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Ich Sah Empor , Und Sah In Allen Räumen Eines - Neumann

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Friedrich Rückert Ich sah empor, und sah in allen Räumen Eines Ich sah empor, und sah in allen Räumen Eines; Hinab ins Meer, und sah in allen Wellenschäumen Eines. Ich sah ins Herz, es war ein Meer, ein Raum der Welten, Voll tausend Träum’; ich sah in allen Träumen Eines. Du bist das Erste, Letzte, Äußre, Innre, Ganze; Es strahlt dein Licht in allen Farbensäumen Eines. Du schaust von Ostens Grenze bis zur Grenz im Westen, Dir blüht das Laub an allen grünen Bäumen Eines. Vier widerspenst’ge Tiere ziehn den Weltenwagen; Du zügelst sie, sie sind an deinen Zäumen Eines. Luft Feuer Erd und Wasser sind in Eins geschmolzen In deiner Furcht, dass dir nicht wagt zu bäumen Eines. Der Herzen alles Lebens zwischen Erd und Himmel, Anbetung dir zu schlagen soll nicht säumen Eines! Die Ghaselen nach Mewlana Jelaleddin Rumi, von denen dieses Gedicht eine ist, sind die ersten Früchte des Studiums der persischen, arabischen und türkischen Sprache und Dichtkunst, in das Rückert 1818, nur ein Jahr vor Abfassung der Ghaselen, von dem Wiener Orientalisten Hammer-Purgstall eingeführt worden war. Sie verraten bereits ein überraschend tiefes Verständnis der islamischen Metaphysik, das übrigens für Rückert aus den bruchstückhaften Übersetzungen Hammer-Purgstalls, die alleine ihm zu dieser Zeit zur Verfügung standen, nicht zu gewinnen war. Umso höher ist seine Leistung einer originären Aneignung der Gedankenwelt Rumis zu veranschlagen. Der im 13.Jahrhundert im türkischen Konya lebende Jelaleddin Rumi gilt als der größte mystische Dichter persischer Sprache, dessen umfangreiches Werk von über 3000 Gedichten nebst dem Mathnawi, einem mystischen Lehrgedicht von 26 000 Versen, einen ungeheuren Einfluss in der islamischen Welt ausgeübt hat. Obiges Gedicht im Anschluss an Rumi behandelt das alte Thema der sich in der irdischen Vielheit spiegelnden überweltlichen Einheit. Es wird dieses Verhältnis in für die islamische Mystik typischen Bildern ausgedrückt: der Weltenraum als Sinnbild der Transzendenz, das Meer als eines der Unendlichkeit, seine Wellen als Vielheit, die der Unendlichkeit nur zu entkommen scheinen, um wieder in sie zurückzufallen. Und wie die ganze Welt, so auch der einzelne Mensch. „Das Weltall ist gleich einem großen Menschen, und der Mensch ist ein Weltall im Kleinen“ lautet einer der Lehrsätze islamischer Mystik. Folglich kann Rückert sagen: „Ich sah ins Herz, es war ein Meer, ein Raum der Welten.“ Die vielgestaltigen Phänomene der Welt und der Seele sind wie Träume, die ihren Wirklichkeitsgehalt von der überweltlichen Person des Träumers erhalten; deshalb: „ich sah in allen Träumen Eines“. Nun folgt ein leicht abgewandeltes Koranzitat, aus der Sure Das Eisen: „ Du bist das Erste, 1 Letzte, Äußre, Innre, Ganze“, nur das letzte zusammenfassende Wort ist eine Hinzufügung Rückerts. In diesem Vers „kreuzt“ sich sozusagen eine zeitliche Sinnbildlichkeit (das Erste, das Letzte) mit einer räumlichen (das Äußre, das Innre); beide bilden einen Zusammenklang aller wesentlichen Aspekte des ganzen Einen: Ursprung und Ende der Welt und des Menschen, Transzendenz und Immanenz Gottes. Das Gedicht geht nun im Folgenden näher auf das Verhältnis Schöpfer – Welt ein: Gott ist das reine Licht, das die Welt durch „Ausstrahlen“ hervorbringt. Den Inhalten der Welt entsprechen die verschiedenen Farben, die sich zwar voneinander unterscheiden, im Grunde jedoch nichts als das eine Licht sind. Ganz ähnlich heißt es bei Goethe im Xenion „Licht und Farbe“: „Wohne du ewiglich Eines dort bei dem ewiglich Einen,/ Farbe, du wechselnde, komm freundlich zum Menschen herab.“ So wie die Sonne in ihrem Lauf mit ihrem Licht die ganze Erde durchmisst – „Du schaust von Ostens Grenze bis zur Grenz im Westen“ heißt es bei Rückert in einer Anspielung auf den berühmten „Lichtvers“ im Koran –, „misst“ auch Gott alle Dinge, das heißt schaut und schöpft sie zugleich und ist deshalb allwissend und allmächtig. Die Welt ist auseinanderstrebende Vielheit, die sich horizontal in den vier Kardinalrichtungen und stofflich in der endlosen Verbindungsvielfalt der vier Elemente Luft, Feuer, Erde und Wasser auswirkt. Doch kann das Band mit der einen umfassenden Unendlichkeit nie zerreißen, eben weil diese umfassend ist: Rückert verwendet hier das alte, allerdings unislamische Bild des Sonnenwagens: „Vier widerspenst’ge Tiere ziehn den Weltenwagen;/ Du zügelst sie, sie sind an deinen Zäumen Eines.“ Aus diesem Abhängigkeitsverhältnis entspringt die Ehrfurcht vor dem Schöpfer, und darin gründet nach Rückert auch das Gebot der unablässigen Anbetung: weil jedes Geschöpf in der Anbetung das verehrt, was es in tiefstem Grunde selber ist. © Wolfgang Neumann 2