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Goldbergs Thema des Monats März 16
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Lieber Lotterie und Lose als solide Investments? Gerade hat sich der Nuklearunfall von Fukushima zum fünften Mal gejährt. Besonders in Deutschland protestierten damals die Bürger gegen die weitere Nutzung atomarer Energie, weil sie davon ausgingen, dass die Risiken für Unfälle dieser Größenordnung höher seien, als dies in der Wissenschaft bis dahin angenommen wurde. Tatsächlich kann es sein, dass Atomkraftwerke nicht ausreichend gegen Erdbeben, gegen Flugzeugabstürze oder terroristische Attacken geschützt sind. Dennoch bleibt die Wahrscheinlichkeit einer Atomkatastrophe äußerst gering. Aber unter dem Eindruck der damaligen Ereignisse erschien den Bürgern das Risiko für eine ähnliche Katastrophe hierzulande ausgesprochen hoch. In Deutschland stieg die Nachfrage nach Geigerzählern und Schutzausrüstungen; sogar die Bundesregierung sah sich damals zu einer dramatischen Kehrtwende in ihrer Atompolitik gezwungen. Die Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten spielt bei der Beurteilung von Finanzmärkten und deren Risiken ebenfalls eine wesentliche Rolle. Aber auch im Alltag kann eine Fehleinschätzung etwaiger Chancen und Risiken fatale Folgen haben. So wundert es nicht, dass die wohl wichtigsten Begründer der Behavioral Economics, Daniel Kahneman und Amos Tversky, dem Konzept unterschiedlich wahrgenommener Wahrscheinlichkeiten im Rahmen ihrer Arbeiten einen großen Stellenwert einräumten. Denn normalerwiese sollte ein Entscheider eine Gewinn- bzw. Verlustwahrscheinlichkeit von 50 Prozent auch als fifty-fifty-
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Chance bewerten. Und eine Gewinnwahrscheinlichkeit von rund eins zu 140 Millionen – das entspricht etwa der Chance, sechs Richtige mit Superzahl im Lotto zu tippen – so gering einschätzen, wie sie es tatsächlich ist. Während jeder Homo oeconomicus Lottospiele auf Grund ihrer schlechten Ausschüttungsquote ablehnen würde, spielen an jedem Wochenende Millionen Menschen ungebrochen Lotto, mit immer derselben Hoffnung: irgendwann den großen Jackpot zu knacken. Genauso bereitwillig schließen sie teils überteuerte Versicherungen gegen Risiken ab, die als extrem gering gelten dürfen. Wie Wahrscheinlichkeiten in der Realität bewertet werden, soll das folgende, wenngleich extreme Beispiel veranschaulichen. So stelle man sich vor, man sei in eine ziemlich ausweglose Lage geraten und sehe sich gezwungen, „Russisches Roulette“ zu spielen. Bei diesem Glücksspiel mit eventuell tödlichem Ausgang hält sich der Spieler einen Revolver an den Kopf, von dessen sechs Kammern eine mit der todbringenden Patrone gefüllt sei. Wie viel Prozent Ihres Vermögens würden Sie dafür opfern, dass diese eine Patrone aus dem Revolver entfernt wird? Die meisten Menschen antworten auf diese Frage, dass sie einen großen Teil ihres Vermögens, wenn nicht sogar alles, was sie besitzen, dafür hergeben würden. Nun stelle man sich vor, dass vier der sechs Kammern mit Patronen gefüllt sind. Was wäre man bereit zu zahlen, damit von den Kammern statt vier nur drei mit Patronen bestückt werden? Hier fallen die
Wahrscheinlichkeiten Neben der Bewertung von Gewinnen und Verlusten spielt an den Finanzmärkten die Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeiten eine wichtige Rolle Was würden Sie bevorzugen? Eine 1:1000-Chance, 5000 € zu gewinnen oder einen sicheren Gewinn von 5 €. In verschiedenen Versuchen zeigte sich, dass sich eine deutliche Mehrheit für die riskante Alternative entscheidet Wie sähe es bei einem 1:1000 Risiko aus, 5000 € zu verlieren oder stattdessen einen sicheren Verlust von 5 € in Kauf zu nehmen? Eine große Mehrheit würde sich risikoscheu verhalten und eine Versicherungsprämie vorziehen In beiden Fällen zeigt sich eine Überbewertung von geringen Wahrscheinlichkeiten
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Wahrscheinlichkeiten und deren Wahrnehmung Antworten in der Regel ganz anders aus. „Viel weniger als im ersten Fall“ oder „gar nichts“. Tatsächlich wird in beiden Fällen die Wahrscheinlichkeit, zu überleben, jeweils um ein Sechstel erhöht. Doch im ersten Fall bedeutet das Entfernen der einen Patrone so etwas wie eine Überlebensgarantie, während sich im zweiten Fall das Risiko zu sterben, „lediglich“ von vier Patronen (4/6) auf drei Patronen (3/6) verringert. Eigentlich hätte man nach der klassischen Entscheidungstheorie für jede Patrone denselben Preis bezahlen müssen. In der Realität sind die Menschen jedoch geneigt, für Sicherheit wesentlich mehr Geld zu bezahlen als für eine bloße Veränderung der Wahrscheinlichkeiten in gleicher Größenordnung. Bei jeder Entscheidung ergeben sich hinsichtlich der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten zwei extreme Referenzpunkte: Unmöglichkeit und Sicherheit, null (für Verluste) und 100 Prozent (für Gewinne). Dabei zeigt sich, dass der Veränderung einer Wahrscheinlichkeit von eins auf null Prozent bzw. von 99 Prozent auf absolute Sicherheit wesentlich mehr Gewicht verliehen wird als der Veränderung einer mittleren Wahrscheinlichkeit, etwa von 49 auf 50 Prozent, die kaum wahrgenommen wird. Deshalb mögen viele Menschen Spiele oder Investments besonders gerne, die mit einer extrem geringen Chance auf sehr hohe Gewinne versehen sind, aber ansonsten eigentlich enttäuschen-
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de Resultate liefern: Lottospiele, der Kauf von günstig aussehende Optionen, Aktien oder Anleihen von Unternehmen, die kurz vor der Pleite stehen etc. Und das alles nur, weil Menschen nun einmal dazu neigen, die noch so gering erscheinende Aussicht auf einen großen Geldsegen deutlich zu überschätzen. Interessanterweise fühlen sich andererseits Anleger von regelmäßigen, zufriedenstellenden Ergebnissen, verbunden mit der sehr geringen Wahrscheinlichkeit eines extremen Verlusts, oft nicht sonderlich angezogen. Diese statistische Verteilung von Gewinnen und Verlusten findet man vor allen Dingen bei Aktien, insbesondere Substanzwerten, und bei Staatsanleihen vor. Und obwohl bei diesen Wertpapieren moderate Gewinne recht häufig auftreten, besteht das minimale Risiko eines Desasters, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit überproportional stark wahrgenommen wird. Die Neigung vieler Anleger, bestimmte Derivate oder lotterieähnliche Investments zu bevorzugen, drückt sich natürlich auch im Preis aus. So verlockend etwa notleidende Wertpapiere mit der Chance auf riesige Gewinne aussehen mögen, schneiden sie in der Regel unterdurchschnittlich ab. Genauso wie der allwöchentliche Lotto-Schein, mit der unverwüstlichen Hoffnung auf den Jackpot, gemessen am zu erwartenden Gewinn immer viel zu teuer sein wird.
Folgen Gewinne und Verluste werden von einem veränderbaren Bezugspunkt aus wahrgenommen. Dieser liegt bei der Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeiten bei 0 Prozent für Verluste und 100 Prozent für Gewinne. Erstere sollen möglichst überhaupt nicht und letztere auf jeden Fall eintreten Daher nehmen Menschen Veränderungen von Wahrscheinlichkeiten in der Nähe dieser Bezugspunkte besonders stark wahr; eine Erhöhung von 49 auf 50 Prozent spielt indes kaum eine Rolle Die winzige Chance, auf einmal superreich zu werden (Jackpot), wird überbewertet. Das Gleiche gilt aber auch für das Risiko, durch ein extremes Lebensereignis alles zu verlieren – um dieses auszuschließen (Versicherung) wird oft überproportional viel Geld bezahlt
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Zur Person Joachim Goldberg kennt die Märkte aus den unterschiedlichsten Perspektiven – aus der des Händlers oder auch des Analysten. Mit seinen regelmäßigen TV-Auftritten, Pressebeiträgen, Präsentationen und den publizierten Büchern hat er sich als führender Experte auf dem Gebiet der … zur Kurzvita Behavioral Finance etabliert.
Was ist Behavioral Finance? Im Gegensatz zur klassischen Ökonomie stellt die Behavioral Finance das Verhalten der Akteure in den Mittelpunkt. Sie beobachtet wie Marktteilnehmer Informationen auswählen und verarbeiten und fragt konsequenterweise auch nach den daraus resultierenden Entscheidungen. … mehr
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