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Dienstag, 7. Juni 2016
Seite 51 Mathematiker Prof. Berger betreibt Grundlagenforschung über das Verhalten in „Spielen“.
KRONE
Fotomontage/Fotos: Gerhard Bartel, Ulrich Berger
der Wissenschaft
Die Theorie der Spiele Stellen Sie sich folgendes Gedankenexperiment einer „verkehrten Wahl“ vor: Sie und 50 weitere Wähler können jeweils einen von zwei Geldbeträgen wählen: entweder € 100 oder € 500. Danach wird jener Geldbetrag ausbezahlt, den die Minderheit gewählt hat – aber nur an die Mitglieder dieser Minderheit. Alle anderen gehen leer aus. Wie würden Sie sich entscheiden? In diesem Entscheidungsproblem hängt das, was Sie am Ende bekommen, nicht nur von Ihrem eigenen Verhalten ab, sondern auch von dem der anderen. In den Sozialwissenschaften werden solche Situationen als „Spiele“ bezeichnet, die Entscheidungen als Strategien und
Zur Person Prof. Ulrich Berger studierte Mathematik und promovierte an der Universität Wien, wo ihn Karl Sigmund und Josef Hofbauer, Pioniere der evolutionären Spieltheorie, für dieses Gebiet begeisterten. Nach Forschungsaufenthalten am Internationalen Insti-
Experimente und mathematische Modelle kommen dabei zum Einsatz das mathematische Instrumentarium, mit dem sich strategische Probleme analysieren lassen, als Spieltheorie. Zwei konkurrierende Unternehmen, die die Preise für ihre Produkte festsetzen, spielen ebenso ein Spiel wie die Bieter in einer Auktion. Doch nicht nur in der Wirtschaftswelt tauchen Spiele auf. Im Straßenverkehr spielen wir ständig Spiele, ohne uns dessen bewusst zu sein. Staaten, die Grenzzäune gegen Flüchtlinge errichten, sind Spieler, und sogar Tiere, die um ein Revier kämpfen. Prof. Ulrich Berger vom Department tut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg und an der Universität München promovierte er an der Wirtschaftsuniversität Wien auch in Volkswirtschaft und wurde dort 2011 zum Professor ernannt. Seine Arbeiten wurden unter anderem vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) unterstützt.
Volkswirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien bereitet gerade ein Experiment zur verkehrten Wahl vor. Der Spieltheoretiker betreibt Grundlagenforschung über das Verhalten in Spielen. Wenn man irgendwann die großen Spiele der Gesellschaft verstehen oder beeinflussen will, so meint er, muss man mit den einfachsten Spielen beginnen und zuerst die fundamentalen Fragen klären: Wie würden die rational
Im Straßenverkehr spielen wir ständig Spiele, ohne uns dessen bewusst zu sein. Prof. Ulrich Berger
kalkulierenden Spieler, die die mathematischen Modelle der Ökonomen bevölkern, sich entscheiden? Wie entscheiden sich echte Menschen im Experiment? Was passiert, wenn man das Spiel viele Male wiederholt und die Spieler aus den Fehlern der Vergangenheit lernen können? Und welche Rolle spielen dabei Vertrauen, Reputation, Strafen oder Belohnungen? Neben Experimenten kommen dabei vor allem mathematische Modelle und Computersimulationen zum Einsatz. Damit erforscht Berger etwa, nach welchen Regeln die „indirekte Reziprozität“ funktioniert, ein Reputationsmechanismus für wiederholte Spiele, der auf dem Prinzip des wie-du-mir-soandere-dir beruht. Dieser Mechanismus, so zeigt sich, kann zu stabiler Kooperation führen, wenn die Spieler zumindest ein klein wenig tolerant sind.
In dieser Serie stellen wir Projekte von Spitzenforschern und -forscherinnen in Österreich vor. Ausgewählt werden sie von Prof. Dr. Georg Wick, dem Leiter des Labors für Autoimmunität an der Medizinischen Universität Innsbruck.