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LEBENSSTOFF WASSER 08.MAI — 28. AUGUST 2016
Wir danken für die freundliche Unterstützung von Brot für die Welt UNESCO-Wasserinstitut Koblenz Stadtwerke Ulm SWU Sparkasse Ulm
Lebensströme
Wasser ist mit allem verbunden: Trinken sichert das tägliche Leben jedes Einzelnen, denn der Mensch besteht zu 65 % aus Wasser. Wasser ist Grundlage menschlicher Gemeinschaften, die ersten sesshaften Menschen siedelten an Flussläufen. Bereits im 5. bis 3. Jahrtausend v. Chr. setzen die alten Ägypter am Nildelta Bewässerungssysteme ein. Schon lange zuvor wurden Flüsse und Meere als Transport- und Handelswege genutzt; bis heute sind Überseetransporte von großer Bedeutung für den globalen Warenverkehr. Wasser sichert auch Nahrung; seit jeher haben sich Menschen von Fischen und anderen Wassertieren ernährt. Heute spielt Fisch in der Welternährung – trotz Überfischung der Meere – eine wichtige Rolle. Besonders die antike ägyptische Hochkultur war eng mit dem Nil verbunden: Einmal im Jahr trat der mächtige Fluss über die Ufer, überschwemmte die Felder und überzog sie mit fruchtbaren Sedimenten. Und da die Ägypter von der Landwirtschaft lebten – Brot war das Hauptnahrungsmittel – war der Nil Inbegriff des Lebensstromes, sein Kreislauf der Lebenskreislauf, und der Nilgott Hapi Schöpfergott, „Vater der Götter“. Doch in allen Weltreligionen spielt Wasser als Element, aus dem neues, reines Leben hervorgeht, eine herausragende Rolle. Die Weltreligionen sind sämtlich in wasserarmen Regionen entstanden. Im Buddhismus ist der Fluss des Wassers Sinnbild für den Weg der Meditation bis zur Erlösung des menschlichen Daseins. Im Hinduismus wäscht Wasser Schuld und andere seelische Verunreinigungen ab und ermöglicht einen Neubeginn. Eine ähnliche Rolle spielen rituelle Reinigungen im Islam (gläubige Moslems waschen sich vor jedem Gebet Gesicht und Hände) und im Judentum (im Tauchbad, der „Mikwe“). Vergleichbar finden wir dieses Motiv des Reinigens und Neubeginns in der christlichen Taufe. Schließlich ist Wasser heute Energieträger: In den Meeren können die Gezeitenströmungen und an den Küsten Offshore Windanlagen Strom erzeugen. Für die Kunst ist Wasser seit etwa dem 17. Jahrhundert ein faszinierendes Feld.
Kreisläufe Wasser auf der Erde ist zu mehr als 97 % Salzwasser, nur 2,8 % ist Süßwasser, knapp 70 % davon wiederum ist im Eis der Polarkappen und Gletscher gebunden. Das verfügbare Süßwasser kann grundsätzlich nicht verloren gehen, denn es befindet sich in einem ständigen Kreislauf. Luft nimmt Feuchtigkeit auf; wenn warme Luft aufsteigt und in kältere Luftregionen vordringt, die nicht so viel Wasserdampf aufnehmen können, regnet es. Regenwasser verdunstet wieder, fließt Oberflächengewässern zu oder sickert in den Boden ein. Es nährt dabei die Pflanzen, die mit ihren Wurzeln im Boden Wasser saugen, und sickert immer tiefer, bis es als Grundwasser den Menschen zur Verfügung steht. Grundwasser macht etwa 30 % des Süßwassers der Erde aus. Dabei reichert es sich mit Mineralien an, Boden und Gesteinsschichten dienen als Filter, so dass das Grundwasser besonders rein ist. Teilweise nährt es wiederum Flüsse und Bäche, und verhindert damit das Austrocken der Gewässer auch in Trockenzeiten, oder tritt als Quelle wieder an die Erdoberfläche. Wenn Wasser aber nicht verloren gehen kann: Warum ist dann immer wieder von Wassermangel und –krisen die Rede? Tatsache ist, dass es eine ganze Anzahl regionaler Krisen gibt, die zusammen genommen eine globale Wasserkrise ergeben, da Wasser in unterschiedlicher Menge und Qualität auf der Erde verteilt ist. Die wichtigsten Gründe sind: steigender Bedarf durch Bevölkerungswachstum und sich verändernde Ernährungsgewohnheiten (mehr Fleisch, mehr industriell verarbeitete Produkte), damit einhergehend das Absinken von Grundwasserspiegeln durch zu hohe Entnahmen für industrielle Produktion, schlechte Infrastruktur und Verteilungsprobleme, Verschmutzung von Wasser und Grundwasser, Versalzung und Klimaveränderungen. Sofern diesen Krisen nicht durch viele, je auf die Region zugeschnittene, Maßnahmen begegnet werden kann, drohen mittelfristig neue Nahrungskrisen, Verteilungskämpfe und Fluchtbewegungen.
Wasserkrisen
Insgesamt leben heute rund 1,6 Milliarden Menschen in Regionen, in denen ökonomischer Wassermangel herrscht, d.h. wo institutionelle oder finanzielle Barrieren den Zugang zu sauberem Trinkwasser beschränken. Weitere 1,2 Milliarden Menschen leben in Regionen, in denen physische Knappheit herrscht. Wasser ist sehr ungleich auf der Erde verteilt. In semiariden und ariden Regionen sind Bewässerungssysteme und gutes Wassermanagement lebenswichtig; diese fehlen zum Teil ganz und sind häufig unzureichend. Schon heute merkliche Klimaveränderungen verstärken zum Beispiel extreme Dürren. Ein wachsendes Problem ist die Übernutzung von Grundwasservorräten. Wasser und Bewässerungssysteme sind Wohlstandsmotoren: Überall dort, wo intensive Landwirtschaft betrieben, wo viel Fleisch und Fisch sowie Energie erzeugt wird, wird auch viel Wasser benötigt. 70% des weltweiten Wasserverbrauchs geht auf die USA, China und Indien zurück; vor allem in Indien ist der Verbrauch von Grundwasser für landwirtschaftliche Bewässerungssysteme in den letzten 50 Jahren um mehrere 100 Prozent gestiegen, von Regierungsseite mit finanziellen Anreizen gefördert. Wenn tendenziell mehr Grundwasser entnommen wird als – äußerst langsam – nachsickert, entsteht ein mächtiges Verteilungsproblem zwischen Landwirtschaft, Industrie und der Versorgung der Städte mit Trinkwasser. In einigen Regionen in Afrika, China, Indien, Mexiko und Ägypten sinken seit Jahren die Grundwasserspiegel, Brunnen versiegen, Pflanzen verdorren. Mit steigendem Wohlstand von Schwellen- und Entwicklungsländern werden sich diese Tendenzen voraussichtlich rapide verschärfen. Hinzu kommt das Problem der Verschmutzung. Ungefähr 85% der Abwässer werden weltweit ungeklärt über die Flüsse in die Meere geleitet – mit dem Ergebnis, dass das Trinkwasser aus Flüssen krank macht; vor allem in Afrika sterben jedes Jahr etwa 2 Millionen Kinder an den Folgen von Durchfallerkrankungen.
Wasser in der Landwirtschaft
Landwirtschaft ist ohne Wasser nicht denkbar. Rund 70% des aus Flüssen, Seen und dem Grundwasser weltweit entnommenen Wassers wird für landwirtschaftliche Nutzung verwendet. Während die industrielle Landwirtschaft meist von künstlichen Bewässerungssystemen abhängig ist, die Wasser auf die Felder pumpen, stammt heute immer noch 55% des weltweit produzierten Getreides aus Landwirtschaft, die auf Regenwasser basiert. Vor allem in Afrika südlich der Sahara haben wir es ganz überwiegend mit regenwassergespeistem Landbau zu tun, der naturgemäß extrem anfällig ist. Hier könnte man ansetzen, zum Beispiel Regenwasser zu speichern, um bereits spürbare Verbesserungen der Nahrungssicherheit zu gewinnen. Von 1963 bis 2000 stieg die Lebensmittelproduktion deutlich an, um mehr als das Doppelte. Hauptgrund war die Intensivierung der Landwirtschaft, verbunden mit der „Grünen Revolution“, das heißt dem Einsatz hybrider und besonders ertragreicher Getreidesorten, mit Mineraldüngung und Pestizideinsatz. Diese Technisierung war die Antwort auf Hunger, Ernährungskrisen, eine stetig steigende Weltbevölkerung und den wachsenden Hunger auf Fleisch und industriell verarbeitete Lebensmittel: Zeichen zunehmenden Wohlstands vor allem nun auch der Schwellenländer. Kehrseite dieser Erfolge zeigten sich nach und nach: Der Einsatz von Pestiziden belastet Umwelt und Grundwasser; Grundwasserspiegel sinken; ein riesiges Problem ist die Versalzung von Anbauflächen in Küstenregionen: Salzwasserintrusion als Folge zu hoher Entnahmen von Grundwasser; die Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten schrumpft; der CO2-Ausstoß beschleunigt den Klimawandel. Forscher und NGOs empfehlen daher intelligente Bewässerungsanlagen, die mit weniger Wasserverbrauch eine höhere Effizienz erzielen, die Schulung von Kleinbauern, den Einsatz von Pflanzen, die mit weniger Wasser auskommen, und die Unterstützung kleinbäuerlicher Selbstversorger. Dennoch: Die Verstädterung der Welt wird fortschreiten, Prognosen gehen davon aus, dass 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten lebt – damit verbunden erscheint zwangsläufig die Notwendigkeit, große Landflächen mit geringer Manpower zu bewirtschaften.
Water Grabbing
Da Land und Wasser kostbare, weil nicht vermehrbare Ressourcen sind, gehen private und staatliche Investoren zunehmend außerhalb ihrer Landesgrenzen auf die Suche nach großflächigen Ländereien, die sie pachten und nutzen können. Global Land Project hat berechnet, dass allein in Afrika aktuell ca. 51 - 63 Millionen Hektar Land, verteilt auf 27 Staaten, an Investoren verkauft oder verpachtet sind. In Mosambik etwa betrifft dies ein Fünftel der Flächen, die bewirtschaftet werden können. Befürworter betonen die Chancen, die darin für die heimische Bevölkerung liegen: Erschließung und Arbeitsmöglichkeiten, sowie Gelder, die in das Land, in das investiert wird, fließen. NGOs warnen vor solchen Geschäften mit Land und Wasser. Zwei Drittel aller Landverträge sind mit afrikanischen Ländern abgeschlossen. Das liegt daran, dass das Land billig ist, dass Landstriche wenig besiedelt sind und es häufig keine eingetragenen Eigentumsrechte der Kleinbauernfamilien, die den Boden bewirtschaften, gibt. Aber auch daran, dass afrikanische Bauern überwiegend regengestützten Landbau betreiben, also fast kein Grundwasser aus den Vorräten entnehmen, so dass aus Sicht der Investoren hier ungenutzte Ressourcen zur Verfügung stehen. Land grabbing ist eben auch Water grabbing, denn mit den Landrechten gehen die Rechte zur uneingeschränkten Nutzung von Oberflächen- und Grundwasser auf den Pachtgebieten einher. Saudi-Arabien, neben den anderen Golfstaaten, China, Israel und Indien einer der Hauptakteure, hat unumwunden festgestellt, dass es mit der Pacht afrikanischen Bodens die eigenen knappen Wasserressourcen schonen wolle. Das Ziel ausländischer Investoren ist die industrielle Nutzung des Bodens, oft für Agrotreibstoffe. Dafür wird Wasser, zumeist Grundwasser auf die Felder gepumpt. Die Gefahr ist groß, dass dadurch der Grundwasserspiegel sinkt.
„Der einzige Grund für Ägypten Krieg zu führen ist Wasser“ (Sadat, 1979)
Auseinandersetzungen um Ressourcen, allen voran um Wasser, erscheinen unvermeidbar, wenn man sich vor Augen führt, dass die Weltbevölkerung rapide wächst und die Industrialisierung der Welt fortschreitet. Denn die industrialisierte Agrar-, Fleisch-, Textil- und Energiewirtschaft benötigt große und wachsende Mengen an Wasser, und schon jetzt befinden sich etliche Regionen im Wasserstress. Ein Beispiel dafür ist der gigantische „Renaissance-Staudamm“ am Blauen Nil in Äthiopien. 2011 wurde der Grundstein für das Hydroenergieprojekt gelegt, das einen gewaltigen Modernisierungsschub für die aufstrebende Wirtschaftsmacht Äthiopien bringen soll, einen der mit ca. 100 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Staaten der Welt: Nach Fertigstellung soll hier mit einer Leistung von 6000 Megawatt Strom erzeugt werden, das ist so viel wie 5 Atomkraftwerke liefern können. Damit macht sich Äthiopien ein gutes stückweit unabhängig von Rohöl-Importen und kann noch Strom in den Sudan und nach Ägypten verkaufen. 2017 soll das Bauwerk in Betrieb gehen. Nach Bekanntwerden der Pläne in Ägypten, sechs Wochen nach dem Sturz Husni Mubaraks, war die Aufregung hier groß: Ägypten liegt unterhalb des Flusslaufes und war immer schon abhängig von den Wassern des Nils. 95 % der Ägypter leben im Niltal, obwohl dieses nur 5 % des Staatsgebietes ausmacht. Das Nilwasser wird als Trinkwasser und zur Bewässerung der Felder dringend benötigt. Nun fürchtete man, dass die Wassermengen durch die Stauung in Äthiopien reduziert werden könnten. Die ägyptischen Präsidenten Mursi und al-Sisi richteten offene Drohungen an das Nachbarland. Auf Vermittlung des Sudans unterzeichneten Äthiopien und Ägypten im März 2015 schließlich ein Grundsatzabkommen, das Ägypten und Sudan ihre Rechte und Anteile am Nil auch für die Zukunft zusagt.
Virtuelles Wasser
Deutsche verbrauchen weit mehr Wasser als sie denken, nämlich 5.300 Liter jeden Tag, so viel wie 44 Badewannen voll Wasser. Global sind das „nur“ 1.250 Liter pro Kopf und Tag, in den USA 6.795 Liter. Berechnet ist hier das sogenannte virtuelle Wasser, das zur Herstellung der Güter, die wir konsumieren, benötigt wird. Generell ist der Verbrauch für industrielle Produkte besonders hoch. Spitzenreiter sind aber auch Kakaobohnen und Kaffee (20.000 l/ kg), Rindfleisch (15.000 l/ kg), Baumwolle (10.000 l/ kg) und Biosprit (3.500 l/ l). Ein einziges T-Shirt „kostet“ 4.100 l Wasser, eine Jeanshose 8.000 l. Auch Zucker, Nüsse und Weizen haben einen hohen Wasserfußabdruck. Diese Zahlen geben wichtige Anhaltspunkte, haben aber nur einen relativen Aussagewert. Entscheidend ist nicht allein der Wasserfußabdruck, hilfreich zur Beurteilung eines Produktes ist auch die Frage, wie die Wassersituation in den produzierenden Ländern aussieht. So kommen etwa Kaffee und Kakao überwiegend aus Regionen, in denen es genug regnet, während Baumwolle, Zucker, Nüsse und Reis aus Regionen stammen, in denen prekäre Situationen herrschen, so dass mit der Industrieproduktion ein negativer Einfluss auf Mensch und Umwelt zu erwarten ist. Die industrielle Produktionsweise macht uns in den Industrie- und zunehmend in den Schwellenländern das Leben bequem und ermöglicht es uns, verschiedenste Güter billig einzukaufen. Dadurch hat sich der weltweite Wasserkonsum in den letzten 50 Jahren vervierfacht, der Verbrauch steigt etwa doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung wächst.
Wasser: Ware oder Menschenrecht?
Die UN-Generalversammlung erkannte 2010 das Menschenrecht auf Wasser an: Wasser müsse für jeden Menschen erreichbar, erschwinglich und gesundheitlich unbedenklich sein. Von der Umsetzung dieses Grundsatzes sind wir global weit entfernt. Eine Rolle spielt die Tatsache, dass sich mit Wasser vielfach Geld verdienen lässt. Über die Privatisierung von Wasserversorgungsnetzen, den Verkauf von Trinkwasser in Flaschen, und Finanzanlagen. Die Privatisierung von Wasserversorgung ist weltweit ein heiß umkämpftes Thema. Die Weltbank spielt hier mit: Griechenland wurde das dritte Hilfspaket nur unter der Auflage gewährt, dass die Wasserversorgung privatisiert wird. Kredite werden immer wieder an diese Bedingung geknüpft, trotz schlechter Erfahrungen, zum Beispiel in Manila auf den Philippinen: Weil die Stadt nicht in der Lage war, das Versorgungssystem zu warten und zu erneuern, privatisierte sie es zwangsweise. Investitionen unterblieben dennoch, die Wasserpreise stiegen um 700%, Zahlungsunfähigen wurden die Hähne zugedreht. Die Ärmsten tranken fortan ihr Wasser aus verschmutzten Flüssen, eine Choleraepidemie brach aus. Privatisierung war auch 2015 im EU-Parlament Thema: Zur Abstimmung stand ein Antrag von Christdemokraten und Rechtskonservativen, dass alle Kommunen der EU ihre Wasserversorgung europaweit auszuschreiben hätten; die Folge wären voraussichtlich reihenweise Privatisierungen gewesen. Das Parlament lehnte ab, mit Verweis auf das Menschenrecht auf Wasser. Ein lukratives Geschäft ist die Abfüllung und der Verkauf von Quell- oder auch Leitungswasser („Tafelwasser“) in Flaschen, praktiziert von Konzernen wie Nestlé, Coca-Cola, Pepsi oder Unilever. Abgefüllt wird in Gegenden, die wie Kalifornien keine Grundwasser-Regelungen haben. Weltweit werden jedes Jahr 89 Millionen Liter Wasser in Flaschen gefüllt; große Zuwachsraten liegen in China, Thailand, Mexiko, Brasilien und Indonesien. Auch in Deutschland wird jedes Jahr mehr Flaschenwasser gekauft, obwohl unser Leitungswasser mindestens so sauber und gesund ist wie jenes. Ökologisch ist das ein Desaster: Für die Herstellung der Plastikflaschen werden wertvolle Rohstoffe benötigt, die meisten Flaschen werden nicht recycelt, Transporte belasten die Umwelt zusätzlich.
Die größten Müllhalden der Welt
Plastik ist der Werkstoff unserer Zeit, seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts massenhaft und billig industriell hergestellt, der verspricht, unser Leben bequemer zu gestalten. Jedes Jahr werden schätzungsweise weltweit 260 Millionen Tonnen Kunststoff produziert, 30 Millionen Tonnen davon finden sich in den Ozeanen wieder. Unter anderem sind Lebensmittel großzügig mit Plastikverpackungen umhüllt, je mehr Wohlstand eine Gesellschaft verzeichnet, desto mehr Plastikverpackungen finden sich in ihren Supermärkten. Und die Plastiktüte: weltweit werden jährlich 1 Billiarde davon verbraucht, allein in Deutschland 6,1 Milliarden; das entspricht 76 Tüten pro Jahr und Kopf, von denen 90% nicht in Wertstoffsammlungen landen, sondern auf Deponien, oder in der Natur. Von hier gelangen sie in Flüsse, Seen, und schließlich ins Meer. Auch anderer Plastikmüll wird im Meer entsorgt: Abfälle der Schifffahrt und des Fischfangs werden aus Kostengründen einfach ins Meer gekippt; Touristen hinterlassen ihre Abfälle am Strand; und schließlich gelangt Plastik aus unserem Abwassersystem in die Weltmeere. Einige Sorten Zahnpasta, Gesichtspeeling und andere Kosmetika, aber auch Fleecekleidung enthalten winzige Plastikkügelchen, die über Abflüsse und Waschmaschinen in die Kanalisation fließen; da sie zu klein sind, können sie in Klärwerken nicht aus dem Wasser gefiltert werden. Und der ganze Plastikmüll, der im Meer treibt, sammelt sich, bewegt durch Strömungen, in Strudeln. Berechnet sind etwa 50 solcher Strudel in den Weltmeeren, nachgewiesen bisher bloß zwei, im Pazifik und im Nordatlantik. Diese „Plastikinseln“, Kehrseite unseres Wohlstands, sind für das bloße Auge unsichtbar. Denn das Plastik, das hier schwimmt, hat riesige Wege durch das Meer zurückgelegt, und ist dabei in kleinste Mikroteilchen zerrieben worden. Plastik zersetzt sich nicht, es zerfällt in Kleinteile. Auf doppelte Weise gerät dadurch das Ökosystem der Meere aus den Fugen: Zum einen sterben Fische und Vögel an Plastikteilen, die sie mit Futter verwechseln. Zum anderen konnte nachgewiesen werden, dass sich Gifte wie DDT, das synthetische Weichmacher-Hormon BPA und weitere Umweltgifte an Plastikteilchen anlagern: Die Fische fressen mit dem Plastik also auch Giftstoffe, die wiederum der Mensch beim Verzehr von Fisch in sich aufnimmt. Welche Gefahren damit verbunden sind, wissen wir heute noch nicht.
Modellprojekt für Stadtplaner: Hamburg Water Cycle in der Jenfelder Au
In Hamburg entsteht zurzeit ein innovatives Modellprojekt, das ein ganzes Stadtviertel umfasst: Auf einem ehemaligen Kasernengelände werden 630 neue Wohnungen für rund 2.500 Menschen gebaut. Das Besondere daran ist ein zukunftweisendes Abwassersystem, das verschieden verschmutze Abwasser getrennt aufbereitet. Normalerweise werden Schwarzwasser, das heißt Abwasser aus der Toilette, und Grauwasser, die übrigen ca. 70 % Abwasser eines Haushaltes, über gemeinsame Rohre abgeleitet und aufbereitet. Diese gemischten Abwässer zu reinigen ist ebenso energieaufwändig wie die Aufbereitung des am stärksten verschmutzten Schwarzwassers. In manchen Gegenden wird sogar reines oder fast reines Regenwasser in die Abwassersysteme eingeleitet. In der Jenfelder Au wird künftig Regenwasser über Rinnen und Mulden in einen neu angelegten See geführt. Das Grauwasser wird in der Siedlung aufbereitet und anschließend zum Teil neu in den Kreislauf eingespeist, zum Teil in öffentliche Gewässer geleitet. Das Schwarzwasser fließt in eine Verwertungsanlage: Durch Vergärung werden Biogase erzeugt, die in Wärme und Strom umgewandelt werden. Auf diese Weise erzeugt die Siedlung 50% der hier benötigten Energie und 40% der benötigten Wärme selbst. Die Stadt Hamburg gab mit dem Wunsch, innovativ mit Abwasserströmen umzugehen den Anstoß zu diesem Modellprojekt; im Kleinen existiert das Kreislaufmodell bereits. Das kommunale Wasserver- und entsorgungsunternehmen Hamburg Wasser arbeitete das Konzept aus, unterstützt u. a. von der Bauhaus Universität Weimar. Darüber hinaus soll die Siedlung nicht nur ökologisch und energetisch Maßstäbe setzen – mehrere Wohnhäuser sind auch als Passivhäuser angelegt – sondern eine sozial durchmischte Bewohnerschaft anziehen; die städtebaulichen Planungen kommen von den niederländischen Städteplanern West 8. Da das Hamburger Projekt bisher einzigartig ist, wird es vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung unterstützt. Die Bauarbeiten haben begonnnen, das Interesse der Öffentlichkeit ist groß. Weihnachten 2016 sollen die ersten Mieter ihr neues Heim bezogen haben.
Schmelzende Gletscher
Als Folge des globalen Klimawandels schmelzen Polkappen und Gletscher seit Mitte des 19. Jahrhunderts, und verstärkt seit den letzten 60 Jahren. Im 20. Jahrhundert sind dadurch die Meeresspiegel um rund 20 cm angestiegen, und sie steigen weiter und schneller. Genaue Prognosen sind schwierig, Forscher rechnen bis 2100 mit einem weiteren Anstieg um 1-2 m. Für einige Regionen bedeutet das gravierende Veränderungen: Küstennahe Gebiete wären Überflutungen und Überschwemmungen weit stärker ausgesetzt, Versalzungen von Böden drohen, und Küstenstädte, in denen eine große Anzahl von Menschen leben, würden im Wasser versinken. Der Himalaya als größte Konzentration von Gletschern außerhalb der Polkappen ist besonders betroffen, zwei Drittel der hier zu findenden Gletscher schmelzen. Die Gletscher speisen große Flüsse: den Ganges, Indus und Yangtse. Von den Wassern dieser Ströme hängen wiederum viele Menschen ab: Sie nähren die Land- und Energiewirtschaft vor allem in Indien, China und Pakistan. Wenn die Gletscher schmelzen, wachsen die abfließenden Wassermengen zunächst, mittel- bis langfristig verringern sie sich allerdings voraussichtlich um 60%. Auch in Europa schmelzen die Gletscher, u.a. in den Alpen. In der Schweiz wird seit Jahren versucht, mit Hilfe gigantischer Spezialvliese den Gurschengletscher in den Sommermonaten vor Sonneneinstrahlung zu schützen und vor weiterem Abschmelzen zu bewahren, vor allem um den Skitourismus nicht zu gefährden. Für das Phänomen des globalen Gletscherschwundes hat diese Maßnahme allerdings keine Bedeutung. Die Veränderung von Gletschern weltweit kann jeder über die App wgms Glacier version 1.0, herausgegeben vom World Glacier Monitoring Service, Zürich verfolgen.
Beteiligte Künstlerinnen und Künstler Edward Burtynsky, geb. 1955 in St. Catharines, Ontario, Canada; renommierter Fotokünstler; interessiert sich für Landschaften, die das Einwirken des Menschen sichtbar machen; weltweit tätig. Juliette Israel, geb. 1976 in Orléans, Frankreich, lebt in München. Künstlerin, Kunsthistorikerin und Kuratorin, arbeitet als Künstlerin überwiegend szenografisch. HA Schult, geb. 1939 in Parchim, Mecklenburg-Vorpommern; Studium an der Kunstakademie Düsseldorf; Objekt- und Aktionskünstler, seine „Trash people“ haben ihn bekannt gemacht. Seine Lebensthemen sind Konsum, Müll und Umwelt. Gerda Steiner + Jörg Lenzlinger, geb. 1967 in Ettiswil und 1964 in Uster, Schweiz; arbeiten seit 1997 als Künstlerduo; für künstlerische Installationsarbeiten oft monatelang weltweit unterwegs; Installationen bestehen v.a. aus Fundstücken und gezüchteten Kristallen. Ester Vonplon, geb. 1980 in Schlieren, Schweiz; ehemalige Snowboarderin, Fotokünstlerin; ihre Hauptthemen sind Landschaft und Raum. Zimoun, geb. 1977 in Bern, Schweiz; künstlerischer Autodidakt, technikbasierte Installationen, die vor allem mit Klang arbeiten.
Als Sie ins Haus hineingekommen sind, sind Sie von dem Bild eines aufgewühlten Meeres empfangen worden, als Größenvergleich gibt es eine klein erscheinende übertoste Brücke links im Bild. Das Foto stammt von Edward Burtynsky, einem kanadischen Künstler, der in seinen großformatigen Bildern zeigt, wie Menschen Wasser nutzen, und wie industrielle Nutzung Landschaften prägt. In diesem und anderen Werken, die alle von faszinierender Schönheit sind, halten sich die bezwingende Macht der Technik und die überbordende Kraft der Ressource Wasser die Waage. „Ich interessiere mich für die Landschaften, die uns fremd erscheinen, die uns aber mit dem versorgen, was wir zum Leben brauchen“, sagt Burtynsky über seine Bilder. Niemals würde er uns Bilder präsentieren, die so etwas wie „reine Natur“ vorgaukeln, also Meeresansichten, unberührte Seenoder Flusslandschaften. Denn: Die reine Natur gibt es im Konzept des modernen Menschen nicht, Wasser steht immer in Beziehung zum Menschen als Nutzer. Den Ausstellungsraum bestimmt ganz klar die Installation „Unter der Oberfläche“, die von der in München lebenden französischen Künstlerin Juliette Israel stammt: Sie besteht aus ca. 3000 PETFlaschen, die miteinander ein glänzendes, changierendes , scheinbar bewegtes Farbkontinuum ergeben, die Illusion eines Meeres, dessen Oberfläche wir von unten betrachten, quasi von Innen, aus dem Wasser heraus. Das Plastik verwandelt sich dem Wasser an bzw. scheint an die Oberfläche des Wassers gestiegen zu sein und hat es in der Untersicht verdrängt. Wasser und Plastik verbinden sich miteinander. Wir wissen es vielleicht alle, und Juliette Israel beschwört diese Assoziation unweigerlich herauf: In den Weltmeeren schwimmt eine gigantische Menge an Plastikmüll, auch von zahlreichen PET-Flaschen, der sich durch Strömungen an bestimmten Orten im Meer sammelt. Die aufgehäuften Müllmengen sieht man allerdings mit dem bloßen Auge nicht mehr, die weite Reise durch das Meer hat das Plastik in Mikroteilchen zerrieben; Plastik und Meereswasser sind nun beinahe unauflöslich miteinander verbunden. Das Plastik ist damit nicht verschwunden: Es findet sich in den Mägen von Vögeln und Fischen, und gelangt über die Nahrungskette zum Menschen zurück.
Auch Zimouns Thema ist die Verbindung von Künstlichkeit und Natürlichkeit. Seine Installation besteht aus 150 kleinen Motoren und ebenso vielen Kabeln, die von den Motoren bewegt werden. Dabei schlagen sie auf die hölzerne Trägerplatte und erzeugen ein Geräusch, das uns sofort an strömenden Regen denken lässt. Machen Sie für einen Moment die Augen zu: Ein Gefühl von Heimeligkeit stellt sich ein, geschützt unter dem Dach dieses Hauses, steht man nicht im Regen sondern bleibt trocken. Und der Regen tut gut, denn die Natur braucht Wasser, Regen bedeutet Fruchtbarkeit und Leben. Und was ist in anderen Regionen dieser Welt? Öffnen Sie die Augen wieder. Die sehen die Motoren der Installation. Mit Technik lässt sich Wasser nutzen, zum Beispiel Grundwasser pumpen für die Landwirtschaft. Aber künstlich erzeugen können wir Wasser nicht. Noch etwas anderes gelingt nicht: Nämlich zu verhindern, dass sich das Klima verändert, und dass die Gletscher schmelzen. Die Schweizer Künstlerin Ester Vonplon hat die Versuche, Gletscher über den Sommer hinweg mit riesigen Planen abzudecken, um das Schmelzen zu verhindern oder wenigstens abzumildern, fotografiert. Ihre Gletscherfahrt-Bilder berühren, denn der Versuch, das Unmögliche möglich zu machen, ist ebenso großartig wie hilflos und zum Scheitern verurteilt. In dramatischen und differenzierten Schwarz-Weiß-Grau-Tönen ihrer hochaufgelösten Bilder wird der Gletscher
lebendig und fassbar. Überhaupt der Gletscher: Ist er nicht das Sinnbild für die verfestigte Zeit, für alles, was klar und sicher und ewig schien, und jetzt unkontrolliert in Bewegung gerät? Wenn man sich vor Augen führt, dass die Rettung der Schweizer Gletscher mit dem Ziel projektiert war, den Skitourismus zu halten, wird einerseits deutlich, dass nicht nur das Ökosystem schmilzt, sondern auch ökonomische und soziale Sicherheiten. Und andererseits bekommt das Ganze einen zweischneidigen Beiklang, denn die Tourismusindustrie dürfte zum Klimawandel auch ihren Teil beitragen. HA Schult nimmt demgegenüber eine Mikroperspektive ein. In seiner „Action Blue“ im Sommer 2015 ist er von Paris nach Peking gefahren und hat aus verschiedenen Gewässern Wasserproben entnommen, um diese in „biokinetische Bilder“ zu verwandeln. Die Aktion hat eine enorme öffentliche Aufmerksamkeit erregt und den Blick ohne weiteres Zutun des Künstlers auf die Wasserqualität jeweils vor Ort gelenkt. Kunst, Globalisierung, Technologie und Medien ergeben neue Wirklichkeiten und neue Bilder, so die Botschaft. Und: Die Natur ist die eigentliche Künstlerin, denn sie hat das Wasser und damit letztlich auch diese Bilder hervorgebracht. In die Welt der Poesie entführen uns schließlich die digitalen Collagen des Künstlerpaares Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger. Die beiden sind vor allem Installationskünstler; da sie ihre Installationen jedoch nicht einfach fotografisch dokumentieren wollen, um die Fotos zu verwerten, wie etwa Christo – das wäre ihnen als Kunstwerk zu eindimensional – entstehen aus den Fotos am Computer ganz neue Bilder. In ihnen gehen Höhlen, Pflanzen und Wasser fantasyartige Verbindungen ein, angesichts derer man ins Träumen und Fantasieren geraten kann. Wenn man die Bilder genau anschaut, sieht man immer wieder pulsierende Adern; Adern, die komplexe Geflechte bilden – Sinnbilder dafür, dass Lebewesen vielfältig miteinander und mit ihrer Umwelt verbunden sind, und dass alle mit dem Wasser verbunden sind. Das Ökosystem steht uns hier sozusagen im verdichteten Modell vor Augen als komplexer Zusammenhang von Kommunikation, Verbindungen, Stoffen und Flüssigkeiten. Die Materialien, die Steiner + Lenzlinger für ihre Installationen verwenden, sind überwiegend nicht-wertvolle Wegwerf-Materialien, die im künstlerischen Universum zu etwas anderem werden: zu etwas Wertigem, Schönen und Geheimnisvollen. Diese Welt lädt uns ein, neu zu schauen; da wir nicht gleich einordnen können, was wir sehen, sind wir auf unsere Augen zurück geworfen. Staunen ist angemessen angesichts einer wunder-vollen Welt.