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Begrüßungsrede Prof. Dr. Hartmut Ihne / 9.12.2015, 10:00 – 10:10 Uhr / Campus Sankt Augustin / Hörsaal 7 Auftaktveranstaltung der Veranstaltungsreihe „Globale Partnerschaft – Nordrhein-Westfalen für eine internationale nachhaltige Entwicklung“ (Es gilt das gesprochene Wort.) Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Viele von Ihnen kennen das Bild von den vier apokalyptischen Reitern, aus der Offenbarung des Johannes. Sie sind Zeichen des Endes der Welt durch Versagen der Politik, Ausbruch von Krieg, Hunger, Krankheit und Tod. Manchmal hat man den Eindruck, dass gerade apokalyptische Reiter durch die Welt ziehen und dabei sind, uns ins Dunkle zu stürzen und uns unsere Zukunft zu rauben. Die neuesten Studien zum Klimawandel geben ungünstige Prognosen. Selbst das 2-Grad-Ziel der Klimaforscher vom IPCC, mit dem sich unter anderem diese Woche die COP21 in Paris befasst, ist nach allem, was man hört, nur eine Notlösung. Und wir wissen nicht ob wir (1) einen politischen Konsens herstellen können, um es zu erreichen. Und wir wissen auch (2) nicht, ob es überhaupt ausreicht, ob der Zug nicht schon längst abgefahren ist und wir nur noch unsere Widerstandskraft stärken (Sie kennen „resilience“ als neuen methodischen Leitbegriff), um den Untergang besser ertragen zu können. Wer Hans-Joachim Schellnhubers neuestes Buch „Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“ gelesen hat, wird in eine merkwürdige Endzeitstimmung versetzt. Schellnhuber, einer der renommiertesten und auch umstrittensten Klimaforscher, tritt auf wie ein apokalyptischer Prophet (mit allerdings noch optimistischem Unterton). Er befürchtet eine Erderwärmung um 3 bis 4 Grad Celsius mit katastrophalen Folgen für die Welt, vor allem für die Insel- und Küstenbewohner im und am indischen Ozean, die Menschen in den Flussdeltas in Bangladesch, aber auch in New York, Holland und Ostfriesland. Wir alle kennen die Horrorszenarien eines Anstiegs der Meere zwischen einem und mehreren Metern durch das Abschmelzen der Eiskappen an den Polen, des Grönland-Shelfs und der
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Gletscher. Millionen Menschen werden zu Umweltflüchtlingen, weil ihre Erde im Meer versinkt und nicht mehr existiert. Die Veränderung der Klimazonen bedroht die Böden und verändert Flora und Fauna und greift damit tief in unsere Ernährungsgrundlagen ein. Davon werden die sozialen und politischen Systeme nicht unberührt bleiben. Die Zeit der Gemütlichkeit in der OECD-Welt könnte vorbei sein. Man muss den apokalyptischen Approach nicht teilen. Von heute aus betrachtet ist alles immer noch eine dystopische Spekulation, die auf wissenschaftlichen Indizien basiert. Es muss nicht mit uns zuende gehen. Die Wissenschaft hat schon oft geirrt. Aber die neuesten Zahlen und Szenarien erschrecken. Sie erschrecken auch – uns hier in Europa seit neuestem besonders – weil wir langsam anfangen zu begreifen, was es heißen könnte, wenn sich weitere Millionen von Menschen auf den Weg machen würden, weil die Lebensbedingungen in ihren Heimaten unerträglich geworden sind. Mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht verzeichnet die UNO weltweit. Wir begreifen das Ausmaß der Herausforderungen zur Zeit an unserer eigenen, hoffentlich nur momentanen Begrenztheit, mit den vielen Flüchtlingen hier im reichen Europa umzugehen. Diese Begrenztheit ist nicht bloß technischorganisatorischer Natur - also auf Unterbringung und Versorgung durch THW, Rotes Kreuz und kommunale Dienste bezogen. Sie scheint auch eine Begrenztheit der Demokratien zu sein, nämlich ausdauernde Solidarität in der Not zu beweisen. Überall in Europa erstarken nationalistische, ethnizistische Parteien. Gestern war in der Tageszeitung „Die Welt“ eine politische Landkarte abgebildet, auf der ein Deutschland zu sehen war, eingemauert zwischen EULändern, in denen nationalpopulistische Parteien auf dem Vormarsch sind. Frankreich beunruhigt ganz besonders. Das ist kein gutes Zeichen. Bei aller Verteidigung der Humanität und ihrer menschenrechtlichen Werte muss die Politik auch den Erhalt der Demokratie im Auge haben. Es gibt noch ein dritte Begrenztheit: nämlich die des Wissens und Verstehens von Ursachen und Lösungen. Die zunehmende Komplexität der Welt macht uns hilflos. Die Lage wird nicht einfacher, sondern vermutlich schwieriger werden. Der Klimawandel vor dem Hintergrund nicht nachhaltiger Lebensstile ist nicht die einzige Baustelle, die uns global und in unseren Ländern herausfordert. Es sind
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Armut, Kriege, Terror und Verfolgung, Perspektivlosigkeit und Ungerechtigkeit in vielen Teilen der Welt. Auch unbegrenzte Finanzspekulation wirkt zerstörerisch. „Unsere gemeinsame Zukunft“, wie die Brundtland-Kommission ihren berühmten Nachhaltigkeitsbericht von 1987 überschrieb, ist voller Schatten. Und wenn man wie ich seit mehr als 25 Jahren in der Entwicklungspolitik und Entwicklungsforschung tätig war, und sieht, wie langsam die Mühlen malen und wie resistent oft und egoistisch die Menschheit angesichts der gemeinsamen Herausforderungen agiert, kann einem Angst und Bange werden bei der Vorstellung, dass sich die negativen Trends verstärken und gegenseitig beschleunigen. Ich will aber nicht zu Schwarz malen. Ich bin eigentlich Optimist, skeptischer Optimist. Bei aller prädizierten Bedrohung brauchen wir die Kraft und die Ideen für neue Wege unserer Entwicklung. Ich bin sicher, dass wir fündig werden. Lange war in der Umwelt- und Entwicklungscommunity der Begriff der „Prävention“ ein politischer Leitbegriff: d.h. vermeiden, dass es durch falsche Lebens- und Wirtschaftsweisen und falsche politische Weichenstellungen schlechter wird. Die Klimadebatte hat deutlich gemacht, dass prevention (Vermeidung) oft nicht mehr geht (siehe die langfristige Wirkung der Einträge in die Atmosphäre), stattdessen tauchten Konzepte wie mitigation (Abschwächung), dann adaption (Anpassung) und zuletzt resilience (Widerstandskraft) auf. Allein diese sukzessive Begriffsgeschichte zeigt, dass wir angefangen haben, uns ein Stück weit in der „Risikogesellschaft“ einzurichten. Die Risikogesellschaft muss politisch beides tun: Sie muss präventiv sein, zugleich aber auch Wege des Überlebens durch Anpassung, auch mit Hilfe der Technologie, zu finden. Dazu gehört auch, dass wir uns jenseits aller politischen Mechaniken, die mit der Umsetzung der MDGs (in den vergangenen 15 Jahren seit der Millenniumswende) und den SDGs (in den kommenden 15 Jahren bis 2030) in neue globale Politikarchitekturen und neue nationale Gesellschaftsformate verbunden sind, immer wieder neu mit einem Grundbegriff auseinandersetzen: nämlich dem Begriff „Entwicklung“. Er ist ein Schlüsselbegriff für Zukunftspolitiken. Klar ist nämlich, dass wir ihn immer wieder neu durchdenken müssen. Die Antworten und Begrifflichkeiten von vor zwanzig oder dreißig Jahren sind heute oft nicht mehr richtig.
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Eine Aufgabe, auch der Wissenschaft, besteht darin, Grundbegriffe wie den der „Entwicklung“ im Zusammenhang mit globaler Kommunikation, globalem Handel, globaler Politik, globalen Threats und globalen Gütern immer wieder neu zu durchdenken und daraus Handlungsempfehlungen für Entscheiderinnen und Entscheider abzuleiten. Hier gibt immensen Handlungsbedarf. Und je komplexer die Wechselwirkungen unseres Handelns als Individuen und Gesellschaften werden, umso mehr ist die Wissenschaft gefordert, diese Komplexität zu entschlüsseln und gemeinsam mit Politik und Gesellschaft Wege in eine nachhaltige und menschenwürdige Zukunft zu bauen. Und deshalb sind wir heute hier, um ein wenig gemeinsam nachzudenken, was wir dafür tun können. Ich danke dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung, sehr geehrte Frau Ministerin Schulze, dass Sie diese Veranstaltungsreihe „Globale Partnerschaft – Nordrhein Westfalen für eine internationale nachhaltige Entwicklung“ möglich gemacht haben. Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen des IZNE für ihre Mühen der Vorbereitung sowie den sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen Imme Scholz, Susanne von Itter, Katja Bender, Wiltrud Terlau, Ingolf Dietrich, Janos Bogardi, Hannah Jaenicke, Nicky Pouw, Lars Ribbe, Martin Hamer und Stefanie Meilinger für ihre Wortbeiträge. Die organisierte Wissenschaft besitzt nicht den Stein der Weisen. Sie verfügt aber über unvergleichliche Methoden, Logiken, Daten und Inhalte, die uns helfen werden (und auch in der Vergangenheit geholfen haben) unsere Wirklichkeit besser zu verstehen. Und aus dem besseren Verständnis nachhaltigere Antworten auf Risiken zu finden. Das alles wird aber nur auf dem Wege der Kooperation der Wissenschaft mit der Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft hier und außerhalb funktionieren. Deshalb ist der Titel „Globale Partnerschaft“ auch treffend gewählt. Kooperation setzt Ethik voraus. Ich muss mit denen, mit denen ich kooperiere, eine gemeinsame Wertebasis teilen. Wir haben die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, deren Jahrestag morgen am 10. Dezember stattfindet, als eine völkerrechtliche Wertegrundlage für die Völkergemeinschaft 1948 anerkannt. Danach hat es eine Reihe von internationalen und regionalen überpositiven Normenkatalogen gegeben, die uns leiten, wie etwa die Europäische Menschenrechtskonvention. Wichtig sind aber auch individualethische Leitlinien. Lassen Sie mich zu Schluss den leider etwas in
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Vergessenheit geratenen Philosophen Hans Jonas aus seinem berühmten Buch Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation von 1979 zitieren. Dort findet man den sogenannten ökologischen Imperativ. Dieser lautet: „‚Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden‘; oder negativ ausgedrückt: ‚Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens‘; oder einfach: ‚Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit auf Erden‘; oder wieder positiv gewendet: ‚Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deines Wollens ein.‘“ (Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt am Main 1979, S. 36) Ich wünsche Ihnen allen ein gutes Nachdenken und gutes Tun - und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit! Jetzt freue ich mich auf die Rede von Wissenschaftsministerin Svenja Schulze.