Transcript
Abteilung: Sendereihe: Sendedatum: Produktion:
Kirche und Religion Gott und die Welt 6.03.2016
29.02.2016
Redaktion: Autor/-in: Sendezeit:
Anne Winter Barbara Zillmann 9.04-9.30 Uhr/kulturradio
9.15-17.00 Uhr/T9
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_____________________________________________________________________________ GOTT UND DIE WELT Kippa trifft Takke - Jüdisch-muslimischer Dialog in Deutschland Sprecherin:
Marina Behnke
Regie:
Roman Neumann
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Orientalische, dezente Musik O-Ton Hagar Levin, Israelische Studentin, Pädagogin Eine Sache, die wir ganz oft hören, oh, eigentlich sind wir so ähnlich, wir dürfen beide kein Schwein essen, wir haben beide so Tage, wo wir fasten müssen – Kopftuch - und das kommt oft: Oh, wie ähnlich sind wir eigentlich. O-Ton Imam Kadir Sanci Ein Islamgelehrter des 20. Jhdt pflegte zu sagen, dass Menschen feindselig sich gegenüber sind, wenn sie sich gegenseitig nicht kennen. () dass sie sich gegenseitig, ich sag jetzt mal abschießen oder angreifen, ja gefährden. Und dass dieses Kennenlernen sehr bedeutend ist. Und dann muss man sich wirklich fragen, wie soll es funktionieren? O-Ton Chalid Durmosch, Pädagoge Also wir fangen hier im Projekt auch bei den Jugendlichen selber an. Bei den eigenen Riten, bei den eigenen Äußerlichkeiten und (…) im Jüdischen haben wir die Kippa, und im muslimischen Glauben haben wir die Takke, welche die Imame zum Beispiel auf dem Haupt tragen oder die Männer in der Moschee. Inhaltlich geht's um dasselbe. Beide bedecken ihr Haupt aus Respekt vor Gott. Titelsprecherin Kippa trifft Takke Jüdisch-muslimischer Dialog in Deutschland Eine Sendung von Barbara Zillmann Atmo jüdischer Chor Autorin Einmal im Jahr lädt die CDU-nahe Konrad Adenauer Stiftung in Berlin zur Rabbiner Brandt-Vorlesung ein. Die Veranstaltungsreihe soll die interreligiösen Impulse von Henry G. Brandt, einem liberalen Rabbiner aus Augsburg, in die Breite tragen. Organisator ist der deutsche Koordinierungsrat der "Gesellschaften für christlichjüdische Zusammenarbeit", dem der Rabbiner vorsteht. Während sich das Auditorium, das wie ein Hörsaal mit ansteigenden Rängen gestaltet ist, langsam füllt, singt sich der Chor ein. Für diesen Abend haben die Sängerinnen und Sänger ein Lied des jüdischen Komponisten Louis Lewandowski ausgewählt; seine Musik stand für die Assimilation der Juden im Deutschland des 19. Jhdts. Atmo jüdischer Chor, als Probe erkennbar (fast wie Kirchengesang)
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Autorin: Eine Frau Mitte 30, mit langen schwarzen Haaren, in dunkler Jeans und bunter Bluse geht die Stufen hinunter, setzt sich in die erste Reihe und lauscht der Musik. Es ist die Referentin des Abends, Lamya Kaddor. Die Islamwissenschaftlerin und Religionslehrerin wurde als Kind syrischer Einwanderer in Westfalen geboren. Sie will heute Abend über die Rolle der Muslime in der deutschen Zivilgesellschaft sprechen. O-Ton Sirsch Für uns ist das natürlich nichts Neues. Bereits in den 70er Jahren gab es Gespräche zwischen dem deutschen Koordinierungsrat und Muslimen in Deutschland, und wir haben Ende der 80er Jahre (mit Ignaz Bubis) die abrahamischen Teams ins Leben gerufen – (und uns ist es wichtig, auch diese Seite zu beachten). Autorin: sagt Rudolf Sirsch, Generalsekretär der christlich-jüdischen Gesellschaften. Interkulturell geschulte Pädagogen aus Judentum, Christentum und Islam, die sich gleichermaßen auf den "Urvater Abraham berufen", gehen bis heute gemeinsam in Schulen. Doch neben dem traditionellen Trialog wird derzeit das direkte jüdischmuslimische Gespräch immer wichtiger. Atmo Rede Lamya Kaddor - Stichworte: muslimischer Antisemitismus - jüdisch -
muslimischer Dialog - deutsche Gesellschaft. Autorin: Das Auditorium ist voll besetzt. Im Publikum sind auch Holocaust-Überlebende. Lamya Kaddor ist eine gefragte Rednerin – aber dass sie hier eingeladen wurde, sei eine Ehre für sie, sagt sie später. Kritisch und selbstkritisch spricht sie über Integration der Muslime in Deutschland, über Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, über die pädagogische Arbeit mit radikalisierten Jugendlichen. Sie erklärt, wie wichtig es wäre, die große Zahl der moderaten, gut integrierten deutschen Muslime wahrzunehmen und in die gesellschaftlichen Diskurse einzubinden. Atmo Kaddor "deutsche Gesellschaft verändern", Klatschen Autorin: Am Ende dankt der 89jährige Rabbiner Brandt für Anstöße und neue Einsichten. Denn Lamya Kaddor widerlegt nahezu alle Klischees über Muslime und Musliminnen in Deutschland. Im Foyer liegen ihre Bücher zu einem zeitgemäßen Islam.
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Atmo-O-Ton Rabbiner Brandt Ich glaube, dass manche von uns voller Gedanken nachhause gehen, und revidieren auch einiges, was wir geglaubt haben als Wahrheiten absorbiert zu haben. Atmo Jugendliche - Straße Autorin: Wenn sie nicht gerade als Referentin oder Gast einer Talkshow durch Deutschland reist, arbeitet Lamya Kaddor als Lehrerin für islamischen Religionsunterricht in Dinslaken, einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Von hier, berichteten Medien, kamen auch deutsche Kämpfer des IS. "Die Juden" sind bei ihren Schülern immer wieder ein Thema, ein Schimpfwort, eine Floskel. Nicht nur bei denen, die arabische Wurzeln haben: Atmo Parkplatz - Schritte O-Ton Kaddor unser Anknüpfungspunkt ist, wir leben in Deutschland, und hier gibt es Juden und es gibt bestimmte Vorfälle, Antisemitische Äußerungen, und die kommen aus allen möglichen Ecken, und die wollen wir uns mal anschauen. Und auch angehen. Es geht uns auch an, weil wir Deutsche sind. Atmo Bistro Autorin: In der Schulpause geht die Religionslehrerin gern in ein nahes, beliebtes Bistro. (Atmo) Der jüdisch-islamische Dialog liegt Lamya Kaddor am Herzen. Zusammen mit Michael Rubinstein von der jüdischen Gemeinde Duisburg hat sie 2013 ein Buch mit dem Titel „So fremd und doch so nah – Juden und Muslime in Deutschland“ geschrieben. Es gebe viele Gemeinsamkeiten, sagt sie, etwa ihre Situation in der Diaspora. Die Muslima möchte Brücken bauen.
Atmo am Tisch O-Ton Kaddor (im Bistro) Ja. Gerade weil wir aus dem Judentum lernen können. Gerade weil in letzter Zeit ich immer stärker wahrnehme, dass sich beispielsweise der Zentralrat der Juden oder auch jüdische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gerade auch positiv und rückenstärkend vor oder hinter die Muslime stellen, wenn sie mal wieder öffentlich angeprangert werden wegen irgendwelcher Verhaltensweisen, die man ihnen zuschreibt - und das ist aus meiner Sicht sehr wohltuend und wichtig, dass tatsächlich da jüdische Mitbürger sagen wir erheben unsere Stimme, das geht zu weit, da müssen wir
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unsere muslimischen Brüder in Schutz nehmen, das erwarte und wünsche ich mir aber genauso andersherum, und das passiert aus meiner Sicht zu wenig. Autorin: Sie selbst leitet ein Jugendprojekt mit dem Namen: "Extreme out - Antisemitismus unter Muslimen". Es wird gefördert von der Bundesregierung und getragen vom liberal-islamischen Bund in Deutschland, dessen Vorsitzende sie ist. Auch wenn es eine zähe und langwierige Arbeit sei - sie setzt darauf, dass sich judenfeindliche Stereotype und Vorurteile abbauen lassen: O-Ton Kaddor Ja, es ist machbar, aber es sind unheimlich dicke Bretter zu bohren, und ich will nicht verheimlichen, dass ich manchmal auch stehenbleibe auf dem Weg und frag, schaffst du das eigentlich, ist das wirklich machbar. Aber ich glaube daran, dass es machbar ist. Autorin: Der Schlüssel sei Empathie, das Kennenlernen jüdischer Nachbarn und ihrer Familiengeschichten, und ein Blick der Jugendlichen auf ihre eigene Situation: Woher kommt eigentlich die Ausgrenzung, die ich selbst immer wieder erfahre? Was richten Feindbilder in einer Gesellschaft an? Das sind Themen, die Lamya Kaddor mit ihren Schülern diskutiert. O-Ton Kaddor Und ich glaube, wenn man den Mechanismus aber mal aufdeckt und sagt, ihr kennt es doch ganz ähnlich, wenn ihr euch hier als Opfer dieser deutschen Gesellschaft fühlt und euch auch diskriminiert fühlt, sind das doch die gleichen Mechanismen, die verallgemeinern, es gibt ne Ingroup, und es gibt ne fremde Gruppe und im Grunde genommen macht ihr doch genau das gleiche mit ner anderen Gruppe, und die wären natürlich beliebig auswechselbar Autorin Immer wieder in der Geschichte haben sich Juden, Christen und Muslime gegenseitig zu Feinden erklärt, ihre Religionen und Kulturen als unvereinbar. Dabei fußt die jeweils jüngere Religion auf dem Erbe der älteren – auch der Islam ist nicht im luftleeren Raum entstanden: O-Ton Kaddor Und damit tun sich scheinbar ganz viele Muslime schwer, weil sie denken, das wär quasi ne neue Religion, nein das ist es überhaupt nicht, sagt der Koran ja selbst, dass es keine neue Religion ist. Ich glaube, wenn wir das stärker im Hinterkopf hätten in der Begegnung mit Juden und Christen und mein Gegenüber das ähnlich sieht, dann hätten wir die Probleme hier nicht.
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Orientalische Klänge Autorin: Jedes Jahr im März veranstalten die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit die Woche der Brüderlichkeit. Heute wird sie in Hannover feierlich eröffnet. Bislang war diese Woche der Beziehung zwischen Christen und Juden gewidmet. In diesem Jahr gibt es einen besonderen Akzent: die gemeinsame Lesung aus den Heiligen Schriften des Judentums und des Islam, aus Tora und Koran. An sieben Themen-Abenden werden zwei Experten ausgewählte Verse vergleichen: der Rabbiner der liberalen jüdischen Gemeinde in Hannover, Gabor Lengyel, und die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi O-Ton Mohagheghi Es war dann jetzt die Idee, das ist die Chance. Wenn wir hier in Hannover die Woche der Brüderlichkeit haben, dass wir dann gemeinsam jetzt das Thema eingrenzen und sagen, wir machen nur Tora und Koran. Da denke ich, das setzt auch ganz gutes Zeichen nach außen, dass durchaus Juden und Muslime gemeinsam sich auch an theologische Sachen ranmachen können. O- Ton Lengyel Wir kennen uns lange, und Hamideh war häufig auch bei uns in der Synagoge, wir wissen nicht wieviel kommen werden, ... es ist ein absolutes Novum, ein Versuch, vielleicht ein geschichtliches Ereignis, wer weiß, ... es ist ein Glatteis, aber wir haben kein Problem damit. Autorin: Die Schöpfungsgeschichte, das Menschenbild, die Gebote und Verbote beider Religionen werden öffentlich debattiert - aber auch um biblische Gestalten wie etwa Mose soll es gehen, der im Islam, ebenso wie Jesus, zu den großen Propheten zählt. O-Ton Mohagheghi Es ist nicht nur für sein Volk gewesen, was er als Botschaft Gottes gebracht hat, sondern für die gesamte Menschheit. Und genau so ist es, dass im Koran dann Tora als Rechtleitung und Licht für die Menschheit dargestellt wird, und daher - ich versteh, dass ich als Muslima nahezu die Pflicht habe mich mit Tora auseinanderzusetzen. Autorin: Auch als Buchreligionen sind die Religionen einander nahe. Zugleich finden sich sowohl in der Tora als auch im Koran Verse, die Gewalt gegen andere Völker als Gottes Willen, ja als Gottes Befehl darstellen. Das betrifft zur Zeit besonders die Koranexegese: Denn aggressive Verse über Juden und Christen im Koran werden bis
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heute von Fundamentalisten als Gewaltaufruf verstanden. Das Motto der Woche der Brüderlichkeit - "Um Gottes Willen" - fragt daher auch nach dem Missbrauch von Religionen im Namen Gottes. Rabbiner Gabor Lengyel: O-Ton Lengyel Da müssen wir aufpassen. Wir müssen erkennen, dass in unseren Quellen, sowohl in der Tora als auch im Koran, schlimme Passagen sind, die Kriege verherrlichen und gegen andere Menschen predigen (). Also wir müssen lernen, mit den Versen der Schriften zu hadern. Und zu sagen ok, das ist der Vers:..aber dazu gehören die unzähligen Kommentare und die sogenannte mündliche Lehre und später der Talmud - Insofern für mich die Auseinandersetzung mit allen Versen der Tora, der Streit im positiven Sinne ist eine elementare Basis des Judentums. Ich werde dann von Hamideh lernen, ob das ähnlich im Koran oder später im Islam ist. Autorin: Die Forderung, religiöse Schriften nicht streng wörtlich zu nehmen, sondern ihre Botschaft in jeder Epoche neu zu bedenken, findet sich vor allem bei liberalen Vertretern aus Judentum und Islam. Sie sehen die Hinwendung zu anderen Religionen als Gewinn. Hamideh Mohagheghi studierte Rechtswissenschaft in Teheran und Hannover, bildete sich viele Jahre in islamischer Theologie fort und lehrt heute an der Universität Paderborn das relativ neue Fach Komparative, also vergleichende Theologie – als gläubige Muslima fällt es ihr nicht schwer, auch andere Religionen als ebenbürtig anzuerkennen: O-Ton Mohagheghi Das ist genau das Spannende in der komparativen Theologie, dass man fest überzeugt ist, dass dann der eigene Glaube der richtige ist für einen selbst, aber... durch diese tiefe Glauben, den man hat, ist man offen für anderen, weil man ganz genau weiß, dass für den anderen auch ihr Glauben ganz wichtig ist und richtig ist. Autorin: So sieht es auch der Berliner Imam Kadir Sanci, der Religionskomparatistik an der Universität Potsdam lehrt. Er wirbt für ein einmaliges Projekt in Berlin: das "House of One". In einem gemeinsamen Gotteshaus sollen einmal alle drei monotheistischen Religionen Gebetsräume erhalten. Unter einem Dach vereint, kann dann jede Religion nach ihrem Ritus Gottesdienste feiern O-Ton Sanci Es ist ja nach dem islamischen Verständnis doch problematisch, wenn man sagen würde, dass eine Einheit vorgesehen ist, weil Gott wird als der Allmächtige verstanden,
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und der Allmächtige ist in der Lage, auch alles einheitlich zu erschaffen. Wenn Gott es doch nicht so getan hat, dann muss darin ein Sinn zu erkennen sein In Sure 49, Vers 13 heißt es, dass Allah die Menschen in Stämme geteilt habe, also so erschaffen hat, dass sie unterschiedlich sind. 8.56 Und da wird auch verraten, warum sie unterschiedlich erschaffen worden sind, damit sie sich untereinander kennenlernen können, näherkommen. Das ist eine Herausforderung - und wie kann man sich dieser Herausforderung stellen. Autorin: Es gehe nicht um die Wahrheit, erklärt der Imam, auch wenn jeder sie für sich persönlich in seiner Religion gefunden habe. O-Ton Sanci Mir geht es darum, mit der Identität, mit der Weltauffassung, mit der Lebensführung, für die ich mich entschieden habe, dass ich die anderen in ihrer Position respektiere und denke, dass wir trotzdem zusammengehören und zusammen sein können und zusammen arbeiten und zusammen leben können. Muss man einfach sich versuchen in die Lage des andern hineinzuversetzen und nachzuspüren, was bedeutet das für ihn, was würde ich machen, wenn ich in seiner Lage wär. Und erst mit dieser Empathie kann man diesen Frieden eigentlich aufbauen. Autorin: Angesichts der weltpolitischen Lage sind religiöse Toleranz und Friedfertigkeit für viele Menschen zu einer Überlebensfrage geworden. Aufeinander zuzugehen sei jetzt besonders wichtig, sagt Rabbiner Lengyel aus Hannover: O- Ton Lengyel Meine Frau und ich wir engagieren uns seit 18 Monaten direkt hier vor Ort bei uns im Flüchtlingsheim, () wir fahren dahin etwa zehn Minuten mit Fahrrad, und in diesem Flüchtlingsheim helfen wir nicht x-beliebigen Menschen, sondern gerade Flüchtlinge aus Syrien, Irak und andere Ländern. Ich weiss genau, wie ein Flüchtling sich fühlt, als ich 1956 aus Ungarn floh, über Österreich nach Israel, da habe ich auch in Turnhallen übernachtet. ------------------------------------- Musik Autorin: In den letzten Jahren haben sich immer mehr jüdisch-muslimische Projekte in Deutschland und Europa entwickelt. Seit 2010 gibt es einmal jährlich die "Jewish Muslim Conference" an der Universität Wien, eine wissenschaftliche Veranstaltungsreihe; das jüdische Museum in Berlin hat ein Jüdisch - Islamisches Forum gegründet für Menschen in der Diaspora. Synagogen und Moscheen arbeiten vor Ort zusammen, wie etwa die Sehitlik Moschee in Berlin-Kreuzberg mit der nicht weit entfernten Synagoge am Fränkelufer.
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Atmo Fränkelufer Autos - Fahrräder - Stimmen - Schritte am Kanal lang Autorin: Nina und Dekel Peretz engagieren sich im Verein "Freundeskreis der Synagoge am Fränkelufer". Die deutsche Jüdin und der Israeli wollen jüdisches Leben in Kreuzberg wieder stärker etablieren - in einer vorwiegend muslimischen Nachbarschaft. Auf ihrem Nachhauseweg laufen sie am Landwehrkanal entlang. Vom gegenüberliegenden Ufer leuchten die blauen Säulen der kleinen Synagoge, angestrahlt von Lichtern in der Dämmerung. Nach dem Holocaust blieb nur ein Seitenflügel des Gotteshauses übrig. O-Ton Nina Peretz Uns ist es sehr wichtig, dass wir hier friedlich mit unsern Nachbarn zusammenzuleben - deswegen haben wir angefangen uns im interreligiösen Dialog zu engagieren, aber vor allem eben Kontakt zu haben mit den Nachbarn, unter anderem über die Begegnungstage im Graefekiez - da versammeln sich die verschiedenen religiösen Initiativen hier in diesem Dreieck zwischen Urbanstraße und Kottbusser Damm und eben Fränkelufer an der Grenze, wir lernen voneinander, wir lernen uns einfach auch kennen besser. Autorin: Deshalb macht Dekel Peretz auch gern Synagogenführungen für Muslime. O-Ton Dekel Peretz Das freut mich, dass wir auch ganz bewusst von muslimischen Organisationen angesprochen werden, ob wir mit muslimischen Schüler was machen können in bezug auf allgemeine Religionsbildung oder Antisemitismusbekämpfung, und das erfüllt mich mit Hoffnung, dass ... auch wir als jüdische Gemeinschaft offener werden, um auch unsere Vorurteile abzubauen. Atmo Synagoge, innen, er als Synagogenführer: Er erklärt, warum man sich beim Schabatgebet einmal nach links wendet, um die Braut Schabat zu begrüßen Autorin: Die kleine Kreuzberger Gemeinde hat sich einen Namen gemacht durch ihre Führungen zu jüdischem Leben - trotz der notwendigen Sicherheitsvorkehrungen steht sie allen interessierten Besuchern offen. Lehrer und Pädagogen kommen gern mit Jugendlichen. Einer ist der Sozialarbeiter Chalid Durmosch vom Projekt Maxime Berlin. Das interkulturelle Projekt zur Gewaltprävention hält unter anderem Workshops zu Religionen und zum Nahost-Konflikt. Der Sohn einer Deutschen und eines Syrers will jungen Muslimen die Gemeinsamkeiten von Judentum und Islam zeigen:
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O-Ton Chalid Durmosch Zum Beispiel Speisevorschriften, ...das fällt natürlich den Jugendlichen, muslimischen Jugendlichen, die jetzt ihre Religion umsetzen wollen, nicht leicht überall an HalalFleisch ranzukommen, aber fürn Juden ist das noch viel schwieriger, und das ist son kleines Aufatmen unter vielen Jugendlichen, dass sie sehn, Mensch, das geht also noch etwas anstrengender in andern Religionen zu - und das ist sehr neu. Autorin: In den Workshops von Maxime geht es immer auch um Identität. Dabei wird den Jugendlichen deutlich: O-Ton Durmosch Ihre Namen klingen zwar arabisch, der eine heisst vielleicht Mussa oder Ibrahim oder Issa oder Nuh, und wenn man das mal übersetzt und in die Bibel schaut, dann sind das Namen wir Mose, oder Ibrahim oder Noah oder Jesus zum Beispiel, - Issa ist Jesus und (bauen) David heißt im Koran Daoud. Und so heißen auch viele jugendliche Muslime. Und deswegen gehen wir über Gemeinsamkeiten dann auch auf die Unterschiede ein, und die Unterschiede werden dann plötzlich als Vielfalt wahrgenommen und nicht mehr als Dinge, über die man sich dann auf- und abwerten kann, weil man sie so nicht kennt. Oder anders kennt. Autorin: Natürlich beeinflusst der Nahost-Konflikt auch in Deutschland das Verhältnis von Juden und Muslimen: O-Ton Durmosch Und gerade in Berlin ist es wichtig, den Konflikt in der Welt nicht zu importieren. .. Dass man z. B. auch Juden kennenlernt, die auch nicht scharf auf den Konflikt sind, auch nochmal differenziert drauf zu blicken, dass man auf allen Seiten nochmal die Brandstifter hat - und auf allen Seiten nochmal die Friedensstifter. Und das ist wichtig auch, da diese Unterschiede kennenzulernen. Atmo Jugendliche, arabischer Sound Autorin: Die Pädagogen wollen dafür ein Vorbild sein und arbeiten grundsätzlich im ZweierTeam. Als jüdisch-muslimisches Tandem treten sie vor eine Schulklasse oder Jugendgruppe. Der jüdische Kollege von Chalid Durmosch ist Shemi Shabat. Vor kurzem führte der Israeli auch eine internationale Gruppe muslimischer und jüdischer Studenten durch Berlin. Atmo Straße
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O-Ton Shemi Shabat Es war schon sehr interessant, weil die Studenten hatten unterschiedlichste Hintergrund und auch Herkunft, warn Osteuropäer, aus Israel, aus der Türkei, aus arabische Länder, Afghanistan, Palästinenser - es war schon sehr, sehr interessant. Autorin: Solche vorbildlichen Beispiele eines jüdisch-muslimischen Austauschs fallen nicht nur in Berlin auf fruchtbaren Boden. Die Vernetzung nimmt zu und hat inzwischen eine internationale Dimension erreicht. Vielleicht hilft das, den Horizont zu öffnen für ganz neue Bündnisse. Die "Woche der Brüderlichkeit" bietet sicher einige Gelegenheiten, mit möglichen Bündnispartnern ins Gespräch zu kommen: Orientalische Musik O-Ton Mohagheghi Wir sind alle Menschen und wir haben eine Welt, in der wir leben, wie können wir gemeinsam dafür sorgen, dass diese Welt besser wird als sie vielleicht im Moment ist. O-Ton Lengyel Für Taten die jetzige Zeit ist ein Paradies. Weil wir so viel tun können miteinander. Insofern: Reden ist sehr schön, Schabbatpredigten sind auch wunderbar genauso wie die Sonntagspredigten, entscheidend sind die Taten. Titelsprecherin Kippa trifft Takke Jüdisch-muslimischer Dialog in Deutschland Sie hörten eine Sendung von Barbara Zillmann Es sprach: Marina Behnke Ton: Bodo Pasternak Redaktion: Anne Winter Regie: Roman Neumann
Das Manuskript der Sendung können Sie bei unserer Serviceredaktion bestellen, aus Berlin oder Potsdam unter 97993-2171. Oder per email
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