die schon damals für Stuttgart überragend bedeutenden Firmen Bosch und Daimler betroffen. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar sind die Massen an schwerkriegsbeschädigten, zwangs läufig jüngeren Männern. Sie waren bein- oder armamputiert, blind, dauerhaft von Giftgas ge schädigt oder nachhaltig traumatisiert, und nicht selten hatten sie mehrere dieser schrecklichen Verwundungen. Abgesehen von den damit verbun denen Einzelschicksalen standen damit hunder tausende Menschen für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbau der Nachkriegsjahre nicht mehr oder nur eingeschränkt zur Verfügung.
Die Kriegsversehrten, die überall in den Städten und Gemeinden sichtbar gegenwärtig waren, verkörperten nicht nur buchstäblich die militä rische Niederlage des Reiches. Darüber hinaus wurden die „Kriegskrüppel“ auch als eine Art Symbol für den Zustand der neuen deutschen Republik betrachtet und z. B. auch in der Kunst so dargestellt.
Nachkriegszeit im Zeichen von Milliarden Eine vor allem für die Bezieher von Löhnen, Gehältern, Renten und Pensionen entsetzliche Kriegsfolge war die Inflation. Sie hatte bereits mit Kriegsbeginn eingesetzt und sich bis Ende 1918 weiter gesteigert, weil die steigenden
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Ab 1924 erhielten neu beschaffte Wagen der SSB erstmals den gelb-schwarzen „städtischen“ Anstrich, um die relativ neue kommunale Zugehörigkeit des vor mals privaten Verkehrsunternehmens zu betonen. Albert Sauer (1902 – 1937) mal te im Augst 1923 – mitten in der Phase der Hyperinflation – diese Szene mit einem Triebwagen aus der allerersten Zeit der Elektrifizierung des Stuttgarter Net zes von 1895. Deshalb zeigt der Wagen die bis 1924 bei der SSB übliche Farbge bung blau-weiß. Für einen Laib Brot musste man zu dieser Zeit in Deutschland etwa 500 000 Mark zahlen
Kriegskosten durch eine beschleunigte Tätigkeit der Notenpressen bezahlt wurden. Bei Kriegsende entsprach der reale Wert der deutschen Währung nur noch rund 30 Prozent des Vorkriegsstandes. Jedoch war die Inflation der Kriegsjahre nur ein leichter Vorgeschmack dessen, was in den folgenden Jahren auf die Menschen in Deutsch land zukommen sollte. Ursächlich war auch hier das Handeln der deutschen Notenbank. Um die Reparationen für die Siegermächte bezahlen zu können, blieb nur die Herstellung von Papier geld. Dabei entsprach diese Geldvermehrung in keiner Weise der Wirtschaftskraft der jungen Weimarer Republik: Das Geld war bald praktisch wertlos.
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Im Rückblick von fast vier Jahrzehnten, im März 1957, hat der langjährige Technische Vorstand der SSB, Paul Loercher, die Auswirkungen der Inflation auf die SSB-Tarife geschildert: „Der Preis für den ersten Einzelfahrschein betrug bis zum Jahr 1919 15 Pf und mußte am 15. April desselben Jahres auf 20 Pf und im August auf 25 Pf erhöht werden. Im folgenden Jahr trat eine 4malige Steigerung auf 55 Pf ein und im Jahr 1921 eine 3malige auf 1,50 Reichsmark (RM). Das nächste Jahr brachte es auf 16 Erhöhungen, bis auf 60 RM und im Jahr 1923 folgten 40 Erhöhungen bis zuletzt auf 35 Milliarden Mark. Am Ende dieses Jahres wurden alle 3 bis 4 Tage die Tarife erhöht. Diese sprunghaften Maßnah men fanden ihr Ende am 17. November 1923, an welchem Tag für den Einzelfahrschein 10 Goldpfennig gefordert wurden.“
Diese knappe Schilderung eines damals verant wortlichen Zeitzeugen bedarf wohl keiner wei teren Kommentierung und verdeutlicht in kon kreten Zahlen den Begriff der „galoppierenden Inflation“. Die Menschen reagierten darauf, indem sie so weit wie möglich und vor allem so schnell wie möglich Geld in Sachwerte oder Devisen tauschten. Wer konnte, legte das Geld in Immobilien an, was in den frühen 1920er Jahren einen Bau boom auslöste. Auch die SSB baute z. B. ihren Betriebshof in Ostheim in dieser Zeit um.
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Linke Seite | Mitten im Ersten Weltkrieg erstellte die SSB am Stuttgarter West bahnhof Umladegleise für den Güterum schlag. Sie schlossen an die damals noch eingleisige, später zweigleisige Strecke Westbahnhof – Bismarckeiche/Charlot tenbuche an, heute besser bekannt als Birkenkopf. Eine Ausweiche dieser Strecke lag – links im Plan zu erkennen – direkt über dem Tunnelportal der Gäubahn am Hasenberg (die Gleise der Gäubahn sind nicht dargestellt). In der Notzeit nach dem Krieg bezahlte die Stadt Stuttgart den Bau eines weiteren Gleises (gelb dar gestellt - links unterhalb der Bildmitte), das über eine kleine Drehscheibe erreich bar war. Daher datiert dieser Plan vom Herbst 1921 Diese Seite links | 1915 beschaffte die SSB beim damaligen Hauslieferant Her brand & Co., Köln, zwei „Verwundetenbei wagen“, welche die Nummern 5 und 6 erhielten. Zur Schonung der „Fahrgäste“ – und wohl auch des Gemüts zufälliger Betrachter - besaßen diese Wagen einen Aufbau mit Zeltdach und seitlichen Pla nen. Nach dem Krieg ließen sich diese Wagen gut für den Marktverkehr nutzen. Diese Transportaufgabe ging mit dem Aufkommen des Lkw aber bis auf weite res verloren. Die beiden Wagen schieden daher 1926 schon wieder aus Diese Seite rechts | Probeweise hängte man die Tragbahren in den Personen beiwagen auf, damit die Kranken mög lichst wenig durchgeschüttelt wurden. Dieses Verfahren erwies sich aber als zu umständlich, schon wegen des Passierens der engen Stirntüren
Verwundetentransporte im Ersten Weltkrieg Ganz unmittelbar mit dem Kriegsgeschehen hängen die Verwundetentransporte zusammen, welche die Straßenbahn während des gesamten Ersten Weltkriegs durchführte. Dank des in den Friedensjahren bis 1913 entstandenen dichten Straßenbahnnetzes war es möglich, die im ge samten Stadtgebiet eingerichteten Lazarette und Hilfslazarette vom Stuttgarter Hauptbahnhof aus zu erreichen. Zur Verwundetenversorgung wurden in der Regel nicht nur Krankenhäuser genutzt, sondern vor allem auch andere geeignete Gebäude wie z. B. Schulen, Turnhallen oder Festsäle. Die Straßenbahn bildete während des Ersten Weltkriegs vielfach das letzte Glied einer langen
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Transportkette, die von der unmittelbaren Frontlinie über die Etappe bis ins Hinterland führte. Im Falle Stuttgarts dürfte es sich in allererster Linie um Verwundete der Westfront gehandelt haben, aufgrund der Schwerpunkte der Kampfhandlungen vor allem aus Flandern und Ostfrankreich. Auch wenn davon auszuge hen ist, dass nur diejenigen Verwundeten ins Hinterland gebracht wurden, die transportfähig waren, handelte es sich doch stets um Schwer verletzte. Leichtere Verletzungen wurden in der Regel relativ nah bei dem Kampfgebiet be handelt, um die genesenen Soldaten möglichst schnell wieder einsetzen zu können. Insofern konfrontierten die Verwundetentrans porte der SSB relativ große Teile der Stuttgarter Bevölkerung mit den schrecklichen Folgen des
räumlich so weit entfernten Krieges. Ein Zeit zeuge, der als Straßenbahner ganz offenbar an den Verwundetentransporten beteiligt war, be schreibt es 1937 in der SSB-Betriebszeitschrift „Über Berg und Tal“ folgendermaßen: „Oft führten wir halbe und ganze Nächte hindurch Verwundete von dem in der Kronenstraße für diesen Zweck eingelegten Gleis aus in die Laza rette nach verschiedenen Stadtteilen. Man konnte oft erschütternde Bilder sehen und ich mußte manchmal Tränen verbeißen.“ Wie den zeitgenössischen Fotos zu entnehmen ist, wurden für den Verwundetentransport sowohl Personenwagen benutzt, als auch Flach wagen, wie sie die SSB insbesondere für den Marktverkehr vorhielt. Bei den Personenwagen ersetzte man für den Einsatz als Verwundeten 21
transporter die Sitzbänke durch Halterungen für Krankentragen. Bei den Flachwagen wurden die Tragen direkt auf den niedrigen Wagenboden gestellt. Zum Schutz vor Witterungseinflüssen, vor allem Regen und Schnee, wurden diese Wagen mit flachen Planen ausgestattet. Inwieweit hier auch die Überlegung eine Rolle spielt, die vielfach sichtbar von ihren Kriegsverwun dungen gezeichneten Männer abzuschirmen, ist Spekulation. Die vermeintlich bequemeren Personenwagen waren für Verwundetentransporte eher ungeeig net, weil die Enge der Fahrzeuge die Arbeit der Sanitäter erschwerte. Auch war damit sicher mancher Schmerz für die auf den Tragen lie genden Verwundeten verbunden. Demgegenüber waren die Flachwagen für diese Zwecke wesent lich besser geeignet, auch wenn es sich um Güterwagen handelte. Daher war der Einsatz von Flachwagen später die Regel beim Verwundeten transport, bei Kriegsende 1918 waren statt der ursprünglichen zwei schließlich acht solcher Wagen im Fahrzeugbestand. Möglicherweise handelt es sich bei den Darstellungen mit den umgebauten Personenwagen sogar nur um reine Übungs- bzw. Versuchsfahrzeuge, die für den „echten“ Einsatz gar nicht verwendet wurden. Schriftlich überliefert ist jedenfalls, dass die zuständigen Ärzte häufig die Flachwagen an forderten, da sie die ursprünglich vorgesehenen Personenwagen offenbar für weniger geeignet hielten. Für die primäre Verwendung der Flachwagen sprach außerdem die ab 1916 sprunghaft 22
steigende Zahl von Fahrgästen, ohne dass in nennenswerter Zahl neue Wagen beschafft wer den konnten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch der Marktverkehr der SSB, für den die Flachwagen ursprünglich beschafft worden waren, während des Krieges stark zunahm, da Gespanne für den Kriegseinsatz requiriert wurden. Eine Mehrfachnutzung der Flachwagen erscheint aber insoweit möglich, als die Marktverkehre hauptsächlich in den frühen Morgenstunden in Richtung der Innenstadt abgewickelt wurden und die Wagen für diese Dienste nicht über den gesamten Tag gebunden waren. Wegen der Auslastung der Waggonfabriken mit Rüstungs aufträgen erbaute die SSB einen großen Teil der Wagen selbst. Neben diesen Neubauten behalf man sich für den Marktverkehr, der in den Kriegsjahren ebenfalls anstieg, auch mit
gebrauchtem Wagenmaterial, das z. B. von der Oberrheinischen Eisenbahn-Gesellschaft ange kauft und entsprechend den Betriebsverhältnis sen der SSB angepasst wurde. So konnten die Flachwagen für die Verwundententransporte freigesetzt werden. In der Erinnerung des damaligen SSB-Direktors Loercher, dargelegt in einem Jubiläumsband zum 60-jährigen Bestehen des Unternehmens 1928, liest sich der Einsatz für den Verwunde tentransport so: „Sofort nach Kriegsausbruch wurden auf Verlangen der Heeresverwaltung Vorbereitungen für die Beförderung Kriegsverwundeter vom Hauptbahnhof“ [damals noch an der heutigen Bolzstraße] „nach den Krankenhäusern getroffen
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Seite 22 und 23: Eine buchstäblich doppel bödige Sache waren die ersten beiden Marktwagen von 1911/12 von Herbrand mit den SSB-Nummern 1 und 2, ab 1928 dann 2041/42 genannt und ab 1934 als 2086/87 verzeichnet. Die Bodenetage diente voluminösen Marktbehältnissen, die obere Ebene mochten Körbe mit kleinteiligen empfindlichen Erzeugnissen wie Obst und Beeren füllen. Wagen 2086 verbrannte 1944, sein Kompagnon diente bis 1957 dem Gleisbau Unten | Vermutlich auf der Rückfahrt nach Gaisburg mit den leeren Transport behältnissen und Marktkarren ist diese Fuhre verewigt worden. Als Einsatzwagen – daher die „Linien“kennzeichnung „E“ – dient einer der von Herbrand zwischen 1908 und 1910 erbauten rund 20 Motorwagen
und hierfür Anschlußgleise in der Kronenstraße sowie an mehreren Stellen der Stadt gelegt und für den Transport geeignete Wagen erbaut. In vielen Zügen und zu allen Tageszeiten führte die Straßenbahn die Transporte aus, und es war möglich, diese mit größerer Schonung der Insassen zu bewirken, als es manchmal mit den Autos geschah.“
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Einer der markantesten Punkte im SSBNetz: das obere Ende der Königstraße am Wilhelmsbau. Die Beflaggung verweist auf das Deutsche Turnfest im Sommer 1933. Motorwagen 429 entstammt der 1925 beschafften Serie von 30 gleichartigen Wagen, ist also erst acht Jahre alt. Solche Fahrzeuge bestimmten damals das Erschei nungsbild der SSB
„Gute braune Zeit“ Die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg Als der damalige Reichspräsident von Hindenburg den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler einer Koalitions regierung mit dem Vizekanzler Franz von Papen, vordem Mitglied des Zentrums ernannte, hatte dies auch für Stuttgart unmittelbare Folgen. Auf der kommunalpolitischen Ebene wurde der Gemeinderat und die Stadtverwaltung „gleich geschaltet“. Zug um Zug wurden die anderen Parteien verboten oder von der Selbstauflösung „überzeugt“. Etliche Vertreter der von den Nazis so bezeichneten „Systemzeit“, also der Weimarer Republik, kamen in Polizeigewahrsam oder in sogenannte Schutzhaft, d. h. eine willkürliche Inhaftierung ohne zeitliche Begrenzung und ohne Gerichtsverfahren. Das wohl prominenteste Stuttgarter Opfer dieses Terrors war der württem bergische Staatspräsident Eugen Bolz. Der seit 1911 amtierende Oberbürgermeister Karl Lautenschlager, der während seiner Dienstzeit maßgeblichen Anteil am allgemeinen Aufschwung der Stadt hatte, trat kurz nach der „Machter greifung“ am 9. Mai 1933 von seinem Amt zurück. Dabei wurde der hoch angesehene Lautenschlager nicht einfach abgesetzt. Vielmehr konnte man den Oberbürgermeister, der wenige Monate später altershalber hätte ausscheiden müssen, zu einem früheren Amtsverzicht bewegen. An seine Stelle trat mit Karl Strölin ein altgedientes NSDAPMitglied, das 1931 erfolglos gegen Lautenschlager als OB-Kandidat angetreten war. Anders als in vielen anderen Städten wurde der frühere Ober 24
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Ebenfalls ein Stimmungsbild aus der Zeit des Turnfestes 1933. Noch tritt das Haken kreuzsymbol eher zurückhaltend in Erscheinung. Der „Schupo“ (Schutzpolizist) ganz rechts, mit Pickelhaube als Dienst“mütze“, bemüht sich um die Rege lung des „brodelnden“ Straßenverkehrs am Hauptbahnhof. Der Autoverkehr wurde seinerzeit an solchen Stellen durchaus als „Notzustand“ und „Katastrophe“ empfun den. Städte waren damals noch weniger als heute für den massenhaften Autover kehr gemacht – Mobilität fand effektiv vor allem per Straßenbahn statt
bürgermeister nach dessen Amtszeit mit einem gewissen Respekt behandelt. Lautenschlager be hielt sogar noch das Ehrenamt des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der SSB. Obwohl Strölin ganz sicher kein „guter Nazi“ war, hatte er gegenüber vielen seiner Amtskollegen, die mit der „nationalen Revolution“ Bürgermeister oder Oberbürgermeister wurden, einen Vorzug: Er war schon vor 1933 in der Stuttgarter Stadt verwaltung tätig und hatte als studierter Rechtsund Staatswissenschaftler auch eine einschlägig qualifizierte Berufsausbildung. Was die Einwohnerzahlen angeht, so zeigt die nachfolgende Übersicht über einige wenige Jahre, dass die Bevölkerung Stuttgarts auch in den 1930er Jahren kontinuierlich und recht Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
massiv zunahm. Die Gegenüberstellung von Einwohnerzahl und Gemarkungsgröße zeigt jedoch auch, dass ein großer Teil des Zuwachses durch Eingemeindungen erreicht wurde, einige davon schon vor 1933. In den ersten Jahren nach der nationalsozialistischen Regierungs übernahme wurden schon 1933 Feuerbach, Mühlhausen und Zazenhausen mit zusammen 25.700 Einwohnern eingemeindet. 1937 kamen 7.500 weitere „Neu-Stuttgarter“ aus Heumaden, Rohracker, Sillenbuch und Uhlbach hinzu. Allerdings war die Bevölkerungsentwicklung auch durch einen starken Geburtenüberschuss verursacht, vor allem in den letzten Jahren bis 1939. Dies wiederum hängt mit der zunehmend besseren wirtschaftlichen Situation und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit bis zur Vollbe schäftigung zusammen.
Einwohner im Jahresmittel Fläche
1929 1933 1938 1939
362.879 408.106 452.390 456.545
87,95 km² 135,23 km² 148,18 km² 148,18 km²
Zur Beschreibung der wirtschaftlichen Lage und Entwicklung Stuttgarts in den Jahren bis 1939 werden wiederum die Firmen Bosch und Daimler-Benz als Indikatoren herangezogen. Zunächst jedoch sollen einige Zahlen zur Arbeits losigkeit die Situation vor 1933 kurz beschreiben. Schon Anfang 1929, also noch vor der Welt wirtschaftskrise, gab es in Stuttgart etwa 10 000 Arbeitslose. Nach Einsetzen der Krise nahm die Zahl der Erwerbslosen massiv zu: 1930 waren 25
Links | Die Machthaber im „Dritten Reich“ legten Wert auf Pomp und Gehabe. Zwi schen den – provisorisch errichteten – „Triumphsäulen“ vor dem Bahnhofsplatz nimmt sich der SSB-Zug schon fast schüchtern aus. Die Plattform links ist einer der damals üblichen Aufstell- und Schutztürme für die Verkehrspolizisten. Verkehrsampeln gab es noch kaum Rechts | Eine Lehrtafel für den Schulun terricht, um 1935. Obwohl man rechts oben keinen Königsbau sieht, ist die Szene ansonsten offensichtlich stilistisch Stutt gart und dem Schlossplatz nachempfun den. Damals üblich waren die roten Tele fonzellen und die roten Omnibusse der Reichspost sowie der Verkehrspolizist in seiner weißen Uniform. Wie selbstver ständlich hat der Zeichner wenigstens drei uniformierte Angehörige der Wehrmacht mit ins Bild platziert. Zu erkennen, zu wel chem Heeresteil diese Personen gehörten und zu welchem militärischem Ranggrad, war grundlegendes Schulwissen und wur de bevorzugt abgefragt
es im Jahresdurchschnitt 18 812, 1931 bereits 31 087 und 1932 erreichte die Krise mit 37 594 Beschäftigungslosen ihren Höhepunkt. Im ersten Jahr der NSDAP-geführten Regierung, also 1933, sank die Zahl der Arbeitslosen in Stuttgart auf 31 594 Arbeitslose. Im Jahre 1934 war mit 10 718 Erwerbslosen etwa wieder das Vorkrisenniveau von 1929 erreicht, nur ein Jahr später sank die Erwerbslosenzahl in Stuttgart auf 4 767. Allein diese Zahlen machen ver ständlich, dass ein großer Teil der Bevölkerung und nicht nur die unmittelbar Betroffenen mit der nationalsozialistischen Politik weitgehend ein verstanden waren. Von der Hochkonjunktur der zweiten Hälfte der 1930er Jahre konnte auch Stuttgart besonders 26
profitieren, was sich nicht zuletzt im weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit zeigte. Dement sprechend hoch war die Zahl der Beschäftigten in den Stuttgarter Betrieben. Für das Beispiel Daimler-Benz stellt sich dies so dar, dass deren Mitarbeiterzahl zwischen 1934 und 1939 von 22 600 auf 42 776 zunahm, sich also fast verdoppelte. Bei der Robert Bosch AG war die Entwicklung ähnlich, allerdings nicht ganz so spektakulär. Hier waren 1938 23233 Menschen beschäftigt, 1934 waren es lediglich 15 216 und im Krisenjahr 1930 nur 8 367 gewesen. Trotz dieser auf den ersten Blick durchaus positiven Entwicklungen zeigte sich auch zunehmend das hässliche Gesicht des Dritten Reichs. Besonders spektakulär und auffällig war dabei sicher die so genannte „Reichskristall
nacht“, heute meist als Reichspogromnacht bezeichnet, vom 9. auf den 10. November 1938 als Einzelereignis. Insgesamt nahm die Zahl der Konzentrationslager zu und ihre Nutzung ver änderte sich. Waren sie anfangs noch als „Umerziehungslager“ gedacht und boten Aus sicht auf Entlassung nach dem Ende der Haft, wandelten sie sich bis zum Kriegsende zu Sam mel- und Vernichtungslagern von jüdischen, behinderten oder dem Regime unangenehmen Bürgern und schließlich zum Symbol der Nazi herrschaft schlechthin. Überschattet wurdeden die späten 1930er Jahre außerdem dadurch, dass seit der Sudetenkrise im Sommer 1938 die Zeichen mehr und mehr auf Krieg hindeuteten.
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Das Dritte Reich feiert Abgesehen von den politischen Ereignissen und Umwälzungen, die 1933 als solche durchaus nicht von allen so wahrgenommen wurden, war das Jahr vor allem von einem Fest geprägt: dem Deutschen Turnfest vom 21. bis 30. Juli 1933 in Stuttgart. Ähnlich wie drei Jahre später die Olympischen Spiele, wurde auch das Stuttgarter Sportereignis von den neuen Herren propagandistisch genutzt. Stuttgart zeigte sich den vielen Besuchern, um es mit dem Motto der Turnerbewegung zu sagen, „frisch, fromm, fröhlich, frei“ als guter Gastgeber im bunten Fahnenschmuck. Interessant ist zu sehen, um welche Fahnen es sich dabei handelte, die überall auf den Straßen zu sehen waren: Neben denen der Turnerschaft waren es die schwarzStuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
weiß-roten Fahnen des Kaiserreichs – in der Weimarer Republik waren die Reichsfarben Schwarz-Rot- Gold – und die Hakenkreuzfahne. Die erste, weitgehend friedliche Hälfte des „Tausendjährigen Reiches“ endete in Stuttgart, wie sie begonnen hatte: mit einem Fest. Im letzten Friedensjahr 1939 war Stuttgart Aus tragungsort der Reichsgartenschau. Dazu hatte man mit großem Aufwand den spektakulären Höhenpark Killesberg neu geschaffen. Wieder strömten unzählige Menschen in die „Stadt der Auslandsdeutschen“ und Stuttgart zeigte sich erneut von seinen schönsten Seiten.
Dennoch wurde die Veranstaltung vorzeitig abgebrochen, und zwar wegen des Beginns des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939. Nur zwei Jahre später dienten die Ausstellungshallen der Reichsgartenschau als Sammellager zur Deportation Württembergischer und Stuttgarter Juden.
Die am 22. April 1939 eröffnete Reichsgarten schau war ein riesiger Erfolg, nicht nur kommerziell, sondern auch propagandistisch. 27
Links | Ab 1935 verfügte die SSB auch über einen „mariti men“ Betriebszweig: den Bootsbetrieb im sommerlichen Ausflugsverkehr mit drei niedlichen Schiffchen zwischen Bad Cannstatt und dem Max-Eyth-See. Diese Aktivität war von städtischer Seite verordnet worden und schon wegen des vorgeschriebenen, bewusst niedrigen Fahrprei ses defizitär. Mit Kriegsbeginn wurden die Fahrten sofort eingestellt und durch die SSB nie wieder aufgenommen
Rechts | Zur „Reichsausstellung des Deutschen Garten baues“, die 1939 in Stuttgart stattfand, zeigte sich das „Dritte Reich“ nochmals und letztmals betont zivilistisch
Die SSB im Dritten Reich
blieb ein Trümmerfeld, in materieller und in moralischer Hinsicht.
Der Zweite Weltkrieg hatte in mehrerlei Hin sicht sehr viel größere Auswirkungen auf die Straßenbahnbetriebe als der Erste Weltkrieg, das gilt auch für die SSB.
Personelle und organisatorische Gleich schaltung
Die normalen Aufgaben, vor allem die Beför derung von Personen, wurden zunehmend überlagert von den Bedingungen des Krieges, aber auch von Vorgaben und Anforderungen der seit 1933 regierenden Nazis. Diese Einflüsse auf das Verkehrsunternehmen SSB waren schon deutlich vor Beginn des Krieges spürbar und sichtbar. Während des Krieges spiegelte sich dessen Fanatisierung und Zuspitzung auch im vom Kampfgeschehen weit entfernten Stuttgart und seiner Straßenbahn. Am Ende des Krieges
Die unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einsetzende Durchdringung aller Lebensbereiche durch die NSDAP im gesamten Reich, die so genannte Gleichschal tung, machte auch vor der SSB als städtischem Unternehmen nicht halt. Schon 1933 wurden zahlreiche Mitarbeiter entlassen und Führungs positionen mit „politisch zuverlässigen“ Personen besetzt. Das prominenteste Beispiel war der Technische Vorstand der SSB, Dr.-Ing. e.h. Paul Loercher, der seit 1906 im Amt war
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und seinen Posten aufgeben musste. Allerdings kamen wie beim Stuttgarter Oberbürgermeister auch beim SSB-Vorstand keine unternehmens fremden „Parteibonzen“ ins Amt. Die ab 1933 amtierenden Vorstände Ling und Dr. Schiller waren schon seit 1925 und seit 1927 im SSBVorstand. Besonders schwer hatten es die SSBler, deren politische Aktivitäten den neuen Machthabern ein Dorn im Auge waren, also Mitglieder der Gewerkschaften, der SPD und besonders der KPD. Nach einem Aufsichtsratsprotokoll der SSB vom Oktober 1933 wurden 77 Mitarbeiter ent lassen, von denen 66 eine „Zugehörigkeit zur KPD oder einer Ersatzorganisation“ hatten. Die Entlassung der verbleibenden elf Mitarbeiter wurde mit deren „nationale[r] Unzuverlässigkeit“
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begründet. Darüber hinaus sprach die SSB 287 Verwarnungen aus. Zug um Zug wurde die SSB nach dem nationalsozialistischen Führerprinzip umgebaut, bei dem der Vorstand nun zum „Betriebsführer“ und die Mitarbeiter zur „Gefolg schaft“ wurden. An die Stelle der Gewerkschaften trat die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF), in der Unternehmer und Beschäftigte gleichermaßen organisiert waren. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die „Machtergreifung“ der Nazis im Kleinen ist das Waldheim. Das 1925 von den Straßenbahnern selbst geschaffene „Straßenbahnerwaldheim“ stand im Akazienwäldchen am Killesberg und musste der Reichsgartenschau weichen. Der Neubau entstand auf der Degerlocher Waldau, nannte sich nun „Gefolgschaftsheim der Stutt Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
garter Straßenbahnen AG“ und war im Eigentum der SSB. Selbstverständlich verfügte das neue Waldheim neben vielen anderen Ausstattungs elementen auch über eine Ehrenhalle mit Haken kreuzfahnen und Führerbüste.
Links | Nachmittägliche Stoßzeit auf dem Schlossplatz, um 1935. Es „herrscht“ eine der vielfältig üblichen Beflag gungen und Schmückungen, im Volksmund „Lametta“ genannt. Das Symbol auf dem Flaggenmast in Bildmitte, ein hölzernes Schiff mit geblähten Segeln, war das Zusatzlogo für Stuttgart als „Stadt der Auslandsdeut schen“. Die vielfältigen Aktivitäten deutscher Auswanderer auf der ganzen Erde sollten damit betont werden Rechts | Um am touristischen Vorzeigeeffekt Stuttgarts teilzuhaben, nicht zuletzt im Hinblick auf die Reichsgar tenschau 1939, „schnitzte“ sich die SSB 1938 aus einem 1913 (!) erbauten Motorwagen diesen Aussichtswagen. Den Impuls gab sicherlich der 1935 von der Reichsbahn in zwei Exemplaren in Dienst gestellte, so genannte „Gläser ne Zug“. Der eigens herausgebrachte Prospekt betont das Panorama Stuttgarts eingedenk des Nazi-Slogans „Groß stadt zwischen Wald und Reben“. Die glutrote Darstellung des Weinbergs erscheint wie ein Fanal: Der Sonderwagen endete 1944 im Feuersturm
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Links | Da für den „Gläsernen Stuttgarter“ ein Neubauwagen wegen der politischen Verhältnisse nicht in Frage kam, blieb nur der Umbau, der zu einem bemerkenswert modern wirkenden Fahrzeug führte. Mit Kriegsbeginn bekam das Vehikel neue Auf gaben: Anstatt Touristen waren nun leicht verwundete Soldaten, die zur Genesung nach Stuttgart kamen, die „Zielgruppe“. Solche Aktionen hatten doppelten Sinn: Nicht nur die Moral der kämpfenden Trup pe sollte gestärkt werden. „Zaungäste“ sollten auch mitbekommen, wie fürsor gend – nach außen hin – der Staat für die Einberufenen auftrat. Aufnahme vor der Moltke-Kaserne in der Schwabstraße Rechts | Von den kupfernen Feuerbüchsen der Dampfloks über Kirchenglocken bis zum Erbschmuck: Die Rüstung „fraß“ buchstäblich die Bunt- und Edelmetalle, sei es für Waffen, Munition oder techni sches Kriegsgerät. „Gold gab ich für Eisen“ lautete der dazu eingeführte Werbespruch. Auch die SSB musste allerlei Zubehör und Beschlagteile – wie Handgriffe und Schalt hebel - aus Kupfer und Messing abliefern. Oft wenig habhaftes Ersatzmaterial gab es aus Stahl und Eisen, teils mit Kunstharz ummantelt. Die Sonderausstellung 2014/15 zeigt einige solcher Tauschteile in beiden Versionen. Für die „guten“ Versio nen kam schnell das geflügelte Wort „Frie densware“ auf
Betriebliche Belange in den Vorkriegsjahren Was die eigentlichen betrieblichen Belange angeht, waren die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie geprägt von der Vergrößerung des Unternehmens im Jahr 1934. Dabei handelte es sich zum einen um die Übernahme der städti schen Filderbahn in das Eigentum der SSB, allerdings führte die SSB dort den Betrieb bereits seit 1920. Zum anderen musste die Städtische Straßenbahn Feuerbach (SSF) in die SSB einge gliedert werden, nachdem Feuerbach zum 20. April 1933 nach Stuttgart eingemeindet worden war.
gekauft hatte, wurden erst kurz vor dem Krieg, 1939, neue Fahrzeuge in größerer Stückzahl beschafft; hierbei handelte es sich um Wagen mit Stahlaufbauten, die so genannten Garten schauwagen. An Beiwagen wurden lediglich zwei Leichtstahl-Probewagen erworben. Die Zahnradbahn erhielt 1935 zwei neue Triebwagen. Einen deutlichen Modernisierungsschub erlebte der Busverkehr; dennoch gab es weder grund legende Erweiterungen noch nennenswerte Erneuerungsbestrebungen, wie es vor dem Ersten Weltkrieg zu beobachten gewesen war.
In technischer Hinsicht tat sich in den 1930er Jahren wenig. Da die SSB erst 1926 bis 1929 große Fahrzeugserien für die Straßenbahn 30
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Unten | 1942/43 schuf Oberbaurat Hermann Waßer für seinen Enkel Hartmut Waßer diesen „Bodenläufer“, unver kennbar ein Zug der SSB. Während der vielen Stunden, die man bei Fliegeralarm im Keller verbrachte, musste man ja etwas tun ... Siebzig Jahre später stellte ihn der Beschenk te für die Sonderausstellung zur Verfügung Rechts | Ein Teil der kriegszeitlichen Produktpalette der SSB an Spielzeug für die Kinder der Mitarbeiter, fotogra fiert um 1940
Kinderspielzeug im Krieg Kinderspielzeug ist zu allen Zeiten und in allen Kulturen ein wichtiger Indikator für das Alltagsleben der Menschen, dies gilt auch in diesem Fall. Um den durch die Kriegswirtschaft verursachten Mangel an fabrikmäßig hergestellten Spielwaren wenigstens zum Teil auszugleichen, produzierte man bei der SSB diese Artikel für die Kinder „Gefolgschaftsmitglieder“. Wer über solche Quellen nicht verfügte, musste im Zweifelsfall selbst handwerklich tätig werden, wie die Modelle in der Vitrine veranschaulichen. Dass dabei wahre Kunstweke entstanden, die in ihrer Ausführung zum Teil die Qualität der Fabrikware übertrafen, darf nicht über die Not Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
hinwegtäuschen, aus der heraus sie geboren wurden. Betrachtet man das relativ große Sortiment, das bei der SSB hergestellt und immer wieder in der Betriebszeitschrift „Über Berg und Tal“ gezeigt wurde, fällt dessen Vielfalt auf: Neben den zur erwartenden Holzstraßenbahnen als Bodenläufer, also ohne Gleise, gibt es dort auch „Klassiker“. Hierzu gehören Tierfiguren, Holzhäuschen und Puppenwiegen. Zeittypisch werden jedoch auch Kampfflugzeuge und Panzer angeboten, an denen unübersehbar das Balkenkreuz als deutsches Hoheitszeichen zu sehen ist.
Elastolin wird der Krieg damit zum (Kinder-) Spiel. Tägliche Lebenserfahrung und gesell schaftlich gewünschte Prägung wirken hier Hand in Hand.
Zusammen mit den vielleicht noch aus Frie denszeiten vorhandenen Soldatenfiguren von 31
Links | Zwei Monate nach dem schweren Angriff von Ende Oktober 1944, der die grün markierten Netzteile außer Betrieb setzte, fuhr die SSB wieder auf rund 70 Prozent ihres Netzumfanges. Diese Übersicht wurde täglich aktua lisiert. Auf dem grün gepunkteten Abschnitt am Nordrand von Gaisburg zog tatsächlich ein Traktor die Straßenbahn anhänger. Durch den Schwabtunnel fuhr zu dieser Zeit längst keine Straßenbahn mehr: Seine Portale waren ver mauert, er diente als Luftschutzraum Rechts | Der Busbetrieb der SSB war von den Kriegsfolgen besonders betroffen: Einen Gutteil der Fahrzeuge griff sich die Wehrmacht – Offiziere reisten gerne auf Polster sitzen an die Front. Ersatzkraftstoffe zwangen zu aufwän digen Umbauten der Technik. Der tatsächliche Mangel an Treibstoff und Reifen brachte den Kraftfahrzeugverkehr schließlich fast zum Erliegen. Die Buslinie N Stuttgart – Degerloch – Nürtingen hielt als eine der ganz wenigen bis zum Schluss durch, allerdings mit minimalem Angebot an Fahrten
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Ein besonderer Fall Die Omnibusse der SSB
handelte, die einen mittlerweile völlig unwirt schaftlichen Vergasermotor besaßen.
Der seit 1926 bestehende Omnibusbetrieb der SSB war vom Zweiten Weltkrieg ebenfalls spürbar betroffen.
Der Fahrzeugpark aus 39 Omnibussen und drei Omnibusanhängern bestand also 1939 überwie gend aus neuen modernen Wagen.
Dabei hatte dieser Betriebsteil gerade in den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise einen starken Aufschwung erfahren: Zwischen 1934 und 1940 wurden 34 neue Fahrzeuge beschafft, überwiegend von Daimler-Benz, aber auch von Büssing und Magirus. Zwei dieser neuen Omnibusse stammen sogar noch aus dem Kriegsjahr 1940. Die aus den ersten Jahren des Betriebs stammenden Fahrzeuge der Baujahre 1926 bis 1938 wurden überwiegend abgestellt, nicht zuletzt weil es sich dabei um Fahrzeuge Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Busse an die Front Speziell diese Fahrzeuge waren jedoch auch für militärische Verwendungszwecke bestens geeignet, was natürlich nicht nur für die Omnibusse der SSB zutraf. Die Teilstreitkräfte der Deutschen Wehrmacht setzten Omnibusse z. B. bei Gefechtständen größerer Militärverbände, in Fernmeldeeinheiten oder als Sanitätsfahr zeuge ein. Wie bei den eingezogenen zivilen
Lkw und Pkw war die Wehrmacht auch bei den Omnibussen durchaus wählerisch: Gefragt waren vor allem moderne, möglichst neue Fahrzeuge. Dementsprechend ware die neueste Fahrzeuggeneration besonders von Kriegsver lusten betroffen. Betrachtet man die Omnibus bestände der SSB nach den einzelnen Fahrzeug typen, zeigt sich jedoch eine nicht unerhebliche Abweichung von dieser Grundregel: Fünf der gleich zu Beginn des Krieges an die Wehrmacht abgegebenen sieben Omnibusse waren schon 1928 und 1929 gebaut worden. Ungeachtet ihres Alters von rund zehn Jahren, hatten diese Fahrzeuge aber immerhin schon Dieselmotoren von Maybach. Mit einer Leistung von 100 PS gehörten die Wagen außerdem zu den gut motorisierten Omnibussen jener Zeit. 33
Links | Zur Reichsgartenschau 1939 gab die SSB einen ansprechenden Touristen prospekt heraus. Er bewarb auch die Aus flugsfahrten mit den Buslinien der SSB. Die Farbgebung der Busse war grün-weiß, nicht etwa gelb-schwarz. Damit wurde betont, dass die Buslinien ursprünglich kein rein städtischer Betrieb der Landeshaupt stadt waren, sondern von den umliegenden Kommunen und Kreisen mitgetragen wurden Rechts | Nur von 1940 bis zum Einzug durch die Wehrmacht 1943 besaß die SSB zwei dieser hoch modernen, stromlinien förmigen Pullman-Busse in der so genann ten Tram-Bus-Form. Dabei ragte der Motor nicht mehr in Gestalt einer „Schnauze“ nach vorne, sondern war (als hervorste hender Kasten) in den Fahrgastraum ein bezogen. Das sorgte für Lärm und Gerüche im Innenraum – aber es sah elegant aus ...
Auch das machte die Wagen für die Wehrmacht sicher attraktiv. Weitere Omnibusse der SSB wurden in den Folgejahren, vor allem 1943, von der Wehrmacht eingezogen. Insgesamt wurden 14 SSB-Busse im Krieg eingesetzt. Bei Kriegsende waren noch 18 Fahrzeuge vorhanden. Die Verluste von mehr als der Hälfte des Vorkriegsbestands entstanden in etwa gleicher Höhe durch Kampfhandlungen an den Fronten wie durch Zerstörungen im Luft krieg, also in Stutttgart. Während des Krieges war es immer schwieriger geworden, Kraftstoff für den zivilen Busverkehr zu bekommen. Daher stellte die SSB, wie viele Betriebe, einige Wagen auf Leuchtgas- und ab 1943 sogar auf Holzgas-Antrieb um. Neben 34
dem Kraftstoffmangel trug auch das Fehlen von Gummireifen zur Einschränkung des Omnibus betriebs und der Einstellung von Linien bei.
Der „normale“ Betrieb im Zweiten Weltkrieg Noch mehr als im gleichlautenden Beitrag für den Ersten Weltkrieg sind hier die An- und Ausführungszeichen bei „normal“ zur korrekten Bezeichnung unerlässlich. Dabei sind es nicht nur die äußeren, unmittelbar mit dem Krieg zusammenhängenden Aspekte gewesen, die für den SSB-Betrieb zwischen 1939 und 1945 bestimmend waren. Vielmehr spielten auch die inneren Verhältnisse der nationalsozialistischen Herrschaft eine Rolle, die Verfolgung von Men schen aus rassischen, religiösen und politischen Gründen. Aber auch das vielfältige System von Zwangsarbeit muss hier mit einbezogen werden.
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Links | Die verordnete Einsparung an Treibstoff für Straßenfahrzeuge sorgte für eine Neuauflage des Güterverkehrs auf Schienen der SSB. Sogar schlichtes Bau holz musste nun wegen weniger Kilometer Transportlänge extra auf Flachwagen umgeschlagen werden. Der zusätzliche Aufwand an sowieso schon knappem Per sonal, Fahrzeugen und Arbeitszeit spielte sozusagen keine Rolle. Wer es gewagt hät te, daran eine womöglich betriebswirt schaftlich fundierte Kritik zu äußern, hätte nicht mehr lange am zivilen Leben teilge nommen. Aufnahme am Stöckach, um 1940 Rechts | Tabelle zu Beförderungs- und Verkehrsleistungen der SSB während des Zweiten Weltkrieges
Verkehrsleistungen Trotz aller Lückenhaftigkeit ergeben die An gaben zu den Verkehrsleistungen der SSB ein recht gutes Bild von den betrieblichen Verhält nissen des Unternehmens im Zweiten Weltkrieg. Beim Verhältnis von beförderten Personen, gefahrenen Wagenkilometern, Fahrzeugbestand und Personalbestand sind die Ähnlichkeiten mit dem Ersten Weltkrieg offensichtlich. Dies gilt allerdings nur bis zum Jahr 1943, bis zu dieser Zeit nahm die Zahl der Fahrgäste ab dem ersten Kriegsjahr um fast 40 Prozent zu. Gleichzeitig sank die Zahl der Wagenkilo meter 1943 auf unter 90 Prozent des Wertes von 1939. Einen massiven Einbruch bis an die Grenze des Zusammenbruchs des Betriebs zei Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
gen die Zahlen für 1944. Dabei verschleiert der Stichtag 1. Januar beim Fahrzeugbestand die starken Kriegsverluste bei Trieb- und Beiwagen. Die Anzahl der unmittelbar nach Kriegsende erfassten einsatzfähigen Straßenbahnen zeigt, dass deren Schäden noch größer waren, als die unmittelbaren Verluste.
durch Ausbau von Sitzplätzen für eine höhere (Steh-) Platzkapazität hergerichtet.
Abgesehen von den in immer kürzeren Fol gen bei Luftangriffen zerstörten Bahnanlagen erklärt allein schon die Reduzierung des Fahr zeugparks die Restriktionen des Verkehrsange bots: Verschiedene Linien wurden ganz oder teilweise, vorübergehend oder dauerhaft ein gestellt. Darüber hinaus erfolgten weitere Ein schränkungen des „friedensmäßigen Betriebs“. Es wurden z. B. die Fahrplantakte von 7,5 Mi nuten auf 15 Minuten gestreckt und Fahrzeuge
Ein im Vergleich zum Ersten Weltkrieg interes santes Detail betrifft die Beschäftigtenzahl im letzten Kriegsjahr im Vergleich zum Jahr davor. Sie nimmt von 1944 zu 1945 weniger stark zu, als von 1917 zu 1918. Hierin zeigt sich, neben anderen Einflüssen, der Umstand, dass die deut schen Soldaten des Zweiten Weltkriegs auch nach Kriegsende in großer Zahl in Gefangen schaft blieben.
Beim Personalbestand kann trotz der Unvoll ständigkeit der Zahlen von einem in etwa stabilen Wert ausgegangen werden, allerdings nicht von gleichbleibenden Personen.
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Oben | Die drei Gütermotorwagen von 1916/18 – hier der Erstling Nummer 123 – taten auch im Zweiten Weltkrieg nochmals gute Dienste. Die beiden Exemplare von 1918 (Nummer 124/125) verbrannten 1944. Der Senior 123 leistete als Wagen 2011 auch viel später noch interne Ein sätze als gedeckter Bremssandwagen und verabschiedete sich erst 1969. Obwohl die SSB damals schon erste Muse umswagen aufbewahrte, hatte an einem solch rustikalen Vehikel wie dem 2011 offenbar noch niemand kulturhisto risches Interesse Unten | Fortschrittlich war der Bau einer Wendeschleife vor dem Eingang zur Gartenschau am Killesberg 1939, aber auch der Bau der „Gartenschauwagen“, von denen Wagen 721 sich links zeigt. Der Unterschied zum 15 Jahre älteren Wagen 411 ist offensichtlich. Jener entstand 1924 als Teil der ersten neuen Wagenserie der „städtischen“ SSB nach dem Ersten Weltkrieg
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Links und rechts | Abendlicher Spitzenver kehr auf dem Schlossplatz, 1940
Tarifwesen Während des Krieges blieben die Einnahmen der SSB im Straßenbahnbetrieb, bezogen auf den einzelnen Fahrgast, mit rund 20 Pfennigen relativ konstant. Die Einnahmen pro Wagen kilometer stiegen von rund 60 Pfennigen im Jahr 1939 auf etwa 1,20 Mark 1945. Dafür verantwortlich war die Abnahme der gefahrenen Wagenkilometer bei gleichzeitig steigenden Fahrgastzahlen. Entsprechend der Beförderungs zahlen stiegen auch die Gesamteinnahmen der SSB. Für die Tarife ist grundsätzlich festzustellen, dass sie zunächst auf ein Teilstreckennetz mit einer seit 1927 geltenden Teilstreckenlänge von jeweils 750 Meter aufbauten. Innerhalb dieses Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Rasters galten zu Kriegsbeginn neue Tarife für Einzelfahrscheine (siehe Tabelle rechts). Ab 29. September 1941 wurde das Tarifsystem vereinfacht und für weitere Strecken verbilligt (siehe Tabelle rechts unten). Nicht zuletzt um den Fahrscheinverkauf und dessen Kontrolle zu er leichtern, wurde ab 1. Januar 1943 ein Einheits tarif eingeführt. Damit wollte man dem immer schlechter ausgebildeten und unerfahreneren Per sonal, den oft schlechten Lichtverhältnissen und dem häufigen Fliegeralarm Rechnung tragen. Der Einheitstarif kostete 20 Pfennige und galt ohne Teilstrecken- und Umsteigebeschränkungen.
1939
bis bis bis bis bis
1941
bis 4 Teilstrecken bis 8 Teilstrecken bis 12 Teilstrecken mehr als 12 Teilstrecken
Der Einheitstarif wurde erst 1950 zugunsten des ursprünglichen Teilstreckensystems wieder aufgegeben. 37
4 Teilstrecken 8 Teilstrecken 12 Teilstrecken 16 Teilstrecken 20 Teilstrecken
Links | Die Metall“spenden“ für die Rüs tung – de facto eine durch vielfältigen Druck erzwungene Abgabe – wurden öffentlichkeitswirksam demonstriert. Keine Frage, dass staatliche oder kommunale Mitarbeiter wie Straßenbahner hierzu besonders beispielwürdig in Szene gesetzt wurden. Hier schleppt man offenbar den Bestand an Wanderpokalen der Straßen bahner-Sportgemeinschaft oder ähnliche Auszeichnungen aus dem Betriebshof Rechts | Auf dem halbseitig dreischienigen Abschnitt zwischen Degerloch und Möhringen bei Sonnenberg: Ein Garten schau-Triebwagen mit Verdunkelung kommt dem Betrachter entgegen
Wirtschaftliche Situation Betriebsmittel Bei den Betriebsmitteln, neben den Fahrzeugen war das die gesamte Infrastruktur einschließlich der Gebäude, spielte wie schon im Ersten Weltkrieg der Rohstoffmangel eine große Rolle. Betroffen waren auch hier praktisch alle Materialien von Stahl über Kupfer und Kautschuk bis hin zu jeder Art von Baustoffen wie z. B. Zement oder Glas. Der ab 1943 zunehmende Luftkrieg verschärfte die Probleme mit den Betriebsmitteln in mehrfacher Hinsicht. Zum einen waren die Fahrzeuge und Anlagen der SSB unmittelbar betroffen und wurden beschädigt oder vollständig zerstört. Zum anderen musste die SSB bei der Bereitstellung von Material zur Beseitigung der Schäden mit 38
anderen Betroffenen konkurrieren, z. B. der in Stuttgart besonders stark vertretenen kriegs wichtigen Industrie.
Auch insoweit war der Substanzverlust des Verkehrsunternehmens im Zweiten Weltkrieg wohl deutlich größer als im Ersten Weltkrieg.
Hinzu kam, dass die starke Zunahme von Bombenangriffen nur ein Teilaspekt des 1943 eingetretenen Wendepunkts im Zweiten Weltkrieg war. Mit der Niederlage der Sechsten Deutschen Armee in Stalingrad und der Landung der Westalliierten auf Sizilien geriet das Deutsche Reich endgültig in die Defensive. Die für neues Kriegsgerät und Munition, aber auch für Schutz- und Kampfbunker erforder lichen Ressourcen standen für zivile Einrich tungen, wie z. B. Straßenbahnen, einfach nicht mehr ohne weiteres zur Verfügung. Dieses reichsweite Phänomen galt natürlich auch für Stuttgart und damit auch für die SSB.
Eine unmittelbar aus den Anforderungen des Krieges entwickelte Rechtsnorm ist das „Gesetz über Sachleistungen für Reichsaufgaben“, kurz Reichsleistungsgesetz. Es wurde folgerichtigerweise am Tag des Kriegsbeginns erlassen, also am 1. September 1939. Das Reichsleistungsgesetzt galt auch für Straßenbahnfahrzeuge und sollte sicherstellen, dass der Betrieb trotz der Zerstö rungen des Luftkriegs aufrechterhalten werden konnte. Zwar hatte es schon in den ersten Kriegsjahren bis 1942 Verlegungen von Fahr zeugen nach Polen und in das Sudetenland gegeben. Einen deutlich größeren Umfang nahm die Umsetzung von Straßenbahnfahrzeugen
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Links | Auch die Filderbahn als Eisenbahn-Betriebszweig der SSB unterlag den Vorschrif ten zur Verdunkelung. Neben dem obligatorisch abgedunkelten Scheinwerfer erkennt man die dunkel übermalten seitlichen Fensterscheiben mit den schmalen „Sehschlitzen“ im oberen Drittel
jedoch ab 1943 mit den zunehmenden Bomben schäden ein. Die abgebenden Betriebe waren sowohl solche in den von der Wehrmacht be setzten Ländern, zu denen ab 1943 auch Italien zählte, als auch solche aus dem Reichsgebiet, einschließlich der ab 1938 annektierten Gebiete. Die SSB wurde bereits 1943 zur Abgabe von Fahrzeugen herangezogen, zunächst gelangten zehn Trieb- und fünf Beiwagen nach Essen und dann noch fünf Triebwagen nach Mannheim.
Rechts | Ebenfalls ein kurioses Produkt der Treibstoffeinsparung war der Klärschlamm transport zwischen Mühlhausen und dem Neckartal bei Obertürkheim. Auf der Verlade rampe in Mühlhausen waren Feldbahngleise bereitgelegt, was wohl auf die Absicht hin weist, zwischen dem städtischen Hauptklärwerk in Mühlhausen und der Verladeanlage bei der Endschleife Mühlhausen der SSB eine Gleisverbindung mittelst Feldbahn herzu stellen. Denn eine solche wurde im Klärwerk selbst bereits eingesetzt. Ob es noch zu die ser Verbindungsstrecke kam, ist nicht bekannt. Jedenfalls pendelte zwischen Klärwerk und dem Verladegleis der Straßenbahn ein Kessel-Lkw
noch Ende 1944 mit der Requirierung fast des gesamten Fuhrparks der niederländischen Großstädte, der so bezeichneten „Holland-Aktion“, einen Durchbruch. Doch selbst diese massive Aktion scheiterte unter den Bedingungen des vom Deutschen Reich heraufbeschworenen „totalen Kriegs“. Sobald die Umstände es zuließen, wurden die Fahrzeuge aus den kriegsbesetzten Ländern wieder zurückgebracht, soweit sie den Krieg überstanden hatten.
In den offiziellen Bestandslisten der SSB wurden jedoch die Fahrzeuge auch weiterhin geführt, obwohl sie tatsächlich dem Betrieb bis nach Kriegsende nicht mehr zur Verfügung standen. Je mehr der Luftkrieg an Heftigkeit zunahm, desto unwirksamer waren die Umsetzungen einzelner Fahrzeuge. Stattdessen versuchte man Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
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Typisch für die Zeit des Zweiten Weltkriegs – und überlebenswichtig – waren die fluo reszierenden, spricht selbstleuchtenden Warnanstriche an Bauwerken, vor allem in Gestalt der großen weißen Pfeile an Häuser wänden. Denn wie soll man sich in einer stockdunklen Stadt sonst orientieren? Oft mit dem Zusatz „LSR“ versehen, wiesen sie auf die nächstliegenden Luftschutzräume im Keller hin und zeigten den Helfern nach Bombenangriffen den Weg zu den Verschütteten. Hier wird gerade jeder zweite Randstein der Haltestelleninsel der SSB mit der Leuchtfarbe versehen, so dass sich ein auffälliges Muster ergibt. Alle Hilfsmittel konnten nicht verhindern, dass die Verdunkelung auch in der Heimat beträchtliche Opfer an Gesundheit und Menschenleben forderte: Viele Arbeitsunfälle passierten; etliche Passanten, Verkehrsteil nehmer oder Fahrgäste wurden zu spät erkannt, stiegen – besonders bei der Eisen bahn, die mit überlangen, verspäteten Zügen plötzlich irgendwo in der Dunkelheit hielt - zu früh, zu spät oder an falscher Stelle aus, sprangen in Eile und Verzweiflung ab oder auf, stolperten an ungünstiger Stelle oder glitten ab. Mancher kam so selbst in der eigenen vertrauten Umgebung buchstäblich unter die Räder
Fahrgäste unter Kriegsbedingungen In beiden Weltkriegen änderte sich ungeachtet des „normalen Betriebs“ die Zusammensetzung der Fahrgäste mit Kriegsbeginn sehr deutlich: Die Anzahl der jungen, wehrfähigen Männer nahm sichtbar ab, zumindest als Zivilisten, während umgekehrt auch im Hauptverkehr Frauen und ältere Männer dominierten. Natürlich trugen auch die vermehrt auftretenden Soldaten in Uniform zu einem veränderten Erscheinungs bild der Fahrgäste bei. Neben den eigenen, also den deutschen Soldaten, benutzten auch kriegs gefangene Soldaten die Straßenbahn auf dem Weg zwischen den Lagern und den Arbeitsplätzen. In beiden Kriegen wurden Kriegsgefangene für unterschiedliche Arbeiten eingesetzt.
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Ein Spezifikum des Zweiten Weltkriegs waren die diversen Formen von Zwangsarbeiterinnen und –arbeitern aus den von der Wehrmacht besetzten oder beherrschten Ländern. Einen konkreten Hinweis auf die Beförderung von Zwangsarbeitern gibt es z. B. in Form einer Anfrage der Stuttgarter Firma Hansa. Von dort wurde der Wunsch vorgetragen, die Haltestelle dichter an den Betrieb zu legen, um den ohnehin schlecht versorgten Menschen lange Wege von und zur Arbeitsstelle zu ersparen.
schließlich auch der Einsatz der Straßenbahn bei der Deportation jüdischer Deutscher. Aus dem Stadtgebiet, soweit es sich um jüdische Stuttgarter handelte, oder vom Hauptbahnhof aus, für die anderen jüdischen Württemberger, fuhr die SSB die Menschen zu den Sammellagern am Killesberg. Vom ehemaligen Reichsgarten schaugelände aus ging es dann weiter in die Konzentrations- und Vernichtungslager.
Noch schlechter ging es den während des Krieges ebenfalls zu den SSB-Fahrgästen zählenden KZHäftlingen. Sofern sie nicht in unmittelbarer Nähe der Betriebe untergebracht waren, wo sie arbeiten mussten, wurden auch sie mit der Straßenbahn befördert. Nicht zu vergessen ist Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
„Freizeitgestaltung“ in den 1940er Jahren: Der „Kartoffelzug“ von Seite 5 hat nun im Betriebshof Ostheim auf einem Nebengleis Stellung bezogen, dort stört er nicht den planmäßigen Linienverkehr. Gegen Lebens mittelkarten, die man per Schlange stehen erworben hat, folgt nun nach neuerlichem Anstehen – unter dem wachen Auge von Gesetz und Straßenbahnern - die Ausgabe des begehrten Grundnahrungsmittels. Das motorisierte Dreirad rechts, vom Typ Goliath, gehörte zur üblichen Erscheinung im Liefer verkehr auf der Straße
Besondere Verkehre Güterverkehre Wie bereits im Ersten Weltkrieg musste die SSB auch im Zweiten Weltkrieg Leistungen im Güter verkehr übernehmen, um damit kriegswichtige Ressourcen zu ersetzen. Nun ging es allerdings nur noch nachrangig um den Ersatz von Pferden, obwohl diese auch im Zweiten Weltkrieg eine große Rolle spielten. Viel wichtiger waren jedoch der Ersatz von Kraftfahrzeugen und die Einsparung von Kraftstoff und anderen kriegs wichtigen Rohstoffen wie Kautschuk. Ein aus führlicher Bericht in „Über Berg und Tal“ vom März 1942 vermittelt einen guten Eindruck vom Straßenbahngüterverkehr während des Zweiten Weltkriegs. Zum Zeitraum des Artikels gab es noch so gut wie keine Kriegszerstörungen in der Stadt. Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Durchaus zeittypisch ist der insgesamt sehr unaufgeregte, Normalität suggerierende, Grund ton des Artikels von Helmut Seeger, später Technischer Vorstand der SSB. Nur an einigen Stellen wird der Zusammenhang zwischen dem Güterverkehr bei der SSB mit den kriegsbedingten Restriktionen genannt. Konsequent wird daher auch zunächst der bereits vor 1939 bestehende Markt- und Postverkehr erwähnt. „Zu diesen längst bekannten und jetzt“, 1942, „nur besser ausgenützten Beförderungen traten inzwischen neue Aufgaben an die Güterstelle heran.“ Aufgeführt sind dann der Baustellen verkehr für Erdaushub und Baumaterial, dafür wurden mit altbrauchbarem Gleismaterial Lade einrichtungen gebaut. Desweiteren ist der beim Personal gewiss sehr „beliebte" Klärschlamm
transport von der Kläranlage Mühlhausen zur Verwendung in der Landwirtschaft und im Gemüsebau genannt. Kriegsbedingt wurden außerdem Zeitungen befördert sowie Sand für Luftschutzzwecke, wohl zum Löschen und für Sandsäcke, Lebensmittel für die Lazarette und „Kartoffeln für geschickt gelegene Verbraucher u. a. m.“. Hinzu kamen alle SSB-internen Transportleis tungen, z. B. Baumaterial und Betriebsmittel. „[…] für fremde Rechnung“ wurden 1942, wie es in „Über Berg und Tal“ heißt, „193 451 Kilometer gefahren und damit viel kriegswichtiger Betriebsstoff und Gummi eingespart“. Das Resümee des Artikels lautet: „So hat unsere Güterstelle heute eine erhöhte Bedeutung erlangt 41
Ein Marktzug wird von der Planie auf den Karlsplatz geschoben. Rechts das Alte Wai senhaus. Auch die Bäume tragen eine wei ße Warnmarkierung aus Kalkfarbe. Die Hausfrauen übernehmen das Abholen der gekauften Früchte in einer seit Jahrhun derten üblichen Transportweise: auf dem Kopf
und sie erfüllt im Rahmen unseres großen Betriebs, wenn auch am Rande unserer eigentlichen Aufgaben, doch kriegswichtige und notwendige Arbeit zum Nutzen der Einwohner Groß-Stutt garts, die ja auch unsere Fahrgäste sind.“
Verwundetentransport besonderer Art Worauf man im Zweiten Weltkrieg verzichtete, war die Verwendung der Straßenbahn für den innerstädtischen Verwundetentransport vom Hauptbahnhof in die Lazarette. Dennoch beför derte die SSB während des Krieges verwundete Soldaten der Deutschen Wehrmacht. Hinter diesem vermeintlichen Widerspruch verbirgt sich der Einsatz des für die Reichsgartenschau 1939 gebauten oder umgebauten „Gläsernen 42
Triebwagens“ für genesende Verwundete. In unzähligen Bildern festgehalten sollte mit diesen „Fahrten ins Blaue“ ein Stück normale Idylle mitten im Krieg suggeriert werden. Auffällig ist hier der Unterschied zwischen den beiden Kriegen, vor allem aber das propagandistische Geschick der Nazis: In Straßenbahnwagen öffentlich sichtbare Verwundete des Ersten Welt kriegs waren in erster Linie Jammergestalten, deren Anblick die Zivilbevölkerung Stuttgarts erschütterte. Im Zweiten Weltkrieg handelte es sich allem Anschein nach um Männer, die sich bis zur Ausheilung ihrer Verwundung ein paar schöne Tage in Stuttgart gönnten, um anschließend erneut in den Krieg zu ziehen. An dieser Diskrepanz in der grundsätzlichen Wahrnehmung ändert auch der Umstand nichts, dass es schon im Ersten Weltkrieg solche
Ausflugsfahrten für Verwundete gab, allerdings eben bei weitem weniger plakativ als im Zweiten Weltkrieg. Diese Inszenierung einer heilen Welt wurde durch die ab 1943 immer stärker werdenden und in ihren Folgen unübersehbaren Luftan griffe immer unglaubwürdiger. Insofern war es folgerichtig, dass die Fahrten mit dem „Gläsernen“ 1944 endeten – weil das Fahrzeug selbst durch Bombentreffer vollständig zerstört wurde.
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Mit dem Verkauf des so genannten Abtrittdüngers – im Klartext: der mensch lichen Exkremente, die über die Abfluss kanäle der Landeshauptstadt anfielen – machten Stadtverwaltung und Eisenbahn schon zu Königs Zeiten aus einer Notwendig keit ein gutes Geschäft. Die anrüchige Fracht wurde bis weit ins Remstal, ins Gäu oder den Nordschwarzwald verschickt, wo die Bauern froh um den zusätzlichen, preisgünstigen (und damals „gesunden“) Naturdünger waren. Mit der Professiona lisierung der Abwasseraufbereitung ab den 1930er Jahren fiel die Gülle nun im Haupt klärwerk Mühlhausen in komprimierter Form an. Für den Transport Richtung Obertürkheim dienten die nicht der SSB, sondern der Stadt gehörenden beiden vormaligen Wasser sprengwagen 2127/2128, beide 1923/1925 von Schörling in Hannover erbaut. Mit dem Übergang von gewalzten Kiesstraßen zur Asphaltdecke war das sommerliche Bespritzen der Straßen im Stadtbereich mit Wasser – um den lästigen Staub zu binden – nicht mehr nötig, so dass diese Fahrzeuge neue Aufgaben erhalten konnten. Die kleine Bilderserie von schlechter Qualität zeigt um 1940 das „Springenlassen“ der Jauche in einen kleinen „See“ im Neckartal. Von dort konnten Kleingärtner die einge trocknete Masse vermutlich kostenlos übernehmen und ihrerseits eimerweise auf ihr „Gütle“ tragen. Ob die Aufnahme rechts unten, an der vergleichbaren Stelle aufgenommen, den Transport trockenen Klärschlamms zeigt oder eine andere Ver sandaufgabe, ist nicht angegeben. Wie auch immer: In jedem Fall leistete die Straßenbahn die unentbehrliche Hilfe bei der Fortbewegung
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Ein weiterer interkommunaler Massen transport, der selbstverständlich und zwangsläufig der SSB übertragen wurde, war das Wegführen des Aushubs für den Wagenburgtunnel. An sich als neue Achse für den Straßenverkehr geplant, begann dessen Bau 1940 schließlich deshalb, weil man die entstehende Röhre sehr gut als geräumigen Luftschutzraum für die Bevöl kerung vor allem des Stuttgarter Ostens brauchen konnte. Fertiggestellt und für den Autoverkehr nutzbar gemacht wurde der Tunnel deshalb erst etliche Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Grubenbahn befördert das Erdreich aus dem Stollen, um es von einer Sturzrampe in die Kasten kippwagen der SSB zu leeren. Mit den Fahrzeugen begegnen wir sozusagen alten Bekannten: Motorwagen 2013 ist der drit te der schon auf Seite 36 vorgestellten Gütertriebwagen von 1916/18, der hier nun gut zwanzig Jahre später als Schlepp fahrzeug auftritt. Auch die Kastenkipper, namentlich Wagen 2073, gehören zu der schon 1916 beschafften Serie. Auch dieses Schüttgut rollte gegen Obertürkheim, wo man die Auen und Altarme des begradig ten Neckars verfüllte und das Bodenniveau höherlegte, im Hinblick auf den geplanten Neckarhafen und seine Nutzflächen
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Links | Am 5. Mai 1942 erfolgte einer der ersten Bombenangriffe auf Stuttgart, speziell auf den Nordwestteil der Stadt. Die ober flächlichen Schäden auf die Anlagen der SSB – hier einige zerdrückte Fensterscheiben am Betriebshof – wurden noch pflichtgemäß und penibel fotografisch festgehalten, sogar mit der Uhrzeit Rechts | 2. November 1942: Bomben haben Bahnhof und Betriebshof Möhringen schwer getroffen. Eine Kommission der SSB besieht die Lage
Stuttgart im Bombenkrieg Feuersturm und Trümmerwüsten Bereits während des Ersten Weltkriegs hatte es Luftangriffe auf Städte gegeben, die bekanntesten Fälle waren die Bombardierungen Londons durch deutsche Zeppeline. Im Gegenzug war z. B. auch Karlsruhe von britischen Flugzeugen bombardiert worden. Die Geschichte des flächenhaften Luftkriegs begann im spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939 mit der Zerstörung der Stadt Guernica im spanischen Baskenland. Hier erprobte die zur Unterstützung Francos entsandte deutsche Legion Condor die Wirkung moderner Kampf flugzeuge. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs war es dann auch die deutsche Luftwaffe, die Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Bomberflugzeuge zur Zerstörung von Städten einsetzte. Mit diesen Angriffen z. B. auf Warschau, Rotterdam, Coventry und London begann eine völlig neue Dimension des Krieges, in dem die Grenzen zwischen Front und Heimat ver schwammen. Bei der flächenhaften Bombardierung frontferner Gebiete durch relativ große, speziell dafür eingerichtete Flugzeuge ging es nicht nur um strategische bzw. militärische Ziele. Neben der Zerstörung von z. B. Bahnanlagen, Fabriken oder Militärdepots spielte auch die Demoralisie rung der Zivilbevölkerung eine wichtige Rolle. Insbesondere der britische Luftwaffengeneral Harris, genannt Bomber-Harris, war aus diesem Grund ein konsequenter Verfechter von Flächen bombardements gegen deutsche Städte.
Im Luftkrieg gegen das Deutsche Reich teilten sich die britische Royal Airforce (RAF) und die US-Airforce (USAF) ihre Aufgabenbereiche: Die RAF griff nachts in erster Linie zivile Ziele an, um den Widerstand der Bevölkerung zu brechen, was ihr aber ebenso wenig wie zuvor der Deutschen Luftwaffe bei den Briten gelang. Demgegenüber flog die USAF mit ihren Bom bern die Tagesangriffe, die sich vor allem gegen kriegswichtige Ziele richteten. Die Luftangriffe auf Stuttgart begannen im Herbst 1940, forderten aber nur einige wenige Tote und Verwundete, dies galt auch noch für die Angriffe vom Mai und August 1942. Wirklich ernst wurde der Luftkrieg für die Stuttgarter Bevölkerung ab dem 22. November 1942, als erstmals rund 200 britische Bomber die Vororte 45
Links | Die Schäden an der Wagenhalle Möhringen (November 1942) mochten auf die Betroffenen heftig wirken. Aus späterer Sicht handelte es sich um eine eher geringfügige Beeinträchtigung, die mit überschaubarem Aufwand zu beseitigen war Rechts | Dem Angriff vom 5. Mai 1942 auf Zuffenhausen fielen in der Adestraße punktuell einige Wohngebäude völlig zum Opfer, während die Umgebung (bis hin zu Betriebshof und Wohnhäusern der SSB) lediglich mit eingedrückten Fenstern und verschobenen Dachziegeln fertigzuwerden hatte: gelinde Vorboten der Katastrophe, die das Stadtgebiet vor allem im Zentrum noch treffen würde
Vaihingen, Rohr und Möhringen sowie den Hauptbahnhof angriffen. Ab März 1943 wurde die Stadt mehr oder weniger regelmäßig zum Ziel britischer und amerikanischer Bomber, die systematisch Industrieanlagen, Verkehrswege und Wohngebiete bei Tag und Nacht zerstörten. Dabei kamen regelmäßig hunderte von alliierten Kampfflugzeugen zum Einsatz, denen die deut sche Luftabwehr immer weniger entgegenzusetzen hatte. In zwei Nachtangriffen am 2. sowie in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1944 wurde die Innenstadt besonders schwer getroffen. Mehr als 200 Menschen verloren dabei ihr Leben, über 700 wurden verwundet, Tausende verloren ihre Wohnung sowie ihr Hab und Gut. Der Angriff vom 15./16. März 1944 war zugleich derjenige, 46
mit den meisten feindlichen Flugzeugen, näm lich 863. Insgesamt sechs Tag- und Nachtangriffe gab es zwischen dem 16. und dem 29. Juli 1944 mit fast 900 Toten und knapp 2000 Verwundeten. Zu dieser Zeit hatten die Alliierten bereits ihre Invasion in der Normandie erfolgreich abgeschlossen und konnten ihre Flugzeuge von Frankreich aus gegen das Reichsgebiet einsetzen. Hinzu kam, dass die deutsche Luftwaffe längst nur noch über schwache Kräfte verfügte, ins besondere wegen des Mangels an ausreichend ausgebildeten Piloten. Wenige Wochen später, am 5. und am 10. September 1944, gab es Tagangriffe auf einige Stadtbezirke mit hohem Industrieanteil.
Der größte Luftschlag gegen die Innenstadt und den dicht besiedelten Stuttgarter Westen erfolgte kurz darauf in der Nacht des 12. September 1944. Obwohl nur etwas mehr als 200 Bomber beteiligt waren, war die Zerstörungswirkung verheerend, die Zahl der Opfer mit fast 1 000 Toten und 1 600 Verwundeten immens. Die letzten großen Angriffe auf Stuttgart erfolgten in zwei Wellen an einem Tag, dem 28. Januar 1945, hierbei starben 119 Menschen, 78 wurden verwundet. Nur zwei Tage vor der kampflosen Übergabe Stuttgarts an die franzö sischen Truppen, am 21. April, gab es noch einen nächtlichen Angriff mit einem Toten und sieben Verwundeten.
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Links | Gablenberg am 25. August 1940: Offenbar traf dieses Bombardement auch die Wohnhäuser von Straßenbahnern, weil sich eine Bilderserie im Archiv der SSB befindet. Noch war die Wirkung der Angriffe äußerst punktuell und von eher zufälliger Art Rechts | Eine hohle Ruine blieb von der Hauptverwaltung der SSB in der Friedrich straße 53. „Trotz aller Bemühungen in der Nacht der Zerstörung gelang es nicht einmal, die in den unterirdischen Tresors eingela gerten Akten und Requisiten zu erhalten, sie verkohlten zur völligen Unbrauchbarkeit“, notierte Alt-SSB-Chef Paul Loercher 1963. Die Verwaltung zog in die Büroräume des Betriebshofs Marienplatz und diverse Außenstellen. Erst ab Mitte der 1970er Jahre konnten wieder fast alle Dienststellen im damals neuen SSB-Zentrum in Möhringen zusammengefasst werden
Die zahlenmäßige Bilanz von rund viereinhalb Jahren Luftkrieg stellte sich für die „Stadt der Auslandsdeutschen Stuttgart“ folgendermaßen dar: Als Folge von insgesamt 53 Angriffen bei Tag und bei Nacht starben 4 562 Menschen, von denen 770 Ausländer und davon wiederum die meisten Zwangsarbeiter waren. 8908 Men schen wurden verwundet, 85 blieben dauerhaft vermisst. 39125 Gebäude, das entspricht einem Anteil von 57,5 Prozent der Gesamtzahl, wurden zerstört oder schwer beschädigt, in der Innen stadt betrug der Zerstörungsgrad 68 Prozent der vorher bestehenden Bausubstanz. Der Luftkrieg und die damit verbundenen Zerstörungen hatten auch Einfluss auf die Einwohnerzahl Stuttgarts, weil immer mehr Menschen Stuttgart verließen, z. B. nach dem Verlust der Wohnung durch Bombentreffer. Dementsprechend sank Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
die Zahl der Bevölkerung von rund 498 000 am 1. April 1942 auf etwa 266 000 am 30. April 1945. Für einen Straßenbahnbetrieb wie die SSB hatte der Luftkrieg eine Reihe von Folgen unter schiedlicher Art. Zunächst einmal war durch die Flächenbombardements nahezu zwangsläufig auch die Infrastruktur der Straßenbahn betroffen. Es wurden z. B. Gleise, Oberleitungen und Betriebsgebäude in den jeweils angegriffenen Teilen der Stadt beschädigt oder zerstört. Sofern z. B. die Gleisanlagen nicht direkt getroffen wurden, genügten unter Umständen auch schon die Trümmer zerstörter Anliegergebäude, um den Betrieb zeitweilig zu unterbrechen.
Es ist unter diesen Umständen fast schon er staunlich, dass der Straßenbahnbetrieb dennoch bis zum Kriegsende aufrechterhalten werden konnte, wenn auch eingeschränkt. Erst die Sprengung nahezu aller Neckarbrücken durch deutsche Pioniere in den letzten Tagen vor der Kapitulation führte zu einer nachhaltigen und länger andauernden Beeinträchtigung des Straßenbahnverkehrs. Was die Betriebsmittel angeht, waren die Angriffe vom 25. bis zum 29. Juli 1944 für die SSB besonders schlimm. Hierbei wurden nicht nur die Betriebshöfe Vogelsang, Feuerbach und Ostheim vollständig zerstört, sondern auch die ebenfalls in Ostheim gelegene Hauptwerkstatt. Und natürlich waren auch die Gleisanlagen massiv betroffen. 47
Links und rechts | Die Schäden am SSBDienstwohngebäude in Zuffenhausen, in der Nacht zum 5. Mai 1942 entstanden, waren ärgerlich, aber überschaubar. Auch die Rückfront der Wagenhalle Zuffenhau sen (rechts) verschaffte den Glasereien Arbeit
Abgesehen von den Opfern an Menschenleben, die auch bei den SSB-Angehörigen zu beklagen waren, traf dieser Angriff die Substanz der SSB, nicht zuletzt, weil rund ein Viertel des SSB-Fahrzeugbestandes zerstört wurde: 78 Triebwagen und 101 Beiwagen wurden in den Depots und in der Hauptwerkstatt mit einem Schlag zerstört. Am 10. August 1944 schilderte Oberbürgermeister Strölin vor seinen Ratsherren die Situation mit folgenden Worten: „Nach den neuesten Meldungen der Stuttgarter Straßenbahnen beträgt ihre Verkehrsleistung mit rund 21 500 Wagen kilometern etwa 32 Prozent der fahrplanmäßigen Leistung. Befahren werden außerdem ungefähr 45 Prozent des Stuttgarter Bahnnetzes und außerdem der größte Teil der Filderbahn.“ 48
Ganz sicher ohne eine Vorstellung von den tat sächlichen Dimensionen eines modernen Luft kriegs zu haben, entwickelte die SSB Dienst anweisungen zum Verhalten bei Fliegeralarm. Dazu gab es schon vor und zu Kriegsbeginn mehrere Bekanntmachungen, deren Inhalt von der Betriebsabteilung in „Über Berg und Tal“ vom Mai 1940 zusammengefasst wurden. Dabei sei ein kleiner Auszug zitiert, dessen Inhalt man sich vor dem Hintergrund der Großangriffe der Jahre 1943/44 vor Augen führen sollte. Dazu muss man noch wissen, dass den dort beschriebenen Handlungen bereits einige Arbeitsschritte vorausgehen mussten und bereits Fliegeralarm herrschte. Dabei betrug die Zeit zwischen Alarm und Angriff nur wenige Minuten:
„Die Schaffner lassen die Fahrgäste aussteigen und schließen ihren Wagen ab. Der Triebwagen führer muß außerdem den Stromabnehmer abziehen und festbinden. Daraufhin begibt sich das gesamte Fahrpersonal in den nächstgelegen Sammelschutzraum und bleibt dort, bis wieder entwarnt wird. Dabei ist darauf zu achten, daß das Personal der einzelnen Züge beisammenbleibt. […] Nach der Entwarnung (gleichbleibender Sirenen ton oder mündlich durch Melder) begibt sich das Fahrpersonal wieder zu seinen Wagen, und nimmt den Verkehr auf.“ Was hier als nüchterne Routine beschrieben wird, entpuppte sich wenige Jahre später ganz
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Links | Die bereits gezeigte Lage in Gab lenberg vom August 1940. Noch galten zu diesem frühen Zeitpunkt die nur vereinzel ten Schadenstellen als eine Art makabre Sehenswürdigkeit, deren „Reiz“ vor allem darin bestand, dass die Vorfälle außeror dentliche waren und den allermeisten Betrachtern die angenehme Genugtuung verschafften, nicht selbst betroffen zu sein. Dies änderte sich bald Rechts | Bereits 1937 – der Krieg kündigte sich schrittweise, aber unübersehbar an – fanden Übungen statt, um das richtige Verhalten bei „Luftgefahr“ einzustudieren. Auf der menschenleeren Planie stehen zwei verlassene Straßenbahnzüge mit vor schriftsmäßig abgezogenem Bügel; der eine Zug ist der Dienstanweisung entspre chend noch in die Haltestelle gefahren worden. Der frühe Zeitpunkt der Aufnah me ist daran erkennbar, dass die Fahrzeuge noch keine Verdunkelungsmaßnahmen zeigen Unten | Als betriebsführende Verwaltung für die Straßenbahn Esslingen und die Straßenbahn Esslingen – Nellingen – Den kendorf (END) war die SSB auch für die Organisation dieser Betriebe zuständig. Wegen des kriegsbedingt stark zunehmen den Verkehrs, auch zu den Rüstungsbetrie ben im Neckartal, musste die END noch 1942 einen weiteren Motorwagen beschaffen, der als Nummer 10 eingereiht wurde. Wegen der bekannten Zeitumstän de wurde keine fortschrittliche Neukon struktion bewilligt, sondern der „neue“ Wagen exakt nach den alten Plänen der Wagen von 1926 mit Holzaufbau beschafft, also ein Rückschritt um 15 Jah re. Auch auf diesem Fahrzeug versieht eine junge Schaffnerin ihren Dienst
sicher als sehr viel dramatischer. Neben der besonderen Verantwortung für ihre Fahrgäste und den Straßenbahnbetrieb war das SSBPersonal natürlich auch denselben Bedingungen ausgesetzt, wie alle anderen Menschen in der Stadt. Hier ist zunächst das beim Fahrpersonal besonders hohe Risiko zu nennen, bei einem Luftangriff zu sterben; immerhin 53 Straßen bahner kamen bei Luftangriffen ums Leben. Hinzu kam nahezu jeden Tag die Sorge um die Familie und die Wohnung. Dieser Alptraum endete für die Straßenbahner, wie für alle anderen noch in der völlig zer bombten Stadt ausharrenden Menschen am 21. April 1945, dem Kriegsende, zumindest für Stuttgart.
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Links | Gleich zwei Schaffnerinnen haben sich um 1916 vor diesem Einser postiert, der zwischen Cannstatt (das noch nicht das Prädikat „Bad“ trug) und „Karlsvor stadt“ pendelte, also Heslach. Weiter nach Süden führte die Strecke damals noch nicht. Bei aller Herabwirtschaftung des Wagenmaterials brachte der Erste Welt krieg für die SSB zumindest keine Zerstö rung und Totalschäden an den Fahrzeugen mit sich. Rechnet man die Güterfahrzeuge mit ein, nahm der Bestand der Wagen in der Kriegs- und Notzeit vor und nach Ende der Monarchie sogar zu Rechts | Im Zweiten Weltkrieg kam die SSB nicht umhin, auf breiter „Front“ Ruhe ständler des Unternehmens wieder um Mitarbeit zu bitten. Zwang wurde nicht ausgeübt, denn es waren nur wirklich taugliche Kräfte gefragt. Im April 1941 kümmert sich der „aktive Rentner“ Martin Hobuch um die Weichenpflege in einer interessanten Verladestelle mit wenigstens drei Anschluss- oder Nebengleisen
Straßenbahner im Krieg Frauen und Rentner als „Ersatzarbeitskräfte“ Neben den persönlichen Sorgen und Nöten gehört auch die Sicherstellung des Betriebs in den Zusammenhang mit den Straßenbahnern während der beiden Weltkriege. Abgesehen von einer allgemeinen Übersicht zur Personalsituation der SSB im Ersten und im Zweiten Weltkrieg soll dieser persönliche Aspekt durch drei reale Einzelschicksale fassbar gemacht werden. Mit der Einziehung von immer mehr wehrfähigen Männern ab August 1914 stellte sich trotz erheblicher Bemühungen zur Rationalisierung des Betriebs zunehmend die Frage nach der Deckung des Personalbedarfs.
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Als stille Reserve standen potenziell zwei Gruppen zur Verfügung: Zum einen waren dies die nicht mehr wehrfähigen Männer, also vor allem Rentner, die schon nicht mehr aktiv tätig waren oder Angehörige „rentennaher“ Jahrgänge, die ihre Lebensarbeitszeit verlängerten.
nicht anzutreffen und bei den damaligen Wertvorstellungen kaum vorstellbar. Dabei muss man sich bewusst machen, dass Frauen zu dieser Zeit z. B. kein aktives und passives Wahlrecht hatten; dieses erhielten sie erst 1919 durch die Weimarer Reichsverfassung.
Zum anderen waren dies Frauen, die den Vorteil boten, dass es hier keine Altersbeschränkung nach unten gab, weil Frauen – damals und noch viele Jahrzehnte lang – vollständig vom Militärdienst ausgeschlossen waren.
Entsprechend zurückhaltend war man seitens der Unternehmensleitung der SSB auch beim Einsatz von Frauen. Zunächst wurden sie ab Mai 1915 als Wagenreinigerinnen eingesetzt und in geringerer Zahl auch im Fahrdienst, allerdings nur als Schaffnerinnen. Erst mit der weiter steigenden Zahl eingezogener Straßen bahner gab es auch mehr Schaffnerinnen, Anfang 1916 waren es 214, mit steigender Tendenz. Die Tätigkeit als Fahrerin blieb ihnen bei der SSB, im Gegensatz zu manch anderen
Vor dem Ersten Weltkrieg waren bei der SSB nur einige wenige Frauen beschäftigt und zwar vor allem als Schreibkräfte oder Sekretärinnen. Innerhalb des eigentlichen Geschäftsbetriebs, gar im Fahrdienst, waren Frauen damals fast
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Ihren dienstwilligen Rentnern widmete die SSB 1940 eine ganze Fotoserie. Links zeigt sich „Schaffner Christian Würth II“ (es gab also bereits einen Namensvetter bei der SSB) im vollen Einsatz ab dem „Bahnhof Platz der SA“, also dem Betriebshof Mari enplatz. In der Mitte ist Wagnermeister Karl Beckbissinger mit 70 Jahren an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt (ein Wagner – ein heute ausgestorbener Beruf, ein Zweig des Schreinerhandwerks – baut Wagen, nämlich solche aus Holz, ob für Straßen oder Schienen). Rechts ist Oberkontrolleur Hasenforther, über 65 Jahre alt, zum – wie es wörtlich heißt – „Kriegsdienst“ im fried lichen Stuttgart angetreten
Betrieben, fast verwehrt, hier griff man in der Personalnot lieber auf alte Männer zurück. Sehr häufig ersetzten Frauen buchstäblich ihre Männer, Brüder oder Väter. Dies war keines wegs Ausdruck eines besonderen Patriotismus, sondern ein Zwang, der aus der völlig unzurei chenden finanziellen Unterstützung der Soldaten familien folgte: Um die Existenz der Familie zu sichern, mussten die Frauen arbeiten und die Firmen, so auch die SSB, boten ihnen die Gelegenheit dazu. Während des Zweiten Weltkriegs war der Ein satz von Frauen, vor allem von verheirateten Frauen, auch aus ideologischen Gründen proble matisch, weil die NS-Entscheidungsträger auf diese Weise mit dem eigenen Frauenbild brachen: Bis dahin war, nach Auffassung der Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
NSDAP, der alleinige und natürliche Wirkungs kreis der „deutschen Frau“ Heim, Herd und Familie. Nun musste dieses unumstößliche Weltbild den Bedingungen des Krieges geopfert werden und Frauen sollten in vielen Bereichen „ihren Mann“ stehen, auch bei der Straßenbahn. Mit dem Fortschreiten des Krieges und der immer weitergehenden Einziehung des Fahr personals zum Dienst an der Waffe mussten zunehmend weibliche Arbeitskräfte eingesetzt werden. Zwar gab es hierunter auch „echte“ Schaffnerinnen, die, z. B. als Zulassungsvoraus setzung für einen Studienplatz, hier einer Arbeit im Sinne des „Dienstes am Volk“ nachgingen. Der größte Teil aber rekrutierte sich ab 1942 aus den Arbeitsmaiden, die während ihrer Dienstverpflichtung von in der Regel einem halben Jahr unter kasernenartigen Umständen
untergebracht wurden. Dazu wurde z. B. das erst 1938 eingeweihte „Gefolgschaftsheim“ auf der Waldau entsprechend umgebaut.
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Links | Der Elektromechaniker Adolf Schmitt, selbstverständlich ein Rentner, bei der höchst wichtigen Tätigkeit in der Ankerwicklerei für die Elektromotoren der SSB-Triebwagen Rechts | Schlosser August Rauser, auch er aus dem Kreis der über 65-jährigen, bei der Feilarbeit am Schraubstock. In dieser Zeit war der Techniker Helmut Seeger Betriebsleiter der SSB. Als über zwei Jahr zehnte später der Gemeinderat anregte, die SSB möge historische Wagen bewah ren, womöglich betriebsfähig erhalten und zu ihrer Betreuung allenfalls auf rüstige Rentner des Unternehmens zurückgreifen, resümierte Seeger, inzwischen technischer Vorstand der SSB, mit solchen Kräften sei en zur Kriegszeit „ganz schlechte Erfah rungen“ gemacht worden
Frauen und Rentner als „Ersatzarbeitskräfte“ Nicht zuletzt die relativ kurze Dienstzeit der Schaffnermaiden zwang zu einer Vereinfachung des komplizierten Teilstreckentarifs, um die Ausbildungszeit zu verkürzen. Nach einer ersten Vereinfachung des Teilstreckensystems ging die SSB schließlich zum Einheitstarif über: Nun kostete jede Fahrt gleich viel, unabhängig von der Länge der Strecke. Die Gesamtzahl der bei der SSB im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Frauen unterlag starken Schwankungen. Allerdings ist ein deutlicher Sprung zwischen den Jahren 1941 und 1942 erkennbar, wo die bisherige Anzahl von unter 300 auf knapp 400 und mehr Frauen zunahm. Im Zweiten Weltkrieg war die Akquise weiblichen 52
Personals wesentlich schwieriger als im Ersten; als Folge der großzügigen Unterstützung der Soldatenfamilien durch die nationalsozialistische Regierung fehlte schlicht die Notwendigkeit zur Arbeit. Die umfassenden Dienstverpflichtungen waren insofern eine konsequente Reaktion auf diese Randbedingung. Keinen Unterschied zur Situation 25 Jahre zuvor gab es bezüglich des Einsatzes älterer oder aus anderen Gründen nicht mehr militärdienstfähiger Männer. Diese wurden zum Teil aus dem Ruhestand heraus wieder zur SSB zurückgerufen oder sie verlän gerten ihre Dienstzeit über die Ruhestandsgrenze hinaus. In der Betriebszeitschrift „Über Berg und Tal“ wurden sie für ihren besonderen Einsatz regelmäßig gewürdigt. Anders als bei anderen Straßenbahnbetrieben gibt es bei der SSB keine Hinweise auf den Einsatz von Zwangsarbeitern,
Ostarbeitern, Kriegsgefangenen oder gar KZHäftlingen. Allerdings waren zu Beginn des Krieges einige Fremdarbeiter bei der SSB ein gesetzt, wenn auch nur für kurze Zeit. Diese Tatsache war sicher nicht moralischen Skrupeln geschuldet, sondern hatte seinen Grund darin, dass die in Stuttgart geballt vorhandene Rüstungs industrie oberste Priorität beim Zugriff auf solche Arbeitskräfte hatte. Schließlich sei noch ein Aspekt erwähnt, der für das gesamte SSB-Personal im Ersten Weltkrieg noch keine Rolle spielte: die unmittelbare und praktisch tägliche Lebensgefahr durch alliierte Luftangriffe. Allein in der Angriffskampagne von Ende Juli 1944 wurden sechs SSB-Angehörige durch Fliegerbomben getötet.
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Links oben | Rentner Friedrich Nussbaum, Oberschaffner, 1940 Rechts oben | Nochmals Alt-Wagnermeister Beckbissinger; aufschlussreich der Blick in die Wagnerei Unten | Der Geschäftsbericht der SSB für 1942 nennt für die Heidenklinge Heslach bei der dortigen Abstellanlage die Errichtung einer Wohnbaracke „für ausländische Arbeiter“ – die einzige Erwähnung eines solchen Perso nenkreises in den Annalen. In der Zeit des Wiederaufbaues und des Wirtschaftswunders war die SSB über diese Unterkunftsmöglichkeit weiterhin sehr froh. Im Juni 1954 rollt dieser Einser an dem bescheidenen Bauwerk vorbei. Seit 1969 erstreckt sich dort der SSB-Betriebshof Heslach
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Wohl fast jeder heutige Fahrgast der SSB kennt die halb unterirdische Haltestelle Waldau der Stadtbahn. Doch wer weiß noch, dass dort einst entlang des Georgii weges eine Straßenbahnstrecke entlang führte, die sich zwischen Ruhbank und einer Wendeschleife am Königsträßle in Sichtweite des Wasserturmes Degerloch erstreckte? Diese als Linie 9 oder Linie „Sp“ wie Degerloch/Spielplätze bezeichnete Verbindung diente schließlich nur noch dem innerdienstlichen Zubringerverkehr zum „Kameradschaftsheim“ Degerloch der SSB, dem neuen Straßenbahner-Waldheim von 1939. Denn dort waren die „Schaff nermaiden“ einquartiert, sprich die dienst verpflichteten oder freiwillig angeworbe nen Schaffnerinnen, die hier dienstfertig ausrücken
mich haben sie als Unterkunftsleiterin bei einer Firma beim Marienhospital eingesetzt. Während der Zeit habe ich versucht, an der Technischen Hochschule anzukommen. Erst hieß es überhaupt nein, als Frau war das außergewöhnlich, dann war ich ein paar Wochen an einem Institut als Angestellte, nicht als Studentin. Dann habe ich im Frühjahr 1943 doch die Zulassung gekriegt, mit der Verpflichtung zum Arbeiten.“ Wie sind Sie denn in den Schaffnerdienst bei der SSB gekommen?
Lebensläufe Schaffnerin Inge B. Eine Geschichte aus dem Krieg Wer im Zweiten Weltkrieg studieren wollte, musste nebenbei arbeiten. Die Architekturstudentin Inge B. erinnerte sich 60 Jahre nach Kriegsende in einem Gespräch an ihre Zeit bei der SSB. Frau B., sind Sie in Ihrer Kindheit oft mit der Straßenbahn gefahren? „In der Familie hatten wir keinen Straßenbahner. Doch wir sind fast jeden Sonntag an die Stelle gekommen, am Dürrbachtäle gewesen. Das war damals ein Naherholungsgebiet — früher konnte man noch die schönsten Ausflüge machen. Aber als Kinder sind wir viel gelaufen. Ein 54
Kinderfahrschein hat damals zehn Pfenning gekostet. Wenn wir nach Vaihingen ins Freibad wollten, oder sogar an den Stausee, sind wir manchmal von der Hohenheimer Straße gelaufen, wo wir zuerst gewohnt haben, damit wir das Zehnerle sparen. Dafür konnten wir uns dann ein Eis kaufen.“ Was haben Sie vor Ihrer Zeit bei der Straßenbahn gemacht? „Im Frühjahr 1942 habe ich Abitur am Katha rinenstift gemacht. Dann wurde ich zum Ar beitsdienst eingezogen. Sieben Monate war ich im Einsatz auf Bauernhöfen, da haben wir die volle Arbeit mitgemacht. Im zweiten Halbjahr hatte ich Einsatz in der Industrie. Das nannte man Kriegshilfsdienst. Ich hatte Riesenglück,
„Ich war drei Semester bei der SSB. Der Dienst war mit dem Studium gut zu vereinbaren. Die haben das natürlich gewusst, daher hatten wir oft die Abendschichten bekommen oder die ganz frühen. Während der Semesterferien war es dann voller Einsatz — wenn die Ablösung nicht kam, hat es sein können, dass man 14 Stunden am Tag auf dem Zug gestanden ist. Ich bin vom Depot Ostendplatz gefahren. Wenn ich da morgens um vier Uhr sein musste, bin ich jede Nacht die Haußmannstraße hoch gelaufen. Damals war ich gut zu Fuß. Vier Wochen lang hatte ich beispielsweise eine Tour zum Westbahnhof in der Frühe. Daran kann ich mich noch gut erinnern: Ein Wagen war Raucher. Und der Fahrer hat jeden Tag seine Pfefferminz-Pfeife geraucht.“ Haben Sie sich von den Betriebskollegen und Fahrgästen respektiert gefühlt?
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Links | Aus heutiger Sicht fast unverständ lich heiter, angesichts der Kriegszeiten, und mit sichtbarem Stolz präsentiert sich die damals knapp 20jährige Inge B. Rechts | Der Keller des StraßenbahnerWaldheims in Degerloch wurde von Anfang an als offizieller Luftschutzraum geplant
Aber sicher. Natürlich kam mal einer und hat einen blöden Spruch gemacht. Sie kennen doch sicher das Lied von der ›süßen kleinen Schaff nerin‹? Jedesmal, wenn jemand dieses Lied an gefangen hat, da sind wir stocksauer geworden, denn wir waren keine süße kleine Schaffnerin, wir haben ja schließlich eine richtige Arbeit gemacht. Wir sind von der Schneiderei nach Maß ein gekleidet worden und haben eine Jacke gekriegt und ein Schiffle. Wir waren stolz darauf, weil wir ja ernst genommen werden wollten. Von den Vollkräften haben wir uns nur durch einen ganz schmalen Streifen auf dem Ärmel unter schieden. Meine Mutter hat mir dann einen grünen Rock gegeben, der hat hervorragend zu der Jacke gepasst. Wir waren damals ja jung, und haben auch auf unser Aussehen geachtet.“ Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Wie haben Sie damals die Stimmung im Wagen wahrgenommen?
heute noch eine Gänsehaut, das war ja extrem gefährlich.
„Urlauber oder überhaupt Soldaten gab es nur ganz selten, hier und da. 1943, das war ja in der schlimmsten Zeit vom Krieg. Gelegentlich hat man dann etwas erfahren können, da hat einer etwas rausgelassen, was er sonst nicht erzählt hätte. Er wusste ja, wenn er wieder weg ist, dann war das halt irgendjemand.
Es war überhaupt eine ziemliche Tristesse: Die Angst vor der ungewissen Zukunft, die Angst vor der Gegenwart, und natürlich die Angst vor den Spitzeln, die diese Angst nicht merken durften.“
Woran ich mich noch gut erinnere, sind die hoffnungslos überfüllten Züge. Wenn die Leute auf den Trittbrettern standen, das ging ja noch. Das Schlimmste war, wenn sie auf der Kupplung gestanden sind. Die Leute haben gesagt, ich muss zur Arbeit — die habe ich nicht runter gekriegt. Bei dieser Vorstellung kriege ich 55
Links | Genesende Soldaten auf der Fahrt im „gläsernen“ Straßenbahnwagen durch Stuttgart. Uniformierte Aufsicht fährt ebenso mit wie eine Krankenschwester. Aufnahme in der Schwabstraße Rechts | Die Verbindung der SSB zu „ihren“ Soldaten war nicht nur ideell, wie die Feldpostpaketsendung von 1940 zeigt Archiv SSB
Im Kampfeinsatz Straßenbahner an der Front In allen kriegführenden Nationen wurde vor Beginn der Kampfhandlungen mobil gemacht, d. h. es wurden Reservisten eingezogen, die das stehende Heer verstärkten. Zumindest in den ersten Jahren beider Weltkriege waren es in erster Linie jüngere Männer bis etwa 30 Jahre, die einberufen wurden.
SSB-Direktor Loercher fast 75 Prozent der damaligen Gesamtzahl der Fahrer und Schaffner entsprach. Bezogen auf das gesamte Personal waren es rund 50 Prozent und damit weit mehr, als bei vergleichbaren Verkehrsbetrieben, von denen nur etwa 20 Prozent des Personals 1914 eingezogen wurden. Dieser hohe Anteil ist möglicherweise der Grund, dass schon Anfang September 1914 immerhin 75 Betriebsangehörige wieder zur SSB zurückkehren konnten.
Für den Ersten Weltkrieg lauten die nüchternen Zahlen der SSB-Beschäftigten so, dass insgesamt 1 509 Männer eingezogen wurden, davon sind 165 Straßenbahner gefallen oder blieben vermisst.
In den Folgejahren wurden aber dennoch weitere Straßenbahner zum Militärdienst einberufen, allein 1916 waren es 130, 24 SSB-Mitarbeiter sind allein in diesem Jahr gefallen.
Schon bei Kriegsbeginn wurden 836 Fahr bedienstete eingezogen, was laut Aussage von
Während des gesamten Zweiten Weltkriegs waren 994 SSB-Mitarbeiter bei der Wehrmacht,
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vermutlich einschließlich der Waffen-SS. Bezogen auf den Personalbestand von 2 869 Männern im letzten Friedensjahr 1939 entspricht dies einem Anteil von knapp 35 Prozent Diese Angaben aus der ersten Nachkriegsausgabe der SSBBetriebszeitschrift „Über Berg und Tal“ vom Juni 1949 sind noch weiter differenziert. Demnach waren am 1. Mai 1945, also kurz vor Kriegsende, 879 „Gefolgschaftsmitglieder“ in Gefangen schaft, von denen im Juni 1949 noch immer 104 Männer in Gefangenschaft waren. Die Zahl der gefallenen „Betriebskameraden“, wie es dort heißt, wird mit 168 angegeben. Dabei führt die alphabetisch geordnete Namensliste „zu ihrem ehrenden Gedenken“ auch diejenigen auf, die Opfer von Bombenangriffen wurden. Rein rechnerisch ergibt sich bei diesen Angaben eine Zahl von 115 gefallenen SSB-Angehörigen.
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Links | Bemerkenswert ist an dieser Todesanzeige vom März 1944 die Schaffnerin als Bombenopfer unter den Gefallenen Über Berg und Tal 9. Jahrgang Nr. 2
Rechts | Im Sommer 1940 erscheint der Krieg fast wie ein großes Abenteuer, nur ein Beitrag hat einen ernsten Unterton Über Berg und Tal, 5. Jahrgang, Nr. 6/7
Über eine besondere Betreuung der zum Kriegs dienst eingezogenen SSB-Mitarbeiter ist für den Ersten Weltkrieg nichts bekannt, die Unter stützung der „Kriegerfamilien“ ist ein anderes Kapitel. Im Zweiten Weltkrieg stellte sich dies völlig anders dar, hier wurde praktisch vom ersten Kriegstag an die Verbindung zwischen der Front und der Heimat hochgehalten. Die SSB versorgte „ihre“ Soldaten regelmäßig mit „Liebesgaben“. In allen Kriegsausgaben von „Über Berg und Tal“, bis zur Einstellung des Blattes Mitte Dezember 1944, erschien die Rubrik „Die Front grüßt die Heimat“. Und natürlich ließen sich dort auch die Opfer des Krieges nicht verheimlichen, hier wurde allerdings zwischen denen, die für „Führer, Volk und Vaterland“ den „Heldentod starben“ und jenen, die Opfer von „Terrorangriffen“ wurden, fein unterschieden. Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
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Links | Das kleine Gruppenbild vom Karlsplatz (um 1942) demonstriert Fröhlichkeit. Es kann nicht verhehlen, dass die Transporttechnik Deutschlands, die seinerzeit längst hochmoderne Schnellbahnen mit automatischen Türen, Zugfunk, Hochgeschwindigkeitsverkehr und rationelle Verladetechnik hervorgebracht hatte, in Fällen wie dem Straßenbahn-Güterverkehr wieder auf das technische Niveau der Jahrhundertwende zurückgesunken war Rechts | Der Große Saal im neuen SSBWaldheim Degerloch diente nicht lange den Jubiläumsfeiern oder Bunten Abenden der Straßenbahner. Für die Dutzenden von Jungschaffnerinnen wandelte er sich zur Massenunterkunft. Rasch eingezogene Trennwände teilten die Fläche in enge Schlafkabinen mit Stockbetten ein. Nach oben waren die Gelasse offen, statt Türen gab es Vorhänge
Straßenbahnerfamilien in Not In beiden Weltkriegen waren die meisten eingezogenen SSB-Betriebsangehörigen Ehemänner und Väter und in der Regel die einzigen oder zumindest die Hauptverdiener in der Familie. 1914 z. B. waren von den insgesamt 761 eingezogenen Straßenbahnern 529 verheiratet. Insofern war der Kriegsdienst nicht nur mit der Angst um Leben und Gesundheit des Mannes verbunden, sondern auch mit der Sorge um die wirtschaftliche Existenz der Familie. Hinzu kam im Zweiten Weltkrieg spätestens in den letzten Kriegsjahren auch die Angst vor Bombenangriffen. Bei den Angaben zur Einkommenssituation der Straßenbahnerfamilien ist zu bedenken, dass es keine Lohnfortzahlung der Beschäftigten durch 58
die SSB gab. Stattdessen erhielten die Soldaten selbst nur ihren Wehrsold, die Familien bekamen staatliche Leistungen, die gesetzlich geregelt waren. Im Selbstverständnis des Staates handelte es sich dabei um Almosen. Im Ersten Weltkrieg stellte sich diese staatliche Unterstützung folgendermaßen dar, die Angaben beziehen sich jeweils auf den Monat: Bei durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von rund 34 Mark für eine Frau mit drei Kindern im Jahr 1914, reichten die staatlichen Gelder nicht aus. Daher gewährten vor allem größere Unternehmen den Familien ihrer Beschäftigten zusätzliche Unterstützungen. Im Falle der SSB waren dies bei Kriegsbeginn 15 M für die Ehefrau und 5 M für jedes eheliche (!) Kind, für die
Kinder jedoch maximal 25 M. Im Fall der Soldatenfamilie mit drei Kindern wären dies also 40 M pro Monat gewesen. Mit insgesamt 70 M im Monat war also für die Straßenbahner familien in den ersten Kriegsjahren ein auskömmliches Leben möglich. Dies änderte sich aber mit zunehmender Kriegsdauer, als sich die massive Teuerung aller Güter des täglichen Bedarfs immer mehr verstärkte. Ende 1915 wurde die staatliche Familienunterstützung in mehreren Schritten massiv erhöht. Demgegenüber blieb der Zusatzbetrag lange Zeit gleich und wurde erst im März 1918 um 50 Prozent erhöht. Bei den aktiven Betriebsangehörigen wurden während des gesamten Krieges durch prozentuale Zuschläge oder Zulagen und Zuschüsse die Nominal einkommen erhöht.
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Ein Mindestmaß an funktionierendem Straßenbahnverkehr gehörte zur „Reichsverteidigungsaufgabe“, die auch „Verkehrs zwecke“ umfasste. Etliche Mitarbeiter, vor allem technische Fachkräfte, erhielten deshalb – wenn sie Glück hatten – die so genannte UK-Stellung, sprich die Bescheinigung der Unabkömmlichkeit vom Zivilberuf, de facto die Zurückstellung vom oder Entlassung aus der Pflicht zum Wehrdienst. Hier betreuen einige Werkstattleute 1940 den Probetriebwagen 300 (am rechten Bildrand) und nutzen dazu den verdunkelten Motorwagen 325
Trotz dieser Transfers verschlechterte sich die Lebenssituation der Soldatenfamilien im Laufe des Krieges deutlich, weil die sich immer mehr beschleunigende Inflation die Zuschläge mehr als wett machte; das galt in ähnlicher Weise auch für die SSB-Beschäftigten. Zu den bescheidenen finanziellen Verhältnissen kam schon ab 1916 der Mangel an Nahrungsmitteln und Brennstoffen hinzu. Von der Lebensmittelknappheit waren keinesfalls nur hochwertige Produkte wie Fleisch oder Eier betroffen, sondern auch Grundnahrungsmittel. Der berüchtigte „Steckrübenwinter“ 1916/17 steht hierfür beispielhaft. Die teuren Lebensmittel und die damit verbundene Not der Straßen bahner war ab Herbst 1917 auch Gegenstand von Aufsichtsratssitzungen der SSB. Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Während des Zweiten Weltkriegs achteten die Nationalsozialisten sehr penibel darauf, dass die Angehörigen eingezogener Soldaten über ausreichende Einkommen verfügten. In einer zeitgenössischen Chronik heißt es dazu im Zusammenhang mit der Tätigkeitsbeschreibung der Verwaltung bei Kriegsbeginn 1939: „Zunächst müssen die vielen Anträge auf Familienunterstützung aufgenommen werden. Man kann sagen, dass diese vom Staat sehr wohlwollend behandelt werden; die Unterstützung ist so reichlich bemessen, dass die Familie eines zur Wehrmacht Einberufenen keine Not zu leiden brauchte. Man wollte die Leute zufriedenstellen.“
Was hier für eine kleine hessische Gemeinde beschrieben wird, gilt auch für Stuttgart, tatsächlich litten die Familien von Soldaten keine materielle Not. Bei Betrieben wie der SSB waren sie zudem in das enge soziale Netz der betrieblichen Fürsorge eingebunden. Was die Lebensmittelversorgung angeht, war es im Zweiten Weltkrieg so, dass bei Kriegsbeginn diesbezüglich erhebliche Probleme bestanden. Sie waren nicht zuletzt organisatorischen Fehlern und bürokratischen Schwergängen geschuldet, aber auch echtem Mangel an Ressourcen. Diese Phänomene waren auch in Stuttgart vorhanden und wurden von der Bevölkerung teils heftig kritisiert.
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Oben | Buchstäblich von heute auf morgen wurden der SSB im Sommer 1944 nicht weniger als 80 Schaffnerinnen entzogen. Wie das Unternehmen damit fertig wurde, war seine Sache Unten | Zu allen Belastungen der Kriegsund Nachkriegszeit kamen mehrere besonders harte Winter, die für zusätzliche Ausfälle bei Menschen und Material sorgten. 1941 plagen sich diese SSB-Mitarbeiter in der Ostendstraße mit einem besonderen Frachtgut ab: gefrorenem Wasser
Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass die Lebensmittelversorgung im Laufe des Krieges für längere Zeit deutlich besser wurde. Dies wurde durch die systematische und rücksichtslose Ausplünderung der von den deutschen Armeen besetzten Länder erreicht. Erst als diese Quellen Schritt um Schritt versiegten, verschlechterte sich auch die Versorgungslage. Unabhängig davon bemühten sich die Nazis so lange wie möglich, dem Alltag in der Heimat zumindest einen friedensmäßigen Anschein zu verleihen. Diese Form der Sozialpolitik, die bei der SSB wie in vielen größeren Betrieben umgesetzt wurde, resultierte aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs: Eine möglichst große Zufriedenheit der Angehörigen der Soldaten sollte die Moral der Truppe stärken. Der von den Nationalsozia listen immer wieder zitierte „Dolchstoß“ in den Rücken der Armee, der angeblich zur Niederlage im Ersten Weltkrieg geführt hatte, sollte unbedingt verhindert werden.
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In dieser „Stadt“ lebte in diesem Zustand immer noch eine Viertelmillion Menschen: Die Lage in der Stuttgarter City, Ecke Marktstraße/Esslinger Straße, 1947. Der Zug der Trümmerverwertungsgesellschaft, einer städtischen Tochter, an der auch die SSB beteiligt war, kurvt Richtung Neckartal, wo nunmehr nach Aushub und Klärschlamm auch Trümmerschutt abgekippt wird
Stunde „Null“ Restaurierung und Neubeginn
April 1945 war die Bevölkerung gegenüber Mai 1939 um über 40 Prozent geringer.
Für Stuttgart endete der Krieg am 21. April 1945, einen Tag nach dem letzten Geburtstag des „Führers“ und knapp drei Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Der 1933 von der NSDAP ins Amt eingesetzte Oberbürgermeister Strölin hatte sich geweigert, Stuttgart zur „Festung“ zu erklären und zu verteidigen. Stattdessen übergab er im Gasthaus „Zum Ritter“ in Degerloch die Stadt kampflos den aus Süden vorrückenden französischen Truppen.
Noch unmittelbar vor dem Einmarsch der französischen Armee sprengten deutsche Pioniere alle Brücken über den Neckar, mit Ausnahme des Berger Stegs. Diese Flussquerung wurde vor allem wegen der in der Brücke liegenden Hauptwasserleitung geschont.
Zu diesem Zeitpunkt war die Stadt nach 53 Bombenangriffen weitgehend zerstört und nur noch sehr eingeschränkt bewohnbar. Am 30. Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Der Straßenbahnbetrieb konnte zwar weitergeführt werden, da die Betriebsmittel auf die beiden Neckarseiten verteilt waren; noch in der Nacht vor den geplanten Brückensprengungen hatte man hierzu die Wagen entsprechend aufgeteilt.
Trotz der spätestens seit den großen Bombenangriffen des Jahres 1944 immer stärkeren Beeinträchtigungen des Streckennetzes und des Betriebsablaufs lief der Gesamtverkehr den gesamten Krieg über. Der Straßenbahnbetrieb wurde erst nach dem Ende des Krieges in Stuttgart und dann nur für kurze Zeit, nämlich vom 21. April bis zum 10. Mai 1945, vollständig eingestellt. Bereits Ende Mai 1945 konnte die SSB an französische Militärbehörden melden, dass rund 71 Prozent des Netzes von zirka 140 km Gesamtlänge wieder befahrbar seien. Was das Personal angeht, so kehrten vor allem ab 1946 wieder viele der eingezogenen SSBAngehörigen, die den Krieg überlebt hatten und aus der Gefangenschaft entlassen waren, wieder zurück. Einige davon werden in der Heimatstadt 61
Heute warten hier an der Stadtbahnhaltestelle Berliner Platz/Hohe Straße die Fahrgäste. Im April 1948 kippt dort der Lorenzug, der auf der Feldbahn-Standardspurweite von 600 Millimetern fährt, seine Ladung in die Muldenkippwagen der meterspurigen Straßenbahn. „Ungehindert“ durch Gebäude geht der Blick Richtung Wilhelmsbau
beschaffen war. Der Fahrzeugmangel war daher zunächst nur mit dem Einsatz von Wagen aus Pforzheim und Würzburg zu lindern. Dennoch waren die eingesetzten Straßenbahnzüge hoffnungslos überfüllt: Zum einen gab es keine Alternative zur Bahn und zum anderen war bereits Ende 1945 die Einwohnerzahl Stuttgarts wieder auf 359000 gestiegen. Zwei Jahre später war der Vorkriegsstand beinahe wieder erreicht und wurde 1950 erstmals überschritten. Auch der Straßenbahnbetrieb hatte sich wenige Jahre nach dem Krieg wieder normalisiert, wenn man von dem erst in den 50er Jahren abnehmenden Fahrzeugmangel absieht. Schon 1946 beförderte die SSB 188,1 Millionen Fahrgäste bei 28,8 Millionen Wagenkilometern und einem Gesamtpersonal von 3 359 Beschäftigten. keine Wohnung oder keine Familie mehr vorgefunden haben, manche sicherlich weder Familie noch Wohnung. Wie nach der so genannten Machtergreifung im Januar 1933 wurden nun wegen der politischen Vergangenheit auch wieder Personen ausgetauscht, allerdings weitaus geringer und milder, als dies die Nazis mit ihren politischen Gegnern taten. Manch einer, der 1946 oder 1947 als politisch Belasteter von der SSB entlassen wurde, war kurze Zeit später wieder in den Diensten des Unternehmens. Diese Großzügigkeit war jedenfalls zum Teil dem Umstand geschuldet, dass man für den anstehenden Wiederaufbau oder Neuaufbau auf keine Hand verzichten wollte. 62
Dies galt natürlich nicht nur für die SSB, sondern in fast allen Bereichen z. B. der Wirtschaft, des Verkehrswesens und der Verwaltungen und zwar mehr oder weniger in allen vier Besatzungszonen. Tatsächlich waren die Aufgaben auch beim öffentlichen Nahverkehr in Stuttgart gigantisch. Abgesehen von den festen technischen Anlagen litt die SSB vor allem unter massivem Fahrzeugmangel, weil der Luftkrieg hier besondere Schäden verursacht hatte. Für den Aufbau noch brauchbarer Fahrzeugreste oder gar die Neubeschaffung von Fahrzeugen standen gleich nach dem Krieg keine Mittel zur Verfügung. Selbst die denkbar einfachen „Pappendeckelwagen“ konnten erst 1947/48 fertiggestellt werden, weil die Fahrzeugelektrik nicht zu
Eine originäre Aufgabe der Nachkriegszeit war die Beseitigung der Trümmer, die durch den Luftkrieg entstanden waren und während des Krieges nur teilweise entfernt werden konnten. Neben den für Bauzwecke regelmäßig und häufig eingesetzten Feldbahnen mit kleinen Dampf- oder Diesellokomotiven kamen in Stuttgart dazu auch elektrische Züge zum Einsatz. Im Auftrag der „Gemeinnützigen Gesellschaft für Trümmer-Verwertung und Beseitigung in Stuttgart mbH“ ( TVB) beschaffte die SSB mit ausdrücklicher Zustimmung der mittlerweile amerikanischen Besatzungsmacht 12 zweiachsige Elektroloks bei der Maschinenfabrik Esslingen. Mit diesen robusten, aber leistungsstarken Maschinen konnten große Mengen Schutt aus der Stadt transportiert werden. Allmählich wurden für diese Zwecke auch verstärkt Lkw eingesetzt.
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Die Reste des Betriebshofs Ostheim nach ersten Aufräumungsarbeiten: Mit nichts als den eigenen Händen, ohne Unterkunft, Heizung und bei weniger als schlechter Ernährung, müssen die Straßenbahner – und die Einwohner – wieder fast bei Null anfangen. In den Ländern und Städten, in denen Deutschland Bomben abgeworfen hat, ist es aber genau so
Bereits deutlich schneller als geplant, schon 1948, war der meiste Trümmerschutt in Stuttgart aufgeräumt. Offiziell endete die Trümmerbeseitigung bzw. das Trümmerrecycling von rund 5.000.000 m³ Material am 31. Oktober 1953 und kostete fast 18 Mio. DM. Der Neuaufbau und teilweise auch Wiederaufbau Stuttgarts hatte zu dieser Zeit längst begonnen. Dabei war neben vielem anderen vor allem auch Wohnraum zu schaffen. Die immensen Bombenschäden hatten den seit Jahrzehnten knappen Wohnraum weiter deutlich verringert. Dabei mussten nicht nur die „Alteingesessenen“ wieder eine Bleibe bekommen, sondern zusätzlich auch die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die neu nach Stuttgart kamen. Diese Menschen stammten überwiegend aus dem Osten des untergegangenen Großdeutschen Reiches, aber auch aus Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Siedlungsgebieten, die nach Kriegsende unter den Einfluss der UdSSR gekommen waren. Ab 1949 entstand angrenzend an eine bereits bestehende Siedlung der 1920er und 1930er Jahre der spätere Stadtteil Stuttgart-Rot speziell für diesen Teil der Bevölkerung. Es war die erste komplette Siedlung, die in Stuttgart nach dem Krieg gebaut wurde. Die Straßenbahnanbindung war von Anfang an mit dabei. Was bei allen Aufbaubemühungen bei den meisten Menschen, nicht nur in Stuttgart, zu kurz kam, waren die Fragen, wer und was für die Menschenopfer und Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs verantwortlich war.
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H.-J. Knupfer
Kartoffeln, Kohlen, Krankenbahren Stuttgarts Straßenbahn im Ersten Weltkrieg
Links | Mit Gewehr in der Straßenbahn: Die Bühnen des erst 1912 gebauten Triebwagens 291, der hier 1915 an der Lenzhalde steht, sind bereits verlängert worden, damit mehr Fahrgäste unterkommen, wenigstens im Stehen. Ein Trupp Soldaten demonstriert dies augenscheinlich; selbst den Fahrer – der rechts neben der korrekt uniformierten Schaffnerin steht – haben sie für die Dauer der photographischen Aufnahme von seinem Platz verdrängt. Ganz rechts im Wagen ein Sanitäter mit Rotkreuzbinde, was für einen Genesendentransport spricht: Schließlich fahren Militärs für gewöhnlich nicht per Tram, sondern marschieren Rechts | Ludwigsburger Straße in Feuerbach, 22. September 1918: Noch sind Kriegsflugzeuge eher tollkühne Kisten als richtig ernstzunehmende Bedrohungen, noch erzeugt das Auftauchen eines solchen Luftmobils – noch dazu in der Heimat – eher heimliche Bewunderung als Furcht. Ein erster kleiner Schaden – eher eine Art Nadelstich – ist dennoch entstanden
Jener große Krieg von 1914 bis 1918, der später der Weltkrieg genannt wurde und noch später der „Erste“, war nicht überraschend gekommen. Nationalistische Säbelrassler, geltungssüchtige Militärs und geschäftstüchtige Waffenfabrikanten in mehr als einem oder zwei Ländern Europas bekamen endlich, was sie seit langem unverhohlen angestrebt hatten: Vermeintliche Vorherrschaft, Einsatz herrlicher technischer Männerspielzeuge, persönliche Karriere, satten wirtschaftlichen Erfolg. Doch je länger der „Waffengang“ dauerte, umso mehr verschärften sich die Probleme in der so genannten „Etappe“: in den Heimatgemeinden weit weg von der Front - ein Umstand, den die Strategen hinten und vorne nicht einkalkuliert hatten. Das betraf nicht minder die Straßenbahnen – auch in Stuttgart.
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Zerstörung, Trümmer, Not und Elend – das bringt man, wenn es um die Geschichte Stuttgarts geht, sofort mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung. Doch wie sah es damit vor 100 Jahren aus, im Ersten Weltkrieg? Lagen da die Städte im Heimatland nicht mehr oder weniger im Frieden, während weit weg jenseits der Grenzen, im Westen und zunächst auch im Osten, gekämpft wurde? Tatsächlich hielt sich die direkte Feindeinwirkung damals sehr in Grenzen: Als im Herbst 1918 eine leibhaftige Fliegerbombe auf eine Straße in Zuffenhausen plumpste, schickte man sogar eigens einen Fotograf, um das ulkige Ereignis gebührend festzuhalten. Lustig war jene Kriegszeit deshalb aber ganz sicherlich nicht: Die Toten von der Front,
Familien ohne Vater und Ernährer, Mangel an Lebensmitteln und Medizin, Brennstoff und Kleidern, Teuerung und Armut, das traf auch die Württemberger und Stuttgarter genauso. Und die SSB? Bei Kriegsbeginn im August 1914 musste das Unternehmen zunächst über 800 Mitarbeiter, somit drei Viertel des Personals, zur Fahne ziehen lassen, so dass bis auf weiteres der Betrieb auf den meisten innerstädtischen Strecken eingeschränkt oder aufgelassen wurde, bis neu eingestellte Nachfolger, ob Industrie arbeiter, Handwerker oder Kaufmann von Beruf, eilends provisorisch als Straßenbahner ausgebildet worden waren. Nach vorübergehender Verdichtung des Fahrplans in den ersten Kriegswochen, im Zentrum im Drei- statt im Fünf-Minuten-Takt, dafür mit Ausdünnung auf den Außenstrecken, musste auf Geheiß der
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erstmals bis zur Oberen Ziegelei und zur Payerstraße.
Für Schüttgüter beschaffte die SSB 1915 vier Kastenkipper, Wagennummern 15 bis 18, auf einem typischen Straßenbahnanhänger-Fahrgestell. Die Erklärung dafür ist einfach: Die SSB baute diese vier eher lorenartigen Gefährte selbst in eigener Werkstatt auf gebrauchten Untergestellen. Die Vehikel schieden schon 1926 wieder aus
Stadt aber noch Ende 1914 zum Normalbetrieb zurückgekehrt werden. Der Ausbau des Streckennetzes kam zum Erliegen. Die letzte Eröffnung betraf am 6. Juni 1914 den kaum bekannt gewordenen, rund 600 Meter langen eingleisigen Ast in Feuerbach von der heutigen Gabelung Stuttgarter Straße/ Hohewartstraße/Feuerbacher-Tal-Straße bis kurz vor den Friedhof Feuerbach, der von der Linie 12 befahren wurde. Dieser Wurmfortsatz hielt alsbald den traurigen „Rekord“ der SSB, was die Dauer der Betriebszeit anging: Schon im Jahr darauf, im Sommer 1915, wurde der Betrieb wieder eingestellt, sicherlich um Mitarbeiter einzusparen – und dabei blieb es, das Gleis verschwand später auch. Wandrosetten künden noch heute von dieser Verbindung, die bei
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fortgesetzter Friedenszeit wohl nach Botnang verlängert worden wäre. Dazu kam es nie mehr.
Gleise ohne Züge Zur Streckenchronik 1914 gehörten auch die beiden je 400 bis 500 Meter langen Abschnitte vom Bubenbad zum „Platz B“, womit die heutige Vielfachkreuzung „Spinne“ an der Payer straße gemeint sein dürfte, und das Stück in Cannstatt von der Schmidener Straße bis auf Höhe vom damaligen Haus 144. Schicksal dieser beiden Baustellen: Das Gleis wurde vollends eingebaut, doch, wie es ausdrücklich heißt, „ohne Fahrdraht.“ Hier fuhr also nichts. Selbst der Weiterbau, endlich Mitte der 1920er Jahre, zog sich wegen der Wirtschaftskrisen nochmals hin. Erst 1925/26 kam die Elektrische
Zurück ins Jahr 1914 und zur Wiedereinführung des Normalfahrplans: Das ging nur, indem die SSB ab Mai 1915 erstmals weibliche Mitarbeiter „versuchsweise“ als Schaffnerinnen und zur Wagenreinigung einsetzte. Wählte man zunächst gezielt die Ehefrauen oder volljährigen Töchter eingezogener oder im Krieg umgekommener Straßenbahner aus, musste die Direktion schon ab 1916 nehmen, was Füße besaß, unabhängig vom Beruf des Partners. Hieß es im Geschäftsbericht zunächst, dass „naturgemäß an die Leistung der Frauen ein anderer Maßstab anzulegen“ sei – welcher, wurde nicht genannt -, so kam die Geschäftsführung schon bald zu dem günstigen Ergebnis, dass der „Versuch doch befriedigend“ verlaufe. Leisteten schon 1916 bereits rund 250 Schaffnerinnen ihren Dienst auf dem Wagen, während 22 Damen in der Wagenhalle die Vehikel putzten, so stieg dieser Anteil wohl oder übel munter, so dass die Statistik 1917 bereits rund 500 Damen mit der Schaffnerzange und 60 im Reinigungsdienst verzeichnete, gegenüber gut 1000 männlichen Kollegen. Anfangs war den Schaffnerinnen der Beiwagen vorbehalten, später mussten sie auch den Begleitdienst auf dem Triebwagen übernehmen.
Damen an die Kurbel Nicht genug damit, eine kleine Bastion ward im selben Jahr auch gebrochen: Man sah sich bei der SSB gegen Ende 1917 „genötigt, auch 65
Ein Produkt der Vorkriegs-Friedenszeit in der Monarchie waren die Marktwagen der SSB. Auf dem Hof der Herstellerfirma Herbrand, Köln-Ehrenfeld, zeigt sich 1911 oder im Folgejahr einer der beiden gedeckten „Doppelstockwagen“ 1 und 2. Die helle Stange direkt über dem Erdboden, vor den Wagenachsen, deren unterster Teil gerade von der Sonne angestrahlt wird, ist eine Art Unterfahrschutz, ein für Straßenbahnwagen gebräuchliches Requisit, um zu verhindern, dass jemand unter den Wagen rutscht Rechts | Das Kriegsprodukt Gütertriebwagen 2011 von 1916, ehemals 123, hielt sich tapfer über 60 Jahre und schied erst 1969 aus. Rund zehn Jahre zuvor hat er im Betriebshof Ostheim Ruhe
für den Wagenführerdienst weibliche Hilfskräfte auszubilden und zu verwenden.“ 19 Fahrerinnen also standen nunmehr auch am Fahrschalter – eine fürwahr starke Leistung auf den steilen Stuttgarter Strecken, wo die Züge außer der Elektrobremse ausschließlich durch Muskelkraft an der Bremskurbel vollends zum Stehen gebracht werden mussten, „Schwerarbeit“, wie ein Zeitzeuge berichtete, denn von der Einführung der Druckluftbremse war man Jahrzehnte entfernt. Dass dieser Körpereinsatz im Stehen am ungeheizten Fahrerplatz erbracht werden musste, während es längst nur noch schlechtes Brot, dünne Suppen und kaum Vitamine gab, und buchstäblich weder Fisch noch Fleisch, während daheim eine kaum geheizte Wohnung wartete und die Kinder mit dem Überschuss des Nichts versorgt werden mussten, sei dazu erwähnt. 66
Wer krank wurde, tat gut daran, sein Haus zu bestellen: Für die geschwächten Körper konnten Infektionen lebensgefährlich werden, Grippe und Lungenentzündung bildeten alltägliche Todesursachen. Es war nicht schwer, mitten im heimeligen Stuttgart Vollwaise zu werden. Dazu kam, dass die Fahrgastzahlen während des Krieges ständig stiegen: Wurden im letzten vollständigen Friedensjahr 1913 noch 53 Millionen Beförderungsfälle verzeichnet, waren es 1916 schon 64 Millionen, im Jahr darauf nochmals 20 Millionen mehr. Die Spitze war 1918 erreicht mit etwas mehr als 100 Millionen Menschen – man hatte also eine Verdoppelung des Aufkommens bewältigt, mit dem gleichen Fahrpark auf dem gleichen Streckennetz von etwa 73 Kilometer Ausdehnung, doch mit weniger
Personal, so dass die Geschäftsberichte die „Ueberfüllung der Wagen“ beklagten. Das erklärt ein Stück weit, weshalb die Frauen, die Fahrdienst verrichteten, dies angenehmer empfanden als die Schaffnertätigkeit – weil es dort, gerade in den druckvollen Wagen, verstärkt zu unerwünschtem Körperkontakt kam. Es fällt auf, dass die Geschäftsberichte der SSB die Tätigkeit der Damen eindeutig dokumentieren, während Paul Loercher hingegen, seit der Jahrhundertwende für Jahrzehnte technischer Chef und Direktor der SSB, in seinem Rückblick von 1928 lediglich den Einsatz bei Schaffnerdienst und Wagenpflege erwähnt. Dabei war Loercher während dieser ganzen Epoche hautnah aktiv dabei und hatte vielleicht sogar die Fahrerprüfungen „seiner“ Straßenbahnerinnen abgenommen.
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Güter auf der Straßenbahn
An der Zufahrt zum Betriebshof Ostheim wird für den Fotograf die Funktion der Kastenkipper gezeigt, 1915/16
Die Perrons etlicher Wagen wurden alsbald in aufwändigen Umbauten verlängert, um mehr Stehplätze zu schaffen. Doch verschärften sich die Rahmenbedingungen weiter: Die Fahrleitungen aus Kupfer mussten auf Geheiß der militärischen Nachschuborganisation ebenso durch Eisen ersetzt werden wie das Buntmetall in den Wagen, seien es bei Achslagern oder Haltegriffen – die Front „fraß“ die raren Metalle für die Funktion von Munition und Waffen. Das gleiche betraf Isolationsstoffe für die Elektrik ebenso wie Verbrauchsmaterial wie Schmieröl und Petroleum. Sie mussten durch unerprobte Pflanzenfette ersetzt werden, die weder Hitze noch Kälte standhielten. Die Ersatzmaterialien waren nicht nur von geringerer Eignung und Lebensdauer, sie hätten
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vor allem einen wesentlich schonenderen Umgang im Betrieb erfordert, etwa sehr behutsames Schalten der Fahrstufen, um Abbrände an den Schaltelementen und dem Fahrdraht zu verhindern. Im Zweifel war aber das Gegenteil gegeben, die „häufig ordnungswidrige Ausübung des Fahrdienstes“, bedingt durch die hastig eingestellten, zunehmend ausgemergelten Ersatzkräfte und den Dauerstress durch übervolle Züge. Die Werkstatt konnte dem nichts entgegensetzen, sie hatte weder Tauschstoffe noch genügend Leute, wie überhaupt der Kranken stand im Gesamtbetrieb auf bis zu 20 Prozent anstieg. Kein Wunder, dass die Berichte „sehr häufige Defekte“ angeben, namentlich wegen Schäden an den Achslagern und gebrochener Fahrleitung.
Zu allem Überfluss – nein: zu allem Mangel – kam 1918 die verordnete Begrenzung des Stromverbrauchs wegen Kohlenknappheit: Deutschland warf die letzten Reserven an Menschen und Material an die militärische Front, während die Inflation um sich griff. Für die Bedürfnisse der Heimat blieb da nicht viel übrig. Die Mehranforderungen an die SSB waren aber schon mit Kriegsbeginn noch größer geworden: Um Pferde zu sparen – diese griff sich das Heer -, musste sich die Straßenbahn erheblich stärker als vordem im Güterverkehr einbringen. Bis dahin, seit 1912, hatte die SSB nur zwei gedeckte Marktwagen für den Transport von Gemüsekörben und Obst, die aus den Neckarauen bei Wangen Richtung Markthalle reisten, im Bestand gehabt. 1914, wohl direkt vor dem Krieg, kam eine Reihe einfachster Flachwagen dazu, auf denen komplette Handkarren ebenfalls Richtung Marktplatz geführt wurden, was Zugtiere oder Menschenkraft einsparte. Entgegen landläufiger Meinung wurde allerdings die Markthalle nie direkt angefahren, auch später nicht, trotz des vorsorglich in die Halle eingefügten Rillengleises, das heute noch liegt. Vielmehr lag das entsprechende „Rettich gleis“ auf der Westseite des Alten Waisenhauses, entlang dem Karlsplatz. 1916 erweiterte die SSB den Güterwagenbestand um zehn voluminöse Kastenloren, von denen vier kippbar ausgeführt wurden. Am Westbahnhof entstanden nämlich auf Rechnung der 67
Der „Rettichexpress“ ist da, das Abladen kann beginnen
Stadt Nebengleise zur Umladung von Fracht, die von dort aus auf kürzestem Weg – und bergab, was Strom sparte – in die Innenstadt gelangte. Entladegleise wiederum wurden am Wilhelmsplatz, in der Schickhardtstraße und Rosenbergstraße, an der Gewerbehalle und am Artilleriedepot Wangen angelegt, dann auch von der Talstraße zur „Gasfabrik“ und für andere „industrielle Unternehmungen.“ Schließlich kam noch ein Stumpfgleis zum Kraftwerk Münster dazu, um Asche wegzuführen. Über diese insgesamt acht Verladegleise, die zusammen rund einen Kilometer maßen, rollten Lebensmittel und „Coks“. Für letzteren waren die Kipploren im Einsatz. Bewegt wurden diese „Güterzüge“ von einem eigens gebastelten Gütertriebwagen, außerdem von den ältesten Personentriebwagen, die man den Fahrgästen nicht mehr zumuten 68
wollte. Rund 150 Tonnen – das waren 20 bis 30 beladene Wagen oder Loren – dieser lebenswichtigen Ware rollten täglich auf diese Art durch die Stadt. Somit hingen nun selbst Wohl und Wehe der Einwohner der Landeshauptstadt, Ernährung und Schutz vor dem Erfrierungstod, mehr oder weniger von der Straßenbahn ab. Zum Schluss, 1918, wurden im Frachtverkehr mit 200 000 Wagenkilometern 50 000 Gütertonnen bewegt – das ist eine Jahresleistung, mit der heute eine regelspurige moderne regionale Eisenbahn mit Großraumgüterwagen genug zu tun hätte. Es ist beinahe ein Rätsel, wie die SSB und ihre Mitarbeiter(innen) ein solches Volumen bewältigten, obwohl zunehmend Kohle knappheit auftrat, also auch noch mit dem Strom sparsamer umgegangen werden musste.
Damit der Aufgaben noch immer nicht genug: „Sofort nach Kriegsausbruch“ kam der Straßen bahn kraft Auftrag der Heeresverwaltung die humanitäre Aufgabe zu, verwundete Soldaten vom Hauptbahnhof zu den städtischen Krankenhäusern zu bringen. Wahrscheinlich diente dazu bald auch der Westbahnhof als Umladestelle, liegt und lag er doch an der Gäubahn aus Richtung Freudenstadt, Rheintal und Frankreich. Für den Transport nutzte man zunächst die normalen Triebwagen, in deren Innenraum man die Tragbahren zunächst provisorisch aufhängte, so dass die Kranken möglichst wenig durchgeschüttelt wurden. Alsbald, 1915, entstanden weitere Flachwagen, die einen hölzernen Spriegelaufbau mit vollständiger Abdeckung aus Segeltuch erhielten. Clever konnten diese Wagen nach dem Krieg ebenfalls als Marktwagen dienen. Der heute im Straßenbahnmuseum in Bad Cannstatt vorhandene graue Marktwagen vom Baujahr 1912 entspricht genau der beschrie benen Bauart. Zur Verteilung der Verwundeten in die städtischen Lazarette diente ein Entlade gleis in der Kronenstraße und an weiteren – nicht näher bezeichneten – Stellen. Die Fahrten wurden „zu allen Tageszeiten“ durchgeführt und bewirkten „eine größere Schonung“ der Betroffenen, „als es mit den Autos geschah“, wie Loercher vermerkt. In die Mitte des letzten Kriegsjahres, auf den Juli 1918, fiel das 50-Jahre-Jubiläum der Straßen bahn in Stuttgart: Für die abkömmlichen Angestellten gab es eine kleine Feier, die Wagen wurden, wie es heißt, „sinnig geschmückt“;
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Die Waggonbaufirma Herbrand bediente um die Jahrhundertwende als preisgünstiger und flexibler Erzeuger den Eisenbahnsektor für Privat-, Klein- und Schmalspurbahnen ebenso wie die Straßenbahnbranche. Marktfrachtwagen waren eine spannende Mischung aus klassischem Eisenbahnwagen in gedeckter und offener Ausführung und den speziellen Details des Straßenbahn- und Marktwarenverkehrs
die Direktion stockte den Sozialfonds für die Mitarbeiter großzügig auf, was ihr mit den reichlichen Fahrgeldeinnahmen um so leichter fiel, als der Geldwert rasch zu verfallen begann. Nichts mehr nützte die Zuwendung den rund 150 Mitarbeitern, die im Krieg umgekommen waren, freundlich als „Heldentod“ bescheinigt. Das war rund jeder Zehnte aller Kollegen des Vorkriegsbestandes an Straßenbahnern in Stuttgart. Die allgegenwärtigen Versorgungslücken, der aufopfernde Einsatz von Frauen, Kindern und Alten in der Etappe und der Kriegswirtschaft riefen bei den Militärs nicht etwa Beachtung hervor. Im Gegenteil: Als der Krieg verloren war, wiesen die Strategen jede Verantwortung von sich und behaupteten, die Niederlage sei lediglich eingetreten, weil die Zivilisten zu weStuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
nig Einsatz gezeigt hätten. Damit war die so genannte „Dolchstoßlegende“ in die Welt gesetzt – und mit ihr ein habhafter Teil der geistigen Grundlage für eine Gesinnung, die zwei Jahrzehnte später, als Produkt angestauter Ent- (und Selbst-) Täuschung, wieder zu einer Eruption führte: zum nächsten Krieg.
„Kommunalisierung“ durch die Hintertür Mit dem Kriegsende im Spätherbst 1918 fanden nicht nur in Deutschland und auch in Stuttgart Revolutionen statt, die Kaiser und König den Boden wegzogen. Auch in Sachen SSB hatte es in aller Stille schon im Vorjahr, 1917, eine Art kleine „Revolution“ gegeben, nämlich eine „bedeutsame Aenderung im Besitz der Aktien-
mehrheit“: Der Hauptaktionär, die Gesellschaft für elektrische Anlagen in Berlin, hatte gut 7000 Aktien der bis dahin hauptsächlich ihr gehörenden SSB „an die Stadtgemeinde Stuttgart und zwei hiesige Großindustrielle“ verkauft. Das waren niemand anderes als die DaimlerMotorengesellschaft und der Privatmann Robert Bosch. Diese standen „ihrerseits hinsichtlich ihrer Straßenbahnaktien in einem Vertragsverhältnis mit der Stadtgemeinde“. Im Klartext: Die Stadtverwaltung besaß nun endlich sowohl über den Aktienbesitz wie über ihre Stimmrechte im Aufsichtsrat die Entscheidungshoheit über die SSB. Was die Stadt seit über 30 Jahren versucht hatte, zuletzt 1903, nämlich die private Straßenbahngesellschaft, die vor allem Dividende für ihre Aktionäre abliefern sollte, zu einem gemeinwirtschaftlichen Instrument der kommu nalen Daseinsvorsorge zu wandeln, war ihr nun überraschend zugefallen, sozusagen durch die Hintertür. Freilich dürften Daimler und Bosch kaum aus persönlicher Zuneigung zu Stadt oder Schienen verkehr gehandelt haben: Beide Firmen hatten durch die Kriegsaufträge prächtige Gewinne einfahren können. Doch wer nicht ganz blind war – Bosch und Daimler waren das offensichtlich auch 1916 oder ‘17 nicht, etliche Zeit vor Kriegsende, im Gegensatz zum Militär -, konnte absehen, dass die Schlacht verloren war, die Rüstungsaufträge bald ausbleiben würden und die vom Staat selbst massiv befeuerte Inflation zunahm. Kurz, es war an der Zeit, sein Geld in einen bleibenden Sachwert zu stecken, den die Menschen auch ohne Krieg brauchen würden: 69
Links | Stückwerk statt Netzwerk: Der Substanzverlust durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen verhinderte das mögliche Entstehen eines großräumigen Geflechtes an Überlandstraßenbahnen in der Metropol region Stuttgart, sprich an regionaler Elektromobilität. Ob alle einstmals kommunalbehördlich zeitweise angestrebten Linien Sinn ergeben hätten und ob es sie heute noch gäbe, wenn sie gebaut worden wären, ist eine andere Frage Rechts | Schon früh nutzte die SSB gerne dieses Foto zur repräsentativen Darstellung ihrer Leistungen im Marktwarenverkehr. Der ganz rechte Wagen ist der Marktwagen E 1 der Straßenbahn Esslingen, der exakt der Stuttgarter Bauart entsprach. Hier rollt er mit einem Stuttgarter Kompagnon von Zuffenhausen nach Stuttgart die Pragstraße hinunter. Solche freizügigen Einsätze wurden im Wege des „Naturalausgleichs“ vergütet – dafür kamen Stuttgarter Wagen bis Esslingen
eben eine Straßenbahn. Boschs Beteiligung bestand übrigens nicht lange, er verkaufte seinen Anteil weiter an die Stadt. Daimler zog sich erst nach Jahrzehnten zurück. An der erfolgreichen Kommunalisierung der SSB änderte das nichts mehr. Stolz prangten ab 1924, als man nach überstandener Hyperinflation endlich auch Geld für neuen Lack aufwenden konnte, erstmals die Wappenfarben der Landeshauptstadt auf den Straßenbahnwagen Stuttgarts: Gelb und Schwarz. Die neue soziale Komponente des Unternehmens brachte nun eine buchstäblich naheliegende Symbiose in der Beschaffungspolitik der SSB hervor: Hatte sie vordem ihre Fahrzeuge bei allerlei mehr oder weniger namhaften Lieferanten im Deutschen Reich eingekauft, so setzte sie ab 70
jetzt für mehr als viereinhalb Jahrzehnte so gut wie ausschließlich auf einen einzigen Hersteller: die Maschinenfabrik Esslingen (ME). Die wiederum, zuvor ein „Global Player“, musste nach 1918 sehr viel kleinere Brötchen backen, weil ihre Auslandsmärkte zunächst verlorengegangen waren, nicht zuletzt der wichtige russische Lokomotivmarkt. So ließ sich die ME nun herab, beinahe erstmals auch Straßenbahnwagen zu fertigen – jedoch sozusagen exklusiv nur für die SSB. Nur die ersten und frühen Pferdebahnwagen Stuttgarts hatte Esslingen bereits erzeugt, sich dann jedoch wieder ganz dem lukrativeren Eisenbahnsektor zugewandt. Lediglich für die regionalen Straßenbahnbetriebe Feuerbach und Esslingen machte die ME sonst noch eine Ausnahme, natürlich auch für die 1926 folgende Straßenbahn Esslingen – Nellingen – Denkendorf
(END). Mit der stetigen Vergabe von Aufträgen nach Esslingen sicherte die SSB auch während der Zeiten wirtschaftlicher Not und bescheidenen Aufschwungs in den 1920er Jahren regionale Arbeitsplätze – ein Akt kommunaler Verantwortungsbereitschaft.
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Links und rechts | In Stuttgart-Wangen befand sich diese Umladeanlage für Koks, der per Straßenbahn vom Gaswerk anrollte. Kastenkipper 16 (rechts) trägt die Kennzeichnung des Stadtreinigungsamtes
Die zerstörte Zeit-Schiene Als indirekte Folge des Krieges kam die Stadt Stuttgart 1920 zu einem teuren „Geschenk“: Das Netz der Filderbahn, das dem privatwirtschaftlichen Mitbewerber Württembergische Nebenbahnen (Wüna) gehörte, war abgewirtschaftet. Um den Zusammenbruch der Wüna zu vermeiden, deren Bahnstrecke aus dem Strohgäu nach Stuttgart nicht weniger wichtig für die Landeshauptstadt war wie die Filderbahn, kaufte die Stadt die Filderbahnstrecken und drückte den Betrieb ihrer nunmehrigen „Tochter“ SSB aufs Auge – auch das wäre vier Jahre vorher noch nicht gegangen. Mit dem Erlös konnte die Wüna die Strohgäubahn und ihre beiden anderen Betriebe vorläufig retten. Auch die leidigen Themen Modernisierung der Zahnradbahn und vor allem Durchbindung
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der Weinsteigelinie zwischen Degerloch und Stuttgart konnte die Stadt nun mit Elan angehen: Kaum zu glauben, dass bis dahin am Bopser, einer Bedürfnisanstalt mit einem Gleisdreieck herum, sämtliche Fahrgäste bei Wind und Wetter die Wagen der Filderbahn verlassen mussten, um in jene der SSB umzusteigen – und das, obwohl beide die selbe Spurweite und praktisch das gleiche Stromsystem besaßen, wie zum Hohn. Auf den ersten Blick mag die Bilanz der Folgen jenes Krieges für die SSB nicht so schlimm erscheinen: Von Zerstörungen, wie sie knapp dreißig Jahre später verheerend eintreten sollten, konnte keine Rede sein. Die friedensmäßige Produktion lief bald wieder an, die Männer kehrten an die Kurbel zurück – und
die Frauen an den Herd. Schlechtes Material wurde wieder gegen besseres getauscht, der nach Kriegsbeginn eingestellte Weiterbau des Streckennetzes in die Vororte und der zweigleisige Ausbau kamen allmählich wieder in Fahrt, neue Wagen hielten Einzug. Doch all das musste die Straßenbahngesellschaft, wenn auch nunmehr städtisch, aus eigenem Ertrag aufbringen, während den Ausbau des Straßennetzes, oft als Notstandarbeit vorgenommen, Stadt und Staat aus der Steuerkasse zahlten. Von diesem Substanzverlust, an Geld, an Zeit und an wirtschaftlicher Bedeutung, erholten sich die Straßenbahnbetriebe – und die Eisenbahnen – nicht mehr: Auch in Stuttgart und Umgebung blieb der großzügige Weiterbau der Straßenbahn zu einem interregionalen Überlandnetz im Wesentlichen auf dem Papier und verzögerte sich auch in den Ansätzen um ein Jahrzehnt oder mehr. „Die Straßenbahn … sieht sich unter der Ungunst der Zeit bedauerlicherweise auf das bescheidenste Maß zurückgeschraubt, so dass geplante Netzerweiterungen unterlassen oder verschoben werden müssen“, klagte noch eine Schrift von 1929 über das lokale Bahnwesen um Stuttgart. Die Anbindung von Kornwestheim und Ludwigs burg, obwohl noch lange verfochten, kam nicht mehr zustande, die Projekte zur Solitude oder von Esslingen nach Wäldenbronn versandeten damals ebenso wie das vom Stuttgarter Osten nach Ruit und Nellingen; die Verbindung von Stuttgart/Möhringen über Waldenbuch nach Tübingen kam nur bis Leinfelden. Die Verlängerung der vorhandenen Strecke Westbahnhof 71
Links | In der Heusteigstraße wurde 1918 diese Koksfuhre verewigt. Jeder Wagen ist mit einem Bremser besetzt. Der Triebwagen steht auf einer Weiche, von der nach rechts ein Zweiggleis ausgeht. Eine Blech- oder Papptafel rechts neben dem Einstieg verweist vermutlich darauf, dass es sich um eine Dienstfahrt handelt und in den Wagen niemand einzusteigen hat. Auf den oft steilen Straßen und Strecken Stuttgarts war die Beförderung solch schwerer Wagen – ohne Luftbremse, nur von Hand gebremst – eine Aktion, die viel Umsicht, Geschick, gutes Zusammenspiel der Mitarbeiter und Erfahrung brauchte
– Charlottenbuche, letztere heute als Birkenkopf oder Monte Scherbelino bekannt, zur Solitude, wo im Waldgebiet dazwischen eine neue Wohnsiedlung entstehen sollte, blieb ebenfalls eine Skizze auf dem Papier. Auch das Vorhaben der Standseilbahn zum Waldfriedhof wurde indirekt und vorläufig ein „Opfer“ des Krieges: Die fertigen Pläne von 1914, eine charmante Jugendstilbahn mit hübschen schlösschen artigen Stationsgebäuden zu bauen, direkt vom Südheimer Platz bis vor das Tor des Friedhofs, wanderten ins Archiv. Fast 15 Jahre mussten sich die Stuttgarter zu Fuß den steilen Hang hinauf plagen, bis endlich 1929 doch die Seilbahn entstehen konnte: nun aber als minimalistische Sparlösung mit mehr als einfachen Gebäuden, schmucklosen Wagen und nur gerade so lang wie unbedingt nötig, vom Ortsende Südheim 72
Rechts | Wieder hat sich der Fotograf am Westbahnhof eingefunden. Hinten – parallel zur Rotenwaldstraße - die Güterhalle der Staatsbahn für den Umschlag von Stückgut. Der Straßenbahnwagen zieht zwei der offenen Güterwagen Nummer 7 bis 12 (siehe S. 75). Mit dem Umladen der Eierkohle per Forke wird der Arbeiter noch hübsch zu tun haben, bis der offene SSB-Wagen gefüllt ist. Die Verwendung eines gedeckten Güterwagens, der eigentlich für hochwertige Kaufmannfracht vorgesehen ist, für lose Kohle weist auf Wagenmangel seitens der Staatsbahn hin: eine typische Erscheinung der Kriegswirtschaft
bis zur Oberkante Abhang, vom Friedhof noch etliche Meter entfernt. Die Straßenbahn Esslingen hatte sogar ein reales Kriegs"opfer" zu beklagen: Ihre Innenstadtlinie wurde nach Kriegsbeginn 1914 ausgelassen und später nicht mehr aktiviert.
Der Geist aus der Flasche Der eigentliche Kollateralschaden für die Bahnen entstand subtil, aber umso „nachhaltiger“: Im Krieg, wegen des Krieges, mit reichlich Forschungsgeld aus den Rüstungsgewinnen, waren Benzinmotor und Kraftfahrzeug, zuvor eher belächeltes High-Tec-Gerät einiger vermögender Mitbürger, wie in einem Zeitraffer zu alltags tauglichen Maschinen entwickelt worden. Ähnlich verhielt es sich beim Luftfahrtwesen. Mehr noch, nach Kriegsende verscherbelten die
Heeresämter Hunderte vom Kriegseinsatz übrig gebliebener Lastkraftwagen nun an Gewerbebe triebe und Privatleute, die Arbeit suchten und nicht selten Fuhrunternehmen eröffneten, mangelte es doch auch noch an Gäulen. Wie die Straßenbahn eine Kommunalisierung erfahren hatte, so erfuhr der Kraftwagen seine Sozialisierung: Tausende Männer hatten beim Kommiss den Umgang mit dem Kraftfahrzeug – Fahren und Reparieren – gelernt und standen mit dem neuen Element sozusagen auf Du. Nicht mehr der Chauffeur in feiner Dienstuniform beförderte hohe Herren, das Volk – gestandene Arbeits leute aus Stadt und Land – hatte das Steuer selbst und direkt in die Hand genommen: Also noch eine Revolution; der Motor wurde bürgerlich. Sozusagen über Nacht erfolgte die mehr oder weniger flächendeckende Motorisierung des
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Links | Die Streckengabelung der SSB in Feuerbach: Links ging es nur bis zum Ortsrand, nicht weiter bis Botnang, und schon ein gutes Jahr später fuhr auf dem linken Ast kein Straßenbahnzug mehr, nie mehr ...
Landes, wenn auch noch sehr milde. Spontane, „wilde“ Omnibuslinien mit Arbeiterbeförderung auf der notdürftig verkleideten Pritsche der Lkw entstanden, verkehrsgefährlich genug. Die Straßenbahn konnte sich bei der Obrigkeit zwar beklagen, aber die Ämter waren froh um jede neue Beförderungsmöglichkeit. Der Geist des schienenlosen Verkehrs, ob als Linie oder als Individualverkehr, war aus der Flasche. Damit hatte sich die Lage der Bahnbetriebe völlig gewendet: Am Vorabend des Ersten Weltkrieges stand das öffentliche Verkehrswesen in höchster Blüte. Die Arbeitsteilung zwischen Straßenbahn, Eisenbahn und Lokalbahnen funktionierte bestens; Anschlussgleise, Feldbahnen und Schrägaufzüge schlossen Fabriken, Steinbrüche und Hofgüter an das weltweite Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Rechts | Wo immer diese Entladung von Schutt oder Asche in Stuttgart-Münster erfolgt sein soll, es müsste in direkter Nähe zur Eisenbahn gewesen sein, deren Güterwagen parallel stehen. Rechts bewacht ein mit Pickelhaube versehener Soldat oder Gendarm die Szene - vielleicht um Kohlenklau oder Diebstahl sonstiger Güter aus den Eisenbahnwagen vorzubeugen, ein in zwei Kriegen und Notzeiten vertrautes Phänomen
Schienennetz an. Der Benzinmotor spielte kaum eine ernsthafte Rolle, den Dieselmotor gab es nur als Versuchsobjekt. Der elektrische Antrieb – auf Schiene und Straße (!) – hatte beachtliche Anteile gewonnen (der erste Porsche war selbstverständlich ein Elektroauto), elektrische Lokomotiven standen vor ihrem Siegeszug; elektrische Straßenbahnen, Omnibusse und Lastkraftwagen, ganze Straßen-Güterzüge, ob über Leitungsnetz oder Batterien angetrieben, waren hoch entwickelt und im Begriff, das Verkehrswesen landesweit zu einem weitgehend lautlosen und abgasfreien System zu machen. Welche Aussicht! Die Spätfolgen des Krieges gaben diesen viel versprechenden Chancen den Todesstoß. Geldentwertung und Hochinflation verhinder-
ten den Bau der meisten geplant gewesenen Straßenbahnstrecken. Stattdessen bot sich der rasch solide und komfortabel weiterentwickelte Omnibus als Ersatz an, ohne allerdings – bis heute - die hochwertigen Strukturwirkungen von Schienenverkehrslinien zu entfalten und ihre Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Zu der praktischen Umorientierung kam eine psychologische: Deutschland mochte den Krieg militärisch verloren haben, an seinem industriellen „Sieg“ in Gestalt technischer Errungenschaften etwa bei Technik und Chemie war kaum zu zweifeln. Automobil und Luftfahrt, der Rausch der Schnelligkeit und Unabhängigkeit – als „Betäubungsmittel“, um im Alltag Armut und Demütigung durch die (Auslands-) Politik zu ertragen -, standen nunmehr in höchstem Ansehen. Der Schienenverkehr 73
Hermann Freudenberger die Zeit des Ersten Weltkrieges später treffend beschrieb. Zwar waren etwa die Damen als Straßenbahnfahrerinnen bei der SSB bald wieder Geschichte, sobald die Männer erneut das Zepter oder vielmehr die Kurbel übernommen hatten. Doch die Frauen hatten in jenen letzten Jahren der Monarchie erstmals sozusagen global bewiesen, dass sie in Industrie, Produktion und Technik, in Organisation und Führung ihren „Mann“ stehen können. Im Krieg hatten sie – auch das wohl oder übel, aus Mangel an Kleidung, Kosmetik und Zeit, und schlicht, weil es praktisch war – buchstäblich die Hosen angezogen, ihre Frisuren radikal pflegeleicht und burschikos verändert, und wenn es nichts zu essen gab, das Rauchen angefangen.
Diese Aufnahme soll im Zusammenhang mit der Zuckerfabrik (Stuttgart-Münster) am Hallschlag entstanden sein. Das hieße, dass es dorthin früh eine provisorische Strecke gegeben hätte oder man sich – wahrscheinlicher – ab dem linksufrigen Cannstatt, im Bereich der Brückenstraße, als nächstliegendem Punkt des SSB-Netzes der Straßenbahn als Transportmittel für die süße Fracht bediente. Im Gegensatz zum offenen Gütertriebwagen 123 von 1916 besaßen die Folgemodelle 124 und 125 von 1918 ein durchgehendes Dach, gleich oder später auch mit herablassbaren Planen, so dass auch wetterempfindliches Stückgut verfrachtet werden konnte. Demnach ist dieses Bild frühestens Ende 1918 entstanden, wahrscheinlich später
kam nun unter „ferner liefen“, von ihm hatte man im Krieg, im „Felde“, genug bekommen, hautnah genug. Für die Bahnen war unter solchen Umständen gleich zweimal kein Geld da. Schlecht für die Eisenbahn hieß aber auch schlecht für die Straßenbahn. Der weit gediehene Ansatz zu einer energetisch effektiven, volkswirtschaftlich sinnvollen und ökonomisch finanzierbaren Verkehrspolitik wurde so völlig deformiert – durch den Ersten Weltkrieg.
Hosen und Bubikopf Im Zweiten Weltkrieg wiederholte sich die Entwicklung ähnlich, doch noch viel entscheidender. Dazu trat die von den großen Ölerzeugern und ihren Herkunftsländern gewollte Abhängigkeit vom Mineralöl, Automobil und Straßenbau, die auch die Politik darin verstricken 74
sollte und es schließlich auch tat und tut. Viele Straßenbahnbetriebe konnten dem nicht standhalten und gingen ein. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die SSB nicht aus dem Schienenverkehr zurückzog, sondern schließlich – wenn auch viel später und mit einigen „Klimmzügen“ – ihr Stadtbahnprogramm verwirklichen konnte, auf dem Weg zu einem höchst aktuellen Verkehrs dienstleister. Ohne den Übergang in städtische Hand hätte sich das wohl kaum so gefügt. Aber für diesen Übergang hätte es wohl ebenfalls kaum Anlass gegeben ohne die militärische Niederlage im Ersten Weltkrieg.
Und auch diese Errungenschaften wanderten nicht mehr in die Schublade der Geschichte: Die Mode der 1920er Jahre, mitsamt saloppem „Bubikopf“, die neue, durchaus auch dominante Rolle der Frau, sei es mit Schlips und Sakko, sei es als männerverschleißender „Vamp“, durch Film und Kunst bestätigt und überhöht, sprachen Bände. Zwar war die gesellschaftliche oder gar berufliche Gleichstellung der Frauen noch weit entfernt. Doch die radikale arbeitsteilige und in gewissem Maß soziale Gleichschaltung der Geschlechter im Ersten Weltkrieg gab gewissermaßen die kollektive Generalprobe dafür ab.
Noch an einer ganz anderen Stelle aber kehrte der einmal aufgestiegene Geist nicht in das kriegsbedingt entkorkte Behältnis zurück: „Die Männerwelt zerbröselte“, wie der Chronist
Im nächsten Krieg, 25 Jahre darauf, brauchte man zwar die Frauen wieder dringend im öffentlichen Dienst, doch diesmal, der Ideologie entsprechend, nur als Hilfskräfte. „Führende“
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Links und rechts | Mit hochliegendem Rahmen, nach unten verstrebten Achsgabelstegen und Blattfederung besaßen die 1915 von der Firma Herbrand gekommenen sechs offenen Güterwagen 7 bis 12 eher die Anmutung von zierlichen Kleinbahngüterwagen als von Straßenbahnfahrzeugen. Später mit den Nummern 2068 bis 2073 versehen, standen die letzten noch 1969 im internen Dienst der SSB
Tätigkeit - selbst als „Führerin“ eine Straßen bahnwagens - war selbiges Mal verpönt. So brauchte es sehr lange, bis 1972, bis sich die SSB entschließen konnte, wieder – und diesmal auf Dauer angelegt – Frauen auch für den Fahrdienst auf der Schiene auszubilden. An der SSB wäre es nicht gelegen, ein erster Vorstoß kam 1963, doch die noch gültige Rechtslage aus der NS-Zeit war das Problem. Zu jener Zeit schließlich, Anfang der 1970er, waren die wenigen SSB-Fahrerinnen von 1917 längst hoch betagt, wenn sie noch lebten. Doch Frauen am Fahrschalter: Das war 1972 zunächst ungewohnt, aber wohl kaum mehr ungewöhnlich. Ob es mit oder ohne Krieg(e) soweit gekommen wäre, und so „bald“, das lässt sich kaum beurteilen.
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Und noch eine Form der Demokratisierung brachten Krieg und Revolution mit sich: die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben. Hatte es schon gegen Ende des Krieges Arbeiter- und Soldatenräte gegeben, in der Industrie und an der Front, die die Gewaltigen in den „Bureaus“ den „starken Arm des kleinen Mannes“ spüren ließen, so verfestigte sich diese neue Form bürgerlicher Macht im wiedergewonnenen Zivilleben in Gestalt des Betriebsverfassungsgesetzes. Im Klartext: Seit 1922 gibt es in allen größeren Unternehmen Anspruch auf Einrichtung eines Betriebsrates. Deshalb findet sich diese Institution seither auch bei der SSB, mit Folgen bis zur Zusammensetzung des Aufsichtsrates: Biedere Schaffner und Schlosser saßen auf einmal gleichberechtigt neben „hohen Tieren“ aus öffentlicher Verwaltung und Finanz
welt – ein Vorgang, den es bis dahin in einem Gesang- oder Faschingsverein gegeben haben mochte, der aber noch ein halbes Dutzend Jahre zuvor in einem offiziellen Gremium öffentlicher oder gewerblicher Art undenkbar gewesen wäre. Dieses System hat sich bewährt und erhalten, bis heute. Plastischer lässt sich kaum zeigen, wie die „Verbürgerlichung“ der vormals herrschenden Klassen Fuß fasste. So hatte sich die Hautevolée, die 1914 wähnte, in wenigen Wochen einen glänzenden Sieg zur Mehrung ihrer Macht (und ihres Geldes) davonzutragen, den Gang der Dinge gewiss nicht vorgestellt. Gründlicher hat kaum ein Krieg in den Ländern, die ihn auslösten, das gesellschaftliche Schema umgekrempelt. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung, 75
die wir heute für so selbstverständlich nehmen, baute auf diesem Geist auf, der sich 1918 erstmals in voller Größe zeigte, leider noch ungelenk, angreifbar und unbeständig – eine schwere Geburt um einen hohen Preis, dafür von unschätzbarem Wert.
Links | Glänzende Zeiten, durch eine Politik beschränkter Habsucht und Arroganz verspielt: Der Erste Weltkrieg und sein Ausgang brachten Europa in eine Schlingerphase, die wenigstens mehr als drei Jahrzehnte andauerte Rechts | 1909 baute die SSB die zunächst sehr großzügig erscheinende Anlage von Betriebshof und Hauptwerkstatt Ostheim, mit einem Hauch des Jugendstils versehen. Vierzig Jahre später wäre eine neue Anlage an anderer Stelle dringend gewesen, schlicht um wirtschaftlichere Wagen einzuführen. Zwei Kriege, eine mühsame Zwischen- und eine noch mühsamere Nachkriegszeit schufen ein Geldproblem, ein Werkstattproblem und damit einen Flaschenhals, der die SSB beinahe erdrosselt hätte S. 77 oben, links und rechts | In der „autogerechten“ Stadt hätte eine Ausflugslinie wie der Südwestast des Zweiers zwischen Westbahnhof, der Aussichtsplattform Bismarckeiche (Foto rechts) und dem Birkenkopf wohl so oder so nicht mehr lange bestanden. Der Metallhunger des Kriegs sorgte für ein noch viel früheres Ende dieses Streckenteils (Dokument links) S. 77 unten, links und rechts | Schon zu Kriegsbeginn 1939/40 waren die Anlagen und Wagen der Esslinger Straßenbahn, seit der Eröffnung 1912 nicht saniert, so stark abgewirtschaftet, dass die SSB auf Ersatz drängte, wohl wissend, dass es keinen „frischen“ Stahl gab. Die sofort angestrebte Umstellung auf elektrischen O-Bus-Betrieb – der brauchte keine Schienen, konnte aber den Fahrdraht nutzen - zog sich bis 1944 hin. In dieser Spätphase des Krieges war die Einführung dieses „Gummi“-Verkehrsmittels ein gewaltiger, reichsweit einmaliger Kraftakt
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Gottfried Bauer
Betriebsangehörigen beim Personal entstanden. versuchte die SSB mit der Einstellung von Frauen auszugleichen, die zu Schaffnerinnen und Hallenpersonal ausgebildet wurden. Vom verbliebenen männlichen Personal wurden etliche zu neuen Wagenführern umgeschult. ln den sogenannten Schwachverkehrszeiten schränkte die SSB den Fahrplan ein, setzte dafür aber – wie auch in den Hauptverkehrszeiten – gegenüber den Friedensjahren vermehrt Anhänger ein.
Die SSB während der Kriegs- und Nachkriegszeit Stuttgarts Straßenbahn im Zweiten Weltkrieg
Vollwerbung auf öffentlichen Verkehrsmitteln ist keine Erfindung der 1980er Jahre. Nach der vorhersehbaren technisch-logistischen Winterkatastrophe des deutschen Heeres 1941 vor Moskau gehörte im wortwörtlichen Sinne viel Unverfrorenheit dazu, weiterhin für das „Winterhilfswerk“ zu trommeln, dessen Aufgabe es doch gewesen wäre, schlichten Erfrierungstod an der Front zu verhindern
8. März 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Dieses Datum war 50* Jahre später nicht nur ein Tag des Gedenkens der schrecklichen Ereignisse, der Schuld und Verantwortung, sondern auch der Auswirkungen des Krieges in der Region. ln Stuttgart war das Kriegsgeschehen bereits am 21. April 1945 mit dem Einmarsch der französischen Truppen auf der linken Neckarseite und der US-amerikanischen rechts des Neckars beendet. Die nachfolgenden Zeilen erinnern an die SSB-Betriebsangehörigen, den Frauen und Männern jener schwierigen Zeit, die es ermöglichten, dass der Straßenbahnbetrieb in Stuttgart trotz Bombeneinwirkung und der herannahenden Front- von wenigen Unterbrechungen abgesehen - ständig aufrechterhalten werden konnte. 78
Die ersten Kriegsjahre Im letzten Friedensjahr 1938 beförderte die SSB 122 566 111 Personen, wozu die täglich eingesetzten 272 Trieb- und 414 Beiwagen eine Jahresleistung von über 18 bzw. 16 Millionen, zusammen 34 347 904 Wagenkilometer erbringen mußten. Um diese Arbeit zu bewältigen, beschäftigte die SSB 3094 Betriebsangehörige, in der Hauptsache Männer. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 requirierte die Wehrmacht einen Großteil der privateh Personen- und Lastkraftwagen für den Kriegseinsatz. Dadurch und durch die auf Hochtouren laufende Kriegsindustrie wuchs der Personen- und Güterverkehr bei der SSB sofort sehr stark an. Die Lücken, die durch die zum Dienst an der Front eingezogenen männlichen
Am 20. November 1939 stellte die SSB das Teilstück Westbahnhof - Charlottenbuche (unter halb des Birkenkopfs) der damaligen Linie 2, das nur dem Ausflugsverkehr diente, ersatzlos ein. Im Kriegsjahr 1940 stiegen die Fahrgastzahlen erneut stark an. Gleichzeitig musste die SSB den Fahrbetrieb weiter straffen, unter anderem durch Einstellung der Rundlinie 3 am 26. Februar, um das verstärkt zum Kriegsdienst eingezogene Personal (das übrigens in den PersonalIisten der SSB weitergeführt wurde) auszugleichen. Weitere Frauen traten in die Dienste der SSB. Auch auf dem Sektor des Güter verkehrs hatte die SSB neue und zusätzliche Aufgaben erhalten, so etwa den Transport von Speisekartoffeln. Diese wurden am Westbahnhof von Güterwagen der Deutschen Reichsbahn auf die Marktwagen der SSB umgeschlagen und teils zum Betriebshof Ostheim transportiert, wo sie verkauft und von der Bevölkerung mit Handwagen abgeholt wurden. * Dieser Beitrag erschien erstmals 1995
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Links und rechts | Der 1929 gebaute Triebwagen 300 diente 1939/40 als Versuchsträger für verschiedene Neuerungen. Die großflächige, ein- statt vormals dreiteilige Frontscheibe verbesserte die Sicht für den Fahrer und gab dem Fahrzeug ein moderneres Aussehen, der elektrische Scheibenwischer (statt Handbetrieb) erleichterte ebenfalls die Arbeit. Auffällig war die erstmalige Ausrüstung mit Mikrofon für den Fahrer (in Bildmitte deutlich erkennbar). Konsequent betrachtet, hätte dies den Verzicht auf den Schaffner im Triebwagen ermöglichen können, dennoch verbunden mit einer besseren Orientierung der Fahrgäste in der dunklen Stadt und einer rascheren Abfertigung der Kunden im Beiwagen, also eine Rationalisierung durchaus auch im Sinne der Kriegswirtschaft. Fotos 1940 offenbar in der Augsburger Straße – die Wagenserie lief auf der Gemeinschafts linie 26 Stuttgart – Esslingen von SSB und Städtischer Straßenbahn Esslingen
Das Geschäftsjahr 1941 brachte der SSB einen Anstieg der Beförderungsfälle um 9,38 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Jeder Einwohner Stuttgarts, vom Säugling bis zum Greis, benutzte die Straßenbahn nach der Statistik 317 Mal und das bei einer um 1,18 Prozent gesunkenen Wagen kilometerleistung. Auch beim Autobusverkehr konnten die vielen Fahrgäste nur befördert werden, weil zwei neue Omnibus-Personenanhänger im Berufsverkehr mitgeführt wurden. 1942 zeigte sich ein ähnliches Bild: Die Beförderungsfälle waren um 13,73 Prozent gegenüber 1941 weiter gestiegen und die Wagenkilometer sanken dagegen nochmals um 2,89 Prozent. Anhand dieser Zahlen läßt sich leicht vorstellen, welche drangvolle Enge seinerzeit in den Straßenbahnen und Omnibussen der SSB herrschte und welche Arbeit die Wagenführer und vor
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allem die Schaffner, die sich durch die Menschenmengen zwängen mussten, zu leisten hatten. Weitere männliche Betriebsangehörige der SSB wurden zur Wehrmacht eingezogen. Um die fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen, erhielt die SSB vom Reichsarbeitsdienst dienstverpflichtete junge Frauen als „Schaffnermaiden" zugewiesen. Für diese Kräfte richtete die SSB seinerzeit im Straßenbahner-Waldheim in Degerloch einfache Übernachtungsmöglichkeiten ein. Besondere Personal-Straßenbahnwagen brachten die jungen Schaffnerinnen vom Waldheim zu den verschiedenen Depots und zurück. Der Krieg forderte immer mehr Nachschub an Waffen, Munition, Transportmitteln und Ersatzteilen, so dass die Industrie in der Stuttgarter Region Höchstleistungen erbrachte. ln vielen
Betrieben musste sogar rund um die Uhr, auch an den Wochenenden, gearbeitet werden. Durch die Beförderung der Schichtarbeiter/innen von ihren Wohnungen zu den Arbeitsstätten und wieder zurück und durch den verstärkten Transport von Gütern mit der Straßenbahn stiegen die Zahlen der Personen- und Güterbeförderung im Jahr 1943 auf Rekordhöhe. Da die Kraftstoffzuteilung für die SSB stark gekürzt wurde, musste der größere Teil der Omnibusse auf Flüssig- oder Stadtgasbetrieb umgestellt werden, um den Personenverkehr aufrecht erhalten zu können. Aufgrund des „Reichsleis tungsgesetzes" von 1939 musste die SSB im Juni 1943 an die Stadt Mannheim, die wegen Luftangriffen schon viele ihrer Straßenbahnfahrzeuge verloren hatte, fünf Triebwagen der Reihe 500 (585 - 589) und an die Stadt Essen, die ebenfalls schwer getroffen worden war, zehn Triebwagen (590 - 599) und 11 Beiwagen der Reihe 1100 (1171 - 1181) zur Aufrechterhaltung des dortigen Verkehrs ausleihen.
Trotz Bomben und Granaten ... die Straßenbahn fährt! Blieb Stuttgart in den ersten Kriegsjahren von feindlicher Bombeneinwirkung weitgehend verschont. so änderte sich dies ab Herbst 1943 schlagartig. Die württembergische Hauptstadt wurde durch ihre kriegswichtige Industrie nun zu einem bevorzugten Ziel für britische und amerikanische Bomberflotten. Zum Schutz der Bevölkerung vor den Fliegerangriffen wurden Luftschutzstollen in die Berghänge getrieben. 79
an den Fahrzeugen zu beklagen waren. Damit die hell leuchtenden, gelb-weiß lackierten Straßenbahnfahrzeuge den Tieffliegern nicht als augenfällige Zielscheibe dienen konnten, ließ die SSB zahlreiche Trieb- und Beiwagen mit einem grau-braunen Tarnanstrich versehen und die Seitenscheiben wegen des Lichtaustritts bei Dunkelheit blau einfärben. Lediglich ein kleiner Sichtschlitz blieb frei, damit sich die Fahrgäste über die Strecke orientieren konnten. Auch die Frontscheinwerfer erhielten eine Abdeckkappe, die nur einen winzig kleinen Lichtstrahl auf die Straße leuchten ließ.
Links | Die Schaffnerinnen streben dem SSB-Waldheim zu. Der Sonder- oder Pendelwagen der Spielplatzlinie, der sie gebracht hat, macht sich Richtung Ruhbank auf den Weg. Auch der weiße Anstrich des Fahrleitungsmastes ist eine Folge der Verdunkelung Rechts | Privatsphäre fand im Schlafsaal der Schaffnermaiden im Waldheim keinen Platz. Dennoch oder gerade deshalb mochten viele Nutzerinnen ihre anstrengende wie rasch vorübereilende Dienstzeit als eine Art spannendes Jugendlager empfinden
Auch der Schwabtunnel wurde zum Luftschutzraum umgestaltet, daher musste die SSB die Endstation der Linie 6 ab dem 1. November 1943 von der Schreiberstraße zur Schwab-/ Augustenstraße zurückverlegen. Um trotzdem eine Straßenbahnverbindung zwischen Heslach und dem Westen anbieten zu können, ging dafür die Linie 3 auf dem Teilstück zwischen dem Marienplatz und der Schloss-/Silberburgstraße wieder in Betrieb. Um ein paar Straßenbahnzüge einzusparen, führte die SSB die Linie 25 ab dem 28. Oktober von Obertürkheim her kommend nicht mehr über den Schlachthof zum Schießplatz, sondern im Zuge der Linie 4 über den Ostendplatz und Charlottenplatz zum Hölderlinplatz, wodurch diese entfallen konnte.
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Bei Fliegeralarm mussten alle Straßenbahnen anhalten. Die Fahrgäste wurden angewiesen, die nächstgelegenen Luftschutzräume aufzusuchen. Das Straßenbahnpersonal hatte die Fahrzeuge zu sichern, das heißt alle Handbremsen anzu ziehen, alle Türen zu öffnen, den Rollenstromabnehmer (das „Stängle") abzuziehen und am Puffer festzubinden und der Wagenführer musste das Fahrbesteck an sich nehmen. Danach hatte auch das Straßenbahnpersonal umgehend Luftschutzräume aufzusuchen. ln der Regel schaltete die SSB bei Fliegeralarmen den Fahrstrom ab. Bei Entwarnung wurde der Fahrstrom wieder zugeschaltet, das Personal hatte zu seinen Fahrzeugen zurückzukehren und die Fahrt fortzusetzen, sofern der Fahrstrom eingeschaltet war und keine Zerstörungen an der Strecke und Fahrleitung oder Beschädigungen
Bei den nun folgenden, zahlreichen Luftangriffen wurden auch die Einrichtungen der SSB wie Fahrleitungen und Gleise, Betriebshöfe und Fahrzeuge durch Bombentreffer stark beschädigt oder total zerstört. Um die dadurch entstandenen Betriebsunterbrechungen so kurz wie möglich zu halten, musste das SSB-Personal oftmals improvisieren und zu unkonventionellen Abhilfemaßnahmen greifen. Nachdem fast alle Reserven bei den Abteilungen Gleisbau und Stromversorgung aufgebraucht oder zur Wieder herstellung zerstörter Streckenteile verwendet worden waren, ließ die SSB die Teilstrecke der Linie 2 vom Westbahnhof zur Charlottenbuche, die stillgelegte Strecke in der Wildunger Straße in Bad Cannstatt und die Schleife zum Bahnhof Zuffenhausen demontieren und auf den beschädigten Strecken in der Stadt wieder einbauen. Später mussten sogar die zerstörten Gleise und Fahrleitungen stückweise geborgen, hergerichtet und wiederverwendet werden. Immer wieder gelang es den SSB-Mitarbeitern, trotz immer
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Schlimm erwischte es auch den „Dreizehner", der ab Frühjahr 1944 nur noch etappenweise verkehren konnte und zeitweise sogar in fünf Streckenabschnitte unterteilt war. Aber .... er fuhr! Durch die Bombardierung des Depots Vogelsang sowie des Betriebshofs und der Haupt werkstatt in Ostheim erlitt die SSB ihre größten Verluste. Um weitere hohe Einbußen an Fahrzeugen zu vermeiden. ordnete die Direktion an. die Trieb- und Beiwagen nachts nicht mehr alle in den verbliebenen Wagenhallen unterzubringen, sondern auf dem Streckennetz zu verteilen.
Anzeige aus dem Stuttgarter „NS-Kurier“ vom 27. Februar 1941. Es wurden nicht nur dienstverpflichtete junge Damen, die parallel zum Wehrdienst der Männer ihren zivilen Beitrag zur Dienstleistung für den Staat erbringen mussten, aus dem ganzen Reichsgebiet nach Stuttgart - und anderswo hin – verfügt. Das – durchaus ansprechende – Inserat zeigt, dass die SSB auch anderweitige, örtlich ansässige Frauen zur freiwilligen und bezahlten Tätigkeit als normale Arbeitskraft suchte
größerer Ausfälle an Fahrzeugen und Material den Betrieb binnen kürzester Frist wieder flottzubekommen. Als die entstandenen Lücken (etwa wegen Bombenkratern im Gleisbereich, auf die Schienen gestürzter Trümmer der zerstörten Häuser) nicht mehr so schnell ge schlossen werden konnten, wurde der Straßen bahnverkehr einfach auf den beschränkt verbliebenen oder wieder befahrbar gemachten Streckenteilen aufgenommen und in der Innenstadt über Umleitungsstrecken gefahren. Die Mitarbeiterfrage wurde zusehends prekärer, immer mehr Männer des SSB-Personals mussten zur Wehrmacht einrücken, so daß die SSB bereits im Ruhestand befindliche Fahrer und Schaffner im Alter zwischen 65 und 70 Jahren in den Dienst zurückholte und auf die wenigen,
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nicht evakuierten Gymnasiasten/innen zurückgriff, die – nach kurzer Einweisung – in unterrichtsfreier Zeit für Schaffneraufgaben dienstverpflichtet wurden. Um den schwierigen Schaffnerdienst für diese ungelernten Hilfskräfte zu erleichtern, führte die SSB ein neues, einfaches Tarifsystem ein: Geradeausfahrschein (ohne Umsteigeberechtigung) für 20 Reichspfennig und einen Fahrschein mit Umsteigeberechtigung für 30 Reichspfennig. Nach einem schweren Luftangriff auf das Gebiet der Rosenbergstraße und den Hegelplatz sowie der Landhaus-/Sängerstraße musste der Betrieb der Linie 6 am 24. Juli 1944 und das Teilstück Neckarstraße - Werfmershalde - Ostendplatz der Linie 2 ersatzlos eingestellt werden. Beide Strecken waren daraufhin jahrelang stillgelegt.
Trotz der immer näherrückenden Front fuhren die Straßenbahnen in Stuttgart bis einen Tag vor dem Einmarsch der französischen Truppen. Auf Befehl der obersten Heeresleitung wurde (auch) in Stuttgart durch den Gauleiter Murr angeordnet, dass vor dem Einmarsch fremder Truppen sämtliche Neckarbrücken zu sprengen seien. Diesem Befehl wurde kurz nach der Flucht des Gauleiters aus Stuttgart gefolgt, lediglich die für die Wasserversorgung Stuttgarts lebenswichtigen Neckarübergänge Gittersteg und Mühlsteg konnten wegen des beherzten Widerstands einiger mutiger Männer (darunter auch der damalige Oberbürgermeister Strölin) verhindert werden. Bei Bekanntwerden dieses unsinnigen Sprengbefehls arbeitete die zuständige SSB-Wagenabteilung einen Verteilungsplan für den Fahrzeugbedarf des künftig zweigeteilten Netzes aus und ließ in den Nächten 19./20. und 20./21. April entsprechend umrangieren. Am 21. April rückte kein Fahrzeug der SSB mehr aus.
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Links | Gegensätze: Schaffnerinnen und Schaffner bei der Abrechnung im Betriebshof, um 1942. Die Dame in Bildmitte gehört sicherlich nicht zur Zielgruppe der „KHD-Maiden“, die Kollegin links von ihr vielleicht eher. Der Herr rechts entstammt offensichtlich der Anwerbeaktion für hilfswillige Rentner. Es liegt auf der Hand, dass dieser kurzfristige und massive Umbruch in der (SSB-) Arbeitswelt manches Erfreuliche bot, aber vor allem auch Anlass für zwischenmenschliche Spannungen und Konflikte – nicht nur, weil die SSB mit zu Gunsten der neuen Mitarbeiterinnen das komplizierte Tarifwesen vereinfachte Rechts | Um zu verhindern, dass weitere Wagen in der Stadt oder den Betriebshöfen ein Opfer der Bomben würden, verfügte die SSB im Herbst 1944 die „Außenabstellung“ der Züge – verbunden mit Einschränkungen der Spät- und Frühfahrten, weil die Wagen logischerweise dann die Strecke blockierten
Betriebsergebnisse und Bestände der SSB in der Kriegs- und Nachkriegszeit Jahr Fahrzeugbestand Tw Bw 1938 368 460 1939 392 460 1940 1941 1942 1943 1944 255 311 1945 171 225 2) 1946 179 239 3) 1947 1948 1949 289 372 1950 312 426
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Beförderungfälle 122.556.111 135.502.236 145.122.726 158.741.074 180.543.421 187.896.867 126.491.465 96.794.090 188.164.180 206.656.070 202.447.738 171.864.323 165.607.529
Betriebsleistungen Personalbestand Wagen-km Tw-km Bw-km 34347904 18.238.652 16.109.252 3094 34935568 18.075.772 16.859.796 3146 33598092 16.318.430 1.727.966 3003 33200708 16.011.822 17.188.886 2941 32268692 15.318.418 16.950.224 1) 30669618 14.572.676 16.084.942 1) 20770847 9.830.711 10.940.136 1) 16038623 6.913.845 9.118.623 2740 28894768 12.627.868 16.266.900 3075 25322625 10.573.625 14.748.716 3114 26898056 11.086.006 15.812.050 3211 30818917 13.750.235 17.068.682 3390 33627408 15.435.250 18.187.158 3536
1) Kriegsbedingt keine Angaben veröffentlicht. 2) Eingesetzt werden konnten nur 107 Triebund 192 Beiwagen, alle anderen waren wegen Kriegsschäden abgestellt. 3) Einschließlich der aus Pforzheim und Würzburg geliehenen Fahrzeuge.
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Blick aus der Holzgartenstraße nach Südosten über die Kreuzung Schloss-/Büchsenstraße, um 1955. Rechts entsteht die Liederhalle, links das Vermessungsamt. Fast frei geht der Blick Richtung Innenstadt – wo bis 1944 dicht an dicht Häuser standen, zeigen sich auch zehn Jahre nach Kriegsende oft nur verwilderte Trümmergrundstücke
Die erste Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Aufgrund militärbehördlicher Anordnung musste der Straßenbahnbetrieb in Stuttgart sowohl im französisch besetzten Teil links des Neckars wie auch in der amerikanischen Zone rechts des Neckars auf unbestimmte Zeit eingestellt werden. Die betriebslose Zeit verstrich jedoch nicht ungenutzt, im Gegenteil, die SSB-Mitarbeiter krempelten ihre Ärmel hoch und räumten verschüttete Ortlichkeiten, an denen zuvor Häuser gestanden hatten, um die Fahrleitung provisorisch aufzuhängen und setzten die Strecken und Fahrzeuge instand, so gut es eben ging. So war es möglich, dass am 11. Mai 1945 nach intensiven Bemühungen des von der Militärregierung eingesetzen Oberbürgermeisters Dr. Arnulf Klett die Straßenbahnen wieder fahren durften. Als erste verkehrten die Linien 1 (Kaltental – Berg), 2 (Westbahnhof – Schlossplatz – Vogelsang – Botnang), 5 (Degerloch – Möhringen), 10 (Geroksruhe – Hauptbahnhof) und 26 (Hedelfingen – Ostendplatz – Schlossplatz) und bedienten damit etwa 20 Prozent der 1938 befahrenen Netze, ferner die Zahnrad- und Filderbahn. Dafür standen gerade noch 107 Trieb- und 192 Beiwagen zur Verfügung (gegenüber 392 Triebund 460 Beiwagen vor dem Kriege). Die ersten Wagen durften ab 6.30 Uhr aus den Betriebshöfen ausrücken und die letzten mussten abends spätestens 20 Uhr wieder eingerückt sein. Da für die einheimische Bevölkerung ein nächtliches Ausgehverbot zwischen 20 Uhr und 6.30 Uhr bestand, wurde für die Straßenbahn mit der Militärbehörde folgende Vereinbarung getroffen: Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
„Straßenbahner des Fahrdienstes in Uniform werden von 6 - 21 Uhr nicht beanstandet, so dass für den Weg zum Dienst morgens eine halbe Stunde und für den Nachhauseweg abends eine Stunde zur Verfügung steht.'' Ab dem 13. Mai verkehrte auch rechts des Neckars wieder die Straßenbahn, und zwar die Linie 1 von der König-Karls-Brücke nach Fellbach und Linie 12 vom Bahnhof Bad Cannstatt zur Oberen Ziegelei. Außerdem konnte die Linie 5 von Degerloch aus weiter bis Zuffenhausen fahren, Linie 16 von Degerloch nach Feuerbach, Linie 18 von der Heidehofstraße nach Gablenberg und Linie 21 von Berg nach Heslach. Fast täglich kamen neue, wieder instandgesetzte Streckenteile hinzu. Da die Hauptwerkstatt in Ostheim durch Bomben treffer total zerstört war, musste die SSB deren Aufgaben auf die verschiedenen Wagenhallen auslagern und zu Fremdfirmen verlegen (unter anderem zu Firma Karosseriefabrik Reutter & Co. mit deren Werken in der Augustenstraße und auf dem heutigen Gelände der Firma Porsche in Zuffenhausen). Die Instandsetzung und die Instandhaltung der Fahrzeuge war sehr mühsam und verlangte viel Improvisationstalent von sämtlichen Mitarbeitern, da an allen Ecken und Enden Ersatzteile und Werkstoffe aller Art fehlten und kaum zu be kommen waren. So wurden etwa wegen Glasmangels die vielen kriegsbedingt zerbrochenen Glasscheiben in den Türen und Seitenfenstern der Straßenbahnwagen im wahrsten Sinne des Wortes mit Brettern „vernagelt". Lediglich ein kleines Guckfensterchen konnte die SSB in den einen oder anderen Fensterbretterverschlag 83
Die „Enttrümmerung“ in voller Aktion, in der Rosenbergstraße, 1947/48. Die gezeigten Häuser haben nicht nur den Bombenkrieg halbwegs überstanden, sondern auch die Zeiten der „autogerechten“ Stadtplanung
einbauen lassen. Man war sogar gezwungen, intakte Seitenfensterscheiben auszubauen, um daraus Glas für die Frontfenster von Triebwagen herzustellen. Mangels Ersatzteilen konnten auch die defekten Fahrmotoren teilweise nicht mehr repariert werden, so dass der eine oder andere Triebwagen mit nur einem Fahrmotor eingesetzt werden mußte, wodurch natürlich weitere Motorschäden vorprogrammiert waren und es zu zahlreichen Totalausfällen kam. ln den ersten Nachkriegsmonaten wurde in den verkehrsschwachen Zeiten und vor allem an Sonntagen tagsüber der Straßenbahn (und den Privathaushalten) der elektrische Strom abgeschaltet, um diese kostbare und knapp gewordene Energie zu schonen und einzusparen und der gerade wieder auflebenden Wirtschaft, dem 84
Handel und dem Gewerbe zur Verfügung zu stellen. Dadurch ruhte der Straßenbahnverkehr des öfteren stunden- oder gar halbtageweise. Aber auch die häufigen Sieges- und sonstigen Paraden der französischen und amenkanischen Truppen in der Innenstadt und in manchen Stadtteilen führten häufig zu Betriebsunterbrechungen oder Linienumleitungen. Täglich fanden auf verschiedenen Plätzen zu unregelmäßigen Zeiten „Flaggenparaden" statt. Dazu musste die Betriebsabteilung der SSB am 5. Juni 1945 die „Bekanntmachung Nr. 33 an alle Bahnen" herausgeben: „Während der Flaggenhissung oder Niederholung darf' über die betreffenden Plätze nicht gefahren werden. Die Fahrer müssen also ihr Augenmerk hierauf richten und wenn sie bemerken, daß solche Flaggenparaden stattfinden, anhalten bis zur Beendigung der Feierlichkeit."
Manche der Schwierigkeiten, die die SSB in jener Zeit zu bewältigen hatte, und im Nachhinein unverständlich erscheinen, geben heute Anlass zum Schmunzeln. So ließ beispielsweise die französische Militärregierung, die ihren Sitz im Feuerbacher Rathaus hatte, mitten auf dem Wilhelm-Geiger-Platz für die französische Nationalflagge einen Fahnenmast aufstellen und zwar genau mittig in das Gleis der Linien 13 und 16, so dass ein durchgehender Verkehr unmöglich war. Die beiden Linien mussten daher vom Pragwirtshaus kommend bereits an der kleinen Schleife in der Nähe des Feuerbacher Bahnhofs zur Rückfahrt wenden. Der aus Gerlingen kommende Dreizehner setzte bereits am Feuerbacher Hochhaus zur Rückfahrt um. Zwischen dem Bahnhof Feuerbach und dem Wilhelm-Geiger-Platz sowie vom WilhelmGeiger-Piatz bis zum Hochhaus pendelten einzelne Wagen hin und her. Die Fahrgäste mussten immer vor dem Hindernis die Fahrzeuge verlassen, über den Platz gehen, um in den dahinter zur Weiterfahrt wartenden Wagen zu gelangen. Beim Überqueren des Platzes hatten sämtliche männliche Personen die dort wehende Trikolore zu grüßen! Zwar konnte die Direktion der Stuttgarter Straßenbahnen AG zusammen mit Oberbürgermeister Dr. Klett nach ein paar Wochen bei der französischen Militärregierung erreichen, dass der Fahnenmast versetzt wurde und die Linien 13 und 16 endlich wieder durchfahren konnten. Die Fahrgäste mussten jedoch weiterhin bereits vor dem Platz aussteigen und ihn zu Fuß über queren, um dahinter,dann in den zwischenzeit-
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Der Bereich Berliner Platz um 1955: Zugunsten von mehr Autoverkehr und zu Lasten der grünen Parkanlage hat man die Schlossstraße bereits verbreitert und verschwenkt. Noch prägen Ruinenreste und verkohlte Grundmauern die Anliegerseite
lich leer über dert Platz gefahrenen Straßen bahnzug zu gelangen (wobei die Männer nach wie vor die Trikolore zu grüßen hatten!). Glücklicherweise wurde diese Anordnung dann bald aufgehoben.
Vaihingen, Gablenberg, Sillenbuch, Botnang, Feuerbach und Zuffenhausen. Wer etwas dorthin zu transportieren hatte, musste sein Transportgut spätestens eine Stunde vor Abfahrt am Karlsplatz anliefern.
Da es in Stuttgart nach dem Zweiten Weltkrieg kaum private Kraftfahrzeuge und nur wenige Pferde-Transportunternehmer gab, mangelte es an Transportmöglichkeiten für Güter aller Art, vor allem für Lebensmittel. Aus diesem Grunde organisierte die Speditionsfirma Barr, Moering & Co. in Stuttgart ab dem 19. Juli 1945 zusammen mit der SSB einen Gütertransport mit SSBMarktwagen. An jedem Dienstag, Donnerstag und Samstag rollten vom Gütergleis am Karlsplatz (das entlang dem Alten Waisenhaus lag) um 9.30 Uhr SSB-Güterzüge nach Möhringen und Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
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1937 bastelte die SSB aus zwei betagten Motorwagen von 1912 diesen als Nummer 501 geführten Zwillingstriebwagen. Durch den entstandenen „Großraum“ hätte ein Schaffner pro Einheit eingespart werden können. Vordergründig eine Maßnahme zur Kostensenkung, wäre damit vor allem eine Einsparung von Personal erzielt worden – interessant, wenn man bald viele Soldaten braucht. Auch ein Laie konnte ahnen, dass Fahreigenschaften und Übersichtlichkeit dieser „Ziehharmonika“ vor allem in Gegenbögen wenig vorteilhaft gewesen sein müssen. Die Aktion wurde deshalb in dieser Form nicht mehr weiter verfolgt
retten können. Da aber dort infolge der Zerstörungen zunächst kaum ein öffentlicher Nahverkehr möglich war, zeigten sie sich bereit, Stuttgart auszuhelfen. So konnten im Herbst 1945 von Würzburg sieben beige lackierte Trieb- und acht Beiwagen nach Stuttgart entsandt und wenige Wochen darauf aus Pforzheim 13 blau angemalte Motorwagen des Baujahres 1926, fünf von 1939 sowie 15 Anhängewagen übernommen werden.
Permanenter Fahrzeugmangel Auch für den wieder erwachten Personenverkehr standen weitgehend nur die Fahrzeuge der Straßen- und Filderbahn zur Verfügung. Durch die aus der Evakuierung zurückkehrenden Stuttgarter/innen und die hinzugekommenen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge und durch den Wiederbeginn der Arbeit bei der Industrie, Handel und Gewerbe stieg das Fahrgastauf kommen sehr schnell und stark an. Doch auch außerhalb des Berufsverkehrs hatte die SSB hohe Fahrgastzahlen, was insbesondere auch auf die seinerzeit üblichen „Hamsterfahrten" in die umliegenden. damals noch ländlich strukturier ten Stadtteile zurückzuführen war. Hamstern war zwar verboten, es konnte aber bei der hungernden Bevölkerung nicht unterbunden 86
werden. Auch dafür war damals die Straßenbahn für die Menschen lebenswichtig, trotz mancher Tragödie, die sich ereignete, wenn die Straßenbahn unterwegs von der Polizei angehalten wurde, um die Fahrgäste nach Hamstergut zu durchsuchen, das dann beschlagnahmt wurde. Aus vorgenannten Gründen herrschte in den Fahrzeugen der SSB seinerzeit tagtäglich ein bis dahin noch nie dagewesener Platzmangel. Daher bemühte sich der von den Militärbehörden aus dem Ruhestand zurückgeholte SSB-Direktor Loercher schon im Sommer 1945, von anderswo Fahrzeuge nach Stuttgart zu holen. Seine Bemühungen führten schließlich in Würzburg und Pforzheim zum Erfolg. Beide Städte, obwohl fast völlig zerstört, hatten wie durch ein Wunder fast ihren gesamten Wagenpark über den Krieg
Die Fahrzeuge wurden auf Flachwagen der Eisenbahn nach Kornwestheim und von dort mittels eines Tiefladers zum Betriebshof Zuffenhausen gebracht und abgeladen. Während die etwas schwächer motorisierten Würzburger und die älteren der Pforzheimer Wagen von Anfang an auf der Linie 1 E zwischen Berg und Heslach (später auch auf der Linie 14 Heslach – Berg – Münster) eingesetzt waren, fuhren die formschönen Pforzheimer Wagen von 1939 auf der Linie 10 (Am Kochenhof – Sillenbuch). Doch es stellte sich bald heraus, dass diese Wagen, die in Pforzheim kaum Bergstrecken zu bewältigen hatten, für den „Zehner" nicht geeignet waren. Dies zeigte sich besonders schmerzlich, als am 11. Februar 1946 bei dem Pforzheimer Triebwagen Nummer 40, der von Sillenbuch kommend die steile Alexanderstraße hinabfuhr, die Bremsen versagten und der Zug mitten in den an der Haltestelle Olgaecke stehenden Triebwagen 320 hineinfuhr. Dieser Unfall mit mehreren Toten und Verletzten war Anlass, diese Wagenreihe nun ebenfalls nur noch auf den Tallinien 1 E und 14 einzusetzen.
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Von Gleisen unabhängige Turmwagen in motorisierter Form waren in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg noch nicht sehr verbreitet. Mit Wonne setzte die SSB daher diese Turm-Lkw ein, um ihre Fahrleitungsanlagen in der zunehmend zerstörten Stadt rasch wieder instandzusetzen. Die Wehrmacht hatte die Fahrzeuge in Frankreich erbeutet. Ordnungsgemäß wurde an ihnen das vorgeschriebene deutsche Zeichen für die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit angebracht. Aufnahme in der Schlossstraße
Für den Betrieb der Linie 13 E, die zwischen Gerlingen und Bahnhof Feuerbach verkehrte. setzte die SSB die Filderbahntriebwagen 126 bis 129 und die etwas breiteren Filderbahnbeiwagen 161 bis 163 zum Depot Feuerbach um. Dafür gab die Straßenbahn EsslingenNellingen-Denkendorf GmbH (END) je zwei Trieb- und Beiwagen an die Filderbahn ab und ihren Triebwagen Nummer 20 zur Wagenhalle Bad Cannstatt. Der letztgenannte, der frühere SSB „Königswagen" Nummer 300, verkehrte zunächst auf dem Teilstück der Linie 25 Untertürkheim – Obertürkheim (links des Neckars). Später dann pendelte er auf dem Teilstück der Linie 14 zwischen der gesprengten Aubrücke in Münster und der Hofener Neckarbrücke. Glücklicherweise gaben die Städte Essen und Mannheim die ihnen seit 1943 ausgeliehenen
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Trieb- und Beiwagen wieder zurück (soweit sie dort nicht durch Kriegseinwirkung zerstört wurden). Doch auch die Würzburger und Pforz heimer sowie die anderen Aushilfen waren nur ein Tropfen auf einen heißen Stein, denn die SSB hatte mit permanenten Wagenaus fällen wegen Überlastung zu kämpfen. Zudem benötigten die beiden Städte ihre Fahrzeuge Ende 1946 und Anfang 1947 wieder für ihren eigenen Straßenbahnbetrieb und verlangten sie zurück. Es mussten dringend zusätzliche Fahrzeuge zur Bewältigung des täglichen Verkehrs beschafft werden. Das für den Erwerb von Neubaufahrzeugen erforderliche Kapital hätte zwar vorgelegen und die notwendigen Kapazitäten wären bei verschiedenen Fahrzeugherstellern vorhanden gewesen. Der Bau neuer Fahrzeuge mußte aber deshalb ausscheiden, weil Eisenund Nichteisenmetalle durchweg rationiert oder kontingentiert und nur mit militärbehördlicher Genehmigung zu beschaffen waren. So machten die Ingenieure und Techniker der SSB aus der Not eine Tugend: ln den eigenen Werkstätten ließen sie die Fahrgestelle von 15 kriegsbeschädigten Triebwagen der Reihen 200, 400 und 600 wieder soweit instandsetzen, dass darauf neue Holzwagenkästen nach den alten Bauplänen und drei Exemplare der Reihe 300 nach Plänen für die Reihe 600 durch die Karos seriefabrik Reutter & Co. und Maschinenfabrik Esslingen (ME) aufgebaut werden konnten. Diese Fahrzeuge gingen zwischen 1946 und 1949 in Betrieb. Vor diesem Hintergrund kann es als besonderer Glücksfall bezeichnet werden, dass die Heidel-
berger Waggonfabrik H. Fuchs AG, die während des Zweiten Weltkriegs den so genannten „Kriegsstraßenbahnwagen" (KSW) in großen Stückzahlen für viele deutsche Straßenbahnbetriebe fertigte, im Sommer 1946 der SSB 15 fast fertiggestellte Exemplare dieser robusten, dreifenstrigen Triebwagenreihe anbot, allerdings ohne die dazugehörigen Motoren. Die SSB griff trotzdem sofort zu und lieferte an Fuchs aus ihrem Fahrzeug-Motorenfundus (den sie über den Zweiten Weltkrieg retten konnte) 18 AEGMotoren des Typs US 533a (mit je 50 Kilowatt Leistung) und 12 des Typs US 523a (mit 52,5 Kilowatt) zum Einbau in diese Wagen, die den Fahrgästen nur 12 Einzelsitzplätze auf Holzbänken, dafür aber 78 Stehplätze boten. Im Spätherbst tauchten die ersten Vertreter der neuen Wagenreihe 726 bis 740 auf der Linie 25 (Hölderlinplatz – Charlottenplatz – Stöckach – Ostendplatz – Wangen, Neckerbrücke – linkes Ufer) auf, quasi als erstes Signal für den beginnenden Wiederaufbau des SSB-Wagenparks. Um den Fahrzeugengpass bei den Beiwagen zu lindern, ließ die SSB ebenfalls zwischen 1946 und 1949 auf 15 Fahrgestelle kriegszerstörter Anhänger der Reihe 1100 von der Karosseriefabrik Reutter & Co. neue Wagenkästen nach Plänen der Beiwagenreihe 1400 aufbauen. Die ME erhielt den Auftrag, von 1946 bis 1948 auf insgesamt 50 Fahrgestellen kriegszerstörter Beiwagen der Reihe 800 und 1400 so genannten „Notaufbauwagen" zu fertigen. Bei diesen Anhängern, die der Beiwagenreihe 1400 äußerlich ähnelten, wurden all jene Bauteile, die für einen sicheren Fahrbetrieb nicht unbedingt 87
Auferstehend aus Ruinen: Vom Rotebühlplatz kommend, biegt 1948 am Wilhelmsbau dieser Zug mit dem voluminösen KS-Wagen an der Spitze in die von der Königstraße kommenden Gleise Richtung Querspange ein. Der sichtbare Gebäuderest, an dem noch das Werbe emblem der Brauerei Leicht prangt, wurde alsbald beseitigt und die Straße begradigt: Die Bomben hatten innerhalb von drei Jahren die planerischen „Grundlagen“ für eine Neugestaltung der Stadt bewirkt, die sonst ein oder zwei Generationen gedauert hätte – ob zu ihrem Vor- oder Nachteil, lässt sich nicht beurteilen
notwendig waren, entweder einfachst ausgeführt (z. B. Seitenwände und Dach aus Pressspanplatten statt aus Stahlblech und Holz, Griffleisten und Fensterrahmen aus Holz statt aus Metall) oder ganz weggelassen (wie lnnentüren, lnnenfenster. Innenwandverkleidungen), weshalb sie sowohl beim Personal wie auch bei den Fahrgästen den treffenden Spitznamen „Pappendeckelwagen" erhielten. Trotz ihrer primitiven Ausstattung und spartanischen Einfachheit waren sie zum Teil bis 1959 auf dem Stuttgarter Straßenbahnnetz anzutreffen. Der letzte dieser Anhänger mit der Nummer 950 ist noch im Straßenbahnmuseum Zuffenhausen, heute Straßenbahnwelt Stuttgart, Bad Cannstatt zu bewundern.
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Langsam wieder aufwärts Es ist bewundernswert, wie die Mitarbeiter der SSB und der von ihr beauftragten Firmen sich unablässig bemühten, mit oftmals primitivsten Mitteln und Improvisation die Straßenbahn am Fahren zu halten. So entstand bereits im Laufe des Jahres 1946 auf dem Gelände der Hauptwerkstatt in Ostheim wieder eine Montagehalle mit 1400 qm Grundfläche, auf der ein Großteil der seither ausgelagerten Werkstattbereiche wieder zusammengeführt werden konnten. Zwar musste zunächst noch mit mehr oder weniger „antiquierten" Maschinen und Geräten gearbeitet werden, doch langsam konnte alles erneuert werden. Der Wiederaufbau der übrigen zerstörten Betriebsgebäude schritt kontinuierlich fort, so dass die verschiedenen Betriebszweige nach und
nach wieder an ihre ursprünglichen Örtlichkeiten zurückkehren konnten. Durch den Bau einer Behelfsbrücke über den Neckar in der Nähe des Berger Stegs trat beim Fahrbetrieb eine große Erleichterung ein. Die Linie 1 fuhr ab dem 17. August 1946 von Stuttgart kommend in Berg durch die Nißlestraße, kreuzte die damalige Ulmer Straße (heute Poststraße), um dann über eine Rampe auf die Notbrücke über den Neckar zu gelangen. Auf weiteren Rampen ging es jetzt hinunter auf den Cannstatter Wasen, der rechtwinklig überquert wurde, und über eine dritte Rampe (parallel zur Mercedesstraße) hinauf zum rechten Brückenkopf der gesprengten König-KarlsBrücke und auf die alte Strecke zum Wilhelmsplatz Bad Cannstatt (und weiter nach Fellbach). Auch der „21er" erhielt zum gleichen Tag wieder seine alte Linienlage vom Leipziger Platz über den Schlossplatz – Berg und die Notbrücke über den Neckar zum Bahnhof Bad Cannstatt und weiter über den Kursaal zur Oberen Ziegelei. Auf dem Weg nach Münster und zum Hallschlag übernahmen anstelle der Linien 1 und 21 die Linien 14 und 12 von Heslach aus die Bedienung dieser Stadtteile. Nach wie vor war die Bereitstellung von ausreichend betriebsfähigem Rollmaterial – allen Anstrengungen bei der Wiederherstellung und allen Neubeschaffungen zum Trotz – täglich die größte Sorge. So ging der Bestand einsatzfähiger Triebwagen von 179 im Januar 1947 bis Dezember 1947 auf 163 zurück. Der ständige Fahrzeugmangel zwang die SSB am 17. Februar 1947 sogar, den bisherigen zehn-Minuten-Grundtakt auf 12 Minuten zu strecken. Erst nach der
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1946 am Marienplatz: Einer der aus Pforzheim ausgeliehenen Straßenbahnwagen in Stuttgart, sofort erkennbar an der charakteristischen blau-weißen Lackierung mit den beidseitigen Zierlinien. Die „Guckfenster“ sind diesmal kein Produkt einer gewollten Verdunkelung, sondern des Mangels an Glas. Der Mitarbeiter in der Mitte hat offensichtlich den Krieg nicht ohne dauerhafte körperliche Schäden davongetragen
Währungsumstellung von der Reichsmark auf die Deutsche Mark am 20. Juni 1948 entspannte sich die Lage, zum einen wegen der jetzt spürbar rückläufigen Fahrgastzahlen, zum anderen wegen der verstärkt hinzukommenden, neu aufgebauten oder wiederinstandgesetzten Trieb- und Beiwagen. Auch die seither üblichen langen Abstellzeiten ausgefallener Fahrzeuge konnten wesentlich verkürzt werden, da die Ersatzteilbeschaffung nun bedeutend weniger Probleme bereitete. Bevor an den Wiederaufbau der zu über 80 Prozent zerstörten Innenstadt Stuttgarts gedacht werden konnte, mussten zuerst die zum Teil einsturzgefährdeten Ruinen beseitigt und die Trümmer berge weggeschafft werden. Da aber keine ausreichenden Lastwagenkapazitäten dafür zur Verfügung standen, hatte die Straßenbahn auszuhelfen. Gemeinsam mit der Stadt Stuttgart Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
gründete die SSB zu diesem Zwecke die „Gemeinnützige Gesellschaft für Trümmerverwertung und -beseitigung in Stuttgart GmbH" TVB. Diese GmbH beschaffte sich von der ME zwischen 1946 und 1947 insgesamt zwölf zweiachsige Meterspur-Lokemotiven und von Fuchs, Heidelberg, 50 zweiachsige Anhänger mit jeweils drei Kippmulden. ln der Innenstadt transportierten kleine Feldbahnen mit Dampflokomotiven und Kipploren die Trümmer zu verschiedenen Umladestellen. Eine davon befand sich in der Fritz-Eisas-Straße an der Stelle, an der heute die Stuttgarter Musikschule steht. Dort wurden die Trümmer von den kleinen Loren in die TVB-Muldenkipper geleert. Mit jeweils drei dieser Anhänger fuhren die Trümmerlokomotiven zum so genannten „Flaschenhals", ein tief liegendes Gelände am Neckar zwischen Gaisburg
und Wangen, etwa in Höhe des heutigen Großmarkts. Dort befand sich eine Schredderanlage, die die noch brauchbaren Trümmersteine zu einem Riesel zermahlte, aus dem die TVB eine Art Hohlblocksteine fertigte, die für die ersten Wiederaufbaumaßnahmen in Stuttgart Verwendung fanden. Mit den verbleibenden Resten wurde das „Fiaschenhalsgelände" aufgefüllt. Am 31. August 1948 stellte die SSB den Trümmertransport ein. Sechs der insgesamt zwölf Lokomotiven konnten an andere Straßenbahnen verkauft werden. Die verbliebenen sechs reihte die SSB unter den Nummern 2021 bis 2026 in ihren Arbeitswagenpark ein. Als letzte war die Loko motive 2023 bis Mitte 1994 in Betrieb. Mit eigener Kraft rollte sie als Zeuge jener schwierigen Zeit ins (damalige) Straßenbahnmuseum in Zuffenhausen. Die 50 Muldenkippanhänger wurden anfangs der fünfziger Jahre verschrottet. Ab dem 18. Juli 1948 konnten auf dem ehema ligen „Westring", der früher von der Linie 6 befahren wurde, von der Schreiberstraße durch den Schwabtunnel und über die Rosenbergund Kriegsbergstraße wieder Straßenbahnen zum Hauptbahnhof fahren. Dieses Streckenstück verband die SSB mit dem am 13. September 1948 dem Betrieb übergebenen Reststück Hauptbahnhof – Werfmershalde – Ostendplatz des früheren „Ostrings" und setzte darauf die neue Linie 20 ein. Nun befuhr die SSB bereits 95 Prozent ihres 1938 betriebenen Netzes. Die neugebaute König-Karls-Brücke, über die ab dem 27. September 1948 die Linien 1 und 21 wieder fahren konnten, brachte eine weitere Erleichterung für den Straßenbahnbetrieb. 89
konnte. Mit der Anschaffung von 20 farbrikneuen Trieb- und 50 Beiwagen im Sommer 1950 war die Nachkriegszeit bei der SSB weitgehend überwunden, man konnte jetzt beinahe wieder von „Normalbetrieb" sprechen.
Für die Herkulesaufgabe, Millionen Kubikmeter von Trümmerschutt aus der Stadt abzufahren, war es nicht mehr mit dem Einsatz betagter Straßenbahnwagen als Zugmaschinen getan, schon wegen deren geringer Antriebsleistung. Mit Sondergenehmigung der Alliierten durfte die SSB daher bei der Maschinenfabrik Esslingen zwölf Stück einer kurzfristig neu konstruierten, höchst massiven und wendigen kleinen E-Lok bestellen, die noch 1946 die Werkhallen verließen. Die Verwendung von Panzerplatten ergab ein sehr willkommenes hohes Adhäsionsgewicht. Während Lok 2023 längst in der Straßenbahnwelt Stuttgart zu bewundern ist (Foto), steht ein Exemplar dieser unkaputtbaren Type noch heute bei der Straßenbahn Würzburg im Bauzugdienst, wohin sie schon vor Jahrzehnten verkauft wurde
Im Jahr 1949 normalisierte sich der Verkehr bei der Straßenbahn merklich. Zum einen fielen die häufigen Hamsterfahrten weg, zum anderen machten Fahrradfahrer und die neu zugelassenen Personen- und Lastkraftwagen der Straßenbahn spürbare Konkurrenz. Darüber hinaus ließ die nach der Währungsreform festzustellende Geldknappheit viele Bürger wieder preisbewusster und sparsamer werden, so dass auf manche Straßenbahnfahrt verzichtet wurde, was sich bei den Beförderungszahlen deutlich zeigte. Da gleichzeitig aber wiederinstandgesetzte und neu aufgebaute Fahrzeuge hinzukamen, entspannte sich die Lage zusehends und die ständig überbesetzten Fahrzeuge mit Menschentrauben auf den Trittbrettern, wie sie nach dem Kriege gang und gäbe waren, gehörten bald der Vergangenheit an. Als schließlich ab dem 24. 90
Oktober 1949 auch die Linie 3 zwischen Marien platz – Schloss-/Silberburgstraße – Hauptbahnhof – Charlottenplatz – Olgastraße – Heusteig straße – Marienplatz wieder ihre „Runden" drehen konnte, war fast das ganze Vorkriegsnetz der SSB in Betrieb. Lediglich die kurzen Strecken vom Westbahnhof zur Charlottenbuche und vom Neckarstadion zum Schlachthof wurden noch nicht oder nicht mehr befahren. Dafür kamen aber mehrere neue Omnibuslinien zu verschiedenen Wohngebieten hinzu. Trotz der rückläufigen Fahrgastzahlen sah die Bilanz der SSB – auch wegen des wieder eingeführten Zonentarifs – gar nicht schlecht aus. Man war jetzt sogar in der Lage, für das kommende Jahr 1950 den Bau der neuen Straßenbahnstrecke nach Stammheim in die Wege zu leiten, die dann bereits am 13. Mai 1950 eingeweiht werden
„In der Nacht vom 20./21. April 1945 befand sich der Verfasser in Cannstatt, um in der Erwartung der drohenden Brückensprengungen einen selbstän digen Straßenbahnbetrieb rechts des Neckars vorzubereiten und zu diesem Zweck die noch betriebsfähigen Straßenbahnwagen und Autobusse sinnvoll auf beide Neckarseiten zu verteilen. Als er dann in der Nacht durch die verdunkelte Stadt, die nur durch einzelne Brände erhellt wurde, nach Hause fuhr, hätte er auf die Frage, wie er sich den Betrieb zehn Jahre später vorstelle, sicherlich nur ein resigniertes Achselzucken gehabt.“ Betriebsleiter Helmut Seeger zitiert in Loercher, Paul: Die Geschichte der Stuttgarter Straßenbahnen AG von 1928 – 1958. Stuttgart 1963, S. 34 Hinweis: Die Sprengungen der zahlreichen Eisen bahn- und Straßenbrücken in Deutschland in den letzten Kriegstagen 1945 in Deutschland wurden nicht vom Feind vorgenommen, sondern von den deutschen Truppen, gemäß Hitlers Befehl vom 19. März 1945 über ‚Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet‘, wonach die allgemeinen Infrastruktur bauwerke Deutschlands nur zerstört in die Hände des Feindes fallen sollten. Die Verkehrs- und Versorgungsbedürfnisse des eigenen Volkes – ob vor oder nach Ende des Krieges - spielten bei diesem so genannten „Nero-Befehl“ keine Rolle mehr.
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Exkurs: Ein Kapitel Theorie Fahrzeugtypen, die (doch) nicht gebaut wurden
Ohne jede Angabe liegt dieses Werkfoto der Maschinenfabrik Esslingen (ME) vor. Es lässt sich zeitlich ohne Zweifel auf 1940 datieren und zeigt offensichtlich das Gestaltungsmuster für einen geplanten Beiwagen der SSB. Beide Seiten, Verkehrsbetrieb und Hersteller, beschäftigten sich also zu dieser Zeit noch mit einem solchen Entwurf. Gebaut wurden diese Fahrzeuge nie
„Wenn wir den Krieg gewonnen hätten“, so heißt ein bitteres Gedicht von Erich Kästner. Wenn es keinen Krieg gegeben hätte, ab 1939, wie hätte dann und schon während der Jahre zuvor, als die Zivilwirtschaft bereits eingeschränkt wurde, die Fahrzeugentwicklung bei der SSB ausgesehen? Mit der Übernahme der SSB durch die Stadt Stuttgart 1917 und überstandener Inflation 1924 konnten Aufträge über neue Wagen vergeben werden. Die Vorgänger stammten teils aus der Zeit vor der Jahrhundertwende, der ersten Generation der Elektrifizierung in Stuttgart. So tauchten zwischen 1924 und 1930 rund zweihundert Neubau-Motorwagen in Stuttgart auf, speziell für die Landeshauptstadt entwickelt. Es war bis zum Kriegsbeginn im Prinzip noch immer die neueste Serie für die SSB. Eine Ausnahme machten nur die so genannten
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Gartenschauwagen, bei der SSB einfach „GS“ genannt. Diese 24 Exemplare erschienen im Frühjahr 1939 rechtzeitig zum Beginn der Reichsgartenschau auf dem Killesberg. Gut zehn Jahre lang hatte die SSB also keine Neubauten mehr beschafft, während die Fahrzeugbautechnik mit komplettem Stahlbau und dem Einzug der elektrischen Schweißung mit selbsttragenden Aufbauten und Leichtbau gewaltige Fortschritte gemacht hatte. Diese Progressivität ging an der SSB weitgehend vorbei, weil nach dem großen Schub in den 1920er Jahren zunächst kein direkter Bedarf an neuerem Fahrzeugmaterial bestand, zumal bei den Beiwagen auch Uraltgut aus der Königszeit noch geziemend aufgebraucht oder gar fleißig umgebaut wurde. Nur an den beiden Beiwagen 1321 und 1322 von 1936 demonstrierte die SSB, wie zeitgemäßer
Stahl-Leichtbau aussah, um auf den langen Steigungen Fahrzeit und Strom zu sparen. Diese beiden Anhänger besaßen den „Luxus“ von Polstersitzen, den es bis dahin allenfalls in wenigen Triebwagen für die langen Vorortstrecken gab. Immerhin befand man sich Mitte/ Ende der 1930er Jahre in Konkurrenz zu gut gefederten, komfortablen Stromlinienbussen in Stahlbauweise. So stand Stuttgarts Kommunalverkehrsbetrieb mit einem Fahrpark aus Wagen mit hölzernen Aufbauten und teils klassisch in Längsrichtung eingebauten Holzlattensitzbänken zwar solide, aber gewiss nicht modern da. Ob die SSB ab Mitte der 1930er Jahre mit Neubauten liebäugelte, ist nicht überliefert. Ab 1937 jedenfalls war es wegen der Rüstungsvorbereitung schon schwierig für Straßenbahnbetriebe, an neue Wagen zu kommen. Dass die SSB 1939, als die Militärs schon mit den Hufen scharrten, doch die 24 Neubauwagen bekam, dürfte nur auf den konkreten Mehrbedarf wegen des Gartenschauverkehrs zurückzuführen sein und auf ein gewisses Repräsentations bedürfnis der Stadt – zumal Nazi- OB Strölin als Hobby-Stadtplaner gute Kontakte zu diversen Reichsstellen bis Berlin hielt und Stuttgart als so genannte „Stadt der Auslands deutschen“ eine Sonderrolle beanspruchen durfte. Die Gartenschauwagen waren auf Grundlage des etwa ab 1935 entwickelten „deutschen Einheitsstraßenbahnwagens“ geschaffen worden, der eigentlich reichsweit zum Universalfahrzeug der Verkehrsbetriebe hätten werden sollen – soweit das bei den jeweiligen städtischen Gleisnetzen möglich war. Auch in Stuttgart bestanden 91
Links | Eine der „Trümmerloks“ für die SSB auf dem Werkhof der Esslinger Fabrik, 1946. Noch sind keine Stromabnehmer montiert, vermutlich wegen des Transports oder weil erst die SSB vor Ort in Stuttgart diese wichtigen Teile bereitstellte Rechts | Von Dutzenden Wagen der SSB blieben nach den Kriegszerstörungen letztlich nur die robusten Fahrgestelle übrig. Diese wurden Stück für Stück nach Esslingen überstellt, wo die ME ab 1946 mit einfachsten Mitteln relativ einheitliche Notaufbauten darauf setzte, obwohl es sich bei den Untergestellen um wenigstens ehemals vier verschiedene Wagentypen gehandelt hatte. Bis 1949 erhielt die SSB so 50 Stück dieser dringendst benötigten Vehikel, von Personal und Fahrgästen rasch „Pappdeckelwagen“ genannt (Pappendeckel ist der schwäbische Ausdruck für Kartonplatten, und die Wandflächen dieser Wagen bestanden aus dünnen Pressholzlagen). Mehr durch Zufall hat ein einziges Exemplar, Wagen 950, überlebt. Auch ihn findet man als Relikt einer besonderen Epoche nun im Cannstatter Straßenbahnmuseum
Einschränkungen beim Ausschwenken im Bogen sowie besonders hohe Ansprüche an die Antriebsleistung und die Bremsen. Immerhin besaß der GS-Typ erstmals Hydraulikbremsen, trotz Handbetätigung eine große Erleichterung für die Fahrer, die in diesen Wagen zudem erstmals sitzen durften. Auch die pneumatisch angetriebenen Teleskoptüren waren am Neckar neu, wenn auch beim Einheitswagen technischer Standard. Die 24 GS-Wagen – von der SSB zutreffend als „Ganzstahlwagen“ bezeichnet – hätten nicht alleine bleiben sollen: „Für 10 weitere Wagen erhielten wir das Kontingent von der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau“, hieß es im Geschäftsbericht 1940. Diese Reichsstelle war aber de facto, soweit es nicht um die Rüstung ging, eine Einrichtung zur Behinderung der zivilen Wirtschaft. Davon ahnte man wohl 92
noch wenig, denn man frohlockte 1940, die SSB sei „im Typisierungsausschuss für Einheitsstraßenbahnwagen der Reichsverkehrsgruppe Schienenbahnen vertreten“. Vom Reichsverkehrs ministerium habe man daher die Zustimmung „zur Beschaffung eines vierachsigen und zweier zweiachsigen Probezüge für Meterspur erhalten.“ Die Zweiachser sollten „die neue Stuttgarter Bauart“ bilden, nachdem die ReichsEinheitstype „infolge der besonderen Betriebsverhältnisse in Stuttgart“ nicht ohne Abweichungen verwendet werden könne. Anders war es bei dem Vierachser vorgesehen: Dieser und die dazugehörigen zwei Beiwagen sollten ohne Änderung „nach Einheitsbauart angefertigt“ werden. Denn „der vierachsige Probezug wird auf der oberen Filder eingesetzt“ [sprachlich korrekt: auf den oberen Fildern]. Dort gab es
ebene Strecken und keine Profileinschränkungen. Der Wagenpark der Filderbahn, so der Bericht, solle „dringend erneuert werden“, was durchaus richtig war.
Alu-Draht und Betonklötze Zu welchen Kuriosa die Verinselungspolitik Deutschlands ab 1933 auch auf dem Straßenbahnsektor führte, belegen auch Beispiele aus Stuttgart: So erwähnt der Geschäftsbericht der SSB für 1939, dass auf der Neuen Weinsteige ein Versuch mit „Stahlaluminiumfahrdraht“ gemacht worden war, den man allerdings nach anderthalb Jahren abbrach – den Kommentar „erfolglos“ hat man sich dazu zu denken. Der Bericht 1943 erwähnt „Versuche mit Beton bremsklötzen“, die zwar noch liefen, aber bereits „bei den Triebwagen zu keinem brauchbaren
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Am Schlossplatz um 1947: Einer der Pforzheimer Züge (rechts), erkennbar an der abgerundeten Front mit der „Bauchbinde“, tummelt sich inmitten von Stuttgarter Wagen
Ergebnis geführt“ hätten. Auch die GS-Wagen von 1939 blieben nicht von Experimenten verschont: Um für den Anstieg gegen den Killesberg das nötige Reibungsgewicht zu erreichen, waren sie ab Werk mit Ballastgewichten aus Stahl versehen. Diese ersetzte die SSB bald darauf durch solche aus Beton. Man muss kaum erwähnen, dass der Beton – vielleicht weil er Feuchtigkeit zog – nach 1945 wieder solidem Stahl weichen musste, als es allmählich wieder welchen gab. Auch bei ihren Omnibuslinien zeigte sich die SSB ab 1939 notgedrungen experimentierfreudig: Fast jeder der wenigen noch vorhandenen Wagen – die meisten hatte die Wehrmacht abgezogen – lief mit einer anderen Antriebsart, ob Klärgas, Stadtgas (Leuchtgas) oder Holzgas.
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Und nun ging es der SSB wie manchem Volksgenossen jener Zeit, der treulich seine Beiträge zugunsten der Zuteilung eines „Volkswagens“ leistete, den er nie bekam. Denn ein Bericht von 1943 vermerkt, dass die SSB noch im Vorjahr beträchtliche Anzahlungen geleistet hatte, einmal für die elektrische Ausrüstung mit 77 000 Reichsmark „für 2 Einheitstriebwagen“ und zum anderen für die Fahrzeugsubstanz selbst 72 000 Mark für „2 Einheitstriebwagen und 2 Einheitsbeiwagen“. Konkrete Lieferleistungen, so heißt es in dem Vermerk vielsagend, „waren im Zeitpunkt unserer Prüfungen noch nicht zu erwarten.“ * Das blieb auch später so: Stuttgart sah diese Wagen nie und das dafür ausgeworfene Geld nie mehr. Als 1945 dann der braune Schwindel vorbei war, wurde schon im Oktober vom Aufsichtsrat die „sofortige Beschaffung“
von 50 Triebwagen „nach unserer Type 200“ beschlossen, also ein Nachbau der Stuttgarter Serien von 1926. Lieferant sollte die Maschinen fabrik Esslingen (ME) sein. Ferner erhielt Fuchs, Heidelberg, den Auftrag über 15 Stück des so genannten Kriegsstraßenbahnwagens (KS). Fuchs konnte dieses so stark voluminöse wie wenig komfortable Produkt liefern, weil dafür noch vorgefertigte Grobteile auf Lager waren. Den Bezug dieses Wagens hatte man zuvor in Stuttgart nicht erwogen, weil auch diese Wagen in den Stuttgarter Radien zu weit ausschwenkten.
*Prüfbericht für 1942 der Schwäbischen Treuhand AG, Stuttgart 1943, S. 19 (Stadtarchiv Stuttgart)
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Links | Die Stuttgarter GartenschauWagentype (GS) von 1939 orientierte sich am Entwurf des deutschen Einheitswagens, nahm aber vom Grundriss her auf das Stuttgarter Netz mit seinen engen Bögen Rücksicht, damit sich begegnende Züge auch dort reibungslos aneinander vorbei kamen Rechts | Der reichseinheitliche Kriegsstraßen bahnwagen (KS) konnte zwar auch in Stuttgart fahren, blockierte aber durch seinen großen Überhang in vielen Kurven, in denen er zu weit ausschwenkte, den Gegenverkehr. Angesichts des großen (Steh-) Platzangebotes dieser Wagen – und weil sie überhaupt zusätzlich verfügbar waren – musste die SSB ab 1946 mit diesen Fahrzeugen leben
Genau das hatte man mit dem GS-Wagen mit seinem eigens eingezogenen Grundriss aus gutem Anlass vermieden. Doch die KS-Wagen, 1946 in Stuttgart erschienen, waren sowieso nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Dass man von Pforzheim und Würzburg gut 40 Wagen ausleihen konnte – in diesen stark bis völlig zerstörten Städten fehlte vorläufig niemand eine Straßenbahn, man erwog in Pforzheim sogar die völlige Verlegung der Siedlung an einen anderen Ort -, machte die Lage in Stuttgart nicht viel besser, fehlte es doch an Erfahrung und Unterhalt für diese ganz anderen Typen. Das und wohl auch ungenügende Bremsen für die steilen Stuttgarter Gefälle führten 1946 zu einem entlaufenden Zug beim Olgaeck, der umkippte. Die Toten dieses Vorfalls dürfen 94
zu den zahlreichen indirekten Opfern gezählt werden, die der Krieg noch forderte, als die Waffen längst schwiegen. Die SSB versetzte die Pforzheimer Wagen aufgrund dessen auf „flache" Linien. Doch auch im Juli 1947 konnte der Aufsichtsrat nur schulterzuckend feststellen, dass die ME für die „1945 bestellten Wagen“ nun Bezugsscheine „für Eisen, Holz und dergleichen“ verlange. Die konnte die SSB aber bei den amerikanischen Freunden nicht auftreiben, sprich die wollten nicht. Ob unter Diktator oder Besatzer, wer eine Großpackung mit Straßenbahnwagen einkaufen wollte, hatte schlechte Karten, argwöhnten die Sieger doch, dass die Deutschen aus dem neuen Stahl heimlich gleich wieder Kanonen gießen würden. Dabei war es nicht so, dass die Amerikaner die SSB gar nicht berücksichtigt hätten, im Gegenteil: Schon
1946 bewilligten die Alliierten den Stuttgartern etliche Tonnen Stahl für neue Fahrzeuge. Doch daraus waren die – mehr als stabilen – zwölf E-Loks als Zugmaschinen für die Trümmerzüge entstanden. Das war zunächst wichtiger gewesen als die Frage, ob die Bürger zu Fuß gehen oder Straßenbahn fahren sollten. „Mit der Lieferung der Wagen ist vorläufig nicht zu rechnen“, hieß es also 1947 ohnmächtig. Direkt vor der Währungsreform, im Mai 1948, erneuerte die SSB zwar die Bestellung bei der ME, doch von dort kamen schlechte Nachrichten: „Die Ausführung des Auftrags“ – zunächst mit einem Jahr Lieferfrist – „ist heute nicht in Angriff genommen und auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.“ Zwar hätten die schweize rischen Hersteller Séchéron und in Pratteln
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Alte Konstruktion in aufgefrischtem Gewand: Der Nachbau der 1920er-JahreType „200“ ab 1950 war kein wirklicher Schritt zur Modernität. Wenigstens handelte es um einen schon in Stuttgart bekannten und bewährten Typ
Vierachser liefern können, mit „doppelt so viel Fassungsvermögen“ wie die Stuttgarter Zweiachser, aber mit fast zwei Jahren Lieferzeit, und zu astronomischen Beträgen. Produkten aus Belgien oder USA war der gemeinsame Mangel eigen, zu schwach motorisiert zu sein für Stuttgarts Berge. Dann kam die Hiobsbotschaft aus Esslingen, die SSB werde auf ihre bestellten Wagen zwei Jahre warten müssen statt einem. Inzwischen, schon vor der Währungsreform 1948, war der Straßenbahnverkehr in Stuttgart mit 208 Millionen Personen schon doppelt so stark wie die Höchstziffer der Vorkriegszeit. Was sich schon in der unmittelbaren Vorkriegsund Kriegszeit angedeutet hatte, verstärkte sich nun noch enorm: Nicht nur die Zahl der Fahrgäste explodierte, sondern zusätzlich die Reiseweite. Diesmal war der Grund die Zuweisung
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der Heimatvertriebenen auch nach Stuttgart, die zunächst in vorhandenen Wohnungen mit einquartiert wurden, bis mit der neuen Währung sofort der Bau der ersten Siedlungen „auf der grünen Wiese“ begann – vor der Stadt, Hauptsache an der Straßenbahnlinie oder in deren Nähe.
Es lebe das Provisorium 1949 dann waren vierachsige Großraumwagen – „nach dem amerikanischen PCC-Wagen“ – vorgesehen, also mit Fahrgastfluss, aber frühestens für Mitte 1951 absehbar. Man war darüber mit der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) im Gespräch. „Solange dürfen wir nicht warten“, hieß es. Daher bestellte die SSB „als Zwischenlösung“ für den dringendsten Bedarf 20 Triebwagen „der bewährten vorhandenen Typen der
Linie 1 in modernisierter Form“, dazu zehn passende Beiwagen. Das war also die erneute Bestellung der schon 1946 vergebenen „Zweihun dertertype“ von 1926, also einem „Holzwagen“, obwohl seit über 15 Jahren die Stahlbauweise im Fahrzeugbau bewährt war. Doch vom „Einheitswagen“ hatte man sich völlig verabschiedet, Holz war immer noch billiger als Stahl, die Pläne für die „200er“ lagen zugelassen vor. Und für jede Art von Neu- oder Weiterentwicklung liefen der SSB die Zeit und vor allem die Kosten davon, weil sich durch das beginnende Wirtschaftswunder – und den Zwang des Wiederaufbaues – die Preise für Rohstoffe drastisch erhöhten. Die SSB betonte, die Nachbestellung der Alt-Bauart sei „kein Vorgriff auf die Beschaffung der modernen Großraumfahrzeuge“, somit keine Konkurrenz. 95
Oben | Alfred Bockemühl, Chef der Dresdner Straßenbahn, hatte für dort bereits 1947 als „Vision“ einen Straßenbahn-Doppelstockwagen als Vierachser mit Niederflureinstieg skizziert. Sein Sohn, der Architekt Gundolf Bockemühl, ließ sich kurz danach in Stuttgart nieder. Dort fertigte er Mitte 1949 diesen konstruktiven näheren Entwurf für einen solchen Wagentyp. Sein Vater Alfred Bockemühl flüchtete aus der Sowjetzone und wurde 1950 technischer Vorstand der SSB. Im selben Jahr legte Alfred Bockemühl unter dem Stichwort „Neue Fahrzeuge für Stuttgart“ eine Zeichnungsmappe vor, welche neben dem tatsächlich dann 1953 in Stuttgart verwirklichten Sechsachser GT 6 auch den Doppelstock-Aufriss seines Sohnes enthält Unten | Nicht weniger spannend ist – als ergänzendes Dokument – der Bockemühlsche Entwurf eines Doppelstock-Sattelauflieger-Anhängers für den Omnibusverkehr (Abbildung unten), der also ebenfalls für Stuttgart gedacht war. Wirklich neu war dieses Prinzip nicht: Bockemühl hatte bereits vor dem Krieg für seinen Dresdner Betrieb den Prototyp eines solchen Fahrzeugs geschaffen und eingesetzt, auf der Grundlage eines Lkw vom Typ Opel Blitz. Wegen der damals noch schwachen Motorleistung der Lkw-Zugmaschinen überzeugte der Sattelschlepper-Bus nicht. Für Stuttgart mit seiner anspruchsvollen Topografie hätte sich das gleiche Problem gestellt. Bockemühls Impuls blieb dennoch nicht ohne Wirkung, wenn auch auf ganz andere Weise: Der Sylter Kapitän Ruy Prahl stellte ab 1953 Borgward-Lkw auf die Meterspurgleise der Inselbahn Sylt und fertigte passende Auflieger für den Passagierbetrieb dazu, wenn auch nicht doppelstockig. Das Konzept bewährte sich bestens. Das letzte Exemplar jenes Typs befindet sich bei der Museumsbahn Selfkantbahn bei Aachen in Aufarbeitung
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Oben | Kein großer, aber sozusagen ein fruchtbarer Entwurf war der ebenfalls 1953 bei der SSB erschienene Wagentyp 700, heute als T 2 bekannt. Schon 1954 erschienen Beiwagen im gleichen Design, „Schiffle“ genannt, die als Stuttgarter Reihe 1500 auftraten. Gerne werden diese als konstruktive Einheit angesehen. Doch der eigentliche Beiwagentyp, mit dem die 700er sozusagen auf die Welt kamen und lange Zeit häufig fuhren, waren die von 1950 bis 1953 gebauten, filigranen Anhänger der 1300er-Serie. Auf der Türlenstraße kommt uns um 1960 solch ein Gespann entgegen. Straßenbahn, Haltestellensäule, das Flugdach der Tankstelle links und die Hochhäuser im Hintergrund verkörpern wie gemalt die Zeit des Wirtschaftswunders Unten | Warum setzte die SSB nicht schon ab 1950 auf vier- oder mehrachsige Großraum- oder Gelenkwagen? Dazu muss man kaum mehr wissen, als dieses Bild aus der Hauptwerkstatt Ostheim aussagt. Diese Schiebebühne, der Hauptverteiler auf die Werkstattgleise, war das Maß der Dinge. Wagen zu beschaffen, die bei Achsstand oder Aufbau auch nur eine Handbreit länger gewesen wären, hätte sozusagen bedeutet, die halbe Werkstatt abzureißen und neu zu bauen – mit welchem Geld? Heute ist die Ausgangslage ähnlich: Die Schiebebühne in der SSB-Hauptwerkstatt Möhringen, ab 1969 angelegt, wurde dem 1959 in Dienst gestellten Wagentyp GT 4 angepasst, mit rund 20 Metern Länge. Die Stadtbahnwagen von 1985 orientierten sich am doppelten Maß – 40 Meter -, damit ein geteilter Halbzug weiterhin auf die Schiebebühne passt. Auf dieser Grundlage werden auch heute die Züge beschafft und das Meterraster aller Abstellflächen, Aufstellgleise, Wagenhallen, Haltestellenlängen und Gleisblock abschnitte der SSB entworfen, damit es einheitlich und rationell ist. Das dürfte auf Jahrzehnte so bleiben, weil es sich bewährt hat und auch die Gleisgeometrie in den Bögen daran angepasst ist
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Links | Auf der kleinen Straßenbahnausstellung 1947 im Cannstatter Kursaal wurde dieses Modell eines Vierachsers „für Stuttgart“ präsentiert. Der Hersteller MAN wollte darüber mit der SSB ins Geschäft kommen, man war sich sogar handelseinig. Im Gefolge der Währungsreform kam der SSB aber das Vermögen abhanden, mit dem sie die Wagen bezahlen hatte wollen Rechts | Auch mit Herstellern aus der Schweiz verhandelte die SSB schon bald nach dem Krieg. In der SSB-Mitarbeiterzeitschrift „Über Berg und Tal“ wurde 1950 dieser Wagentyp als Beispiel für damals aktuelle Vorbilder vorgestellt. Doch weil die SSB nicht die Einnahmen am Markt erzielen durfte, die den steigenden Ausgaben, Leistungen und Preisen angepasst gewesen wären, konnte die SSB auch keine „harten Franken“ mehr aufbringen
Diese 20 Triebwagen erschienen tatsächlich 1950. Mit Fahrersitz, Teleskopschiebetüren und Polstersitzen – wie die GS-Wagen von 1939 – brachten sie immerhin einen Hauch der Modernisierung nach Stuttgart. Sie waren noch nicht recht da, als bekannt wurde, dass Stuttgart 1952 Veranstaltungsort des Deutschen Kirchentages werde. Eilends bestellte die SSB also – was wohl? – nochmals zehn Stück vom Typ 200. Immerhin bekamen diese Wagen nun auch die für die steilen Strecken äußerst erwünschte Druckluftbremse, außerdem hielten Leuchtstoffröhren Einzug. Auch diese Wagen riss der Betrieb dem Hersteller förmlich aus den Händen, denn im Herbst 1952 beförderte die SSB 477 000 Personen im Monat statt – wie noch im Sommer – 430 000. 1938 waren es noch 336 000 gewesen bei einer Beförderungsleistung von 122 Millionen 98
pro Jahr und 576 Personenkilometer, 1952 waren es 165 Millionen und 892 Personenkilometer. Man bewältigte also eine Steigerung der Produktivität um mehr als die Hälfte mit weniger Wagen, nämlich 785 Fahrzeugen statt (wie 1938) 838 Gefährten.
in Ganzstahlbauweise, besaßen diese Wagen das abgerundete Äußere des GT 6, weil in Gestalt des neuen SSB-Chefs Alfred Bockemühl ein Antroposoph bei der SSB wirkte. Konstruktiv übernahm man Druckluftanlage mit –türen und –bremsen, Fahrersitz und gepolsterte Fahrgast sitze. Noch immer hieß es zu dieser Zeit, die SSB besäße „eine große Anzahl alter Wagen, die eigentlich längst verschrottet sein müssten.“ Daher schlug der 700er ein wie eine Bombe: Innerhalb von vier Jahren, bis einschließlich 1957, ließ die SSB über 120 Stück davon bauen. Wirklich modern war die SSB damit aber nicht: Stuttgart war einer der wenigen Betriebe, der somit nach dem Krieg noch Zweiachser bauen ließ, dazu auch noch so viele. Als Begründung lieferte die SSB, diese Wagen seien vom Raumvolumen her gemeinsam mit ein oder zwei vergleichbaren Beiwagen optimal, um die Zuglänge an wechselndes Fahrgastaufkommen anzupassen.
Im Folgejahr 1953 stellte die SSB den ersten der Prototypen der sechsachsigen Gelenkwagen GT 6, bei denen von vorne herein klar war, dass sie ohne aufwändigen Umbau der Gleisanlagen fast nur auf einer Strecke fahren könnten. Die SSB brauchte aber dringend ein weiteres für alle Linien geeignetes Fahrzeug. Ebenfalls 1953 tauchte daher diskret wieder ein neuer Wagentyp auf, der eine technisch-gestalterische Mischung aus Einheitswagen, 200er und GT 6 bildete: die damalige Type 700, später T 2 genannt. Endlich Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Kein drolliger Einfall eines Künstlers, kein fahrendes Kasperletheater für Kinder: Die Gucklöcher in den Seiten“fenstern“ dieses Zweihunderters sind Ausdruck purer Materialnot. Immerhin: Man schreibt 1947. Man kann wieder einem Beruf und Broterwerb nachgehen. Es fallen keine Bomben mehr vom Himmel und man muss nicht mehr beim schaurigen Geheul von Sirenen in Keller und Stollen flüchten. Vielleicht holt einen die Besatzungsmacht zum Ernteeinsatz aufs Land oder zum Holzfällen in den Schwarzwald. Aber es erscheinen nicht mehr morgens um sechs Herren in Ledermänteln, die einen hinter Stacheldraht bringen. Man darf (fast) wieder sagen, was man denkt. Es gibt (meistens) wieder Strom. Und: Es fahren wieder Straßenbahnen
Der Tarifkampf Das mochte stimmen. Es verhüllte, dass die SSB nicht nur ein Fahrzeugproblem, sondern vor allem ein Werkstattproblem besaß: Mit elf Meter Kastenlänge und knapp drei Meter Achsstand war man beim T 2 nicht nur an die Grenze des geometrisch bei einem Zweiachser Machbaren gegangen. Beides waren auch fast die Gesamtmaße der Länge der Schiebebühne in der Hauptwerkstatt Ostheim und der lichte Raum zwischen den nächsten Hallenpfeilern vorne und hinten. In Wahrheit hatte man also einen Wagentyp sozusagen in den Werkstatt raum hinein konstruiert. Schon der GS von 1939 war mit zehn Meter Aufbaulänge und fast gleichem Abstand beinahe an die Grenzen (der Werkstatt) gestoßen. Das noch zentralere Problem der SSB lag aber wieder woanders: beim Geld.
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Mit dem Zuzug der Heimatvertriebenen beschloss die Stadt, die SSB dürfe trotz ihres sprunghaft gestiegenen Aufwandes diesen kaum auf den Fahrpreis umlegen. Die Stadt wollte also den Tarif künstlich niedrig halten, um die oft noch fast mittellosen Neubürger nicht zu stark zu belasten. Monatelang tobte öffentlich ausgetragen der Streit zwischen der Stadt und der SSB, der „Kampf um den Tarif.“ Bei der SSB – bis dahin einem nicht üppig, aber durchaus solide ertragreichen Unternehmen mit bescheidener Verzin sung der Aktien – sah man sehr wohl, dass das Unternehmen durch diesen hoheitlichen Eingriff erstmals in ein Defizit laufen werde. Und mit dessen Abdeckung hatte es die Stadt nicht so eilig. Um es kurz zu machen: Die Stadt setzte sich durch. Seit diesem Zeitpunkt erwirtschaftet die SSB wohl oder übel ein Defizit, das die
Eigentümerin ausgleichen sollte. Bis heute trägt die SSB also soziale Lasten, die Kosten ihres Netzes mitsamt Unterhalt und zahlt an die Stadt trotzdem ein Straßenbenutzungsentgelt, also eine Maut. Dieser historisch entscheidende Bezug ist wichtig zu wissen, wenn man über den aktuellen Zuschussbedarf der SSB diskutiert. Zurück zur einstigen Flottensituation der SSB: Schon der Kauf der neuen Wagen seit 1950 konnte nur über Kredite finanziert werden. Der Bau einer neuen Hauptwerkstatt war zwar dringend geplant, ab Anfang der 1950er kaufte die SSB dafür die ersten Baumwiesen bei Möhringen. Doch Geld dafür war keines in Sicht: Wagen oder Werkstatt, nicht beides. Wirklich wirtschaftliche, größere Wagen – der Personal mangel und der Personalabfluss in die Wirtschaft 99
Zwillingswagen, nächster Versuch, 1958: Der „Tatzelwurm“ 201 wirkte schon viel fortschrittlicher als sein Vorgänger von 1937. Doch modern und zukunftsweisend war er auch nicht. Erst nochmals später, ab 1964, verwirklichte die SSB das Prinzip „Doppelwagen mit schwebendem Mittelteil“ dann beim Umbau der 700er-Type in den bärenstarken Doppeltriebwagen DoT 4, diesmal wirklich in Serie
kündigten sich an – konnten aber nur beschafft werden, wenn eine großzügigere Werkstatt in Sicht war. In ihrer neuen Not – der Personalnot – stellte die SSB 1958 einen Gelenkwagen vor, der aus zwei alten Vorkriegswagen gebastelt worden war, dazu einen gleichartigen DoppelBeiwagen. Das war gut gemeint, stieß aber auf Widerstand: Der „Vorrat“ an altbrauchbaren gleichartigen Vorkriegswagen hierfür beschränkte sich auf gut 40 Stück, so dass nicht einmal zwei Dutzend dieser behäbigen, gewiss nicht modern wirkenden Ungetüme – Spitzname Tatzelwurm – hätten gebaut werden können. Ein Schaffner und Betriebsrat brachte es auf den Punkt: „Die SSB braucht für ihre Wagenbeschaffung endlich ein Konzept!“ Die Lösung kam nicht von der SSB: Die Maschinenfabrik Esslingen entwickelte von sich aus ein Mittelding, einen kurzen Gelenkwagen, der – physikalisch zunächst kaum zu glauben – mit vier statt sechs Achsen auskam. Dieser GT 4 wurde 1959 „geboren“ und zum nächsten großen Erfolgsmodell der SSB, diesmal für lange Zeit. Wieder stand die Firma aber vor gravierenden Geldproblemen, wieder musste man die Werkstatt auf die lange Bank schieben. Mit dem Ablauf der ersten Untersuchungsfristen der ersten GT 4 nach acht Jahren, 1967, droht ultimativ die Werkstattfrage. Wegen eines matschigen Winters und massiver Erhöhung beim Stahlpreis wurde die neue Hauptwerkstatt Möhringen dann erst 1971 fertig, vier Jahre zu spät, ein verborgenes finale furioso: Mit zwei zugedrückten Augen bei der Aufsichtsbehörde, dann mit der Vergabe von Hauptuntersuchungen an die Waggonfabrik Rastatt überbrückte die SSB diese Hängepartie. 100
Um zum eigentlichen Thema zurückzukommen: Wohin sich im „Dritten Reich“ die Lage der SSB entwickelt hätte, weiß man nicht. Zumindest hätte man den Betrieb kaum auf die Schnelle auf Omnibusse verlagern können. Somit stand die SSB 1939/40 mit dem GS und dem zweiachsigen Einheitswagen (Version „Stuttgart“), dem wohl früher oder später ein Gelenkwagen gefolgt wäre, und den Vierachsern für die Filderbahn endlich vor dem Schritt zu einem damals zeitgemäßen, vor allem weitgehend einheitlichen, wirtschaftlichen Fahrzeugpark. Stattdessen handelte sie sich innerhalb von 15 Jahren wenigstens vier zusätzliche Bauarten ein, denn selbst die Nachbau-200er von 1950 ff unterschieden sich ja in den einzelnen Serien reichlich. Hinzu wäre – auch nur aus der Not geboren – der unglückliche Tatzelwurm von 1958
gekommen. Das Fazit ist delikat: Während die Autobranche ab 1948 bei Fahrzeugen und Infrastruktur nahtlos auf der Vorkriegsentwicklung aufsetzte und von der Weiterentwicklung im Krieg profitierte, musste die Straßenbahn – weil man sie ihre Probleme selber bezahlen ließ und ihr zusätzliche Aufgaben aufbürdete – etliche Rückschritte nacheinander hinnehmen, nicht nur beim Disakkord zwischen Fahrzeugbedarf und Werkstattausstattung. Bei langlebigen Wirtschaftsgütern wie Straßenbahnwagen wirkten sich aber – zumindest in Stuttgart – fatalerweise sogar noch die Folgen des Ersten Weltkrieges und der Inflation aus: Weil man erst ab 1924 die damals alten Wagen ersetzen konnte, das aber auf breiter Front, waren diese am Vorabend des nächsten Krieges noch nicht ersatzreif. So erfuhr die SSB in den 1930er Jahren
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Oben | Nicht weniger als 50 Stück Muldenkippwagen orderte die formal 1946 gegründete Trümmerverwertungsgesellschaft für Stuttgart in Esslingen. Die ersten wurden – wohl im Auftrag der SSB – schon Ende 1945 nach Stuttgart geliefert, das Gros folgte 1946/47. Ein gutes Dutzend davon übernahm die SSB nach dem Ende der Trümmerräumung in ihr Eigentum – der Gleisbau konnte diese Wagen zunächst gut brauchen. Mit der Verfügbarkeit von Lkw nahm der Bedarf an den Kippwagen ab, bis 1961 wurden sie ausgeschieden. Um 1958 sehen wir eine Reihe von ihnen auf dem Gleisbauhof der SSB in Wangen hinterstellt (rechts vor dem Lagerhaus). Vorschriftsmäßig sind die Kippmulden so umgeklappt, dass Wind und Regenwasser sich nicht darin fangen können Unten | Noch 1959 konnten vier der ursprünglich fünfzig Schüttgutwagen der Stuttgarter „Trümmerbahn“ in Diensten der SSB angetroffen werden, hier in Möhringen. Um eine gemeinsame Nummernserie zu bilden, erhielten die verbleibenden Wagen zum Teil die Nummern der bereits ausgeschiedenen. Daher verbergen sich hinter den Nummern der beiden Wagen 2502 und (dahinter) 2501 die ursprünglichen Bezeichnungen 2515 und 2510. Wagen 2527 verdingte sich ab 1955 bei der Straßenbahn Esslingen – Nellingen – Denkendorf, wurde dort 1963 zum Flachwagen umgebaut und endete um 1995 in Schönau/Odenwald
nicht einmal ansatzweise eine Modernisierung auf den damals neuesten technischen Stand, bei den sparsamen Stuttgartern sowieso nicht. Dieser Umstand wieder – im Schauspiel würde man vom „retardierenden Moment“ sprechen, sprich das dicke Ende kommt hinterher – und der kuriose künstliche Stahlmangel bewirkten zum zweiten Mal, dass die Zeitläufe gegen die SSB arbeiteten. Die Einspannung der SSB zur sozialen Abfederung der Nöte der Neubürger – an sich sicherlich richtig – ergab zum dritten Mal in 20 Jahren eine entscheidende Substanzhemmnis: ohne große Werkstatt keine leistungs fähigen Wagen. -upf
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Ralph Hölscher
Der Papier-Krieg 1939 bis 1945 bei der SSB: „Kunstwerke“ der Improvisation
Links | Alles voller Straßenbahnen – aber keine Menschen? Auch diese Aufnahme entstand bei einer der Luftschutzübungen schon 1937 Rechts |“Pst – Feind hört mit“: Das war nicht nur eine auf Plakaten ausgehängte Warnung und Parole im „Dritten Reich“, die vor Spionen warnen sollte. Wer immer den Mund auftat, musste gewärtig sein, dass auch Spitzel unter den eigenen Landsleuten – vielleicht auch Kollegen – unerwünschte Wahrheiten weitermeldeten, mit oft höchst unangenehmen Folgen für den unvorsichtigen oder vielmehr schlicht zu aufrichtigen Zeitgenossen
Wie organisiert man den Straßenbahnbetrieb in einer Großstadt, wenn ein Gutteil der Mitarbeiter fehlt und schließlich auch die Wagen; wenn es Grundstoffmaterial wie Stahl oder Kupfer sozusagen nur noch auf Rezept gibt und in buchstäblich homöopathischen Mengen? Was tun, wenn Trümmer die Gleise versperren, der Fahrdraht überall herumhängt, nur nicht mehr über den Schienen? Kann man einen solchen Zustand noch logisch organisieren, geschweige denn pflichtgemäß dokumentieren? Das „Kriegstagebuch“ der SSB – eine Sammlung erhaltener Verwaltungsdokumente aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs - belegt, wie die Verwaltung versuchte, solche Zustände zu bewältigen. Die Auswirkungen der gut ersten beiden Jahre des Krieges ab 1939 mochten sich in der 102
heimatlichen Stadt noch wie bei einer Art vergrößertem Betriebsausflug äußern, bei dem das Leben der Zurückbleibenden einen eingeschränkten und eigenartig gedämpften, aber zivilisierten Gang beschrieb. Doch etwa ab 1942 begannen sich auch vor den Augen der Stuttgarter substanzielle Umbrüche abzuspielen. Mit Winde und Pickel holten Bauarbeiter nicht mehr benötigte Gleise der SSB aus dem Straßen pflaster, sei es in Zuffenhausen die alte Schleife beim Bahnhof Zuffenhausen in der Lothringerund Burgunderstraße, die nach der Verlängerung der Linie 5 bis zum Westrand des Siedlungs gebietes an der Wimpfener Straße nicht mehr gebraucht wurde. Schmerzlicher war der Eingriff im Stuttgarter Westen: Auch die beliebte Strecke Westbahnhof – Charlottenbuche der Linie 2, an schönen Ausflugssonntagen reichlich bevölkert,
aber wegen des Personalmangels schon mit Kriegbeginn aufgelassen, musste ihre Schienen abgeben. Mit dem Material besserte die SSB ihre dringendsten abgefahrenen Gleise an anderer Stelle aus. Denn Stahl war schon seit 1937 kontingentiert – auf den Beständen „saß“ Wirt schaftsdiktator Hermann Göring - und spätestens seit Kriegsanfang allenfalls noch bei besonderer Dringlichkeit zu erhalten, auf hoheitlichen Antrag im fernen Berlin. Dringlich waren im Zweifelsfall die Rüstung, die Eisenbahn oder die Kriegsgüter produzierende Industrie, aber gewiss keine Straßenbahn. Immerhin ließ sich die SSB solche Arbeiten noch ordnungsgemäß beim Innenminister in Stuttgart genehmigen, mit Beschreibung, Begründung und Lageplan. Zeitzeugen dürften geahnt haben, dass diese herrliche Panoramastrecke später nie mehr
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Links | Ob an den NS-Polizeipräsident oder an den französischen Militärkommandant: Die Zuständigen und die Titel wechselten, die Aufgabenstellung für die SSB blieb die gleiche, nämlich das Netz in Betrieb zu halten und darüber ständig Berichte zu erstatten Rechts | Der östliche Halbring der Linie 3 durch die Heusteig- und Olgastraße musste am längsten auf seine Wiederinbetriebnahme warten: Das lag weniger an Gleisschäden als am Mangel an Wagen – und an der viel wichtigeren, parallelen Linie 1. Diese „Aussicht“ auf „blühende“ (Trümmer-) Landschaften – dort blühte immerhin das Unkraut – bot sich den Mitfahrenden auch noch lange Zeit. Aufnahme in der Wilhelm-/ Olgastraße
wiedererstehen würde, und so war es denn auch. Hätten sie gewusst, dass der Birkenkopf an der Charlottenbuche schon wenige Jahre später mit Tausenden von Kubikmetern Trümmerschutt der Stuttgarter Häuser zu einem Aussichtsberg aufgefüllt würde – allerdings das letzte Stück per Lkw herangebracht, nicht per Straßenbahnstrecke, denn die war ja ironischerweise nicht mehr da – wäre ihnen das sicherlich nicht einmal ein makabrer Trost gewesen. Auch über die „Luftschäden“ aufgrund der „Luftangriffe“ wurde ein penibles Berichtswesen geführt.* Zumindest anfangs jedenfalls, als die offiziell „Terrorangriffe“ genannten Bombardements noch große Seltenheiten waren, verstieg sich etwa die Betriebsleitung der Filderbahn nach dem dortigen ersten schweren Angriff
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vom 22. November 1942 auf Möhringen noch zu Verwaltungslyrik: „Gleis 11, hochgerissen; stand auf den Kopfenden der Schwellen. Es war in der Mitte um 180 Grad gedreht; Trieb- und Anhängewagen in einer Wüste von Glasscherben, über 1000 Scheiben zerstört.“ Schlechter zu beschreiben waren aus diesem Anlass die spärlichen Reste zweier junger Männer, die mitten auf dem Gleis der Filderbahn in Echterdingen von einer Sprengbombe zerfetzt worden waren, als sie während des Angriffs versucht hatten, ein scheuendes Pferd – eine Kostbarkeit in jener Zeit, als Kraftfahrzeuge bereits eingezogen worden waren – einzufangen. Allen Ernstes wurde damals ausführlichst erwähnenswert gehalten, dass die Schadensmeldung nicht über den zerstörten Bahnfernsprecher, sondern den Privatanschluss des Bahnhofswirts hatte
abgegeben werden müssen. Aus solchen Zeilen spricht noch die sozusagen frische „moralische“ Empörung darüber, dass nicht nur deutsche Flugzeuge über Nachbarländern Bomben abwarfen, sondern die damit Bedrohten ihrerseits den umgekehrten Weg beschritten.**
*Die beschönigende Sprachregelung hatte ihren tieferen Sinn: Der Schriftsteller Werner Bergengruen zog sich den Unmut des Regimes zu, als er darauf hinweisen wollte, dass es nicht die Luft war, die Schäden anrichtete, sondern Bomben. Siehe: Die Bombengaudi; in: Bergengruen, Von Riga nach Anderswo. Zürich 1992 **Immerhin hatte der „Reichsgoldfasan“ Göring noch einige Zeit zuvor den Deutschen versprochen, er wolle Meier heißen, wenn auch nur ein einziges feindliches Flugzeug über dem Deutschen Reich erscheine.
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Links | 25. Mai 1940: Kleiner Sensationstourismus zu einem der ersten über Stuttgart abgestürzten feindlichen Flugzeuge. Auch von der oder für die SSB wurde dieses halboffizielle Foto gemacht. Während überlebende feindliche Piloten seitens des deutschen Militärs zumeist auf respektvolle, nicht zuletzt „kollegiale“ Behandlung hoffen konnten, waren die Reaktionen seitens mancher Teile der Bevölkerung nicht immer friedlich Rechts | Dieser Betriebssekretär wurde ebenfalls als „aktiver SSB-Rentner“ fotografisch verewigt. Das Parteiabzeichen – am Revers getragen – schützte vor mancher Arroganz der Machthabenden und oft auch vor ehrlichen Antworten der Kollegen oder Mitbürger
Hauptverwaltung als Ruine Zwei Jahre später, Mitte 1944, hatte sich die Lage bereits dramatisch gewandelt: Anfang August 1944, nach wiederholten Großangriffen auf Württembergs Landeshauptstadt, sah man sich offenbar zeitweise nicht mehr in der Lage, Bombentrichter auf der Neuen Weinsteige zeitnah zu schließen, geschweige denn das Gleis wieder herzustellen. Penibel regelte SSB-Betriebsleiter Helmut Seeger die Betriebsabwicklung: Ein Straßenbahnwagen aus der Halle Degerloch war per SSB-Omnibus, den man von der Linie N (nach Nürtingen) abgreifen sollte, auf das Aufwärtsgleis der Steilstrecke zu schleppen, wo es dann offenbar wieder Strom gab. Der Einzelwagen hatte dergestalt den Pendelverkehr bis zum Bombentrichter „bei Haus 61“ zu versehen, von wo ab demzufolge ein Fußmarsch für die Fahrgäste in 104
die Stadt anstand. Ausdrücklich war ein Aufsichtsposten bei Haus 61 zu stationieren, der „unter allen Umständen“ zu verhindern habe, dass – wohl bei Dunkelheit – „die Wagen zu weit talwärts fahren.“ Von den Buslinien der SSB waren zu jener Zeit übrigens noch fünf stark eingeschränkt in Betrieb, also die Hälfte des Netzes. Denn auch Kraftstoff gehörte zu den massiv rationierten Gütern – mit ihm sollten Panzer angetrieben werden. Die Situation war jedoch sozusagen noch glänzend gegenüber dem Zustand, der zum Monatsende August 1944 eintrat: Nach dem Bombardement Stuttgarts durch alliierte Flugzeuge an drei fast zusammenhängenden Tagen waren Innenstadt und dortige Anlagen der SSB schwerst betroffen. Betriebshof Ostheim mitsamt der lebensnot
wendigen Hauptwerkstatt, die Depots Vogelsang und Feuerbach und ein halbes Dutzend Dienstwohngebäude waren zerstört oder unbenutzbar. Vor allem aber war schon zuvor, gegen Ende Juli 1944, auch der organisatorische Lebensnerv der SSB voll getroffen worden, die damalige, seit Jahrzehnten in der Friedrichstraße 55 untergebrachte Hauptverwaltung. Sie brannte völlig aus. Da ein Straßenbahnbetrieb vor Ort verwaltet werden muss, hatte man nur den kleinsten Teil der Akten zuvor auslagern können. Aus dem verkohlten Tresor konnten nur einige von der Hitze gebräunte Aktien gerettet werden. Die waren unter jenen Umständen weniger von Nutzen als unbedrucktes Papier oder gar dienstliche Formulare. Um deren Vorhaltung sorgte sich angesichts der zerstörten Druckereien noch sage und schreibe im Dezember 1944 ein
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Gleich zwei „Werbe“wagen für Ziele der NS-Politik gondeln hier die Königstraße hinauf. Zugfahrzeug ist ein verkleideter Arbeitswagen, hinter dem Anhänger verbirgt sich ein Beiwagenveteran aus der Pferdebahnzeit
„erneuten“ Hinweis auf die „Verpflichtung zur Tragung des Parteiabzeichens“, die demzufolge auch von den betreffenden SSBlern nachlässig gepflogen wurde. Als wenig später, Ende August 1944, Reichsminister Dr. Goebbels, zuständig „für den totalen Kriegseinsatz“, mit „sofortiger Wirkung“ eine Urlaubssperre für die „schaffende Heimat“ verfügte, damit in „dieser für den Endsieg so entscheidenden Zeit“ kein einziger Arbeitstag ungenutzt verlorengehe, war dies Grund für Schiller, diesen Erlass unverzüglich nochmals eigens den Mitarbeitern der SSB wörtlich bekanntzugeben. Der Krieg hatte nun auch an dieser Stelle die „Heimatfront“ eingeholt.
Rundschreiben der SSB „an alle Dienststellen“. Die sollten jeweils Musterstücke – notfalls „ein nicht mehr benötigtes ausgefülltes Exemplar“ – an die Hauptverwaltung der SSB einreichen, die inzwischen teils im Betriebshof am Marienplatz (damals offiziell „Platz der SA“), teils in einem gutbürgerlichen Wohnhaus im Degerlocher Villen viertel, Waldstraße 10, Unterschlupf gefunden hatte. Der Aufsichtsratsvorsitzende der SSB, der von den Nazis aus dem Amt geschobene Ober bürgermeister Dr. Karl Lautenschlager, residierte da schon in einem Notwohnsitz bei Münsingen. Von viel mehr grundsätzlicher Art war die Bekanntmachung, die SSB-Vorstand Dr. Schiller am 12. August 1944 „an alle Bahnen“ erließ – die SSB war auch betriebsführende Verwaltung der Straßenbahn Esslingen am Neckar und der Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Ostfilderstraßenbahn Esslingen – Nellingen – Denkendorf. „Gerüchtemacher“ hieß der Bezug: Kritisiert wurden von Schiller die angeblich „stark übertriebenen Behauptungen“ über Umfang und Schäden der „Terrorangriffe“ auf die Neckarmetropole. „Besonders beliebt“, so der damalige SSB-Chef und "Betriebsführer", „sind solche Erzählungen bei Straßenbahn fahrten.“ Derartige Übertreibungen hülfen „letztendlich dem Feind.“ Schiller schärfte den „Gefolgschaftsmitgliedern“ – die Straßenbahner hatten blind zu folgen – ein, falls nötig, müssten „die Schwätzer festgestellt oder deren Festnahme veranlasst werden.“ Das war nichts als die offene Aufforderung anderer zur Denunziation – mit allen Konsequenzen für Leib und Leben der Kollegen. Die Parteigenossen erhielten aus diesem Anlass in schönster Bürokratenprosa den 105
Links | Keine wirklich anheimelnde Szene: Die Kartoffelzufuhr in Stuttgart Ost Rechts | 1942 sehen wir vor dem kleinen Esslinger Depot einen Wagen der Ursprungsausführung (rechts) und den Beiwagen 80, der wegen der bis nach Stuttgart führenden Durchgangslinie längst die SSB-Lackierung trägt. Der Beiwagen hat nach kuriosem Lebenslauf bis heute durchgehalten und ist – in den Esslinger Frühzustand mit Lackierung in creme-rot versetzt – in der Straßenbahnwelt Stuttgart zu finden
„Gefolgschafter“ tragen die Folgen Fast schwerwiegender – die „Super“lative gehen bei einem solchen Thema allmählich aus – war die schlichte Mitteilung von Betriebsleiter Seeger ebenfalls von Mitte August 1944, einem der Monate, in dem sich Ereignisse, Folgen und Systematik offensichtlich überschlagen sollten: „Alle Bahnhofsvorsteher“ – das sind im Sprachgebrauch einer Straßenbahn, die bekanntlich keine Bahnhöfe aufweist, die Chefs der Betriebs höfe – wurden informiert, dass „männliche Schaffner“, hier „Gefolgschafter“ genannt, ab Jahrgang 1884 und jünger nicht mehr nur als Schaffner, sondern „unter allen Umständen“ – eine zeitbedingt gerne verwendete Bedingungsform – auch als Fahrer zu verwenden seien. Von einer Einarbeitung für diese zusätzliche Qualifikation war nicht die Rede. Argumentiert 106
wurde mit den üblichen vielsagenden „besonderen Gründen“, die keiner Erläuterung bedurften. Konsequenterweise verhieß schon ein Dutzend Tage später, am 24. August 1944, die nächste Mitteilung der Direktion, dass ab 28. August „80 KHD-Maiden“ aus dem Dienst der SSB zu nehmen seien – gemeint waren damit die zum „Kriegshilfsdienst“ verpflichteten, zumeist jungen Frauen, parallel zur Wehrpflicht der Männer, die bis dahin als Schaffnerinnen bei der SSB tätig gewesen waren. Diese Summe dürfte zumindest ein wesentlicher Teil des SSBBestandes dieser Damen gewesen sein. „Die Abgabe erfolgt an die Rüstung“, vermerkte die Anordnung bündig – statt Fahrscheine zu knipsen, stand den Frauen nun Akkordarbeit in einer dumpfen Werkhalle bevor, wo es Patronenhülsen zu füllen oder Dichtungsringe
zu stanzen galt. Auch die Restlohnzahlung und die Abgabe der Schaffneruniformen waren genau geregelt, ebenso der weitere Verbleib im „Gefolgschaftsheim“ der SSB in Degerloch. Dessen großzügiger Keller war bereits beim Bau 1938 „vorausschauend“ als Luftschutzraum angelegt und betoniert worden. Schon am 28. August 1944 kündigte eine weitere Bekanntmachung einen Zustand an, der – je nach Sichtweise – für eine vorausschauende Planung, für die Auflösung sinnvoller Ordnung oder für beides stand. Ab dem Folgetag mussten die Fahrgäste hinnehmen, dass abends ab 21 Uhr und morgens bis 6 Uhr auf jeweils den „hinteren“ Abschnitten der Linien 2, 5, 13 und 14 kein Zug mehr fuhr. Der Grund: „Aus Luftschutzgründen“ stellte die SSB ihre kostbaren
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Bitte herrichten! In solchem Zustand befanden sich nicht wenige der Wagen, welche die SSB ab 1945 bei der Maschinenfabrik Esslingen zur Instandsetzung einlieferte. Damit die Vehikel überhaupt überführt werden konnten, waren zunächst verbogene, gesplitterte, hinausragende Teile entfernt worden. Im vorliegenden Fall ergab die nähere Untersuchung aber offenbar, dass das Objekt nur noch als Teilespender lohne: Wagen 595, anno 1912 von Herbrand erbaut und 1944 in seinen unglücklichen Zustand geraten, erstand nicht mehr neu, sondern wurde als Kriegsverlust verbucht
Wagen – soweit es noch einsatzfähige gab – lieber nicht mehr in den teils sowieso zerstörten Depots der Innenstadt ab, sondern lieber auf den etwas weniger „luftgefährdeten“ Außenstrecken. Zwischen Feuerbach und Gerlingen wurde deshalb gar ganztägig auf eingleisigen Betrieb umgestellt und dafür das altbewährte Stabsystem eingeführt, dass nur jeweils der Fahrer in den Abschnitt einfahren durfte, der – sozusagen als handgreiflichen Ausweis – einen Signalstab in der Hand hatte. Der Stab musste jeweils an den Gegenzug übergeben werden, ein immerhin ohne Mechanik, Strom, Technik oder Papier funktionierendes Sicherungsverfahren, das der Frühzeit des Schienenverkehrs entstammte. Ohne offensichtlich gute Beziehungen der SSB zu Dienststellen der Reichsbahn und Ämtern bis nach Berlin hätte aber der Straßenbahnbetrieb Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
in Stuttgart, ob ein- oder zweigleisig, auch nicht funktioniert. Denn Durchschläge von Bahndienstfernschreiben zeigen, dass die SSB zumindest in Breslau und Regensburg etwa mal 20 Tonnen kupfernen Fahrleitungsdraht („Ri 100 qmm“), mal 300 Holzmasten loseisen konnte – Gegenstände, die im Herbst 1944 weitaus „wertvoller“ waren als Gold oder Silber. Die Masten wurden Richtung Stuttgart in Gang gesetzt, als nach dem Bombardement vom 19. und 20. Oktober 1944 praktisch alle Strecken der SSB betriebsunfähig waren, 97 Prozent der gesamten Netzlänge, nachdem es schon zuvor zu „empfindlichen Einschränkungen“ des SSBVerkehrs gekommen war. Das war umso fataler, als die Transportaufgabe der SSB mit zunehmender Kriegsdauer immer größer wurde: Nicht nur
viele Betriebe, vor allem die Bewohner der Stadt selbst quartierten sich zunehmend und notdürftig in den Vororten, den Streusiedlungen und im direkten Umland ein, um nicht vom Bombentod ereilt zu werden. Dadurch viervielfachten sich aber – neben der Fahrgastzahl – auch noch die Transportweiten. Wie es in der Stadt nach dem neuerlichen Großangriff aussah, lässt sich (kaum) vorstellen. Und doch gelang es Leitung und Mitarbeitern des Stuttgarter Verkehrsbetriebs, innerhalb eines Tages zehn Prozent wieder in Betrieb zu nehmen, nach drei Wochen die Hälfte des Netzes. Zum Weihnachtstag 1944 – ein denkwürdiges „Fest“ in einer aus Ruinen bestehenden Stadt, in der es schon etliche Hunderte von Toten gab – hatte man 73 Prozent erreicht. Dass es überhaupt noch Strom, die Kraftwerke, die Speiseleitungen und den Kohlenachschub 107
Links | Wagenhalle Ostheim, 1945: Es brauchte viel Vorstellungskraft, Phantasie, Fleiß, Beharrlichkeit, Geschick, Beziehungen und Glück, um aus einer solchen Ansammlung ausgeglühten Stahls wieder einen funktionierenden Verkehrsbetrieb zu machen Rechts | Papier ist geduldig: Über den Umfang der nicht mehr befahrbaren Streckenabschnitte konnten zwar beeindruckende Listen angelegt und verteilt werden. Auch an der Festlegung der Zuständigen, dem Problem abzuhelfen, fehlte es nicht. Wirklich weiter führte all das aber auch nicht ...
gab, erscheint schon fast als Wunder. Stichwort Strom und Leitungen: Eine besonders „originelle“ Form der Antriebsart für ihre Straßenbahn wagen – genauer gesagt die Beiwagen – hatte sich die SSB da allerdings inzwischen für den Streckenabschnitt Hackstraße – Wangen einfallen lassen: „Schlepper“, also Traktoren, auf schwäbisch ein Bulldog, zogen die gelben Hänger – so viel zum Stand des städtischen Beförderungswesens der Kulturnation Deutschland gegen Ende des „Großdeutschen Reiches“. Das Problem waren sogar meist weniger der Strom oder Kabel: Es standen oft schlicht die Häuser nicht mehr, an denen vormals die Wandhaken für die Fahrleitung angeschraubt gewesen waren.
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Links | Als ob die SSB nicht schon genug eigene Probleme gehabt hätte, musste sie über das „Reichsleistungsgesetz“ auch noch helfen, anderswo welche zu lösen. Bei der Straßenbahn in Essen, um 1943, zeigt sich ein dorthin ausgeliehener Beiwagen der SSB neben einem aus Erfurt requirierten Zug Rechts | Frühjahr 1946: Reger Betrieb zwischen Ruinen
Billigtarif „dank“ dem Krieg Auch nach solchen Kollateralereignissen funktionierte die Verwaltung der SSB offensichtlich noch erstaunlich präzise: Täglich musste die Betriebsleitung sowohl dem Polizeipräsident als auch dem Oberbürgermeister – dem Nazi Karl Strölin – genau schriftlichen Bericht erstatten über den Stand des Betriebsumfanges, der Schäden, der Probleme und Aussichten. Angesichts solcher Erschwernisse gab es noch genügend Gelegenheit zu ausführlichen schriftlichen Disputen zwischen den beteiligten Stellen und Ämtern: Die SSB hatte zu beklagen, dass die Aufräumtrupps von Stadt, Wehrmacht und Technischer Nothilfe mal die Straßenfahrbahnen von den Trümmern freilegten, aber nicht die mitunter bis zu den Fahrleitungen intakten Gleisanlagen. Wurden als erstes die Gleise
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freigeräumt, blockierten Lkw und andere Verkehrsteilnehmer wiederum den Schienenverkehr, wurde durch die zu hohe Ladung der Laster oft sogar der Fahrdraht heruntergerissen. Schlimmer noch, immer wieder schnitten die Räummann schaften „rücksichtslos“ die zwar tief herunter hängenden, aber noch durchgehenden Spannoder sogar Fahrdrähte durch, um nicht behindert zu werden – was wieder die SSB in „größte Schwierigkeiten“ brachte. Einige Schlaglichter aus der Verwaltung der SSB in der Zeit von November bis Jahresende 1944 sollen weiter erwähnt werden: Da wurde eine Maschinenfabrik in Stuttgart-Wangen besichtigt, um dort vielleicht einige Abteilungen der zerstörten Hauptwerkstatt unterzubringen, doch die wohl noch intakte Fabrik war ausgenützt
bis unters Dach und schied somit aus. Mit der Rheinbahn Düsseldorf stand man im Kontakt wegen des dort eben eingeführten Einheitstarifs, ähnlich wie man ihn in bei der SSB schon zuvor verwirklicht hatte. Das war kein Service zur Steigerung der Kundenzufriedenheit, sondern eine Notmaßnahme, die man in Stuttgart schon zu Jahresbeginn 1943 eingeführt hatte, schon wenige Monate später gefolgt von einer „einfacheren, verbilligten Preisordnung“ bei den Zeitkarten mit dem Ziel einer „schnelleren Abfertigung der Fahrgäste.“ Zudem ging es auch um die Einsparung von Papier (!), einem ebenfalls immer knapperen Rohstoff in diesem „modernen“ Krieg. Als nicht minder wichtig galt der Vorgang vom Vorsilvestertag 1944, in dem man die „bargeldlose Beförderung von Kriegsgefangenen auf Beförderungsschein“ aufhob. Angeordnet 109
Links | Dieser Arbeitswagen 2092 – in der Straßenbahnwelt Stuttgart gezeigt – wirkt relativ modern und zeitlos. Doch er entstand 1944 bei der Waggonfabrik Rastatt (nicht bei der Maschinenfabrik Esslingen) gemeinsam mit den Kompagnons 2091 und 2093, als Sandtransportwagen. Das ursprüngliche, 1944 fabrikneue Fahrgestell der Reichs-Einheitsbauart für solche Einfachfahrzeuge wurde in den 1960er Jahren durch ein solches eines 1300er Beiwagens ersetzt. Auch die Aufbauten sind wahrscheinlich modernisiert. Diese Wagen wurden kriegsbedingt mit Bremsklötzen aus Beton (!) geliefert statt mit solchen aus Stahlguss Rechts | Auch ein „Straßenbahn-Zug“ der SSB: Ende 1944 erfolgt die planmäßige Beförderung der Kunden im Stuttgarter Osten mit diesem Gespann
wurde die Abrechnung zum normalen Tarif, ebenso für den Wachmann, da der Soldatentarif „nur für Privatfahrten des Soldaten“ gelte. Ordnung zwischen Trümmern! Bargeldlos zu regeln war jedoch weiterhin die Fahrt für die „Facharbeiter-Kompagnie gefangener Franzosen“, die das zweifelhafte Vergnügen besaßen, zwischen Gerlingen, Feuerbach und „Danziger Freiheit“ – so hieß „zeitgemäß“ der Charlottenplatz – in Sonderwagen befördert zu werden. Einen Platz der französischen Freiheit gab es nicht! Dem städtischen Luftschutzleiter gegenüber beklagte die SSB die Erschwernis, ihre Gleisbaustellen aus Mangel an intakten Petroleumlampen und dem Brennstoff dazu nachts noch beleuchten zu können, damit niemand in die Löcher falle. Ähnliches gelte für die Einhaltung 110
der Verdunkelungsvorschriften bei den Straßenbahnwagen, deren Fensterscheiben bekanntlich bis auf einen schmalen Schlitz bläulich anzumalen waren: Eine Reihe von Wagen müsse „trotz Fehlens der Scheiben verwendet werden“, heißt es da. Es sollten zwar dann nächtens die Vorhänge zugezogen werden, doch seien auch jene meist „entweder zerstört oder entwendet“. Die Fensterverglasung fehlte komplett, weil Glas das erste ist, was in einem Bombenkrieg in tausend Splitter geht und sofort zur dauerhaften Mangelware wird.
am Beginn oder Ende eines Zehn-StundenArbeitstages, zu jeder Zeit unterbrochen durch die regelmäßige Flucht in den nächsten Luftschutzstollen.
Sie dürfte wenig „romantisch“ gewesen sein, die Fahrt in einem total überfüllten, ausgeleierten Straßenbahnwagen mit völlig offenen Fenstern und wehenden Vorhängen, im kalten Spätherbst durch die verdunkelte und zerstörte Stadt, Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
1947 am Neckartor: Der Zug von Seite 61 poltert mitsamt Fotograf Richtung Stöckach. Rechts ein Trupp französisches Militär, den es zu „grüßen“ gilt: Noch immer bestimmen Soldaten mit das Stadtbild, doch Nationalität und Farben haben gewechselt
Illusion auf Rädern Günstig fielen Mitte November 1944 die Verhandlungen mit der „Gauwirtschaftskammer“ aus, mit dem für die SSB erfreulich erscheinenden Ergebnis, die Firma Robert Schenk, Fahrzeugbau in Feuerbach, werde 20 „Straßenbahngüterwagen“ für Lebensmitteltransporte – natürlich in Stutt gart! – fertigen, dies auf Fahrgestellen zerstörter Beiwagen der Reihe 800 und alles „im Hinblick auf die ‚schwierige’ Versorgungslage“. Man stand also vor dem schlichten Problem, die Versorgungsgüter, die per Eisenbahn nach Stuttgart kamen, in die Ladengeschäfte zu bringen, und das ging nicht mehr ohne Straßenbahn, oder vielmehr ohne den bisherigen Park an Güterwagen der SSB, die bereits fast alle im Laufe der Vormonate zerstört worden waren. Die Pläne für die Wagenaufbauten sollte die Maschinenfabrik Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Esslingen fertigen, die ihrerseits mit Reparaturen von (kriegsbeschädigten) Triebwagen der SSB ausgelastet sei. Die Anteile von SSB und Schenk am Arbeitsablauf über die Arbeitskräfte bis hin zur Frage der Überstellung der Fahrgestelle „per Schlepper“ waren bereits genau festgelegt, die Freigabe der so wichtigen, bis auf das einzelne Kilo genau berechneten „Eisenbezugsrechte“ und „Holzscheine“ (was galten da läppische Geldscheine?) bereits erteilt. Überflüssig zu erwähnen, dass das papierene, sauber maschinenschriftliche Protokoll das einzig Habhafte dieses Vorganges blieb: Keine Feuerbacher Fabrik baute bis Kriegsende noch Wagen, keine SSB erhielt bis dahin noch Fahrzeugzugänge – woher auch, mit was? Die gesamte Neuerung im SSB-Wagenpark im Jahre des Herrn 1944 bestand aus drei Güterloren der
Reichseinheitsbauart für Straßenbahnen, gefertigt von der Waggonfabrik Rastatt, die man für untergeordnete Zwecke wie Transporte von Bremssand verwenden konnte. Ein Exemplar davon ist heute in der Straßenbahnwelt Stuttgart unter der Nummer 2092 als Gleisbauwagen zu bewundern. Gegenstand angeregter Verhandlungen und Schriftsätze zwischen SSB, Aufsichtsbehörde und „dem Herrn Polizeipräsidenten“ von Stuttgart war schließlich Ende 1944 – die Amerikaner hatten Aachen eingenommen und die Sowjets standen vor der Reichsgrenze – die Frage des „Wegfalls der Fahrtrichtungslampen“ (sprich: der Blinker) an den Triebwagen der SSB. Grund war die Unmöglichkeit, noch entsprechende Birnchen aufzutreiben. Die Behörden stimmten 111
Der Verlauf der grundsätzlich fertiggestellt gewesenen Umgehungsbahn durch den Rosensteinpark. Mit Kriegsende brauchte man derlei „strategischen“ Unfug nicht mehr, die nie befahrenen Gleise wurden sofort wieder abgetragen
dem Wegfall der Blinker zu, verbunden mit der Anweisung an die Fahrer, „noch vorsichtiger als bisher“ (!) zu fahren. Keine Entscheidung ohne deutsch gründliche Konsequenz: Betriebsleiter Seeger ordnete peinlich genau an, dass bis zum 4. Dezember 1944 sowohl die Schalthebel wie die verbliebenen Lämpchen zu entfernen seien. Das Jahresende 1944 schließlich beschlossen detailliert getippte Aufstellungen der im Kalender jahr zerstörten Objekte der SSB, also „Fliegerschäden“ (es waren wohl wieder nicht Bomben die Ursache?), mitsamt Wertangabe – wichtig für die Meldung an das „Kriegsschädenamt“. Jenes Amt konnte keinen krummen Nagel auftreiben, aber die emsige Verwaltungstätigkeit sicherte auf ihre Art Arbeitsplätze: Wer Verwendung hinter einem Schreibtisch fand, musste nicht an die wirkliche Front. Um nicht 112
missverstanden zu werden: Alle Verwaltungstätigkeit seitens der SSB, aller Papier-Krieg (übrigens nicht selten schon getan von Menschen, denen die Front bereits einen Körperteil oder ein Sinnesorgan genommen hatte, für ihr ganzes restliches Leben), war immer noch ein reflexhafter Versuch, dem Zerfall, Chaos und Wahn eine gelinde Ahnung von Ordnung und Beherrschbarkeit zu geben - im Interesse der Fahrgäste, und aller Einwohner der schwäbischen Hauptstadt.
Eisenbahn „frisst“ Straßenbahn Eine regelrecht bizarre Feststellung findet sich im Protokoll der Sitzung des Aufsichtsrates der SSB vom 19. Februar 1945, der inmitten der Trümmerwüste, die Stuttgart und das SSB-Netz einmal gewesen waren, ordnungsgemäß tagte. „Teileinstellung der Straßenbahnlinie 15 infolge einer neuen Reichsbahnanlage“, heißt es da. Die Umgehungsbahn Stuttgart-Bad Cannstatt – Feuerbach nämlich „schneidet die Straßenbahnlinie 15 in der Nordbahnhofstraße höhengleich.“ Es würde große Probleme bereiten, wenn eine Kreuzung der Fahrleitung der Reichsbahn mit jener der SSB eingerichtet werden müsse, wegen der unterschiedlichen Spannungen von 15 000 zu 650 Volt. „Im Notfall“, so ist festgehalten, würden über diese Strecke „sämtliche Züge der Reichsbahn umgeleitet.“ Die SSB habe „auf
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Links | Am 15. März 1945 dokumentierte das Stuttgarter Innenministerium per Amtsstempel den Eingang dieses Schreibens in Sachen Umgehungsbahn. Viereinhalb Wochen später erschienen die Franzosen in der Stadt Rechts | Plan der Überschneidungsstelle der Straßenbahngleise der Linie 15 durch die vorbereitete Umgehungsstrecke der Reichsbahn in der Nordbahnhofstraße, auf der Nordseite der Eisenbahnbrücken. Die den Plan verfassende Reichsbahndirektion Stuttgart war zu dieser Zeit längst ausgebombt, sie residierte notdürftig von einem „Befehlszug“ aus, der sich auf abgelegenen Bahnhöfen auf der Schwäbischen Alb versteckte
Einlegung einer Kreuzung vorläufig [!] verzichtet.“ Doch war ein weiterer Fall geregelt: „Sollte durch Luftangriffe die Heilbronner Straße für den Straßenbahnverkehr auf unbestimmte Zeit ausfallen“, - hier war wohl an einen Treffer auf die Brücke über den Nordbahnhof zu denken – „wird nachträglich diese Kreuzung eingebaut, sodass die Straßenbahnwagen über die Reichsbahngleise hinweggeschleppt werden können“ – mit Traktoren? Selbstverständlich gab der Aufsichtsrat zu diesem ‚Zukunftsvorhaben‘ seine Zustimmung, „die einer Stilllegung der Linie 15 von Nordbahnhof bis zum RobertBosch-Krankenhaus gleichkommt“, wie man immerhin ausdrücklich festhielt. Jeder Beteiligte hätte lebensmüde sein müssen, um auch nur den Hauch eines Widerspruches zu zeigen. Festgehalten war ferner „die Erklärung, dass
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die Umgehungsbahn mit Kriegsende wieder aufgelassen wird.“ Diese Not-Umgehungsbahn wurde tatsächlich begonnen und bis direkt vor Kriegsende gleismäßig hergestellt, wie Luftbilder zeigen sollen und Zeitzeugen ausgesagt haben. Sie ist auch – deutsch gründlich – als Lageplan aktenkundig. Sie führte vom Neckarviadukt um den Rosensteinpark und entlang der Ehmannstraße bis auf Höhe Nordbahnhof, wo sie gegen den Pragtunnel wieder in die Hauptbahn einmündete. Trotz der enorm engen Radien und den großen Steigungen war sie offenbar als „Vollbahn“ vorgesehen. Ihre letzten Spuren im Gelände wurden zur Gartenschau 1977 beseitigt. Die verbreiterten Pfeiler und Widerlager des Neckarviaduktes der Eisenbahnstrecke von
Bad Cannstatt her, auf der in Fahrtrichtung linken Seite, sind verbliebene Zeugen dieser „Verzweiflungsbahn“ – denn was hätte zu was wohin umgeleitet werden sollen, wenn nicht einmal der Hauptbahnhof der Landeshauptstadt mehr intakt war? Vermutungen gehen dahin, Materialtransporte zwischen der Industrie zu sichern, etwa zwischen Daimler Untertürkheim und Sindelfingen. Das immerhin hätte durch diese Bahn noch funktioniert, nachdem die Güterumgehungsbahn nach Kornwestheim durch Bombardement des Münster-Viaduktes zu dieser Zeit bereits unterbrochen war. -upf
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Links | Sehen so „Gewinnerinnen“ aus? Für die Frauen brachte der Ausgang des Ersten Weltkriegs letztlich eine habhafte gesellschaftliche Aufwertung, auch wenn dies noch seine Zeit brauchte Rechts | Der 6. September 1943 hätte über Stuttgart ein freundlicher Frühherbsttag werden können. Nach diesem Bombenabwurf über der Schlossstraße hat der Krieg spätestens nun auch den Stuttgarter Westen, auch diesen Straßenbahnzug und seine Besatzung erreicht: Fahren an der „Heimatfront“
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Ein schwäbischer Straßenbahner wirft nichts weg: Ein Dutzend Jahre wankte dieses einstmals knallrote Emailleblech als Zielschild auf dem Dach eines SSB-Wagens durch die Stadt. Danach durfte man den „Platz der SA“ wieder „Marienplatz“ nennen. Und für das Schild begann seine wesentlich längere „Dienstzeit“ als Einfassung eines Gemüsebeetes in einem Schrebergarten, nicht ohne dass zuvor die peinliche Inschrift abgeschlagen worden wäre. Die Sonderausstellung 2014/15 gab den Anlass, auch diese „Karriere“ aufzuzeigen
Impressum Herausgeber Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), 2015 Schockenriedstraße 50, 70565 Stuttgart Telefon 0711 / 78 85-26 87 Redaktion: H.-J. Knupfer, SSB-Pressestelle (VPR) Gestaltung: Ylva Brinker-Schulz/Brinker Arts
Bildnachweis: Sammlung Eckehart Alt (†): S. 7; S. 23 unten; S. 66; S. 67 Sammlung Gottfried Bauer: S. 81 Sammlung Udo Becker: S. 28 links; S. 29 rechts; S. 73 links Günter Dittus, Slg. Gottfried Bauer: S. 114 rechts Werkfoto Maschinenfabrik Esslingen, Bestand Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, StuttgartHohenheim: S. 91 (Bestand Y 500, Fotokartei 18, Bild 7999) Werkfoto Maschinenfabrik Esslingen, Bestand Archiv Verein SHB: S. 92 links Werkfoto Maschinenfabrik Esslingen, Archiv SSB AG: S. 92 rechts; S. 107 H.-J. Knupfer/SSB AG: Titel links; S. 30 rechts; S. 31 links; S. 70 links; S. 90; S. 110 links; S. 112; S. 115 Peter Letulé: S. 66 rechts; S. 101 unten Sammlung Thomas Moser: S. 59; S. 79 beide Joachim von Rohr: S. 53 unten; S. 94 rechts; S. 95; S. 97 beide; S. 100 Willy Rupp: S. 26; S. 29 links Stadtarchiv Stuttgart, vormals Bestand SSB AG: S. 20; S. 113 links Archiv Verband Deutscher Verkehrsamateure (VDVA): S. 36 unten; S. 49 unten; S. 106 rechts; S. 109 links Archiv Verein Stuttgarter Historische Straßenbahnen (SHB): S. 6; S. 9; S. 10; S. 24; S. 27; S. 28 rechts; S. 29; S. 31 rechts; S. 32; S. 47 rechts; S. 55 links; S. 57 beide; S. 60 oben; S. 77 links oben und links unten; S. 82 beide; S. 87; S. 88; S. 89; S. 94 links; S. 103 beide; S. 105; S. 108 rechts Archiv SSB AG: Titel rechts; S. 3; S. 5 beide; S. 8; S. 11; S. 12 beide; S. 13 beide; S. 14; S. 15; S. 17; S. 18; S. 19; S. 21 beide; S. 22, S. 25; S. 30 links; S. 33; S. 34 beide; S. 35; S. 37 beide; S. 38 beide; S. 39 beide; S. 40; S. 41; S. 42; S. 43 alle; S. 44 alle; S. 45 beide; S. 46 beide; S. 47 links; S. 48 beide; S. 49 oben links und rechts; S. 50 beide; S. 51 alle; S. 52 beide; S. 53 oben links und rechts; S. 54; S. 55 rechts; S. 56 beide; S. 58 beide; S. 60 unten; S. 61; S. 62; S. 63; S. 64 beide; S. 66; S. 68; S. 69; S. 70 rechts; S. 71 beide; S. 72 beide; S. 73 rechts; S. 74; S. 75 rechts; S. 76 beide; S. 77 rechts oben und rechts unten; S. 78; S. 80 beide; S. 83; S. 84; S. 85; S. 86; S. 93; S. 96; S. 98 beide; S. 99; S. 101; S. 102 beide; S. 104 beide; S. 106 links; S. 108 links; S. 109 rechts; S. 111; S. 114 links; Rücktitel Sammlung Gert-René Trück: S. 113 rechts Erhard Weidelt, Slg. Ralph Hölscher: S. 110 rechts Stuttgarter Straßenbahnen AG | Themen der Zeit | Fahren an der "Heimatfront"
Verwendete und weiterführende Quellen Bauer, Gottfried: Die Trümmerbahn half beim Wiederaufbau. In: Über Berg und Tal 1/75 Geschäftsberichte der SSB AG, 1913 – 1919, 1939 - 1946 Loercher, P. [Paul]: Straßenbahnwagen für die Güterbeförderung [in Stuttgart]. In: Elektrische Kraftbetriebe und Bahnen. Berlin, Heft 1/1918 Frick, K.: Aus der Geschichte der Stuttgarter Straßenbahnen. [Enthält u.a.: Marktwarentransport ab 1911; Unser Betrieb während des Krieges 1914 – 18]. In: Über Berg und Tal, Jahrgang 1937 (Heft 7) Seeger [Helmut]: Aus der Arbeit der Güterstelle. In: Über Berg und Tal, Jahrgang 1943 (Heft 2) I.H.: Frauen als Straßenbahnfahrerinnen – Schon im Ersten Weltkrieg gab es sie bei den Stuttgarter Straßenbahnen. In: Über Berg und Tal, Jahrgang 1963 (Heft 5)
Generelle Literatur Bardua, Heinz: Stuttgart im Luftkrieg 1939 – 45. Stuttgart 1985/1997 Müller, Roland: Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus. Stuttgart 1988 Zelzer, Maria: Stuttgart unterm Hakenkreuz. Stuttgart 1983 Kotzurek, Annegret; Redies, Rainer: Stuttgart von Tag zu Tag 1900 – 1949. Tübingen 2009 Dauerausstellung zu den Schutzbauwerken des Zweiten Weltkrieges in Stuttgart: Verein Schutzbauten Stuttgart e.V. www.schutzbauten-stuttgart.de Straßenbahnwelt Stuttgart, Veielbrunnenweg 3, Bad Cannstatt. Geöffnet Mi, Do, So 10 - 17 Uhr. Sonderausstellung „Fahren an der Heimatfront – Die Straßenbahn im Krieg“, bis Sonntag, 28. Juni 2015. Telefon 0711 / 78 85-77 70. www.strassenbahnwelt.com 115
98 | 1999 | 2000 | 2001 | 2002 | 2003 | 2004 | 2005 | 2006 | 2007 | 2008 | 2009 | 2010 |
Stuttgarter Straßenbahnen AG Pressestelle Postfach 80 10 06 70510 Stuttgart www.ssb-ag.de m 6043761 [ID 15057 | 05.2015]
Wenn es ein öffentliches Symbol für Bürgerlichkeit und Zivilisation gibt, dann ist es eine Straßenbahn. Die Eisenbahn ist notwendiges technisches Mittel zum Zweck, um Entfernungen zu überwinden. Die Straßenbahn ist eine technisch-kulturelle Errungenschaft: Sie zeigt, das Gemeinwesen ist so hoch entwickelt, dass man es sich auch in der Stadt leisten kann, nicht zu Fuß zu gehen. Wenn aber Not und Barbarei einmal so weit kommen, dass selbst die Straßenbahn zum Teil einer Notversorgung wird, dass sie – und die Straßenbahner – schließlich selbst betroffen sind von Angriff und Zerstörung, dann ist der Krieg in der tiefsten Heimat angekommen: Fahren an der Heimatfront. Wie dies am Beispiel von Stuttgart in zwei Kriegen aussah, auch davor und danach, das schildert diese Broschüre.
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