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Gewaltfreies Reiten Gerte, Sporen und Trense braucht Fred Rai nicht zum Reiten. Das nach ihm benannte „Rai-Reiten“ verzichtet gänzlich auf Gewalt zur Kontrolle über die Pferde und setzt auf positive Konditionierung und den Menschen als Leittier. Vor allem aber versteht Fred Rai das Pferd als Freund und Sportkamerad. Text n Sascha Schneider Fotos n Sascha Schneider, Jasmin Arntzen
Die Vorführungen von Fred Rai in der Reithalle auf dem Gelände der Western-City in Dasing sind beeindruckend. Er kriecht unter seinem Pferd „Spitzbub“ hindurch, er zwängt sich zwischen die Hinterbeine und packt eines davon, er balanciert kniend auf dem Rücken des Pferdes oder rutscht am Hinterteil des Pferdes runter. Erstaunlich, was dieses Tier alles mit sich machen lässt. So manch anderer Pferdebesitzer wäre mit solchen Geschichten Gefahr gelaufen, sich krankenhausreife Verletzungen einzuhandeln. Aber Spitzbub lässt das alles gelassen über sich ergehen. Das Pferd macht durchwegs einen zufriedenen Eindruck. Was mit Sicherheit auch an den Leckerlies liegt, die Fred Rai seinem Spitzbub immer nach einer erledigten Aufgabe gibt. Diese positive Konditionierung, also die Abfolge „erst Arbeit, dann Belohnung“, ist einer der Hauptbestandteile des Rai-Reitens. Das Pferd lernt ziemlich schnell, dass es für erfolgreich bewältigte Aufgaben seine Leckerlies bekommt. Die zweite und wichtigste Säule des Rai-Reitens ist aber die Leittier-Funktion des Menschen. „Pferde haben eine strikte Rangordnung innerhalb ihrer Herde. Das lässt sich auf einer Weide sehr gut beobachten. Wenn die Nummer drei der Rangordnung am Futterkorb steht und es kommt die Nummer zwei,
Das gegenseitige Vertrauen von Ross und Reiter ist hier grenzenlos und macht solche Übungen möglich.
dann muss Nummer drei Platz machen“, erklärt Fred Rai. Und das ranghöhere Tier bekommt immer den Vorzug. Schließlich ist das Leittier auch für die Sicherheit der Herde zuständig. Bei Gefahr gibt das ranghöchste Pferd die Fluchtrichtung vor, alle anderen Pferde folgen ihm. „Und wenn es die Klippen hinunter springt, dann folgen ihm alle anderen Tiere in der Herde in den Tod“, sagt Rai. Und eben diese unbedingte Folgsamkeit und seine Beobachtungen im Umgang mit Pferden hat sich Fred Rai zunutze gemacht. Für sein Pferd Spitzbub ist er der Ranghöchste, was bei den beiden, wie auch bei den Pferden auf der Weide, daran erkennbar ist, dass Rai als Leittier immer vorangeht. Natürlich ist diese Rangordnung nicht fest gemeißelt in Stein, die Pferde versuchen immer wieder in der Rangordnung höher zu kommen. Auch Spitzbub versucht es bei Rai immer mal wieder.
Nur stellt sich da natürlich überhaupt die Frage, wie sich ein Mensch gegenüber so einem riesigen Tier wirklich behaupten kann. Die Pferde untereinander greifen sich zum Beispiel an den Mäulern, an den Zähnen an oder sie legen die Ohren an als Drohgebärde. Für den Menschen sind solche Mittel natürlich untauglich. Aber eine Form der Auseinandersetzung hat sich Rai abgeschaut. Die stärkste Waffe der Pferde in solchen Auseinandersetzungen um die Rangordnung sind die Hinterbeine. Wenn ein Pferd sich umdreht, mit den Hinterbeinen droht oder sogar mit den Hufen ausschlägt, gibt das andere klein bei. Ausschlagen kann Rai zwar nicht, aber durch das ruckartige Hochreißen seiner Schultern und Arme wird dies vorgetäuscht. Das hat für das Pferd offensichtlich die gleiche Wirkung und es pariert wieder. Und so schafft es Rai, mit Dominanzübungen am Boden und im Sattel,
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völlig ohne Zügel und ohne das übliche Instrumentarium auf seinem Spitzbub sicher zu reiten, selbst im Gelände oder sogar durch Augsburg. Am eindrucksvollsten wird diese Methode bei seinen Auftritten im Saloon der Western-City verdeutlicht. Vor 50 Kindern mit leuchtenden Augen singt Rai dort auf der Bühne Lieder wie „Ring of fire“ von Johnny Cash. Er sitzt auf seinem Spitzbub
Kinder, die Enge… es funktioniert, weil Rai all dies mit Belohnung in Verbindung bringt. Zwischendurch springt Rai dann mit seinem Spitzbub – für die engen Verhältnisse äußerst rasant – von der Bühne, noch näher ans Publikum. Der Kopf des Pferdes schwenkt über die Kinderköpfe hinweg. Alles kein Problem. Fred Rai und sein Spitzbub sind ein perfektes Team. Und Rai selbst noch dazu der perfekte Gastgeber. Mit viel Freundlichkeit und seinem ihm eigenen Charme zaubert er ein Lächeln auf jedes Gesicht. Er mag eben nicht nur Pferde, sondern auch Menschen. Und viele sind beim Besuch der Western-City erstaunt, wie sich da jemand seinen Jugendtraum verwirklicht hat. Rai wohnt auch tatsächlich in seiner WesternCity. Die Wohnung ist genau so, wie sie sich jeder vorstellen würde, im Western-Stil. Rai,
Jahrgang 1941, hat den Western-Rummel, das Cowboy und Indianer spielen und Filme wie „Winnetou“ in den fünfziger und sechziger Jahren voll mitbekommen. Er lebt den Cowboy-Gentleman. Aber am meisten liegen ihm seine Pferde am Herzen. Er doziert an der Universität in Stuttgart über Psyche und Verhaltensweisen und die von ihm festgestellte Übertragbarkeit von Gefühlen, worüber gerade an der Weihenstephaner Uni eine Master-Arbeit geschrieben wird. In diesem Rahmen wurde ein interessanter Test durchgeführt. Zehn Reiter mussten eine Strecke von 150 Metern insgesamt drei Mal zurücklegen. Den Reitern sagte man, dass auf der letzten Etappe plötzlich ein Regenschirm aufgespannt werden würde, um zu sehen, wie die Tiere reagieren. Tatsächlich war das aber nur ein Bluff. Auf den Etappen wurden jeweils die Herzfrequenzen von Reitern und Tieren gemessen, mit einem verblüffenden Ergebnis: Auf der letzten Etappe hatten Pferd und Reiter beide eine gleichermaßen erhöhte Herzfrequenz, obwohl das Pferd nichts vom Regenschirm wissen konnte. Fred Rai fühlt sich >>
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und kein Zaun, kein Gatter trennen Darsteller und Zuschauer. Das ist doch gefährlich, denkt sich so mancher. Tatsächlich ist aber noch nie etwas passiert. Denn Tiere können nicht falsch sein und sind deshalb bei Kenntnis der Psyche und Verhaltensweisen, im Gegensatz zu den Menschen, berechenbar. Das Pferd erträgt hier erstaunlich vieles. Die Musik, die lauten
Oben: Reiten ohne Trense und Zügel – und sogar hinter dem Sattel kniend Unten: Fred Rai’s Privaträume – natürlich im Westernstil gestaltet
19.12. 26.12. 02.01. 08.01. 15.01. 22.01. 29.01. 05.02. 12.02. 19.02.
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durch solche Tests in vielen Dingen bestätigt. „Das Pferd muss als Freund und Sportkamerad begriffen und fair behandelt werden“, sagt Rai “und wenn Reiten irgendwann mal mit „ai“ geschrieben wird, dann hab‘ ich’s geschafft“. Wer seine Augen dabei sieht, ist sich sicher, dass er dabei nicht an den großen „Raibach“ denkt.
Der „Singende Cowboy“ in Aktion
Mit seinem Verständnis von Reiten will Fred Rai all denen eine Heimat geben, die sich mit dem Pferd zur Erholung in der freien Natur bewegen wollen. Und dazu passt nur das Wort „Harmonie“. n
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