Preview only show first 10 pages with watermark. For full document please download

Hauptausgabe - Migros

   EMBED


Share

Transcript

28 | MM48, 23.11.2015 | MENSCHEN Die Alles-Sammlerin Hanni Weber Hanni Weber lebt auf einem idyllischen Bauernhof in Egg im Zürcher Oberland. Doch wie bei vielen Nachbarn sind bei Webers die Zeiten des Bauerns vorbei. Die 56-Jährige hat das KV gemacht, ihr Mann arbeitet in einer Telekomfirma. Tausende Objekte im Stall und der zweistöckigen Scheune erinnern an vergangene Epochen: Biergläser, Kochbücher, Puppen, Lampenschirme, Laternen, Spritzkannen, ein Kinderschlagzeug. Auf den ersten Blick ein einziges Chaos. Doch dann wird klar: Hier liegt die Elektronik, dort sind Babysachen. Weber stellt ihre Kollektion mit dem Wechsel der Jahreszeiten um. Im Winter lagern im Eingang der Scheune Ski und Schlitten, im Sommer Liegestühle. Hanni Webers Sammelsurium lebt. Donnerstags öffnet sie ihre Sammlung neugierigen Besuchern. «Manchmal kommen schon am Vormittag zehn Leute», erzählt Weber, «manchmal auch niemand.» Andere Sammler suchen hier nach Trouvaillen, wie der Mann, der Weber erzählte, schon 1000 Bleistiftspitzer zu besitzen. Ihre eigene Karriere als Sammn beginnt mit dem Bauernhaus, das ihr Vater vor 20 Jahren von einem Freund erbte. In der Diele entdeckte Hanni Weber Spitzen und wertvolle Stoffe. Das Sammelfieber war ausgebrochen. Die Sammlung tut Weber gut. «Hier habe ich meine Ruhe. Wenn ich wütend bin, komme ich hierher, um wieder runterzukommen.» Ausgesuchte OnlineFlohmärkte auf einen Blick: MENSCHEN | MM48, 23.11.2015 | 29 Porträt Hüter der vergessenen Schätze Ob legendäre Rennvelos, technische Raritäten, Möbel oder Kleider: Bei Martin Skripsky, Erich Bindschädler und Hanni Weber finden Kenner kleine und grosse Preziosen aus längst vergangenen Zeiten. Text: Joel Bedetti Bilder: Holger Salach Migrosmagazin.ch D er Wert, den eine Gesellschaft ihren Überbleibseln bei­ misst, ändert sich mit den Jahren. Die ersten Brocken­ häuser, die vor rund einem Jahr­ hundert entstanden, dienten dazu, die Armen mit günstigen Kleidern und Möbeln zu ver­ sorgen. In der Nachkriegszeit deckte sich der wachsende Mit­ telstand in den neuen Möbelhäu­ sern ein, die «Brockis» drohten unterzugehen. Erst in jüngster Zeit erleben sie ein Comeback: Studenten und Sammler stöbern auf Flohmärkten nach Fund­ stücken, die ihre Garderobe oder Wohnung aufhübschen sollen. Der Retrokult ist längst Teil unserer Alltagskultur. Das Zür­ cher Museum für Gestaltung lancierte kürzlich eine Vintage­ Ausstellung. Das Schweizer Fernsehen produzierte im Früh­ ling eine Sendung namens «Die Brocki­Profis», und auf dem Lo­ kalsender «ZüriPlus» präsentiert Erich Bindschädler (Seite 27) jede Woche einen neuen Gegen­ stand aus seinem Sammelsurium. Vom Aussterben bedroht Ist Hanni Weber genervt, findet sie in ihrer Sammlung wieder zur Ruhe. Aktuell verkaufen sich Möbel und Kleider aus den 60ern und 70ern, die lange vor sich hin moderten. Dagegen ist der Antik­ markt völlig eingebrochen. «Die Jungen wollen kein schnörke­ liges Zeugs mehr», sagt Markus Good (60) vom Brocki Pfannen­ stil ZH. Einige Brockenhäuser werden zu Vintage­Boutiquen. Sie stellen weniger Gegenstände aus, dafür ausgewählte. Gleich­ zeitig ist ihr Einkauf schwieriger geworden, viele Boutiquen und Sammler reissen sich um die schönen Zeitzeugen. Olivier Kathriner (33), ein ehemaliger Heilsarmee­Brockenhaus­ manager, der in Bern einen gros­ sen Vintageladen führt, meint, dass seine Branche sowieso dem Untergang geweiht sei: «Die Ge­ neration, die ihre Sachen in guter Qualität kaufte, stirbt aus. Was wird von der Generation unserer Eltern und von uns übrigbleiben? Conforama­ und Ikea­Möbel, die niemand will.» Doch bevor es so weit ist, tauchen wir in die Schatzkammern von drei passio­ nierten Sammlern ein. MM MENSCHEN | MM48, 23.11.2015 | 31 Der Kommerzsammler Erich Bindschädler Erich Bindschädler (70), Inhaber des Vintage Brocki in Uster ZH, empfängt in einem seiner fünf Warenlager. Er bahnt sich den Weg durch die vollgestellten Räume. Immer wieder fallen ihm Geschichten zu den Gegenständen ein. Sein Wissen über sie ist fast noch beängstigender als deren Anzahl und Exotik: Modelle von Dampflokomotiven, ein PTTBriefmarkenautomat, zig Gabeltelefone und historische Aktien. Erich Bindschädler sammelt seit 1993 Kuriositäten und Originale. Bindschädler kaufte bereits als Jugendlicher in den Trödelläden in der Zürcher Altstadt ein, wo er aufwuchs. Mit 17 erwarb er eine Kutsche, mit der er samstags seinen Schulschatz ausführte. Um die Pferde ausleihen zu können, mistete er jede Woche einen Pferdestall im Zürcher Unterland. Mit 19 schloss er seine Ausbildung als Eisenwarenhändler ab, später eröffnete er einen der ersten Baumärkte der Schweiz, das «Hobbyrama» in Dübendorf ZH. 1993 verkaufte er nach 20 Jahren sein Unternehmen und machte seine Leidenschaft zum Beruf. Doch nun sucht er einen Käufer für das VintageBrocki und drei seiner Lager. «Ich will endlich mal mit dem Boot auf dem Greifensee segeln gehen, mit meiner Frau Asien bereisen.» Sein viertes Lager in Kloten ZH will er aber seinen Söhnen vermachen. Der eine Sohn, Finanzchef einer Firma, soll die historischen Aktiensammlung erhalten. Der andere, ein Ingenieur, das technische Sammelsurium. MENSCHEN | MM48, 23.11.2015 | 33 Der Rennvelosammler Martin Skripsky Dutzende Rennvelos stehen sauber aus­ gerichtet im Lager­ schuppen von Martin Skripsky (41) in Cham ZG. An den Wänden hängen Velorahmen, an einem Balken Dutzende Lenkstangen, in einer Ecke stapeln sich alte Reifen. Skripsky, ein Ju­ rist, der für ein Software­ unternehmen arbeitet, ist Sammler und Tüftler. Schon als Kind kaufte er alte Uhren und Fotoka­ meras und reparierte sie. Seine Leidenschaft entdeckte Skripsky, als er in Zürich studierte und sich in einem Brocki einen Kristall­Renner kaufte. Ein zweiter, ein dritter folgten. «Dann lief es irgendwie automa­ tisch weiter.» Die wach­ sende Beliebtheit von alten Rennvelos zeigte sich am Preis. «Anfangs kosteten Räder 150 Fran­ ken, irgendwann waren es 500.» Mittlerweile hat er rund 40 Velos zusam­ men. 70 Prozent seien aus Schweizer Produk­ tion. «Hierzulande gab es viele kleine Betriebe, die eigene Räder bauten.» Weil sich der Lager­ raum füllt, verkauft Ein Sammler, der loslassen kann: Martin Skripsky mit seiner Rennvelo-Kollektion. Skripsky ab und zu Fahr­ räder. Das teuerste kos­ tet bei ihm 1100 Franken. Weil seine Räder ge­ braucht werden sollen, repariert er nicht nach historischen Vorgaben, sondern funktional: Alte Colli­Reifen ersetzt er durch Gummipneus und geschwungene Lenk­ stangen durch die heute beliebteren geraden Versionen. Es mache ihm nichts aus, sich von den Fahrrädern zu trennen. Er verfolge am Fernse­ hen auch nicht stunden­ lang Tour de France. «Ich schaue lieber Tennis», sagt er und grinst. 36 | MM48, 23.11.2015 | MENSCHEN 65 Zentimeter lang, etwa einen halben Meter breit: das Zuhause eines Hornissenvolks bei Hans Luder zu Hause. D as Problem wäre schnell beseitigt gewesen, wenn man es denn so bezeichnen möchte. Im Mai beobachtet Hans Luder (80), wie eine Hornisse sich an der Decke seines Schlafzimmers zu schaffen macht. Das Fenster ist immer einen Spaltbreit offen. Und so kommt es rein, dieses Insekt, eine Königin. 35 Millimeter gross, rötlich um den Kopf, schwarz-gelb der Körper. Hans Luder beobachtet und sagt zu sich selbst: «Noch interessant». Der 80-Jährige will eine Zeit lang zuschauen, was die Hornisse in seinem Zimmer treibt. Zuerst entsteht nur ein kleiner Stiel an der Decke, dann eine Zellstruktur, so gross wie eine Eichel, darüber ein kleiner Schirm. Man hätte das alles mit dem Besen leicht wegwischen können. Doch dann hätte Hans Luder nicht den Sommer erlebt, als das Abenteuer zu ihm kam. Ein kleines, aber eines, das seinen Blick auf die Welt nochmals ein wenig veränderte. Der 80-Jährige ist einer, der sich für Neues begeistern kann Porträt Eine Königin samt Hofstaat zu Gast Zuerst kam die Anführerin, dann das ganze Volk: Hans Luder überliess den Insekten sein Zimmer, begann sie zu erforschen – und suchte schliesslich anderswo im Haus einen Ort zum Schlafen. Text: Erika Burri Bilder: Daniel Winkler Die Königin kommt und geht. In ihrem Mund transportiert sie kleine Bällchen, Baumaterial aus morschem Holz. Mit ihrem Speichel spinnt sie Fäden und vergrössert ihren Bau. Hans Luder holt seine Kamera und schiesst die ersten Bilder. Bis im Herbst sollen es über 200 werden, die dokumentieren, wie das Nest täglich grösser wird. Nun, Mitte November, klebt es an der Wand, braun-weiss meliert. Es breitet sich über die Vorhangstange aus und ragt ins Fenster. Rund 65 Zentimeter lang ist es und etwa einen halben Meter breit, ein ungewöhnlich grosses Nest. Hans Luder startet in seinem Büro den Computer. Am Sonntag vor 80 Jahren kam er in diesem Zimmer in Oetwil am See ZH zur Welt. Vor Kurzem musste er das Knie operieren lassen, es wollte nicht mehr. Abgesehen davon ist Luder jemand, der noch nicht alles gesehen hat. Seine Frau Nelly, ein Jahr jünger, sagt, ihr Mann sei schon immer einer gewesen, der sich für etwas begeistern liess. Vor MENSCHEN | MM48, 23.11.2015 | 37 für die Drohnen und die jungen Königinnen. Wenn die Maden Hunger haben und warten müs­ sen, bis sie die Arbeiterinnen mit Insekten füttern, knabbern sie an den Zellwänden. Das töne dann, als würde es regnen, sagt Luder. Es wird Oktober, bis sie schlüpfen, zusammen tanzen, sich beim Begatten am Boden wälzen. Er filmt auch das mit seiner Kompaktkamera. 40 Jahren war es das Kochen. Wenn sich die Mitglieder des Kochclubs treffen, teilt er noch heute mit denselben drei Män­ nern den Herd. Diese scherzen, der Luder schlafe jetzt mit einer Königin. Hans Luder lacht, als er das erzählt, seine Frau auch. Sie bringt Kaffee, er erzählt weiter. Ob Drohnen oder Königinnen – Hans Luder kennt sie alle Seine Sätze beginnen mit: «Da habe ich beobachtet, dass …». Er spricht klar, die Stimme fest. Und dann kommen Details, viele Details. In wenigen Wochen wurde Hans Luder zum Hornis­ senexperten. Er kann selbst­ verständlich die Arbeiterinnen von den Drohnen, den männ­ lichen Hornissen, und den jun­ gen Königinnen unterscheiden (an der Grösse und den Füh­ lern), er weiss, wie lange ein Ei reift, bis eine Larve schlüpft (5–8 Tage), wie oft eine Wabe nach der Verpuppung wieder­ belegt wird (bei den Arbeiter­ innen bis zu vier Mal). Es ist nun nicht nur die Köni­ gin, die das Nest baut. Die ersten Arbeiterinnen sind längst ge­ schlüpft. Es ist Juni, und es geht schnell voran. Ein Stockwerk nach dem anderen entsteht. Der Einzug der Königin weckte das Interesse an Insekten Bis zu 700 Hornissen lebten in Hans Luders Hornissennest. «Eine fängt an, die nächste ar­ beitet weiter», sagt Hans Luder, «ziemlich chaotisch.» Aber alle wüssten, was sie zu tun hätten. Wieso, das wisse er nicht. Was er aber wisse, sei, dass die Men­ schen so was nie fertigbrächten. Die Waben so regelmässig, die Struktur so fein.Der gelernte Mechaniker staunt. Am Anfang traut Luder sich nicht, sich der Königin zu nä­ hern.Dann, mit der Zeit, wird er mutiger. Mit einer Lampe beleuchtet er das Nest von un­ ten, schaut hinein. Die Hornissen, vom Licht angezogen, fliegen ihm um den Kopf. Er bleibt ruhig. «Die ma­ chen nichts», sagt er. Obwohl das nicht ganz stimmt. Einmal wird er in den Kopf gestochen. Nachts in die Zehe. Bis Ende Juni schläft er noch im Zimmer. Dann überlässt er es den Hor­ nissen. Die Waben werden gegen Ende Sommer grösser und tie­ fer. Hier legt die Königin die Eier Für Insekten hatte Luder sich zuvor nie interessiert – bis die Königin bei ihm einzog. Er sagt, er sei achtsamer geworden. Im Leben die kleinen Dinge sehen, das habe ihn das Hornissenvolk gelehrt. Die letzten sind noch da, vermutlich Drohnen. Jeden Morgen liegen tote Hornissen unter dem Nest. Bald verstummt das Surren im Zimmer ganz. Die jungen Königinnen sind längst ausgeflogen, um sich einen Ort zum Überwintern zu suchen. Sie werden nächsten Frühling ihr eigenes Nest bauen. Ende September hat er seine Königin das letzte Mal gesehen. Was ihm bleibt, ist das Nest. Hans Luder wird versuchen, es sorgfältig von der Wand zu lösen. MM Anzeige Darauf freut sich Ihr Käse. Die Raclette-Kartoffeln von Sélection. Für alle, die wissen, was gut ist. www.migros.ch/selection