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title circulation issue page Der Spiegel 836.881 07/05/2016 29-31 "Mehr CSU wagen" Union Der christsoziale Verkehrsminister Alexander Dobrindt, 45, über den richtigen Umgang mit der AfD und die zunehmende Entfremdung zwischen den Schwesterparteien CSU und CDU Herr Dobrindt, die AfD hat im März den Sprung in drei Landtage geschafft und liegt in Umfragen bundesweit bei über zehn Prozent. Was ist Ihre Erklärung für diesen Erfolg? Dobrindt: Wenn ein politisches Vakuum entsteht, dann wird es irgendwann gefüllt. Wenn alle Parteien immer stärker SPIEGEL: in die Mitte rücken, dann entstehen rechts und links davon neue Parteien. Das darf eigentlich niemanden überraschen. SPIEGEL: Woher kommt das Vakuum auf der Rechten? Dobrindt: Die CDU versteht sich seit Jahren nicht mehr als Mitte-rechts-Partei. Sie spricht vorwiegend die Mitte an. Das hat dazu geführt, dass sich eine Gruppe von Wählern in der politischen Debatte nicht mehr wiederfindet. Die haben jetzt mit der AfD versuchsweise eine neue Stimme gefunden. SPIEGEL: Angela Merkel argumentiert, dass die Modernisierung der CDU notwendig war, um die Partei mehrheitsfähig zu halten. Bei der letzten Bundestagswahlholte die Union 41,5 Prozent. Dobrindt: Der CDU-Kurs hatte sicher seine Zeit und hat dazu beigetragen, Wahlen zu gewinnen. Aber offensichtlich ist jetzt eine Gruppe von konservativen Wählern verunsichert und bereit, sich einer anderen Partei zuzuwenden. Das ist eine Entwicklung, die spätestens in der Eurokrise begonnen hat. Man hätte das vorausahnen können, wenn man nach Österreich geblickt hätte. Dort wurden sich die beiden großen Volksparteien über die Jahrzehnte immer ähnlicher. Jetzt haben sie bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen zusammen noch 22 Prozent geholt. Der große Profiteur dieser Entwicklung ist die rechtspopulistische FPÖ. SPIEGEL: Merkels Berater sagen: Wenn die CDU nach rechts rückt, verliert sie in der Mitte mehr, als sie am Rand gewinnt. Dobrindt: Es geht um das Spektrum Mitte bis demokratische Rechte. Sonst hieße das ja, man gebe 20 Prozent der Wähler auf und überlasse sie der AfD. Das kann nicht das Selbstverständnis einer Volkspartei CDU sein. SPIEGEL: Was heißt eigentlich, die CDU müsse auch rechte Wähler wieder ansprechen? Wie soll das konkret aussehen? Dobrindt: Ein ganz zentrales Thema für eine bürgerliche Partei ist die Sicherheit. Innere und äußere Sicherheit, Sicherheit der Ersparnisse und der Renten, Sicherheit der Grenzen, Sicherheit der wirtschaftlichen Entwicklung und, gerade nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln, Sicherheit der körperlichen Unversehrtheit. Das sind Themen, die klassisch bei den Unionsparteien verortet sein müssen. SPIEGEL: Die CSU hat den Modernisierungskurs der Kanzlerin unterstützt. Ein CSUMinister hat die Abschaffung der Wehrpflicht eingeleitet, Ihre Partei war beim Ausstieg aus der Atomkraft vorne mit dabei, Sie haben kein Veto gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingelegt. Dobrindt: Modern und konservativ ist ja kein Widerspruch. Die CSU ist auch deshalb erfolgreich, weil sie die beiden Elemente ausbalanciert. Wir würden laut aktuellen Umfragen wieder eine absolute Mehrheit im bayerischen Landtag bekommen. Die CDU ist dagegen weit weg von ihrem Wahlergebnisvon 2013. Die Erkenntnis für die CDU kann doch nur heißen: Mehr CSU wagen. SPIEGEL: Der größte Streitpunkt zwischen CDU und CSU war in den vergangenen Monaten die Flüchtlingspolitik. Mittlerweile sind die Flüchtlingszahlen deutlich gesunken. Ist dieses Thema ausgestanden? Dobrindt: Nein. Es geht jetzt darum klarzu- machen, dass sich eine solche Situation nicht wiederholen wird. SPIEGEL: Frau Merkel soll also sagen: Sorry, ich habe einen großen Fehler gemacht? Dobrindt: Mir geht es um eine in die Zukunft gerichtete Botschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass an den Grenzen Recht und Ordnung herrscht. Die Bürger müssen sicher sein, dass sich die Situation vom vergangenenHerbst, als Hunderttausende Menschen unkontrolliert nach Deutschland einreisten, nicht wiederholt. SPIEGEL: Die CDU hat Mitte April auf einer Sondersitzung des Präsidiums die Ergebnisse der Landtagswahlen analysiert. Hat- ten Sie danach das Gefühl, CDU und CSU bewegten sich aufeinander zu? Dobrindt: Wenn die Interpretation der Wahlen heißt, 80 Prozent der Wähler unterstützten den Kurs der Bundesregierungin der Flüchtlingspolitik,dann würde ich dringend zu einer zweiten Analyse raten. Ich hätte übrigens grundsätzlich Zweifel an der Richtigkeit meiner Politik, wenn sie von Linken und Grünen bejubelt wird. SPIEGEL: Wie soll es jetzt zwischen CDU und CSU weitergehen? Dobrindt: Ich habe mir nicht vorstellen können, dass CDU und CSU mal bei einem zentralen Thema so weit voneinander entfernt denken und agieren können, wie sich das in der Flüchtlingsfrage gezeigt hat. Das heißt aber auch: Es gibt jetzt keinen Masterplan und kein eingeübtes 1/3 Rezept, wie wir weiter miteinander umgehen. Der Ausgang dieser Diskussion ist offen. SPIEGEL: Das klingt, als schlössen Sie einen Bruch nicht aus. Dobrindt: CDU und CSU bilden eine Schicksalsgemeinschaft, aber die Ereignisse der vergangenenMonate werden auch im Binnenverhältnis zwischen beiden Parteien lange nachwirken. SPIEGEL: Was heißt das? Dobrindt: Gerade wegen der engen Verbundenheit und der erfolgreichen jahrzehntelangen Zusammenarbeit stellt sich die Frage, ob und wie man ein gemeinsames Wahlprogrammgestalten kann. SPIEGEL: Was wäre die Voraussetzung dafür, dass sie wieder zueinanderfinden? Dobrindt: Vor allem ein gemeinsames Verständnis dafür, wie man mit der Herausforderung der AfD umgeht. Die AfD als Partei kann man nur bekämpfen, wenn man Lösungsvorschläge für die Themen unterbreitet, die ihre Wähler beschäftigen. Durch Totschweigen löst man keine Probleme. Man kann die AfD nicht einfach ignorieren oder in die rechte Schmuddelecke stellen. Das macht sie nur stärker. SPIEGEL: Das sagt Frau Merkel mittlerweile auch. Dobrindt: Ich habe nichts dagegen, wenn sich die CDU in ihrer Einschätzung auf die CSU zubewegt. Lange Zeit hat es Stimmen gegeben, die ausschließlich damit trommelten, dass die AfD sich durch rechtsextreme Positionen auszeichne. SPIEGEL: Sehen Sie das anders? Dobrindt: Die AfD ist eine stark schillernde Partei, die auf ihrem Parteitag am Wochenende zum Teil gefährliche Forderungen beschlossen hat, etwa die kompromisslose Absage an Europa und den Euro. Auf der anderen Seite spricht sie mit ihrer Position zum politischenIslam offenbar die Ängste vieler Bürger an. SPIEGEL: Soll die Union auch sagen: Der Islam gehört nicht zu Deutschland? Dobrindt: Das Mehrheitsgefühl in Deutschland ist in der Tat so, dass die hier lebenden Muslime ein Teil unseres Landes sind, aber der Islam nicht zu Deutschland gehört. SPIEGEL: Die CDU will sich für die Zeit nach der Wahl 2017 ein Bündnis mit den Grünen offenhalten. Das wird kaum gelingen, wenn Sie in die Anti-Islam-Kerbeder AfD hauen. Dobrindt: Darum geht es nicht. Das vergangene Wochenende war für die Unionsparteien sehr spannend, weil zwei Ereignisse zusammengefallen sind, die beide große Bedeutungfür zukünftigepolitische Debatten haben: Der AfD-Parteitag und die grünschwarze Koalitionsvereinbarungin BadenWürttemberg. Es wird bei der kommenden verunsicherte Wähler der Union anspricht. Darauf müssen wir eine Antwort finden. SPIEGEL: Wie könnte die aussehen? Dobrindt: Zum Beispiel klar sagen, dass Schwarz-Grün kein Zukunftsmodell für den Bund ist und Winfried Kretschmann eine Ausnahme bei den Grünen darstellt. SPIEGEL: Sie machen einen Gegensatz auf, den es so nicht mehr gibt. Die CDU regiert selbst im konservativen hessischen Landesverband weitgehend reibungslos mit den Grünen. Die Frage ist doch, ob man auf Bundesebene mit einer Partei, die eine grundsätzlich andere Sichtweise auf die Gesellschaft hat und die eine ganz andere Entwicklung Deutschlands will, gemeinsam regieren kann. Ich rate dazu, deutlich auf die Abgrenzung gegenüber den grünen Themen zu gehen und nicht zu sehr Gemeinsamkeiten zu betonen. Wenn Politik immer nur auf Konsens setzt, sucht der Wähler nach einer Alternative. SPIEGEL: Kann die CSU im kommenden Jahr überhaupt eine Kanzlerkandidatin Merkel unterstützen? Dobrindt: Wir wollen die Bundestagswahl gewinnen mit Angela Merkel. Ein gemeinsamer Weg braucht Diskussion. SPIEGEL: Falls keine Einigung gelingt: Tritt die CSU dann mit einem eigenen Wahlprogramm und einem eigenen Spitzenkandidaten an? Dobrindt: Die CSU tritt immer mit ihrem eigenen Profil an. Ob das in einem gemeinsamen Wahlprogramm gelingt oder in einem eigenen, steht am Ende der Diskussion. Interview: Ralf Neukirch, Rene Pfister Dobrindt: - "Ich rate dazu, deutlich auf Abgrenzung zu den grünen Themen zu gehen." Bundestagswahleine Zangenbewegungum die Union geben: Eine grüne Partei, die versucht, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben, und eine AfD, die von rechts 2/3 Merkel-Kritiker Dobrindt: "Durch Totschweigen löst man keine Probleme" 3/3