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Interview Mit Jochen Kuhl (könig Lear) Und

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    August 2018
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Schauspiel : König Lear Gespräch mit den Darstellern Fragen an Kammerschauspieler Jochen Kuhl (Lear) Jochen, Du bist seit 1967 Schauspieler und schon seit 1972 am Schauspiel Nürnberg engagiert. Shakespeare stand für Dich immer wieder auf dem Programm. Welche seiner Figuren hast Du schon verkörpert und was haben sie Dir bedeutet? Als Anfänger kam ich ans Schauspielhaus Bochum und der damalige Intendant Hans Schalla besetzte mich in seiner Inszenierung „Was ihr wollt“ als Sebastian. Das war natürlich eine tolle Erfahrung, zumal wir mit dieser Arbeit zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen wurden und ich darauf fünf Jahre in Bochum bleiben konnte. In Nürnberg erinnere ich mich noch gerne an Klaus Kusenbergs Inszenierung von „Der Sturm“ in der Spielzeit 2002/2003. Ich spielte damals in einem Bühnenbild von Günter Hellweg den Prospero. Die Arbeit war eine Auseinandersetzung mit der alttestamentarischen Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und deren Überwindung. „Ein Thema für den Friedensnobelpreis“, wie der Theaterkritiker Dieter Stoll damals schrieb. Jetzt spielst Du König Lear! Ist es die Erfüllung Deines beruflichen Lebens oder einfach nur eine weitere Rolle? Es heißt ja, dass es für einen Schauspieler drei große Shakespeare-Rollen im Leben gibt: Für den jungen Schauspieler Hamlet, für den Mann mittleren Alters Macbeth und für den alten Spieler Lear. So freue ich mich, mit Lear wieder da angekommen zu sein, wo ich Jahrzehnte lang war, nämlich im Zentrum eines Stückes. Aber Shakespeare kann auch zu einer großen Falle werden. Seine Stücke tragen einen großen Nimbus, obwohl es eigentlich einfache Geschichten sind. Hamlet, Macbeth und Lear – einfache Geschichten? Im Grunde genommen, ja, doch hinter den Geschichten gibt es immer etwas zu entdecken. Shakespeares Blick auf den Menschen ist einmalig! Er betrachtet die Welt und das Mensch-Sein von einem besonderen Standpunkt aus. Seine Sicht ist außergewöhnlich, da er immer ganz bei den Menschen ist und uns doch von einer höheren Warte aus betrachtet. So bekommen wir neue Einblicke, neue Perspektiven angeboten. Wir haben gerade erst mit den Proben angefangen und bis zur Premiere ist es noch eine lange Reise. Kannst Du schon etwas zu Deiner Arbeit an Lear sagen? Mal sehen, wo uns die Proben hinführen, aber zurzeit bin ich ganz hoffnungsfroh. Im Vorfeld habe ich mich mit der ungekürzten Fassung von „König Lear“ und seinen Themen beschäftigt. Wenn Menschen keine Macht mehr haben, fallen andere über sie her. Als absoluter Herrscher hatte Lear immer Recht, doch für das Individuum ist dieser Egozentrismus fatal. Ohne Macht kommt alles ins Wanken. Lear muss lernen, wieder Mensch zu 16 König Lear : schauspiel werden. Das Leben muss bis zum Ende geschrieben werden und so gilt es, das Ende, also den Tod, in das Leben zu integrieren. Seine Fragen werden zu Fragen der Selbsterkenntnis. Schauspieler sind Seelenforscher. Sie holen etwas an die Oberfläche, was Menschen im Privatleben oft in ihren Seelenkammern verschlossen halten. Woran leidet Lear? Lear erkennt schmerzlich, dass er den Weg, den er eingeschlagen hat, bis zum Ende gehen muss. Aus Unkenntnis oder Selbstüberschätzung begeht er einen Fehler. So wird er zum Auslöser seines eigenen Schicksals. Es ist ein allgemein menschlicher Mechanismus und Lear kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Sein Ego hat ihn in eine Schieflage gebracht. Er muss sich wieder gerade rücken. Unser Spielzeitmotto lautet: „Über Grenzen sprechen“. Im Spiel überwinden wir die engen Grenzen unseres Alltags und kommen im besten Fall zu neuen oder anderen Erkenntnissen. Ist Lear ein Grenzgänger? Ja, in dem Sinne, wie wir alle Grenzgänger auf der Grenze zwischen Leben und Tod sind. Was Lear erfahren muss, ist im Grunde etwas allgemein Menschliches. Die Lebensläufe der Menschen sind davon gekennzeichnet. Wo führt Shakespeare uns als Zuschauer hin? Theaterstücke sind wie Resonanzkörper. Sie klingen in uns nach. Die Spiegelneuronen im Gehirn werden angeregt. Wir können uns in die Geschichten hineinbegeben und sie so spielerisch durchleiden und durchdenken. Das ist das große Angebot des Theaters! Fragen an Schauspieler Rainer Matschuck (gloster) Mit „König Lear“ könnte man sich ein ganzes Theaterleben lang befassen und für Dich ist es nicht die erste Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Text. Wann hast Du Dich zum ersten Mal mit diesem Werk beschäftigt? Welche Rolle hast Du damals gespielt? Es war im Jahr 1999, als ich in einer Inszenierung des damaligen Schauspieldirektors Holger Berg den Narren gespielt habe. Durch diese Arbeit habe ich das Stück noch mehr schätzen gelernt. Shakespeare ist einfach genial. Seine Werke bieten die Möglichkeit vielfältiger Auseinandersetzungen und Interpretationen. Man kann immer Neues entdecken und jetzt bin ich sehr gespannt, wohin die Reise diesmal geht. Du spielst in der Inszenierung von Klaus Kusenberg die Rolle des Grafen von Gloster. Seine Tragödie ist eng mit der LearGeschichte verknüpft. Gloster spiegelt sich in Lear und Lear in Gloster. Beide Figuren gehen verblendet durch ihr Leben. Gloster wird im Verlauf des Stückes sogar geblendet. Was bedeutet es für Dich, diese Figur zu spielen? 17 Schauspiel : König Lear Ich mag einen Satz von Benjamin Henrichs über „König Lear“ sehr: „Der Anfang allen Wahnsinns ist Liebe.“ Lear wie Gloster sind bestimmt von einer Affenliebe zu ihren Kindern. Diese maßlose Liebe macht sie blind und unberechenbar. Lear und Gloster werden zu Narren ihres Lebens. Sie können oder wollen die Wahrheit nicht sehen. Geblendet lernt Gloster, die Welt noch einmal anders wahrzunehmen. Im Alter die Welt noch einmal anders sehen zu lernen – was für eine Aufgabe! Aber für beide Figuren ist es auch die Frage: Wie nimmt man Abschied vom Leben? Diese Frage, die uns allen so unendlich schwer fällt. Du bist ein großer Beckett-Liebhaber. Jan Kott vergleicht „König Lear“ mit Becketts „Endspiel“. Kann Beckett eine Hilfe sein, Shakespeare zu spielen? Wo ziehst Du Parallelen? Es ist Becketts Lebensphilosophie: „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Diese tiefe Tragikomik findet man auch bei Shakespeare. Gloster will sterben, wird von Edgar daran gehindert und hadert mit seinem Schicksal. Das führt mich zu der aktuellen Diskussion um Sterbehilfe. Wir können uns auf der Probe noch so lange mit dem Text, den Figuren, ihren Motivationen und ihren Emotionen auseinandersetzen, Theater wird erst durch das Publikum zum Erlebnis. Was wünschst Du Dir von den Vorstellungen? Vielleicht, dass die Zuschauer sich fragen: Warum ist das so und was kann ich tun, damit es nicht so weit kommt? Katharsis!? Der Beginn einer Auseinandersetzung? Theater kann vielleicht nicht die Welt, aber unseren Blick auf sie verändern. Die Fragen stellte Horst Busch Premiere Jochen Kuhl und Rainer Matschuck in „Der Sturm“ (Spielzeit 2002/2003) Buchtipp George Steiner, Der Tod der Tragödie, Suhrkamp, 17,00 € Neil MacGregor, Shakespeares ruhelose Welt, Beck C. H., 29,95 € Erhältlich im Theaterbuchladen : 10. Oktober 2015, 19.30 Uhr, Schauspielhaus König Lear   William Shakespeare Deutsche Fassung von Peter Stein nach Graf von Baudissin Inszenierung: Klaus Kusenberg Bühne: Günter Hellweg Austattung Mitarbeit: Franziska Isensee Musik: Bettina Ostermeier Dramaturgie: Horst Busch Mit: Julia Bartolome (Regan), Josephine Köhler (Cordelia/Narr), Elke Wollmann (Goneril); Heimo Essl (Herzog von Albany), Ksch. Michael Hochstrasser (Herzog von Cornwall), Julian Keck (König von Frankreich/Edgar), Thomas Klenk (Herzog von Burgund/Oswald), Ksch. Jochen Kuhl (Lear), Rainer Matschuck (Graf von Gloster), Ksch. Thomas Nunner (Graf von Kent), Christian Taubenheim (Edmund) : Schauspiel Aktuell König Lear Einführungsmatinée mit: Prof. Dr. Susanne Bach (Professorin für Anglistik, Universität Kassel), dem Leitungsteam und Ensemblemitgliedern, am Sonntag, 04. Oktober 2015, 11.00 Uhr, Foyer Schauspielhaus Weitere Vorstellungen: 11., 17., 18.10.; 05., 08., 20., 27.11.; 05., 29.12.2015 18