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Stefan Diefenbach-Trommer Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland 1/2016
Warum Gemeinnützigkeit politisch ist und es keinen „politischen Verein“ braucht Fachgespräch der hessischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
In den vergangenen sechs Monaten ist es der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 60 Vereinen und Stiftungen, gelungen, ihr Anliegen in Gesprächen mit allen Bundestagsfraktionen sowie mit Regierungsvertretern zu platzieren: Dass Organisationen ihre Gemeinnützigkeit riskieren, wenn sie sich für ihr Anliegen auch mit politischen Mitteln einsetzen, und dass durch dieses Risiko die demokratische Debatte beschädigt wird. Für die Gesprächspartner in der Politik war das Thema oft neu und brachte ihnen ein besseres Verständnis der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Eine Politikerin dankte am Ende des Gesprächs für die Fortbildung. „Thema platziert“ heißt noch nicht „Problem gelöst“. Das Spektrum der Antworten reicht von „Wer politisch aktiv sein möchte, der wird in der bestehenden Parteienlandschaft sicher fündig“, bis zum Eindruck, dass zivilgesellschaftliche Organisationen neben den Medien eine weitere Säule der Demokratie sind. Während die Allianz als Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Organisationen zunächst auf schnelle Lösungen durch eine Ergänzung der Abgabenordnung dringt, schauen Politiker oft mit einer parteipolitischen Brille auf das Problem und arbeiten sich an Unterschieden zu Parteien ab. Zwar erkennen die meisten, dass politisches Engagement auch außerhalb von Parteien stattfindet, dennoch wollen viele die Regeln für Parteien dann auch auf gemeinnützige Organisationen anwenden, obwohl sich diese Organisationen nicht um Mandate bewerben und so keinen direkten Einfluss auf politische Entscheidungen erlangen können und wollen. Die hessische Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat sich in einem öffentlichen Fachgespräch am 30. November 2015 der Debatte angenommen. Unter den zahlreichen Zuhörern waren auch Vertreter des hessischen Finanzministeriums und anderer Parteien, etwa ein CDULandtagsabgeordneter. Die hessischen Grünen haben ein besonderes Problembewusstsein, da sie dort an der Regierung beteiligt sind und sich das Finanzamt Frankfurt mit einer sehr rigiden Auslegung des Gemeinnützigkeitsrechts hervor tut. Das Frankfurter Finanzamt hat dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt und lässt den Verein mittlerweile seit Monaten auf eine Entscheidung im Einspruchsverfahren warten. Das Frankfurter 1
Finanzamt hat ebenso dem Verein Dona Carmen die Gemeinnützigkeit entzogen. Beide Entscheidungen werden von Fachleuten für abstrus gehalten. Die Grünen wollen gerne „Attac helfen“, wie die Frankfurter Rundschau ihren Bericht über das Fachgespräch betitelte, andererseits fürchten sie, dass sich eigennützige Lobby-Interessen in gemeinnützigen Organisationen tarnen
und so
steuerbegünstigt
Einfluss
auf
politische
Entscheidungen nehmen oder gar direkt Parteien unterstützen. Diese Sorge gründet auf der FlickAffäre der 80-er Jahre, die sich tief in die DNA der Parteien eingebrannt hat, und auf die tägliche Erfahrung von Abgeordneten, die mit Lobbyisten konfrontiert sind und nicht immer wissen, wer wirklich Absender einer Forderung oder einer Studie ist. Die Sorge ist nicht völlig unbegründet, doch setzt das geltende Recht bereits eindeutig Grenzen: Gemeinnützig ist, wer selbstlos die Allgemeinheit fördert – wer seinen eigenen wirtschaftlichen Vorteil fördert oder den seines Arbeitgebers, kann nicht gemeinnützig sein. Geregelt ist zudem, dass Gemeinnützige keine Parteien unterstützen dürfen (§ 55, Abs. 1, Ziff. 2 der Abgabenordnung) und Parteien deren Unterstützung nicht annehmen dürfen (§ 25, Abs. 2, Ziff. 2 des Parteiengesetzes). Ebenso schließt die Abgabenordnung in § 51, Absatz 3, in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Verfassungsschutzgesetzes aus, dass Organisationen gemeinnützig sein können, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung arbeiten. Die Regeln sind klar, diskutiert werden kann sicher darüber, wie kontrolliert werden kann, ob sie eingehalten werden. Ganz offensichtlich gibt es als gemeinnützig anerkannte Organisationen, die eher wirtschaftlichen Interessen dienen. Aber der Missbrauch eines Rechts darf keine Legitimation sein, die Rechtsgrundlage zu ändern. Doch Lisa Paus, steuerpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, forderte im Fachgespräch in Wiesbaden mehr: Sie will wissen, wer hinter gemeinnützigen Organisationen steckt. Gemeinnützige Organisationen müssten daher transparent sein. Als Vergleichsmaßstab ziehen Politiker dafür oft die Regeln für Parteien heran, die ab einer Spende von 10.000 Euro den Namen der Spender veröffentlichen müssen. Tatsächlich wird in der Debatte um Transparenz häufig alles Mögliche munter vermischt: Transparenz gegenüber Mitgliedern, Spendern und Geldgebern mit Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Transparenz über Einkünfte mit Transparenz über Ausgaben. Transparenz über Mitglieder mit Transparenz über Zwecke und Ziele. Tatsächlich berichten die meisten gemeinnützigen Organisationen über ihre Einnahmen, über ihre Ausgaben und über ihre Strukturen, veröffentlichen ihre Satzungen und oft auch Steuerbescheide. Verpflichtend ist davon wenig. Die Satzungen von Vereinen sind zwar über die Vereinsregister einsehbar, doch nicht, ob der Verein gemeinnützig ist oder nicht. Es gibt kein Gemeinnützigkeits-Register. Dieser Status ist ein Steuergeheimnis. Dr. Jürgen Marten, stellvertretender Vorsitzender von Transparency International, mahnte beim Fachgespräch gegenüber der Politik einen weiteren Aspekt von Transparenz an, nämlich für das Verfahren zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Was und wie Finanzämter dazu entscheiden, sei 2
derzeit nicht nachvollziehbar. Den Transparenzforderungen an Gemeinnützige schloss er sich an. Die Gemeinnützigkeit sei ein Privileg, das von der Gesellschaft finanziert werde, darum könne die Gesellschaft auch Transparenz verlangen. Um nicht alle gemeinnützigen Organisationen mit Transparenz-Anforderungen zu belasten, denkt Lisa Paus laut darüber nach, einen neuen steuerbegünstigten Typ neben gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Zwecken einzuführen, nämlich politische Zwecke. Für diesen Zwitter zwischen Parteien und Gemeinnützigen sollten die Vorteile eines gemeinnützigen Vereins gelten, aber ähnliche Transparenz-Pflichten wie für Parteien. Dieser Gedanke führt auf einen falschen Weg, denn damit würde der gemeinnützige Sektor entpolitisiert. Warum sollten Vereine wie Greenpeace, Attac, Pro Asyl oder Amnesty International entscheiden müssen, ob sie gemeinnützig oder politisch sein wollen? Gemeinnützig zu handeln ist politisch. Am deutlichsten wird dies gerade in der Flüchtlingshilfe. Wer sich für Zuflucht suchende Menschen engagiert, tut dies oft auch aus politischen Motiven, stellt damit politisches Versagen bloß und stellt häufig Forderungen an die Politik; und sei es nur die Forderung nach beheizten Zelten. Wer für Umweltschutz, Flüchtlingshilfe oder Gleichberechtigung von Mann und Frau gemeinnützig tätig ist, sollte diese Zwecke mit allen legalen Mitteln verfolgen dürfen – eben auch mit Einflussnahme auf die politische Willensbildung. Würde das Konstrukt eines politischen Vereins geschaffen, bestünde die Gefahr, dass gemeinnützigen Organisationen ihr gesellschaftliches Engagement über konkrete Hilfe hinaus noch schwerer gemacht würde. Ein neuer steuerbegünstigter Status wäre politisch vielleicht leichter durchzusetzen, doch nur deshalb, weil die eigentlichen Probleme ignoriert werden. Es braucht die Debatte darüber, wie zivilgesellschaftliche Organisationen zu einer besseren Welt und zu besseren politischen Entscheidungen beitragen und welchen Rahmen sie dafür brauchen. Und es müssten dennoch viele Details
diskutiert
und
geregelt
werden,
etwa
welche
Ausgaben
wohin
gehören:
Zu
Öffentlichkeitsarbeit, zu Forschung, zu politischer Beeinflussung? Zudem würde ein neuer steuerbegünstigter Status die genannten Bedenken nicht ausräumen. Mit großem Interesse lauschten Lisa Paus und die einladende Landtagsabgeordnete Sigrid Erfurth beim Fachgespräch dem Bericht von Tim Maciejewski vom Institut Stiftungs- und Non-Profit-Recht der Bucerius Law School Hamburg über das US-amerikanischen Nonprofit-Recht. Dort dürfen Organisationen einer bestimmten Gemeinnützigkeits-Kategorie nur einen gewissen prozentualen Anteil ihrer Tätigkeit politischer Beeinflussung widmen dürfen, ansonsten müssen sie einer anderen Kategorie zugeordnet werden. Nach der Logik der Idee „Politischer Verein“ müssten Organisationen mit mehr Ausgaben für politische Beeinflussung den Status wechseln. Scheint zu passen. Hoffentlich haben die Grünen und ihre Kollegen anderer Fraktionen auch gut zugehört, als Tim Maciejewski beschrieb, wie in den USA diese Grenze umgangen wird: Die entsprechenden
Organisationen
gründen
Unterorganisationen,
die
die
Advocacy-Arbeit
übernehmen. Übertragen auf Deutschland würde dann etwa ein Umweltverband eine UmweltPolitik-gGmbH gründen. Die Beschränkungen und Transparenzpflichten würden dann nur für die 3
gGmbH gelten, nicht für den Mutter-Verein. Zudem könnten entsprechende Organisationen einfach auf die Gemeinnützigkeit verzichten, um die Regeln zu umgehen, wie das von Unternehmen gegründete Initiativen heute schon tun. Das Deutsche Atomforum etwa, ein Lobbyverband der Atomindustrie hat auf seine Gemeinnützigkeit nicht mehr beharrt, aber arbeitet weiter. Wer ernsthaft Transparenz für alle Akteure möchte, die auf die Politik Einfluss nehmen, sollte den Fokus weit über gemeinnützige Organisationen hinaus weiten. Der passende Vorschlag heißt Lobbyregister. In ein solches Register müssten sich alle Akteure eintragen, die in einem bestimmten Maß Zeit oder Geld in politische Beeinflussung stecken. Sie müssten ihre Auftraggeber und Finanziers offenlegen. Das würde sicher auch einige gemeinnützige Organisationen treffen, aber auch viele Berufsverbände und Lobby-Agenturen.
Autor Stefan Diefenbach-Trommer ist Vorstand und Koordinator der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“. Er saß als Vertreter der Allianz auf dem Podium des Fachgespräches der hessischen Landtagsfraktion der Grünen. Kontakt:
[email protected] Weitere Informationen: www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de
Redaktion: BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) - Geschäftsstelle Michaelkirchstr. 17-18 10179 Berlin-Mitte +49 (0) 30 6 29 80-11 5
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