Transcript
Manuskript
radioWissen
SENDUNG: 26.06.2015 09.05 Uhr
AUFNAHME:
STUDIO: SK Ab 9. Schuljahr
TITEL:
Frau Professor Suche nach einer geschlechtersensiblen Sprache
AUTORIN:
Julia Fritzsche
REDAKTION:
Dr. Gerda Kuhn
REGIE:
Sabine Kienhöfer
TECHNIK:
Michael Krogmann
PERSONEN:
ERZÄHLERIN
Caroline Ebner
ERZÄHLER
Peter Veit (PS)
ZITATOR
Peter Veit (PS)
ZITATORIN
Beate Himmelstoß (PS)
Lann Hornscheidt, Profx. für Gender Studies und Sprachanalyse der Humboldt-Universität Berlin Luise F. Pusch, Linguistin Antje Schrupp, Politikwissenschaftlerin und Journalistin
Zuspielungen
Digas / Tabelle: Wissen und Forschung / „Sprache und Gender“
________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258
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Musik
Angel fragments
C1279160 116
ZITATOR: „Wenn Sie mit Profx. ((für Zitator: ausgesprochen „geehrtix Professix“) Lann Hornscheidt Kontakt aufnehmen wollen, achten Sie bitte darauf, geschlechtsneutrale Anreden zu verwenden. Bitte vermeiden Sie alle zweigendernden Ansprachen wie "Herr ___", "Frau ___", "Lieber ___", oder "Liebe ___". Eine mögliche Formulierung wäre dann z. B. "Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt".“ Musik aus
ERZÄHLERIN: So steht es auf der Homepage von Lann Hornscheidts Lehrstuhl Genderstudies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität in Berlin.
O-TON HORNSCHEIDT: GRÜNDE Ich wollte das, weil ich mich nicht als Mann oder Frau verstehe und es im Deutschen bisher wenige Möglichkeiten gibt, eine andere Form zu wählen für sich selbst, die nicht Zweigeschlechtlichkeit wieder aufruft. Und dann habe ich eben diese Form aus dem lateinamerikanischen feministischen Raum entlehnt, da wird diese Form schon ganz lange benutzt, um diese Endung –a oder –o zu umgehen. Und im Englischen ist jetzt ja gerade als dritte Anrede neben „Mr“ und „Ms“ dieses „Mx“ ins OxfordDictionary aufgenommen worden. Und diese Form hab ich dann eben entlehnt und „–ix“ auch verwendet, um Weiblichkeit und Männlichkeit herauszufordern.
ERZÄHLERIN: Ein Forschungsschwerpunkt von Hornscheidt ist Kognitionslinguistik. Diese Forschungsrichtung der Sprachwissenschaft geht der Frage nach, wie Sprache sich darauf auswirkt, wie wir uns die Welt vorstellen, welche Wirkung es zum Beispiel hat, wenn eine Sprache verschiedene Zeitformen wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kennt. Sprache prägt unser Bewusstsein, lehrt die Kognitionslinguistik. Die Tatsache, dass wir zum Beispiel auf Formularen häufig „Herr“ oder „Frau“ ankreuzen müssen, macht es auf Dauer schwer, uns klarzumachen, dass es neben diesen ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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3 beiden Geschlechtskategorien noch etwas anderes gibt, also zum Beispiel intersexuelle oder transsexuelle Menschen. Lann Hornscheidt ahnte, dass die Aufforderung, „Professix“ genannt zu werden, provozieren würde. Doch nach den ersten Zeitungsartikeln darüber im April 2014 drohten einige Menschen Hornscheidt sogar mit Gewalt und Mord.
OT HORNSCHEIDT: Reaktionen Ja, machen sie immer noch übrigens. (lacht) Jetzt gerade ist wieder eine ganz große Welle mit Hassmails. Das kommt immer darauf an, ob es gerade wieder einen Artikel gab oder ein Radiointerview wie das jetzt. Da gibt es eine ganze Reihe von direkten körperlichen Gewaltandrohungen, Vorschläge, mir schon körperlich zu zeigen, welches Geschlecht ich denn bin. Jetzt diese Woche hat jemand geschrieben: ich fühle mich in meiner Freiheit eingeschränkt, wenn ich Sie nicht benennen kann, wie ich will.
Musik Dude you are so crazy C1087590 011 ZITATOR/IN: (wechselnd) „Das wirklich traurige ist, dass wir dieses Ungeziefer mit Steuergeldern am Leben halten.“ „Ist es eigentlich Absicht, dass man schon am Photo das Geschlecht nicht erkennen kann? Ix (bitte auch so aussprechen) lebt das ja richtig!“ „Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es Lann ankotzt, wenn sie mal zum Frauenarzt muss.“ Musik aus
ERZÄHLERIN: Diese Reaktionen bekommt Lann Hornscheidt auf Facebook aus der rechten Ecke. Doch auch das bürgerliche Milieu reagiert verständnislos und höhnisch. Der stellvertretende Chefredakteur der Weltgruppe, Ulf Poschardt, postet einen Screenshot der Uni-Homepage, auf der auch ein Foto von Hornscheidt ist, und schreibt: ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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4 ZITATOR: „What you see is what you get“ (Das, was Du siehst, bekommst Du auch)
ERZÄHLERIN: Journalistenfreunde von ihm klicken den Like-Button. Und die Soziologin Heike Diefenbach fordert in einem offenen Brief an den Berliner Senat, Hornscheidt von der Universität zu verweisen, da bewiesen sei, …
ZITATORIN: „…dass er / sie über keine Befähigung und in keiner Weise eine besondere Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten verfügt.“
O-TON HORNSCHEIDT: Gründe für Protest Ich glaub, dafür gibt es mehrere Gründe. Das Eine ist, dass Zweigeschlechtlichkeit eine ganz starke Norm in dieser Gesellschaft ist. Und das Zweite ist, dass ich es auf einer statushohen öffentlichen Position für mich will. Das ist natürlich etwas anderes, wenn eine Person in einer kleinen NGO oder einer kleinen Transgruppe sagt: ich nehme jetzt mal eine andere Form, oder ob ich das auf einer Professur sag. Das heißt, ich stehe für das, was akademisches, solides Wissen in Deutschland ist.
MUSIKBREAK The day the devil CD570550 007
ERZÄHLERIN: Ähnlich wie Lann Hornscheidt heute erging es der Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch vor knapp vierzig Jahren. Pusch wollte die weibliche Form in die deutsche Sprache einführen. Musik aus
O-TON PUSCH: Reaktionen „Also Morddrohungen hab ich für die Vorschläge zur feministischen Linguistik nicht bekommen, aber doch sehr heftigen Gegenwind, bis hin zum Berufsverbot. Ich konnte das nicht sofort erkennen, weil ich noch ein Heisenberg-Stipendium hatte. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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5 Aber als ich dann fertig war mit allem und gleichzeitig auch in die feministische Linguistik eingestiegen war, da war ich persona non grata: 20 Jahre Ausbildung für den akademischen Beruf mit den höchsten Auszeichnungen, das war plötzlich alles nichts mehr wert, nachdem ich 20 Seiten feministische linguistische Überlegungen veröffentlicht hatte.“
ERZÄHLERIN: Luise F. Pusch arbeitet Ende der 70er Jahre zusammen mit ihrer Kollegin und Freundin Senta Trömel-Plötz an der Universität Konstanz. Beide Frauen sind geprägt von den USA. Schon aufgrund ihrer Berufswahl – beide sind Anglistinnen und Trömel-Plötz außerdem durch ihre Studienerfahrungen in den Vereinigten Staaten. Die Wissenschaftlerinnen beobachten, dass die amerikanische Frauenbewegung einen Sprachwandel fordert. Diese ist ihrerseits inspiriert von der US-Bürgerrechtsbewegung, die seit Jahrzehnten gegen abwertende Bezeichnungen für schwarze Menschen wie „nigger“ oder „boy“ kämpft. 1973 veröffentlicht die Linguistin Robin Lakoff die Analyse „Language and Womens‘ Place“. Musik The Twist CD580530 012
ZITATORIN: „Dieses Buch ist ein Versuch, anhand des Sprachgebrauchs eine Form der Ungleichheit zu belegen: der zwischen Männer- und Frauenrollen. (…) Wir werden herausfinden, dass Frauen sprachliche Diskriminierung auf zwei Arten erfahren: in der Art, wie man sie lehrt, die Sprache zu gebrauchen, und in der Art, wie die Sprache sie gebraucht.“ Musik aus
O-TON Pusch: Artikel in fem. Berichte „Da hatte Senta Trömel-Plötz aus den USA diese Fragestellungen mitgebracht, hat dazu einen Aufsatz in der deutschen Zeitschrift „Linguistische Berichte“ veröffentlicht, und darauf wurde sie dann extrem angegriffen, besonders von einem Linguisten namens Kalverkämper. Der veröffentlichte dann in der selben Zeitschrift den Gegenartikel. Es ging darum, dass die Sprache nicht feministisch kritisiert werden ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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6 darf, und „Doppelformen sind überflüssig“, „die Frauen sind ja mitgemeint“, und all solche Sachen. Und da haben wir beide uns hingesetzt und uns überlegt, welche von uns antwortet denn jetzt darauf. Und damit nach außen signalisiert wird: da ist nicht nur eine einzelne Verrücktgewordene, sondern da sind also mindestens zwei, und dann lässt sich sowas nicht so leicht vom Tisch wischen, habe ich mich entschlossen, darauf zu antworten.“
ERZÄHLERIN: Zusammen mit zwei weiteren Linguistinnen, Ingrid Guentherodt und Marlis Hellinger, veröffentlichen die Wissenschaftlerinnen 1980 die ersten deutschsprachigen „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“.
ZITATORIN: „Sprache ist sexistisch, wenn sie Frauen und ihre Leistung ignoriert, wenn sie Frauen nur in Abhängigkeit von und Unterordnung zu Männern beschreibt, wenn sie Frauen nur in stereotypen Rollen zeigt und ihnen so über das Stereotyp hinausgehende Interessen und Fähigkeiten abspricht, und wenn sie Frauen durch herablassende Sprache demütigt und lächerlich macht.“ Musik Dear Miami Z9303699 008
ERZÄHLERIN: Die Linguistinnen analysieren in den Richtlinien, wie die Gesellschaft zur damaligen Zeit über Frauen und Männer spricht. Musik aus
OT PUSCH: Textkritik Wenn Sie heute hören, „Merkel trifft sich mit Obama“, dann war das früher ganz unmöglich. Da sagten sie immer, „Frau Merkel trifft sich mit Obama“. Das galt als höflich, aber es ist natürlich eigentlich etwas herablassend. Denn es wird immer mitgeteilt: ein Mensch ist ein Mann, es sei denn das Gegenteil wird signalisiert durch das Merkmal „Frau“ davor. Da wurde also textlinguistisch gefordert, dass nicht nur Männer mit Nachnamen benannt werden, sondern auch Frauen. Oder es soll nicht ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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7 immer gesagt werden, „Herr Prof. Dr. Meier kam zusammen mit seiner Gattin“, sondern „Herr. Prof. Dr. Meier kam zusammen mit Frau Dr. med. Ingeborg Meier“ und so weiter.
ERZÄHLERIN: Neben der Art, wie über Frauen und Männer gesprochen wird, stellen Luise Pusch und ihren Kolleginnen in den „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ aber vor allem grammatikalische Forderungen.
OT PUSCH: Wichtigste Ford Die wichtigste, für die ich mich auch seitdem stark gemacht habe, war, das sogenannte „generische Maskulinum“ aufzuweichen - und dann letztendlich abzuschaffen. ERZÄHLERIN: (Hinweis Regie: „wir“ bitte nicht belehrend sprechen, sondern eher erzählerisch) Ein generisches Maskulinum liegt vor, wenn wir von „Politikern“ sprechen, damit aber sowohl Frauen als auch Männer in politischen Ämtern meinen. Wenn wir also die männliche Form für beide Geschlechter verwenden. Ein generisches Femininum andrerseits läge vor, wenn wir mit „Politikerinnen“ beide Geschlechter meinen würden, doch diese Variante sieht die deutsche Sprache bislang nicht vor. Das generische Maskulinum, also die generelle Formulierung „Politiker“, wird - damals wie heute – gern mit dem Einwand verteidigt:
Musik
Time ripples
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ERZÄHLER: „Aber Frauen sind doch mitgemeint!“
ERZÄHLERIN: Kognitionslinguistische Studien wie die bereits 1982 vorgelegte Analyse „Frauensprache. Sprache der Veränderung“ von Senta Trömel-Plötz belegen, dass ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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8 wir beim generischen Maskulinum keineswegs Frauen immer in unsere Vorstellung miteinbeziehen. Musik aus Der Grund: ein Wort wie „Studenten“ soll in manchen Situationen alle Menschen bezeichnen, die an einer Universität studieren. Ein Beispiel dafür wäre der Satz: „Die Studenten der Stadt Leipzig stehen der Wahl positiv gegenüber“. In anderen Situationen dagegen steht der Begriff nur für männliche Studenten, etwa im Satz: „Die Studenten der Stadt Leipzig haben meist Freundinnen, die drei bis acht Jahre jünger sind als sie selbst“. Da es also nicht immer klar ist, ob Frauen mitgemeint sind oder nicht, stellen wir uns häufig auch beim allgemeinen Gebrauch nur Männer vor. Frauen werden durch das generische Maskulinum also häufig unsichtbar. Das ist auch der Fall, wenn wir von hypothetischen Personen sprechen.
OT PUSCH: hypothetische Personen Das kommt vor in solchen Sätzen wie „Wer wird Millionär?“ oder „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Da ist ja nicht irgendjemand Bestimmtes gemeint, sondern so der Arzt und der Apotheker allgemein. Aber gibt es nicht eigentlich viel mehr Apothekerinnen als Apotheker? Warum soll ich dann ausgerechnet meinen „Apotheker“ fragen? Diese Männersprache ist eine ständige Reklame für Männer. Und das hat effektive bis hin zu finanziellen Nachteilen für Frauen. ERZÄHLERIN: („wir“ bitte nicht belehrend sprechen, sondern eher erzählerisch) Ob wir wollen oder nicht: meist haben wir eine bestimmte Vorstellung davon, welches Geschlecht eine Personengruppe hat. Das zeigt sich auch darin, dass wir nicht immer konsequent nur die männliche Form benutzen, sondern einerseits von „Ärzten“, andererseits aber von „Krankenschwestern“ sprechen, oder von „Piloten“ und „Stewardessen“, von „Abteilungsleitern“ und „Sekretärinnen“. „Stewards“ und „Hausmänner“ sind die Ausnahme, und unter einem „Sekretär“ stellen wir uns eher ein Möbelstück vor als einen Mann. Luise Pusch und ihre Kolleginnen fordern deshalb in den 80er Jahren die Doppelform, also beispielsweise die Ansprache: „Bürgerinnen und Bürger“. Das wird oft mit einem weiteren Einwand zurückgewiesen: ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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ERZÄHLER: „Das ist zu umständlich.“
O-TON PUSCH: ja, nach 200 Jahren gen. Femininum Darauf sage ich: da haben Sie vollkommen Recht. Das ist viel zu kompliziert, die Männer immer mitzunennen. (lacht) Deswegen also gleich das generische Femininum einführen. Nach dem Rotationsprinzip. Jetzt hatten wir das generische Maskulinum seit, sagen wir mal, 2.000 Jahren oder noch viel länger. Da sollten wir jedenfalls mal 100 Jahre das generische Femininum ansetzen. Also mit dem Wort „Arbeiterinnen“ sind dann auch die Männer mit-gemeint. „Es gibt hier in unserem Betrieb 50 Arbeiterinnen, darunter 20 männliche“. Warum soll das dann nicht auch gehen? Musik
Angel fragments
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ERZÄHLERIN: Auch diese Variante findet keine Anerkennung, sondern Gespött. Die Vorlesungen von Luise Pusch besuchen zu Beginn der 80er Jahre zwar viele interessierte Studentinnen, doch auch deren Lebenspartner und Ehemänner kommen in den Hörsaal und sind oft ganz anderer Meinung: Turnlehrer und Bademeister, so Pusch, halten ihr Vorträge über ihre Auffassung der deutschen Sprache. Selbsternannte Sprachschützer schicken ihr Briefe, in denen sie die „Sprache Goethes und Luthers“ schützen wollen. Ihr Argument: Musik aus
ERZÄHLER: „Die feministische Linguistik tut der Sprache Gewalt an.“
O-TON PUSCH Gewalt an Sprache oder an Frauen Ich hab dann gesagt: „Sprache ist doch wirklich ein Abstraktum. Was wirklich passiert, ist, dass den Frauen Gewalt angetan wird, denn sie werden einfach eliminiert.“ 99 Sängerinnen und ein einziger Sänger machen aus dieser weiblichen ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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10 Gruppe symbolisch eine männliche, und jeder Gedanke an Frauen verschwindet, egal wie viele da waren. Ich hab dann gesagt zu denen: „Stellen Sie sich vor, es findet eine CDU-Veranstaltung statt, und da ist auch ein SPD-Mitglied dabei, und am nächsten Tag redet die Zeitung von einer SPD-Veranstaltung. Das würde ja die CDU, oder um in Bayern zu bleiben: die CSU, auch nicht mögen. Aber das ist genau das, was den Frauen serienmäßig passiert.
ERZÄHLERIN: Die „Neue Frauenbewegung“, die Ende der 60er Jahre in Deutschland entstanden war, nimmt die Ideen der feministischen Linguistik auf. Denn während die organisierte Frauenbewegung im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem formale Rechte wie Zugang zur Erwerbsarbeit und das allgemeine Wahlrecht gefordert hatte, betonen die Frauen der 60er und 70er Jahre vor allem, auch das Private sei politisch. Sie wollen selbst über ihren Körper bestimmen, Kindererziehung und Hausarbeit neu aufteilen und sexuelle Gewalt aufdecken. Sprache als Alltagspraktik und eine feministische Kritik daran passen da gut dazu. Die feministische Linguistik zeigt, Musik Dude you're so crazy C1087590 011
wie die männlich geprägte Sprache mit dazu beiträgt, dass das Männliche als das “Normale” und Allgemeingültige empfunden wird, das Weibliche aber gerade nicht. Es ist dieser Logik zufolge erst einmal der "Ausnahmefall", das "Unnormale", weil vom Männlichen Verschiedene. Die Sprache ist also Teil des Sozialisationsprozesses, den die französische Philosophin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir 1949 in ihrem Werk „Das andere Geschlecht“ beschrieben hatte.
ZITATORIN: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Musik aus ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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11 OT SCHRUPP: Pusch Ich bin Antje Schrupp. Ich bin Politikwissenschaftlerin, wohne in Frankfurt am Main und benutzte die inklusive Sprache, seit ich Luise Pusch das erste Mal gelesen hab, irgendwann in den 80ern (lacht). Als ich „Das Deutsche als Männersprache“ damals gelesen hab, war das für mich wie die Entdeckung einer neuen Welt! Ich war total begeistert und hab mein Sprechen und mein Schreiben danach geändert. Mein Forschungsgebiet ist ja Politische Ideengeschichte. Und da beschäftige ich mich eben mit Ereignissen in der Vergangenheit. Und wenn dann immer das generische Maskulinum benutzt wird, weiß ich schlichtweg nicht, ob da Frauen dabei waren, oder nicht, was für eine feministische Forscherin aber eine ganz essentielle Information ist. Und das ist einfach problematisch.
ERZÄHLERIN: Die Journalistin und Bloggerin Antje Schrupp hat mehrere Bücher zu Frauenbewegungen geschrieben, unter anderem über die Frauen in der ersten Internationalen und 2015 den Comic „Kleine Geschichte des Feminismus“. Luise Pusch, so sagt sie, hat der Frauenbewegung Aufschwung verschafft und eine neue Art des Sprechens geschaffen. Die feministischen Linguistinnen schlagen neben der Doppelform neutrale Formulierungen wie „Lehrkraft“ oder „Studierende“ vor, ab den 80er Jahren der Einfachheit halber das sogenannte „Binnen-I“, also beispielsweise das Wort „Leser“ und dann daran angehängt „Innen“ mit großem I. Das ist kürzer als die Doppelform und hat den Vorteil, dass es die weibliche Lesart suggeriert, aber auch für Männer akzeptabel sein sollte, da es sich von der rein weiblichen Form „Leserinnen“ mit kleinem i unterscheidet.
MUSIK Time C1573980 105
Während die Wissenschaftlerinnen an der Universität viel Gegenwind bekommen, sind sie außerhalb erfolgreich. Zum Ärger einiger Kollegen veröffentlicht der Suhrkamp-Verlag die Bücher von Luise Pusch - und verkauft sie gut. Langsam übernehmen auch staatliche Institutionen die Forderungen der feministischen Sprachwissenschaft. 1987 verpflichtet sich die UN-Kulturorganisation UNESCO ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-3862
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12 dazu, geschlechterdiskriminierende Formulierungen zu vermeiden. Institutionen, Ministerien und Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz erlassen Richtlinien. Der Deutsche Bundestag verfasst 1991 den Bericht über »Maskuline und feminine Personenbezeichnungen in der Rechtssprache«. Und im Bundesgleichstellungsgesetz heißt es heute: Musik aus
ZITATORIN: „Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen in einer geschlechtergerechten Sprache gefasst werden. (…)Die Bundesverwaltung wird gesetzlich zu einer geschlechtergerechten Sprache verpflichtet.“
ERZÄHLERIN: Offizielle Dokumente enthalten heute fast immer auch die weibliche Sprachform, im Mündlichen allerdings verwendet die Mehrheit sie nicht. Nur im Wahlkampf ist von „Bürgerinnen und Bürgern“ die Rede und in der Zeitung heißt es „Liebe Leserinnen und Leser“. Doch die Doppelform verkommt hier oft da zur leeren Formel, wo es vor allem darum geht, bloß niemanden zu verlieren. Die Frauen sind häufig nicht wirklich mit Empathie mitangesprochen. In einigen Milieus und in manchen Medien, Betrieben und Unternehmen zeigt die feministische Linguistik, also auch die Arbeit von Luise Pusch, jedoch Wirkung.
OT SCHRUPP: geschaffen Sie hat auf jeden Fall ein Bewusstsein für die Problematik geschaffen, dass Sprache nicht einfach ein Instrument ist, das egal ist, sondern dass Sprache eine Auswirkung darauf hat, wie wir denken und wie wir wahrnehmen. Und wer jetzt das generische Maskulinum benutzt, muss das politisch verantworten, weil es die Alternative gibt, und vor Luise Pusch hat es die Alternative nicht gegeben . Und sie hat ja auch dazu geführt, dass die Experimente mit der Bezeichnung der Person noch weitergegangen sind. Musik Total eclipse
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ERZÄHLERIN : Seit den 90er Jahren erleben wir eine neue Welle des Feminismus, manchmal „Dritte Welle“ genannt, darunter sogenannte „queerfeministische“ Gruppen, die „natürliche“ Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ kritisieren. Musik aus
Immer öfter kommt es vor, dass Menschen sich nicht als Frau oder Mann definieren wollen – viele fügen deshalb Lücken oder Freiräume in die Sprache ein, die das symbolisieren sollen: zum Beispiel den Unterstrich, also „Student_innen“ (Hinweis für ERZÄHLERIN: „Student, Unterstrich, innen“), das sogenannte Gendersternchen also „Arbeiter*innen“ (Hinweis für ERZÄHLERIN: Arbeiter, Sternchen, innen) und eben die Endung „-ix“ wie bei „Professix“ Lann Hornscheidt.
OT HORNSCHEIDT: soz. Beweg Sprachveränderungen werden nicht an der Uni geboren und enden da auch nicht. sondern kommen immer aus politischen Bewegungen. Und diese ganzen Unterstrich- und Sternchen-Formen kommen auch aus genau diesen Bewegungen. Von Personen, ganz häufig jetzt in diesem Fall, die sich als feministisch verstanden haben, aber gesagt haben, ein Feminismus, der nur von Frauen und Männern ausgeht, ist uns zu wenig. Wir wollen mehr. Und es muss eine Veränderung geben, also eine Ausweitung von eher älteren Feminismus-Konzepten.
ERZÄHLERIN: Das britische Oxford-Dictionary hat 2015 neben „Mr.“ und „Mrs.“ deshalb die geschlechtsneutrale Variante „Mx.“ eingeführt. Und neben der umständlichen Formulierung „he “oder „she“ - also er oder sie - setzt sich als Ersatz das geschlechtsneutrale „they“ durch, das schon Shakespeare verwendet hatte. Auch die „Schwedische Akademie“ hat neben „han“ für „er“ oder „hon“ für „sie“ 2015 das geschlechtsneutrale Fürwort „hen“ in ihre Wortliste aufgenommen.
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14 OT HORNSCHEIDT: Sprachhandeln Mein Ansatz ist es eben, zu sagen: immer wenn ich spreche, handle ich. Und in der Form, wie ich das mache, kann ich Welt mitgestalten! Und das ist ja eigentlich ganz wunderbar. Weil wie müssen uns nicht große Demonstrationen ausdenken, was auch alles toll ist, aber wir können jeden kleinen Moment handeln, indem wir überlegen, wie wir über Leute sprechen. Und da ist für mich eine Regel, dass die Leute, die diskriminiert sind, ein Recht darauf haben, so angesprochen zu werden, wie sie angesprochen werden wollen, das ist zum Beispiel in der Rassismus-Debatte ein ganz wichtiges Thema. Wenn ich kommunizieren möchte mit Menschen, will ich ja immer respektvoll sein, gehe ich von aus. Also nehme ich diese Forderungen auch wahr. Musik Angel fragments
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ERZÄHLERIN: Ja. Auf alle Rücksicht zu nehmen und sich umzugewöhnen, ist umständlich. Und: ja. Sternchen, Unterstriche und Ixe machen die Sprache oft schwer verständlich. Doch unsere bisher übliche Sprache lässt Menschen einfach weg und damit auch wertvolle Informationen. Sie ist damit noch viel unverständlicher als ein „x“.
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