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"jazz", "rockkultur". Stichworte Im Kulturpolitischen Wörterbuch

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Jazz nie gilt als Zeichen der Selbstsicherheit im historischen Prozeß, der nun nicht mehr ausschließlich im Pathos von Aufbruch, Aufbau und Ankunft dargestellt wird. Doch zeigen, wie die Kritik an F. R. Fries, G. Kunert, I. Morgner belegt, Literaturpolitik und Literaturkritik auch nach 1965/66 noch Zurückhaltung gegenüber einer entschiedenen ironischen Distanzierung oder Verfremdung des Alltags der DDR in der Literatur. Erst in den 70er Jahren wird der durchgehende ironische Stil bei gesicherter Parteilichkeit als dialektisch-objektives Verfahren zu einer differenzierten literarischen Aneignung von Wirklichkeit akzeptiert. An V. Braun oder J. Bobrowski werden die Leistungen ironischer Verfremdung der Gegenwart und ironischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gerühmt; literarische I. ermögliche ein produktives und erkenntnisreiches Verhalten gegenüber den überwundenen gesellschaftlichen Widersprüchen und gegenüber denen, die noch zu überwinden seien. Sie »hilft, einen differenzierten und sachlichanalysierenden Blick auf die wirklichen Widersprüche der sozialistischen Gesellschaftsentwicklung freizugeben« (U. Reinhold, a.a.O., S. 100). Ch. Wolfs Erzählungen »Unter den Linden« (1975) markieren in der ironischen Steigerung bedrohlicher Elemente in der Wirklichkeit der DDR die noch nicht eingelösten Erwartungen des Individuums an die sozialistische Gesellschaft. Die ironische Verfremdung der sozialen Realität in I. Morgners » Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz« (1975) ermöglicht literarisch eine Kontrolle von Anspruch und Wirklichkeit, ohne jedoch die Positivität der sozialistischen Gesellschaft grundsätzlich in Frage zu stellen. In der Alltagspraxis ironischer Rede und ironischer Verfahren, in den Gebrauchstexten für Rundfunk und Fernsehen, für das -^•Kabarett und die Bunten Abende werden die Ansprüche der Partei auf Führungsautorität und »planmäßige« Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft vielfach ironisch relativiert. Scheint in der DDR mit der verengenden Festlegung von I. als Mittel satirischer oder humoristischer Aneignung der Wirklichkeit die Diskussion insgesamt noch nicht abgeschlossen zu sein, so wird in der Bundesrepublik das Phänomen der I. vor allem in seinen unterschiedlichen literaturkritischen und literaturtheoretischen Perspektiven vielfach erörtert. Neben Verfahren, die I. in ihrer Strategie als Sprechhandlung zu erklären, stehen Untersuchungen im Vordergrund, die sich auf die historische Entwicklung der Ironiekonzepte beziehen. Die gesellschaftliche und politische Bedeutung literarischer Aspekte der I. im Verhältnis zu ironischen Verhaltensweisen im Alltag, beispielsweise in den Medien, in der—»- Werbung, in der politischen Rede, wird jedoch nur am Rande angesprochen. J. Schönen Literatur B. Allemann, I. und Dichtung, Pfullingen 1956 W. Preisendanz, R. Warning (Hrsg.), Das Komische, München 1976, darin: W. D. Stempel, I. als Sprechhandlung, S. 205-235, und D. Wellershoff, Schöpferische und mechanische I., S. 423-425 A. P. Frank, Zur historischen Reichweite literarischer Ironiebegriffe, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, H. 30/31,1978, S. 84-104 M. Walser, Selbstbewußtsein und I. Frankfurter Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1981 Jazz Historisch umfaßt der J. von seinen afroamerikanischen Anfängen im Hot Play bis zu seinen heute weltweit praktizierten Stil- und Mischformen eine musikalische Entwicklung, deren Umfang und Vielfalt einen Oberbegriff so wenig zuläßt, wie etwa die vielfältigen Formen der europäischen Musiktradition. Im Unterschied zur Musik der europäischen Kulturen ist die Geschichte des J. nicht schriftlich bewahrt, sondern wird in der schwarzen Bevölkerung Amerikas mündlich überliefert und in den Aufnahmen der elektronischen Massenmedien Schallplatte, Magnetband und Film festgehalten. Über die mündliche Tradition des J. sind für die Zeit vor 1900 nur Mutmaßungen möglich. So beginnt die Geschichte des J. allgemein mit dem Aufkommen der Tonträger. Seine Wirkung verläuft dagegen als ein Moment der Akkulturation verschiedener gesellschaftlicher Bereiche unabhängig von der musikalischen Geschichte des J. und kann aufgrund der Vermittlung durch die populäre Kultur, einschließlich der —»Schlager und Volksmusikreste, kaum im einzelnen bestimmt werden. J. ist eine zeitgenössische Musizierweise, deren Ursprünge in der Musik der nach Amerika verschleppten Afrikaner liegen. Diese originären Einflüsse machen sich noch heute in der rhythmischen Basis des J. geltend, in dem die Taktzeit jeweils verschieden betonenden beat des Schlagzeugs, das der europäischen Tradition fremd ist. Hierzu gehören auch die individuellen und stiltypischen Ausbildungen der Phrasierung und Tonalität, die nicht mehr an die europäische Halbtonschrift gebunden sind. Die beiden weiteren Charakteristika des J., die für die einzelnen Stile jeweils typische Metrik und die individuelle oder kollektive Improvisation, können schon eher auf europäische Einflüsse zurückgeführt werden. Sie beziehen ihre Vorbilder aus den Liedschemata und freien Kadenzen, wie sie ebenso auf die kultischen Metrik- und Improvisationsschemata der afroasiatischen Musik verweisen. Der J. ist eine Mischform aus Elementen sowohl afrikanischen als auch europäischen Ursprungs, und als 287 Jazz eine seiner ersten Formen gilt das Hot Play, das »heiße«, schnelle und schräge Musizieren von Ländlern, Walzern, Quadrillen und anderen europäischen Tänzen aus Frankreich, Italien und England. Von den vielfältigen Frühformen des J. kam etwa um 1910 zunächst nur der Ragtime nach Deutschland. Mit dem »Tiger Rag« erschien 1919 auf »Homakord« die erste deutsche Jazzplatte. Rag, ein schnell gespielter, synkopierter, der Form nach den Polkas und Märschen ähnlicher Viertelnotenbeat, galt allerdings zu Beginn der 20er Jahre in Deutschland lediglich als eine unter anderen Formen der Tanzmusik. Insofern J. vor allem eine individuelle Spielweise ist, beginnt seine Geschichte auch in Deutschland mit den Namen stilprägender Bands und Bandleader. E. Borchard (Klarinette) und seine »Jazzband« begründeten mit Auftritten in den Berliner Tanzpalästen und zahlreichen Schallplattenaufnahmen zwischen 1920 und 1925 die besondere deutsche Geschichte des J. Sie ist bis heute durch ihre geringe Selbständigkeit geprägt, da zumeist die im Ursprungsland Amerika entwickelten Stile und Spielweisen übernommen wurden. Nach dem Zerfall der »Borchard-Jazz-Band« wurde der J. von einer Vielzahl weiterer Tanzorchester wie der »Fred-Ross-Jazz-Band«, der »Diamond-KingJazz-Band« und den legendären »Weintraub Synkopeters« übernommen. Zwischen 1920 und 1930 erschienen mehr als 160 Jazzplatten. Der Jazzhistoriker H. H. Lange nennt dieses Jahrzehnt denn auch das »Goldene Jazz-Zeitalter« in Deutschland. Die 30er Jahre zeigen vor allem mit dem Aufkommen des Swing international die musikalische Ausbreitung und Intensivierung des J. Dieser Stil, der vor allem mit den Namen Count Basies und B. Goodmans verbunden ist, beruht auf einem Viertelnotenbeat, der durch einen »walking bass«, eine Schlagzeugakzentuierung der ungeraden Taktzeiten und halbtaktigen Akkordfortgänge gekennzeichnet ist. Die Hochphase der Ära des Swingfieljedoch in die Zeit des Nationalsozialismus, in der J. als eine Musik galt, die dem deutschen Wesen »artfremd« sei. Schon in den ersten Monaten des Jahres 1933 mußte die erste und einzige, 1928 an einem Frankfurter Konservatorium gegründete Jazzklasse auf Betreiben der Nationalsozialisten schließen. Allerdings wurden die inzwischen überaus populären Jazzer wie T. Stauffer, W. Eisbrenner, K. Widmann, F. Thon, A. Ludskowski, W. Berking, F. SchultzReichel nicht sofort mit Spielverbot belegt. Sie durften, trotz aller offiziellen Achtung des als »verjudete Nigger-Musik« denunzierten J., weiterspielen und konnten sich immerhin in ersten Jazzclubs zusammenschließen. Mit Kriegsbeginn 1939 aber wuchsen die praktischen Schwierigkeiten, die eine geordnete Entwicklung nicht mehr zuließen. Es wäre dennoch »purer Unsinn und leicht widerlegbar, wenn 288 heute behauptet wird, Deutschland sei zwischen 1933 und 1939 vom J. und Swing völlig abgeschnitten gewesen. Wer sich für diese Musik interessierte, konnte alles bekommen, was er nur wollte« (H. H. Lange, S. 89). Von den kriegsbedingten Einschränkungen abgesehen, konnten die Musiker der zweiten deutschen Jazzgeneration, zu der neben den schon genannten auch K. Edelhagen, M. Greger, G. Fuhlisch, W. Dobschinski und H. Zacharias zählen, nach 1945 wieder dort beginnen, wo sie vor dem Krieg aufgehört hatten. Die Vorkriegszentren des J., Berlin und Frankfurt, erreichten schnell wieder ihre alte Bedeutung. Nun wurden aber auch die neugegründeten Tanzorchester populär, deren Leiter und Solisten sich aus den Jazzmusikern der Vorkriegszeit rekrutierten und neben ihrer Verpflichtung zur gefälligen Unterhaltungsmusik den Big-Band-Jazz pflegen konnten. W. Müller wurde Leiter des »ÄL4S-Tanzorchesters«, K. Edelhagen gründete ein Orchester im Bayrischen Rundfunk, E. Lehn das »Süd/unfc-Tanzorchester«, F. Thon erhielt die Leitung des Rundfunktanzorchesters des NWDR. Orte der Auseinandersetzung mit der jeweils aktuellen Entwicklung des J. aber waren sowohl die zahlreichen Jazzclubs als auch Gaststätten und Bars, in denen vor allem junge Jazzmusiker im ersten Nachkriegsjahrzehnt für wenig Geld »tingelten«, in einer Zeit, die auch als »Kellerghetto« des J. bezeichnet wird. Wichtige Anreger des West Jazz waren zudem die Tourneen der amerikanischen Jazzgrößen L. Hampton, St. Kenton oder D. Brubeck, die stets in ausverkauften Hallen stattfanden. Der erste Austausch unter Jazzmusikern der Bundesrepublik wurde durch die schon in den 50er Jahren von F. Rau durchgeführten Tourneen gefördert. Dieser Aufbruch des modernen J., der immerhin viele, auch international anerkannte Jazzmusiker wie A. Mangelsdorf (Posaune), A. v. Schlippenbach (Klavier), K. Doldinger (Saxophon), E. Weber (Baß), M. Schoof (Trompete) hervorbrachte, wurde unterbrochen, als weltweit eine neue Generation sich zu artikulieren begann und der Rock and Roll und die Beatles triumphierten. Der J. befand sich auch in der Bundesrepublik plötzlich in der Lage des quasi Etablierten, des künstlerisch Wertvollen (vgl. M. Naura, 1979). Für den J. nach dem Krieg läßt sich festhalten, daß er, bis auf die Beeinflussung jugendlicher studentischer Randgruppen in den 50er Jahren, als sozialpolitisches Phänomen im Sinne einer durch ihn hervorgerufenen Änderung von Wahrnehmungsformen oder Verhaltensweisen größerer Gruppen der Bevölkerung keine oder doch nur geringe Wirkungen zeigte. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde 1947 K. Henkels mit seinem Orchester vom Sender Leipzig engagiert. Es blieb dort für lange Zeit das einzige der Jazztradition verpflichtete Orchester. Nach der Staatsgründung 1949 lösten sich die in der DDR Journalismus noch erhaltenen Jazzclubs auf. Anfang der 50er regelmäßige Jazzworkshops geöffnet (»J. in der Jahre geriet der J. in der DDR zunehmend unter Kammer« in Berlin (Ost); »Jazz-Szene« am Volksideologischen Druck des auf die Kanonik des theater Rostock). Seit 1977 veranstalten Radio Sozialistischen Realismus verpflichteten Verbandes DDR, Stimme der DDR und Berliner Rundfunk als Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler, modernes Kontrastprogramm zum Dresdner Dixiein dessen Veröffentlichungen der »dekadente«, land-Festival die sogenannte »Jazz-Bühne« als »westliche«, »spätimperialistische« Charakter des Festival zeitgenössischer Strömungen des J. J. unterstrichen wurde. Viele bedeutende JazzmusiTrotz vielfältiger Bemühungen konnten die Jazzker, die sich in der DDR niedergelassen hatten, festivals der DDR bislang aber nicht den internatioverließen das Land, so zwei komplette Big-Bands, nalen Standard erreichen, den in Jazzkreisen das die Orchester H. Kretzschmar und K. Walter. Festival in Moers, die Westberliner Jazz-Tage oder Nach dem Tode J. W. Stalins trat zunächst eine etwa das Warschauer Jazz-Jamboree erlangt haben. Wende ein. In der FDJentstanden »Jazz-Arbeitsgemeinschaften«, die, wenn auch mit UnterbrechunW. Hagen gen, heute noch bestehen, und die Rundfunkprogramme richteten erstmals besondere Jazzsendun- Literatur gen ein. Als » Produkt der Auflehnung einer von den H. H. Lange, J. in Deutschland, Berlin (West) 1966 Kapitalisten unterdrückten Klasse« wurde der J. C. Bohländer, H. Holler, Reclams Jazzführer, Stuttgart nunmehr offiziell gefördert. 1977 Die Auswirkungen der XX. Parteitages der B. Noglik, H. J. Lindner, J. im Gespräch, Berlin (Ost) 1978 KPdSU brachten abermals eine Wende. Ob die J. Wölfer, Handbuch des J., München 1979 Gründe darin zu suchen sind, daß die jungen Jazz- M. Naura, Der Moderne J. in der Bundesrepublik Deutschland, Jazz Podium, Jg. 28,1979, H. 12, S. 16 ff. musiker mit ihrer Musik eine systemkritische Hal- J. E. Berendt, Das Jazzbuch. Vom Rag bis Rock, Frankfurt tung fördern wollten, oder ob die staatliche ^Kul- a.M.25198O turpolitik der DDR dies nur befürchtete, festzuhalten bleibt, daß zwischen 1957 und 1961 der J. offiziell kaum existierte. 1958 trat die Anordnung über die Programmgestaltung bei Unterhaltungs- und Tanzmusik in kraft, die, 1973 als Diskothekenordnung Journalismus erweitert, besagt, daß bei öffentlicher Präsentation von Unterhaltungsmusik 60 v. H. der Titel von Komponisten aus der DDR oder anderen sozialisti- I. Vielfalt der journalistischen Erscheischen Staaten stammen müssen, 40 v. H. dagegen nungsformen - II. Einflüsse der Besat»westlicher« Herkunft sein dürfen. Nach der Lok- zungsmächte - III. Journalismus zwischen kerung seit der Schließung der Grenzen im August Markt und gesellschaftlicher Kontrolle - IV. 1961 konnte sich in der DDR mit F. Schönfeld, C. Die Ausbildung zum sozialistischen JournaBauer, G. Sommer und E. L. Petrowski trotz allem listen eine auch international beachtliche Jazzszene herausbilden. Inzwischen wurde dem J., dessen geringe politische Wirkung sich offenbar zur Genüge erwie- I. Vielfalt der journalistischen sen hat, im Rahmen der vielfältigen Musikpflege Erscheinungsformen der DDR ein gleichberechtigter Platz neben den anderen Formen und Stilen der Weltmusikkultur Obwohl der J. seit dem 18. Jh. eine ähnliche Vielfalt (B. Noglik, H. J. Lindner, 1978) zugewiesen. der Produktion und Breite der Erscheinungsformen Jazzmusiker der DDR sind im Unterschied zu aufweist wie die -^Literatur, gibt es dazu für denen der Bundesrepublik in der Regel Musikhoch- Deutschland keine zusammenhängende geschichtschulabsolventen und haben Anspruch auf Kran- liche Darstellung des J. Die im Jahr 1845 von R. E. kenversicherung und Altersversorgung. Seit Mitte Prutz veröffentlichte »Geschichte des deutschen J. der 70er Jahre legt die staatliche Plattenfirma »Ami- Zum ersten Male vollständig aus den Quellen gearga« verstärkt historische und aktuelle Jazzplatten beitet« blieb unvollendet und ohne Nachfolge. Ihr auf, dies aber, wie es auch für die übrigen Sparten lag ein weites, funktionales Verständnis zugrunde, der populären Musik zutrifft, in so geringen Aufla- das den J. als das »Selbstgespräch, welches die Zeit gen, daß das erfolgreiche Jazzprogramm praktisch über sich selber führt«, definierte. »Er ist die tägliimmer vergriffen ist. Im Unterschied zur Bundesre- che Selbstkritik, welcher die Zeit ihren eigenen publik nimmt in der DDR der Dixielandjazz einen Inhalten unterwirft; das Tagebuch gleichsam, in größeren Platz in der Gunst des Publikums ein. Seit welches sie ihre laufende Geschichte in unmittelbaJahrzehnten veranstaltet Dresden jährlich Europas ren, augenblicklichen Notizen einträgt« (Hannover größtes Dixieland-Festival (-^-Festpiele). Verschie- 1845, S. 7). Eine solche Sicht muß neben Zeitungen, dene Theater der DDR haben kleinere Säle für Zeitschriften und den elektronischen Medien auch 289 Rockkultur tivismus und Popperismus in der Arbeiterbewegung I. Kulturimport übernommen. Als Oberbegriff wird Sozialdemokrafti/WM.y verwendet. Den linksopportunistischen Kon-Die Geschichte des Rock in der Bundesrepublik ist zeptionen der sogenannten Reformsozialisten wird in ihren ersten anderthalb Jahrzehnten die eine besondere Bedeutung zugemessen. Hätten sie Geschichte eines Kulturimports. So wie die Konursprünglich, wie ihnen W. I. Lenin noch zugestand, zerttourneen amerikanischer Bigbands in den späin vielen Fragen an marxistischen Auffassungen ten 40er und frühen 50er Jahren den -^Jazz wieder festgehalten, so erfüllten sie inzwischen, wie am nach Deutschland brachten, so war es die Präsenz Beispiel E. Mandels, A. Gorz' und P.v. Oertzens des amerikanischen Radios in den ehemaligen demonstriert wird, objektiv die Funktion ideologi- Westsektoren und zumal die Tournee des Rock'nscher Handlanger des Kapitalismus zur Eindäm- Roll-Sängers Bill Haley 1958, die in der Bundesremung des Klassenkampfes. Ihre Auffassungen publik die ersten Anfänge einer R. begründeten. seien deshalb nicht nur utopisch und illusionär, Rock'n Roll, wie das Wort —*Jazz ein sexuell sondern zugleich »objektiv reaktionär«. aufgeladener Slangausdruck, ist in den 50er Jahren Bei der Verwendung des Begriffs R. in der Bun- die den Rock begründende Stilrichtung. Er entwikdesrepublik und in der DDR gibt es keine Annähe- kelte sich durch Elvis Presley, Bill Haley, Buddy rung. Es wird sie auch nicht geben können, weil sich Holly, Gene Vincent. Sie verbanden den amerikaniDDR und SED allein als Erben der Traditionen und schen Rockabilly, eine Mischung des schwarzen als Vollstrecker der Ziele der deutschen Arbeiterbe- Rhythm & Blues mit weißem Hill-Billy, die Countrywegung begreifen, ein Selbstverständnis, über das, music der weißen Farmer und die Formen des City da es unmittelbar zur Begründung der Staatlichkeit Blues der schwarzen Musiker, die in den 30er und der DDR gehört, eine Diskussion auch nicht mög- 40er Jahren aus dem Süden in die Städte eingewanlich ist. dert waren. Bis auf wenige Ausnahmen wie Chuck H. Grebing Berry, Bo Diddley von weißen Interpreten gespielt, war Rock'n Äo//innerhalb der amerikanischen Massenkultur das erste Ausdrucksmittel der jungen Literatur M. Jänicke, Der dritte Weg. Die antistalinistische OpposiNachkriegsgeneration, die ihn als Ausdruck ihrer tion gegen Ulbricht seit 1953, Köln 1964 nonkonformistischen, aber keineswegs systemkritiP. Ch. Ludz, Ideologiebegriff und marxistische Theorie, schen Protesthaltung verstand. Historisch gesehen Opladen 1976 entwickelte sich durch den Rock'n Roll das erste H. Grebing, Der R. Von Bernstein bis zum »Prager Früheigenständige Jugendidiom in den westlichen ling«, München 1977 Gesellschaften. H. Heimann, Th. Meyer (Hrsg.), Bernstein und der DemoZu ihm gehört, neben der schnellen, rhythmusbekratische Sozialismus, Berlin (West), Bonn 1978 tonten Musik, eine Körpersprache des -^Tanzes, S. Papcke, Der Revisionismusstreit und die politische Theorie der Reform, Stuttgart 1979 der Haartracht (»Tolle«), eine Kleidermode mit Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der Röhrenhosen, Petticoats, zudem eine EntsublimieKPdSU und Akademie für Gesellschaftswissenschaften rung der Sexualität in den Texten, Protest gegen die beim ZK der SED, Die entwickelte sozialistische Gesellunbeweglichen, kleinbürgerlich-prüden Lebensforschaft. Wesen und Kriterien - Kritik revisionistischer Konmen des amerikanischen Mittelstandes und eine zeptionen, Berlin (Ost) 1980 positive Einstellung gegenüber den aufkommenden Werten einer Überflußgesellschaft: große Autos als Statussymbol und sexualisierter Freiheitsmythos. Rockkultur I. Kulturimport - II. Kulturindustrielle Voraussetzungen - III. Eigenständige Gruppen und die Einflüsse neuer Formen - IV. Ablehnung und Integration in der DDR V. Ästhetische und ideologische Prämissen - VI. Die Bestimmung des gesellschaftlichen Nutzens - VII. Rockkultur in beiden deutschen Staaten 614 II. Kulturindustrielle Voraussetzungen Der Rock'n Roll, Mitte der 50er Jahre in fast allen amerikanischen Staaten mit tausenden von Bands heimisch, rief nicht nur einen musikalischen Stil, sondern zugleich die gesamte R. ins Leben, unter der jenes weitverzweigte System aus Studios, Plattenfirmen, Herstellern elektroakustischer Bauteile und Apparate, Plattenläden, Radiostationen, Verlagen, Filmfirmen, Agenturen, Veranstaltern, Promotern, Clubs und Tanzsälen zu verstehen ist, das den Rock produziert und verbreitet. Dazu gehört auch ein je nach Stilrichtung wechselndes Heer von Designern, Modemachern, Musikjournalisten und Werbeagenten. Die Ära des Rock'n Roll in den Rockkultur Vereinigten Staaten ließ die beteiligten Industrien erstmals das volkswirtschaftlich bedeutsame Umsatzpotential -^Jugend entdecken. Da aber eben diese Industrien grundsätzlich auf optimale Verwertung und damit zur Konformität jedes Produkts tendieren, bleibt und blieb die Entwicklung des Rock innerhalb der R., von der sie untrennbar ist, widersprüchlich. Die Gewinninteressen der Produktions- und Distributionsindustrien der R. gerieten periodenweise immer wieder in einen Gegensatz zur musikalischen Entwicklung und zu den sie tragenden Bedürfnissen der jugendlichen Konsumenten. In den einzelnen Facetten der R., den Studios, Clubs oder lokalen Musikszenen, lagern sich, neben den herrschenden Trends, neue, zunächst unverwertbare Stile und musikalische Produktionen ab, die den für die R. generell typischen Underground bilden und schubweise das ganze System mit neuen »Hypes« oder »Hits« versorgen. Der Rock'n Roll traf in der Bundesrepublik Deutschland Ende der 50er Jahre auf eine erhebliche Nachfrage, da vor allem proletarische Jugendliche in den Großstädten über die amerikanischen Militärsender von diesem neuen, ersten Jugendidiom der Nachkriegszeit erfahren hatten und sich schnell mit ihm identifizierten. Es fehlten aber alle Voraussetzungen auf Seiten der Unterhaltungsindustrie und der öffentlich-rechtlichen Medien, die der breiten Basis der amerikanischen R. hätten vergleichbar sein können. So war die Integration des Rock'n Roll etwa in Produktionen des deutschen -^Schlagers zu Anfang der 60er Jahre bei Peter Kraus, den Blue Diamonds oder Nora Nova eher dürftig; die Platten Bill Haleys, Gene Vincents oder Buddy Hollys wurden zunächst nicht veröffentlicht. Noch weit in die 60er Jahre hinein galt es in deutschen Musikerkreisen regelrecht als unfein, sich mit dieser Musik näher zu beschäftigen. Inzwischen hatte sich mit den Beatles, den Rolling Stones, den drogen- und kultorientierten Gruppen der amerikanischen Westküste Moby Grape, Grateful Dead, mit Jimi Hendrix, Janis Joplin, The Who und den Kinks eine Breite und Vielfalt musikalischer Stile in der amerikanischen und englischen R. durchgesetzt. Sie verlieh sowohl den unpolitischen Mobilitätskonflikten {-^-Mobilität) der Arbeiterjugendlichen als auch dem intellektuell orientierten Protest der beginnenden Studentenbewegung Ausdruck und konnte von den Plattenkonzernen und Medien in der Bundesrepublik nicht länger ignoriert werden. 1967 / 68 beginnen die deutschen Rundfunkanstalten, Jugendprogramme mit entsprechendem Rockmusikanteil einzurichten, die Rolle des in Amerika schon zwanzig Jahre üblichen Diskjockeys wird übernommen, Plattenkonzerne richten Abteilungen für Rockmusik ein, ausländische Rockgruppen absolvieren überaus erfolgreiche Tourneen. Dennoch blieb, nicht nur aufgrund fehlender sachlicher Voraussetzungen, die Übertragung der angloamerikanischen R. auf die Bundesrepublik vor allem musikalisch ein Problem. Rock'n Roll, Mersey Beat, Rhythm & Blues, Acid Rock, Motownoder Detroit-Sound, alle Stilarten des Rock wurden importiert und kopiert. In der Bundesrepublik schätzt man, daß es 1970 etwa 500 aktive Bands gab, die den professionellen Ansprüchen ihrer amerikanischen und englischen Vorbilder genügten. Aber die Identifikationsmuster und Themen des Rock, Alltagssituationen wie Kennenlernen, Trennung, Verliebtheit, Tagträume, Reisephantasien, Drogenerfahrungen wurden englisch vorgetragen. Mit der Sprachbarriere entstand so eine musikimmanente Begrenztheit, die von den Musikern und großen Teilen der Fans selber als ein Widerstandsgefühl und eine andere, zumal Älteren unverständliche Geheimsprache übernommen wurde. Der Import als solcher wurde bewußt akzeptiert und gegen die Öde und Langeweile des deutschen Schlagers gesetzt. Es entstand eine Trennung zwischen Rock und Schlager, die in angloamerikanischen Ländern in dieser Schärfe nicht besteht. So rückte eine Besprechung der ersten Platte der Nürnberger Gruppe Ihre Kinder, die 1969 in der Zeitschrift Sounds erschien, den Versuch, Rock mit deutschen Texten zu verbinden, in die Nähe der »pseudoambitiösen Chansons« einer H. Knef und stufte die erste »deutsche« Rockband unter das Prädikat »peinlich« ein. Nationalen Erfolg hatten allein solche Gruppen, die wie Amon Düül, Agitation Free oder Can ihre Musik an englischen oder amerikanischen Undergroundvorbildern orientierten. III. Eigenständige Gruppen und die Einflüsse neuer Formen Nähe zur Studentenbewegung der späten 60er und frühen 70er Jahre hatte die R. wesentlich dadurch, daß die Diskriminierung aller »Langhaarigen«, »Provos« und »Hippies« auch die Fans der amerikanischen und englischen Rockgruppen traf. Deutschsprachige Rockgruppen entstanden zu Beginn der 70er Jahre, ohne kommerziell erfolgreich zu sein, dann auch aus diesem politischen Umfeld. Ton Steine Scherben, Lokomotive Kreuzberg oder Floh de Cologne versuchten auf unterschiedliche Weise, auch die Tradition deutscher Polit- und Agitpropsongs der 20er und 30er Jahre in die neuen Formen des Rock miteinzubeziehen. Internationalen Erfolg hatten zur selben Zeit nur solche deutsche Gruppen, die wie Can, Tangerine Dream, Kraftwerk entweder überhaupt nicht oder nur mit sehr wenig Text arbeiteten. Zwischen 1972 und 1976 erlebte die deutsche R. zwar eine Verbreiterung durch englischsprachige Gruppen wie Jane, Eloy, Birth Controll, Kraan, Scorpions, es gab aber mit der Ausnahme Udo Lindenbergs keinen weiteren gelungenen Versuch, 615 Rockkultur deutsche Texte mit Rockmusik zu verbinden. Udo Lindenbergs anspruchslose, eigenwillige und ganz an seinen Interpretationsstil gebundenen Texte wie »Alles klar auf der Andrea Doria« erzielten ihre Wirkung dadurch, daß seine Band den inzwischen von der deutschen Unterhaltungsindustrie übernommenen Weg des Aufbaus einer »Supergruppe« akzeptierte, wie ihn die angloamerikanischen Medienkonzerne mit den Gruppen Supertramp, Genesis, Peter Frampton oder Linie Feat als nahezu ausschließlichen Standard durchgesetzt hatten. Genau diese Praxis der die R. beherrschenden Medienkonzerne geriet mit dem Aufkommen des Punk'm London und New York 1975 bis 1977 in die Krise. Der Punk, eine schnelle, harte, alle Professionalitätsmaßstäbe hintansetzende Musik der proletarischen Jugendlichen, verbreitet von den Sex Pistols in England, Ramones und Richard Hell & the Voidoids in den USA, formulierte die Maßstäbe der internationalen R. von Grund auf neu. Abkehr von der Praxis des »entfremdeten« instrumentalen Perfektionismus, Wiederherstellung des direkten Kontakts zwischen Musiker und Publikum, Kürze und Überschaubarkeit des Songs, Verständlichkeit und Alltäglichkeit der Texte, Spontaneität, ein musikalischer Anarchismus und Situationsbezogenheit sind seine Hauptmerkmale. Mit seinen No Future- und Blank-Generation-Parolen setzt sich der Punk explizit gegen spätkapitalistische Konsum- und Lebensmuster ab. Zerschlissene Kleidung, Ketten, provozierende Verletzungen der eigenen Körperlichkeit, Hakenkreuze und Judensterne sind nur einige Beispiele einer Umwertung gesellschaftlicher Symbole und Mythen, die der Punk in seiner kurzen Geschichte vollzog. Neben der Einfachheit des rüden proletarischen Pogo, eines körperlich aggressiven Tanzstils zu den schnellen Rhythmen und provozierenden Songs des Punk, erlaubte der dezidierte Antiprofessionalismus dieser Musik auch Experimentalisten und ambitionierten Avantgardisten wie Throbbing Gristle, DNA den Weg in die Öffentlichkeit. Die Anspruchslosigkeit dieser Musik hinsichtlich Technik und Ausstattung ermöglichte es überdies, daß die Bands zumeist ihre Platten selbst produzierten und in geringen Auflagen verbreiteten. Die neu formulierten Maßstäbe dieser neuen Welle richteten sich also auch gegen die erstarrten hierarchischen Strukturen der R. und dessen konformistische Ideologie der Superstars. Mit einer gut einjährigen Verzögerung kam der Punkin die Bundesrepublik. Jetzt sangen die Bands von vorneherein deutsch, weil anders der Kontakt zwischen Publikum und Musiker, die Verständlichkeit und Unmittelbarkeit der Texte nicht zu realisieren waren. 1979 gab es in Hamburg, Berlin (West), Hannover und Düsseldorf schon gut 1000, meist bewußt dilettantisch spielende Amateurbands. Ihre Texte und musikalischen Stile hatten sich weitge616 hend von überkommenen Traditionen der Rockgeschichte freigemacht und knüpften an Themen des deutschen Schlagers der 20er und 30er Jahre wie an Ausdrucksformen der Undergroundbands in New York oder London an. Genannt seien Mittagspause, Mania D, Fehlfarben, Hans-a-Plast. Aus diesen Anfängen hat sich seit 1980 die auch kommerziell überaus erfolgreiche Neue Deutsche Welle entwikkelt, die mit ihren Exponenten Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Fehlfarben, Ideal oder Extrabreit der in einer schweren Identitäts- und Ausdruckskrise steckenden Jugendkultur der Bundesrepublik mit Titeln wie »Eiszeit«, »Wir sind die Türken von morgen«, »Ernstfall es ist längst soweit« Gehör verschaffen. Im Zug der Ausbildung dieser Neuen Deutschen Wellehat sich die Basis der deutschen R., vor allem durch die Einrichtung hunderter kleiner Studios, Veranstaltungsorte und Clubs erheblich erweitert. Insgesamt entwickelt sich die deutsche R., 25 Jahre nach ihrem Import, inzwischen genauso wie in anderen Ländern der westlichen Welt. Sie ist gebunden an das freie Spiel des kapitalistischen Marktes und folgt einer seit nunmehr vierzig Jahren typischen Dialektik zwischen Provokation und Anpassung. Insofern sind Versuche staatlicher Stellen, den Rock durch Bereitstellung öffentlicher Mittel zur Plattenproduktion zu subventionieren, wie es in Berlin (West) geschieht, fragwürdig. Rock wäre in eine staatliche Subventionspolitik nur zu integrieren, indem man ihn, wie in der DDR, seiner Geschichte beraubte und als ein Mittel ideologischer Massenbeeinflussung benutzte. IV. Ablehnung und Integration in der DDR In der DDR ist die Geschichte der Rockmusik die der Integration einer ursprünglich kapitalistischen Massenkultur (—*Kulturindustrie und Massenkultur) in die -^-Kulturpolitik eines sozialistischen Staates. Mit ihr verbindet sich der bislang einzigartige Versuch, eine als fremd empfundene Sparte populärer Musik eigener Ideologie dienstbar zu machen, ein sich üblicherweise antiautoritär gelierendes Kunstgenre ins Affirmative umzulenken. In rund zwei Jahrzehnten kulturpolitischer Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus wurden gegenüber dessen vitalstem Kunst-Botschafter, dem Rock, alle ästhetischen und ideologischen Barrieren abgebaut, mehr noch, man beförderte dieses spektakulärste Medium der Popularkultur sogar zum wirkungsvollsten und offiziell hoch gelobten Zweig der Unterhaltungskunst (—• Unterhaltung). Rockmusik der DDR wird nach Jahren kontinuierlicher, aber auch widerspruchsvoller Entwicklung zunehmend international anerkannt. Als ein internationales Phänomen der Klassenauseinandersetzung wird sie in der DDR danach bemessen, inwieweit sie unter sozialistischen Bedingungen musikalisch und tech- Rockkultur nisch dem jeweils aktuellen internationalen Standard entspricht. Als Ende der 50er Jahre westliche Rundfunkstationen Rock'n Roll in ihre Musikprogramme aufnahmen, erreichte er auch die Hörer in der DDR. Hier bildeten sich spontan kleine Combos, die mit einfachen Instrumentarien die neuartigen Spielweisen aufnahmen und Konzerte improvisierten. Als die eher solistische Darbietungsform des Rock'n Roll in den Kellern englischer Hafenstädte zur Ensembleleistung reifte und sich zusammen mit anderen Stilformen zum Beat verdichtete, wirkte dies inspirierend auf junge Amateurmusiker in der DDR. Der weltweite Erfolg der Beatles und ihrer Antipoden, der Rolling Stones, ließ viele Bands entstehen, bei deren Auftritten in Stadtparks und auf Marktplätzen sich die Jugendlichen zahlreich versammelten. Es kam zu Kollisionen mit der Staatsmacht, der Beat geriet in die Vernehmungsprotokolle der Polizei und in die Akten der Kulturbehörden, die über die Imitation des ungewollten Musikimports den ideologischen Bann verhängten. Das, was damals terminologisch unsicher als »GitarrenSound« oder »Big Beat« erfaßt wurde, galt als Beispiel westlicher ^Dekadenz und Unkultur. Im Rock'n Rollund Beatsah man ein Mittel psychologischer Kriegführung der NA TO, der ideologischen Diversion des Gegners. Nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965, anläßlich dessen viele Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler, unter ihnen W. Biermann, gemaßregelt wurden, stoppte man jene »hektische, aufpeitschende Musik«, die nach den Worten E. Honekkers die moralische Zersetzung der Jugend begünstigte. Die Presse begann eine massive Einschüchterungskampagne gegen Musiker und Fans. Zugleich aber ermunterte die Administration junge Musiker, Komponisten und Texter, eine eigenständige, deutschsprachige Beatmusik zu entwerfen. Viele der angesprochenen Künstler hatten sich in der für die DDR typischen Singebewegung, einer Verbindung aus politischem Lied mit Folklore (—>L;ed), einen Namen gemacht. Doch ließ sich die an angloamerikanischen Vorbildern orientierte Entwicklung des Beat nicht aufhalten. Es kam zu einer ideologischen Kehrtwendung, bei der nun die Beatmusik als Zeugnis proletarischer Kultur entdeckt wurde. Die Beatles und andere Gruppen stilisierte man zu Kritikern kapitalistischer Verhältnisse. Aber die DDR wollte sich anläßlich der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 als weltoffen und im Einklang mit dem Rhythmus einer internationalen Populärmusik darstellen. Unter Anleitung und Beobachtung zahlreicher Institutionen, Entwicklungsgruppen und Beratergremien kam die landeseigene Beat- und Rockmusik auch international zu hohem Ansehen und wurde den Vertretern des Schlagerschaffens als mustergültig und beispielhaft gepriesen. V. Ästhetische und ideologische Prämissen Nach rund zehn Jahren staatlicher Förderung und Lenkung entdeckten Musikwissenschaftler »jene eigentümliche Dominanz des Liedhaften in den Rockstrukturen« (P. Wicke, Rockmusik in der DDR, in: Informationen der Generaldirektion für Unterhaltungskunst 2, 1981, S. 5) als Besonderheit der Populärmusik der DDR. Man würdigt die Versuche, großformatige Werkkonzeptionen mit Anleihen an die sogenannte E-Musik vorzuführen, vermißte indes den experimentellen Versuch, Rockmusik weiterzuentwickeln. Das Stilspektrum reicht vom Hard Rock der Gruppen Prinzip, Babylon, Formel 1, den Formen des Blues bei St. Diestelmann, J. Kerth, Engerling, Monokel, H. Biebl, Karussell, Reggae bei Reggae Play, Electronic Rock der Gruppen Kleeblatt, Gong und bei R. Lakomy zu den Spielweisen, die das Genre Schlager kreuzen bei den Puhdys, Kreis, Silly, Wir, Karat, Elefant und Schöbet + Gruppe. Viele Gruppen fühlen sich von dem inspiriert, was weltweit new wave genannt wird und sich in schnellen Stakkati, unbekümmerter Alltagspoesie und reduzierter Instrumentation äußert, so NO 55, Pankow, Neumis Rock-Circus, Brigitte Stefan und Meridian, City II, Keks, Dialog. Während zwei Dutzend Spitzenformationen aus dem etwa 650 Gruppen umfassenden Profilager Rundfunk, Fernsehen und Schallplattenmarkt versorgen, spielen rund 4600 Amateurtanzkapellen bei zunehmender Konkurrenz mobiler Diskotheken im Hinterland LiveMusik. Häufig gehen gerade von den Amateuren wichtige Impulse für die Gesamtszene aus. Als Teilbereich sozialistischer Unterhaltungskunst erwies sich Rockmusik als idealtypisch und effektiv. Sie gilt als massenwirksam, emotional anregend, dabei entspannend, realitätsbezogen und aktuell in ihren Texten, zugleich vorzeigbar als kollektive Leistung, die in ihrer Präsentation im Konzert auch kollektiv rezipiert wird. Über die Schallplatte beeinflußt der Rock Geselligkeit und Tanz, verbale und visuelle Kommunikation, setzt Normen für Habitus und Kleidung, schafft sich typische Environments. »Rockmusik war von Anbeginn an nicht auf die Erfahrung von Individualität, sondern ganz im Gegenteil auf die Erfahrung von Kollektivität angelegt« (P. Wicke, Rockmusik - Aspekte einer Faszination, in: Weimarer Beiträge, 27. Jg., 1981, H. 9, S. 106). Sie deckt sich folglich mit dem sozialistischen Prinzip, das Individuen nur als Träger von Gemeinschaft akzeptiert. Rockmusik, so H. Hanke, wird auch in Zukunft Hauptgebiet der ideologischen Auseinandersetzung sein (H. Hanke, Entwicklungstendenzen musikalischer Bedürfnisse, in: Musik und Gesellschaft, H. 11,1981, S. 644 ff). Die griffige Formel dabei lautet Dialektik der Einheit von Weltbild und Notenbild. Seit Herbst 1981 wer617 Rockkultur den Rockgruppen aufgefordert, Lieder zur Friedensinitiative ihres Landes zu verfassen. Allerdings wird dabei die Parole »Frieden schaffen ohne Waffen« abgewandelt in »Der Frieden muß bewaffnet sein«. VI. Die Bestimmung des gesellschaftlichen Nutzens Rockmusik bestimmt als Teil einer internationalen Kultur das musikalische Interesse von etwa 84 v. H. der Schüler und Studenten der DDR. Sie ist der bevorzugte Kunstbereich der zwölf- bis fünfundzwanzigjährigen. Mit der massenhaften Verbreitung von Schallplatten und Musikkassetten, mit ihrer allzeitigen Verfügbarkeit durch den Rundfunk und der Möglichkeit, sie durch Mitschnitt jederzeit zur eigenen Verfügung zu haben, gehen neue Formen der Rezeption einher. Die massenhafte Existenz kopierter Originale bedingt, daß die Vervielfältigung wie ein Original benutzt und wahrgenommen wird. Rockmusik wird als Symbiose von Technik und den Institutionen der—»Massenkommunikation definiert. »Das weist über die Schranken des bürgerlichen Kulturzusammenhangs und die kapitalistische Formbestimmtheit dieser Prozesse weit hinaus, markiert eine soziale Qualität von musikalischer Praxis, die dem in den Massenmedien erreichten Vergesellschaftungsgrad der Musikproduktion adäquat ist« (P. Wicke, Rockmusik - Aspekte einer Faszination, a. a. O., S. 112 f.). Die Funktion von Populärmusik, nicht nur ästhetisches Vergnügen oder niveauvolle Unterhaltung zu sichern, sondern auch Geselligkeit zu steuern, bedingt einen immensen Verbrauch von Rockmusik. Etwa 110 Profi- und sechs- bis achttausend Amateur-Diskjockeys, Schallplatten-Unterhalter und Discomoderatoren in der Terminologie der DDR tragen bei steigender Nachfrage dazu bei, rund 600000 Tanzveranstaltungen mit 120 Mio. Besuchern pro Jahr zu gestalten. Da alle öffentlichen Konzerte, Discoabende und Radiosendungen 60 v. H. Musikanteil Autoren der DDR oder des sozialistischen Auslands aufweisen müssen und höchstens 40 v. H. von Komponisten und Textern kapitalistischer Länder sein dürfen, sind Musiker der DDR zu ständiger Produktion angeregt. Die Begrenzung des westlichen Anteils ist dabei nicht nur eine ideologische, sondern hinsichtlich der Lizenzkosten auch eine wirtschaftliche Frage. In Sendungen des Fernsehens wie »rund« oder »Jugendklub« und des Rundfunks wie »DT 64« oder »Hallo« wird politische Information und Agitation neben Rockmusik gebracht und besser konsumierbar gemacht. Fernsehen und Radio haben extensive Sendezeiten, sogenannte »Jugend-Schienen«, die beim Hörfunk bis zu zehn Stunden täglich betragen. 618 Knapp ein Viertel der Bevölkerung der DDR, etwa 3,3 Mio. Einwohner, ein relativ hoher Anteil also, ist zwischen 10 und 25 Jahren alt und damit die Zielgruppe für Rockmusik. Um dieses Medium effektiv politisch-ideologisch nutzen zu können, wurde eine Fülle von Institutionen geschaffen, die den Gesamtbereich der Talentsuche und -förderung, Ausbildung, Qualifikation, Honorarordnung, Sozialgesetzgebung und des Wettbewerbs anläßlich diverser Leistungsschauen und Werkstattage regeln. Vom Komitee für Unterhaltungskunst, das dem Ministerium für Kultur unterstellt ist und die Spitzenkünstler betreut, über die bezirklichen Konzertund Gastspieldirektionen bis zu den lokalen Bezirkskommissionen für Unterhaltungskunst sorgt ein engmaschiges Netz für intensive Verbreitung des Rock auf staatlich legitimierten Pfaden. Jeder Interpret und Musiker muß im Besitz einer staatlichen Spielerlaubnis sein, jedes Showprogramm unterliegt einer Prüfung durch spezielle Gremien. Der—>• Hörfunk ist, anders als in der Bundesrepublik, nicht nur ein Distributionsapparat, sondern Hauptproduzent für Rockmusik. In dieser Eigenschaft konkurriert er mit dem Monopolunternehmen VEB Deutsche Schallplatten. Förderung verlangt jedoch auch Staatstreue und Immunität gegenüber den, wie es heißt, Manipulationsversuchen westlicher Meinungsmacher. Jeder Unterhaltungskünstler benötigt den Rat von Spezialisten, das Urteil von Fachleuten, die Meinung der Wissenschaftler, wenn es um eigene Maßstäbe für die Bewertung von ideellen Gehalten und sozialen Wertorientierungen geht, die von der bürgerlich-kapitalistischen Massenkultur verbreitet werden. VII. Rockkultur in beiden deutschen Staaten Rockmusik in der Bundesrepublik Deutschland umfaßt das Spannungsfeld zwischen den gewinnorientierten Produkten der Vergnügungsindustrie bis zu den esoterischen und avantgardistischen Klangexperimenten der Gegenkultur und der Vielzahl politisch motivierter Stilvarianten. Rock organisiert und vervielfältigt sich privat, selten nur gibt es staatliche Förderprogramme. Rock unterliegt keiner Kontrolle, sofern geltendes Recht nicht verletzt wird oder die Massenmedien die Publizierung bestimmter Schallplatten unterbinden. Die derzeitige Neue deutsche Welle des Rock, die mit geringeren Produktionsmitteln auskommt, ermöglicht es, Rockmusik auch außerhalb der Reglements von Plattenkonzernen aufzunehmen und zu vervielfältigen. Diese Musik ist mithin eher imstande, das Lebensgefühl gesellschaftlicher Gruppen authentisch auszudrücken. Nach dem Selbstverständnis der DDR kann es dort keine —>Alternativkultur geben, da schon die Sammler, Sammeln offizielle Kultur alle Bereiche menschlicher Existenz im Sozialismus einbeziehe. Durch die Überhöhung des Rock zur staatstragenden Kunst bindet die SED gerade jenen noch am wenigsten angepaßten und etablierten Teil der Bevölkerung, die 12- bis 25jährigen. Der Eigeninitiative der Musiker wird nur die Beschaffung der Instrumente und Devisen kostenden Verstärkeranlagen überlassen, den unabdingbaren, aber nur von westlichen Herstellern vertriebenen Produktionsmitteln also, die auf grauen Märkten gehandelt werden. Die autoritäre Dominanz staatlicher Kulturpolitik führte in der DDR bei vielen Interpreten des Rock zu Konflikten und zum Bruch mit ihrer Heimat, so bei Renft, Magdeburg, Veronika Fischer, Franz Bartzsch und U. Schikora. Rockmusik, praktiziert in den sozialen Freiräumen, wird als Gegenentwurf zum konfliktgeladenen, repressiven -^Alltag nur für die kapitalistischen Länder akzeptiert. Die Differenz zwischen dem normierten Leben der Jugendlichen »und der im Musikerlebnis spontane Selbstverwirklichung gleichsam antizipierenden Klangsinnlichkeit hat zwar massenhaft zu Bewußtsein gebracht, daß die bürgerliche Existenz des einzelnen eben jene Lebensformen ausschließt, in denen Phantasie und Kreativität, Sinnlichkeit und Gemeinschaft frei von bürgerlichen Deformationen verwirklichbar sind, den sich darin artikulierenden Protest zugleich aber auf die politische Utopie individueller Selbstverwirklichung in schrankenloser Spontaneität und außerhalb gesellschaftlicher Notwendigkeiten (sie!) abgeleitet« (P. Wicke, Rockmusik - Aspekte einer Faszination, a. a. O., S. 107). Ob Rockmusik nicht auch in der DDR als Gegenentwurf nötig wäre, sei dahingestellt. Die politische Utopie der Selbstverwirklichung wird noch stets an der abstrakten Formel gesellschaftlicher Normen gebrochen. Der Begriff R. ist für die DDR nicht gültig. Er verpflichtet auf ein künstlerisches Environment unter Einbeziehung der Literatur, des Films, der Photographie, Malerei, Graphik, Postern und Plattencovern, Presse, Theater, Mode und immer stärker Video, er bedingt Dienstleistungsbetriebe wie Studios, Beleuchtungsverleih und Roadie-Ntrmittlung sowie Distributionszentren für Equipment und Tonträger. All das gibt es in der Bundesrepublik, aber wenig oder gar nicht in der DDR. Dort überwiegt indes die theoretische Auseinandersetzung mit der Rockmusik unter ästhetisch-soziologischen Aspekten, die sehr ausführlich und mit hohem Niveau in den Medien betrieben wird. Und während sich in der Bundesrepublik Kritiker des Rock überwiegend mit emotionsgesteuerten Vokabeln und im Idiom der Szene artikulieren, wird er in der DDR mit gleichen Maßstäben wie die klassische Musik rezensiert. Dominierend aber bleibt die ideologische Einschätzung des Rock, seiner Trends und Ausdrucksvarianten. Sie entscheidet über Annahme oder Ablehnung neuer Spielweisen. So könne es beispielsweise Punk in der DDR nicht geben, weil diese vital-zerstörerische Musik ihre Ursachen und Triebkräfte einem sozialen Umfeld verdanke, das es in der DDR vermeintlich nicht geben könne. W. Hagen (I-III), O. Leitner(IV-VII) Literatur P. Wicke, Rockmusik in der DDR, Erfahrungen-Tendenzen-Perspektiven, in: Informationen der Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskonst Nr. 2 / 1981, Beilage der Zeitschrift »Unterhaltungskunst« Nr. 5 / 1981 Ders., Rockmusik - Aspekte einer Faszination, in: Weimarer Beiträge, 27. Jg., 1981, H. 9, S. 98 ff J. Hagen, Unterhaltungskunst - fest mit dem sozialistischen Leben verbunden, Zu einigen Fragen der Entwicklung der Unterhaltungskunst in der DDR und Aufgaben nach dem X. Parteitag der SED, in: Informationen der Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst Nr. 4 / 8 1 , Beilage der Zeitschrift »Unterhaltungskunst« Nr. 11 / 1981 St. Lasch, PS: Rock-Musik, Berlin (Ost) 1980 O. Leitner, Rockszene DDR, Entwicklung-TendenzenAnalysen einer Massenkultur im Sozialismus, Reinbek 1982 K. Humann, C. Reichert (Hrsg.), Euro Rock, Länder und Szenen, Reinbek 1981 Sammler, Sammeln S. ist eine weitverbreitete Beschäftigung in der —^Freizeit, die allerdings in der Forschung bisher nur wenig Beachtung fand. Nach Schätzungen sammelt fast jeder dritte Bundesbürger. Unter S. wird das Zusammentragen von gleichartigen Gegenständen, auch von Informationen verstanden. Zu den Motiven, die zum S. veranlassen, gibt es die unterschiedlichsten Erklärungen. So entspricht das S. einer Ureigenschaft des Menschen, die sich frühgeschichtlich in dem Typus »S. und Jäger« geäußert hat; darüber hinaus gilt das S. als Sublimationshandlung für erfahrene Verluste; eine Reduktion erfährt das S. im übersteigerten Besitzdenken, das zur Verselbständigung tendiert; das S. gilt aber auch als Ausdruck dekadenter, endzeitlich gestimmter Gesellschaften, wie am europäischen Bürgertum gegen Ende des 19. Jh. zu beobachten ist; schließlich erscheint S. als Ausdruck eines Weltbildes, das Überschaubarkeit, totale Erfaßbarkeit und die Möglichkeit der vollständigen Rekonstruktion des Vergangenen erlaubt. Ein weiterer Ansatz beschreibt den S. als Sonderfall des Historiographien, als gesellschaftlichen Dokumentator und spricht damit die nicht zu unterschätzende Bedeutung des S. als Aufbewahren von an sich dem Verfall anheimgegebenen Zeugnissen gesellschaftlichen Lebens an. 619