Transcript
9.2010
das Krankenhaus
Politik
Wolfgang Pföhler
Handlungsbedarf: Fusionskontrolle behindert Strukturwandel der Krankenhäuser
D
as erneute Defizit im Gesundheitswesen und das von der Koalitionsregierung geplante Sparpaket erhöhen den Druck der Klinikbetreiber, Wirtschaftlichkeitsreserven zu heben. Ein großes Potenzial liegt in der Bildung medizinischer Netzwerke und Verbünde, sei es durch Kooperationen, Klinikzusammenschlüsse oder Klinikübernahmen. Doch sozialpolitisch gewollte und wirtschaftlich sinnvolle Strukturänderungen werden häufig durch die Anwendung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erschwert oder verhindert. Die Zielsetzungen des Kartellrechts und der Sozialgesetzgebung stehen sich entgegen. Unser Gesundheitssystem kann es sich aber nicht leisten, erhebliche Synergieeffekte ungenutzt zu lassen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, die Widersprüche aufzuheben und für Krankenhäuser die notwendigen Spielräume zu schaffen. Unser Gesundheitssystem steht wahrscheinlich vor seiner bislang größten Bewährungsprobe. Auf der einen Seite führen der demographische Wandel sowie der medizinische und technologische Fortschritt zu einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen. Diese steigende Nachfrage kann auf der anderen Seite in zunehmendem Maße nicht mehr ausreichend finanziert werden. Der finanzielle Handlungsspielraum der öffentlichen Hand wird zunehmend enger und schränkt die Möglichkeiten ein, aus eigener Kraft eine ausreichende medizinische Versorgung sicherstellen zu können. Die steigende Nachfrage trifft zudem auf ein unzureichend regional verteiltes Angebot. Gerade vielen ländlichen Regionen droht künftig eine medizinische Unterversorgung. Dieser Entwicklung will die Gesundheitspolitik zum wiederholten Mal mit Einnahmeerhöhungen und Leistungskürzungen entgegenwirken. Doch das ist zu kurz gegriffen. Die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen, wohnortnahen Versorgung ist ein zentrales sozialrechtliches Ziel, das im Sinne des Sozialstaatsprinzips gemäß Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes Verfassungsrang genießt. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht das Sozialgesetzbuch explizit die Bildung medizinischer Netzwerke und Verbünde vor, weil sich auf diese Weise die Versorgung und der Service für die Patienten verbessern lässt. Hierzu gehört es auch, durch die sinnvolle Vernetzung medizinischer Kompetenz und den Zusammenschluss von Kliniken zum Wohle der Patienten Synergieeffekte zu erzielen. Dabei sind Kooperationen, Beteiligungen und Fusionen einer der großen Hebel, um unser Gesundheitssystem wirtschaftlicher zu gestalten und in allen Regionen eine wohnortnahe Versorgung vorzuhalten. Sie sind ein geeignetes und
wirksames Instrument, um die sozialpolitischen Zielsetzungen des Gesetzgebers zu erfüllen. Die Krankenhäuser müssen die im Sozialgesetzbuch angelegten Möglichkeiten aber auch nutzen und die Neuausrichtung ihrer Strukturen umsetzen können.
Die Stellung der Krankenhäuser auf dem Markt muss geklärt werden. Viele Klinikbetreiber haben in den vergangenen Jahren enorme Kraftanstrengungen vollbracht und einen weiten Weg zurückgelegt, um qualitativ hochwertige medizinische Leis tungen noch effizienter zu erbringen. Gerade innovationsbereite und investitionsfähige Klinikbetreiber gleich welcher Trägergruppe haben zahlreiche effizienzsteigernde Verbesserungen in ihren Einrichtungen umgesetzt. Sie haben neue Versorgungsstrukturen geschaffen, Tabus und historisch gewachsene Vorbehalte konsequent in Frage gestellt sowie medizinische Versorgungsprozesse standort- und sektorübergreifend neu strukturiert. Sobald aber medizinisch und wirtschaftlich sinnvolle Kooperationen, Übernahmen oder Zusammenschlüsse im Raum stehen, scheitern diese immer häufiger am Veto des Bundeskartellamts. Durch mehrere Entscheidungen – diese betrafen sowohl öffentliche als auch private Klinikbetreiber – wurden gesundheitspolitisch erwünschte Übernahmen und Zusammenschlüsse – sei es in Baden-Württemberg, Bayern, MecklenburgVorpommern oder Brandenburg – endgültig untersagt oder mehrfach behindert. In einem Fall hat das Kartellamt die Untersagung einer Übernahme sogar explizit damit begründet, dass dadurch Synergieeffekte im System gehoben worden wären! In einem anderen Fall hat die Anwendung des Fusionskontrollrechts letztlich zur Schließung eines Krankenhauses in einer ländlichen Region geführt. De facto behindert das Kartellamt mit seinen – höchstrichterlich bestätigten – Entscheidungen und seiner Auslegung des Fusionskontrollrechts den notwendigen Strukturwandel im Gesundheitsmarkt. Eine Möglichkeit zur Senkung der KranAnzeige
823
das Krankenhaus
Politik kenhauskosten wird verwehrt. Wie das vorgenannte Beispiel zeigt, kann die Anwendung des Fusionskontrollrechts auf den Krankenhausmarkt insbesondere auch in ländlichen Regionen die Sicherstellung einer wohnortnahen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gefährden. Die Stellung der Krankenhäuser auf dem Markt muss daher dringend geklärt werden. Dabei darf auch folgender Aspekt nicht außer Acht gelassen werden: Das deutsche Gesundheitssystem war über viele Jahrzehnte hinweg Garant für eine hervorragende stationäre Versorgung, weil sich die Krankenkassen und die Krankenhäuser in den jährlichen Budgetverhandlungen auf Augenhöhe begegnet sind. Mit anderen Worten: Beide Parteien konnten mit „gleich langen Spießen“ untereinander tragfähige und vernünftige Qualitäten, Mengen und Preise für medizinische Leistungen vereinbaren. Dieses sensible Gleichgewicht kommt mehr und mehr in eine Schieflage: So ist die Zahl der Kassen seit 1991 von über 1 200 auf jetzt weniger als 200 Anbieter gesunken. Die drei größten Kassen, die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), die Barmer GEK und die Techniker Krankenkasse verfügen schon heute zusammen über einen Marktanteil von etwa 50 Prozent. Weitere Zusammenschlüsse sind bereits angekündigt worden. Auf der anderen Seite ist die Zahl der Krankenhäuser seit 1991 von 2 400 auf jetzt rund 2 000 zurückgegangen. Die drei größten Krankenhausbetreiber kommen zusammen lediglich auf einen Marktanteil von etwas über 10 Prozent. Weitere Übernahmen von Krankenhäusern wurden durch das Kartellamt bereits untersagt bzw. werden durch die Entscheidungen der Behörde und das derzeitige Fusionskontrollrecht in erheblichem Umfang erschwert. Die Zahlen zeigen, dass die bestehende Marktkonzentration und auch die Konzentra tionsgeschwindigkeit auf der Finanzierungsseite jeweils deutlich größer sind als auf der Angebotsseite. Damit verschieben sich die Kräfteverhältnisse absehbar zugunsten der Krankenkassen. Damit aber nicht genug: Um künftig noch mehr Zusammenschlüsse zwischen Krankenhäusern überprüfen zu können, ist die Herabsetzung des sogenannten Aufgreifkriteriums im Gespräch. Hierbei wird die Umsatzhöhe der Unternehmen angegeben, ab der das Bundeskartellamt Fusionen und Über1_8_Anz_Wigge_Anz_Krankenhaus_hoch.pdf 1 17.05.10 09:51 Anzeige
C
M
Y
CM
MY
CY
CMY
K
Innovative Strategien und Konzepte für Krankenhäuser +RANKENHAUSPLANUNG !MBULANTE "EHANDLUNG IM +RANKENHAUS +OOPERATIONEN/UTSOURCING 'R~NDUNG UND "ETRIEB VON -6: Münster: Scharnhorststraße 40 T 02 51 / 53 59 5 - 0
)NTEGRIERTE SEKTOREN~BERGREIFENDE 6ERSORGUNGSKONZEPTE !RBEITSRECHT IM +RANKENHAUS #HEFARZT UND )NSTITUTS ERMiCHTIGUNGEN Hamburg: Neuer Wall 44 T 0 40 / 82 22 61 - 430
münster . hamburg . www.ra-wigge.de 824
9.2010
nahmen überprüfen muss. Konkret liegt der Vorschlag auf dem Tisch, diese Schwelle herabzusetzen. Damit müssten sich fortan auch kleinere Krankenhäuser der Fusionskontrolle unterziehen. Das Kartellamt würde noch mehr Einfluss auf die Umsetzung sozialpolitischer Zielsetzungen nehmen.
Räumliche Erweiterung des relevanten Marktes erforderlich Ein denkbarer und überaus sinnvoller Schritt wäre es dagegen, die räumlich relevante Marktabgrenzung für den Krankenhausmarkt auszudehnen und der des Krankenkassenmarktes anzugleichen. Für diesen naheliegenden Schritt, den Krankenhausmarkt als überregionalen bzw. bundesweiten Markt zu definieren, spricht die immer größere Mobilität der Patienten. Viele Patienten nehmen für bestimmte Behandlungen weite Wege in Kauf; sie reisen zur Behandlung sogar ins Ausland. Würden durch eine Erweiterung des relevanten Marktes mehr Zusammenschlüsse ermöglicht, könnte dies auch die Existenz zahlreicher kleinerer Kliniken sichern, bei denen heute eine moderne Medizin aufgrund knapper Kassen immer öfter beschränkt wird. Es geht also nicht nur um Qualitätsmedizin, sondern auch um das Zulassen wirtschaftlich tragfähiger Geschäftsmodelle. Gute Medizin lebt von einer hohen Investitionsfähigkeit und dem unternehmerischen Erfolg einer Einrichtung.
Vorreiter Europa Hier sollte man sich ein Beispiel an der Europäischen Union nehmen, die in diesem Jahr noch einen Schritt weiter gegangen ist. Die Gesundheitsminister der EU-Mitgliedsstaaten haben beschlossen, den Patienten künftig das Recht einzuräumen, sich auch in anderen EU-Mitgliedstaaten medizinisch versorgen zu lassen. Bis Jahresende soll dazu eine EU-Richtlinie erarbeitet werden. Die Europäische Union denkt damit voraus und setzt Maßstäbe. Sie hat den Krankenhausmarkt – ganz im Sinne des europäischen Binnenmarktes – europaweit definiert. In Deutschland wird stattdessen (fast) immer noch darüber diskutiert, ob der räumlich relevante Markt um einen Klinikstandort herum nun 50 oder 100 Kilometer betragen sollte. Der Gesetzgeber hat die Chance, durch die Neudefinition des räumlich relevanten Krankenhausmarktes als „überregionalen bzw. bundesweiten Markt“ wettbewerbsrechtliche und sozialpolitische Zielsetzungen sensibel auszubalancieren und Wirtschaftlichkeitsreserven im Krankenhaussektor zu heben. Möge er sie nutzen.
Anschrift des Verfassers Dipl.-Kfm. Wolfgang Pföhler, Vizepräsident der Deutschen Kranken hausgesellschaft, Vorstandsvorsitzender RHÖN-KLINIKUM AG, Schlossplatz 1, 97616 Bad Neustadt/Saale n