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Genom-Editierung
Ein etwas anderes «Gipfeltreffen» Ein neues Verfahren erlaubt gezielte, schnelle und effiziente
Erbgutveränderungen. An einem Treffen in Washington haben Forscher nun darüber diskutiert, wie mit den Risiken umzugehen ist. von Ronald D. Gerste 4.12.2015, 17:00 Uhr
Das «Genome Editing» eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit, schwere oder bisher
unheilbare Krankheiten wie Chorea Huntington schon vor der Geburt zu verhindern. Das Verfahren birgt allerdings auch die Gefahr, dass Babys nach dem Wunsch der Eltern verändert werden. (Bild: Enrique Castro-Mendivil / Reuters)
Wie eine Medaille hat auch das «Genome Editing», das gezielte Löschen oder
Überschreiben bestimmter Sequenzen des menschlichen Erbguts, zwei Seiten. Viele Wissenschafter sehen in ihm eine Chance, schwere oder bisher
unheilbare Krankheiten, deren Ursachen im Erbgut liegen, nachhaltig zu
therapieren. Kritiker indes sehen einen gefährlichen Weg in eine ethische
Grauzone, wenn nicht gar hin zum «Designer-Baby». Denn könnte man nicht in letzter Konsequenz menschliche Embryonen so verändern, dass sie der Wunschvorstellung von Eltern – oder gar eines totalitären Systems –
entsprechen? Zu den ethischen Problemen des "Genome Editing" hat dieser Tage in Washington eine Konferenz stattgefunden.
Relativ billig und einfach
Die Methode im Mittelpunkt ist das «Crispr-Cas9-System», eine Kombination aus drei Elementen: einer sogenannten Endonuklease, die die Erbsubstanz DNA zerschneiden kann, und zwei RNA-Sequenzen. Eine davon, die
Leit-RNA, können Forscher so gestalten, dass sie perfekt zu einer Sequenz im
Erbgut passt. Dadurch kann diese Dreierkombination ausgewählte Sequenzen in der Erbsubstanz DNA gezielt ansteuern und zerschneiden. Zelleigene Reparaturmechanismen verknüpfen den Schnitt wieder, allerdings so ungenau, dass das betroffene Gen unbrauchbar wird.
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Geben die Wissenschafter dem System eine Vorlage zur Reparatur mit,
überschreibt diese das Original, so dass sich einzelne Details eines Gens verändern lassen. Die Methode ist nicht das erste und nicht das einzige Verfahren, mit dem das Editieren des Erbguts möglich ist, doch sie ist
effizient, kostengünstig und verhältnismässig einfach zu handhaben – und hat sich entsprechend schnell durchgesetzt.
Tatsächlich gab es bereits mindestens einen Versuch, mit der Methode auch menschliche Embryonen zu verändern. Als besonders problematisch gelten Eingriffe ins Erbgut, die an nachfolgende Generationen weitergegeben werden, sogenannte Eingriffe in die Keimbahn. Um diese und andere
Problemfelder des «Genome Editing» zu evaluieren, haben drei staatliche Wissenschaftsakademien – die amerikanische, die chinesische und die britische Royal Society – in dieser Woche in Washington zu einem Gipfeltreffen eingeladen.
Die Konferenz fand wohl nur zufällig zeitgleich zum Pariser Klimagipfel statt
– doch auch in das Klima habe der Mensch eingegriffen, ohne sich rechtzeitig um die Konsequenzen zu kümmern, wie mehrere Forscher an dem Treffen in Washington anmerkten. Dass Forscher des Massachusetts Institute of
Technology in einer Online-Veröffentlichung der Fachzeitschrift «Science»
vom Mittwoch berichteten, das Crispr-Cas9-System präzisiert und damit das Risiko unbeabsichtigter Eingriffe ins Genom reduziert zu haben, dürfte dagegen weniger zufällig gewesen sein.
In einem waren sich die Ethiker, Genetiker und anderen Fachexperten einig, die in Washington drei Tage lang diskutierten: eine Regulierung der
Technologie kann nicht von einzelnen Staaten ausgehen, sondern ist nur über
eine globale Zusammenarbeit realistisch ist. Der Medizintourismus, der heute in Ländern mit wenig restriktiven und billigen Therapien ein
Wirtschaftsfaktor ist, dürfte bei einer Perfektionierung der Erbgut-Editierung einen «Gentourismus» nach sich ziehen, wie Indira Nath vom All India Institute of Medical Sciences andeutete.
Journale als Regulatoren
Solche Eigeninteressen können das Streben nach einem internationalen Konsens hemmen oder zumindest verzögern – die «Human Cloning»-
Deklaration der Vereinten Nationen mag hier als Beispiel gelten, die ein
Wissenschafter in Washington als «Wischiwaschi» bezeichnete, da nach langem Gerangel um Formulierungen 2003 eine butterweiche, wenig aussagefähige Resolution erfolgte. Von «Responsibilisierung» wurde
gesprochen, einer Art Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins – ein
Konzept aus den westlichen Industrienationen, das wohl davon ausgeht, dass Wertvorstellungen und ethische Richtlinien weltweit auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können.
Doch die Diskussionen blieben über weite Strecken beim Theoretischen. Der
Chefredaktor der Fachzeitschrift «Nature», Philip Campbell, deutete an, dass an ethischen Vorgaben ausgerichtete Richtlinien bei den hoch angesehenen Wissenschaftszeitschriften als eine Art Regulator dienen könnten. Sie
könnten beeinflussen, was an Studien veröffentlicht und somit Teil der
Diskussion in der wissenschaftlichen Gemeinschaft werde – und was keine Gnade vor den Augen der Herausgeber finde. Es seien, so Campbell, schon
Manuskripte eingereicht worden, die auch wegen ethischer Fragwürdigkeit abgelehnt worden seien. Diese Art von Selbstzensur wird indes vermutlich nur so lange andauern, wie Journale mit Sitz in den USA oder
Grossbritannien in der Welt der Wissenschaft unangefochten tonangebend sind.
Das «Genome Editing» ist ein Feld der Wissenschaft, das nicht von
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weltanschaulichen Rahmenbedingungen zu trennen ist. Ablehnung oder
zumindest das Bemühen, ihm enge Grenzen zu setzen, schlagen ihm sowohl
aus religiös motivierten und konservativen Kreisen wie auch aus dem linken,
der «political correctness» verpflichteten Spektrum entgegen. So forderte die deutsche Theologin und Ethikerin Hille Haker ein zweijähriges Moratorium in diesem Forschungsbereich, ohne jedoch aufzuzeigen, wie es danach
weitergehen solle. Haker lehrt an der Loyola University in Chicago, einer – wie im Namen zu erkennen ist – jesuitischen Hochschule.
Schreckgespenst Eugenik
Marcy Darnovski vom Center for Genetics and Society in Berkeley bedauerte die Dominanz von Wissenschaftern an der Konferenz. Sie bemängelte das
Fehlen von Sprechern der Lesben-, Schwulen- und Transgender-Community und von Behindertengruppen – ein Hinweis auf ein potenzielles Szenario, in dem diese Gruppen zum Opfer würden und das «Genome Editing» wohl in die Nähe zur Eugenik gerückt werden sollte.
Bei den allfälligen Forderungen nach Sicherheit bei der Genforschung war es mit John Harris von der University of Manchester ausgerechnet ein
Philosoph, der mit einer handfesten Zahl eine wichtige Relation deutlich
machte: Jährlich würden rund acht Millionen Kinder mit einem genetischen Defekt als Folge der Zeugung durch einen Sexualakt geboren. Wenn diese
natürliche Art der «Genweitergabe» als Richtschnur dienen würde, läge die Messlatte für neue Technologien denkbar niedrig; der Zeugungsakt sei mit Unsicherheiten behaftet, die man keiner Labormethode gestatten würde. Bei der Debatte über die politische und gesellschaftliche Regulierung des
«Genome Editing» kamen Experten aus unterschiedlichen Ländern zu Wort. Merkwürdig mag manchem Beobachter allerdings erschienen sein, dass eine der drei veranstaltenden Wissenschaftsakademien in dieser zentralen
Diskussion auf dem Podium gar nicht vertreten war. Es war die Volksrepublik China.
Mögliche Ziele einer Editierung
rdg. ⋅ An der Tagung waren mehrere Gene im Gespräch, von deren
«Reparatur» sich Teilnehmer des Gipfels einen direkten therapeutischen Nutzen versprechen. Zu ihnen zählt zum Beispiel jenes für das
Rezeptorprotein CCR5, das bei der Infektion mit HIV eine wichtige Rolle spielt. «CEP290» wiederum ist für eine schwere angeborene
Sehbehinderung, die sogenannte Lebersche kongenitale Amaurose,
essenziell. Weitere angeborene Leiden, denen man über eine Veränderung
von Genen vorbeugen möchte, sind die neurodegenerative Hirnschädigung Chorea Huntington, das Tay-Sachs-Syndrom (das mit Erblindung und schwerem Intelligenzdefekt einhergeht und auf eine Mutation auf Chromosom 15 zurückgeführt wird) sowie die Blutkrankheit
Sichelzellenanämie. Bei einigen anderen Erkrankungen kann das
Überschreiben des Erbgutes die Erkrankung laut den Wissenschaftern
wohl nicht verhindern, aber das Risiko ihres Auftretens senken: Hierzu gehören demnach bestimmte Krebsarten, Alzheimer und Herzleiden.
Erklärung zum «Genome Editing»
Spe. ⋅ Zum Abschluss des dreitägigen Treffens zum «Genome Editing» haben die Mitglieder des Organisationskomitees am Donnerstag eine
Erklärung verabschiedet. Darin heisst es, dass intensive Grundlagen- und
vorklinische Forschung dringend nötig sei und im Rahmen angemessener rechtlicher und ethischer Regeln fortgeführt werden solle. Falls es im Verlaufe der Forschung zu Eingriffen an embryonalen Zellen oder an
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Keimzellen komme, sollten diese Zellen nicht genutzt werden, um eine Schwangerschaft herbeizuführen.
Die klinische Nutzung von genetisch veränderten Keimzellen halten die
Autoren für unverantwortlich, solange die Sicherheitsaspekte nicht geklärt seien und solange es keinen breiten gesellschaftlichen Konsens über die
Angemessenheit der vorgeschlagenen Massnahmen gebe. Eine klinische Nutzung setze zudem eine angemessene regulatorische Aufsicht voraus. Diese Kriterien würden momentan nicht erfüllt. Die Autoren plädieren
dafür, die Frage der klinischen Nutzung im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und sich wandelnder gesellschaftlicher Einstellungen regelmässig zu überdenken. Dafür müsse ein regelmässig tagendes internationales Forum geschaffen werden, das Richtlinien und
Empfehlungen erarbeitet und der Politik beratend zur Seite stehe.
Zum Thema Crispr-Cas-Technologie
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